The Project Gutenberg EBook of In St. Juergen, by Theodor Storm Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This is the 8-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. IN ST. JUeRGEN von THEODOR STORM Novelle (1867) Es ist nur ein schmuckloses Staedtchen, meine Vaterstadt; sie liegt in einer baumlosen Kuestenebene, und ihre Haeuser sind alt und finster. Dennoch habe ich sie immer fuer einen angenehmen Ort gehalten, und zwei den Menschen heilige Voegel scheinen diese Meinung zu teilen. Bei hoher Sommerluft schweben fortwaehrend Stoerche ueber der Stadt, die ihre Nester unten auf den Daechern haben; und wenn im April die ersten Luefte aus dem Sueden wehen, so bringen sie gewiss die Schwalben mit, und ein Nachbar sagt's dem andern, dass sie gekommen sind.--So ist es eben jetzt. Unter meinem Fenster im Garten bluehen die ersten Veilchen, und drueben auf der Planke sitzt auch schon die Schwalbe und zwitschert ihr altes Lied: Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm; und je laenger sie singt, je mehr gedenke ich einer laengst Verstorbenen, der ich fuer manche gute Stunde meiner Jugend zu danken habe. Meine Gedanken gehen die lange Strasse hinauf bis zum aeussersten Ende, wo das St.-Juergens-Stift liegt; denn auch unsere Stadt hat ein solches, wie im Norden die meisten Staedte von einiger Bedeutung. Das jetzige Haus ist im sechzehnten Jahrhundert von einem unserer Herzoege erbaut und durch den Wohltaetigkeitssinn der Buerger allmaehlich zu einem gewissen Reichtum gediehen, so dass es nun fuer alte Menschen, die nach der Not des Lebens noch vor der ewigen Ruhe den Frieden suchen, einen gar behaglichen Aufenthaltsort bildet.--Mit der einen Seite streckt es sich an dem St.-Juergens-Kirchhof entlang, unter dessen maechtigen Linden schon die ersten Reformatoren gepredigt haben; die andere liegt nach dem innern Hofe und einem angrenzenden schmalen Gaertchen, aus dem in meiner Jugendzeit die Pfruendnerinnen sich ihr Straeusschen zum sonntaeglichen Gottesdienste pflueckten. Unter zwei schweren gotischen Giebeln fuehrt ein dunkler Torweg von der Strasse her in diesen Hof, von welchem aus man durch eine Reihe von Tueren in das Innere des Hauses, zu der geraeumigen Kapelle und zu den Zellen der Stiftsleute gelangt. Durch jenes Tor bin ich als Knabe oft gegangen; denn seitdem, lange vor meiner Erinnerung, die grosse St.-Marien-Kirche wegen Baufaelligkeit abgebrochen war, wurde der allgemeine Gottesdienst viele Jahre hindurch in der Kapelle des St.-Juergens-Stiftes gehalten. Wie oft zur Sommerzeit, ehe ich in die Kapellentuer trat, bin ich in der Stille des Sonntagsmorgens zoegernd auf dem sonnigen Hofe stehengeblieben, den von dem nebenliegenden Gaertchen her, je nach der Jahreszeit, Goldlack-, Nelken- oder Resedaduft erfuellte.--Aber dies war nicht das einzige, weshalb mir derzeit der Kirchgang so lieblich schien; denn oftmals, besonders wenn ich ein Stuendchen frueher auf den Beinen war, ging ich weiter in den Hof hinab und lugte nach einem von der Morgensonne beleuchteten Fensterchen im obern Stock, an dessen einer Seite zwei Schwalben sich ihr Nest gebaut hatten. Der eine Fensterfluegel stand meistens offen; und wenn meine Schritte auf dem Steinpflaster laut wurden, so bog sich wohl ein Frauenkopf mit grauem glattgescheiteltem Haar unter einem schneeweissen Haeubchen daraus hervor und nickte freundlich zu mir herab. "Guten Morgen, Hansen", rief ich dann; denn nur bei diesem, ihrem Familiennamen, nannten wir Kinder unsere alte Freundin; wir wussten kaum, dass sie auch noch den wohlklingenden Namen "Agnes" fuehrte, der einst, da ihre blauen Augen noch jung und das jetzt graue Haar noch blond gewesen, gar wohl zu ihr gepasst haben mochte. Sie hatte viele Jahre bei der Grossmutter gedient und dann, ich mochte damals in meinem zwoelften Jahre sein, als die Tochter eines Buergers, der der Stadt Lasten getragen, im Stifte Aufnahme gefunden. Seitdem war eigentlich fuer uns aus dem grossmuetterlichen Hause die Hauptperson verschwunden; denn Hansen wusste uns allezeit, und ohne dass wir es merkten, in behagliche Taetigkeit zu setzen; meiner Schwester schnitt sie die Muster zu neuen Puppenkleidern, waehrend ich mit dem Bleistift in der Hand nach ihrer Angabe allerlei kuenstliche Prendelschrift anfertigen oder auch wohl ein jetzt selten gewordenes Bild der alten Kirche nachzeichnen musste, das in ihrem Besitze war. Nur eines ist mir spaeter in diesem Verkehr aufgefallen; niemals hat sie uns ein Maerchen oder eine Sage erzaehlt, an welchen beiden doch unsere Gegend so reich ist; sie schien es vielmehr als etwas Unnuetzes oder gar Schaedliches zu unterdruecken, wenn ein anderer von solchen Dingen anheben wollte. Und doch war sie nichts weniger als eine kalte oder phantasielose Natur. --Dagegen hatte sie an allem Tierleben ihre Freude; besonders liebte sie die Schwalben und wusste ihren Nesterbau erfolgreich gegen den Kehrbesen der Grossmutter zu verteidigen, deren fast hollaendische Sauberkeit sich nicht wohl mit den kleinen Eindringlingen vertragen konnte. Auch schien sie das Wesen dieser Voegel genauer beobachtet zu haben. So entsinne ich mich, dass ich ihr einst eine Turmschwalbe brachte, die ich wie leblos auf dem Steinpflaster des Hofes gefunden hatte. "Das schoene Tier wird sterben", sagte ich, indem ich traurig das glaenzende braunschwarze Gefieder streichelte; aber Hansen schuettelte den Kopf. "Die?" sagte sie, "das ist die Koenigin der Luft; ihr fehlt nichts als der freie Himmel! Die Angst vor einem Habicht wird sie zu Boden geworfen haben; da hat sie mit den langen Schwingen sich nicht helfen koennen." Dann gingen wir in den Garten; ich mit der Schwalbe, die ruhig in meiner Hand lag, mich mit den grossen braunen Augen ansehend. "Nun wirf sie in die Luft!" rief Hansen. Und staunend sah ich, wie, von meiner Hand geworfen, der scheinbar leblose Vogel gedankenschnell seine Schwingen ausbreitete und mit hellem Zwitscherlaut wie ein befiederter Pfeil in dem sonnigen Himmelsraum dahinschoss. "Vom Turm aus", sagte Hansen, "solltest du sie fliegen sehen; das heisst von dem Turm der alten Kirche, der noch ein Turm zu nennen war." Dann, mit einem Seufzer meine Wangen streichelnd, ging sie ins Haus zurueck an die gewohnte Arbeit. "Weshalb seufzt denn Hansen so?" dachte ich.--Die Antwort auf diese Frage erhielt ich erst viele Jahre spaeter, aus einem mir damals gaenzlich fremden Munde. Nun war sie in den Ruhestand versetzt, aber ihre Schwalben hatten sie zu finden gewusst, und auch wir Kinder wussten sie zu finden. Wenn ich am Sonntagmorgen vor der Kirchzeit in das saubere Stuebchen der alten Jungfrau trat, pflegte sie schon im feiertaeglichen Anzuge vor ihrem Gesangbuche zu sitzen. Wollte ich dann neben ihr auf dem kleinen Kanapee Platz nehmen, so sagte sie wohl: "Ei was, da siehst du ja die Schwalben nicht!" Dann raeumte sie einen Geranien- oder einen Nelkenstock von der Fensterbank und liess mich in der tiefen Fensternische auf ihrem Lehnstuhl niedersetzen. "Aber so fechten mit den Armen darfst du nicht", fuegte sie dann laechelnd hinzu; "so junge muntere Gesellen sehen sie nicht alle Tage!" Und dann sass ich ruhig und sah, wie die schlanken Voegel im Sonnenscheine ab und zu flogen, ihr Nest bauten oder ihre Jungen fuetterten, waehrend Hansen mir gegenueber von der Herrlichkeit der alten Zeit erzaehlte; von den Festen im Hause meines Urgrossvaters, von den Aufzuegen der alten Schuetzengilde oder--und das war ihr Lieblingsthema--von der Bilder- und Altarpracht der alten Kirche, in der sie selbst noch zur Enkelin des letzten Tuermers Gevatter gestanden hatte; bis dann endlich von der Kapelle her der erste Orgelton zu uns herueberbrauste. Dann stand sie auf, und wir gingen miteinander durch einen schmalen endlosen Korridor, welcher nur durch die verhangenen Tuerfensterchen der zu beiden Seiten liegenden Zellen ein karges Daemmerlicht empfing. Hier und dort oeffnete sich eine dieser Tueren, und in dem Schein, der einige Augenblicke die Dunkelheit unterbrach, sah ich alte, seltsam gekleidete Maenner und Frauen auf den Gang hinausschlurfen, von denen die meisten wohl schon vor meiner Geburt aus dem Leben der Stadt entschwunden waren. Gern haette ich dann dies oder jenes gefragt; aber auf dem Wege zur Kirche hatte ich von Hansen keine Antwort zu erwarten; und so gingen wir denn schweigend weiter, am Ende des Ganges Hansen mit der alten Gesellschaft auf einer Hintertreppe nach unten zu den Plaetzen der Stiftsleute, ich oben auf das Chor, wo ich traeumend dem sich drehenden Glockenspiel der Orgel zusah und, wenn unser Propst die Kanzel bestiegen hatte--ich will es gestehen--, seine gewiss wohlgesetzte Predigt meist nur wie ein eintoeniges Wellengeraeusch und wie aus weiter Ferne an mein Ohr dringen fuehlte; denn unter mir, gegenueber, hing das lebensgrosse Portraet eines alten Predigers mit langen schwarzkrausen Haaren und seltsam geschorenem Schnurrbart, das bald meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen pflegte. Mit den melancholischen schwarzen Augen blickte es so recht wie aus der dumpfen Welt des Wunder- und Hexenglaubens in die neue Zeit hinauf und erzaehlte mir weiter von der Stadt Vergangenheit, wie es in den Chroniken zu lesen stand, bis hinab zu dem boesen Stegreifjunker, dessen letzte Untat einst das Epitaphium des Ermordeten in der alten Kirche berichtet hatte.--Freilich, wenn dann ploetzlich die Orgel das "Unsern Ausgang segne Gott" einsetzte, so schlich ich mich meist verstohlen wieder ins Freie; denn es war kein Spass, dem Examen meiner alten Freundin ueber die gehoerte Predigt standhalten zu muessen. Von ihrer eigenen Vergangenheit pflegte Hansen nicht zu erzaehlen; ich war schon ein paar Jahre lang Student gewesen, als ich bei einem Ferienbesuch in der Heimat darueber zum ersten Mal etwas von ihr erfuhr. Es war im April, an ihrem fuenfundsechzigsten Geburtstage. Wie in frueheren Jahren, so hatte ich ihr auch heute die beiden hergebrachten Dukaten von der Grossmutter und einige kleine Geschenke von uns Geschwistern ueberbracht und war von ihr mit einem Glaeschen Malaga bewirtet worden, den sie fuer solche Tage in ihrem Wandschraenkchen aufbewahrte. Nachdem wir ein Weilchen geplaudert hatten, bat ich sie, mir heute, wie ich schon lange gewuenscht, den Festsaal zu zeigen, in dem seit Jahrhunderten die Vorsteher der Stiftung nach der jaehrlichen Rechnungsablage ihre Schmaeuse zu feiern pflegten. Hansen willigte ein, und wir gingen miteinander den dunkeln Korridor entlang; denn der Saal lag jenseits der Kapelle am andern Ende des Hauses. Als ich beim Hinabsteigen der Hintertreppe ausglitt und die letzten Stufen hinabstolperte, wurde unten auf dem Flur eine Tuer aufgerissen, und der unheimliche nackte Kopf eines neunzigjaehrigen Mannes reckte sich daraus hervor. Er murmelte ein paar halbverstaendliche Scheltworte und stierte uns dann, bis wir durch die Tuer der Kapelle traten, mit den verglasten Augen nach. Ich kannte ihn wohl; die Stiftsleute hiessen ihn den "Spoekenkieker"; denn sie behaupteten, er koenne "was sehen". "Die Augen koennten einen fuerchten machen", sagte ich zu Hansen, als wir durch die Kapelle gingen. Sie meinte: "Er sieht dich gar nicht; er sieht nur noch rueckwaerts in sein eignes toerichtes und suendhaftes Leben." "Aber", erwiderte ich scherzend, "er sieht doch dort in der Ecke die offenen Saerge stehen, waehrend die darin liegen, noch lebend unter euch umherwandern." "Das sind auch nur Schatten, mein Kind; er tut nichts Arges mehr. Freilich", setzte sie hinzu, "ins Stift gehoerte er nicht und hat auch nur auf eine der Freistellen des Amtmanns hineinschluepfen koennen; denn wir andern muessen unsere buergerliche Reputation nachweisen, ehe wir hier angenommen werden." Wir hatten inzwischen den Schluessel bei der Wirtschafterin abgelangt und stiegen nun die Treppe zu dem Festsaal hinauf.--Es war nur ein maessig grosses, niedriges Gemach, das wir betraten. An der einen Wand sah man eine altertuemliche Stutzuhr aus dem Nachlass einer hier Verstorbenen, an der gegenueberstehenden hing das lebensgrosse Bild eines Mannes in einfachem rotem Wams; sonst war das Zimmer ohne Schmuck. "Das ist der gute Herzog, der das Stift gebaut hat", sagte Hansen; "aber die Menschen geniessen seine Gaben und denken nicht mehr an ihn, wie er es doch bei seiner Lebzeit wohl gewuenscht hat." "Aber du gedenkst ja seiner, Hansen." Sie sah mich mit ihren sanften Augen an. "Ja, mein Kind", sagte sie, "das liegt so in meiner Natur; ich kann nur schwer vergessen." Die Waende nach der Strasse und nach dem Kirchhofe hatten eine Reihe Fenster mit kleinen in Blei gefassten Scheiben; und in jeder fast war ein Name, meist aus mir bekannten angesehenen Buergerfamilien, mit schwarzer Farbe eingebrannt; darunter: "Speisemeister dahier Anno--", und dann folgte die betreffende Jahreszahl. "Siehst du, das ist dein Urgrossvater", sagte Hansen, indem sie auf eine dieser Scheiben wies; "den vergesse ich auch nicht; mein Vater hat bei ihm die Handlung gelernt und spaeter oft Rat und Tat bei ihm geholt; leider, in der schwersten Zeit, da hatte er schon seine Augen zugetan." Ich las einen andern Namen: "Liborius Michael Hansen, Speisemeister Anno 1799." "Das war mein Vater!" sagte Hansen. "Dein Vater? Wie kam es denn eigentlich--?" "Dass ich mein halbes Leben gedient habe, meinst du, waehrend ich doch zu den Honoratiorentoechtern gehoerte?" "Ich meine, was war es eigentlich wodurch das Unglueck ueber deine Familie kam?" Hansen hatte sich auf einen der alten Lederstuehle gesetzt. "Das war nichts Besonderes, mein Kind", sagte sie; "es war Anno sieben, zur Zeit der Kontinentalsperre; damals florierten die Spitzbuben, und die ehrlichen Leute gingen zugrunde. Und ein ehrlicher Mann war mein Vater!--Er hat den Namen auch mit ins Grab genommen", fuhr sie nach einem kurzen Schweigen fort. "Ich sehe es noch, wie er mir einst, da wir miteinander durch die Kraemerstrasse gingen, ein altes, nun laengst verschwundenes Haus zeigte. "Merke dir das", sagte er zu mir, "hier wohnte Anno 1549, da am Sonntage Jubilate die grosse Feuersbrunst ausbrach, der fromme Kaufmann Meinke Graveley. Da die Flammen heranbrausten, sprang er mit Elle und Waage auf die Gasse und flehte zu Gott, wenn er je mit Wissen und Willen seinen Naechsten um eines Koernleins Wert geschaediget, so moege sein Haus nicht verschont bleiben. Aber die Flamme sprang darueber hin, waehrend alles rings in Asche fiel. "Siehst du, mein Kind", setzte mein Vater hinzu, indem er seine Haende in die Hoehe hob, "das koennte auch ich tun; und auch ueber unser Haus wuerde die Strafe des Herrn hinweggehen."--Hansen sah mich an. "Der Mensch soll sich nicht ruehmen", sagte sie dann. "Du bist nun alt genug, dass ich dir es wohl erzaehlen mag; du musst doch von mir wissen, wenn ich nicht mehr bin. --Mein guter Vater hatte eine Schwaeche; er war aberglaeubig. Diese Schwaeche brachte ihn dahin, dass er in den Tagen der aeussersten Not etwas beging, das ihm bald das Herz brach; denn er konnte seitdem die Geschichte von dem frommen Kaufmann nicht mehr erzaehlen. In dem Hause neben uns wohnte ein Tischlermeister. Als er mit seiner Frau fruehzeitig verstarb, wurde mein Vater der Vormund seines nachgelassenen Sohnes. Harre--diesen friesischen Namen fuehrte der Knabe--las gern in den Buechern und war auch schon in der Tertia unserer Lateinischen Schule; aber die Mittel reichten doch nicht zum Studieren; und so blieb er denn bei dem Handwerk seines Vaters. Als er spaeter Geselle wurde und nach zweijaehriger Wanderung wieder eine Zeitlang bei einem Meister gearbeitet hatte, wurde es auch bald bekannt, dass er zu den feineren Arbeiten in seinem Fach ein besonderes Geschick habe. Wir beide waren miteinander aufgewachsen; als er noch in der Lehre war, las er mir oft aus den Buechern vor, die er sich von seinen frueheren Schulkameraden geliehen hatte. Du weisst, wir wohnten am Markt in dem Erkerhause dem Rathause gegenueber; da steht noch jetzt ein maechtiger Buchsbaum im Garten. Wie oft haben wir mit unserem Buche unter diesem Baum gesessen, waehrend ueber uns die Bienen in den kleinen gruenen Blueten summten!--Nach seiner Rueckkehr war das nicht anders geworden, er kam oft in unser Haus; mit einem Wort, mein lieber Junge, wir beiden hatten uns gern und suchten das auch nicht zu verbergen. Meine Mutter lebte nicht mehr; was mein Vater dazu dachte und ob er ueberhaupt etwas darueber gedacht, das hab ich nie erfahren. Auch kam es nicht so weit, dass es ein rechtes Verloebnis wurde. Eines Morgens in den ersten Fruehlingstagen war ich in unsern Garten gegangen; die Krokus und die roten Leberblumen schickten sich schon an zu bluehen, es war alles ringsumher so jung und frisch; aber mir selbst war schwer zu Sinne; die Sorgen meines Vaters drueckten auch mich. Obwohl er niemals ueber seine Angelegenheiten zu mir geredet, so fuehlte ich doch, dass es immer schneller abwaerts ging. In den letzten Monaten hatte ich den Stadtdiener oft und oefter in die Schreibstube gehen sehen; war er fort, so verschloss mein Vater sich stundenlang; und von manchem Mittagessen stand er auf, ohne die Speisen beruehrt zu haben. In der letzten Woche hatte er einen ganzen Abend damit zugebracht, sich die Karten zu legen; auf meine wie im Scherz hingeworfene Frage, worueber er denn Auskunft von seinem Orakel erwarte, hatte er mich stumm mit der Hand zurueckgewiesen und war dann spaeter mit einem kurzen "Gute Nacht" in seine Kammer gegangen. Das alles lag mir auf dem Herzen; und meine Augen, die nach innen sahen, wussten nichts von dem klaren Sonnenschein, der draussen die ganze Welt verklaerte. Da hoerte ich unten von der Marsch herauf die Lerchen singen; und du weisst es ja wohl, mein Kind, in der Jugend ist das Herz noch so leicht, der kleinste Vogel traegt es mit empor. Mir war ploetzlich, als saehe ich ueber allen Dunst der Sorge hinweg in eine sonnige Zukunft; als brauchte ich nur den Fuss hineinzusetzen. Ich weiss noch, wie ich an den Beeten hinkniete und mit welcher Freude ich nun die Knospen und das junge Gruen betrachtete, das ueberall aus dem Schoss der Erde hervortrieb. Ich dachte auch an Harre und zuletzt, glaub ich, nur an ihn. Indem hoerte ich die Gartentuer aufklinken, und wie ich aufsah, kam er selber mir entgegen. Ob auch ihn die Lerche froh gemacht hatte--er sah aus wie die Hoffnung selbst. "Guten Morgen, Agnes", rief er, "weiss du was Neues--?" "Ist's denn was Gutes, Harre?" "Versteht sich, was sollt es sonst wohl sein! Ich will Meister werden und das in allernaechster Zeit." Kannst du wohl denken, dass ich ordentlich erschrak! Denn ich dachte doch gleich: Mein Gott, nun braucht er auch die Frau Meisterin! Ich mag wohl ganz verdutzt ausgesehen haben; denn Harre fragte mich: "Fehlt dir etwas, Agnes?" "Mir, Harre? Ich glaube nicht", sagte ich. "Der Wind wehte so kuehl ueber mich hin."--Das war nun wohl gelogen; allein der liebe Gott hat es nun einmal so eingerichtet, dass wir in solchem Fall nicht sagen koennen, was der andere eben hoeren will. "Aber mir fehlt nun etwas", sagte Harre, "das Allerbeste fehlt mir!" Ich antwortete nichts hierauf, kein Woertlein. Auch Harren ging eine Weile schweigend neben mir; dann fragte er auf einmal: "Was meinst du, Agnes, ob es wohl schon geschehen ist, dass eine Kraemerstochter einen Tischlermeister geheiratet hat?" Als ich aufsah und er mich mit seinen guten braunen Augen so bittend anblickte, da gab ich ihm die Hand und sagte ebenso: "Das wird wohl nun zum erstenmal geschehen." "Agnes", rief Harre, "was werden die Leute sagen!" "Ich weiss nicht, Harre.--Aber wenn nun die Kraemerstochter arm waere?" "Arm, Agnes?" und er fasste mich so recht lustig bei beiden Haenden, "ist denn jung und huebsch noch nicht genug?" Es war ein gluecklicher Tag damals; die Fruehlingssonne schien, wir gingen Hand in Hand; und waehrend wir schwiegen, sangen ueber uns die Lerchen aus tausend hellen Kehlen. So waren wir unmerklich an den Brunnen gekommen, der an der Holunderwand des Gartens dem Hause gegenueber lag. Ich blickte ueber die Brettereinfassung in die Tiefe hinab. "Wie drunten das Wasser glitzert!" sagte ich. Das Glueck macht mutwillig; Harre wollte mich necken. "Das Wasser?" sagte er. "Das ist das Gold, das aus der Tiefe funkelt." Ich wusste nicht, was er damit meinte. "Weisst du denn nicht, dass ein Schatz in eurem Brunnen liegt?" fuhr er fort. "Guck nur genau zu; es sitzt ein graues Maennlein mit dreieckigem Hut auf dem Grunde. Vielleicht ist's auch nur das brennende Licht in seiner Hand, das drunten so seltsam glitzert; denn er ist der Hueter des Schatzes." Mir flog die Not meines Vaters durch den Sinn. Harre hob einen Stein auf und warf ihn hinab, und es dauerte eine Weile, ehe ein dumpfer Schall zu uns zurueckkam. "Hoerst du, Agnes?" sagte er, "das traf auf die Kiste." "Harre, red vernuenftig!" rief ich, "was treibst du fuer Narrenspossen!" "Ich spreche nur nach, was die Leute vorsprechen!" erwiderte er. Aber meine Neugierde war geweckt, vielleicht auch die Begierde nach den unterirdischen Reichtuemern, die aller Not ein Ende machen konnten. "Woher hast du das Gerede?" fragte ich nochmals, "ich habe doch nie davon gehoert." Harre sah mich lachend an: "Was weiss ich! von Hans oder Kunz, ich glaub, am letzten Ende kommt es von dem Halunken, dem Goldmacher." "Von dem Goldmacher?"--Mir kamen allerlei Gedanken. Der Goldmacher war ein herabgekommener Troedler; er konnte segnen und raten, Menschen und Vieh besprechen und alle die andern Geheimnisse, womit derzeit noch bei den Leichtglaeubigen ein eintraegliches Geschaeft zu machen war. Es ist derselbe, den sie jetzt den Spoekenkieker nennen, welchen Namen er grade so gut wie seinen damaligen verdient hat. Er war in den letzten Tagen, da ich eben auf der Aussendiele zu tun hatte, ein paarmal in meines Vaters Schreibstube gegangen und hatte sich dann, ohne auf sein demuetig gesprochenes "Herr Hansen bei der Hand?" meine Antwort abzuwarten, mit scheuem Blick an mir vorbeigeschoben. Einmal war er fast eine Stunde drinnen gewesen; kurz vor seinem Fortgehen hatte ich das mir wohlbekannte Pult meines Vaters aufschliessen hoeren; dann war mir gewesen, als vernehme ich das Klirren von Geldstuecken. Das alles kam mir jetzt in den Sinn. Aber Harre ruettelte mich auf. "Agnes, traeumst du?" rief er, "Oder willst du Schaetze graben?" Ach, er kannte nicht die Not meines Vaters; ihm lag nur die eigene Zukunft in Gedanken, in die auch ich hineingehoerte. Er ergriff meine beiden Haende und rief froehlich: "Wir brauchen keine Schaetze, Agnes; mein kleines Erbteil hat dein Vater schon fuer mich erhoben; das reicht hin, um Haus und Werkstatt einzurichten. Und fuer das Weitere", fuegte er laechelnd hinzu, "lass diese nicht ganz ungeschickten Haende sorgen!" Ich vermochte seine hoffnungsreichen Worte nicht zu erwidern; der Schatz und der Goldmacher lagen mir im Sinn; ich weiss nicht, war es eine tollkuehne Hoffnung oder der Schatten eines drohenden Unheils, was mir die Brust beklemmte. Vielleicht ahnte es mir, dass kurz darauf der Schatz meines ganzen Lebens in diesen Brunnen fallen wuerde. Am andern Tage war ich nach einem benachbarten Dorfe hinausgefahren, wo die uns verwandte Predigerfrau sich wegen Erkrankung eines Kindes meine Huelfe erbeten hatte. Aber ich hatte keine Ruhe dort; mein Vater war in den letzten Tagen so still und doch wieder so unruhig gewesen; ich hatte ihn im Garten auf und ab rennen, dann wieder am Brunnen stehen und in die Tiefe hinabstarren sehen; mir wurde angst, er koenne sich ein Leides antun. Am dritten Tage glaubte ich mich zu entsinnen, dass er mich auf eine seltsam hastige Weise zu der Reise hingedraengt hatte; je mehr es gegen die Nacht ging, je beklommener wurde mir. Da gegen zehn Uhr der Mond aufging, so bat ich meinen Vetter, mich noch heute zur Stadt fahren zu lassen. Und so geschah es; nachdem er mir vergebens meine Unruhe auszureden gesucht hatte, wurde angespannt; und als es Mitternacht vom Turme schlug, hielt der Wagen vor unserm Hause. Es schien alles zu schlafen; erst als ich eine Zeitlang geklopft hatte, wurde drinnen die Kette abgehakt, und der Lehrling, der seine Kammer unten auf dem Flur hatte, oeffnete die Haustuer. Es war alles, wie es immer gewesen. "Ist der Herr zu Haus?" fragte ich. "Der Herr ist schon um zehn Uhr schlafen gegangen", war die Antwort. Ich stieg leichteren Herzens nach meiner Kammer hinauf, deren Fenster nach dem Garten lagen.--Die Nacht draussen war so hell, dass ich, ohne Licht zu machen, noch einmal ans Fenster trat. Der Mond stand ueber der Holunderwand, deren noch unbelaubte Zweige sich scharf gegen den Nachthimmel abzeichneten; und meine Gedanken gingen mit meinen Augen ueber diese Erde hinaus zu dem grossen liebreichen Gott, dem ich all meine Sorgen anvertraute.--Da, wie ich eben in das Zimmer zuruecktreten wollte, sah ich ploetzlich aus der Roehre des Brunnens, welcher dort im Schatten lag, eine rote Glut emporlodern; ich sah die am Rande wuchernden Grasbueschel und dann darueberher die Zweige des Gebuesches wie in goldenem Feuer schimmern. Mich ueberfiel eine aberglaeubische Furcht; denn ich dachte an die Kerze des grauen Maennleins, das drunten auf dem Grunde hocken sollte. Als ich aber schaerfer hinblickte, bemerkte ich eine Leiter an der Brunnenwand, von der jedoch nur das oberste Ende von hier aus sichtbar war. Im selben Augenblicke hoerte ich einen Schrei aus der Tiefe; dann ein Gepolter; und ein dumpfes Getoese von Menschenstimmen scholl herauf. Mit einem Male erlosch die Helligkeit; und ich hoerte deutlich, wie es sprossenweise an der Leiter emporklomm. Die Gespensterfurcht verliess mich; aber statt dessen beschlich mich eine unklare Angst um meinen Vater. Mit zitternden Knien ging ich nach seiner Schlafkammer, die neben der meinen lag. Als ich behutsam die Gardine von seinem Bette zurueckzog, da beschien der Mond die leeren Kissen; sein armer Kopf hatte wohl schon laengst nicht mehr die Ruhe darauf gefunden; jetzt waren sie gaenzlich unberuehrt. In Todesangst lief ich die Treppe hinab nach der Hoftuer; aber sie war verschlossen und der Schluessel abgezogen. Ich ging in die Kueche und zuendete Licht an; dann nach der Schreibstube, die ebenfalls ihre Fenster nach dem Garten hatte. Eine Zeitlang stand ich ratlos am Fenster und starrte hinaus; ich hoerte Tritte zwischen den Holunderbueschen, aber ich konnte nichts unterscheiden; denn die dahinterstehende Planke verbreitete trotz des Mondscheins tiefen Schatten. Da hoerte ich draussen die Hoftuer aufschliessen, und bald darauf wurde auch die Stubentuer geoeffnet. Mein Vater trat herein.--Ich bin so alt geworden, aber ich habe es nicht vergessen; sein langes graues Haar triefte von Wasser oder Schweiss; seine Kleider, die er sonst so peinlich sauber hielt, waren ueberall mit gruenem Schlamm besudelt. Er fuhr sichtbar zusammen, als er mich erblickte. "Was ist das! Wie kommst du hieher?" sagte er hart. "Der Vetter liess mich herfahren, Vater!" "Um Mitternacht?--Das haette er koennen bleibenlassen." Ich sah meinen Vater an; er hatte die Augen niedergeschlagen und stand unbeweglich. "Es liess mir keine Ruhe", sagte ich, "Mir war, ich sei hier noetig, als muesse ich zu dir." Der alte Mann liess sich auf einen Stuhl sinken und bedeckte sein Gesicht mit beiden Haenden. "Geh in deine Kammer", murmelte er; "ich will allein sein." Aber ich ging nicht. "Lass mich bei dir bleiben", sagte ich leise. Mein Vater hoerte nicht auf mich; er erhob den Kopf und schien nach draussen hinzuhorchen. Ploetzlich sprang er auf. "Still!" rief er, "hoerst du's?" und sah mich mit weit offenen Augen an. Ich war ans Fenster getreten und sah hinaus. Es war alles tot und stille; nur die Holunderzweige schlugen, vom Nachtwinde bewegt, gegeneinander. "Ich hoere nichts!" sagte ich. Mein Vater stand noch immer, als hoere er auf etwas, das ihn mit Entsetzen erfuellte. "Ich meinte, es sei keine Suende", sprach er vor sich hin; "es ist kein gottloses Wesen dabei, und der Brunnen steht, bis jetzt wenigstens, auf meinem Grund." Dann wandte er sich zu mir. "Ich weiss, du glaubst nicht daran, mein Kind", sagte er, "aber es ist dennoch gewiss; die Rute hat dreimal geschlagen, und die Nachrichten, die ich nur zu teuer habe bezahlen muessen, stimmen alle ueberein; es liegt ein Schatz in unserm Brunnen, der zur Schwedenzeit darin vergraben ist. Warum sollte ich ihn nicht heben!--Wir haben die Quelle abgedaemmt und das Wasser ausgeschoepft, und heute nacht haben wir gegraben." "Wir?" fragte ich. "Von welchem andern sprichst du?" "Es ist nur einer in der Stadt, der das versteht." "Du meinst doch nicht den Goldmacher? Das ist kein guter Helfer!" "Es ist nichts Gottloses mit dem Rutenschlagen, mein Kind." "Aber die es treiben, sind Betrueger."--Mein Vater hatte sich wieder auf den Stuhl gesetzt und sah wie zweifelnd vor sich hin. Dann schuettelte er den Kopf und sagte: "Der Spaten klang schon darauf; aber da geschah etwas"; --und sich unterbrechend, fuhr er fort: "Vor achtzehn Jahren starb deine Mutter; als sie es inne wurde, dass sie uns verlassen muesse, brach sie in ein bitteres Weinen aus, das kein Ende nehmen wollte, bis sie in ihren Todesschlaf verfiel. Das waren die letzten Laute, die ich aus deiner Mutter Mund vernahm." Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er zoegernd, als scheue er sich vor dem Laut seiner eignen Stimme: "Heute nacht, nach achtzehn Jahren, da der Spaten auf die Kiste stiess, habe ich es wieder gehoert. Es war nicht bloss in meinem Ohr, wie es all die Jahre hindurch so oft gewesen ist; unter mir, aus dem Grund der Erde kam es herauf.--Man darf nicht sprechen bei solchem Werk; aber mir war, als schnitte das Eisen in deiner toten Mutter Herz.--Ich schrie laut auf, da erlosch die Lampe, und--siehst du", setzte er dumpf hinzu, "deshalb ist alles wieder verschwunden." Ich warf mich vor meinem Vater auf die Knie und legte meine Haende um seinen Nacken. "Ich bin kein Kind mehr", sagte ich, "lass uns zusammenhalten, Vater; ich weiss, das Unglueck ist in unser Haus gekommen." Er sagte nichts; aber er lehnte seine feuchte Stirn an meine Schulter; es war das erste Mal, dass er an seinem Kinde eine Stuetze suchte. Wie lange wir so gesessen haben, weiss ich nicht. Da fuehlte ich, dass meine Wangen von heissen Traenen nass wurden, die aus seinen alten Augen flossen. Ich klammerte mich an ihn. "Weine nicht, Vater", bat ich, "wir werden auch die Armut ertragen koennen." Er strich mit seiner zitternden Hand ueber mein Haar und sagte leise, so leise, dass ich es kaum verstehen konnte: "Die Armut wohl, mein Kind, aber nicht die Schuld." Und nun, mein Junge, kam eine bittere Stunde; aber eine, die noch jetzt in meinem Alter mir als die trostvollste meines Lebens erscheint. Denn zum ersten Male konnte ich meinem Vater die Liebe seines Kindes geben; und von jenem Augenblicke an blieb sie ihm das Teuerste und bald auch das letzte, was er auf Erden noch sein nannte. Waehrend ich neben ihm sass und heimlich meine Traenen niederschluckte, schuettete mein Vater mir sein Herz aus. Ich wusste nun, dass er vor dem Bankerott stand; aber das war das Schlimmste nicht. In einer schlaflosen Nacht, da er vergebens auf seinem heissen Kissen nach einem Ausweg aus dem Elend gesucht, war ihm die halbvergessene Sage von dem Schatz in unserem Brunnen wieder in den Sinn gekommen. Der Gedanke hatte ihn seitdem verfolgt; tags, wenn er ueber seinen Buechern sass, des Nachts, wenn endlich ein schwerer Schlummer auf seiner Brust lag. In seinen Traeumen hatte er das Gold im dunkeln Wasser brennen sehen; und wenn er morgens aufgestanden, immer wieder hatte es ihn hinaus an den Brunnen getrieben, um wie gebannt in die geheimnisvolle Tiefe hinabzustarren. Da hatte er sich dem argen Gehuelfen anvertraut. Aber der war keineswegs sogleich bereit gewesen, sondern hatte vor allem eine bedeutende Summe zu den notwendigen Vorbereitungen des Werkes verlangt. Mein Armer Vater hatte schon keinen Willen mehr; er gab sie hin, und bald eine zweite und dritte. Das Traumgold verschlang das wirkliche, das noch in seinen Haenden war; aber dieses Gold war nicht sein eigen; es war das anvertraute Erbe seines Muendels. An Ersatz war nicht zu denken; wir rieten hin und wider; Verwandte, die uns zu helfen vermocht, hatten wir nicht; dein Grossvater war nicht mehr; endlich gestanden wir uns, dass von aussen keine Huelfe zu hoffen sei.--Das Licht war ausgebrannt, ich hatte meinen Kopf an meines Vaters Brust gelegt, meine Hand ruhte in der seinen; so blieben wir im Dunkeln sitzen. Was dann weiter im geheimen Zwiesprach dieser Nacht zwischen uns gesprochen wurde, ich weiss es nicht mehr. Aber niemals zuvor, da noch mein Vater unfehlbar vor mir stand, wie fast nur unser Herrgott selber, habe ich solch heilige Zaertlichkeit fuer ihn gefuehlt wie in jener Stunde, da er mir eine Tat vertraut hatte, die wohl nicht bloss vor den Augen der Menschen ein Verbrechen war.--Allgemach erblichen am Himmel draussen die Sterne, ein kleiner Vogel sang aus den Holunderbueschen, und der erste Schein des Morgenrots fiel in das daemmerige Zimmer. Mein Vater stand auf und trat an das Pult, auf dem seine grossen Kontobuecher lagen. Das lebensgrosse Oelbild des Grossvaters, mit dem Haarbeutel und dem lederfarbenen Kamisol, schien strenge auf den Sohn herabzusehen. "Ich werde noch einmal rechnen", sagte mein Vater, "bleibt das Fazit dasselbe", setzte er zoegernd hinzu, indem er wie um Vergebung flehend zu dem Bilde seines Vaters aufblickte, "dann werde ich einen schweren Gang tun; denn ich bedarf der Barmherzigkeit Gottes und der Menschen." Auf seinen Wunsch verliess ich jetzt das Zimmer, und bald wurde es laut im Hause; der Tag war angebrochen. Als ich die noetigen Geschaefte besorgt hatte, ging ich in den Garten und durch das Hinterpfoertchen auf den Weg hinaus; Harre pflegte hier vorbeizukommen, wenn er morgens nach der Werkstatt ging, in der er bis jetzt noch arbeitete. Ich brauchte nicht lange zu warten; als die Uhr sechs geschlagen, sah ich ihn kommen. "Harre, einen Augenblick!" sagte ich und winkte ihm, mit mir in den Garten zu treten. Er sah mich befremdet an; denn meine boese Botschaft war wohl auf meinem Gesicht geschrieben; auch stand ich, als ich ihn in eine Ecke des Gartens gezogen hatte, eine ganze Zeit und hatte seine Hand gefasst, ohne dass ich ein Wort hervorbringen konnte. Endlich aber sagte ich ihm alles, und dann bat ich ihn: "Mein Vater will zu dir gehen; sei nicht zu hart mit ihm." Er war totenblass geworden, und in seine Augen trat ein Ausdruck, vielleicht nur der Verzweiflung, der mich erschreckte. "Harre, Harre, was willst du mit dem alten Mann beginnen?" rief ich. Er drueckte die Hand gegen seine Brust. "Nichts, Agnes", sagte er, indem er mich traurig laechelnd ansah; "aber ich muss nun fort von hier." Ich erschrak.--"Weshalb?" fragte ich stammelnd. "Ich darf deinen Vater nicht wiedersehen." "Du wirst ihm ja doch vergeben, Harre!" "Das wohl, Agnes; ich schulde ihm mehr als das; aber--er soll sein graues Haupt vor mir nicht demuetigen. Und dann"--das setzte er wie beilaeufig noch hinzu--, "ich glaube auch, es geht jetzt mit dem Meisterwerden nicht." Ich sagte nichts hierauf; ich sah nur, wie das Glueck, nach dem ich gestern schon die Hand gestreckt, in unsichtbare Ferne schwand; aber es war nichts mehr zu aendern; es war jetzt am besten so, wie es Harre wollte. Nur das sagte ich noch: "Wann wirst du gehen, Harre?" Ich wusste selbst kaum, was ich sprach. "Sorge nur, dass dein Vater mich heute nicht aufsucht", erwiderte er; "bis morgen frueh bin ich mit allem fertig, was ich noch hier zu tun habe. Kraenke dich auch nicht um mich, ich finde leicht ein Unterkommen." Nach diesen Worten trennten wir uns; das Herz war wohl zu voll, als dass wir Weiteres haetten sprechen koennen."--Die Erzaehlerin schwieg eine Weile. Dann sagte sie: "Am andern Morgen sah ich ihn noch einmal, und dann nicht mehr; das ganze lange Leben niemals mehr." Sie liess den Kopf auf ihre Brust sinken; die Haende, die auf ihrem Schoss geruht hatten, wand sie leise umeinander, als muesse sie damit das Weh beschwichtigen, das, wie einst das Herz des jungen blonden Maedchens, so noch jetzt den gebrechlichen Leib der Greisin zittern machte. Doch sie blieb nicht lange in dieser gebrochenen Stellung; sich gewaltsam aufraffend, erhob sie sich vom Stuhl und trat ans Fenster. "Was will ich klagen!" sagte sie und zeigte mit dem Finger auf die Scheibe, die ihres Vaters Namen trug. "Der Mann hat mehr gelitten als ich. Lass mich auch das dir noch erzaehlen."--Harre war fort; er hatte von meinem Vater in einem herzlichen guten Briefe Abschied genommen; gesehen haben sie sich nicht mehr. Bald darauf waren die letzten gerichtlichen Schritte gegen uns getan, und die Eroeffnung des Konkurses sollte in naechster Zeit erfolgen. Es war damals Sitte in unserer Stadt, dass alle oeffentlichen Bekanntmachungen nicht wie jetzt durch den Prediger in der Kirche, sondern aus dem offenen Fenster des Ratssitzungssaales durch den Stadtsekretaer verlesen wurden; bevor aber dies geschah, wurde eine halbe Stunde lang mit der kleinen Glocke vom Turm gelaeutet. Da unser Haus dem Rathause gegenueber lag, so hatte ich dies oft beobachtet, und auch, wie sich unter dem Glockenschall Kinder und muessige Leute vor den Rathausfenstern und auf der Treppe ueber dem Ratskeller versammelten. Das naemliche geschah bei der Publizierung eines Konkursurtels; aber die Leute legten dann der Sache eine ueble Bedeutung unter, und das Wort "Die Glocke hat ueber ihn gelaeutet", galt fuer einen Schimpf.--Ich hatte auch in solchen Faellen ohne viel Gedanken hingehoert; jetzt zitterte ich vor dem Eindruck, den dieser Vorgang auf das Gemuet meines ohnehin tiefgebeugten Vaters machen wuerde. Er hatte mir vertraut, dass er sich deshalb durch einen befreundeten Ratsherrn an den Buergermeister gewandt habe; und der Ratsherr, ein gutmuetiger Schwaetzer, hatte ihm die Zusicherung gegeben, dass die Publikation diesmal ohne die Glocke geschehen wuerde. Ich selbst aber wusste aus sicherer Quelle, dass diese Zusicherung eine grundlose war. Dennoch liess ich meinen Vater in seinem arglosen Glauben und bemuehte mich nur, ihn fuer diesen Tag zu einer kleinen Reise aufs Land zu unsern Verwandten zu bereden. Aber er wollte, wie er mit schmerzlichem Laecheln sagte, sein sinkendes Schiff nicht vor dem voelligen Untergang verlassen. Da, in meiner Angst, fiel mir ein, dass ich in dem hintersten Verschlage unseres sehr tiefen und gewoelbten Kellers die Glocke niemals hatte schlagen hoeren. Darauf baute ich meinen Plan. Es gelang mir auch, meinen Vater zu bereden, mit mir gemeinschaftlich ein Verzeichnis ueber die dort lagernden Waren aufzunehmen, wodurch, wenn spaeter die Gerichtspersonen zur Aufnahme des Inventars kaemen, eine Abkuerzung dieses traurigen Geschaefts herbeigefuehrt wuerde. Als die verhaengnisvolle Stunde kam, waren wir schon laengst unter der Erde bei unserer Arbeit. Mein Vater sortierte die Waren, ich beim Schein einer Laterne schrieb auf ein Blatt Papier, was er mir diktierte. Ein paarmal war mir wohl gewesen, als hoerte ich von fern das Summen einer Glocke; dann sprach ich ein paar laute Worte, bis das Schieben und Ruecken mit den Faessern und Kisten allen von aussen eindringenden Schall wieder verschlang. Alles schien gut zu gehen, mein Vater war ganz in seine Arbeit vertieft. Da hoerte ich ploetzlich droben die Kellertuer aufreissen; die alte Magd rief, ich weiss nicht mehr weshalb, nach mir, und zugleich drangen auch die klaren Schallwellen der Glocke zu uns herab. Mein Vater horchte auf und setzte die Kiste, die er in den Haenden hatte, auf den Boden. "Die Schandglocke!" stoehnte er und fiel wie kraftlos gegen die Wand. "Es wird mir nichts erspart."--Aber nur einen Augenblick; dann richtete er sich auf, und ehe ich noch Zeit bekam, ein Wort zu reden, hatte er schon den Raum verlassen, und gleich darauf hoerte ich ihn die Kellertreppe hinaufsteigen. Auch ich ging jetzt in das Haus hinauf und fand meinen Vater, nachdem ich ihn vergebens in der Schreibstube gesucht, im Wohnzimmer mit gefalteten Haenden am offnen Fenster stehen. In diesem Augenblick hoerte das Glockenlaeuten auf; im Rathaus drueben, das von der hellen Morgensonne beleuchtet war, wurden die drei Fensterfluegel aufgestossen, und ich sah den Stadtdiener die roten Polster auf die Fensterbaenke legen; an dem Eisengelaender der Ratstreppe hing schon ein ganzer Schwarm von halberwachsenen Buben. Mein Vater stand unbeweglich und sah mit gespannten Augen zu. Ich wollte ihn mit sanften Worten fortziehen. Aber er wehrte mir. "Lass nur, mein Kind", sagte er, "das geht mich an, ich muss das hoeren." So blieb er denn. Der alte Stadtsekretaer mit seinem weissgepuderten Kopf erschien drueben in dem Mittelfenster, und waehrend ihm zur Seite zwei Ratsherren auf den roten Kissen lehnten, verlas er mit seiner scharfen Stimme aus einem Blatt Papier, das er in beiden Haenden vor sich hielt, das Konkursurtel. Bei der klaren Fruehlingsluft drang jedes Wort verstaendlich zu uns herueber. Als mein Vater seinen vollen Namen ueber den Markt hinaussprechen hoerte, sah ich ihn zusammenzucken; aber er hielt dennoch stand, bis alles vorueber war. Dann zog er seine goldene Uhr, die er von seinem Vater ererbt hatte, aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. "Sie gehoert zur Konkursmasse", sagte er, "Schliesse sie in die Schatulle, damit sie morgen mit versiegelt werde." Am andern Tage kamen die Herren zur Versiegelung; aber mein Vater konnte das Bett nicht verlassen; er war in der Nacht vom Schlage getroffen worden. --Als einige Monate spaeter unser Haus verkauft war, wurde er in einem Tragkorb, den wir aus dem Krankenhause geliehen, nach der kleinen Wohnung gebracht, die wir am Ende der Stadt fuer uns gemietet hatten. Dort hat er noch neun Jahre gelebt; ein gelaehmter und gebrochener Mann. In seinen guten Stunden besorgte er kleine Rechnungen und Schreibereien fuer andere; das meiste habe ich mit meiner Haende Arbeit verdienen muessen. Dann aber ist er in fester Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes in meinen Armen sanft verschieden.--Nach seinem Tode kam ich zu guten Leuten; es war das Haus deiner Grosseltern." Meine alte Freundin schwieg. Ich aber dachte an Harre.--"Und hast du denn", fragte ich, "waehrend der ganzen Zeit auch niemals eine Nachricht von deinem Jugendfreunde erhalten?" "Niemals, mein Kind", erwiderte sie. "Weisst du, Hansen", sagte ich, "dein Harre gefaellt mir nicht, er war kein Mann von Wort!" Sie legte die Hand auf meinen Arm. "So darfst du nicht sprechen, Kind. Ich habe ihn gekannt; es gibt noch andere Dinge als den Tod, die des Menschen Willen zwingen.--Aber wir wollen nach meinem Zimmer gehen; du hast deinen Hut noch dort, und es mag bald Mittag werden." So schlossen wir denn den einsamen Festsaal wieder ab und gingen denselben Weg zurueck, den wir gekommen waren. Diesmal oeffnete sich die Tuer des Spoekenkiekers nicht; nur hinter derselben, auf den sandigen Dielen, hoerten wir seinen schlurfenden Schritt. Als wir in Hansens Zimmer waren, wo noch der letzte Strahl der Vormittagssonne in die Fenster schien, zog sie eine Schublade ihrer Schatulle auf und nahm daraus ein Mahagonikaestchen, sauber poliert, aber im Geschmack einer vergangenen Zeit. Es mochte einst ein Geschenk des jungen Tischlers an einem Geburtstage ihrer Jugend gewesen sein. "Das musst du auch noch sehen", sagte Hansen, indem sie das Kaestchen aufschloss. Es lagen Wertpapiere darin, welche saemtlich auf Harre Jensen, "Sohn des verstorbenen Tischlermeisters Harre Christian Jensen dahier", lauteten, deren Datum aber nicht ueber die letzten zehn Jahre hinabreichte. "Wie kommst du zu diesen Papieren?" fragte ich. Sie laechelte. "Ich habe nicht umsonst gedient." "Aber die Papiere lauten nicht auf deinen Namen!" "Es ist die Schuld meines Vaters, die ich zurueckerstatte. Deshalb, und weil mein Nachlass, wie aller, die hier versterben, an das Stift faellt, habe ich das Geld sofort auf Harre Jensens Namen schreiben lassen."--Einen Augenblick noch, ehe sie es wieder einschloss, wog sie das Kaestchen auf der Hand. "Der Schatz ist wieder beisammen", sagte sie, "aber das Glueck, mein Kind, das Glueck, das einst darin gewesen ist. Das ist nicht mehr darin." Als sie diese Worte sprach, schoss draussen ein Schwalbenzug mit lautem Geschrei vorueber, und gleich darauf flatterten zwei dieser Voegel bis nahe an die Scheiben und setzten sich dann zwitschernd auf den offnen Fensterfluegel. Es waren die ersten Schwalben, die ich in diesem Fruehjahr sah. "Hoerst du die kleinen Gratulanten, Hansen?" rief ich, "just zu deinem Geburtstag sind sie heimgekommen!" Hansen nickte nur. Ihre noch immer schoenen blauen Augen blickten traurig auf die kleinen singenden Freunde. Dann legte sie die Haende auf meinen Arm und sagte freundlich: "Geh nun, mein Kind; ich danke allen, dass sie an mich gedacht. Ich moechte nun allein sein." Es war mehrere Jahre spaeter, als ich mich von einer Reise nach dem mittleren Deutschland auf dem Heimwege nach meiner Vaterstadt befand. Auf einer Hauptstation der Eisenbahn--denn die Zeit des Dampfes war damals schon hereingebrochen--stieg ein alter Mann mit weissem Haar zu mir in das Coupe, worin ich mich bisher allein befunden hatte. Er liess sich einen kleinen Reisekoffer nachreichen, den ich ihm unter den Sitz schieben half, und setzte sich dann mit den freundlichen Worten: "Wir haben auch noch nie beisammengesessen", mir gegenueber. Als er dies sagte, erschien um den Mund und um die braunen Augen ein Ausdruck der Guete, ich moechte sagen der Teilnahme, der unwillkuerlich zu traulichem Gespraeche einlud. Die Sauberkeit seiner aeussern Erscheinung, die sich nicht bloss in dem braunen Tuchrock und dem weissen Halstuch auspraegte, das feinbuergerliche Wesen des Mannes, alles heimelte mich an, und es dauerte nicht lange, so hatten wir uns in gegenseitige Mitteilungen ueber unsere Familienverhaeltnisse vertieft. Ich erfuhr, dass er ein Klaviermacher und in einer mittelgrossen Stadt Schwabens ansaessig sei. Dabei fiel mir eines auf; mein Reisegefaehrte sprach den sueddeutschen Dialekt, und doch hatte ich auf seinem Koffer den Namen "Jensen" gelesen, der meines Wissens nur dem noerdlichsten Deutschland angehoerte. Als ich ihm das bemerkte, laechelte er. "Ich mag schon ziemlich eingeschwaebelt sein", sagte er, "denn ich wohne nun seit ueber vierzig Jahren in diesem guten Lande und habe es in dieser Zeit niemals verlassen; meine Heimat aber liegt im Norden, und daher stammt denn auch mein Name." Und nun nannte er meine eigene Vaterstadt als seinen Geburtsort. "So sind wir Landsleute so sehr als moeglich", rief ich, "dort bin auch ich geboren und eben im Begriff, dahin zurueckzukehren." Der alte Herr ergriff meine beiden Haende und sah mich liebevoll an. "Das hat der liebe Gott gut gemacht", sagte er, "so reisen wir, wenn es Ihnen recht ist, zusammen. Auch mein Ziel ist unsere Vaterstadt; ich hoffe auf ein Wiedersehen dort--wenn Gott es zulaesst." Ich nahm mit Freuden diesen Vorschlag an. Nachdem wir den derzeitigen Endpunkt der Eisenbahn erreicht hatten, lagen noch fuenf Meilen Weges vor uns, und bald sassen wir zusammen in den bequemen Kissen eines Federwagens, dessen Bedachung wir bei dem schoenen Herbstwetter zurueckgeschlagen hatten. Die Gegend wurde allmaehlich heimatlicher; die Waelder verschwanden, bald auch die lebendigen Zaeune zur Seite des Weges, ja sogar die Waelle, auf denen sie standen, und die weite baumlose Ebene tat sich vor uns auf. Mein Gefaehrte blickte still vor sich hinaus. "Ich bin dieser Unendlichkeit des Raumes so entwoehnt", sagte er einmal; "mir ist jetzt hier, als saehe ich nach allen Seiten in die Ewigkeit." Dann schwieg er wieder, und ich stoerte ihn nicht. Als wir etwa auf der Mitte des Weges aus einem Dorfe, durch das die Landstrasse fuehrte, wieder ins Freie kamen, bemerkte ich, dass er den Kopf vorbeugte und eifrig auszulugen schien. Dann beschattete er die Augen mit seiner Hand und wurde sichtbar unruhig. "Ich sehe doch sonst noch so gut in die Ferne", sagte er endlich, "aber ich bemuehe mich umsonst, unsern Turm von hier in Sicht zu bekommen, und doch hab ich ihn in meiner Jugend von hier aus immer zuerst begruesst, wenn ich von einer Wanderung heimkehrte." "Sie muessen sich irren", erwiderte ich, "der niedrige Turm kann in solcher Entfernung noch nicht sichtbar sein." "Niedrig!" rief der Alte fast unwillig, "der Turm hat seit Jahrhunderten auf viele Meilen in die See hinaus den Schiffern zum Wahrzeichen gedient!" Da fiel es mir bei. "Sie denken am Ende", sagte ich zoegernd, "noch an den Turm der alten Kirche, die vor reichlich vierzig Jahren abgebrochen wurde." Der Alte sah mich mit seinen grossen Augen an, als ob ich faselte. "Die Kirche abgebrochen--und vor ueber vierzig Jahren! Mein Gott, wie lange bin ich fort gewesen; ich habe niemals etwas davon erfahren!" Er faltete seine Haende und sass eine ganze Weile wie mutlos in sich zusammengesunken. Dann sagte er: "Auf jenem schoenen Turm, der also nur in meinen Gedanken noch vorhanden war, habe ich vor nun bald fuenfzig Jahren der das Wiederkommen versprochen, um deren willen ich jetzt diese weite Reise mache. Ich will Ihnen, wenn Sie hoeren moegen, dies Stueck meines Lebens mitteilen; vielleicht, dass Sie mir dann ueber die Hoffnung, die ich hege, eine Auskunft zu geben vermoegen." Ich versicherte den alten Herrn meiner Teilnahme; und waehrend unser Postillion in der warmen Mittagssonne auf seinem Sitze einnickte und die Raeder langsam durch den Sand mahlten, begann er seine Erzaehlung: "In meiner Jugend haette ich gern den Weg einer gelehrten Bildung eingeschlagen; da aber nach dem fruehzeitigen Tode meiner Eltern die Mittel dazu nicht vorhanden waren, so blieb ich bei dem Handwerk meines Vaters, das heisst, ich wurde Tischler. Schon waehrend ich als Geselle auf der Wanderschaft war, hatte ich nicht uebel Lust, mich draussen anzusiedeln; denn es fehlte mir nicht ganz an Mitteln; aus dem Verkauf des vaeterlichen Hauses war mir ein rundes Suemmchen uebriggeblieben, das fuer den Anfang schon genuegte. Aber ich kehrte doch wieder heim, und das geschah um eines jungen blonden Maedchens willen.--Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder so blaue Augen gesehen habe. Eine Freundin sagte einmal im Scherz zu ihr: "Agnes, ich pflueck dir die Veilchen aus den Augen!" Die Worte hab ich nimmer vergessen koennen."--Der Alte schwieg eine Weile und blickte verklaert vor sich hin, als saehe er noch einmal in diese Veilchenaugen seiner Jugend. Darauf, waehrend ich fast unwillkuerlich den Namen meiner alten Freundin in St. Juergen bei mir selber sprach, begann er wieder: "Sie war die Tochter eines Kraemers, meines Vormundes. Wir wuchsen als Nachbarkinder miteinander auf, waehrend das Maedchen von dem frueh verwitweten Vater ziemlich streng und einsam erzogen wurde. Daher mag es gekommen sein, dass sie sich immer mehr dem einzigen Jugendgespielen anschloss. Bald nach meiner Rueckkehr waren wir unter uns beiden so gut als verlobt, und es war schon ausgemacht, dass ich in unserer Vaterstadt ein Geschaeft begruenden sollte, als ich durch einen unerwarteten Zufall mein ganzes kleines Vermoegen verlor.--Es kam so, dass ich wieder fort musste. Am letzten Tage hatte Agnes mir versprochen, abends noch einmal auf den Weg hinter ihrem Garten hinauszukommen und dort ein letztes Wort mit mir zu reden. Als ich mich aber mit dem bestimmten Glockenschlage einfand, war sie nicht dort. Ich stand lauschend an der Planke unter dem ueberhaengenden Lindengezweig, aber ich wartete vergebens. Das Haus ihres Vaters konnte ich damals nicht betreten; nicht dass ein Zwiespalt zwischen uns gewesen waere, ich glaube im Gegenteil, dass er mir die Hand seiner Tochter ohne grosses Bedenken wuerde gegeben haben; denn er hielt etwas auf mich und war kein hochmuetiger Mann. Es hatte einen andern Grund, den ich nicht gern der Vergessenheit entreissen moechte.--Ich weiss es noch gar wohl. Es war ein dunkler, stuermischer Aprilabend; mehrmals taeuschte mich die Wetterfahne auf dem Dache, dass ich glaubte, die mir wohlbekannte Hoftuer oeffnen zu hoeren, aber es kam kein Schritt den Gartensteig herab. Noch lehnte ich an der Planke und sah die schwarzen Wolken am Himmel vorueberfliegen; endlich ging ich schweren Herzens fort.--Am andern Morgen hatte es eben fuenf vom Turme geschlagen, als ich nach einer schlaflosen Nacht die Treppe von meiner Kammer hinabstieg und von meinen Hauswirten Abschied nahm. In den engen, schlecht gepflasterten Strassen war noch die Dunkelheit und der Schmutz des Winters. Die Stadt schien noch im Schlaf zu liegen; von allen bekannten Gesichtern wollte mir keins begegnen, und so ging ich einsam und truebselig meinen Weg. Da, als ich eben nach dem Kirchhof einbiegen wollte, brach ein scharfer Sonnenstrahl hervor, und das alte Haus der Ratsapotheke, das unten mit seinem Loewenschnitzbild noch in dem Dunst der Gasse stand, war oben mit der Spitze des Treppengiebels auf einmal wie in Fruehlingsschein gebadet. Zugleich, als ich eben aufschaue, schallt ueber mir hoch in der Luft ein langgezogener Ton; dann noch einmal und noch einmal, als riefe es weit in die Welt hinaus. Ich war auf den Kirchhof hinausgetreten und blickte an dem Turm hinauf; da sah ich oben auf der Galerie den Tuermer stehen und sah, wie er sein langes Horn noch in der Hand hielt. Ich wusste es nun wohl; die ersten Schwalben waren gekommen, und der alte Jakob hatte ihnen den Willkommen geblasen und es laut ueber die Stadt gerufen, dass der Fruehling ins Land gekommen sei. Dafuer bekam er seinen Ehrentrunk im Ratsweinkeller und einen blanken Reichstaler vom Herrn Buergermeister.--Ich kannte den Mann und war oft droben bei ihm gewesen; als Knabe, um von dort aus meine Tauben fliegen zu sehen, spaeter auch wohl mit Agnes; denn der Alte hatte ein Enkeltoechterchen bei sich, zu dem sie Pate gestanden und deren sie sich auf allerlei Art anzunehmen pflegte. Einmal, am Christabend, hatte ich ihr sogar ein vollstaendiges Weihnachtsbaeumchen den hohen Turm hinaufschleppen helfen.--Nun stand die wohlbekannte Eichentuer offen; unwillkuerlich trat ich hinein, und in der Finsternis, die mich ploetzlich umgab, stieg ich langsam die Treppen und, wo diese aufhoerten, die schmalen leiterartigen Stiegen hinan. Nichts hoerte ich als das Rasseln der grossen Turmuhr, die hier in der Einsamkeit ihr Wesen trieb. Ich weiss es noch gar wohl, mir grauete dermalen vor diesem toten Dinge, und ich haette, als ich daran vorbeikam, in die eisernen Raeder greifen moegen, nur um es stillzumachen. Da hoerte ich den alten Jakob von oben herabklettern. Er schien mit einem Kinde zu sprechen, das er zur Vorsicht ermahnte. Ich rief ihm einen "Guten Morgen" in die Dunkelheit hinauf und fragte, ob er die kleine Meta bei sich habe. "Bist du's, Harre?" rief der Alte zurueck, "freilich, die muss mit zum Herrn Buergermeister." Endlich kamen die beiden zu mir herab, waehrend ich seitwaerts in eine Schalluke getreten war. Als Jakob mich so reisefertig neben sich sah, rief er verwundert: "Was soll das bedeuten, Harre? Was steigst denn da mit Knuettel und Wachstuchhut in meinen Turm hinauf? Bist doch nicht wieder fremd geworden bei uns daheim?" "Es ist nicht anders, Jakob", erwiderte ich, "'s wird hoffentlich nicht auf lange sein." "Hatt's mir ganz anders mit dir ausgedacht!" brummte der Alte. "Nun, wenn's denn einmal sein muss, die Schwalben sind wieder da; es ist jetzt schon die beste Zeit zum Wandern. Und hab auch Dank, dass du noch mal gekommen bist!" "So lebt wohl, Jakob!" sagte ich. "Und wenn Ihr mich von Eurem Turm herab einmal im hellen Sonnenschein wieder ins Tor hineinwandern seht, so blast auch mir einen Willkommen wie heute Euren Schwalben!" Der Alte schuettelte mir die Hand, indem er sein Enkelchen auf den Arm nahm. "Soll gelten, Meister Harre!" rief er laechelnd; er pflegte mich im Scherze so zu nennen. Als ich mich aber anschickte, wieder mit ihm hinabzusteigen, fuegte er noch hinzu: "Wenn du einen guten Weg von der Agnes haben willst, sie ist oben, schon seit frueh; sie hat noch ihr Gefallen an den Voegelchen." Wohl niemals bin ich so schnell die letzten halsbrechenden Stiegen hinaufgekommen, obgleich mir der Herzschlag fast den Atem versetzte. Als ich aber oben auf die Plattform und in den blendenden Himmelsschein hinaustrat, blieb ich unwillkuerlich stehen und tat einen Blick ueber das Eisengelaender. Da sah ich unter mir in der Tiefe meine Vaterstadt im ersten Schmuck des Fruehlings liegen; ueberall zwischen den Daechern standen die Kirschbaeume in Bluete, welche das warme Fruehjahr so zeitig hervorgetrieben hatte. Dort der Giebel, dem kleinen Turme des Rathauses gegenueber, gehoerte dem Hause meines Vormundes. Ich sah den Garten, den Weg dahinter; mir quoll das Herz, und von Heimweh ueberwaeltigt, mag ich unwillkuerlich einen Laut ausgestossen haben; denn ich fuehlte ploetzlich meine Hand ergriffen, und als ich aufblickte, stand Agnes neben mir. "Harre", sagte sie, "kommst du noch einmal!" Und dabei flog ein glueckliches Laecheln ueber ihr Gesicht. "Ich dachte nicht, dich hier zu finden", erwiderte ich, "nun muss ich fort; weshalb hast mich gestern so vergebens warten lassen?" Da war alles Glueck aus ihrem Antlitz verschwunden. "Ich konnte nicht, Harre; mein Vater wollte mich nicht von sich lassen. Spaeter bin ich in den Garten hinabgelaufen; aber du warst schon fort, du kamst nicht; da bin ich heute frueh auf den Turm gestiegen--ich dachte, ich koennte dich doch zum Tor hinauswandern sehen." Die Zukunft lag verworren vor mir, aber doch hatte ich einen Plan gefasst. Schon frueher war ich in einer Klavierfabrik beschaeftigt gewesen; nun wollte ich wieder diese Arbeit suchen, um dann mit Huelfe des zu erwartenden Verdienstes vielleicht spaeter selbst ein solches Geschaeft zu begruenden; denn diese Instrumente begannen schon damals eine grosse Verbreitung zu finden.--Das alles sagte ich jetzt dem Maedchen, und auch, wohin ich mich zunaechst zu wenden beabsichtigte. Sie hatte sich auf das Gelaender gelehnt und wie abwesend in den leeren Himmelsraum hinausgeblickt. Jetzt wandte sie langsam den Kopf zurueck. "Harre", sagte sie leise, "geh nicht fort, Harre!" Als ich sie aber ohne Antwort anblickte, rief sie wieder: "Nein, hoer nicht auf mich; ich bin ein Kind, ich weiss nicht, was ich rede." Der Morgenwind hatte ein paar der blonden Haare geloest und wehte sie ueber ihr blasses Gesicht, das jetzt geduldig zu mir aufblickte. "Wir muessen warten, Agnes", sagte ich, "das Glueck liegt nun in weiter Ferne; ich will versuchen, ob ich es wieder heimbringen kann. Schreiben werd ich nicht; ich komme selber, wenn es Zeit ist." Sie sah mich eine Weile mit grossen Augen an; dann drueckte sie mir die Hand. "Ich warte", sagte sie mit fester Stimme; "geh denn mit Gott, Harre!" Ich ging noch nicht. Der Turm, der uns beide trug, ragte so einsam in den blauen Aetherraum; nur die Schwalben, auf deren stahlblauen Schwingen der Sonnenschein wie Funken blitzte, schwebten um uns her und badeten in dem Meer von Luft und Licht.--Ich hielt noch immer ihre Hand; mir war, als koenne ich nicht fort von hier, als waeren wir beide, sie und ich, schon jetzt hinausgehoben ueber alle Not der Welt.--Aber die Zeit draengte; unter uns schlug droehnend die Viertelglocke. Da, als noch die Schallwellen den Turm umfluteten, kam eine Schwalbe geflogen, dass sie uns fast mit ihren Fluegeln streifte; furchtlos, nur auf Armeslaenge von uns, setzte sie sich auf den Rand des Gelaenders, und waehrend wir wie gebannt in das kleine glaenzende Auge blickten, schmetterte sie ploetzlich mit geschwellter Kehle ihre Fruehlingslaute in die Luft. Agnes warf sich an meine Brust. "Vergiss das Wiederkommen nicht!" rief sie. Da breitete der Vogel seine Schwingen aus und flog davon.--Wie ich durch den dunkeln Turm zur Erde gekommen bin, das weiss ich nicht. Als ich draussen vor dem Stadttor auf der Landstrasse war, blieb ich stehen und blickte zurueck. Da erkannte ich noch deutlich auf dem von Sonnenglanze umflossenen Turm ihre liebe Gestalt; mir schien, als lehne sie sich weit ueber den Rand des Gelaenders hinaus, so dass ich unwillkuerlich einen Schreckensruf ausstiess. Aber die Gestalt blieb unbeweglich. Und endlich wandte ich mich und ging, ohne noch einmal wieder umzusehen, mit raschen Schritten auf der Landstrasse fort." Der Alte schwieg eine Weile. Dann sagte er: "Sie hat vergebens auf mich gewartet; ich bin niemals wieder heimgekommen.--Ich will Ihnen nun erzaehlen, wie das geschehen konnte. Meine erste Arbeit fand ich in Wien, wo damals die besten Klavierfabriken waren; von da kam ich nach anderthalb Jahren ins Wuerttembergische, nach meinem jetzigen Wohnort. Ein Nebengeselle von mir hatte dort einen Bruder, von dem er um die Besorgung eines zuverlaessigen Gehuelfen gebeten war.--Es war ein noch junges Ehepaar, zu dem ich ins Haus kam. Das Geschaeft war klein, aber der Inhaber ein freundlicher und geschickter Mann, bei dem ich bald mehr in diesen Dingen lernte als in der grossen Fabrik, wo ich immer nur zu einzelnen Arbeiten gelassen wurde. Da ich mich der Sache nach Kraeften annahm und doch auch aus meinen Wiener Erfahrungen manches hinzubrachte, so gewann ich bald das Vertrauen dieser guten Leute. Besondere Freude machte es ihnen, dass ich in meinen Freistunden den aeltesten ihrer beiden Knaben in der deutschen Sprache unterrichtete; denn ihnen gefiel meine damals noch norddeutsche Aussprache, und sie wuenschten, dass die Kinder auch einmal, wie sie meinten, so reines Deutsch sprechen moechten. Bald wurde auch der juengere Bruder in den Unterricht hineingezogen, und nun blieb es nicht bei der trockenen Grammatik; ich wusste mir Buecher zu verschaffen, aus denen ich ihnen allerlei Unterhaltendes und Wissenswertes vorzulegen pflegte. So kam es, dass auch die Kinder mit grosser Liebe an mir hingen. Als ich nach Jahresfrist zum ersten Mal ohne Beihuelfe ein Klavier von besonders schoenem Klang zustande gebracht hatte, gab es eine Freude im ganzen Hause, als habe der liebste Angehoerige sein Meisterstueck gemacht.--Ich aber dachte nun an die Heimkehr. Da erkrankte mein junger Meister. Aus einer Erkaeltung entwickelte sich endlich ein ernstliches Brustuebel, dessen Keim schon lange in ihm gelegen haben mochte. Die Leitung der Geschaefte kam wie selbstverstaendlich fast ganz in meine Haende. Ich konnte jetzt nicht fort. Dabei sah ich tiefer in die Verhaeltnisse der Familie, mit der mich eine immer innigere Freundschaft verband. Eintracht und Fleiss wohnten unter ihrem Dache. Aber es war dennoch ein boeses Ding, der dritte Hausgenosse, das diese guten Geister nicht zu vertreiben vermocht hatten. In jedem Winkel, wohin nicht gerade die Sonne schien, sah der kranke Mann es sitzen.--Dieses Ding war die Sorge.--"Nimm den Kehrbesen und feg es weg", sagte ich oft zu meinem Freunde, "ich will dir helfen, Martin!" Dann drueckte er mir wohl die Hand, und eine wehmuetige Heiterkeit flog fuer einen Augenblick ueber sein blasses Gesicht, bald aber sah er wieder die schwarzen Spinngewebe auf allen Dingen. Leider waren es keine blossen Hirngespinste. Das Kapital, womit er sein Geschaeft begonnen, war von vornherein zu gering gewesen. In den ersten Jahren hatte er durch schlechte Arbeiter Verluste erlitten, die nicht in Rechnung genommen waren, und auch der Absatz der fertigen Ware wollte nicht so rasch erfolgen, wie es solche Umstaende erforderten; nun kam ein aussichtsloser Krankheitszustand noch dazu. Auf mir lag endlich nicht nur die ganze Sorge fuer den Unterhalt der Familie, ich musste auch noch der Troester der Gesunden sein. Die Knaben liessen meine Hand nicht los, wenn wir am Bette des Vaters sassen, das er bald nicht mehr verlassen konnte. Bei diesem aber schien das Erloeschen der Koerperkraft die Unruhe des Geistes nur zu steigern; gruebelnd lag er auf seinem Kissen und baute Plaene fuer die Zukunft. Mitunter, wenn die Schauer des nahenden Todes ihn anwehten, richtete er sich ploetzlich auf und rief: "Ich kann nicht sterben, ich will nicht sterben!" und dann wieder leise mit gefalteten Haenden: "Mein Gott, mein Gott, ich will auch, wenn du willst!" Und endlich kam die Stunde der Erloesung. Wir waren alle an seinem Bette; er dankte mir, er nahm von uns allen Abschied. Dann aber, als saehe er vor sich etwas, vor dem er sie beschuetzen muesse, riss er seine Frau und die beiden Knaben hastig an sich, blickte sie mit trostlosen Augen an und stoehnte laut. Und als ich ihm zuredete: "Wirf deine Sorgen auf den Herrn, Martin!", da rief er verzweifelnd: "Harre, Harre, das sind nicht mehr die Sorgen, das ist die Armut selbst! Bald wird sie ueber meine Leiche wegkriechen; mein Weib, o meine lieben Kinder, sie werden ihr nicht entrinnen!" Es ist ein eigen Ding um ein Sterbebett; ich weiss nicht, ob Sie es kennen, mein junger Freund. Aber in diesem Augenblick versprach ich meinem sterbenden Meister, bei den Seinen auszuhalten, bis das Gespenst, das seine letzte Stunde stoerte, sie nicht mehr wuerde erreichen koennen. Und als ich das versprochen, liess auch der Tod nicht mehr auf sich warten. Leise schritt er zur Tuer herein. Martin streckte die Hand aus; ich meinte, er wolle sie mir noch reichen, aber es war der unsichtbare Bote des Herrn, der sie ergriff; denn ehe ich sie beruehrte, hatte das Leben meines jungen Meisters aufgehoert." Mein Reisegefaehrte nahm seinen Hut ab und legte ihn vor sich auf den Schoss; sein weisses Haar wehte in der lauen Mittagsluft. So sass er schweigend, als weihe er diese Augenblicke dem Andenken des laengst verstorbenen Freundes.--Ich aber musste der Worte gedenken, die meine alte Hansen einst zu mir gesprochen: "Es gibt noch andere Dinge als den Tod, die des Menschen Willen zwingen." Es war dennoch der Tod gewesen, der die Lebenden getrennt hatte. Denn es versteht sich, dass ich ueber die Person dessen, der an meiner Seite sass, nicht mehr in Zweifel sein konnte. Nach einiger Zeit begann der Alte seine Erzaehlung wieder, indem er langsam sein Haupt bedeckte. "Ich habe mein gegebenes Wort gehalten", sagte er, "aber da ich es gab, brach ich ein anderes; denn ich habe nun nicht wieder fort gekonnt. Es zeigte sich bald, dass die Verhaeltnisse noch zerruetteter waren, als ich bisher gewusst. Einige Monate nach dem Tode des Mannes wurde noch ein drittes Kind, ein Maedchen, geboren; unter diesen Umstaenden eine neue Sorge zu den alten. Ich tat das Meinige; aber Jahr auf Jahr verging, und das Glueck wollte immer noch nicht einkehren. Unerachtet ich nicht nur meine ganze Kraft, sondern auch die Ersparnisse der letzten Jahre hingab, gelang es mir noch immer nicht, den Kampf mit jenem Gespenste der Armut siegreich zu beendigen; ich sah es klar, wenn eine auch nur etwas weniger treue und sorgsame Hand an meine Stelle trat, so waren meine Schutzbefohlenen ihm verfallen. Oft freilich mitten in der Arbeit ueberfiel mich das Heimweh und nagte und zehrte an mir; mehr als einmal, wenn der Meissel, ohne dass ich darum gewahr wurde, muessig in meiner Hand lag, bin ich erschreckt vor der Stimme der guten Frau zusammengefahren; denn meine Gedanken waren fort in die Heimat, und eine ganze andere Stimme war in meinen Ohren. In meinen Traeumen sah ich den Turm unserer Vaterstadt; anfaenglich im hellen Sonnenschein, umkreist von einem Heer von Schwalben; spaeter, wenn der Traum mir wiederkam, sah ich ihn schwarz und drohend in den leeren Himmel ragen, der Herbststurm tobte, und ich hoerte die grossen Glocken anschlagen; aber immer, auch dann, lehnte Agnes oben auf dem Gelaender der Plattform; sie trug noch das blaue Kleid, worin sie dort von mir Abschied genommen hatte; nur war es ganz zerrissen, die leichten Fetzen flatterten in der Luft. "Wann kommen die Schwalben wieder?" hoerte ich es rufen. Ich erkannte ihre Stimme, aber sie klang trostlos in dem Wehen des Sturmes.--Wenn ich nach solchen Traeumen erwachte, so hoerte ich wohl im Zwielicht die Schwalben auf der Dachrinne ueber meinem Fenster zwitschern. In den ersten Jahren hatte ich den Kopf aufgestuetzt und mir das Herz vollsingen lassen von Sehnsucht und Heimweh; spaeter konnt ich's nimmer ertragen. Mehr als einmal, wenn das Gezwitscher kein Ende nehmen wollte, habe ich das Fenster aufgerissen und die lieben Voegel fortgejagt. An einem solchen Morgen erklaerte ich einmal, dass ich nun fort muesse, dass es jetzt endlich Zeit sei, auch an mein eignes Leben zu denken. Aber die beiden Knaben brachen in laute Wehklagen aus, und die Mutter setzte, ohne ein Wort zu sagen, ihr Toechterchen auf meinen Schoss, das sogleich die kleinen Arme fest um meinen Hals schlang.--Mein Herz hing an den Kindern, lieber Herr; ich konnte die Kinder nicht verlassen. Ich dachte. "Bleib denn noch ein Jahr." Der Abgrund zwischen mir und meiner Jugend wurde immer tiefer; zuletzt lag alles wie unerreichbar hinter mir, wie Traeume, an die ich nicht mehr denken duerfe.--Ich war schon ueber die Vierzig hinaus, da schloss ich auf den Wunsch der schon herangewachsenen Kinder das Ehebuendnis mit der Frau, deren einzige Stuetze ich so lange gewesen war. Und nun geschah mir etwas Seltsames. Ich war der Frau, wie sie es auch gar wohl verdiente, stets von Herzen gut gewesen; nun aber, seit sie mir unaufloeslich angehoerte, begann in mir ein Widerwille, ja fast ein Hass gegen sie zu wachsen, den ich oft nur mit Muehe zu verbergen wusste. So sind wir Menschen; ich warf in meinem Herzen auf sie die Schuld von allem, was doch nur die Folge meiner eignen Schwaeche war. Da fuehrte Gott zu meinem Heil mich in Versuchung. Es war eines Sonntags in der Hochsommerzeit. Wir machten eine Landpartie nach dem benachbarten Gebirgsdorfe, wo ein Verwandter der Familie wohnte. Die beiden Soehne mit ihrem Schwesterchen waren uns beiden Alten weit voraus; ihr Plaudern und Lachen war in dem Walde, durch den der Weg fuehrte, schon ganz verschollen. Da machte meine Frau mir den Vorschlag, einen ihr bekannten Richtsteig entlang eines Steinbruches einzuschlagen, um so wo moeglich den Jungen auf dem Hauptwege noch zuvorzukommen. "Ich bin als Braut mit Martin hier gegangen", sagte sie, als wir seitwaerts in die Tannen bogen; "etwas weiterhin pflueckten wir damals eine dunkelblaue Blume; ich moechte wissen, ob sie noch dort zu finden ist." Nach kurzer Zeit hoerte an unserer einen Seite der Wald auf, und der Fussweg lief nun dicht an dem Rande des abschuessigen Gesteins hin, waehrend von der andern Seite sich Brombeerranken und anderes Gebuesch dicht herandraengte. --Meine Frau schritt ruestig vor mir auf. Ich folgte langsam und war bald in meine alten Traeumereien versunken. Wie die verlorne Seligkeit lag die Heimat vor meinen Sinnen, und gruebelnd, aber vergebens suchte ich nach einem Weg dahin. Nur wie durch einen Schleier sah ich, dass es nach dem Bruche zu ganz blau von Genzianen wurde und dass meine Frau sich ein Mal um das andere nach diesen Blumen bueckte. Was kuemmerte mich das alles!--Da hoer ich ploetzlich einen Schrei und sehe, wie sie mit den Haenden in die Luft greift; ich sehe auch schon, wie unter ihren Fuessen das Geroell sich loest und zwischen den Klippen fortpoltert, und zehn Schritt weiter abwaerts steht der Fels lotrecht ueber dem Abgrund. Ich stand wie gelaehmt. Es brauste mir in den Ohren: "Bleib; lass sie stuerzen; du bist frei!" Aber Gott half mir. Nur einen Sekundenschlag, da war ich bei ihr; und mich ueber den Rand des Felsens werfend, ergriff ich ihre Hand und hatte sie gluecklich zu mir heraufgezogen. "Harre, mein guter Harre", rief sie weinend, "schon wieder hat deine Hand mich vom Abgrund gerettet!" Wie gluehende Tropfen fielen diese Worte in meine Seele. In all den Jahren war kein Wort der Vergangenheit ueber meine Lippen gekommen; zuerst aus jugendlicher Scheu, das Heiligste hinauszugeben, spaeter wohl in dem unbewussten Beduerfnis, den innern Zwiespalt zu verhehlen. Jetzt ploetzlich draengte es mich, alles ohne Ruecksicht zu offenbaren. Und am Rande des Abgrundes sitzend, schuettete ich mein Herz aus vor der Frau, die ich kurz zuvor darin begraben gewuenscht hatte. Auch das verschwieg ich ihr nicht. Sie brach in heftige Traenen aus; sie weinte ueber mich, ueber sich selbst, am lautesten klagte sie ueber Agnes. "Harre, Harre", rief sie, aber sie legte ihren Kopf an meine Brust; "das habe ich nicht gewusst, aber es ist nun zu spaet, und niemand kann diese Suende von uns nehmen!" Es war nun an mir, sie zu beruhigen; und erst mehrere Stunden spaeter trafen wir in dem Dorfe ein, wo unsere Kinder uns schon laengst erwartet hatten. Aber seit jener Zeit war meine Frau mit ihrem milden und gerechten Herzen meine beste Freundin und kein Geheimnis mehr zwischen uns. --So gingen die Jahre hin. Allmaehlich schien sie es vergessen zu haben, dass ich ihre und der Kinder Wohlfahrt mit einem fremden Glueck bezahlt hatte, und auch in mir wurde es stiller. Nur wenn im Fruehling die Schwalben wiederkamen, oder auch spaeter im Jahr, wenn sie in der Daemmerung noch so allein von allen Voegeln ins Abendrot hineinsangen, dann ueberfiel's mich mit der alten Pein, und ich hoerte noch immer die liebe junge Stimme, noch immer klang es mir in den Ohren: "Vergiss das Wiederkommen nicht!" So war's auch heuer eines Abends. Ich sass vor unserer Haustuer auf der Bank und blickte in den vergehenden Tagesschein, der durch eine Luecke der Strasse ueber den jenseitigen Rebhuegeln sichtbar war. Ein Toechterchen unseres juengsten Sohnes war mir auf den Schoss geklettert und hatte es sich spielmuede in Grossvaters Arm bequem gemacht. Bald fielen die kleinen Augen zu, und auch das Abendrot verschwand, aber drueben auf des Nachbars Dach sass noch im Dunkeln eine Schwalbe und zwitscherte leise wie von vergangener Zeit. Da trat meine Frau aus dem Hause. Sie stand eine Weile schweigend neben mir, und als ich nicht aufblickte, fragte sie mich sanft: "Alter, was ist dir?", und da ich nicht antwortete und nur der Vogelgesang aus der Daemmerung heruebertoente: "Ist's denn wieder einmal die Schwalbe?" "Du weisst's ja, Mutter", sagte ich, "du hast ja allezeit mit mir Geduld gehabt." Aber ich kannte sie noch nicht ganz; sie hatte mehr als das fuer mich getan. Sie legte beide Haende auf meine Schultern. "Was meinst?" rief sie, indem sie mich mit ihren alten guten Augen anblickte. "Wir koennen's jetzt ja leisten, du musst die Agnes wiedersehen, du haettest ja sonst keine Ruh im Grab bei mir!" Ich war fast erschreckt durch diesen Vorschlag und wollte Einwendungen machen, sie aber sagte: "Stell's Gott anheim!"--Das hab ich denn getan; und so ist es gekommen, dass ich noch einmal heimkehre; aber wenn wir durchs Tor fahren, der alte Jakob wird wohl nicht mehr blasen." Mein Reisegefaehrte schwieg. Ich aber hielt nun nicht laenger zurueck, denn ich war im Innersten bewegt. "Ich kenne Sie", sagte ich, "ich kenne Sie sehr wohl, Harre Jensen; auch Agnes kenne ich; sie hat viele Jahre im Hause meiner Grossmutter gelebt, sie ist mir selbst wie meiner Mutter Mutter. Aus ihrem eignen Munde habe ich alles erfahren, auch das, was Sie verschwiegen haben." Der Alte faltete die Haende. "Grosser, gnaediger Gott!" sagte er, "so lebt sie noch und kann mir noch vergeben!" Mir ahnte wenig, dass ich eine Hoffnung angeregt hatte, deren Erfuellung schon im Reiche der Schatten lag. Ich erwiderte nur: "Sie kannte ihren Jugendfreund; sie hat ihn niemals angeklagt."--Und nun erzaehlte ich. Er hoerte in atemlosem Schweigen und nahm begierig jedes Wort von meinen Lippen. Da klatschte der Postillion mit seiner Peitsche. Der stumpfe Turm unserer Vaterstadt war am Horizonte aufgetaucht. Als ich mit dem Finger dahin wies, fasste der Alte meine Hand. "Mein junger Freund", sagte er, "ich zittre vor der naechsten Stunde." Nicht lange, so rasselte unser Wagen ueber das Steinpflaster der Stadt. Bei dem schoenen Herbstwetter waren viele Leute auf den Strassen, und da ich lange fort gewesen, so erhielt ich als allbekanntes Stadtkind fortwaehrend lebhafte Gruesse von den Voruebergehenden. Den fremden Greis an meiner Seite streifte hoechstens ein Blick der Verwunderung oder wohl auch der Neugierde. Endlich hielten wir am Gasthofe, und hier dachte ich fuer heute von meinem Freunde Abschied zu nehmen, denn er wuenschte, seinen ersten Gang nach St. Juergen allein zu machen. Ein paar Minuten spaeter war ich zu Hause, umringt von Eltern und Geschwistern. "Alles wohl?" war meine erste Frage. "Du siehst es, hier ist alles gesund", erwiderte meine Mutter, "sonst aber--eine findest du nicht mehr." "Hansen!" rief ich; denn an wen anders haette ich denken sollen. Meine Mutter nickte. "Aber was erschreckt dich so, mein Kind? Ihre Jahre waren daher; heut in der Fruehe ist sie in meinen Armen sanft entschlafen." Ich erzaehlte, wen ich mitgebracht, in fliegenden Worten, und waehrend alle noch tief erschuettert standen, verliess ich ohne meine Kleider zu wechseln, das Haus; jetzt durfte ich den alten Mann nicht allein lassen. Ich ging zuerst nach dem Gasthofe und, nachdem ich dort erfahren, dass er fort sei, gradeswegs die Strasse hinauf nach St. Juergen. Als ich dort anlangte, sah ich den Spoekenkieker, den der Tod zu verschmaehen schien, mitten auf der Strasse vor dem Stiftshause stehen. Die Haende auf dem Ruecken, wiegte er sich behaglich in den Knien, waehrend er unter dem breiten Schirme seiner Muetze nach dem einen Giebel hinaufstierte. Als ich mit den Augen der Richtung folgte, sah ich dort auf den obersten Treppen, ja sogar auf der Glocke, die oben in der durchbrochenen Mauer hing, eine grosse Menge Schwalben eine neben der andern sitzen, waehrend einzelne um sie her schwaermten, sich hoch in die Luft erhoben und dann wieder schreiend und zwitschernd zu ihnen zurueckkehrten. Einige von diesen schienen neue Gefaehrten mitzubringen, die dann neben den andern auf den Mauerzinnen Platz zu finden suchten. Es hielt mich unwillkuerlich fest. Ich sah es wohl, sie ruesteten sich zur Reise; die Sonne der Heimat war ihnen nicht mehr warm genug.--Der alte Mensch neben mir riss die Muetze vom Kopf und schwenkte sie hin und her. "Husch!" lallte er, "fort mit euch, ihr Sakermenters!"--Aber noch eine Weile dauerte das Schauspiel dort oben auf dem Giebel. Da ploetzlich, wie emporgeweht, erhoben sich saemtliche Schwalben fast senkrecht in die Luft, und in demselben Augenblick waren sie auch schon spurlos in dem blauen Himmelsraum verschwunden. Der Spoekenkieker stand noch und murmelte unverstaendliche Worte, waehrend ich durch den dunkeln Torweg in den Hof des Stiftes ging.--Der eine Fensterfluegel von Hansens Stube stand wie einstens offen; auch das Schwalbennest war noch da. Zoegernd stieg ich die Treppe hinan und oeffnete die Stubentuer. Da lag meine alte Hansen friedlich und still; das Leintuch, womit man sie bedeckt hatte, war zur Haelfte zurueckgeschlagen. Auf der Kante des Bettes sass mein Reisegefaehrte, aber seine Augen waren ueber den Leichnam weg auf die nackte Wand gerichtet. Ich sah es wohl, dieser starre Blick ging ueber eine leere ungeheure Kluft; denn am jenseitigen Ufer stand das unerreichbare Luftbild seiner Jugend, das jetzt mit reissender Schnelle in Dunst zerfloss. Ich hatte mich, anscheinend ohne von ihm bemerkt zu werden, in den Lehnstuhl an das offene Fenster gesetzt und betrachtete das leere Schwalbennest, aus dem noch die Halme und Federn hervorsahen, die einst der nun fluegge gewordenen Brut zum Schutze gedient hatten. Als ich wieder ins Zimmer blickte, war der Kopf des alten Mannes dicht ueber dem der Leiche. Er schien wie sinnverwirrt dies eingefallene Greisenantlitz zu betrachten, das mit dem drohenden Ernst des Todes vor ihm lag. "Koennte ich nur einmal noch die Augen sehen!" murmelte er. "Aber Gott hat sie zugedeckt." Dann, als muesse er es sich beweisen, dass sie es dennoch selber sei, nahm er eine Straehne des grauen glaenzenden Haares, das zu beiden Seiten vom Haupte auf das Leintuch herabfloss, und liess es liebkosend durch seine Haende gleiten. "Wir sind zu spaet gekommen, Harre Jensen", rief ich schmerzlich. Er blickte auf und nickte. "Um fuenfzig Jahre", sagte er, "das Leben ist auch so vergangen." Dann, waehrend er langsam aufstand, schlug er das Laken zurueck und deckte es ueber das stille Antlitz der Toten. Ein Windstoss fuhr gegen das Fenster. Mir war, als hoere ich von draussen, fern aus der hoechsten Luftstroemung, darin die Schwalben ziehen, die letzten Worte ihres alten Liedes: Als ich wiederkam, als ich wiederkam, War alles leer. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes In St. Juergen, von Theodor Storm. End of the Project Gutenberg EBook of In St. Juergen, by Theodor Storm *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IN ST. JUERGEN *** This file should be named 7stjr10.txt or 7stjr10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7stjr11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7stjr10a.txt Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau; Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to do so. Most people start at our Web sites at: http://gutenberg.net or http://promo.net/pg These Web sites include award-winning information about Project Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). 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