The Project Gutenberg EBook of Der Nachsommer, by Adalbert Stifter #2 in our series by Adalbert Stifter Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Der Nachsommer Eine Erzaehlung von Adalbert Stifter Inhalt: Die Haeuslichkeit Der Wanderer Die Einkehr Die Beherbergung Der Abschied Der Besuch Die Begegnung Die Erweiterung Die Annaeherung Der Einblick Das Fest Der Bund Die Entfaltung Das Vertrauen Die Mitteilung Der Rueckblick Der Abschluss Die Haeuslichkeit Mein Vater war ein Kaufmann. Er bewohnte einen Teil des ersten Stockwerkes eines maessig grossen Hauses in der Stadt, in welchem er zur Miete war. In demselben Hause hatte er auch das Verkaufsgewoelbe, die Schreibstube nebst den Warenbehaeltern und anderen Dingen, die er zu dem Betriebe seines Geschaeftes bedurfte. In dem ersten Stockwerke wohnte ausser uns nur noch eine Familie, die aus zwei alten Leuten bestand, einem Manne und seiner Frau, welche alle Jahre ein oder zwei Male bei uns speisten, und zu denen wir und die zu uns kamen, wenn ein Fest oder ein Tag einfiel, an dem man sich Besuche zu machen oder Glueck zu wuenschen pflegte. Mein Vater hatte zwei Kinder, mich, den erstgeborenen Sohn, und eine Tochter, welche zwei Jahre juenger war als ich. Wir hatten in der Wohnung jedes ein Zimmerchen, in welchem wir uns unseren Geschaeften, die uns schon in der Kindheit regelmaessig aufgelegt wurden, widmen mussten, und in welchem wir schliefen. Die Mutter sah da nach und erlaubte uns zuweilen, dass wir in ihrem Wohnzimmer sein und uns mit Spielen ergoetzen durften. Der Vater war die meiste Zeit in dem Verkaufsgewoelbe und in der Schreibstube. Um zwoelf Uhr kam er herauf, und es wurde in dem Speisezimmer gespeiset. Die Diener des Vaters speisten an unserem Tische mit Vater und Mutter, die zwei Maegde und der Magazinsknecht hatten in dem Gesindezimmer einen Tisch fuer sich. Wir Kinder bekamen einfache Speisen, der Vater und die Mutter hatten zuweilen einen Braten und jedesmal ein Glas guten Weines. Die Handelsdiener bekamen auch von dem Braten und ein Glas desselben Weines. Anfangs hatte der Vater nur einen Buchfuehrer und zwei Diener, spaeter hatte er viere. In der Wohnung war ein Zimmer, welches ziemlich gross war. In demselben standen breite, flache Kaesten von feinem Glanze und eingelegter Arbeit. Sie hatten vorne Glastafeln, hinter den Glastafeln gruenen Seidenstoff, und waren mit Buechern angefuellt. Der Vater hatte darum die gruenen Seidenvorhaenge, weil er es nicht leiden konnte, dass die Aufschriften der Buecher, die gewoehnlich mit goldenen Buchstaben auf dem Ruecken derselben standen, hinter dem Glase von allen Leuten gelesen werden konnten, gleichsam als wolle er mit den Buechern prahlen, die er habe. Vor diesen Kaesten stand er gerne und oefter, wenn er sich nach Tische oder zu einer andern Zeit einen Augenblick abkargen konnte, machte die Fluegel eines Kastens auf, sah die Buecher an, nahm eines oder das andere heraus, blickte hinein, und stellte es wieder an seinen Platz. An Abenden, von denen er selten einen ausser Hause zubrachte, ausser wenn er in Stadtgeschaeften abwesend war oder mit der Mutter ein Schauspiel besuchte, was er zuweilen und gerne tat, sass er haeufig eine Stunde, oefter aber auch zwei oder gar darueber, an einem kunstreich geschnitzten alten Tische, der im Buecherzimmer auf einem ebenfalls altertuemlichen Teppiche stand, und las. Da durfte man ihn nicht stoeren, und niemand durfte durch das Buecherzimmer gehen. Dann kam er heraus und sagte, jetzt koenne man zum Abendessen gehen, bei dem die Handelsdiener nicht zugegen waren, und das nur in der Mutter und in unserer Gegenwart eingenommen wurde. Bei diesem Abendessen sprach er sehr gerne zu uns Kindern und erzaehlte uns allerlei Dinge, mitunter auch scherzhafte Geschichten und Maerchen. Das Buch, in dem er gelesen hatte, stellte er genau immer wieder in den Schrein, aus dem er es genommen hatte, und wenn man gleich nach seinem Heraustritte in das Buecherzimmer ging, konnte man nicht im geringsten wahrnehmen, dass eben jemand hier gewesen sei und gelesen habe. Ueberhaupt durfte bei dem Vater kein Zimmer die Spuren des unmittelbaren Gebrauches zeigen, sondern musste immer aufgeraeumt sein, als waere es ein Prunkzimmer. Es sollte dafuer aber aussprechen, zu was es besonders bestimmt sei. Die gemischten Zimmer, wie er sich ausdrueckte, die mehreres zugleich sein koennen, Schlafzimmer, Spielzimmer und dergleichen, konnte er nicht leiden. Jedes Ding und jeder Mensch, pflegte er zu sagen, koenne nur eines sein, dieses aber muss er ganz sein. Dieser Zug strenger Genauigkeit praegte sich uns ein und liess uns auf die Befehle der Eltern achten, wenn wir sie auch nicht verstanden. So zum Beispiele durften nicht einmal wir Kinder das Schlafzimmer der Eltern betreten. Eine alte Magd war mit Ordnung und Aufraeumung desselben betraut. In den Zimmern hingen hie und da Bilder, und es standen in manchen Geraete, die aus alten Zeiten stammten und an denen wunderliche Gestalten ausgeschnitten waren, oder in welchen sich aus verschiedenen Hoelzern eingelegte Laubwerke und Kreise und Linien befanden. Der Vater hatte auch einen Kasten, in welchem Muenzen waren, von denen er uns zuweilen einige zeigte. Da befanden sich vorzueglich schoene Taler, auf welchen geharnischte Maenner standen oder die Angesichter mit unendlich vielen Locken zeigten, dann waren einige aus sehr alten Zeiten mit wunderschoenen Koepfen von Juenglingen oder Frauen, und eine mit einem Manne, der Fluegel an den Fuessen hatte. Er besass auch Steine, in welche Dinge geschnitten waren. Er hielt diese Steine sehr hoch und sagte, sie stammen aus dem kunstgeuebtesten Volke alter Zeiten, nehmlich aus dem alten Griechenlande her. Manchmal zeigte er sie Freunden; diese standen lange an dem Kaestchen derselben, hielten den einen oder den andern in ihren Haenden und sprachen darueber. Zuweilen kamen Menschen zu uns, aber nicht oft. Manches Mal wurden Kinder zu uns eingeladen, mit denen wir spielen durften, und oefter gingen wir auch mit den Eltern zu Leuten, welche Kinder hatten, und uns Spiele veranstalteten. Den Unterricht erhielten wir in dem Hause von Lehrern, und dieser Unterricht und die sogenannten Arbeitsstunden, in denen von uns Kindern das verrichtet werden musste, was uns als Geschaeft aufgetragen war, bildeten den regelmaessigen Verlauf der Zeit, von welchem nicht abgewichen werden durfte. Die Mutter war eine freundliche Frau, die uns Kinder ungemein liebte, und die weit eher ein Abweichen von dem angegebenen Zeitenlaufe zugunsten einer Lust gestattet haette, wenn sie nicht von der Furcht vor dem Vater davon abgehalten worden waere. Sie ging in dem Hause emsig herum, besorgte alles, ordnete alles, liess aus der obgenannten Furcht keine Ausnahme zu und war uns ein ebenso ehrwuerdiges Bildnis des Guten wie der Vater, von welchem Bildnisse gar nichts abgeaendert werden konnte. Zu Hause hatte sie gewoehnlich sehr einfache Kleider an. Nur zuweilen, wenn sie mit dem Vater irgend wohin gehen musste, tat sie ihre stattlichen seidenen Kleider an und nahm ihren Schmuck, dass wir meinten, sie sei wie eine Fee, welche in unsern Bilderbuechern abgebildet war. Dabei fiel uns auf, dass sie immer ganz einfache, obwohl sehr glaenzende Steine hatte, und dass ihr der Vater nie die geschnittenen umhing, von denen er doch sagte, dass sie so schoene Gestalten in sich haetten. Da wir Kinder noch sehr jung waren, brachte die Mutter den Sommer immer mit uns auf dem Lande zu. Der Vater konnte uns nicht Gesellschaft leisten, weil ihn seine Geschaefte in der Stadt festhielten; aber an jedem Sonntage und an jedem Festtage kam er, blieb den ganzen Tag bei uns und liess sich von uns beherbergen. Im Laufe der Woche besuchten wir ihn einmal, bisweilen auch zweimal in der Stadt, in welchem Falle er uns dann bewirtete und beherbergte. Dies hoerte endlich auf, anfaenglich weil der Vater aelter wurde und die Mutter, die er sehr verehrte, nicht mehr leicht entbehren konnte; spaeter aber aus dem Grunde, weil es ihm gelungen war, in der Vorstadt ein Haus mit einem Garten zu erwerben, wo wir freie Luft geniessen, uns bewegen und gleichsam das ganze Jahr hindurch auf dem Lande wohnen konnten. Die Erwerbung des Vorstadthauses war eine grosse Freude. Es wurde nun von dem alten, finstern Stadthause in das freundliche und geraeumige der Vorstadt gezogen. Der Vater hatte es vorher im allgemeinen zusammen richten lassen, und selbst, da wir schon darin wohnten, waren noch immer in verschiedenen Raeumen desselben Handwerksleute beschaeftigt. Das Haus war nur fuer unsere Familie bestimmt. Es wohnten nur noch unsere Handlungsdiener in demselben und gleichsam als Pfoertner und Gaertner ein aeltlicher Mann mit seiner Frau und seiner Tochter. In diesem Hause richtete sich der Vater ein viel groesseres Zimmer zum Buecherzimmer ein, als er in der Stadtwohnung gehabt hatte, auch bestimmte er ein eigenes Zimmer zum Bilderzimmer; denn in der Stadt mussten die Bilder wegen Mangels an Raum in verschiedenen Zimmern zerstreut sein. Die Waende dieses neuen Bilderzimmers wurden mit dunkelrotbraunen Tapeten ueberzogen, von denen sich die Goldrahmen sehr schoen abhoben. Der Fussboden war mit einem mattfarbigen Teppiche belegt, damit er die Farben der Bilder nicht beirre. Der Vater hatte sich eine Staffelei aus braunem Holze machen lassen, und diese stand in dem Zimmer, damit man bald das eine, bald das andere Bild darauf stellen und es genau in dem rechten Lichte betrachten konnte. Fuer die alten geschnitzten und eingelegten Geraete wurde auch ein eigenes Zimmer hergerichtet. Der Vater hatte einmal aus dem Gebirge eine Zimmerdecke mitgebracht, welche aus Lindenholz und aus dem Holze der Zirbelkiefer geschnitzt war. Diese Decke liess er zusammen legen und liess sie mit einigen Zutaten versehen, die man nicht merkte, so dass sie als Decke in dieses Zimmer passte. Das freute uns Kinder sehr, und wir sassen nun doppelt gerne in dem alten Zimmer, wenn uns an Abenden der Vater und die Mutter dahin fuehrten, und arbeiteten dort etwas, und liessen uns von den Zeiten erzaehlen, in denen solche Sachen gemacht worden sind. Am Ende eines hoelzernen Ganges, der in dem ersten Geschosse des Hauses gegen den Garten hinaus lief, liess er ein glaesernes Stuebchen machen, das heisst, ein Stuebchen, dessen zwei Waende, die gegen den Garten schauten, aus lauter Glastafeln bestanden; denn die Hinterwaende waren Holz. In dieses Stuebchen tat er alte Waffen aus verschiedenen Zeiten und mit verschiedenen Gestalten. Er liess an den Staeben, in die das Glas gefuegt war, viel Efeu aus dem Garten herauswachsen, auch im Innern liess er Efeu an dem Gerippe ranken, dass derselbe um die alten Waffen rauschte, wenn einzelne Glastafeln geoeffnet wurden, und der Wind durch dieselben herein zog. Eine grosse hoelzerne Keule, welche in dem Stuebchen war und welche mit graeulichen Naegeln prangte, nannte er Morgenstern, was uns Kindern gar nicht einleuchten wollte, da der Morgenstern viel schoener war. Noch war ein Zimmerchen, das er mit kunstreich abgenaehten rotseidenen Stoffen, die er gekauft hatte, ueberziehen liess. Sonst aber wusste man noch nicht, was in das Zimmer kommen wuerde. In dem Garten war Zwergobst, es waren Gemuese- und Blumenbeete, und an dem Ende desselben, von dem man auf die Berge sehen konnte, welche die Stadt in einer Entfernung von einer halben Meile in einem grossen Bogen umgeben, befanden sich hohe Baeume und Grasplaetze. Das alte Gewaechshaus hatte der Vater teils ausbessern, teils durch einen Zubau vergroessern lassen. Sonst hatte das Haus auch noch einen grossen Hof, der gegen den Garten zu offen war, in dem wir, wenn das Gartengras nass war, spielen durften, und gegen welchen die Fenster der Kueche, in der die Mutter sich viel befand, und der Vorratskammern herab sahen. Der Vater ging taeglich morgens in die Stadt in sein Verkaufsgewoelbe und in seine Schreibstube. Die Handelsdiener mussten der Ordnung halber mit ihm gehen. Um zwoelf Uhr kam er zum Speisen so wie auch jene Diener, welche nicht eben die Reihe traf, waehrend der Speisestunde in dem Verkaufsgewoelbe zu wachen. Nachmittag ging er groesstenteils auch wieder in die Stadt. Die Sonntage und die Festtage brachte er mit uns zu. Von der Stadt wurden nun viel oefter Leute mit ihren Kindern zu uns geladen, da wir mehr Raum hatten, und wir durften im Hofe oder in dem Garten uns ergoetzen. Die Lehrer kamen zu uns jetzt in die Vorstadt, wie sie sonst in der Stadt zu uns gekommen waren. Der Vater, welcher durch das viele Sitzen an dem Schreibtische sich eine Krankheit zuzuziehen drohte, goennte sich nur auf das Andringen der Mutter taeglich eine freie Zeit, welche er dazu verwendete, Bewegung zu machen. In dieser Zeit ging er zuweilen in eine Gemaeldegalerie oder zu einem Freunde, bei welchem er ein Bild sehen konnte, oder er liess sich bei einem Fremden einfuehren, bei dem Merkwuerdigkeiten zu treffen waren. An schoenen Sommerfesttagen fuhren wir auch zuweilen ins Freie und brachten den Tag in einem Dorfe oder auf einem Berge zu. Die Mutter, welche ueber die Erwerbung des Vorstadthauses ausserordentlich erfreut war, widmete sich mit gesteigerter Taetigkeit dem Hauswesen. Alle Samstage prangte das Linnen "weiss wie Kirschenbluete" auf dem Aufhaengeplatze im Garten, und Zimmer fuer Zimmer musste unter ihrer Aufsicht gereinigt werden, ausser denen, in welchen die Kostbarkeiten des Vaters waren, deren Abstaeubung und Reinigung immer unter seinen Augen vor sich gehen musste. Das Obst, die Blumen und die Gemuese des Gartens besorgte sie mit dem Vater gemeinschaftlich. Sie bekam einen Ruf in der Umgebung, dass Nachbarinnen kamen und von ihr Dienstboten verlangten, die in unserem Hause gelernt haetten. Als wir nach und nach heran wuchsen, wurden wir immer mehr in den Umgang der Eltern gezogen; der Vater zeigte uns seine Bilder und erklaerte uns manches in denselben. Er sagte, dass er nur alte habe, die einen gewissen Wert besitzen, den man immer haben koenne, wenn man einmal genoetigt sein sollte, die Bilder zu verkaufen. Er zeigte uns, wenn wir spazieren gingen, die Wirkungen von Licht und Schatten, er nannte uns die Farben, welche sich an den Gegenstaenden befanden, und erklaerte uns die Linien, welche Bewegung verursachten, in welcher Bewegung doch wieder eine Ruhe herrsche, und Ruhe in Bewegung sei die Bedingung eines jeden Kunstwerkes. Er sprach mit uns auch von seinen Buechern. Er erzaehlte uns, dass manche da seien, in welchen das enthalten waere, was sich mit dem menschlichen Geschlechte seit seinem Beginne bis auf unsere Zeiten zugetragen habe, dass da die Geschichten von Maennern und Frauen erzaehlt werden, die einmal sehr beruehmt gewesen seien und vor langer Zeit, oft vor mehr als tausend Jahren gelebt haben. Er sagte, dass in anderen das enthalten sei, was die Menschen in vielen Jahren von der Welt und anderen Dingen, von ihrer Einrichtung und Beschaffenheit in Erfahrung gebracht haetten. In manchen sei zwar nicht enthalten, was geschehen sei, oder wie sich manches befinde, sondern was die Menschen sich gedacht haben, was sich haette zutragen koennen, oder was sie fuer Meinungen ueber irdische und ueberirdische Dinge hegen. In dieser Zeit starb ein Grossoheim von der Seite der Mutter. Die Mutter erbte den Schmuck seiner vor ihm gestorbenen Frau, wir Kinder aber sein uebriges Vermoegen. Der Vater legte es als unser natuerlicher Vormund unter muendelgemaesser Sicherheit an und tat alle Jahre die Zinsen dazu. Endlich waren wir so weit herangewachsen, dass der gewoehnliche Unterricht, den wir bisher genossen hatten, nach und nach aufhoeren musste. Zuerst traten diejenigen Lehrer ab, die uns in den Anfangsgruenden der Kenntnisse unterwiesen hatten, die man heutzutage fuer alle Menschen fuer notwendig haelt, dann verminderten sich auch die, welche uns in den Gegenstaenden Unterricht gegeben hatten, die man Kindern beibringen laesst, welche zu den gebildeteren oder ausgezeichneteren Staenden gehoeren sollen. Die Schwester musste nebst einigen Faechern, in denen sie sich noch weiter ausbilden sollte, nach und nach in die Haeuslichkeit eingefuehrt werden und die wichtigsten Dinge derselben erlernen, dass sie einmal wuerdig in die Fussstapfen der Mutter treten koennte. Ich trieb noch, nachdem ich die Faecher erlernt hatte, die man in unseren Schulen als Vorkenntnisse und Vorbereitungen zu den sogenannten Brotkenntnissen betrachtet, einzelne Zweige fort, die schwieriger waren und in denen eine Nachhilfe nicht entbehrt werden konnte. Endlich trat in Bezug auf mich die Frage heran, was denn in der Zukunft mit mir zu geschehen habe, und da tat der Vater etwas, was ihm von vielen Leuten sehr uebel genommen wurde. Er bestimmte mich nehmlich zu einem Wissenschafter im Allgemeinen. Ich hatte bisher sehr fleissig gelernt und jeden neuen Gegenstand, der von den Lehrern vorgenommen wurde, mit grossem Eifer ergriffen, so dass, wenn die Frage war, wie ich in einem Unterrichtszweige genuegt habe, das Urteil der Lehrer immer auf grosses Lob lautete. Ich hatte den angedeuteten Lebensberuf von dem Vater selber verlangt und er dem Verlangten zugestimmt. Ich hatte ihn verlangt, weil mich ein gewisser Drang meines Herzens dazu trieb. Das sah ich wohl trotz meiner Jugend schon ein, dass ich nicht alle Wissenschaften wuerde erlernen koennen; aber was und wie viel ich lernen wuerde, das war mir eben so unbestimmt, als mein Gefuehl unbestimmt war, welches mich zu diesen Dingen trieb. Mir schwebte auch nicht ein besonderer Nutzen vor, den ich durch mein Bestreben erreichen wollte, sondern es war mir nur, als muesste ich so tun, als liege etwas innerlich Gueltiges und Wichtiges in der Zukunft. Was ich aber im Einzelnen beginnen und an welchem Ende ich die Sache anfassen sollte, das wusste weder ich, noch wussten es die Meinigen. Ich hatte nicht die geringste Vorliebe fuer das eine oder das andere Fach, sondern es schienen alle anstrebenswert, und ich hatte keinen Anhaltspunkt, aus dem ich haette schliessen koennen, dass ich zu irgend einem Gegenstande eine hervorragende Faehigkeit besaesse, sondern es erschienen mir alle nicht unueberwindlich. Auch meine Angehoerigen konnten kein Merkmal finden, aus dem sie einen ausschliesslichen Beruf fuer eine Sache in mir haetten wahrnehmen koennen. Nicht die Ungeheuerlichkeit, welche in diesem Beginnen lag, war es, was die Leute meinem Vater uebelnahmen, sondern sie sagten, er haette mir einen Stand, der der buergerlichen Gesellschaft nuetzlich ist, befehlen sollen, damit ich demselben meine Zeit und mein Leben widme, und einmal mit dem Bewusstsein scheiden koenne, meine Schuldigkeit getan zu haben. Gegen diesen Einwurf sagte mein Vater, der Mensch sei nicht zuerst der menschlichen Gesellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen. Und wenn jeder seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es auch fuer die menschliche Gesellschaft. Wen Gott zum besten Maler auf dieser Welt geschaffen haette, der wuerde der Menschheit einen schlechten Dienst tun, wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn er der groesste Maler wird, so tut er auch der Welt den groessten Dienst, wozu ihn Gott erschaffen hat. Dies zeige sich immer durch einen innern Drang an, der einen zu einem Dinge fuehrt, und dem man folgen soll. Wie koennte man denn sonst auch wissen, wozu man auf der Erde bestimmt ist, ob zum Kuenstler, zum Feldherrn, zum Richter, wenn nicht ein Geist da waere, der es sagt, und der zu den Dingen fuehrt, in denen man sein Glueck und seine Befriedigung findet. Gott lenkt es schon so, dass die Gaben gehoerig verteilt sind, so dass jede Arbeit getan wird, die auf der Erde zu tun ist, und dass nicht eine Zeit eintritt, in der alle Menschen Baumeister sind. In diesen Gaben liegen dann auch schon die gesellschaftlichen, und bei grossen Kuenstlern, Rechtsgelehrten, Staatsmaennern sei auch immer die Billigkeit, Milde, Gerechtigkeit und Vaterlandsliebe. Und aus solchen Maennern, welche ihren innern Zug am weitesten ausgebildet, seien auch in Zeiten der Gefahr am oeftesten die Helfer und Retter ihres Vaterlandes hervorgegangen. Es gibt solche, die sagen, sie seien zum Wohle der Menschheit Kaufleute, Aerzte, Staatsdiener geworden; aber in den meisten Faellen ist es nicht wahr. Wenn nicht der innere Beruf sie dahin gezogen hat, so verbergen sie durch ihre Aussage nur einen schlechteren Grund, nehmlich dass sie den Stand als ein Mittel betrachteten, sich Geld und Gut und Lebensunterhalt zu erwerben. Oft sind sie auch, ohne weiter ueber eine Wahl mit sich zu Rate zu gehen, in den Stand geraten oder durch Umstaende in ihn gestossen worden und nehmen das Wohl der Menschheit in den Mund, das sie bezweckt haetten, um nicht ihre Schwaeche zu gestehen. Dann ist noch eine eigene Gattung, welche immer von dem oeffentlichen Wohle spricht. Das sind die, welche mit ihren eigenen Angelegenheiten in Unordnung sind. Sie geraten stets in Noete, haben stets Aerger und Unannehmlichkeiten, und zwar aus ihrem eigenen Leichtsinne; und da liegt es ihnen als Ausweg neben der Hand, den oeffentlichen Zustaenden ihre Lage schuld zu geben und zu sagen, sie waeren eigentlich recht auf das Vaterland bedacht, und sie wuerden alles am besten in demselben einrichten. Aber wenn wirklich die Lage koemmt, dass das Vaterland sie beruft, so geht es dem Vaterlande, wie es frueher ihren eigenen Angelegenheiten gegangen ist. In Zeiten der Verirrung sind diese Menschen die selbstsuechtigsten und oft auch grausamsten. Es ist aber auch kein Zweifel. dass es solche gibt, denen Gott den Gesellschaftstrieb und die Gesellschaftsgaben in besonderem Masse verliehen hat. Diese widmen sich aus innerem Antriebe den Angelegenheiten der Menschen, erlernen sie auch am sichersten, finden Freude in den Anordnungen und opfern oft ihr Leben fuer ihren Beruf. Aber in der Zeit, in der sie ihr Leben opfern, sei sie lange oder sei sie ein Augenblick, empfinden sie Freude, und diese koemmt, weil sie ihrem innern Andrange nachgegeben haben. Gott hat uns auch nicht bei unseren Handlungen den Nutzen als Zweck vorgezeichnet, weder den Nutzen fuer uns noch fuer andere, sondern er hat der Ausuebung der Tugend einen eigenen Reiz und eine eigene Schoenheit gegeben, welchen Dingen die edlen Gemueter nachstreben. Wer Gutes tut, weil das Gegenteil dem menschlichen Geschlechte schaedlich ist, der steht auf der Leiter der sittlichen Wesen schon ziemlich tief. Dieser muesste zur Suende greifen, sobald sie dem menschlichen Geschlechte oder ihm Nutzen bringt. Solche Menschen sind es auch, denen alle Mittel gelten, und die fuer das Vaterland, fuer ihre Familie und fuer sich selber das Schlechte tun. Solche hat man zu Zeiten, wo sie im Grossen wirkten, Staatsmaenner geheissen, sie sind aber nur Afterstaatsmaenner, und der augenblickliche Nutzen, den sie erzielten, ist ein Afternutzen gewesen und hat sich in den Tagen des Gerichtes als boeses Verhaengnis erwiesen. Dass bei dem Vater kein Eigennutz herrschte, beweist der Umstand, dass er im Rate der Stadt ein oeffentliches Amt unentgeltlich verwaltete, dass er oefter die ganze Nacht in diesem Amte arbeitete, und dass er bei oeffentlichen Dingen immer mit bedeutenden Summen an der Spitze stand. Er sagte, man solle mich nur gehen lassen, es werde sich aus dem Unbestimmten schon entwickeln, wozu ich taugen werde, und welche Rolle ich auf der Welt einzunehmen haette. Ich musste meine koerperlichen Uebungen fortsetzen. Schon als sehr kleine Kinder mussten wir so viele koerperliche Bewegungen machen, als nur moeglich war. Das war einer der Hauptgruende, weshalb wir im Sommer auf dem Lande wohnten, und der Garten, welcher bei dem Vorstadthause war, war einer der Hauptbeweggruende, weshalb der Vater das Haus kaufte. Man liess uns als kleine Kinder gewoehnlich so viel gehen und laufen, als wir selber wollten, und machte nur ein Ende, wenn wir selber aus Muedigkeit ruhten. Es hatte in der Stadt sich eine Anstalt entwickelt, in welcher nach einer gewissen Ordnung Leibesbewegungen vorgenommen werden sollten, um alle Teile des Koerpers nach Beduerfnis zu ueben, und ihrer naturgemaessen Entfaltung entgegen zu fuehren. Diese Anstalt durfte ich besuchen, nachdem der Vater den Rat erfahrener Maenner eingeholt und sich selber durch den Augenschein von den Dingen ueberzeugt hatte, die da vorgenommen wurden. Fuer Maedchen bestand damals eine solche Anstalt nicht, daher liess der Vater fuer die Schwester in einem Zimmer unserer Wohnung so viele Vorrichtungen machen, als er und unser Hausarzt, der ein Beguenstiger dieser Dinge war, fuer notwendig erachteten, und die Schwester musste sich den Uebungen unterziehen, die durch die Vorrichtungen moeglich waren. Durch die Erwerbung des Vorstadthauses wurde die Sache noch mehr erleichtert. Nicht nur hatten wir mehr Raum im Innern des Hauses, um alle Vorrichtungen zu Koerperuebungen in besserem und ausgedehnterem Masse anlegen zu koennen. sondern es war auch der Hofraum und der Garten da, in denen an sich koerperliche Uebungen vorgenommen werden konnten und die auch weitere Anlagen moeglich machten. Dass wir diese Sachen sehr gerne taten, begreift sich aus der Feurigkeit und Beweglichkeit der Jugend von selber. Wir hatten schon in der Kindheit schwimmen gelernt und gingen im Sommer fast taeglich, selbst da wir in der Vorstadt wohnten, von wo aus der Weg weiter war, in die Anstalt, in welcher man schwimmen konnte. Selbst fuer Maedchen waren damals schon eigene Schwimmanstalten errichtet. Auch ausserdem machten wir gerne weite Wege, besonders im Sommer. Wenn wir im Freien ausser der Stadt waren, erlaubten die Eltern, dass ich mit der Schwester einen besonderen Umgang halten durfte. Wir uebten uns da im Zuruecklegen bedeutender Wege oder in Besteigung eines Berges. Dann kamen wir wieder an den Ort zurueck, an welchem uns die Eltern erwarteten. Anfangs ging meistens ein Diener mit uns, spaeter aber, da wir erwachsen waren, liess man uns allein gehen. Um besser und mit mehr Bequemlichkeit fuer die Eltern an jede beliebige Stelle des Landes ausserhalb der Stadt gelangen zu koennen, schaffte der Vater in der Folge zwei Pferde an, und der Knecht, der bisher Gaertner und gelegentlich unser Aufseher gewesen war, wurde jetzt auch Kutscher. In einer Reitschule, in welcher zu verschiedenen Zeiten Knaben und Maedchen lernen konnten, hatten wir reiten gelernt und hatten spaeter unsere bestimmten Wochentage, an denen wir uns zu gewissen Stunden im Reiten ueben konnten. Im Garten hatte ich Gelegenheit, nach einem Ziele zu springen, auf schmalen Planken zu gehen, auf Vorrichtungen zu klettern und mit steinernen Scheiben nach einem Ziele oder nach groesstmoeglicher Entfernung zu werfen. Die Schwester, so sehr sie von der Umgebung als Fraeulein behandelt wurde, liebte es doch sehr, bei sogenannten groeberen haeuslichen Arbeiten zuzugreifen, um zu zeigen, dass sie diese Dinge nicht nur verstehe, sondern an Kraft auch die noch uebertreffe, welche von Kindheit an bei diesen Arbeiten gewesen sind. Die Eltern legten ihr bei diesem Beginnen nicht nur keine Hindernisse in den Weg, sondern billigten es sogar. Ausserdem trieb sie noch das Lesen ihrer Buecher, machte Musik, besonders auf dem Klaviere und auf der Harfe, zu der sie auch sang, und malte mit Wasserfarben. Als ich den letzten Lehrer verlor, der mich in Sprachen unterrichtet hatte, als ich in denjenigen wissenschaftlichen Zweigen, in welchen man einen laengeren Unterricht fuer noetig gehalten hatte, weil sie schwieriger oder wichtiger waren, solche Fortschritte gemacht hatte, dass man einen Lehrer nicht mehr fuer notwendig erachtete, entstand die Frage, wie es in Bezug auf meine erwaehlte wissenschaftliche Laufbahn zu halten sei, ob man da einen gewissen Plan entwerfen und zu dessen Ausfuehrung Lehrer annehmen sollte. Ich bat, man moechte mir gar keinen Lehrer mehr nehmen, ich wuerde die Sachen schon selber zu betreiben suchen. Der Vater ging auf meinen Wunsch ein, und ich war nun sehr freudig, keinen Lehrer mehr zu haben und auf mich allein angewiesen zu sein. Ich fragte Maenner um Rat, welche einen grossen wissenschaftlichen Namen hatten und gewoehnlich an der einen oder der andern Anstalt der Stadt beschaeftigt waren. Ich naeherte mich ihnen nur, wenn es ohne Verletzung der Bescheidenheit geschehen konnte. Da es meistens nur eine Anfrage war, die ich in Bezug auf mein Lernen an solche Maenner stellte, und da ich mich nicht in ihren Umgang draengte, so nahmen sie meine Annaeherung nicht uebel, und die Antwort war immer sehr freundlich und liebevoll. Auch waren unter den Maennern, die gelegentlich in unser Haus kamen, manche, die in gelehrten Dingen bewandert waren. Auch an diese wandte ich mich. Meistens betrafen die Anfragen Buecher und die Folge, in welcher sie vorgenommen werden sollten. Ich trieb Anfangs jene Zweige fort, in denen ich schon Unterricht erhalten hatte, weil man sie zu jener Zeit eben als Grundlage einer allgemeinen menschlichen Bildung betrachtete, nur suchte ich zum Teile mehr Ordnung in dieselben zu bringen, als bisher befolgt worden war, zum Teile suchte ich mich auch in jenem Fache auszudehnen, das mir mehr zuzusagen begann. Auf diese Weise geschah es, dass in dem Ganzen doch noch eine ziemliche Ordnung herrschte, da bei der Unbestimmtheit des ganzen Unternehmens die Gefahr sehr nahe war, in die verschiedensten Dinge zersplittert und in die kleinsten Kleinlichkeiten verschlagen zu werden. In Bezug auf die Faecher, die ich eben angefangen hatte, besuchte ich auch Anstalten in unserer Stadt, die ihnen foerderlich werden konnten: Buechersammlungen, Sammlungen von Werkzeugen und namentlich Orte, wo Versuche gemacht wurden, die ich wegen meiner Unreifheit und wegen Mangels an Gelegenheit und Werkzeugen nie haette ausfuehren koennen. Was ich an Buechern und ueberhaupt an Lehrmitteln brauchte, schaffte der Vater bereitwillig an. Ich war sehr eifrig und gab mich manchem einmal ergriffenen Gegenstande mit all der entzuendeten Lust hin, die der Jugend bei Lieblingsdingen eigen zu sein pflegt. Obwohl ich bei meinen Besuchen der oeffentlichen Anstalten zu koerperlicher oder geistiger Entwicklung, ferner bei den Besuchen, welche Leute bei uns oder welche wir bei ihnen machten, sehr viele junge Leute kennen gelernt hatte, so war ich doch nie dahin gekommen, so ausschliesslich auf blosse Vergnuegungen und noch dazu oft unbedeutende erpicht zu sein, wie ich es bei der groessten Zahl der jungen Leute gesehen hatte. Die Vergnuegungen, die in unserem Hause vorkamen, wenn wir Leute zum Besuche bei uns hatten, waren auch immer ernsterer Art. Ich lernte auch viele aeltere Menschen kennen; aber ich achtete damals weniger darauf, weil es bei der Jugend Sitte ist, sich mit lebhafter Beteiligung mehr an die anzuschliessen, die ihnen an Jahren naeher stehen, und das, was an aelteren Leuten befindlich ist, zu uebersehen. Als ich achtzehn Jahre alt war, gab mir der Vater einen Teil meines Eigentums aus der Erbschaft vom Grossoheime zur Verwaltung. Ich hatte bis dahin kein Geld zu regelmaessiger Gebarung gehabt, sondern wenn ich irgend etwas brauchte, kaufte es der Vater, und zu Dingen von minderem Belange gab mir der Vater das Geld, damit ich sie selber kaufe. Auch zu Vergnuegungen bekam ich gelegentlich kleine Betraege. Von nun an aber, sagte der Vater, werde er mir am ersten Tage eines jeden Monats eine bestimmte Summe auszahlen, ich solle darueber ein Buch fuehren, er werde diese Auszahlungen bei der Verwaltung meines Gesammtvermoegens, welche Verwaltung ihm noch immer zustehe, in Abrechnung bringen, und sein Buch und das meinige muessten stimmen. Er gab mir einen Zettel, auf welchem der Kreis dessen aufgezeichnet war, was ich von nun an mit meinen monatlichen Einkuenften zu bestreiten haette. Er werde mir nie mehr von seinem Gelde einen Gegenstand kaufen, der in den verzeichneten Kreis gehoere. Ich muesse puenktlich verfahren und haushaelterisch sein; denn er werde mir auch nie und nicht einmal unter den dringendsten Bedingungen einen Vorschuss geben. Wenn ich zu seiner Zufriedenheit eine Zeit hindurch gewirtschaftet haette, dann werde er meinen Kreis wieder erweitern, und er werde nach billigstem Ermessen sehen, in welcher Zeit er mir auch vor der erreichten gesetzlichen Muendigkeit meine Angelegenheiten ganz in die Haende werde geben koennen. Der Wanderer Ich verfuhr mit der Rente, welche mir der Vater ausgesetzt hatte, gut. Daher wurde nach einiger Zeit mein Kreis erweitert, wie es der Vater versprochen hatte. Ich sollte von nun an nicht bloss nur einen Teil meiner Beduerfnisse von dem zugewiesenen Einkommen decken, sondern alle. Deshalb wurde meine Rente vergroessert. Der Vater zahlte sie mir von nun an auch nicht mehr monatlich, sondern vierteljaehrlich aus, um mich an groessere Zeitabschnitte zu gewoehnen. Sie mir halbjaehrlich oder gar nach ganzen Jahren einzuhaendigen wollte er nicht wagen, damit ich doch nicht etwa in Unordnungen geriete. Er gab mir nicht die ganzen Zinsen von der Erbschaft des Grossoheims, sondern nur einen Teil, den andern Teil legte er zu der Hauptsumme, so dass mein Eigentum wuchs, wenn ich auch von meiner Rente nichts eruebrigte. Als Beschraenkung blieb die Einrichtung, dass ich in dem Hause meiner Eltern wohnen und an ihrem Tische speisen musste. Es ward dafuer ein Preis festgesetzt, den ich alle Vierteljahre zu entrichten hatte. Jedes andere Beduerfnis, Kleider, Buecher, Geraete oder was es immer war, durfte ich nach meinem Ermessen und nach meiner Einsicht befriedigen. Die Schwester erhielt auch Befugnisse in Hinsicht ihres Teiles der Erbschaft des Grossoheims, in so weit sie sich fuer ein Maedchen schickten. Wir waren ueber diese Einrichtung sehr erfreut und beschlossen, nach dem Wunsche und dem Willen der Eltern zu verfahren, um ihnen Freude zu machen. Ich ging, nachdem ich in den verschiedenen Zweigen der Kenntnisse, die ich zuletzt mit meinen Lehrern betrieben hatte und welche als allgemein notwendige Kenntnisse fuer einen gebildeten Menschen gelten, nach mehreren Richtungen gearbeitet hatte, auf die Mathematik ueber. Man hatte mir immer gesagt, sie sei die schwerste und herrlichste Wissenschaft, sie sei die Grundlage zu allen uebrigen, in ihr sei alles wahr, und was man aus ihr habe, sei ein bleibendes Besitztum fuer das ganze Leben. Ich kaufte mir die Buecher, die man mir riet, um von den Vorkenntnissen, die ich bereits hatte, ausgehen und zu dem Hoeheren immer weiter streben zu koennen. Ich kaufte mir eine sehr grosse Schiefertafel, um auf ihr meine Arbeiten ausfuehren zu koennen. So sass ich nun in manchen Stunden, die zum Erlernen von Kenntnissen bestimmt waren, an meinem Tische und rechnete. Ich ging den Gaengen der Maenner nach, welche die Gestaltungen dieser Wissenschaft nach und nach erfunden hatten und von diesen Gestaltungen zu immer weiteren gefuehrt worden waren. Ich setzte mir bestimmte Zeitraeume fest, in welchen ich vom Weitergehen abliess, um das bis dahin Errungene wiederholen und meinem Gedaechtnisse einpraegen zu koennen, ehe ich zu ferneren Teilen vorwaerts schritt. Die Buecher, welche ich nach und nach durchnehmen wollte, hatte ich in der Ordnung auf einem Buecherbrett aufgestellt. Ich war nach einer verhaeltnismaessigen Zeit in ziemlich schwierige Abteilungen des hoeheren Gebietes dieser Wissenschaft vorgerueckt. Der Vater erlaubte mir endlich, zuweilen im Sommer eine Zeit hindurch entfernt von den Eltern auf irgend einem Punkte des Landes zu wohnen. Zum ersten Aufenthalte dieser Art wurde das Landhaus eines Freundes meines Vaters nicht gar ferne von der Stadt erwaehlt. Ich erhielt ein Zimmerchen in dem obersten Teile des Hauses, dessen Fenster auf die nahen Weinberge und zwischen ihren Senkungen durch auf die entfernten Gebirge gingen. Die Frau des Hauses gab mir in sehr kurzen Zwischenzeiten immer erneuerte schneeweisse Fenstervorhaenge. Sehr oft kamen die Eltern heraus, besuchten mich und brachten den Tag auf dem Lande zu. Sehr oft ging ich auch zu ihnen in die Stadt und blieb manchmal sogar ueber Nacht in ihrem Hause. Der zweite Aufenthalt im naechst darauf folgenden Sommer war viel weiter von der Stadt entfernt in dem Hause eines Landmanns. Man hat haeufig in den Haeusern unserer Landleute, in welchen alle Wohnstuben und andere Raeumlichkeiten ebenerdig sind, doch noch ein Geschoss ueber diesen Raeumlichkeiten, in welchem sich ein oder mehrere Gemaecher befinden. Unter diesen Gemaechern ist auch die sogenannte obere Stube. Haeufig ist sie bloss das einzige Gemach des ersten Geschosses. Die obere Stube ist gewissermassen das Prunkzimmer. In ihr stehen die schoeneren Betten des Hauses, gewoehnlich zwei, in ihr stehen die Schreine mit den schoenen Kleidern, in ihr haengen die Scheiben- und Jagdgewehre des Mannes, wenn er dergleichen hat, so wie die Preise, die er im Schiessen etwa schon gewonnen, in ihr sind die schoeneren Geschirre der Frau, besonders wenn sie Kruege aus Zinn oder etwas aus Porzellan hat, und in ihr sind auch die besseren Bilder des Hauses und sonstige Zierden, zum Beispiel ein schoenes Jesuskindlein aus Wachs, welches in weissem feinem Flaume liegt. In einer solchen oberen Stube des Hauses eines Landmanns wohnte ich. Das Haus war so weit von der Stadt entfernt, dass ich die Eltern nur ein einziges Mal mit Benutzung des Postwagens besuchen konnte, sie aber gar nie zu mir kamen. Dieser Aufenthalt brachte Veraenderungen in mir hervor. Weil ich mit den Meinigen nicht zusammen kommen konnte, so lebte die Sehnsucht nach Mitteilung viel staerker in mir, als wenn ich zu Hause gewesen waere und sie jeden Augenblick haette befriedigen koennen. Ich schritt also zu ausfuehrlichen Briefen und Berichten. Ich hatte bisher immer aus Buechern gelernt, deren ich mir bereits eine ziemliche Menge in meine Buecherkaesten von meinem Gelde gekauft hatte; aber ich hatte mich nie geuebt, etwas selber in groesserem Zusammenhange zusammen zu stellen. Jetzt musste ich es tun, ich tat es gerne, und freute mich, nach und nach die Gabe der Darstellung und Erzaehlung in mir wachsen zu fuehlen. Ich schritt zu immer zusammengesetzteren und geordneteren Schilderungen. Auch eine andere Veraenderung trat ein. Ich war schon als Knabe ein grosser Freund der Wirklichkeit der Dinge gewesen, wie sie sich so in der Schoepfung oder in dem geregelten Gange des menschlichen Lebens darstellte. Dies war oft eine grosse Unannehmlichkeit fuer meine Umgebung gewesen. Ich fragte unaufhoerlich um die Namen der Dinge, um ihr Herkommen und ihren Gebrauch und konnte mich nicht beruhigen, wenn die Antwort eine hinausschiebende war. Auch konnte ich es nicht leiden, wenn man einen Gegenstand zu etwas Anderem machte, als er war. Besonders kraenkte es mich, wenn er, wie ich meinte, durch seine Veraenderung schlechter wurde. Es machte mir Kummer, als man einmal einen alten Baum des Gartens faellte und ihn in lauter Kloetze zerlegte. Die Kloetze waren nun kein Baum mehr, und da sie morsch waren, konnte man keinen Schemel, keinen Tisch, kein Kreuz, kein Pferd daraus schnitzen. Als ich einmal das offene Land kennen gelernt und Fichten und Tannen auf den Bergen stehen gesehen hatte, taten mir jederzeit die Bretter leid, aus denen etwas in unserem Hause verfertigt wurde, weil sie einmal solche Fichten und Tannen gewesen waren. Ich fragte den Vater, wenn wir durch die Stadt gingen, wer die grosse Kirche des heiligen Stephan gebaut habe, warum sie nur einen Turm habe, warum dieser so spitzig sei, warum die Kirche so schwarz sei, wem dieses oder jenes Haus gehoere, warum es so gross sei, weshalb sich an einem andern Hause immer zwei Fenster neben einander befaenden und in einem weiteren Hause zwei steinerne Maenner das Sims des Haustores tragen. Der Vater beantwortete solche Fragen je nach seinem Wissen. Bei einigen aeusserte er nur Mutmassungen, bei anderen sagte er, er wisse es nicht. Wenn wir auf das Land kamen, wollte ich alle Gewaechse und Steine kennen und fragte um die Namen der Landleute und der Hunde. Der Vater pflegte zu sagen, ich muesste einmal ein Beschreiber der Dinge werden oder ein Kuenstler, welcher aus Stoffen Gegenstaende fertigt, an denen er so Anteil nimmt, oder wenigstens ein Gelehrter, der die Merkmale und Beschaffenheiten der Sachen erforscht. Diese Eigenschaft nun fuehrte mich, da ich auf dem Lande wohnte, in eine besondere Richtung. Ich legte die Mathematik weg und widmete mich der Betrachtung meiner Umgebungen. Ich fing an, bei allen Vorkommnissen des Hauses, in dem ich wohnte, zuzusehen. Ich lernte nach und nach alle Werkzeuge und ihre Bestimmungen kennen. Ich ging mit den Arbeitern auf die Felder, auf die Wiesen und in die Waelder und arbeitete gelegentlich selber mit. Ich lernte in kurzer Zeit auf diese Weise die Behandlung und Gewinnung aller Bodenerzeugnisse des Landstriches, auf dem ich wohnte, kennen. Auch ihre erste laendliche Verarbeitung zu Kunsterzeugnissen suchte ich in Erfahrung zu bringen. Ich lernte die Bereitung des Weines aus Trauben kennen, des Garnes und der Leinwand aus Flachs, der Butter und des Kaeses aus der Milch, des Mehles und Brotes aus dem Getreide. Ich merkte mir die Namen, womit die Landleute ihre Dinge benannten, und lernte bald die Merkmale kennen, aus denen man die Guete oder den geringeren Wert der Bodenerzeugnisse oder ihre naechsten Umwandlungen beurteilen konnte. Selbst in Gespraeche, wie man dieses oder jenes auf eine vielleicht zweckmaessigere Weise hervorbringen koennte, liess ich mich ein, fand aber da einen hartnaeckigen Widerstand. Als ich diese Hervorbringung der ersten Erzeugnisse in jenem Striche des Landes, in welchem ich mich aufhielt, kennen gelernt hatte, ging ich zu den Gegenstaenden des Gewerbfleisses ueber. Nicht weit von meiner Wohnung war ein weites flaches Tal, das von einem Wasser durchstroemt war, welches sich durch seine gleichbleibende Reichhaltigkeit und dadurch, dass es im Winter nicht leicht zufror, besonders zum Treiben von Werken eignete. In dem Tale waren daher mehrere Fabriken zerstreut. Sie gehoerten meistens zu ansehnlichen Handelshaeusern. Die Eigentuemer lebten in der Stadt und besuchten zuweilen ihre Werke, die von einem Verwalter oder Geschaeftsleiter versehen wurden. Ich besuchte nach und nach alle diese Fabriken und unterrichtete mich ueber die Erzeugnisse, welche da hervorgebracht wurden. Ich suchte den Hergang kennen zu lernen, durch welchen der Stoff in die Fabrik geliefert wurde, durch welchen er in die erste Umwandlung, von dieser in die zweite und so durch alle Stufen gefuehrt wurde, bis er als letztes Erzeugnis der Fabrik hervorging. Ich lernte hier die Guete der einlangenden Rohstoffe kennen und wurde auf die Merkmale aufmerksam gemacht, aus denen auf eine vorzuegliche Beschaffenheit der endlich in der Fabrik fertig gewordenen Erzeugnisse geschlossen werden konnte. Ich lernte auch die Mittel und Wege kennen, durch welche die Umwandlungen, die die Stoffe nach und nach zu erleiden hatten, bewirkt wurden. Die Maschinen, welche hiezu groesstenteils verwendet wurden, waren mir durch meine bereits erworbenen Vorkenntnisse in ihren allgemeinen Einrichtungen schon bekannt. Es war mir daher nicht schwer, ihre besonderen Wirkungen zu den einzelnen Zwecken, die hier erreicht werden sollten, einsehen zu lernen. Ich ging durch die Gefaelligkeit der dabei Angestellten alle Teile durch, bis ich das Ganze so vor mir hatte und zusammen begreifen konnte, als haette ich es als Zeichnung auf dem Papier liegen, wie ich ja bisher alle Einrichtungen solcher Art nur aus Zeichnungen kennen zu lernen Gelegenheit hatte. In spaeterer Zeit begann ich, die Naturgeschichte zu betreiben. Ich fing bei der Pflanzenkunde an. Ich suchte zuerst zu ergruenden, welche Pflanzen sich in der Gegend befaenden, in welcher ich mich aufhielt. Zu diesem Zwecke ging ich nach allen Richtungen aus und bestrebte mich, die Standorte und die Lebensweise der verschiedenen Gewaechse kennen zu lernen und alle Gattungen zu sammeln. Welche ich mit mir tragen konnte und welche nur einiger Massen aufzubewahren waren, nahm ich mit in meine Wohnung. Von solchen, die ich nicht von dem Orte bringen konnte, wozu besonders die Baeume gehoerten, machte ich mir Beschreibungen, welche ich zu der Sammlung einlegte. Bei diesen Beschreibungen, die ich immer nach allen sich mir darbietenden Eigenschaften der Pflanzen machte, zeigte sich mir die Erfahrung, dass nach meiner Beschreibung andere Pflanzen in eine Gruppe zusammen gehoerten, als welche von den Pflanzenkundigen als zusammengehoerig aufgefuehrt wurden. Ich bemerkte, dass von den Pflanzenlehrern die Einteilungen der Pflanzen nur nach einem oder einigen Merkmalen, zum Beispiele nach den Samenblaettern oder nach den Bluetenteilen, gemacht wurden, und dass da Pflanzen in einer Gruppe beisammen stehen, welche in ihrer ganzen Gestalt und in ihren meisten Eigenschaften sehr verschieden sind. Ich behielt die herkoemmlichen Einteilungen bei und hatte aber auch meine Beschreibungen daneben. In diesen Beschreibungen standen die Pflanzen nach sinnfaelligen Linien und, wenn ich mich so ausdruecken duerfte, nach ihrer Baufuehrung beisammen. Bei den Mineralien, welche ich mir sammelte, geriet ich beinahe in dieselbe Lage. Ich hatte mir schon seit meiner Kinderzeit manche Stuecke zu erwerben gesucht. Fast immer waren dieselben aus anderen Sammlungen gekauft oder geschenkt worden. Sie waren schon Sammlungsstuecke, hatten meistens das Papierstueckchen mit ihrem Namen auf sich aufgeklebt. Auch waren sie womoeglich immer im Kristallzustande. Das System von Mohs hatte einmal grosses Aufsehen gemacht; ich war durch meine mathematischen Arbeiten darauf gefuehrt worden, hatte es kennen und lieben gelernt. Allein da ich jetzt meine Mineralien in der Gegend meines Aufenthaltes suchte und zusammen trug, fand ich sie weit oefter in unkristallisirtem Zustande als in kristallisirtem, und sie zeigten da allerlei Eigenschaften fuer die Sinne, die sie dort nicht haben. Das Kristallisiren der Stoffe, welches das System von Mohs voraussetzt, kam mir wieder wie ein Bluehen vor, und die Stoffe standen nach diesen Blueten beisammen. Ich konnte nicht lassen, auch hier neben den Einteilungen, die gebraeuchlich waren, mir ebenfalls meine Beschreibungen zu machen. Ungefaehr eine Meile von unserer Stadt liegt gegen Sonnenuntergang hin eine Reihe von schoenen Huegeln. Diese Huegel setzen sich in Stufenfolgen und nur hie und da von etwas groesseren Ebenen unterbrochen immer weiter nach Sonnenuntergang fort, bis sie endlich in hoeher gelegenes, noch huegligeres Land, das sogenannte Oberland, uebergehen. In der Naehe der Stadt sind die Huegel mehrfach von Landhaeusern besetzt und mit Gaerten und Anlagen geschmueckt, in weiterer Entfernung werden sie laendlicher. Sie tragen Weinreben oder Felder auf ihren Seiten, auch Wiesen sind zu treffen, und die Gipfel oder auch manche Rueckenstrecken sind mit laubigen, mehr busch- als baumartigen Waeldern besetzt. Die Baeche und sonstigen Gewaesser sind nicht gar haeufig, und oft traf ich im Sommer zwischen den Huegeln, wenn mich Durst oder Zufall hinab fuehrte, das ausgetrocknete, mit weissen Steinen gefuellte Bett eines Baches. In diesem Huegellande war mein Aufenthalt, und in demselben rueckte ich immer weiter gegen Sonnenuntergang vor. Ich streifte weit und breit herum und war oft mehrere Tage von meiner Wohnung abwesend. Ich ging die einsamen Pfade, welche zwischen den Feldern oder Weingelaenden hinliefen und sich von Dorf zu Dorf, von Ort zu Ort zogen und manche Meilen, ja Tagereisen in sich begriffen. Ich ging auf den abgelegenen Waldpfaden, die in Stammholz oder Gebueschen verborgen waren und nicht selten im Laubwerk, Gras oder Gestrippe spurlos endeten. Ich durchwanderte oft auch ohne Pfad Wiesen, Wald und sonstige Landflaechen, um die Gegenstaende zu finden, welche ich suchte. Dass wenige von unseren Stadtbewohnern auf solche Wege kommen, ist begreiflich, da sie nur kurze Zeit zu dem Genusse des Landlebens sich goennen koennen und in derselben auf den breiten herkoemmlichen Strassen des Landvergnuegens bleiben und von anderen Pfaden nichts wissen. An der Mittagseite war das ganze Huegelland viele Meilen lang von Hochgebirge gesaeumt. Auf einer Stelle der Basteien unserer Stadt kann man zwischen Haeusern und Baeumen ein Fleckchen Blau von diesem Gebirge sehen. Ich ging oft auf jene Bastei, sah oft dieses kleine blaue Fleckchen und dachte nichts weiter als: das ist das Gebirge. Selbst da ich von dem Hause meines ersten Sommeraufenthaltes einen Teil des Hochgebirges erblickte, achtete ich nicht weiter darauf. Jetzt sah ich zuweilen mit Vergnuegen von einer Anhoehe oder von dem Gipfel eines Huegels ganze Strecken der blauen Kette, welche in immer undeutlicheren Gliedern ferner und ferner dahin lief. Oft, wenn ich durch wildes Gestrippe ploetzlich auf einen freien Abriss kam und mir die Abendroete entgegen schlug, weithin das Land in Duft und roten Rauch legend, so setzte ich mich nieder, liess das Feuerwerk vor mir verglimmen, und es kamen allerlei Gefuehle in mein Herz. Wenn ich wieder in das Haus der Meinigen zurueckkehrte, wurde ich recht freudig empfangen, und die Mutter gewoehnte sich an meine Abwesenheiten, da ich stets gereifter von ihnen zurueck kam. Sie und die Schwester halfen mir nicht selten, die Sachen, die ich mitbrachte, aus ihren Behaeltnissen auspacken, damit ich sie in den Raeumen, die hiezu bestimmt waren, ordnen konnte. So war endlich die Zeit gekommen, in welcher es der Vater fuer geraten fand, mir die ganze Rente der Erbschaft des Grossoheims zu freier Verfuegung zu uebertragen. Er sagte, ich koenne mit diesem Einkommen verfahren, wie es mir beliebe, nur muesste ich damit ausreichen. Er werde mir auf keine Weise aus dem Seinigen etwas beitragen, noch mir je Vorschuesse machen, da meine Jahreseinnahme so reichlich sei, dass sie meine jetzigen Beduerfnisse, selbst wenn sie noch um Vieles groesser wuerden, nicht nur hinlaenglich decke, sondern dass sie selbst auch manche Vergnuegungen bestreiten koenne, und dass doch noch etwas uebrig bleiben duerfte. Es liege somit in meiner Hand, fuer die Zukunft, die etwa groessere Ausgaben bringen koennte, mir auch eine groessere Einnahme zu sichern. Meine Wohnung und meinen Tisch duerfe ich nicht mehr, wenn ich nicht wolle, in dem Hause der Eltern nehmen, sondern wo ich immer wollte. Das Stammvermoegen selber werde er an dem Orte, an welchem es sich bisher befand, liegen lassen. Er fuegte bei, er werde mir dasselbe, sobald ich das vierundzwanzigste Jahr erreicht habe, einhaendigen. Dann koenne ich es nach meinem eigenen Ermessen verwalten. "Ich rate dir aber", fuhr er fort, "dann nicht nach einer groesseren Rente zu geizen, weil eine solche meistens nur mit einer groesseren Unsicherheit des Stammvermoegens zu erzielen ist. Sei immer deines Grundvermoegens sicher und mache die dadurch entstehende kleinere Rente durch Maessigkeit groesser. Solltest du den Rat deines Vaters einholen wollen, so wird dir derselbe nie entzogen werden. Wenn ich sterbe oder freiwillig aus den Geschaeften zurueck trete, so werdet ihr beide auch noch von mir eine Vermehrung eures Eigentums erhalten. Wie gross dieselbe sein wird, kann ich noch nicht sagen, ich bemuehe mich, durch Vorsicht und durch gut gegruendete Geschaeftsfuehrung sie so gross als moeglich und auch so sicher als moeglich zu machen; aber alle stehen wir in der Hand des Herrn, und er kann durch Ereignisse, welche kein Menschenauge vorher sehen kann, meine Vermoegensumstaende bedeutend veraendern. Darum sei weise und gebare mit dem Deinigen, wie du bisher zu meiner und zur Befriedigung deiner Mutter getan hast." Ich war geruehrt ueber die Handlungsweise meines Vaters und dankte ihm von ganzem Herzen. Ich sagte, dass ich mich stets bestreben werde, seinem Vertrauen zu entsprechen, dass ich ihn instaendig um seinen Rat bitte, und dass ich in Vermoegensangelegenheiten wie in anderen nie gegen ihn handeln, und dass ich auch nicht den kleinsten Schritt tun wolle, ohne nach diesem Rat zu verlangen. Eine Wohnung ausser dem Hause zu beziehen, solange ich in unserer Stadt lebe, waere mir sehr schmerzlich, und ich bitte, in dem Hause meiner Eltern und an ihrem Tische bleiben zu duerfen, solange Gott nicht selber durch irgend eine Schickung eine Aenderung herbei fuehre. Der Vater und die Mutter waren ueber diese Worte erfreut. Die Mutter sagte, dass sie mir zu meiner bisherigen Wohnung, die mir doch als einem nunmehr selbstaendigen Manne besonders bei meinen jetzigen Verhaeltnissen zu klein werden duerfte, noch einige Raeumlichkeiten zugeben wolle, ohne dass darum der Preis unverhaeltnismaessig wachse. Ich war natuerlicher Weise mit Allem einverstanden. Ich musste gleich mit der Mutter gehen und die mir zugedachte Vergroesserung der Wohnung besehen. Ich dankte ihr fuer ihre Sorgfalt. Schon in den naechsten Tagen richtete ich mich in der neuen Wohnung ein. Den Winter benutzte ich zum Teile mit Vorbereitungen, um im naechsten Sommer wieder grosse Wanderungen machen zu koennen. Ich hatte mir vorgenommen, nun endlich einmal das Hochgebirge zu besuchen, und in ihm so weit herum zu gehen, als es mir zusagen wuerde. Als der Sommer gekommen war, fuhr ich von der Stadt auf dem kuerzesten Wege in das Gebirge. Von dem Orte meiner Ankunft aus wollte ich dann in ihm laengs seiner Richtung von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang zu Fusse fort wandern. Ich begab mich sofort auf meinen Weg. Ich ging den Taelern entlang, selbst wenn sie voll meiner Richtung abwichen und allerlei Windungen verfolgten. Ich suchte nach solchen Abschweifungen immer meinen Hauptweg wieder zu gewinnen. Ich stieg auch auf Bergjoche und ging auf der entgegengesetzten Seite wieder in das Tal hinab. Ich erklomm manchen Gipfel und suchte von ihm die Gegend zu sehen und auch schon die Richtung zu erspaehen, in welcher ich in naechster Zeit vordringen wuerde. Im Ganzen hielt ich mich stets, soweit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges und wich von der Wasserscheide so wenig als moeglich ab. In einem Tale an einem sehr klaren Wasser sah ich einmal einen toten Hirsch. Er war gejagt worden, eine Kugel hatte seine Seite getroffen, und er mochte das frische Wasser gesucht haben, um seinen Schmerz zu kuehlen. Er war aber an dem Wasser gestorben. Jetzt lag er an demselben so, dass sein Haupt in den Sand gebettet war und seine Vorderfuesse in die reine Flut ragten. Ringsum war kein lebendiges Wesen zu sehen. Das Tier gefiel mir so, dass ich seine Schoenheit bewunderte und mit ihm grosses Mitleid empfand. Sein Auge war noch kaum gebrochen, es glaenzte noch in einem schmerzlichen Glanze, und dasselbe, so wie das Antlitz, das mir fast sprechend erschien, war gleichsam ein Vorwurf gegen seine Moerder. Ich griff den Hirsch an, er war noch nicht kalt. Als ich eine Weile bei dem toten Tiere gestanden war, hoerte ich Laute in den Waeldern des Gebirges, die wie Jauchzen und wie Heulen von Hunden klangen. Diese Laute kamen naeher, waren deutlich zu erkennen, und bald sprang ein Paar schoener Hunde ueber den Bach, denen noch einige folgten. Sie naeherten sich mir. Als sie aber den fremden Mann bei dem Wilde sahen, blieben einige in der Entfernung stehen und bellten heftig gegen mich, waehrend andere heulend weite Kreise um mich zogen, in ihnen dahin flogen und in Eilfertigkeit sich an Steinen ueberschlugen und ueberstuerzten. Nach geraumer Zeit kamen auch Maenner mit Schiessgewehren. Als sich diese dem Hirsche genaehert hatten und neben mir standen, kamen auch die Hunde herzu, hatten vor mir keine Scheu mehr, beschnupperten mich und bewegten sich und zitterten um das Wild herum. Ich entfernte mich, nachdem die Jaeger auf dem Schauplatze erschienen waren, sehr bald von ihm. Bisher hatte ich keine Tiere zu meinen Bestrebungen in der Naturgeschichte aufgesucht, obwohl ich die Beschreibungen derselben eifrig gelesen und gelernt hatte. Diese Vernachlaessigung der leiblichen wirklichen Gestalt war bei mir so weit gegangen, dass ich, selbst da ich einen Teil des Sommers schon auf dem Lande zubrachte, noch immer die Merkmale von Ziegen, Schafen, Kuehen aus meinen Abbildungen nicht nach den Gestalten suchte, die vor mir wandelten. Ich schlug jetzt einen andern Weg ein. Der Hirsch, den ich gesehen hatte, schwebte mir immer vor den Augen. Er war ein edler gefallner Held und war ein reines Wesen. Auch die Hunde, seine Feinde, erschienen mir berechtigt wie in ihrem Berufe. Die schlanken springenden und gleichsam geschnellten Gestalten blieben mir ebenfalls vor den Augen. Nur die Menschen, welche das Tier geschossen hatten, waren mir widerwaertig, da sie daraus gleichsam ein Fest gemacht hatten. Ich fing von der Stunde an, Tiere so aufzusuchen und zu betrachten, wie ich bisher Steine und Pflanzen aufgesucht und betrachtet hatte. Sowohl jetzt, da ich noch in dem Gebirge war, als auch spaeter zu Hause und bei meinen weiteren Wanderungen betrachtete ich Tiere und suchte ihre wesentlichen Merkmale sowohl an ihrem Leibe als auch an ihrer Lebensart und Bestimmung zu ergruenden. Ich schrieb das, was ich gesehen hatte, auf und verglich es mit den Beschreibungen und Einteilungen, die ich in meinen Buechern fand. Da geschah es wieder, dass ich mit diesen Buechern in Zwiespalt geriet, weil es meinen Augen widerstrebte, Tiere nach Zehen oder anderen Dingen in einer Abteilung beisammen zu sehen, die in ihrem Baue nach meiner Meinung ganz verschieden waren. Ich stellte daher nicht wissenschaftlich, aber zu meinem Gebrauche eine andere Einteilung zusammen. Einen besonderen Zweck, den ich bei dem Besuche des Gebirges befolgen wollte, hatte ich dieses erste Mal nicht, ausser was sich zufaellig fand. Ich war nur im Allgemeinen in das Gebirge gegangen, um es zu sehen. Als daher dieser erste Drang etwas gesaettigt war, begab ich mich auf dem naechsten Wege in das flache Land hinaus und fuhr auf diesem wieder nach Hause. Allein der kommende Sommer lockte mich abermals in das Gebirge. Hatte ich das erste Mal nur im Allgemeinen geschaut, und waren die Eindruecke wirkend auf mich heran gekommen, so ging ich jetzt schon mehr in das Einzelne, ich war meiner schon mehr Herr und richtete die Betrachtung auf besondere Dinge. Viele von ihnen draengten sich an meine Seele. Ich sass auf einem Steine und sah die breiten Schattenflaechen und die scharfen, oft gleichsam mit einem Messer in sie geschnittenen Lichter. Ich dachte nach, weshalb die Schatten hier so blau seien und die Lichter so kraeftig und das Gruen so feurig und die Waesser so blitzend. Mir fielen die Bilder meines Vaters ein, auf denen Berge gemalt waren, und mir wurde es, als haette ich sie mitnehmen sollen, um vergleichen zu koennen. Ich blieb in kleinen Ortschaften zuweilen laenger und betrachtete die Menschen, ihr taegliches Gewerbe, ihr Fuehlen, ihr Reden, Denken und Singen. Ich lernte die Zither kennen, betrachtete sie, untersuchte sie und hoerte auf ihr spielen und zu ihr singen. Sie erschien mir als ein Gegenstand, der nur allein in die Berge gehoert und mit den Bergen Eins ist. Die Wolken, ihre Bildung, ihr Anhaengen an die Bergwaende, ihr Suchen der Bergspitzen so wie die Verhaeltnisse des Nebels und seine Neigung zu den Bergen waren mir wunderbare Erscheinungen. Ich bestieg in diesem Sommer auch einige hohe Stellen, ich liess mich von den Fuehrern nicht bloss auf das Eis der Gletscher geleiten, welches mich sehr anregte und zur Betrachtung aufforderte, sondern bestieg auch mit ihrer Hilfe die hoechsten Zinnen der Berge. Ich sah die Ueberreste einer alten, untergegangenen Welt in den Marmoren, die in dem Gebirge vorkommen und die man in manchen Taelern zu schleifen versteht. Ich suchte besondere Arten aufzufinden und sendete sie nach Hause. Den schoenen Enzian hatte ich im frueheren Sommer schon der Schwester in meinen Pflanzenbuechern gebracht, jetzt brachte ich ihr auch Alpenrosen und Edelweiss. Von der Zirbelkiefer und dem Knieholze nahm ich die zierlichen Fruechte. So verging die Zeit, und so kam ich bereichert nach Hause. Ich ging von nun an jeden Sommer in das Gebirge. Wenn ich von den Zimmern meiner Wohnung in dem Hause meiner Eltern nach einem dort verbrachten Winter gegen den Himmel blickte und nicht mehr so oft an demselben die grauen Wolken und den Nebel sah, sondern oefter schon die blauen und heiteren Luefte, wenn diese durch ihre Farbe schon gleichsam ihre groessere Weichheit ankuendigten, wenn auf den Mauern und Schornsteinen und Ziegeldaechern, die ich nach vielen Richtungen uebersehen konnte, schon immer kraeftigere Tafeln von Sonnenschein lagen, kein Schnee sich mehr blicken liess und an den Baeumen unseres Gartens die Knospen schwollen: so mahnte es mich bereits in das Freie. Um diesem Drange nur vorlaeufig zu genuegen, ging ich gerne aus der Stadt und erquickte mich an der offenen Weite der Wiesen, der Felder, der Weinberge. Wenn aber die Baeume bluehten und das erste Laub sich entwickelte, ging ich schon dem Blau der Berge zu, wenngleich ihre Waende noch von mannigfaltigem Schnee erglaenzten. Ich erwaehlte mir nach und nach verschiedene Gegenden, an denen ich mich aufhielt, um sie genau kennen zu lernen und zu geniessen. Mein Vater hatte gegen diese Reisen nichts, auch war er mit der Art, wie ich mit meinem Einkommen gebarte, sehr zufrieden. Es blieb nehmlich in jedem Jahre ein Erkleckliches ueber, was zu dem Grundvermoegen getan werden konnte. Ich spuerte desohngeachtet in meiner Lebensweise keinen Abgang. Ich strebte nach Dingen, die meine Freude waren und wenig kosteten, weit weniger als die Vergnuegungen, denen meine Bekannten sich hingaben. Ich hatte in Kleidern, Speise und Trank die groesste Einfachheit, weil es meiner Natur so zusagte, weil wir zur Maessigkeit erzogen waren und weil diese Gegenstaende, wenn ich ihnen grosse Aufmerksamkeit haette schenken sollen, mich von meinen Lieblingsbestrebungen abgelenkt haetten. So ging alles gut, Vater und Mutter freuten sich ueber meine Ordnung, und ich freute mich ueber ihre Freude. Da verfiel ich eines Tages auf das Zeichnen. Ich koennte mir ja meine Naturgegenstaende, dachte ich, eben so gut zeichnen als beschreiben, und die Zeichnung sei am Ende noch sogar besser als die Beschreibung. Ich erstaunte, weshalb ich denn nicht sogleich auf den Gedanken geraten sei. Ich hatte wohl frueher immer gezeichnet, aber mit mathematischen Linien, welche nach Rechnungsgesetzen entstanden, Flaechen und Koerper in der Messkunst darstellten und mit Zirkel und Richtscheit gemacht worden waren. Ich wusste wohl recht gut, dass man mit Linien alle moeglichen Koerper darstellen koenne, und hatte es an den Bildern meines Vaters vollfuehrt gesehen: aber ich hatte nicht weiter darueber gedacht, da ich in einer andern Richtung beschaeftigt war. Es musste diese Vernachlaessigung von einer Eigenschaft in mir herruehren, die ich in einem hohen Grade besass und die man mir zum Vorwurfe machte. Wenn ich nehmlich mit einem Gegenstande eifrig beschaeftigt war, so vergass ich darueber manchen andern, der vielleicht groessere Bedeutung hatte. Sie sagten, das sei einseitig, ja es sei sogar Mangel an Gefuehl. Ich fing mein Zeichnen mit Pflanzen an, mit Blaettern, mit Stielen, mit Zweigen. Es war Anfangs die Aehnlichkeit nicht sehr gross, und die Vollkommenheit der Zeichnung liess viel zu wuenschen uebrig, wie ich spaeter erkannte. Aber es wurde immer besser, da ich eifrig war und vom Versuchen nicht abliess. Die frueher in meine Pflanzenbuecher eingelegten Pflanzen, wie sorgsam sie auch vorbereitet waren, verloren nach und nach nicht bloss die Farbe, sondern auch die Gestalt, und erinnerten nicht mehr entfernt an ihre urspruengliche Beschaffenheit. Die gezeichneten Pflanzen dagegen bewahrten wenigstens die Gestalt, nicht zu gedenken, dass es Pflanzen gibt, die wegen ihrer Beschaffenheit, und selbst solche, die wegen ihrer Groesse in ein Pflanzenbuch nicht gelegt werden koennen, wie zum Beispiele Pilze oder Baeume. Diese konnten in einer Zeichnung sehr wohl aufbewahrt werden. Die blossen Zeichnungen aber genuegten mir nach und nach auch nicht mehr, weil die Farbe fehlte, die bei den Pflanzen, besonders bei den Blueten, eine Hauptsache ist. Ich begann daher, meine Abbildungen mit Farben zu versehen und nicht eher zu ruhen, als bis die Aehnlichkeit mit den Urbildern erschien und immer groesser zu werden versprach. Nach den Pflanzen nahm ich auch andere Gegenstaende vor, deren Farbe etwas Auffallendes und Fassliches hatte. Ich geriet auf die Falter und suchte mehrere nachzubilden. Die Farben von minder hervorragenden Gegenstaenden, die zwar unscheinbar, aber doch bedeutsam sind, wie die der Gesteine im unkristallischen Zustande, kamen spaeter an die Reihe, und ich lernte ihre Reize nach und nach wuerdigen. Da ich nun einmal zeichnete und die Dinge deshalb doch viel genauer betrachten musste, und da das Zeichnen und meine jetzige Bestrebungen mich doch nicht ganz ausfuellten, kam ich auch noch auf eine andere, viel weiter gehende Richtung. Ich habe schon gesagt, dass ich gerne auf hohe Berge stieg und von ihnen aus die Gegenden betrachtete. Da stellten sich nun dem geuebteren Auge die bildsamen Gestalten der Erde in viel eindringlicheren Merkmalen dar und fassten sich uebersichtlicher in grossen Teilen zusammen. Da oeffnete sich dem Gemuete und der Seele der Reiz des Entstehens dieser Gebilde, ihrer Falten und ihrer Erhebungen, ihres Dahinstreichens und Abweichens von einer Richtung, ihres Zusammenstrebens gegen einen Hauptpunkt und ihrer Zerstreuungen in die Flaeche. Es kam ein altes Bild, das ich einmal in einem Buche gelesen und wieder vergessen hatte, in meine Erinnerung. Wenn das Wasser in unendlich kleinen Troepfchen, die kaum durch ein Vergroesserungsglas ersichtlich sind, aus dem Dunste der Luft sich auf die Tafeln unserer Fenster absetzt, und die Kaelte dazu koemmt, die noetig ist, so entsteht die Decke von Faeden, Sternen, Wedeln, Palmen und Blumen, die wir gefrorene Fenster heissen. Alle diese Dinge stellen sich zu einem Ganzen zusammen, und die Strahlen, die Taeler, die Ruecken, die Knoten des Eises sind durch ein Vergroesserungsglas angesehen bewunderungswuerdig. Eben so stellt sich von sehr hohen Bergen aus gesehen die niedriger liegende Gestaltung der Erde dar. Sie muss aus einem erstarrenden Stoffe entstanden sein und streckt ihre Faecher und Palmen in grossartigem Massstabe aus. Der Berg selber, auf dem ich stehe, ist der weisse, helle und sehr glaenzende Punkt, den wir in der Mitte der zarten Gewebe unserer gefrorenen Fenster sehen. Die Palmenraender der gefrorenen Fenstertafeln werden durch Abbroecklung wegen des Luftzuges oder durch Schmelzung wegen der Waerme lueckenhaft und unterbrochen. An den Gebirgszuegen geschehen Zerstoerungen durch Verwitterung in Folge des Einflusses des Wassers, der Luft, der Waerme und der Kaelte. Nur braucht die Zerstoerung der Eisnadeln an den Fenstern kuerzere Zeit als der Nadeln der Gebirge. Die Betrachtung der unter mir liegenden Erde, der ich oft mehrere Stunden widmete, erhob mein Herz zu hoeherer Bewegung, und es erschien mir als ein wuerdiges Bestreben, ja als ein Bestreben, zu dem alle meine bisherigen Bemuehungen nur Vorarbeiten gewesen waren, dem Entstehen dieser Erdoberflaeche nachzuspueren und durch Sammlung vieler kleiner Tatsachen an den verschiedensten Stellen sich in das grosse und erhabene Ganze auszubreiten, das sich unsern Blicken darstellt, wenn wir von Hochpunkt zu Hochpunkt auf unserer Erde reisen und sie endlich alle erfuellt haben und keine Bildung dem Auge mehr zu untersuchen bleibt als die Weite und die Woelbung des Meeres. Ich begann, durch diese Gefuehle und Betrachtungen angeregt, gleichsam als Schlussstein oder Zusammenfassung aller meiner bisherigen Arbeiten die Wissenschaft der Bildung der Erdoberflaeche und dadurch vielleicht der Bildung der Erde selber zu betreiben. Nebstdem, dass ich gelegentlich von hohen Stellen aus die Gestaltung der Erdoberflaeche genau zeichnete, gleichsam als waere sie durch einen Spiegel gesehen worden, schaffte ich mir die vorzueglichsten Werke an, welche ueber diese Wissenschaft handeln, machte mich mit den Vorrichtungen, die man braucht, bekannt, so wie mit der Art ihrer Benuetzung. Ich betrieb nun diesen Gegenstand mit fortgesetztem Eifer und mit einer strengen Ordnung. Dabei lernte ich auch nach und nach den Himmel kennen, die Gestaltung seiner Erscheinungen und die Verhaeltnisse seines Wetters. Meine Besuche der Berge hatten nun fast ausschliesslich diesen Zweck zu ihrem Inhalte. Die Einkehr Eines Tages ging ich von dem Hochgebirge gegen das Huegelland hinaus. Ich wollte nehmlich von einem Gebirgszuge in einen andern uebersiedeln und meinen Weg dahin durch einen Teil des offenen Landes nehmen. Jedermann kennt die Vorberge, mit welchen das Hochgebirge gleichsam wie mit einem Uebergange gegen das flachere Land auslaeuft. Mit Laub- oder Nadelwald bedeckt ziehen sie in angenehmer Faerbung dahin, lassen hie und da das blaue Haupt eines Hochberges ueber sich sehen, sind hie und da von einer leuchtenden Wiese unterbrochen, fuehren alle Waesser, die das Gebirge liefert und die gegen das Land hinaus gehen, zwischen sich, zeigen manches Gebaeude und manches Kirchlein und strecken sich nach allen Richtungen, in denen das Gebirge sich abniedert, gegen die bebauteren und bewohnteren Teile hinaus. Als ich von dem Hange dieser Berge herab ging und eine freiere Umsicht gewann, erblickte ich gegen Untergang hin die sanften Wolken eines Gewitters, das sich sachte zu bilden begann und den Himmel umschleierte. Ich schritt ruestig fort und beobachtete das Zunehmen und Wachsen der Bewoelkung. Als ich ziemlich weit hinaus gekommen war und mich in einem Teile des Landes befand, wo sanfte Huegel mit maessigen Flaechen wechseln, Meierhoefe zerstreut sind, der Obstbau gleichsam in Waeldern sich durch das Land zieht, zwischen dem dunkeln Laube die Kirchtuerme schimmern, in den Talfurchen die Baeche rauschen und ueberall wegen der groesseren Weitung, die das Land gibt, das blaue, gezackte Band der Hochgebirge zu erblicken ist, musste ich auf eine Einkehr denken; denn das Dorf, in welchem ich Rast halten wollte, war kaum mehr zu erreichen. Das Gewitter war so weit gediehen, dass es in einer Stunde und bei beguenstigenden Umstaenden wohl noch frueher ausbrechen konnte. Vor mir hatte ich das Dorf Rohrberg, dessen Kirchturm von der Sonne scharf beschienen ueber Kirschen- und Weidenbaeumen hervor sah. Es lag nur ganz wenig abseits von der Strasse. Naeher waren zwei Meierhoefe, deren jeder in einer maessigen Entfernung von der Strasse in Wiesen und Feldern prangte. Auch war ein Haus auf einem Huegel, das weder ein Bauerhaus noch irgend ein Wirtschaftsgebaeude eines Buergers zu sein schien, sondern eher dem Landhause eines Staedters glich. Ich hatte schon frueher wiederholt, wenn ich durch die Gegend kam, das Haus betrachtet, aber ich hatte mich nie naeher um dasselbe bekuemmert. Jetzt fiel es mir um so mehr auf, weil es der naechste Unterkunftsplatz von meinem Standorte aus war und weil es mehr Bequemlichkeit als die Meierhoefe zu geben versprach. Dazu gesellte sich ein eigentuemlicher Reiz. Es war, da schon ein grosser Teil des Landes, mit Ausnahme des Rohrberger Kirchturmes, im Schatten lag, noch hell beleuchtet und sah mit einladendem schimmerndem Weiss in das Grau und Blau der Landschaft hinaus. Ich beschloss also, in diesem Hause eine Unterkunft zu suchen. Ich forschte dem zu Folge nach einem Wege, der von der Strasse auf den Huegel des Hauses hinauffuehren sollte. Nach meiner Kenntnis des Landesgebrauches war es mir nicht schwer, den mit einem Zaune und mit Gebuesch besaeumten Weg, der von der Landstrasse ab hinauf ging, zu finden. Ich schritt auf demselben empor und kam, wie ich richtig vermutet hatte, vor das Haus. Es war noch immer von der Sonne hell beschienen. Allein da ich naeher vor dasselbe trat, hatte ich einen bewunderungswuerdigen Anblick. Das Haus war ueber und ueber mit Rosen bedeckt, und wie es in jenem fruchtbaren huegligen Lande ist, dass, wenn einmal etwas blueht, gleich alles mit einander blueht, so war es auch hier: die Rosen schienen sich das Wort gegeben zu haben, alle zur selben Zeit aufzubrechen, um das Haus in einen Ueberwurf der reizendsten Farbe und in eine Wolke der suessesten Gerueche zu huellen. Wenn ich sage, das Haus sei ueber und ueber mit Rosen bedeckt gewesen, so ist das nicht so wortgetreu zu nehmen. Das Haus hatte zwei ziemlich hohe Geschosse. Die Wand des Erdgeschosses war bis zu den Fenstern des oberen Geschosses mit den Rosen bedeckt. Der uebrige Teil bis zu dem Dache war frei, und er war das leuchtende weisse Band, welches in die Landschaft hinaus geschaut und mich gewissermassen herauf gelockt hatte. Die Rosen waren an einem Gitterwerke, das sich vor der Wand des Hauses befand, befestigt. Sie bestanden aus lauter Baeumchen. Es waren winzige darunter, deren Blaetter gleich ueber der Erde begannen, dann hoehere, deren Staemmchen ueber die ersten empor ragten, und so fort, bis die letzten mit ihren Zweigen in die Fenster des oberen Geschosses hinein sahen. Die Pflanzen waren so verteilt und gehegt, dass nirgends eine Luecke entstand und dass die Wand des Hauses, soweit sie reichten, vollkommen von ihnen bedeckt war. Ich hatte eine Vorrichtung dieser Art in einem so grossen Massstabe noch nie gesehen. Es waren zudem fast alle Rosengattungen da, die ich kannte, und einige, die ich noch nicht kannte. Die Farben gingen von dem reinen Weiss der weissen Rosen durch das gelbliche und roetliche Weiss der Uebergangsrosen in das zarte Rot und in den Purpur und in das blaeuliche und schwaerzliche Rot der roten Rosen ueber. Die Gestalten und der Bau wechselten in eben demselben Masse. Die Pflanzen waren nicht etwa nach Farben eingeteilt, sondern die Ruecksicht der Anpflanzung schien nur die zu sein, dass in der Rosenwand keine Unterbrechung statt finden moege. Die Farben bluehten daher in einem Gemische durch einander. Auch das Gruen der Blaetter fiel mir auf. Es war sehr rein gehalten, und kein bei Rosen oefter als bei andern Pflanzen vorkommender Uebelstand der gruenen Blaetter und keine der haeufigen Krankheiten kam mir zu Gesichte. Kein verdorrtes oder durch Raupen zerfressenes oder durch ihr Spinnen verkruemmtes Blatt war zu erblicken. Selbst das bei Rosen so gerne sich einnistende Ungeziefer fehlte. Ganz entwickelt und in ihren verschiedenen Abstufungen des Gruens prangend standen die Blaetter hervor. Sie gaben mit den Farben der Blumen gemischt einen wunderlichen Ueberzug des Hauses. Die Sonne, die noch immer gleichsam einzig auf dieses Haus schien, gab den Rosen und den gruenen Blaettern derselben gleichsam goldene und feurige Farben. Nachdem ich eine Weile mein Vorhaben vergessend vor diesen Blumen gestanden war, ermahnte ich mich und dachte an das Weitere. Ich sah mich nach einem Eingange des Hauses um. Allein ich erblickte keinen. Die ganze ziemlich lange Wand desselben hatte keine Tuer und kein Tor. Auch durch keinen Weg war der Eingang zu dem Hause bemerkbar gemacht; denn der ganze Platz vor demselben war ein reiner, durch den Rechen wohlgeordneter Sandplatz. Derselbe schnitt sich durch ein Rasenband und eine Hecke von den angrenzenden, hinter meinem Ruecken liegenden Feldern ab. Zu beiden Seiten des Hauses in der Richtung seiner Laenge setzten sich Gaerten fort, die durch ein hohes, eisernes, gruen angestrichenes Gitter von dem Sandplatze getrennt waren. In diesen Gittern musste also der Eingang sein. Und so war es auch. In dem Gitter, welches dem den Huegel heranfuehrenden Wege zunaechst lag, entdeckte ich die Tuer oder eigentlich zwei Fluegel einer Tuer, die dem Gitter so eingefuegt waren, dass sie von demselben bei dem ersten Anblicke nicht unterschieden werden konnten. In den Tueren waren die zwei messingenen Schlossgriffe und an der Seite des einen Fluegels ein Glockengriff. Ich sah zuerst ein wenig durch das Gitter in den Garten. Der Sandplatz setzte sich hinter dem Gitter fort, nur war er besaeumt mit bluehenden Gebueschen und unterbrochen mit hohen Obstbaeumen, welche Schatten gaben. In dem Schatten standen Tische und Stuehle; es war aber kein Mensch bei ihnen gegenwaertig. Der Garten erstreckte sich rueckwaerts um das Haus herum und schien mir bedeutend weit in die Tiefe zu gehen. Ich versuchte zuerst die Tuergriffe, aber sie oeffneten nicht. Dann nahm ich meine Zuflucht zu dem Glockengriffe und laeutete. Auf den Klang der Glocke kam ein Mann hinter den Gebueschen des Gartens gegen mich hervor. Als er an der innern Seite des Gitters vor mir stand, sah ich, dass es ein Mann mit schneeweissen Haaren war, die er nicht bedeckt hatte. Sonst war er unscheinbar und hatte eine Art Hausjacke an, oder wie man das Ding nennen soll, das ihm ueberall enge anlag und fast bis auf die Knie herabreichte. Er sah mich einen Augenblick an, da er zu mir herangekommen war, und sagte dann: "Was wollt ihr, lieber Herr?" "Es ist ein Gewitter im Anzuge", antwortete ich, "und es wird in Kurzem ueber diese Gegend kommen. Ich bin ein Wandersmann, wie ihr an meinem Raenzchen seht, und bitte daher, dass mir in diesem Hause so lange ein Obdach gegeben werde, bis der Regen, oder wenigstens der schwerere, vorueber ist." "Das Gewitter wird nicht zum Ausbruche kommen", sagte der Mann. "Es wird keine Stunde dauern, dass es koemmt", entgegnete ich, "ich bin mit diesen Gebirgen sehr wohl bekannt und verstehe mich auch auf die Wolken und Gewitter derselben ein wenig." "Ich bin aber mit dem Platze, auf welchem wir stehen, aller Wahrscheinlichkeit nach weit laenger bekannt als ihr mit dem Gebirge, da ich viel aelter bin als ihr", antwortete er, "ich kenne auch seine Wolken und Gewitter und weiss, dass heute auf dieses Haus, diesen Garten und diese Gegend kein Regen niederfallen wird." "Wir wollen nicht lange darueber Meinungen hegen, ob ein Gewitter dieses Haus netzen wird oder nicht", sagte ich; "wenn ihr Anstand nehmet, mir dieses Gittertor zu oeffnen, so habet die Guete und ruft den Herrn des Hauses herbei." "Ich bin der Herr des Hauses." Auf dieses Wort sah ich mir den Mann etwas naeher an. Sein Angesicht zeigte zwar auch auf ein vorgeruecktes Alter, aber es schien mir juenger als die Haare und gehoerte ueberhaupt zu jenen freundlichen, wohlgefaerbten, nicht durch das Fett der vorgerueckten Jahre entstellten Angesichtern, von denen man nie weiss, wie alt sie sind. Hierauf sagte ich: "Nun muss ich wohl um Verzeihung bitten, dass ich so zudringlich gewesen bin, ohne weiteres auf die Sitte des Landes zu bauen. Wenn eure Behauptung, dass kein Gewitter kommen werde, einer Ablehnung gleich sein soll, werde ich mich augenblicklich entfernen. Denkt nicht, dass ich als junger Mann den Regen so scheue; es ist mir zwar nicht so angenehm, durchnaesst zu werden als trocken zu bleiben, es ist mir aber auch nicht so unangenehm, dass ich deshalb jemandem zur Last fallen sollte. Ich bin oft von dem Regen getroffen worden, und es liegt nichts daran, wenn ich auch heute getroffen werde." "Das sind eigentlich zwei Fragen", antwortete der Mann, "und ich muss auf beide etwas entgegnen. Das Erste ist, dass ihr in Naturdingen eine Unrichtigkeit gesagt habet, was vielleicht daher koemmt, dass ihr die Verhaeltnisse dieser Gegend zu wenig kennt oder auf die Vorkommnisse der Natur nicht genug achtet. Diesen Irrtum musste ich berichtigen; denn in Sachen der Natur muss auf Wahrheit gesehen werden. Das Zweite ist, dass, wenn ihr mit oder ohne Gewitter in dieses Haus kommen wollt, und wenn ihr gesonnen seid, seine Gastfreundschaft anzunehmen, ich sehr gerne willfahren werde. Dieses Haus hat schon manchen Gast gehabt und manchen gerne beherbergt, und wie ich an euch sehe, wird es auch euch gerne beherbergen und so lange verpflegen, als ihr es fuer noetig erachten werdet. Darum bitte ich euch, tretet ein." Mit diesen Worten tat er einen Druck am Schlosse des Torfluegels, der Fluegel oeffnete sich, drehte sich mit einer Rolle auf einer halbkreisartigen Eisenschiene und gab mir Raum zum Eintreten. Ich blieb nun einen Augenblick unentschlossen. "Wenn das Gewitter nicht koemmt", sagte ich, "so habe ich im Grunde keine Ursache, hier einzutreten; denn ich bin nur des anziehenden Gewitters willen von der Landstrasse abgewichen und zu diesem Hause heraufgestiegen. Aber verzeiht mir, wenn ich noch einmal die Frage anrege. Ich bin beinahe eine Art Naturforscher und habe mich mehrere Jahre mit Naturdingen, mit Beobachtungen und namentlich mit diesem Gebirge beschaeftigt, und meine Erfahrungen sagen mir, dass heute ueber diese Gegend und dieses Haus ein Gewitter kommen wird." "Nun muesst ihr eigentlich vollends herein gehen", sagte er, "jetzt handelt es sich darum, dass wir gemeinschaftlich abwarten, wer von uns beiden recht hat. Ich bin zwar kein Naturforscher und kann von mir nicht sagen, dass ich mich mit Naturwissenschaften beschaeftigt habe; aber ich habe manches ueber diese Gegenstaende gelesen, habe waehrend meines Lebens mich bemueht, die Dinge zu beobachten und ueber das Gelesene und Gesehene nachzudenken. In Folge dieser Bestrebungen habe ich heute die unzweideutigen Zeichen gesehen, dass die Wolken, welche jetzt noch gegen Sonnenuntergang stehen, welche schon einmal gedonnert haben und von denen ihr veranlasst worden seid, zu mir herauf zu steigen, nicht ueber dieses Haus und ueberhaupt ueber keine Gegend einen Regen bringen werden. Sie werden sich vielleicht, wenn die Sonne tiefer koemmt, verteilen und werden zerstreut am Himmel herum stehen. Abends werden wir etwa einen Wind spueren, und morgen wird gewiss wieder ein schoener Tag sein. Es koennte sich zwar ereignen, dass einige schwere Tropfen fallen oder ein kleiner Spruehregen nieder geht, aber gewiss nicht auf diesen Huegel." "Da die Sache so ist", erwiderte ich, "trete ich gerne ein und harre mit euch gerne der Entscheidung, auf die ich begierig bin." Nach diesen Worten trat ich ein, er schloss das Gitter und sagte, er wolle mein Fuehrer sein. Er fuehrte mich um das Haus herum; denn in der den Rosen entgegengesetzten Seite war die Tuer. Er fuehrte mich durch dieselbe ein, nachdem er sie mit einem Schluessel geoeffnet hatte. Hinter der Tuer erblickte ich einen Gang, welcher mit Amonitenmarmor gepflastert war. "Dieser Eingang", sagte er, "ist eigentlich der Haupteingang; aber da ich mir nicht gerne das Pflaster des Ganges verderben lasse, halte ich ihn immer gesperrt, und die Leute gehen durch eine Tuer in die Zimmer, welche wir finden wuerden, wenn wir noch einmal um die Ecke des Hauses gingen. Des Pflasters willen muss ich euch auch bitten, diese Filzschuhe anzuziehen." Es standen einige Paare gelblicher Filzschuhe gleich innerhalb der Tuer. Niemand konnte mehr als ich von der Notwendigkeit ueberzeugt sein, diesen so edlen und schoenen Marmor zu schonen, der an sich so vortrefflich ist und hier ganz meisterhaft geglaettet war. Ich fuhr daher mit meinen Stiefeln in ein Paar solcher Schuhe, er tat desgleichen, und so gingen wir ueber den glatten Boden. Der Gang, welcher von oben beleuchtet war, fuehrte zu einer braunen getaefelten Tuer. Vor derselben legte er die Filzschuhe ab, verlangte von mir, dass ich dasselbe tue, und, nachdem wir uns auf dem hoelzernen Antritte der Tuer der Filzschuhe entledigt hatten, oeffnete er dieselbe und fuehrte mich in ein Zimmer. Dem Ansehen nach war es ein Speisezimmer; denn in der Mitte desselben stand ein Tisch, an dessen Bauart man sah, dass er vergroessert oder verkleinert werden koenne, je nachdem eine groessere oder kleinere Anzahl von Personen um ihn sitzen sollte. Ausser dem Tische befanden sich nur Stuehle in dem Zimmer und ein Schrein, in welchem die Speisegeraetschaften enthalten sein konnten. "Legt in diesem Zimmer", sagte der Mann, "euern Hut, euern Stock und euer Raenzlein ab, ich werde euch dann in ein anderes Gemach fuehren, in welchem ihr ausruhen koennt." Als er dies gesagt und ich ihm Folge geleistet hatte, trat er zu einer breiten Strohmatte und zu Fussbuersten, die sich am Ausgange des Zimmers befanden, reinigte sich an beiden sehr sorgsam seine Fussbekleidung und lud mich ein, dasselbe zu tun. Ich tat es, und da ich fertig war, oeffnete er die Ausgangstuer, die ebenfalls braun und getaefelt war, und fuehrte mich durch ein Vorgemach in ein Ausruhezimmer, welches an der Seite des Vorgemaches lag. "Dieses Vorgemach", sagte er, "ist der eigentliche Eingang in das Speisezimmer, und man koemmt von der andern Tuer in dasselbe." Das Ausruhezimmer war ein freundliches Gemach und schien recht eigens zum Sitzen und Ruhehalten bestimmt. Es befasste nichts als lauter Tische und Sitze. Auf den Tischen lagen aber nicht, wie es haeufig in unsern Besuchzimmern vorkoemmt, Buecher oder Zeichnungen und dergleichen Dinge, sondern die Tafeln derselben waren unbedeckt und waren ausnehmend gut geglaettet und gereinigt. Sie waren von dunklem Mahagoniholze, das in der Zeit noch mehr nachgedunkelt war. Ein einziges Geraete war da, welches kein Tisch und kein Sitz war, ein Gestelle mit mehreren Faechern, welches Buecher enthielt. An den Waenden hingen Kupferstiche. "Hier koennt ihr ausruhen, wenn ihr vom Gehen muede seid oder ueberhaupt ruhen wollt", sagte der Mann, "ich werde gehen und sorgen, dass man euch etwas zu essen bereitet. Ihr muesst wohl eine Weile allein bleiben. Auf dem Gestelle liegen Buecher, wenn ihr etwa ein wenig in dieselben blicken wollet." Nach diesen Worten entfernte er sich. Ich war in der Tat muede und setzte mich nieder. Als ich sass, konnte ich den Grund einsehen, weshalb der Mann vor dem Eintritte in dieses Zimmer so sehr seine Fussbekleidung gereinigt und mir den Wunsch zu gleicher Reinigung ausgedrueckt hatte. Das Zimmer enthielt nehmlich einen schoen getaefelten Fussboden, wie ich nie einen gleichen gesehen hatte. Es war beinahe ein Teppich aus Holz. Ich konnte das Ding nicht genug bewundern. Man hatte lauter Holzgattungen in ihren natuerlichen Farben zusammengesetzt und sie in ein Ganzes von Zeichnungen gebracht. Da ich von den Geraeten meines Vaters her an solche Dinge gewohnt war und sie etwas zu beurteilen verstand, sah ich ein, dass man alles nach einem in Farben ausgefuehrten Plane gemacht haben musste, welcher Plan mir selber wie ein Meisterstueck erschien. Ich dachte, da duerfe ich ja gar nicht aufstehen und auf der Sache herum gehen, besonders wenn ich die Naegel in Anschlag brachte, mit denen meine Gebirgsstiefel beschlagen waren. Auch hatte ich keine Veranlassung zum Aufstehen, da mir die Ruhe nach einem ziemlich langen Gange sehr angenehm war. Da sass ich nun in dem weissen Hause, zu welchem ich hinauf gestiegen war, um in ihm das Gewitter abzuwarten. Es schien noch immer die Sonne auf das Haus, blickte durch die Fenster dieses Zimmers schief herein und legte lichte Tafeln auf den schoenen Fussboden desselben. Als ich eine Weile gesessen war, bemaechtigte sich meiner eine seltsame Empfindung, welche ich mir Anfangs nicht zu erklaeren vermochte. Es war mir nehmlich, als sitze ich nicht in einem Zimmer, sondern im Freien, und zwar in einem stillen Walde. Ich blickte gegen die Fenster, um mir das Ding zu erklaeren; aber die Fenster erteilten die Erklaerung nicht: ich sah durch sie ein Stueck Himmel, teils rein, teils etwas bewoelkt, und unter dem Himmel sah ich ein Stueck Gartengruen von emporragenden Baeumen, ein Anblick, den ich wohl schon sehr oft gehabt hatte. Ich spuerte eine reine, freie Luft mich umgeben. Die Ursache davon war, dass die Fenster des Zimmers in ihren oberen Teilen offen waren. Diese oberen Teile konnten nicht nach Innen geoeffnet werden, wie das gewoehnlich der Fall ist, sondern waren nur zu verschieben, und zwar so, dass einmal Glas in dem Rahmen vorgeschoben werden konnte, ein anderes Mal ein zarter Flor von weissgrauer Seide. Da ich in dem Zimmer sass, war das Letztere der Fall. Die Luft konnte frei herein stroemen, Fliegen und Staub waren aber ausgeschlossen. Wenn nun gleich die reine Luft eine Mahnung des Freien gab, sah ich doch hierin nicht voellige Erklaerung allein. Ich bemerkte noch etwas anderes. In dem Zimmer, in welchem ich mich befand, hoerte man nicht den geringsten Laut eines bewohnten Hauses, den man doch sonst, es mag im Hause noch so ruhig sein, mehr oder weniger in Zwischenraeumen vernimmt. Diese Art Abwesenheit haeuslichen Geraeusches verbarg allerdings die Nachbarschaft bewohnter Raeume, konnte aber eben so wenig als die freie Luft die Waldempfindung geben. Endlich glaubte ich auf den Grund gekommen zu sein. Ich hoerte nehmlich fast ununterbrochen, bald naeher, bald ferner, bald leiser, bald lauter vermischten Vogelgesang. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf diese Wahrnehmung und erkannte bald, dass der Gesang nicht bloss von Voegeln herruehre, die in der Naehe menschlicher Wohnungen hausen, sondern auch von solchen, deren Stimme und Zwitschern mir nur aus den Waeldern und abgelegenen Bebuschungen bekannt war. Dieses wenig auffallende, mir aus meinem Gebirgsaufenthalte bekannte und von mir in der Tat nicht gleich beachtete Getoen mochte wohl die Hauptursache meiner Taeuschung gewesen sein, obwohl die Stille des Raumes und die reine Luft auch mitgewirkt haben konnten. Da ich nun genauer auf dieses gelegentliche Vogelzwitschern achtete, fand ich wirklich, dass Toene sehr einsamer und immer in tiefen Waeldern wohnender Voegel vorkamen. Es nahm sich dies wunderlich in einem bewohnten und wohleingerichteten Zimmer aus. Da ich aber nun den Grund meiner Empfindung aufgefunden hatte oder aufgefunden zu haben glaubte, war auch ein grosser Teil ihrer Dunkelheit und mithin Annehmlichkeit verschwunden. Wie ich nun so fortwaehrend auf den Vogelgesang merkte, fiel mir sogleich auch etwas anderes ein. Wenn ein Gewitter im Anzuge ist und schwuele Luefte in dem Himmelsraume stocken, schweigen gewoehnlich die Waldvoegel. Ich erinnerte mich, dass ich in solchen Augenblicken oft in den schoensten, dichtesten, entlegensten Waeldern nicht den geringsten Laut gehoert habe, etwa ein einmaliges oder zweimaliges Haemmern des Spechtes ausgenommen oder den kurzen Schrei jenes Geiers, den die Landleute Giessvogel nennen. Aber selbst er schweigt, wenn das Gewitter in unmittelbarer Annaeherung ist. Nur bei den Menschen wohnende Voegel, die das Gewitter fuerchten wie er, oder solche, die im weiten Freien hausen und vielleicht dessen majestaetische Annaeherung bewundern, zeigen sein Bevorstehen an. So habe ich Schwalben vor den dicken Wolken eines heraufsteigenden Gewitters mit ihrem weissen Bauchgefieder kreuzen gesehen und selbst schreien gehoert, und so habe ich Lerchen singend gegen die dunkeln Gewitterwolken aufsteigen gesehen. Das Singen der Waldvoegel erschien mir nun als ein schlimmes Zeichen fuer meine Voraussagung eines Gewitters. Auch fiel mir auf, dass sich noch immer keine Merkmale des Ausbruches zeigten, welchen ich nicht fuer so ferne gehalten hatte, als ich die Landstrasse verliess. Die Sonne schien noch immer auf das Haus, und ihre glaenzenden Lichttafeln lagen noch immer auf dem schoenen Fussboden des Zimmers. Mein Beherberger schien es darauf angelegt zu haben, mich lange allein zu lassen, wahrscheinlich, um mir Raum zur Ruhe und Bequemlichkeit zu geben; denn er kam nicht so bald zurueck, als ich nach seiner Aeusserung erwartet hatte. Als ich eine geraume Weile gesessen war und das Sitzen anfing, mir nicht mehr jene Annehmlichkeit zu gewaehren wie Anfangs, stand ich auf und ging auf den Fussspitzen, um den Boden zu schonen, zu dem Buechergestelle, um die Buecher anzusehen. Es waren aber bloss beinahe lauter Dichter. Ich fand Baende von Herder, Lessing, Goethe, Schiller, Uebersetzungen Shakespeares von Schlegel und Tieck, einen griechischen Odysseus, dann aber auch etwas aus Ritters Erdbeschreibung, aus Johannes Muellers Geschichte der Menschheit und aus Alexander und Wilhelm Humboldt. Ich tat die Dichter bei Seite und nahm Alexander Humboldts Reise in die Aequinoctiallaender, die ich zwar schon kannte, in der ich aber immer gerne las. Ich begab mich mit meinem Buche wieder zu meinem Sitze zurueck. Als ich nicht gar kurze Zeit gelesen hatte, trat mein Beherberger herein. Ich hatte, weil er so lange abwesend war, gedacht, er werde sich etwa auch umgekleidet haben, weil er doch nun einmal einen Gast habe und weil sein Anzug so gar unbedeutend war. Aber er kam in den nehmlichen Kleidern zurueck, in welchen er vor mir an dem Gittertore gestanden war. Er entschuldigte sein Aussenbleiben nicht, sondern sagte, ich moechte, wenn ich ausgeruht haette und es mir genehm waere, zu speisen, ihm in das Speisezimmer folgen, es wuerde dort fuer mich aufgetragen werden. Ich sagte, ausgeruht haette ich schon, aber ich sei nur gekommen, um Unterstand zu bitten, nicht aber auch in anderer Weise, besonders in Hinsicht von Speise und Trank, laestig zu fallen. "Ihr fallt nicht laestig", antwortete der Mann, "ihr muesst etwas zu essen bekommen, besonders da ihr so lange da bleiben muesst, bis sich die Sache wegen des Gewitters entschieden hat. Da schon Mittag vorueber ist, wir aber genau mit der Mittagstunde des Tages zu Mittag essen und von da bis zu dem Abendessen nichts mehr aufgetragen wird, so muss fuer euch, wenn ihr nicht bis Abends warten sollet, besonders aufgetragen werden. Solltet ihr aber sollen zu Mittag gegessen haben und bis Abends warten wollen, so fordert es doch die Ehre des Hauses, dass euch etwas geboten werde, ihr moeget es dann annehmen oder nicht. Folgt mir daher in das Speisezimmer." Ich legte das Buch neben mich auf den Sitz und schickte mich an, zu gehen. Er aber nahm das Buch und legte es auf seinen Platz in dem Buechergestelle. "Verzeiht", sagte er, "es ist bei uns Sitte, dass die Buecher, die auf dem Gestelle sind, damit jemand, der in dem Zimmer wartet oder sich sonst aufhaelt, bei Gelegenheit und nach Wohlgefallen etwas lesen kann, nach dem Gebrauche wieder auf das Gestelle gelegt werden, damit das Zimmer die ihm zugehoerige Gestalt behalte." Hierauf oeffnete er die Tuer und lud mich ein, in das mir bekannte Speisezimmer voraus zu gehen. Als wir in demselben angelangt waren, sah ich, dass in ausgezeichnet schoenen weissen Linnen gedeckt sei, und zwar nur ein Gedecke, dass sich eingemachte Fruechte, Wein, Wasser und Brot auf dem Tische befanden und in einem Gefaesse verkleinertes Eis war, es in den Wein zu tun. Mein Raenzlein und meinen Schwarzdornstock sah ich nicht mehr, mein Hut aber lag noch auf seinem Platze. Mein Begleiter tat aus einer der Taschen seines Kleides ein, wie ich vermutete, silbernes Gloecklein hervor und laeutete. Sofort erschien eine Magd und brachte ein gebratenes Huhn und schoenen rot gesprenkelten Kopfsalat. Mein Gastherr lud mich ein, mich zu setzen und zu essen. Da es so freundlich geboten war, nahm ich es an. Obwohl ich wirklich schon einmal gegessen hatte, so war das vor dem Mittag gewesen, und ich war durch das Wandern wieder hungrig geworden. Ich genoss daher von dem Aufgesetzten. Mein Beherberger setzte sich zu mir, leistete mir Gesellschaft, ass und trank aber nichts. Da ich fertig war und die Essgeraete hingelegt hatte, bot er mir an, wenn ich nicht zu muede sei, mich in den Garten zu fuehren. Ich nahm es an. Er laeutete wieder mit dem Gloecklein, um den Befehl zu geben, dass man abraeume, und fuehrte mich nun nicht durch den Gang, durch welchen wir herein gekommen waren, sondern durch einen mit gewoehnlichen Steinen gepflasterten in den Garten. Er hatte jetzt ein kleines Haeubchen von durchbrochener Arbeit auf seinen weissen Haaren, wie man sie gerne Kindern aufsetzt, um ihre Locken gleichsam wie in einem Netze einzufangen. Als wir in das Freie kamen, sah ich, dass, waehrend ich ass, die Sonne auf das Haus zu scheinen aufgehoert hatte, sie war von der Gewitterwand ueberholt worden. Auf dem Garten sowie auf der Gegend lag der warme, trockene Schatten, wie er bei solchen Gelegenheiten immer erscheint. Aber die Gewitterwand hatte sich waehrend meines Aufenthaltes in dem Hause wenig veraendert und gab nicht die Aussicht auf baldigen Ausbruch des Regens. Ein Umblick ueberzeugte mich sogleich, dass der Garten hinter dem Hause sehr gross sei. Es war aber kein Garten, wie man sie gerne hinter und neben den Landhaeusern der Staedter anlegt, nehmlich, dass man unfruchtbare oder hoechstens Zierfruechte tragende Gebuesche und Baeume pflegt und zwischen ihnen Rasen und Sandwege oder einige Blumenhuegel oder Blumenkreise herrichtet, sondern es war ein Garten, der mich an den meiner Eltern bei dem Vorstadthause erinnerte. Es war da eine weitlaeufige Anlage von Obstbaeumen, die aber hinlaenglich Raum liessen, dass fruchtbare oder auch nur zum Bluehen bestimmte Gestraeuche dazwischen stehen konnten und dass Gemuese und Blumen vollstaendig zu gedeihen vermochten. Die Blumen standen teils in eigenen Beeten, teils liefen sie als Einfriedigung hin, teils befanden sie sich auf eigenen Plaetzen, wo sie sich schoen darstellten. Mich empfingen von jeher solche Gaerten mit dem Gefuehle der Haeuslichkeit und Nuetzlichkeit, waehrend die anderen einerseits mit keiner Frucht auf das Haus denken und andererseits wahrhaftig auch kein Wald sind. Was zur Rosenzeit bluehen konnte, bluehte und duftete, und weil eben die schweren Wolken am Himmel standen, so war aller Duft viel eindringender und staerker. Dies deutete doch wieder auf ein Gewitter hin. Nahe bei dem Hause befand sich ein Gewaechshaus. Es zeigte uns aber gegen den Weg, auf dem wir gingen, nicht seine Laenge, sondern seine Breite hin. Auch diese Breite, welche teilweise Gebuesche deckten, war mit Rosen bekleidet und sah aus wie ein Rosenhaeuschen im Kleinen. Wir gingen einen geraeumigen Gang, der mitten durch den Garten lief, entlang. Er war Anfangs eben, zog sich aber dann sachte aufwaerts. Auch im Garten waren die Rosen beinahe herrschend. Entweder stand hie und da auf einem geeigneten Platze ein einzelnes Baeumchen oder es waren Hecken nach gewissen Richtungen angelegt, oder es zeigten sich Abteilungen, wo sie gute Verhaeltnisse zum Gedeihen finden und sich dem Auge angenehm darstellen konnten. Eine Gruppe von sehr dunkeln, fast violetten Rosen war mit einem eigenen zierlichen Gitter umgeben, um sie auszuzeichnen oder zu schuetzen. Alle Blumen waren wie die vor dem Hause besonders rein und klar entwickelt, sogar die verbluehenden erschienen in ihren Blaettern noch kraftvoll und gesund. Ich machte in Einsicht des letzten Umstandes eine Bemerkung. "Habt ihr denn nie eine jener alten Frauen gesehen", sagte mein Begleiter, "die in ihrer Jugend sehr schoen gewesen waren und sich lange kraeftig erhalten haben? Sie gleichen diesen Rosen. Wenn sie selbst schon unzaehlige kleine Falten in ihrem Angesichte haben, so ist doch noch zwischen den Falten die Anmut herrschend und eine sehr schoene, liebe Farbe." Ich antwortete, dass ich das noch nie beobachtet haette, und wir gingen weiter. Es waren ausser den Rosen noch andere Blumen im Garten. Ganze Beete von Aurikeln standen an schattigen Orten. Sie waren wohl laengst verblueht, aber ihre starken gruenen Blaetter zeigten, dass sie in guter Pflege waren. Hie und da stand eine Lilie an einer einsamen Stelle, und voll entwickelte Nelken prangten in Toepfen auf einem eigenen Schragen, an dem Vorrichtungen angebracht waren, die Blumen vor Sonne zu bewahren. Sie waren noch nicht aufgeblueht, aber die Knospen waren weit vorgerueckt und liessen treffliche Blumen ahnen. Es mochten nur die auserwaehlten auf dem Schragen stehen; denn ich sah die Schule dieser Pflanzen, als wir etwas weiter kamen, in langen, weithingehenden Beeten angelegt. Sonst waren die gewoehnlichen Gartenblumen da, teils in Beeten, teils auf kleinen, abgesonderten Plaetzen, teils als Einfassungen. Besonders schien sich auch die Levkoje einer Vorliebe zu erfreuen, denn sie stand in grosser Anzahl und Schoenheit sowie in vielen Arten da. Ihr Duft ging wohltuend durch die Luefte. Selbst in Toepfen sah ich diese Blume gepflegt und an zutraegliche Orte gestellt. Was an Zwiebelgewaechsen, Hyazinthen, Tulpen und dergleichen vorhanden gewesen sein mochte, konnte ich nicht ermessen, da die Zeit dieser Blumen laengst vorueber war. Auch die Zeit der Bluetengestraeuche war vorueber, und sie standen nur mit ihren gruenen Blaettern am Wege oder an ihren Stellen. Die Gemuese nahmen die weiten und groesseren Raeume ein. Zwischen ihnen und an ihren Seiten liefen Anpflanzungen von Erdbeeren. Sie schienen besonders gehegt, waren haeufig aufgebunden und hatten Blechtaefelchen zwischen sich, auf denen die Namen standen. Die Obstbaeume waren durch den ganzen Garten verteilt, wir gingen an vielen vorueber. Auch an ihnen, besonders aber an den zahlreichen Zwergbaeumen, sah ich weisse Taefelchen mit Namen. An manchen Baeumen erblickte ich kleine Kaestchen von Holz, bald an dem Stamme, bald in den Zweigen. In unserem Oberlande gibt man den Staren gerne solche Behaelter, damit sie Ihr Nest in dieselben bauen. Die hier befindlichen Behaeltnisse waren aber anderer Art. Ich wollte fragen, aber in der Folge des Gespraeches vergass ich wieder darauf. Da wir in dem Garten so fortgingen, hoerte ich besonders aus seinem bebuschten Teile wieder die Vogelstimmen, die ich in dem Wartezimmer gehoert hatte, nur hier deutlicher und heller. Auch ein anderer Umstand fiel mir auf, da wir schon einen grossen Teil des Gartens durchwandert hatten; ich bemerkte nehmlich gar keinen Raupenfrass. Waehrend meines Ganges durch das Land hatte ich ihn aber doch gesehen, obwohl er mir, da er nicht ausserordentlich war und keinen Obstmisswachs befuerchten liess, nicht besonders aufgefallen war. Bei der Frische der Belaubung dieses Gartens fiel er mir wieder ein. Ich sah das Laub deshalb naeher an und glaubte zu bemerken, dass es auch vollkommener sei als anderwaerts, das gruene Blatt war groesser und dunkler, es war immer ganz, und die gruenen Kirschen und die kleinen Aepfelchen und Birnchen sahen recht gesund daraus hervor. Ich betrachtete, durch diese Tatsache aufmerksam gemacht, nun auch den Kohl genauer, der nicht weit von unserm Wege stand. An ihm zeigte keine kahle Rippe, dass die Raupe des Weisslings genagt habe. Die Blaetter waren ganz und schoen. Ich nahm mir vor, diese Beobachtung gegen meinen Begleiter gelegentlich zur Sprache zu bringen. Wir waren mittlerweile bis an das Ende der Pflanzungen gelangt, und es begann Rasengrund, der steiler anstieg, Anfangs mit Baeumen besetzt war, weiter oben aber kahl fortlief. Wir stiegen auf ihm empor. Da wir auf eine ziemliche Hoehe gelangt waren und Baeume die Aussicht nicht mehr hinderten, blieb ich ein wenig stehen, um den Himmel zu betrachten. Mein Begleiter hielt ebenfalls an. Das Gewitter stand nicht mehr gegen Sonnenuntergang allein, sondern jetzt ueberall. Wir hoerten auch entfernten Donner, der sich oefter wiederholte. Wir hoerten ihn bald gegen Sonnenuntergang, bald gegen Mittag, bald an Orten, die wir nicht angeben konnten. Mein Mann musste seiner Sache sehr sicher sein; denn ich sah, dass in dem Garten Arbeiter sehr eifrig an den mehreren Ziehbrunnen zogen, um das Wasser in die durch den Garten laufenden Rinnen zu leiten und aus diesen in die Wasserbehaelter. Ich sah auch bereits Arbeiter gehen, ihre Giesskannen in den Wasserbehaeltern fuellen und ihren Inhalt auf die Pflanzenbeete ausstreuen. Ich war sehr begierig auf den Verlauf der Dinge, sagte aber gar nichts, und mein Begleiter schwieg auch. Wir gingen nach kurzem Stillstande auf dem Rasengrunde wieder weiter aufwaerts, und zuletzt ziemlich steil. Endlich hatten wir die hoechste Stelle erreicht und mit ihr auch das Ende des Gartens. Jenseits senkte sich der Boden wieder sanft abwaerts. Auf diesem Platze stand ein sehr grosser Kirschbaum, der groesste Baum des Gartens, vielleicht der groesste Obstbaum der Gegend. Um den Stamm des Baumes lief eine Holzbank, die vier Tischchen nach den vier Weltgegenden vor sich hatte, dass man hier ausruhen, die Gegend besehen oder lesen und schreiben konnte. Man sah an dieser Stelle fast nach allen Richtungen des Himmels. Ich erinnerte mich nun ganz genau, dass ich diesen Baum wohl frueher bei meinen Wanderungen von der Strasse oder von anderen Stellen aus gesehen hatte. Er war wie ein dunkler, ausgezeichneter Punkt erschienen, der die hoechste Stelle der Gegend kroente. Man musste an heiteren Tagen von hier aus die ganze Gebirgskette im Sueden sehen, jetzt aber war nichts davon zu erblicken; denn alles floss in eine einzige Gewittermasse zusammen. Gegen Mitternacht erschien ein freundlicher Hoehenzug, hinter welchem nach meiner Schaetzung das Staedtchen Landegg liegen musste. Wir setzten uns ein wenig auf das Baenklein. Es schien, dass man an diesem Plaetzchen niemals vorueber gehen konnte, ohne sich zu setzen und eine kleine Umschau zu halten; denn das Gras war um den Baum herum abgetreten, dass der kahle Boden hervorsah, wie wenn ein Weg um den Baum ginge. Man musste sich daher gerne an diesem Platze versammeln. Als wir kaum ein Weilchen ausgeruht hatten, sah ich eine Gestalt aus den nicht sehr entfernten Bueschen und Baeumen hervortreten und gegen uns empor gehen. Da sie etwas naeher gekommen war, erkannte ich, dass es ein Gemische von Knabe und Juengling war. Zuweilen haette man meinen koennen, der Ankommende sei ganz ein Juengling, und zuweilen, er sei noch ganz ein Knabe. Er trug ein blau- und weissgestreiftes Leinenzeug als Bekleidung, um den Hals hatte er nichts und auf dem Haupte auch nichts als eine dichte Menge brauner Locken. Da er herzugekommen war, sagte er: "Ich sehe, dass du mit einem fremden Manne beschaeftigt bist, ich werde dich also nicht stoeren und wieder in den Garten hinab gehen." "Tue das", sagte mein Begleiter. Der Knabe machte eine schnelle und leichte Verbeugung gegen mich, wendete sich um und ging in derselben Richtung wieder zurueck, in der er gekommen war. Wie blieben noch sitzen. Am Himmel aenderte sich indessen wenig. Dieselbe Wolkendecke stand da, und wir hoerten denselben Donner. Nur da die Decke dunkler geworden zu sein schien, so wurde jetzt zuweilen auch ein Blitz sichtbar. Nach einer Zeit sagte mein Begleiter. "Eure Reise hat wohl nicht einen Zweck, der durch den Aufenthalt von einigen Stunden oder von einem Tage oder von einigen Tagen gestoert wuerde." "Es ist so, wie ihr gesagt habt", antwortete ich, "mein Zweck ist, soweit meine Kraefte reichen, wissenschaftliche Bestrebungen zu verfolgen und nebenbei, was ich auch nicht fuer unwichtig halte, das Leben in der freien Natur zu geniessen." "Dieses Letzte ist in der Tat auch nicht unwichtig", versetzte mein Nachbar, "und da ihr euren Reisezweck bezeichnet habt, so werdet ihr gewiss einwilligen, wenn ich euch einlade, heute nicht mehr weiter zu reisen, sondern die Nacht in meinem Hause zuzubringen. Wuenschet ihr dann am morgigen Tage und an mehreren darauf folgenden noch bei mir zu verweilen, so steht es nur bei euch, so zu tun." "Ich wollte, wenn das Gewitter auch lange angedauert haette, doch heute noch nach Rohrberg gehen", sagte ich. "Da ihr aber auf eine so freundliche Weise gegen einen unbekannten Reisenden verfahrt, so sage ich gerne zu, die heutige Nacht in eurem Hause zuzubringen und hin euch dafuer dankbar. Was morgen sein wird, darueber kann ich noch nicht entscheiden, weil das Morgen noch nicht da ist." "So haben wir also fuer die kommende Nacht abgeschlossen, wie ich gleich gedacht habe", sagte mein Begleiter, "ihr werdet wohl bemerkt haben, dass euer Raenzlein und euer Wanderstock nicht mehr in dem Speisezimmer waren, als ihr zum Essen dahin kamet." "Ich habe es wirklich bemerkt", antwortete ich. "Ich habe beides in euer Zimmer bringen lassen", sagte er, "weil ich schon vermutete, dass ihr diese Nacht in unserm Hause zubringen wuerdet." Die Beherbergung Nach einer Weile sagte mein Gastfreund: "Da ihr nun meine Nachtherberge angenommen habt, so koennten wir von diesem Baume auch ein wenig in das Freie gehen, dass ihr die Gegend besser kennen lernet. Wenn das Gewitter zum Ausbruche kommen sollte, so kennen wir wohl beide die Anzeichen genug, dass wir rechtzeitig umkehren, um ungefaehrdet das Haus zu erreichen." "So kann es geschehen", sagte ich, und wir standen von dem Baenkchen auf. Einige Schritte hinter dem Kirschbaume war der Garten durch eine starke Planke von der Umgebung getrennt. Als wir zu dieser Planke gekommen waren, zog mein Begleiter einen Schluessel aus der Tasche, oeffnete ein Pfoertchen, wir traten hinaus und er schloss hinter uns das Pfoertchen wieder zu. Hinter dem Garten fingen Felder an, auf denen die verschiedensten Getreide standen. Die Getreide, welche sonst wohl bei dem geringsten Luftzuge zu wanken beginnen mochten, standen ganz stille und pfeilrecht empor, das feine Haar der Aehren, ueber welches unsere Augen streiften, war gleichsam in einem unbeweglichen goldgruenen Schimmer. Zwischen dem Getreide lief ein Fusspfad durch. Derselbe war breit und ziemlich ausgetreten. Er ging den Huegel entlang, nicht steigend und nicht sinkend, so dass er immer auf dem hoechsten Teile der Anhoehe blieb. Auf diesem Pfade gingen wir dahin. Zu beiden Seiten des Weges stand gluehroter Mohn in dem Getreide, und auch er regte die leichten Blaetter nicht. Es war ueberall ein Zirpen der Grillen; aber dieses war gleichsam eine andere Stille und erhoehte die Erwartung, die aller Orten war. Durch die ueber den ganzen Himmel liegende Wolkendecke ging zuweilen ein tiefes Donnern, und ein blasser Blitz lueftete zeitweilig ihr Dunkel. Mein Begleiter ging ruhig neben mir und strich manchmal sachte mit der Hand an den gruenen Aehren des Getreides hin. Er hatte sein Netz von den weissen Haaren abgenommen, hatte es in die Tasche gesteckt und trug sein Haupt unbedeckt in der milden Luft, Unser Weg fuehrte uns zu einer Stelle, auf welcher kein Getreide stand. Es war ein ziemlich grosser Platz, der nur mit sehr kurzem Grase bedeckt war. Auf diesem Platze befand sich wieder eine hoelzerne Bank und eine mittelgrosse Esche. "Ich habe diesen Fleck freigelassen, wie ich ihn von meinen Vorfahren ueberkommen hatte", sagte mein Begleiter, "obwohl er, wenn man ihn urbar machte und den Baum ausgruebe, in einer Reihe von Jahren eine nicht unbedeutende Menge von Getreide gaebe. Die Arbeiter halten hier ihre Mittagsruhe und verzehren hier ihr Mittagsmahl, wenn es ihnen auf das Feld nachgebracht wird. Ich habe die Bank machen lassen, weil ich auch gerne da sitze, waere es auch nur, um den Schnittern zuzuschauen und die Feierlichkeit der Feldarbeiten zu betrachten. Alte Gewohnheiten haben etwas Beruhigendes, sei es auch nur das des Bestehenden und immer Gesehenen. Hier duerfte es aber mehr sein, weshalb die Stelle unbebaut blieb und der Baum auf derselben steht. Der Schatten dieser Esche ist wohl ein sparsamer, aber da er der einzige dieser Gegend ist, wird er gesucht, und die Leute, obwohl sie roh sind, achten gewiss auch auf die Aussicht, die man hier geniesst. Setzt euch nur zu mir nieder und betrachtet das Wenige, was uns heute der verschleierte Himmel goennt." Wir setzten uns auf die Bank unter der Esche, so dass wir gegen Mittag schauten. Ich sah den Garten wie einen gruenen Schoss schraeg unter mir liegen. An seinem Ende sah ich die weisse mitternaechtliche Mauer des Hauses und ueber der weissen Mauer das freundliche rote Dach. Von dem Gewaechshause war nur das Dach und der Schornstein ersichtlich. Weiter hin gegen Mittag war das Land und das Gebirge kaum zu erkennen wegen des blauen Wolkenschattens und des blauen Wolkenduftes. Gegen Morgen stand der weisse Turm von Rohrberg und gegen Abend war Getreide an Getreide, zuerst auf unserm Huegel, dann jenseits desselben auf dem naechsten Huegel und so fort, so weit die Huegel sichtbar waren. Dazwischen zeigten sich weisse Meierhoefe und andere einzelne Haeuser oder Gruppen von Haeusern. Nach der Sitte des Landes gingen Zeilen von Obstbaeumen zwischen den Getreidefeldern dahin, und in der Naehe von Haeusern oder Doerfern standen diese Baeume dichter, gleichsam wie in Waeldchen, beisammen. Ich fragte meinen Nachbar teils nach den Haeusern, teils nach dein Besitzern der Felder. "Die Felder von dem Kirschbaume gegen Sonnenuntergang hin bis zu der ersten Zeile von Obstbaeumen sind unser", sagte mein Begleiter. "Die wir von dem Kirschbaum bis hieher durchwandert haben, gehoeren auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen Gebaeuden, die ihr da unten seht, welche unsere Wirtschaftsgebaeude sind. Gegen Mitternacht erstrecken sie sich, wenn ihr umsehen wollt, bis zu jenen Wiesen mit den Erlenbueschen. Die Wiesen gehoeren auch uns und machen dort die Grenze unserer Besitzungen. Im Mittag gehoeren die Felder uns bis zur Einfriedigung von Weissdorn, wo ihr die Strasse verlassen habt. Ihr koennt also sehen, dass ein nicht ganz geringer Teil dieses Huegels von unserm Eigentume bedeckt ist. Wir sind von diesem Eigentume umringt wie von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue bricht." Mir fiel bei diesen Worten auf, dass er vom Eigentume immer die Ausdruecke uns und unser gebrauchte. Ich dachte, er werde etwa eine Gattin oder auch Kinder einbeziehen. Mir fiel der Knabe ein, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, vielleicht ist dieser ein Sohn von ihm. "Der Rest des Huegels ist an drei Meierhoefe verteilt", schloss er seine Rede, "welche unsere naechsten Nachbarn sind. Von den Niederungen an, die um den Huegel liegen, und jenseits welcher das Land wieder aufsteigt, beginnen unsere entfernteren Nachbarn." "Es ist ein gesegnetes, ein von Gott begluecktes Land", sagte ich. "Ihr habt recht gesprochen", erwiderte er, "Land und Halm ist eine Wohltat Gottes. Es ist unglaublich, und der Mensch bedenkt es kaum, welch ein unermesslicher Wert in diesen Graesern ist. Lasst sie einmal von unserem Erdteile verschwinden, und wir verschmachten bei allem unserem sonstigen Reichtume vor Hunger. Wer weiss, ob die heissen Laender nicht so duenn bevoelkert sind und das Wissen und die Kunst nicht so tragen wie die kaelteren, weil sie kein Getreide haben. Wie viel selbst dieser kleine Huegel gibt, wuerdet ihr kaum glauben. Ich habe mir einmal die Muehe genommen, die Flaeche dieses Huegels, soweit sie Getreideland ist, zu messen, um auf der Grundlage der Ertraegnisse unserer Felder und der Ertraegnisfaehigkeit der Felder der Nachbarn, die ich untersuchte, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu machen, welche Getreidemenge im Durchschnitte jedes Jahr auf diesem Huegel waechst. Ihr wuerdet die Zahlen nicht glauben, und auch ich habe sie mir vorher nicht so gross vorgestellt. Wenn es euch genehm ist, werde ich euch die Arbeit in unserem Hause zeigen. Ich dachte mir damals, das Getreide gehoere auch zu jenen unscheinbaren, nachhaltigen Dingen dieses Lebens wie die Luft. Wir reden von dem Getreide und von der Luft nicht weiter, weil von beiden so viel vorhanden ist und uns beide ueberall umgeben. Die ruhige Verbrauchung und Erzeugung zieht eine unermessliche Kette durch die Menschheit in den Jahrhunderten und Jahrtausenden. Ueberall, wo Voelker mit bestimmten geschichtlichen Zeichnungen auftreten und vernuenftige Staatseinrichtungen haben, finden wir sie schon zugleich mit dem Getreide, und wo der Hirte in lockeren Gesellschaftsbanden, aber vereint mit seiner Herde lebt, da sind es zwar nicht die Getreide, die ihn naehren, aber doch ihre geringeren Verwandten, die Graeser, die sein ebenfalls geringeres Dasein erhalten. - Aber verzeiht, dass ich da so von Graesern und Getreiden rede, es ist natuerlich, da ich da mitten unter ihnen wohne und auf ihren Segen erst in meinem Alter mehr achten lernte." "Ich habe nichts zu verzeihen", erwiderte ich; "denn ich teile eure Ansicht ueber das Getreide vollkommen, wenn ich auch ein Kind der grossen Stadt bin. Ich habe diese Gewaechse viel beachtet, habe darueber gelesen, freilich mehr von dem Standpunkte der Pflanzenkunde, und habe, seit ich einen grossen Teil des Jahres in der freien Natur zubringe, ihre Wichtigkeit immer mehr und mehr einsehen gelernt." "Ihr wuerdet es erst recht", sagte er, "wenn ihr Besitztuemer haettet oder auf euren Besitztuemern euch mit der Pflege dieser Pflanzen besonders abgaebet." "Meine Eltern sind in der Stadt", antwortete ich, "mein Vater treibt die Kaufmannschaft, und ausser einem Garten besitzt weder er noch ich einen liegenden Grund." "Das ist von grosser Bedeutung", erwiderte er, "den Wert dieser Pflanzen kann keiner vollstaendig ermessen, als der sie pflegt." Wir schwiegen nun eine Weile. Ich sah an seinen Wirtschaftsgebaeuden Leute beschaeftigt. Einige gingen an den Toren ab und zu, in haeuslichen Arbeiten begriffen, andere maehten in einer nahen Wiese Gras und ein Teil war bedacht, das im Laufe des Tages getrocknete Heu in hochbeladenen Waegen durch die Tore einzufahren. Ich konnte wegen der grossen Entfernung das Einzelne der Arbeiten nicht unterscheiden, so wie ich die eigentliche Bauart und die naehere Einrichtung der Gebaeude nicht wahrnehmen konnte. "Was ihr von den Haeusern und den Besitzern der Felder gesagt habt, dass ich sie euch nennen soll", fuhr er nach einer Weile fort, "so hat dies seine Schwierigkeit, besonders heute. Man kann zwar von diesem Platze aus die groesste Zahl der Nachbarn erblicken; aber heute, wo der Himmel umschleiert ist, sehen wir nicht nur das Gebirge nicht, sondern es entgeht uns auch mancher weisse Punkt des untern Landes, der Wohnungen bezeichnet, von denen ich sprechen moechte. Anderen Teils sind euch die Leute unbekannt. Ihr solltet eigentlich in der Gegend herumgewandert sein, in ihr gelebt haben, dass sie zu eurem Geiste spraeche und ihr die Bewohner verstuendet. Vielleicht kommt ihr wieder und bleibt laenger bei uns, vielleicht verlaengert ihr euren jetzigen Aufenthalt. Indessen will ich euch im Allgemeinen etwas sagen und von Besonderem hinzufuegen, was euch ansprechen duerfte. Ich besuche auch meiner Nachbarn willen gerne diesen Platz; denn ausserdem, dass hier auf der Hoehe selbst an den schoensten Tagen immer ein kuehler Luftzug geht, ausserdem dass ich hier unter meinen Arbeitern bin, sehe ich von hier aus alle, die mich umgeben, es faellt mir manches von ihnen ein, und ich ermesse, wie ich ihnen nuetzen kann oder wie ueberhaupt das Allgemeine gefoerdert werden moege. Sie sind im Ganzen ungebildete, aber nicht ungelehrige Leute, wenn man sie nach ihrer Art nimmt und nicht vorschnell in eine andere zwingen will. Sie sind dann meist auch gutartig. Ich habe von ihnen manches fuer mein Inneres gewonnen und ihnen manchen aeusseren Vorteil verschafft. Sie ahmen nach, wenn sie etwas durch laengere Erfahrung billigen. Man muss nur nicht ermueden. Oft haben sie mich zuerst verlacht und endlich dann doch nachgeahmt. In Vielem verlachen sie mich noch, und ich ertrage es. Der Weg da durch meine Felder ist ein kuerzerer, und da geht Mancher vorbei, wenn ich auf der Bank sitze, er bleibt stehen, er redet mit mir, ich erteile ihm Rat, und ich lerne aus seinen Worten. Meine Felder sind bereits ertragfaehiger gemacht worden als die ihrigen, das sehen sie, und das ist bei ihnen der haltbarste Grund zu mancher Betrachtung. Nur die Wiese, welche sich hinter unserem Ruecken befindet, tiefer als die Felder liegt und von einem kleinen Bache bewaessert wird, habe ich nicht so verbessern koennen, wie ich wollte; sie ist noch durch die Erlengestraeuche und durch die Erlenstoecke verunstaltet, die sich am Saume des Baechleins befinden und selbst hie und da Sumpfstellen veranlassen; aber ich kann die Sache im Wesentlichen nicht abaendern, weil ich die Erlengestraeuche und Erlenstoecke zu anderen Dingen notwendig brauche." Um meine Frage nach dem Einzelnen seiner Nachbarn zu unterbrechen, die er, wie ich jetzt einsah, nicht beantworten konnte, wenigstens nicht, wie sie gestellt war, fragte ich ihn, ob denn zu seinem Anwesen nicht auch Waldgrund gehoere. "Allerdings", antwortete er, "aber derselbe liegt nicht so nahe, als es der Bequemlichkeit wegen wuenschenswert waere; aber er liegt auch entfernt genug, dass die Schoenheit und Anmut dieses Getreidehuegels nicht gestoert wird. Wenn ihr auf dem Wege nach Rohrberg fortgegangen waeret, statt zu unserem Hause heraufzusteigen, so wuerdet ihr nach einer halben Stunde Wanderns zu eurer Rechten dicht an der Strasse die Ecke eines Buchenwaldes gefunden haben, um welche die Strasse herum geht. Diese Ecke erhebt sich rasch, erweitert sich nach rueckwaerts, wohin man von der Strasse nicht sehen kann, und gehoert einem Walde an, der weit in das Land hinein geht. Man kann von hier aus ein grosses Stueck sehen. Dort links von dem Felde, auf welchem die junge Gerste steht." "Ich kenne den Wald recht gut", sagte ich, "er schlingt sich um eine Hoehe und beruehrt die Strasse nur mit einem Stuecke; aber wenn man ihn betritt, lernt man seine Groesse kennen. Es ist der Alizwald. Er hat maechtige Buchen und Ahorne, die sich unter die Tannen mischen. Die Aliz geht von ihm in die Agger. An der Aliz stehen beiderseits hohe Felsen mit seltenen Kraeutern, und von ihnen geht gegen Mittag ein Streifen Landes mit den allerstaerksten Buchen talwaerts." "Ihr kennt den Wald", sagte er. "Ja", erwiderte ich, "ich bin schon in ihm gewesen. Ich habe dort die groesste Doppelbuche gezeichnet, die ich je gesehen, ich habe Pflanzen und Steine gesammelt und die Felsenlagen betrachtet." "Jener Waldstreifen, der mit den starken Buchen bestanden ist, und noch mehreres Land jenes Waldes gehoert zu diesem Anwesen", sagte mein Beherberger. "Es ist weiter von da gegen Mittag auch ein Bergbuehel unser, auf dem stellenweise die Birke sehr verkrueppelt vorkommt, welche zum Brennen wenig taugt, aber Holz zu feinen Arbeiten gibt." "Ich kenne den Buehel auch", sagte ich, "dort geht der Granit zu Ende, aus dem der ganze mitternaechtliche Teil unseres Landes besteht, und es beginnt gegen Mittag zu nach und nach der Kalk, der endlich in den hoechsten Gebirgen die Landesgrenze an der Mittagseite macht." "Ja, der Buehel ist der suedlichste Granitblock", sagte mein Begleiter, "er uebersetzt sogar die Waesser. Wir koennen hier trotz des Duftes der Wolken hie und da die Grenze sehen, in der sich der Granit abschneidet." "Dort ist die Klamspitze", sagte er, "die noch Granit hat, rechts der Gaisbuehl, dann die Asser, der Losen und zuletzt die Grumhaut, die noch zu sehen ist." Ich stimmte in allem bei. Der Abend kam indessen immer naeher und naeher, und der Nachmittag war bedeutend vorgerueckt. Das Gewitter an dem Himmel war mir aber endlich besonders merkwuerdig geworden. Ich hatte den Ausbruch desselben, als ich den Huegel zu dem weissen Hause empor stieg, um eine Unterkunft zu suchen, in kurzer Zeit erwartet; und nun waren Stunden vergangen und es war noch immer nicht ausgebrochen. Ueber den ganzen Himmel stand es unbeweglich. Die Wolkendecke war an manchen Stellen fast finster geworden und Blitze zuckten aus diesen Stellen bald hoeher, bald tiefer hervor. Der Donner folgte in ruhigem, schwerem Rollen auf diese Blitze; aber in der Wolkendecke zeigte sich kein Zusammensammeln zu einem einzigen Gewitterballen, und es war kein Anschicken zu einem Regen. Ich sagte endlich zu meinem Nachbar, indem ich auf die Maenner zeigte, welche weiter unten in der Niederung, in welcher die Wirtschaftsgebaeude lagen, Gras machten: "Diese scheinen auch auf kein Gewitter und auf kein gewoehnliches Nachregnen fuer den morgigen Tag zu rechnen, weil sie jetzt Gras maehen, das ihnen in der Nacht ein tuechtiger Regen durchnaessen oder morgen eine kraeftige Sonne zu Heu trocknen kann." "Diese wissen gar nichts von dem Wetter", sagte mein Begleiter, "und sie maehen das Gras nur, weil ich es so angeordnet habe." Das waren die einzigen Worte, die er ueber das Wetter gesprochen hatte. Ich veranlasste ihn auch nicht zu mehreren. Wir gingen von diesem Feldersitze, auf dem wir nun schon eine Weile gesessen waren, nicht mehr weiter von dem Hause weg, sondern, nachdem wir uns erhoben hatten, schlug mein Begleiter wieder den Rueckweg ein. Wir gingen auf demselben Wege zurueck, auf dem wir gekommen waren. Die Donner erschallten nun sogar lauter und verkuendeten sich bald an dieser Stelle des Himmels, bald an jener. Als wir wieder in den Garten eingetreten waren, als mein Begleiter das Pfoertchen hinter sich geschlossen hatte, und als wir von dem grossen Kirschbaume bereits abwaerts gingen, sagte er zu mir: "Erlaubt, dass ich nach dem Knaben rufe und ihm etwas befehle." Ich stimmte sogleich zu, und er rief gegen eine Stelle des Gebuesches: "Gustav!" Der Knabe, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, kam fast an der nehmlichen Stelle des Gartens zum Vorscheine, an welcher er frueher herausgetreten war. Da er jetzt laenger vor uns stehen blieb, konnte ich ihn genauer betrachten. Sein Angesicht erschien mir sehr rosig und schoen, und besonders einnehmend zeigten sich die grossen schwarzen Augen unter den braunen Locken, die ich schon frueher beobachtet hatte. "Gustav", sagte mein Begleiter, "wenn du noch an deinem Tische oder sonst irgendwo in dem Garten bleiben willst, so erinnere dich an das, was ich dir ueber Gewitter gesagt habe. Da die Wolken ueber den ganzen Himmel stehen, so weiss man nicht, wann ueberhaupt ein Blitz auf die Erde niederfaehrt und an welcher Stelle er sie treffen wird. Darum verweile unter keinem hoeheren Baume. Sonst kannst du hier bleiben, wie du willst. Dieser Herr bleibt heute bei uns, und du wirst zur Abendspeisestunde in dem Speisezimmer eintreffen." "Ja", sagte der Knabe, verneigte sich und ging wieder auf einem Sandwege in die Gestraeuche des Gartens zurueck. "Dieser Knabe ist mein Pflegesohn", sagte mein Begleiter, "er ist gewohnt, zu dieser Tageszeit einen Spaziergang mit mir zu machen, darum kam er, da wir bei dem Kirschbaume sassen, von seinem Arbeitstische, den er im Garten hat, zu uns empor, um mich zu suchen; allein da er sah, dass ein Fremder da sei, ging er wieder an seine Stelle zurueck." Mir, der ich mich an den einfachen, folgerichtigen Ausdruck gewoehnt hatte, fiel es jetzt abermals auf, dass mein Begleiter, der, wenn er von seinen Feldern redete, fast immer den Ausdruck unser gebraucht hatte, nun, da er von seinem Pflegesohne sprach, den Ausdruck mein waehlte, da er doch, wenn er etwa seine Gattin einbezog, jetzt auch das Wort unser gebrauchen sollte. Als wir von dem Rasengrunde hinab gekommen waren und den bepflanzten Garten betreten hatten, gingen wir in ihm auf einem anderen Wege zurueck als auf dem wir herauf gegangen waren. Auf diesem Wege sah ich nun, dass der Besitzer des Gartens auch Weinreben in demselben zog, obwohl das Land der Pflege dieses Gewaechses nicht ganz guenstig ist. Es waren eigene dunkle Mauern aufgefuehrt, an denen die Reben mittelst Holzgittern empor geleitet wurden. Durch andere Mauern wurden die Winde abgehalten. Gegen Mittag allein waren die Stellen offen. So sammelte er die Hitze und gewaehrte Schutz. Auch Pfirsiche zog er auf dieselbe Weise, und aus den Blaettern derselben schloss ich auf sehr edle Gattungen. Wir gingen hier an grossen Linden vorueber, und in ihrer Naehe erblickte ich ein Bienenhaus. Von dem Gewaechshause sah ich auf dem Rueckwege wohl die Laengenseite, konnte aber nichts Naeheres erkennen, weil mein Begleiter den Weg zu ihm nicht einschlug. Ich wollte ihn auch nicht eigens darum ersuchen: ich vermutete, dass er mich zu seiner Familie fuehren wuerde. Da wir an dem Hause angekommen waren, geleitete er mich bei dem gemeinschaftlichen Eingange desselben hinein, fuehrte mich ueber eine gewoehnliche Sandsteintreppe in das erste Stockwerk und ging dort mit mir einen Gang entlang, in dem viele Tueren waren. Eine derselben oeffnete er mit einem Schluessel, den er schon in seiner Tasche in Bereitschaft hatte, und sagte: "Das ist euer Zimmer, solange ihr in diesem Hause bleibt. Ihr koennt jetzt in dasselbe eintreten oder es verlassen, wie es euch gefaellt. Nur muesset ihr um acht Uhr wieder da sein, zu welcher Stunde ihr zum Abendessen werdet geholt werden. Ich muss euch nun allein lassen. In dem Wartezimmer habt ihr heute in Humboldts Reisen gelesen, ich habe das Buch in dieses Zimmer legen lassen. Wuenschet ihr fuer jetzt oder fuer den Abend noch irgend ein Buch, so nennt es, dass ich sehe, ob es in meiner Buechersammlung enthalten ist." Ich lehnte das Anerbieten ab und sagte, dass ich mit dem Vorhandenen schon zufrieden sei, und wenn ich mich ausser Humboldt mit noch andern Buchstaben beschaeftigen wolle, so habe ich in meinem Raenzchen schon Vorrat, um teils etwas mit Bleifeder zu schreiben, teils frueher Geschriebenes durchzulesen und zu verbessern, welche Beschaeftigung ich auf meinen Wanderungen haeufig Abends vornehme. Er verabschiedete sich nach diesen Worten, und ich ging zur Tuer hinein. Ich uebersah mit einem Blicke das Zimmer. Es war ein gewoehnliches Fremdenzimmer, wie man es in jedem groesseren Hause auf dem Lande hat, wo man zuweilen in die Lage koemmt, Herberge erteilen zu muessen. Die Geraete waren weder neu, noch nach der damals herrschenden Art gemacht, sondern aus verschiedenen Zeiten, aber nicht unangenehm ins Auge fallend. Die Ueberzuege der Sessel und des Ruhebettes waren gepresstes Leder, was man damals schon selten mehr fand. Eine gesellige Zugabe, die man nicht haeufig in solchen Zimmern findet, war eine altertuemliche Pendeluhr in vollem Gange. Mein Raenzlein und mein Stock lagen, wie der Mann gesagt hatte, schon in diesem Zimmer. Ich setzte mich nieder, nahm nach einer Weile mein Raenzlein, oeffnete es und blaetterte in den Papieren, die ich daraus hervor genommen hatte, und schrieb gelegentlich in denselben. Da endlich die Daemmerung gekommen war, stand ich auf, ging gegen eines der beiden offenstehenden Fenster, lehnte mich hinaus und sah herum. Es war wieder Getreide, das ich vor mir auf dem sachte hinabgehenden Huegel erblickte. Am Morgen dieses Tages, da ich von meiner Nachtherberge aufgebrochen war, hatte ich auch Getreide rings um mich gesehen; aber dasselbe war in einem lustigen Wogen begriffen gewesen, waehrend dieses reglos und unbewegt war wie ein Heer von lockeren Lanzen. Vor dem Hause war der Sandplatz, den ich bei meiner Ankunft schon gesehen und betreten hatte. Meine Fenster gingen also auf der Seite der Rosenwand heraus. Von dem Garten toente noch schwaches Vogelgezwitscher herueber, und der Duft von den Tausenden der Rosen stieg wie eine Opfergabe zu mir empor. An dem Himmel, dessen Daemmerung heute viel frueher gekommen war, hatte sich eine Veraenderung eingefunden. Die Wolkendecke war geteilt, die Wolken standen in einzelnen Stuecken gleichsam wie Berge an dem Gewoelbe herum, und einzelne reine Teile blickten zwischen ihnen heraus. Die Blitze aber waren staerker und haeufiger, die Donner klangen heller und kuerzer. Als ich eine Weile bei dem Fenster hinaus gesehen hatte, hoerte ich ein Pochen an meiner Tuer, eine Magd trat herein und meldete, dass man mich zum Abendessen erwarte. Ich legte meine Papiere auf das Tischchen, das neben meinem Bette stand, legte den Humboldt darauf und folgte der Magd, nachdem ich die Tuer hinter mir gesperrt hatte. Sie fuehrte mich in das Speisezimmer. Bei dem Eintritte sah ich drei Personen: den alten Mann, der mit mir den Spaziergang gemacht hatte, einen andern, ebenfalls aeltlichen Mann, der durch nichts besonders auffiel als durch seine Kleidung, welche einen Priester verriet, und den Pflegesohn des Hausbesitzers in seinem blaugestreiften Linnengewande. Der Herr des Hauses stellte mich dem Priester vor, indem er sagte: "Das ist der hochwuerdige Pfarrer von Rohrberg, der ein Gewitter fuerchtet und deshalb diese Nacht in unserm Hause zubringen wird", und dann auf mich weisend fuegte er bei: "Das ist ein fremder Reisender, der auch heute unser Dach mit uns teilen wird." Nach diesen Worten und nach einem kurzen stummen Gebete setzten wir uns zu dem Tische an unsere angewiesenen Plaetze. Das Abendessen war sehr einfach. Es bestand aus Suppe, Braten und Wein, zu welchem, wie zu dem an meinem Mittagsmahle, verkleinertes Eis gestellt wurde. Dieselbe Magd, welche mir mein Mittagessen gebracht hatte, bediente uns. Ein maennlicher Diener kam nicht in das Zimmer. Der Pfarrer und mein Gastfreund sprachen oefter Dinge, die die Gegend betrafen, und ich ward gelegentlich einbezogen, wenn es sich um Allgemeineres handelte. Der Knabe sprach gar nicht. Die Dunkelheit des Abends wurde endlich so stark, dass die Kerzen, welche frueher mit der Daemmerung gekaempft hatten, nun vollkommen die Herrschaft behaupteten, und die schwarzen Fenster nur zeitweise durch die hereinleuchtenden Blitze erhellt wurden. Da das Essen beendet war und wir uns zur Trennung anschickten, sagte der Hauswirt, dass er den Pfarrer und mich ueber die naehere Treppe in unser Zimmer fuehren wuerde. Wir nahmen jeder eine Wachskerze, die uns angezuendet von der Magd gereicht wurde, waehrend dessen sich der Knabe Gustav empfahl und durch die gewoehnliche Tuer entfernte. Der Hauseigentuemer fuehrte uns bei der Tuer hinaus, bei der ich zuerst herein gekommen war. Wir befanden uns draussen in dem schoenen Marmorgange, von dem eine gleiche Marmortreppe emporfuehrte. Wir durften die Filzschuhe nicht anziehen, weil jetzt ueber den Gang und die Treppe ein Tuchstreifen lag, auf dem wir gingen. In der Mitte der Treppe, wo sie einen Absatz machte, gleichsam einen erweiterten Platz oder eine Stiegenhalle, stand eine Gestalt aus weissem Marmor auf einem Gestelle. Durch ein paar Blitze, die eben jetzt fielen und das Haupt und die Schultern der Marmorgestalt noch roeter beschienen, als es unsere Kerzen konnten, ersah ich, dass der Platz und die Treppe von oben herab durch eine Glasbedeckung ihre Beleuchtung empfangen mussten. Als wir an das Ende der Treppe gelangt waren, wendete sich der Hauswirt mit uns durch eine Tuer links, und wir befanden uns in jenem Gange, in welchem mein Zimmer lag. Es war der Gang der Gastzimmer, wie ich nun zu erkennen vermeinte. Unser Gastfreund bezeichnete eines als das des Pfarrers und fuehrte mich zu dem meinigen. Als wir in dasselbe getreten waren, fragte er mich, ob ich zu meiner Bequemlichkeit noch etwas wuensche, besonders, ob mir Buecher aus seinem Buecherzimmer genehm waeren. Als ich sagte, dass ich keinen Wunsch habe und bis zum Schlafen schon Beschaeftigung finden wuerde, antwortete er: "Ihr seid in eurem Gemache und in eurem Rechte. Schlummert denn recht wohl." "Ich wuensche euch auch eine gute Nacht", erwiderte ich, "und sage euch Dank fuer die Muehe, die ihr heute mit mir gehabt habet." "Es war keine Muehe", antwortete er, "denn sonst haette ich sie mir ja ersparen koennen, wenn ich euch gar nicht zu Nacht geladen haette." "So ist es", antwortete ich. "Erlaubt", sagte er, indem er ein kleines Wachskerzchen hervorzog und an meinem Lichte anzuendete. Nachdem er dieses Geschaeft vollbracht hatte, verbeugte er sich, was ich erwiderte, und ging auf den Gang hinaus. Ich schloss hinter ihm die Tuer, legte meinen Rock ab und lueftete mein Halstuch, weil, obgleich es schon spaet war, die ruhige Nacht noch immer eine grosse Hitze und Schwuele in sich hegte. Ich ging einige Male in dem Zimmer hin und her, trat dann an ein Fenster, lehnte mich hinaus und betrachtete den Himmel. So viel die Dunkelheit und die noch immer hell leuchtenden Blitze erkennen liessen, war die Gestalt der Dinge dieselbe, wie sie am Abend vor dem Speisen gewesen war. Wolkentruemmer standen an dem Himmel und, wie die Sterne zeigten, waren zwischen ihnen reine Stellen. Zu Zeiten fuhr ein Blitz aus ihnen ueber den Getreidehuegel und die Wipfel der unbewegten Baeume, und der Donner rollte ihm nach. Als ich eine Weile die freie Luft genossen hatte, schloss ich mein Fenster, schloss auch das andere und begab mich zur Ruhe. Nachdem ich noch eine Zeit lang, wie es meine Gewohnheit war, in dem Bette gelesen und mitunter sogar mit Bleifeder etwas in meine Schriften geschrieben hatte, loeschte ich das Licht aus und richtete mich zum Schlafen. Ehe der Schlummer voellig meine Sinne umfing, hoerte ich noch, wie sich draussen ein Wind erhob und die Wipfel der Baeume zu starkem Rauschen bewegte. Ich hatte aber nicht mehr genug Kraft, mich zu ermannen, sondern entschlief gleich darauf voellig. Ich schlief recht ruhig und fest. Als ich erwachte, war mein Erstes, zu sehen, ob es geregnet habe. Ich sprang aus dem Bette und riss die Fenster auf. Die Sonne war bereits aufgegangen, der ganze Himmel war heiter, kein Lueftchen ruehrte sich, aus dem Garten toente das Schmettern der Voegel, die Rosen dufteten und die Erde zu meinen Fuessen war vollkommen trocken. Nur der Sand war ein wenig gegen das Gruen des begrenzenden Rasens gefegt worden, und ein Mann war beschaeftigt, ihn wieder zu ebnen und in ein gehoeriges Gleichgewicht zu bringen. Also hatte mein Gegner Recht gehabt, und ich war begierig, zu erfahren, aus welchen Gruenden er seine Gewissheit, die er so sicher gegen mich behauptet hatte, geschoepft und wie er diese Gruende entdeckt und erforscht habe. Um das recht bald zu erfahren und meine Abreise nicht so lange zu verzoegern, beschloss ich, mich anzukleiden und meinen Gastherrn ungesaeumt aufzusuchen. Als ich mit meinem Anzuge fertig, war und mich in das Speisezimmer hinab begeben hatte, fand ich dort eine Magd mit den Vorbereitungen zu dem Fruehmahle beschaeftigt und fragte nach dem Herrn. "Er ist in dem Garten auf der Fuetterungstenne", sagte sie. "Und wo ist die Fuetterungstenne, wie du es nennst?" sprach ich. "Gleich hinter dem Hause und nicht weit von den Glashaeusern", erwiderte sie. Ich ging hinaus und schlug die Richtung gegen das Gewaechshaus ein. Vor demselben fand ich meinen Gastfreund auf einem Sandplatze. Es war derselbe Platz, von dem aus ich schon gestern das Gewaechshaus mit seiner schmalen Seite und dem kleinen Schornsteine gesehen hatte. Diese Seite war mit Rosen bekleidet, dass das Haus wie ein zweites, kleines Rosenhaeuschen hervor sah. Mein Gastfreund war in einer seltsamen Beschaeftigung begriffen. Eine Unzahl Voegel befand sich vor ihm auf dem Sande. Er hatte eine Art von laenglichem geflochtenem Korbdeckel in der Hand und streuete aus demselben Futter unter die Voegel. Er schien sich daran zu ergoetzen, wie sie pickten, sich ueberkletterten, ueberstuerzten und kollerten, wie die gesaettigten davon flogen und wieder neue herbei schwirrten. Ich erkannte es nun endlich, dass ausser den gewoehnlichen Gartenvoegeln auch solche da waren, die mir sonst nur von tiefen und weit abgelegenen Waeldern bekannt waren. Sie erschienen gar nicht so scheu, als ich mit allem Rechte vermuten musste. Sie trauten ihm vollkommen. Er stand wieder barhaeuptig da, so dass es mir schien, dass er diese Sitte liebe, da er auch gestern auf dem Spaziergange seine so leichte Kopfbedeckung eingesteckt hatte. Seine Gestalt war vorgebeugt und die schlichten, aber vollen weissen Haare hingen an seinen Schlaefen herab. Sein Anzug war auch heute wieder sonderbar. Er hatte wie gestern eine Art Jacke an, die fast bis auf die Knie hinab reichte. Sie war weisslich, hatte jedoch ueber die Brust und den Ruecken hinab einen roetlichbraunen Streifen, der fast einen halben Fuss breit war, als waere die Jacke aus zwei Stoffen verfertigt worden, einem weissen und einem roten. Beide Stoffe aber zeigten ein hohes Alter; denn das Weiss war gelblichbraun und das Rot zu Purpurbraun geworden. Unter der Jacke sah eine unscheinbare Fussbekleidung hervor, die mit Schnallenschuhen endete. Ich blieb hinter seinem Ruecken in ziemlicher Entfernung stehen, um ihn nicht zu stoeren und die Voegel nicht zu verscheuchen. Als er aber seinen Korb geleert hatte und seine Gaeste fortgeflogen waren, trat ich naeher. Er hatte sich eben umgewendet, um zurueckzugehen, und da er mich erblickte, sagte er: "Seid ihr schon ausgegangen? Ich hoffe, dass ihr gut geschlafen habt." "Ja, ich habe sehr gut geschlafen", erwiderte ich, "ich habe noch den Wind gehoert, der sich gestern Abends erhoben hat, was weiter geschehen ist, weiss ich nicht; aber das weiss ich, dass heute die Erde trocken ist und dass ihr Recht gehabt habet." "Ich glaube, dass nicht ein Tropfen auf diese Gegend vom Himmel gefallen ist", antwortete er. "Wie das Aussehen der Erde zeigt, glaube ich es auch", erwiderte ich; "aber nun muesst ihr mir auch wenigstens zum Teile sagen: woher ihr dies so gewiss wissen konntet und wie ihr euch diese Kenntnis erworben habt; denn das muesst ihr zugestehen, dass sehr viele Zeichen gegen euch waren." "Ich will euch etwas sagen", antwortete er, "die Darlegung der Sache, die ihr da verlangt, duerfte etwas lang werden, da ich sie euch, der sich mit Wissenschaften beschaeftigt, doch nicht oberflaechlich geben kann: verspreche mir, den heutigen Tag und die Nacht noch bei uns zuzubringen, da kann ich euch nicht nur dieses sagen, sondern noch vieles Andere, ihr koennt Verschiedenes anschauen, und ihr koennt mir von eurer Wissenschaft erzaehlen." Dieses offen und freundlich gemachte Anerbieten konnte ich nicht ausschlagen, auch erlaubte mir meine Zeit recht gut, nicht nur einen, sondern mehrere Tage zu einer Nebenbeschaeftigung zu verwenden. Ich gebrauchte daher die gewoehnliche Redeweise von Nichtlaestigfallenwollen und sagte unter dieser Bedingung zu. "Nun so geht mit mir zuerst zu einem Fruehmahle, das ich mit euch teilen will", sagte er, "der Herr Pfarrer von Rohrberg hat uns schon vor Tagesanbruch verlassen, um zu rechter Zeit in seiner Kirche zu sein, und Gustav ist bereits zu seiner Arbeit gegangen." Mit diesen Worten wendeten wir uns auf den Rueckweg zu dem Hause. Als wir dort angekommen waren, gab er das, was ich Anfangs fuer einen Korbdeckel gehalten hatte, was aber ein eigens geflochtenes, sehr flaches und laengliches Fuetterungskoerbchen war, einer Magd, dass sie es auf seinen Platz lege, und wir gingen in das Speisezimmer. Waehrend des Fruehmahles sagte ich: "Ihr habt selbst davon gesprochen, dass ich hier Verschiedenes anschauen koenne, waere es denn zu unbescheiden, wenn ich baete, von dem Hause und dessen Umgebung Manches naeher besehen zu duerfen. Es ist eine der lieblichsten Lagen, in der dieses Anwesen liegt, und ich habe bereits so Vieles davon gesehen, was meine Aufmerksamkeit aufregte, dass der Wunsch natuerlich ist, noch Mehreres besehen zu duerfen." "Wenn es euch Vergnuegen macht, unser Haus und einiges Zubehoer zu besehen", antwortete er, "so kann das gleich nach dem Fruehmahle geschehen, es wird nicht viele Zeit in Anspruch nehmen, da das Gebaeude nicht so gross ist. Es wird sich dann auch das, was wir noch zu reden haben, natuerlicher und verstaendlicher ergeben." "Ja freilich", sagte ich, "macht es mir Vergnuegen." Wir schritten also nach dem Fruehmahle zu diesem Geschaefte. Er fuehrte mich ueber die Treppe, auf welcher die weisse Marmorgestalt stand, hinauf. Heute fiel statt des roten zerstreuten Lichtes der Kerzen und der Blitze von der vergangenen Nacht das stille weisse Tageslicht auf sie herab und machte die Schultern und das Haupt in sanftem Glanze sich erhellen. Nicht nur die Treppe war in diesem Stiegenhause von Marmor, sondern auch die Bekleidung der Seitenwaende. Oben schloss gewoelbtes Glas, das mit feinem Drahte ueberspannt war, die Raeume. Als wir die Treppe erstiegen hatten, oeffnete mein Gastfreund eine Tuer, die der gegenueber war, die zu dem Gange der Gastzimmer fuehrte. Die Tuer ging in einen grossen Saal. Auf der Schwelle, an der der Tuchstreifen, welcher ueber die Treppe empor lag, endete, standen wieder Filzschuhe. Da wir jeder ein Paar derselben angezogen hatten, gingen wir in den Saal. Er war eine Sammlung von Marmor. Der Fussboden war aus dem farbigsten Marmor zusammengestellt, der in unseren Gebirgen zu finden ist. Die Tafeln griffen so ineinander, dass eine Fuge kaum zu erblicken war, der Marmor war sehr fein geschliffen und geglaettet, und die Farben waren so zusammengestellt, dass der Fussboden wie ein liebliches Bild zu betrachten war. Ueberdies glaenzte und schimmerte er noch in dem Lichte, das bei den Fenstern hereinstroemte. Die Seitenwaende waren von einfachen, sanften Farben. Ihr Sockel war mattgruen, die Haupttafeln hatten den lichtesten, fast weissen Marmor, den unsere Gebirge liefern, die Flachsaeulen waren schwach rot und die Simse, womit die Waende an die Decke stiessen, waren wieder aus schwach Gruenlich und Weiss zusammengestellt, durch welche ein Gelb wie schoene Goldleisten lief. Die Decke war blassgrau und nicht von Marmor, nur in der Mitte derselben zeigte sich eine Zusammenstellung von roten Amoniten, und aus derselben ging die Metallstange nieder, welche in vier Armen die vier dunkeln, fast schwarzen Marmorlampen trug, die bestimmt waren, in der Nacht diesen Raum beleuchten zu koennen. In dem Saale war kein Bild, kein Stuhl, kein Geraete, nur in den drei Waenden war jedesmal eine Tuer aus schoenem, dunklem Holze eingelegt, und in der vierten Wand befanden sich die drei Fenster, durch welche der Saal bei Tag beleuchtet wurde. Zwei davon standen offen, und zu dem Glanze des Marmors war der Saal auch mit Rosenduft erfuellt. Ich drueckte mein Wohlgefallen ueber die Einrichtung eines solchen Zimmers aus; den alten Mann, der mich begleitete, schien dieses Vergnuegen zu erfreuen, er sprach aber nicht weiter darueber. Aus diesem Saale fuehrte er mich durch eine der Tueren in eine Stube, deren Fenster in den Garten gingen. "Das ist gewissermassen mein Arbeitszimmer", sagte er, "es hat ausser am fruehen Morgen nicht viel Sonne, ist daher im Sommer angenehm, ich lese gerne hier oder schreibe oder beschaeftige mich sonst mit Dingen, die Anteil einfloessen." Ich dachte mit Lebhaftigkeit, ich koennte sagen mit einer Art Sehnsucht auf meinen Vater, da ich diese Stube betreten hatte. In ihr war nichts mehr von Marmor, sie war wie unsere gewoehnlichen Stuben; aber sie war mit altertuemlichen Geraeten eingerichtet, wie sie mein Vater hatte und liebte. Allein die Geraete erschienen mir so schoen, dass ich glaubte, nie etwas ihnen Aehnliches gesehen zu haben. Ich unterrichtete meinen Gastfreund von der Eigenschaft meines Vaters und erzaehlte ihm in Kurzem von den Dingen, welche derselbe besass. Auch bat ich, die Sachen naeher betrachten zu duerfen, um meinem Vater nach meiner Zurueckkunft von ihnen erzaehlen und sie ihm, wenn auch nur notduerftig, beschreiben zu koennen. Mein Begleiter willigte sehr gerne in mein Begehren. Es war vor allem ein Schreibschrein, welcher meine Aufmerksamkeit erregte, weil er nicht nur das groesste, sondern wahrscheinlich auch das schoenste Stueck des Zimmers war. Vier Delphine, welche sich mit dem Unterteil ihrer Haeupter auf die Erde stuetzten und die Leiber in gewundener Stellung emporstreckten, trugen den Koerper des Schreines auf diesen gewundenen Leibern. Ich glaubte Anfangs, die Delphine seien aus Metall gearbeitet, mein Begleiter sagte mir aber, dass sie aus Lindenholz geschnitten und nach mittelalterlicher Art zu dem gelblich gruenlichen Metalle hergerichtet waren, dessen Verfertigung man jetzt nicht mehr zuwege bringt. Der Koerper des Schreines hatte eine allseitig gerundete Arbeit mit sechs Faechern. Ueber ihm befand sich das Mittelstueck, das in einer guten Schwingung flach zurueckging und die Klappe enthielt, die geoeffnet zum Schreiben diente. Von dem Mittelstuecke erhob sich der Aufsatz mit zwoelf geschwungenen Faechern und einer Mitteltuer. An den Kanten des Aufsatzes und zu beiden Seiten der Mitteltuer befanden sich als Saeulen vergoldete Gestalten. Die beiden groessten zu den Seiten der Tuer waren starke Maenner, die die Hauptsimse trugen. Ein Schildchen, das sich auf ihrer Brust oeffnete, legte die Schluesseloeffnungen dar. Die zwei Gestalten an den vorderen Seitenkanten waren Meerfraeulein, die in Uebereinstimmung mit den Tragfischen jedes in zwei Fischenden ausliefen. Die zwei letzten Gestalten an den hintern Seitenkanten waren Maedchen in faltigen Gewaendern. Alle Leiber der Fische sowohl als der Saeulen erschienen mir sehr natuerlich gemacht. Die Faecher hatten vergoldete Knoepfe, an denen sie herausgezogen werden konnten. Auf der achteckigen Flaeche dieser Knoepfe waren Brustbilder geharnischter Maenner oder geputzter Frauenzimmer eingegraben. Die Holzbelegung auf dem ganzen Schrein war durchaus eingelegte Arbeit. Ahornlaubwerk in dunkeln Nussholzfeldern, umgeben von geschlungenen Baendern und geflammtem Erlenholze. Die Baender waren wie geknitterte Seide, was daher kam, dass sie aus kleinem, feingestreiftem, vielfarbigem Rosenholz senkrecht auf die Achse eingelegt waren. Die eingelegte Arbeit befand sich nicht bloss, wie es haeufig bei derlei Geraeten der Fall ist, auf der Daransicht, sondern auch auf den Seitenteilen und den Friesen der Saeulen. Mein Begleiter stand neben mir, als ich diesem Geraete meine Aufmerksamkeit widmete, und zeigte mir Manches und erklaerte mir auf meine Bitte Dinge, die ich nicht verstand. Auch eine andere Beobachtung machte ich, da ich mich in diesem Zimmer befand, die meine Geistestaetigkeit in Anspruch nahm. Es kam mir nehmlich vor, dass der Anzug meines Begleiters nicht mehr so seltsam sei, als er mir gestern und als er mir heute erschienen war, da ich ihn auf dem Fuetterungsplatze gesehen hatte. Bei diesen Geraeten erschien er mir eher als zustimmend und hieher gehoerig, und ich begann die Vermutung zu hegen, dass ich vielleicht noch diesen Anzug billigen werde und dass der alte Mann in dieser Hinsicht verstaendiger sein duerfte als ich. Ausser dem Schreibschreine erregten noch zwei Tische meine Aufmerksamkeit, die an Groesse gleich waren und auch sonst gleiche Gestalt hatten, sich aber nur darin unterschieden, dass jeder auf seiner Platte eine andere Gestaltung trug. Sie hatten nehmlich jeder ein Schild auf der Platte, wie es Ritter und adeliche Geschlechter fuehrten, nur waren die Schilde nicht gleich. Aber auf beiden Tischen waren sie umgeben und verschlungen mit Laubwerk, Blumen- und Pflanzenwerk, und nie habe ich die leinen Faeden der Halme, der Pflanzenbaerte und der Getreideaehren zarter gesehen als hier, und doch waren sie von Holz in Holz eingelegt. Die uebrige Geraetschaft waren hochlehnige Sessel mit Schnitzwerk, Flechtwerk und eingelegter Arbeit, zwei geschnitzte Sitzbaenke, die man im Mittelalter Gesiedel geheissen hatte, geschnitzte Fahnen mit Bildern und endlich zwei Schirme von gespanntem und gepresstem Leder, auf welchem Blumen, Fruechte, Tiere, Knaben und Engel aus gemaltem Silber angebracht waren, das wie farbiges Gold aussah. Der Fussboden des Zimmers war gleich den Geraeten aus Flaechen alter eingelegter Arbeit zusammengestellt. Wir hatten wahrscheinlich wegen der Schoenheit dieses Bodens bei dem Eintritte in diese Stube die Filzschuhe an unsern Fuessen behalten. Obwohl der alte Mann gesagt hatte, dass dieses Zimmer sein Arbeitszimmer sei, so waren doch keine unmittelbaren Spuren von Arbeit sichtbar. Alles schien in den Laden verschlossen oder auf seinen Platz gestellt zu sein. Auch hier war mein Begleiter, als ich meine Freude ueber dieses Zimmer aussprach, nicht sehr wortreich, genau so wie in dem Marmorsaale; aber gleichwohl glaubte ich das Vergnuegen ihm von seinem Angesicht herablesen zu koennen. Das naechste Zimmer war wieder ein altertuemliches. Es ging gleichfalls auf den Garten. Sein Fussboden war wie in dem vorigen eingelegte Arbeit, aber auf ihm standen drei Kleiderschreine und das Zimmer war ein Kleiderzimmer. Die Schreine waren gross, altertuemlich eingelegt und jeder hatte zwei Fluegeltueren. Sie erschienen mir zwar minder schoen als das Schreibgerueste im vorigen Zimmer, aber doch auch von grosser Schoenheit, besonders der mittlere, groesste, der eine vergoldete Bekroenung trug und auf seinen Hohltueren ein sehr schoenes Schild-, Laub- und Baenderwerk zeigte. Ausser den Schreinen waren nur noch Stuehle da und ein Gestelle, welches dazu bestimmt schien, gelegentlich Kleider darauf zu haengen. Die inneren Seiten der Zimmertueren waren ebenfalls zu den Geraeten stimmend und bestanden aus Simswerk und eingelegter Arbeit. Als wir dieses Zimmer verliessen, legten wir die Filzschuhe ab. Das naechste Zimmer, gleichfalls auf den Garten gehend, war das Schlafgemach. Es enthielt Geraete neuer Art, aber doch nicht ganz in der Gestaltung, wie ich sie in der Stadt zu sehen gewohnt war. Man schien hier vor Allem auf Zweckmaessigkeit gesehen zu haben. Das Bett stand mitten im Zimmer und war mit dichten Vorhaengen umgeben. Es war sehr nieder und hatte nur ein Tischchen neben sich, auf dem Buecher lagen, ein Leuchter und eine Glocke standen und sich Geraete befanden, Licht zu machen. Sonst waren die Geraete eines Schlafzimmers da, besonders solche, die zum Aus- und Ankleiden und zum Waschen behilflich waren. Die Innenseiten der Tueren waren hier wieder zu den Geraeten stimmend. An das Schlafgemach stiess ein Zimmer mit wissenschaftlichen Vorrichtungen, namentlich zu Naturwissenschaften. Ich sah Werkzeuge der Naturlehre aus der neuesten Zeit, deren Verfertiger ich entweder persoenlich aus der Stadt kannte oder deren Namen, wenn die Geraete aus andern Laendern stammten, mir dennoch bekannt waren. Es befanden sich Werkzeuge zu den vorzueglichsten Teilen der Naturlehre hier. Auch waren Sammlungen von Naturkoerpern vorhanden, vorzueglich aus dem Mineralreiche. Zwischen den Geraeten und an den Waenden war Raum, mit den vorhandenen Vorrichtungen Versuche anstellen zu koennen. Das Zimmer war gleichfalls noch immer ein Gartenzimmer. Endlich gelangten wir in das Eckzimmer des Hauses, dessen Fenster teils auf den Hauptkoerper des Gartens gingen, teils nach Nordwesten sahen. Ich konnte aber die Bestimmung dieses Zimmers nicht erraten, so seltsam kam es mir vor. An den Waenden standen Schreine aus geglaettetem Eichenholze mit sehr vielen kleinen Faechern. An diesen Faechern waren Aufschriften, wie man sie in Spezereiverkaufsbuden oder Apotheken findet. Einige dieser Aufschriften verstand ich, sie waren Namen von Saemereien oder Pflanzennamen. Die meisten aber verstand ich nicht. Sonst war weder ein Stuhl noch ein anderes Geraete in dem Zimmer. Vor den Fenstern waren wagrechte Brettchen befestigt, wie man sie hat, um Blumentoepfe darauf zu stellen; aber ich sah keine Blumentoepfe auf ihnen, und bei naeherer Betrachtung zeigte sich auch, dass sie zu schwach seien, um Blumentoepfe tragen zu koennen. Auch waeren gewiss solche auf ihnen gestanden, wenn sie dazu bestimmt gewesen waeren, da ich in allen Zimmern, mit Ausnahme des Marmorsaales, an jedem nur einiger Massen geeigneten Platze Blumen aufgestellt gesehen hatte. Ich fragte meinen Begleiter nicht um den Zweck des Zimmers, und er aeusserte sich auch nicht darueber. Wir gelangten nun wieder in die Gemaecher, die an der Mittagseite des Hauses lagen und ueber den Sandplatz auf die Felder hinaus sahen. Das erste nach dem Eckzimmer war ein Buecherzimmer. Es war gross und geraeumig und stand voll von Buechern. Die Schreine derselben waren nicht so hoch, wie man sie gewoehnlich in Buecherzimmern sieht, sondern nur so, dass man noch mit Leichtigkeit um die hoechsten Buecher langen konnte. Sie waren auch so flach, dass nur eine Reihe Buecher stehen konnte, keine die andere deckte und alle vorhandenen Buecher ihre Ruecken zeigten. Von Geraeten befand sich in dem Zimmer gar nichts als in der Mitte desselben ein langer Tisch, um Buecher darauf legen zu koennen. In seiner Lade waren die Verzeichnisse der Sammlung. Wir gingen bei dieser allgemeinen Beschauung des Hauses nicht naeher auf den Inhalt der vorhandenen Buecher ein. Neben dem Buecherzimmer war ein Lesegemach. Es war klein und hatte nur ein Fenster, das zum Unterschiede aller anderen Fenster des Hauses mit gruenseidenen Vorhaengen versehen war, waehrend die anderen grauseidne Rollzuege besassen. An den Waenden standen mehrere Arten von Sitzen, Tischen und Pulten, so dass fuer die groesste Bequemlichkeit der Leser gesorgt war. In der Mitte stand, wie im Buecherzimmer, ein grosser Tisch oder Schrein - denn er hatte mehrere Laden -, der dazu diente, dass man Tafeln, Mappen, Landkarten und dergleichen auf ihm ausbreiten konnte. In den Laden lagen Kupferstiche. Was mir in diesem Zimmer auffiel, war, dass man nirgends Buecher oder etwas, das an den Zweck des Lesens erinnerte, herumliegen sah. Nach dem Lesegemache kam wieder ein groesseres Zimmer, dessen Waende mit Bildern bedeckt waren. Die Bilder hatten lauter Goldrahmen, waren ausschliesslich Oelgemaelde und reichten nicht hoeher, als dass man sie noch mit Bequemlichkeit betrachten konnte. Sonst hingen sie aber so dicht, dass man zwischen ihnen kein Stueckchen Wand zu erblicken vermochte. Von Geraeten waren nur mehrere Stuehle und eine Staffelei da, um Bilder nach Gelegenheit aufstellen und besser betrachten zu koennen. Diese Einrichtung erinnerte mich an das Bilderzimmer meines Vaters. Das Bilderzimmer fuehrte durch die dritte Tuer des Marmorsaales wieder in denselben zurueck, und so hatten wir die Runde in diesen Gemaechern vollendet. "Das ist nun meine Wohnung", sagte mein Begleiter, "sie ist nicht gross und von ausserordentlicher Bedeutung, aber sie ist sehr angenehm. In dem anderen Fluegel des Hauses sind die Gastzimmer, welche beinahe alle dem gleichen, in welchem ihr heute Nacht geschlafen habt. Auch ist Gustavs Wohnung dort, die wir aber nicht besuchen koennen, weil wir ihn sonst in seinem Lernen stoeren wuerden. Durch den Saal und ueber die Treppe koennen wir nun wieder in das Freie gelangen." Als wir den Saal durchschritten hatten, als wir ueber die Treppe hinabgegangen und zu dem Ausgange des Hauses gekommen waren, legten wir die Filzschuhe ab, und mein Begleiter sagte: "Ihr werdet euch wundern, dass in meinem Hause Teile sind, in welchen man sich die Unbequemlichkeit auflegen muss, solche Schuhe anzuziehen; aber es kann mit Fug nicht anders sein, denn die Fussboeden sind zu empfindlich, als dass man mit gewoehnlichen Schuhen auf ihnen gehen koennte, und die Abteilungen, welche solche Fussboeden haben, sind ja auch eigentlich nicht zum Bewohnen, sondern nur zum Besehen bestimmt, und endlich gewinnt sogar das Besehen an Wert, wenn man es mit Beschwerlichkeit erkaufen muss. Ich habe in diesen Zimmern gewoehnlich weiche Schuhe mit Wollsohlen an. In mein Arbeitszimmer kann ich auch ohne allen Umweg gelangen, da ich in dasselbe nicht durch den Saal gehen muss, wie wir jetzt getan haben, sondern da von dem Erdgeschosse ein Gang in das Zimmer hinauffuehrt, den ihr nicht gesehen haben werdet, weil seine beiden Enden mit guten Tapetentueren geschlossen sind. Der Pfarrer von Rohrberg leidet an der Gicht und vertraegt heisse Fuesse nicht, daher belege ich fuer ihn, wenn er anwesend ist, die Treppe oder die Zimmer mit einem Streifen von Wollstoff, wie ihr es gestern gesehen habt." Ich antwortete, dass die Vorrichtung sehr zweckmaessig sei und dass sie ueberall angewendet werden muss, wo kunstreiche oder sonst wertvolle Fussboeden zu schonen sind. Da wir nun im Garten waren, sagte ich, indem ich mich umwendete und das Haus betrachtete: "Eure Wohnung ist nicht, wie ihr sagt, von geringer Bedeutung. Sie wird, so viel ich aus der kurzen Besichtigung entnehmen konnte, wenige ihres Gleichen haben. Auch hatte ich nicht gedacht, dass das Haus, wenn ich es so von der Strasse aus sah, eine so grosse Raeumlichkeit in sich haette." "So muss ich euch nun auch noch etwas anderes zeigen", erwiderte er, "folgt mir ein wenig durch jenes Gebuesch." Er ging nach diesen Worten voran, ich folgte ihm. Er schlug einen Weg gegen dichtes Gebuesch ein. Als wir dort angekommen waren, ging er auf einem schmalen Pfade durch dessen Verschlingung fort. Endlich kamen sogar hohe Baeume, unter denen der Weg dahin lief. Nach einer Weile tat sich ein anmutiger Rasenplatz vor uns auf, der wieder ein langes, aus einem Erdgeschosse bestehendes Gebaeude trug. Es hatte viele Fenster, die gegen uns hersahen. Ich hatte es frueher weder von der Strasse aus erblickt noch von den Stellen des Gartens, auf denen ich gewesen war. Vermutlich waren die Baeume daran Schuld, die es umstanden. Da wir uns naeherten, ging ein feiner Rauch aus seinem Schornsteine empor, obwohl, da es Sommer war, keine Einheizzeit, und da es noch so frueh am Vormittage war, keine Kochzeit die Ursache davon sein konnte. Als wir naeher kamen, hoerte ich in dem Hause ein Schnarren und Schleifen, als ob in ihm gesaegt und gehobelt wuerde. Da wir eingetreten waren, sah ich in der Tat eine Schreinerwerkstaette vor mir, in welcher taetig gearbeitet wurde. An den Fenstern, durch welche reichliches Licht hereinfiel, standen die Schreinertische und an den uebrigen Waenden, welche fensterlos waren, lehnten Teile der in Arbeit begriffenen Gegenstaende. Hier fand ich wieder eine Aehnlichkeit mit meinem Vater. So wie er sich einen jungen Mann abgerichtet hatte, der ihm seine altertuemlichen Geraete nach seiner Angabe wieder herstellte, so sah ich hier gleich eine ganze Werkstaette dieser Art; denn ich erkannte aus den Teilen, die herumstanden, dass hier vorzueglich an der Wiederherstellung altertuemlicher Geraetschaften gearbeitet werde. Ob auch Neues in dem Hause verfertigt werde, konnte ich bei dem ersten Anblicke nicht erkennen. Von den Arbeitern hatte jeder einen Raum an den Fenstern fuer sich, der von dem Raume seines Nachbars durch gezogene Schranken abgesondert war. Er hatte seine Geraete und seine eben notwendigen Arbeitsstuecke in diesem Raume bei sich, das Andere, was er gerade nicht brauchte, hatte er an der Hinterwand des Hauses hinter sich, so dass eine uebersichtliche Ordnung und Einheit bestand. Es waren vier Arbeiter. In einem grossen Schreine, der einen Teil der einen Seitenwand einnahm, befanden sich vorraetige Werkzeuge, welche fuer den Fall dienten, dass irgend eines unversehens untauglich wuerde und zu seiner Herstellung zu viele Zeit in Anspruch naehme. In einem andern Schreine an der entgegengesetzten Seitenwand waren Flaeschchen und Buechschen, in denen sich die Fluessigkeiten und andere Gegenstaende befanden, die zur Erzeugung von Firnissen, Polituren oder dazu dienten, dem Holze eine bestimmte Farbe oder das Ansehen von Alter zu geben. Abgesondert von der Werkstube war ein Herd, auf welchem das zu Schreinerarbeiten unentbehrliche Feuer brannte. Seine Staette war feuerfest, um die Werkstube und ihren Inhalt nicht zu gefaehrden. "Hier werden Dinge", sagte mein Begleiter, "welche lange vor uns, ja oft mehrere Jahrhunderte vor unserer Zeit verfertigt worden und in Verfall geraten sind, wieder hergestellt, wenigstens soweit es die Zeit und die Umstaende nur immer erlauben. Es wohnt in den alten Geraeten beinahe wie in den alten Bildern ein Reiz des Vergangenen und Abgebluehten, der bei dem Menschen, wenn er in die hoeheren Jahre koemmt, immer staerker wird. Darum sucht er das zu erhalten, was der Vergangenheit angehoert, wie er ja auch eine Vergangenheit hat, die nicht mehr recht zu der frischen Gegenwart der rings um ihn Aufwachsenden passt. Darum haben wir hier eine Anstalt fuer Geraete des Altertums gegruendet, die wir dem Untergange entreissen, zusammenstellen, reinigen, glaetten und wieder in die Wohnlichkeit einzufuehren suchen." Es wurde, da ich mich in dem Schreinerhause befand, eben an der Platte eines Tisches gearbeitet, die, wie mein Begleiter sagte, aus dem sechzehnten Jahrhunderte stammte. Sie war in Hoelzern von verschiedener, aber natuerlicher Farbe eingelegt. Bloss wo gruenes Laub vorkam, war es von gruengebeiztem Holze. Von aussen war eine Verbraemung von in einander geschlungenen und schneckenartig gewundenen Rollen, Laubzweigen und Obst. Die innere Flaeche, welche von der Verbraemung durch ein Baenderwerk von rotem Rosenholze abgeschnitten war, trug auf einem Grunde von braunlich weissem Ahorne eine Sammlung von Musikgeraeten. Sie waren freilich nicht in dem Verhaeltnisse ihrer Groessen eingelegt. Die Geige war viel kleiner als die Mandoline, die Trommel und der Dudelsack waren gleich gross und unter beiden zog sich die Floete wie ein Weberbaum dahin. Aber im Einzelnen erschienen mir die Sachen als sehr schoen, und die Mandoline war so rein und lieblich, wie ich solche Dinge nicht schoener auf den alten Gemaelden meines Vaters gesehen hatte. Einer der Arbeiter schnitt Stuecke aus Ahorn, Buchs, Sandelholz, Ebenholz, tuerkisch Hasel und Rosenholz zurecht, damit sie in ihrer kleineren Gestalt gehoerig austrocknen konnten. Ein anderer loeste schadhafte Teile aus der Platte und ebnete die Grundstellen, um die neuen Bestandteile zweckmaessig einsetzen zu koennen. Der dritte schnitt und hobelte die Fuesse aus einem Ahornbalken und der vierte war beschaeftigt, nach einer in Farben ausgefuehrten Abbildung der Tischplatte, die er vor sich hatte, und aus einer Menge von Hoelzern, die neben ihm lagen, diejenigen zu bestimmen, die den auf der Zeichnung befindlichen Farben am meisten entspraechen. Mein Begleiter sagte mir, dass das Gerueste und die Fuesse des Tisches verlorengegangen seien und neu gemacht werden mussten. Ich fragte, wie man das einrichte, dass das Neue zu dem Vorhandenen passe. Er antwortete: "Wir haben eine Zeichnung gemacht, die ungefaehr darstellte, wie die Fuesse und das Gerueste ausgesehen haben moegen." Auf meine neue Frage, wie man denn das wissen koenne, antwortete er: "Diese Dinge haben so gut wie bedeutendere Gegenstaende ihre Geschichte, und aus dieser Geschichte kann man das Aussehen und den Bau derselben zusammen setzen. Im Verlaufe der Jahre haben sich die Gestaltungen der Geraete immer neu abgeloeset, und wenn man auf diese Abfolge sein Augenmerk richtet, so kann man aus einem vorhandenen Ganzen auf verlorengegangene Teile schliessen und aus aufgefundenen Teilen auf das Ganze gelangen. Wir haben mehrere Zeichnungen entworfen, in deren jede immer die Tischplatte einbezogen war, und haben uns auf diese Weise immer mehr der mutmasslichen Beschaffenheit der Sache genaehert. Endlich sind wir bei einer Zeichnung geblieben, die uns nicht zu widersprechend schien." Auf meine Frage, ob er denn immer Arbeit fuer seine Anstalt habe, antwortete er: "Sie ist nicht gleich so entstanden, wie ihr sie hier sehet. Anfangs zeigte sich die Lust an alten und vorelterlichen Dingen, und wie die Lust wuchs, sammelten sich nach und nach schon die Gegenstaende an, die ihrer Wiederherstellung entgegen sahen. Zuerst wurde die Ausbesserung bald auf diesem, bald auf jenem Wege versucht und eingeleitet. Viele Irrwege sind betreten worden. Indessen wuchs die Zahl der gesammelten Gegenstaende immer mehr und deutete schon auf die kuenftige Anstalt hin. Als man in Erfahrung brachte, dass ich altertuemliche Gegenstaende kaufe, brachte man mir solche oder zeigte mir die Orte an, wo sie zu finden waeren. Auch vereinigten sich mit uns hie und da Maenner, welche auf die Dinge des Altertums ihr Augenmerk richteten, uns darueber schrieben und wohl auch Zeichnungen einsandten. So erweiterte sich unser Kreis immer mehr. Ungehoerige Ausbesserungen aus frueheren Zeiten gaben ebenfalls Stoff zu erneuerter Arbeit, und da wir anfangs auch an verschiedenen Orten arbeiten liessen und haeufig genoetigt waren, die Orte zu wechseln, ehe wir uns hier niederliessen, so verschleppte sich manche Zeit und die Arbeitsgegenstaende mehrten sich. Endlich gerieten wir auch auf den Gedanken, neue Gegenstaende zu verfertigen. Wir gerieten auf ihn durch die alten Dinge, die wir immer in den Haenden hatten. Diese neuen Gegenstaende wurden aber nicht in der Gestalt gemacht, wie sie jetzt gebraeuchlich sind, sondern wie wir sie fuer schoen hielten. Wir lernten an dem Alten; aber wir ahmten es nicht nach, wie es noch zuweilen in der Baukunst geschieht, in der man in einem Stile, zum Beispiele in dem sogenannten gothischen, ganze Bauwerke nachbildet. Wir suchten selbststaendige Gegenstaende fuer die jetzige Zeit zu verfertigen mit Spuren des Lernens an vergangnen Zeiten. Haben ja selbst unsere Vorfahrer aus ihren Vorfahrern geschoepft, diese wieder aus den ihrigen und so fort, bis man auf unbedeutende und kindische Anfaenge stoesst. Ueberall aber sind die eigentlichen Lehrmeister die Werke der Natur gewesen." "Sind solche neugemachte Gegenstaende in eurem Hause vorhanden?" fragte ich. "Nichts von Bedeutung", antwortete er, "einige sind an verschiedenen Punkten der Gegend zerstreut, einige sind in einem anderen Orte als in diesem Hause gesammelt. Wenn ihr Lust zu solchen Dingen habt oder sie in Zukunft fassen solltet und euer Weg euch wieder einmal hieher fuehrt, so wird es nicht schwer sein, euch an den Ort zu geleiten, wo ihr mehrere unserer besten Gegenstaende sehen koennt." "Es sind der Wege sehr verschiedene", erwiderte ich, "die die Menschen gehen, und wer weiss es, ob der Weg, der mich wegen eines Gewitters zu euch heraufgefuehrt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist und ob ich ihn nicht noch einmal gehe." "Ihr habt da ein sehr wahres Wort gesprochen", antwortete er, "die Wege der Menschen sind sehr verschiedene. Ihr werdet dieses Wort erst recht einsehen, wenn ihr aelter seid." "Und habt ihr dieses Haus eigens zu dem Zwecke der Schreinerei erbaut?" fragte ich weiter. "Ja", antwortete er, "wir haben es eigens zu diesem Zwecke erbaut. Es ist aber viel spaeter entstanden als das Wohnhaus. Da wir einmal so weit waren, die Sachen zu Hause machen zu lassen, so war der Schritt ein ganz leichter, uns eine eigene Werkstaette hiefuer einzurichten. Der Bau dieses Hauses war aber bei weitem nicht das Schwerste, viel schwerer war es, die Menschen zu finden. Ich hatte mehrere Schreiner und musste sie entlassen. Ich lernte nach und nach selber, und da trat mir der Starrsinn, der Eigenwille und das Herkommen entgegen. Ich nahm endlich solche Leute, die nicht Schreiner waren und sich erst hier unterrichten sollten. Aber auch diese hatten wie die Fruehern eine Suende, welche in arbeitenden Staenden und auch wohl in andern sehr haeufig ist, die Suende der Erfolggenuegsamkeit oder der Fahrlaessigkeit, die stets sagt: >es ist so auch recht<, und die jede weitere Vorsicht fuer unnoetig erachtet. Es ist diese Suende in den unbedeutendsten und wichtigsten Dingen des Lebens vorhanden, und sie ist mir in meinen frueheren Jahren oft vorgekommen. Ich glaube, dass sie die groessten Uebel gestiftet hat. Manche Leben sind durch sie verloren gegangen, sehr viele andere, wenn sie auch nicht verloren waren, sind durch sie ungluecklich oder unfruchtbar geworden. Werke, die sonst entstanden waeren, hat sie vereitelt und die Kunst und was mit derselben zusammenhaengt waere mit ihr gar nicht moeglich. Nur ganz gute Menschen in einem Fache haben sie gar nicht, und aus denen werden die Kuenstler, Dichter, Gelehrten, Staatsmaenner und die grossen Feldherren. Aber ich komme von meiner Sache ab. In unserer Schreinerei machte sie bloss, dass wir zu nichts Wesentlichem gelangten. Endlich fand ich einen Mann, der nicht gleich aus der Arbeit ging, wenn ich ihn bekaempfte; aber innerlich mochte er recht oft erzuernt gewesen sein und ueber Eigensinn geklagt haben. Nach Bemuehungen von beiden Seiten gelang es. Die Werke gewannen Einfluss, in denen das Genaue und Zweckmaessige angestrebt war, und sie wurden zur Richtschnur genommen. Die Einsicht in die Schoenheit der Gestalten wuchs und das Leichte und Feine wurde dem Schweren und Groben vorgezogen. Er las Gehilfen aus und erzog sie in seinem Sinne. Die Begabten fuegten sich bald. Es wurde die Chemie und andere Naturwissenschaften hergenommen, und im Lesen schoener Buecher wurde das Innere des Gemuetes zu bilden versucht." Er ging nach diesen Worten gegen den Mann, der mit dem Aussuchen der Hoelzer nach dem vor ihm liegen den Plane der Tischplatte beschaeftigt war, und sagte: "Wollt ihr nicht die Guete haben, uns einige Zeichnungen zu zeigen, Eustach?" Der junge Mann, an den diese Worte gerichtet waren, erhob sich von seiner Arbeit und zeigte uns ein ruhiges, gefaelliges Wesen. Er legte die gruene Tuchschuerze ab, welche er vorgebunden hatte, und ging aus seiner Arbeitsstelle zu uns herueber. Es befand sich neben dieser Stelle in der Wand eine Glastuer, hinter welcher gruene Seide in Falten gespannt war. Diese Tuer oeffnete er und fuehrte uns in ein freundliches Zimmer. Das Zimmer hatte einen kuenstlich eingelegten Fussboden und enthielt mehrere breite, glatte Tische. Aus der Lade eines dieser Tische nahm der Mann eine grosse Mappe mit Zeichnungen, oeffnete sie und tat sie auf der Tischplatte auseinander. Ich sah, dass diese Zeichnungen fuer mich zum Ansehen heraus genommen worden waren und legte daher die Blaetter langsam um. Es waren lauter Zeichnungen von Bauwerken, und zwar teils im Ganzen, teils von Bestandteilen derselben. Sie waren sowohl, wie man sich ausdrueckt, im Perspective ausgefuehrt, als auch in Aufrissen, in Laengen- und Querschnitten. Da ich mich selber geraume Zeit mit Zeichnen beschaeftigt hatte, wenn auch mit Zeichnen anderer Gegenstaende, so war ich bei diesen Blaettern schon mehr an meiner Stelle als bei den alten Geraeten. Ich hatte immer bei dem Zeichnen von Pflanzen und Steinen nach grosser Genauigkeit gestrebt und hatte mich bemueht, durch den Schwarzstift die Wesenheit derselben so auszudruecken, dass man sie nach Art und Gattung erkennen sollte. Freilich waren die vor mir liegenden Zeichnungen die von Bauwerken. Ich hatte Bauwerke nie gezeichnet, ich hatte sie eigentlich nie recht betrachtet. Aber andererseits waren die Linien, die hier vorkamen, die von grossen Koerpern, von geschichteten Stoffen und von ausgedehnten Flaechen, wie sie bei mir auch an den Felsen und Bergen erschienen; oder sie waren die leichten Wendungen von Zieraten, wie sie bei mir die Pflanzen boten. Endlich waren ja alle Bauwerke aus Naturdingen entstanden, welche die Vorbilder gaben, etwa aus Felsenkuppen oder Felsenzacken oder selbst aus Tannen, Fichten oder anderen Baeumen. Ich betrachtete daher die Zeichnungen recht genau und sah sie um ihre Treue und Sachgemaessheit an. Als ich sie schon alle durchgeblaettert hatte, legte ich sie wieder um und schaute noch einmal jedes einzelne Blatt an. Die Zeichnungen waren saemmtlich mit dem Schwarzstifte ausgefuehrt. Es war Licht und Schatten angegeben und die Linienfuehrung war verstaerkt oder gemaessigt, um nicht bloss die Koerperlichkeit der Dinge, sondern auch das sogenannte Luftperspective darzustellen. In einigen Blaettern waren Wasserfarben angewendet, entweder, um bloss einzelne Stellen zu bezeichnen, die eine besonders starke oder eigentuemliche Farbe hatten, wie etwa, wo das Gruen der Pflanzen sich auffallend von dem Gemaeuer, aus dem es sprosste, abhob oder wo der Stoff durch Einfluss von Sonne oder Wasser eine ungewoehnliche Farbe erhalten hatte, wie zum Beispiele an gewissen Steinen, die durch Wasser braeunlich, ja beinahe rot werden; oder es waren Farben angewendet, um dem Ganzen einen Ton der Wirklichkeit und Zusammenstimmung zu geben; oder endlich es waren einzelne sehr kleine Stellen mit Farben, gleichsam mit Farbdruckern, wie man sich ausdrueckt, bezeichnet, um Flaechen oder Koerper oder ganze Abteilungen im Raume zurueck zu draengen. Immer aber waren die Farben so untergeordnet gehalten, dass die Zeichnungen nicht in Gemaelde uebergingen, sondern Zeichnungen blieben, die durch die Farbe nur noch mehr gehoben wurden. Ich kannte diese Verfahrungsweise sehr gut und hatte sie selber oft angewendet. Was den Wert der Zeichnungen anbelangt, so erschien mir derselbe ein ziemlich bedeutender. Die Hand, von der sie verfertigt worden waren, hielt ich fuer eine geuebte, was ich daraus schloss, dass in den vielen Zeichnungen kein Fortschritt zu bemerken war, sondern dass dieser schon in der Zeit vor den Zeichnungen lag und hier angewendet wurde. Die Linien waren rein und sicher gezogen, das sogenannte Linearperspective war, so weit meine Augen urteilen konnten - denn eine mathematische Pruefung konnte ich nicht anlegen -, richtig, der Stoff des Schwarzstiftes war gut beherrscht, und mit seinen geringen Mitteln war Haushaltung getroffen, darum standen die Koerper klar da und loesten sich von der Umgebung. Wo die Farbe eine Art Wirklichkeit angenommen hatte, war sie mit Gegenstaendlichkeit und Mass hingesetzt, was, wie ich aus Erfahrung wusste, so schwer zu finden ist, dass die Dinge als Dinge, nicht als Faerbungen gelten. Dies ist besonders bei Gegenstaenden der Fall, die minder entschiedene Farben haben, wie Steine, Gemaeuer und dergleichen, waehrend Dinge von deutlichen Farben leichter zu behandeln sind, wie Blumen, Schmetterlinge, selbst manche Voegel. Eine besondere Tatsache aber fiel mir bei Betrachtung dieser Zeichnungen auf. Bei den Bauverzierungen, welche von Gegenstaenden der Natur genommen waren, von Pflanzen oder selbst von Tieren, kamen bedeutende Fehler vor, ja es kamen sogar Unmoeglichkeiten vor, die kaum ein Anfaenger macht, sobald er nur die Pflanze gut betrachtet. Bei den ganz gleichen Verzierungen an andern Bauwerken in andern Zeichnungen waren diese Fehler nicht da, sondern die Verzierungen waren in Hinsicht ihrer Urbilder in der Natur mit Richtigkeit angegeben. Ich hatte, da ich einmal zeichnete, oefter die Bilder meines Vaters betrachtet und in ihnen, selbst in solchen, die er fuer sehr gut hielt, aehnliche Fehler gefunden. Da die Bilder meines Vaters aus alter Zeit waren, diese Zeichnungen aber auch alte Bauwerke darstellten, so schloss ich, dass sie vielleicht Abrisse von wirklichen Bauten seien und dass die Fehler in den Zieraten der Zeichnungen Fehler in den wirklichen Zieraten der Bauarten seien, und dass die Zieraten, deren Zeichnungen fehlerlos waren, auch an den Bauwerken keinen Fehler gehabt haben. Es gewannen durch diesen Umstand die Zeichnungen in meinen Augen noch mehr, da er gerade ihre grosse Treue bewies. Auch ein eigentuemlicher Gedanke kam mir bei der Betrachtung dieser Zeichnungen in das Haupt. Ich hatte nie so viele Zeichnungen von Bauwerken beisammen gesehen, so wie ich Bauwerke selber nicht zum Gegenstande meiner Aufmerksamkeit gemacht hatte. Da ich nun alle diese Laubwerke, diese Ranken, diese Zacken, diese Schwingungen, diese Schnecken in grosser Abfolge sah, erschienen sie mir gewissermassen wie Naturdinge, etwa wie eine Pflanzenwelt mit ihren zugehoerigen Tieren. Ich dachte, man koennte sie eben so zu einem Gegenstande der Betrachtung und der Forschung machen wie die wirklichen Pflanzen und andere Hervorbringungen der Erde, wenn sie hier auch nur eine steinerne Welt sind. Ich hatte das nie recht beachtet, wenn ich auch hin und wieder an einer Kirche oder an einem anderen Gebaeude einen steinernen Stengel oder eine Rose oder eine Distelspitze oder einen Saeulenschaft oder die Vergitterung einer Tuer ansah. Ich nahm mir vor, diese Gegenstaende nun genauer zu beobachten. "Diese Zeichnungen sind lauter Abbildungen von wirklichen Bauwerken, die in unserem Lande vorhanden sind", sagte mein Begleiter. "Wir haben sie nach und nach zusammen gebracht. Kein einziges Bauwerk unseres Landes, welches entweder im Ganzen schoen ist oder an dem Teile schoen sind, fehlt. Es ist nehmlich auch hier im Lande wie ueberall vorgekommen, dass man zu den Teilen alter Kirchen oder anderer Werke, die nicht fertig geworden sind, neue Zubaue in ganz anderer Art gemacht hat, so dass Bauwerke entstanden, die in verschiedenen Stilen ausgefuehrt und teils schoen und teils haesslich sind. Die Landkirchen, die auf verschiedenen Stellen in unserer Zeit entstanden sind, haben wir nicht angenommen." "Wer hat denn diese Zeichnungen verfertigt?" fragte ich. "Der Zeichner steht vor euch", antwortete mein Begleiter, indem er auf den jungen Mann wies. Ich sah den Mann an, und es zeigte sich ein leichtes Erroeten in seinem Angesichte. "Der Meister hat nach und nach die Teile des Landes besucht", fuhr mein Gastfreund fort, "und hat die Baugegenstaende gezeichnet, die ihm gefielen. Diese Zeichnungen hat er in seinem Buche nach Hause gebracht und sie dann auf einzelnen Blaettern im Reinen ausgefuehrt. Ausser den Zeichnungen von Bauwerken haben wir auch die von inneren Ausstattungen derselben. Seid so gefaellig und zeigt auch diese Mappe, Eustach." Der junge Mann legte die Mappe, die wir eben betrachtet hatten, zusammen und tat sie in ihre Lade. Dann nahm er aus einer anderen Lade eine andere Mappe und legte sie mir mit den Worten vor: "Hier sind die kirchlichen Gegenstaende." Ich sah die Zeichnungen in der Mappe, die er mir geoeffnet hatte, an, wie ich frueher die der Bauwerke angesehen hatte. Es waren Zeichnungen von Altaeren, Chorstuehlen, Kanzeln, Sakramentshaeuschen, Taufsteinen, Chorbruestungen, Sesseln, einzelnen Gestalten, gemalten Fenstern und anderen Gegenstaenden, die in Kirchen vorkommen. Sie waren wie die Zeichnungen der Baugegenstaende entweder ganz in Schwarzstift ausgefuehrt oder teils in Schwarzstift, teils in Farben. Hatte ich mich schon frueher in diese Gegenstaende vertieft, so geschah es jetzt noch mehr. Sie waren noch mannigfaltiger und fuer die Augen anlockender als die Bauwerke. Ich betrachtete jedes Blatt einzeln, und manches nahm ich noch einmal vor, nachdem ich es schon hingelegt hatte. Als ich mit dieser Mappe fertig war, legte mir der Meister eine neue vor und sagte: "Hier sind die weltlichen Gegenstaende." Die Mappe enthielt Zeichnungen von sehr verschiedenen Geraeten, die in Wohnungen, Burgen, Kloestern und dergleichen vorkommen, sie enthielt Abbildungen von Vertaeflungen, von ganzen Zimmerdecken, Fenster- und Tuereinfassungen, ja von eingelegten Fussboeden. Bei den weltlichen Geraeten war viel mehr mit Farben gearbeitet als bei den kirchlichen und bei den Bauten; denn die Wohngeraete haben sehr oft die Farbe als einen wesentlichen Gegenstand ihrer Erscheinung, besonders wenn sie in verschiedenfarbigen Hoelzern eingelegt sind. Ich fand in dieser Sammlung von Zeichnungen Abbildungen von Gegenstaenden, die ich in der Wohnung meines Gastfreundes gesehen hatte. So war der Schreibschrein und der grosse Kleiderschrein vorhanden. Auch der Tisch, an dem noch in der Schreinerstube gearbeitet wurde, stand hier schon fertig vor uns auf dem Papiere. Ich bemerkte hiebei, dass nur die Platte klar und kraeftig ausgefuehrt war, das Gerueste und die Fuesse minder, gleichsam schattenhaft behandelt wurden. Ich erkannte, dass man so das Neue, was zu Geraeten hinzukommen musste, bezeichnen wollte. Mir gefiel diese Art sehr gut. "Die Kirchengeraete unseres Landes duerften in dieser Sammlung ziemlich vollstaendig sein", sagte mein Gastfreund, "wenigstens wird nichts Wesentliches fehlen. Bei den weltlichen kann man das weniger sagen, da man nicht wissen kann, was noch hie und da in dem Lande zerstreut ist." Als ich diese Mappe auch angesehen hatte, sagte mein Begleiter: "Diese Zeichnungen sind Nachbildungen von lauter wirklichen aus aelterer Zeit auf uns gekommenen Gegenstaenden, wir haben aber auch Zeichnungen selbststaendig entworfen, die Geraete oder andere kleinere Gegenstaende darstellen. Zeigt uns auch diese, Meister." Der junge Mann legte die Mappe auf den Tisch. Sie war viel umfassender als jede der frueheren und enthielt nicht bloss die vollstaendige Darstellung der ganzen Gegenstaende, sondern auch ihre Quer- und Laengenschnitte und ihre Grundrisse. Es waren Abbildungen von verschiedenen Geraeten, dann von Verkleidungen, Fussboeden, Zimmerdecken, Nischen und endlich sogar von Baugegenstaenden, Treppenhaeusern und Seitenkapellen. Man war mit grosser Zweifelsucht und Gewissenhaftigkeit zu Werke gegangen; manche Zeichnung war vier-, ja fuenfmal vorhanden und jedes Mal veraendert und verbessert. Die letzten waren stets mit Farben angegeben und dies besonders deutlich, wenn die Gegenstaende in Holz oder Marmor auszufuehren waren. Ich fragte, ob einige dieser Dinge ausgefuehrt worden sind. "Freilich", antwortete mein Begleiter, "wozu waeren denn so viele Zeichnungen angefertigt worden? Alle Gegenstaende, die ihr oefter gezeichnet sahet und deren letzte Zeichnung in Farben angegeben ist, sind in Wirklichkeit ausgearbeitet worden. Diese Zeichnungen sind die Plaene und Vorlagen zu den neuen Geraeten, auf deren Verfertigung, wie ich frueher sagte, wir geraten sind. Wenn ihr einmal in den Ort, von dem ich euch gesagt habe, dass er mehrere enthaelt, kommen solltet, so wuerdet ihr dort nicht nur viele von denen, die hier gezeichnet sind, sehen, sondern auch solche, die zusammen gehoeren und ein Ganzes bilden." "Wenn man diese Zeichnungen betrachtet", sagte ich, "und wenn man die anderen betrachtet, welche ich frueher gesehen habe, so koemmt man auf den Gedanken, dass die Bauwerke einer Zeit und die Geraete, welche in diesen Bauwerken sein sollten, eine Einheit bilden, die nicht zerrissen werden kann." "Allerdings bilden sie eine", erwiderte er, "die Geraete sind ja die Verwandten der Baukunst, etwa ihre Enkel oder Urenkel, und sind aus ihr hervorgegangen. Dieses ist so wahr, dass ja auch unsere heutigen Geraete zu unserer heutigen Baukunst gehoeren. Unsere Zimmer sind fast wie hohle Wuerfel oder wie Kisten, und in solchen stehen die geradlinigen und geradflaechigen Geraete gut. Es ist daher nicht ohne Begruendung, wenn die viel schoeneren altertuemlichen Geraete in unseren Wohnungen manchen Leuten einen unheimlichen Eindruck machen, sie widersprechen der Wohnung; aber hierin haben die Leute Unrecht, wenn sie die Geraete nicht schoen finden, die Wohnung ist es, und diese sollte geaendert werden. Darum stehen in Schloessern und altertuemlichen Bauten derlei Geraete noch am schoensten, weil sie da eine ihnen aehnliche Umgebung finden. Wir haben aus diesem Verhaeltnisse Nutzen gezogen und aus unseren Zeichnungen der Bauwerke viel fuer die Zusammenstellung unserer Geraete gelernt, die wir eben nach ihnen eingerichtet haben." "Wenn man so viele dieser Dinge in so vielen Abbildungen vor sich sieht, wie wir jetzt getan haben", sagte ich, "so kann man nicht umhin, einen grossen Eindruck zu empfinden, den sie machen." "Es haben sehr tiefsinnige Menschen vor uns gelebt", erwiderte er, "man hat es nicht immer erkannt und faengt erst jetzt an, es wieder ein wenig einzusehen. Ich weiss nicht, ob ich es Ruehrung oder Schwermut nennen soll, was ich empfinde, wenn ich daran denke, dass unsere Voreltern ihre groessten und umfassendsten Werke nicht vollendet haben. Sie mussten auf eine solche Ewigkeit des Schoenheitsgefuehles gerechnet haben, dass sie ueberzeugt waren, die Nachwelt werde an dem weiter bauen, was sie angefangen haben. Ihre unfertigen Kirchen stehen wie Fremdlinge in unserer Zeit. Wir haben sie nicht mehr empfunden oder haben sie durch haessliche Aftergebilde verunstaltet. Ich moechte jung sein, wenn eine Zeit koemmt, in welcher in unserem Vaterlande das Gefuehl fuer diese Anfaenge so gross wird, dass es die Mittel zusammenbringt, diese Anfaenge weiter zu fuehren. Die Mittel sind vorhanden, nur werden sie auf etwas anderes angewendet, so wie man diese Bauwerke nicht aus Mangel der Mittel unvollendet liess, sondern aus anderen Gruenden." Ich sagte nach diesen Worten, dass ich in dem beruehrten Punkte weniger unterrichtet sei; aber in einem anderen Punkte koennte ich vielleicht etwas sagen, nehmlich in Hinsicht der Zeichnungen. "Ich habe durch laengere Zeit her Pflanzen, Steine, Tiere und andere Dinge gezeichnet, habe mich sehr geuebt und duerfte daher etwa ein Urteil wagen koennen. Diese Zeichnungen erscheinen mir in Reinheit der Linien, in Richtigkeit des Perspectives, in kluger Hinstellung jedes Koerperteiles und in passender Anwendung der Farben als ganz vortrefflich, und ich fuehle mich gedrungen, dieses zu sagen." Der Meister sagte zu diesem Lobe nichts, sondern er senkte den Blick zu Boden, meinen Gastfreund aber schien mein Urteil zu freuen. Er bedeutete den Meister, die Mappe zusammen zu binden und in die Lade zu legen, was auch geschah. Wir gingen von diesem Zimmer in die weiteren Raeume des Schreinerhauses. Als wir ueber die Schwelle schritten, dachte ich, dass ich von altertuemlichen Gegenstaenden trotz der Sammlungen meines Vaters, von denen ich doch lebenslaenglich umgeben gewesen war, eigentlich bisher nicht viel verstanden habe und erst lernen muesse. Von dem Zimmer der Zeichnungen gingen wir in das Wohnzimmer des Meisters, welches neben den gewoehnlichen Geraetstuecken ebenfalls Zeichnungstische und Staffeleien enthielt. Es war ebenso freundlich eingerichtet wie das Zimmer der Zeichnungen. Auch die Zimmer der Gehilfen besuchten wir und betraten dann die Nebenraeume. Es waren dies Raeume, die zu verschiedenen Gegenstaenden, die eine solche Anstalt fordert, notwendig sind. Der vorzueglichste war das Trockenhaus, welches hinter der Schreinerei angebracht war, aus der man in die untere und obere Abteilung desselben gelangen konnte. Es hatte den Zweck, dass in ihm alle Gattungen von Holz, die man hier verarbeitete, jenen Zustand der Trockenheit erreichen konnten, der in Geraeten notwendig ist, dass nicht spaeter wieder Beschaedigungen eintreten. In dem unteren Raume wurden die groesseren Holzkoerper aufbewahrt, in dem oberen die kleineren und feineren. Ich konnte sehen, wie sehr es Ernst mit der Anlegung dieses Werkhauses war; denn ich fand in dem Trockenhause nicht nur einen sehr grossen Vorrat von Holz, sondern auch fast alle Gattungen der inlaendischen und auslaendischen Hoelzer. Ich hatte hierin von der Zeit meiner naturwissenschaftlichen Bestrebungen her einige Kenntnis. Ausserdem war das Holz beinahe durchgaengig schon in die vorlaeufigen Gestalten geschnitten, in die es verarbeitet werden sollte, damit es auf diese Weise zu hinreichender Beruhigung austrocknen konnte. Mein Begleiter zeigte mir die verschiedenen Behaeltnisse und erklaerte mir im Allgemeinen ihren Inhalt. In dem unteren Raume sah ich Laerchenholz zu sehr grossen seltsamen Gestalten verbunden, gleichsam zu schlanken Geruesten, Rahmen und dergleichen, und fragte, da ich mir die Sache nicht erklaeren konnte, um ihre Bedeutung. "In unserem Lande", antwortete mein Begleiter, "sind mehrere geschnitzte Altaere. Sie sind alle aus Lindenholz verfertigt und einige von bedeutender Schoenheit. Sie stammen aus sehr frueher Zeit, etwa zwischen dem dreizehnten und fuenfzehnten Jahrhundert, und sind Fluegelaltaere, welche mit geoeffneten Fluegeln die Gestalt einer Monstranze haben. Sie sind zum Teile schon sehr beschaedigt und drohen, in kuerzerer oder laengerer Zeit zu Grunde zu gehen. Da haben wir nun einen auf meine Kosten wiederhergestellt und arbeiten jetzt an einem zweiten. Die Holzgerueste, um die ihr fragtet, sind Grundlagen, auf denen Verzierungen befestigt werden muessen. Die Verzierungen sind noch ziemlich erhalten, ihre Grundlagen aber sind sehr morsch geworden, weshalb wir neue anfertigen muessen, wozu ihr hier die Entwuerfe sehet." "Hat man euch denn erlaubt, in einer Kirche einen Altar umzugestalten?" fragte ich. "Man hat es uns erst nach vielen Schwierigkeiten erlaubt", antwortete er, "wir haben aber die Schwierigkeiten besiegt. Besonders kam uns das Misstrauen in unsere Kenntnisse und Faehigkeiten entgegen, und hierin hatte man Recht. Wohin kaeme man denn, wenn man an vorhandenen Werken vorschnell Veraenderungen anbringen liesse? Es koennten ja da Dinge von der groessten Wichtigkeit verunstaltet oder zerstoert werden. Wir mussten angeben, was wir veraendern oder hinzufuegen wollten und wie die Sache nach der Umarbeitung aussehen wuerde. Erst da wir dargelegt hatten, dass wir an den bestehenden Zusammenstellungen nichts aendern wuerden, dass keine Verzierung an einen andern Platz komme, dass kein Standbild an seinem Angesichte, seinen Haenden oder den Faltungen seines Gewandes umgestaltet werde, sondern dass wir nur das Vorhandene in seiner jetzigen Gestalt erhalten wollen, damit es nicht weiter zerfallen koenne, dass wir den Stoff, wo er gelitten hat, mit Stoff erfuellen wollen, damit die Ganzheit desselben vorhanden sei, dass wir an Zutaten nur die kleinsten Dinge anbringen wuerden, deren Gestalt vollkommen durch die gleichartigen Stuecke bekannt waere und in gleichmaessiger Vollkommenheit wie die alten verfertigt werden koennte, ferner als wir eine Zeichnung in Farben angefertigt hatten, die darstellte, wie der gereinigte und wieder hergestellte Altar aussehen wuerde, und endlich als wir Schnitzereien von geringem Umfange, einzelne Standbilder und dergleichen in unserem Sinne wieder hergestellt und zur Anschauung gebracht hatten, liess man uns gewaehren. Von Hindernissen, die nicht von der Obrigkeit ausgingen, von Verdaechtigungen und aehnlichen Vorkommnissen rede ich nicht, sie sind auch wenig zu meiner Kenntnis gekommen." "Da habt ihr ein langwieriges und, wie ich glaube, wichtiges Werk unternommen", sagte ich. "Die Arbeit hat mehrere Jahre gedauert", erwiderte er, "und was die Wichtigkeit anbelangt, so hat sich wohl niemand mehr den Zweifeln hingegeben, ob wir die noetige Sachkenntnis besaessen, als wir selber. Darum haben wir auch gar keine Veraenderung in der Wesenheit der Sache vorgenommen. Selbst dort, wo es deutlich erwiesen war, dass Teile des Altars in der Zeit in eine andere Gruppe gestellt worden waren, als sie urspruenglich gewesen sein konnten, liessen wir das Vorgefundene bestehen. Wir befreiten nur die Gebilde von Schmutz und Uebertuenchung, befestigten das Zerblaetterte und Lediggewordene, ergaenzten das Mangelnde, wo, wie ich gesagt habe, dessen Gestalt vollkommen bekannt war, fuellten alles, was durch Holzwuermer zerstoert war, mit Holz aus, beugten durch ein erprobtes Mittel den kuenftigen Zerstoerungen dieser Tiere vor und ueberzogen endlich den ganzen Altar, da er fertig war, mit einem sehr matten Firnisse. Es wird einmal eine Zeit kommen, in welcher vom Staate aus vollkommen sachverstaendige Maenner in ein Amt werden vereinigt werden, das die Wiederherstellung alter Kunstwerke einleiten, ihre Aufstellung in dem urspruenglichen Sinne bewirken und ihre Verunstaltung fuer kommende Zeiten verhindern wird; denn so gut man uns gewaehren liess, die ja auch eine Verunstaltung haetten hervorbringen koennen, so gut wird man in Zukunft auch andere gewaehren lassen, die minder zweifelsuechtig sind oder im Eifer fuer das Schoene nach ihrer Art verfahren und das Wesen des Ueberkommenen zerstoeren." "Und glaubt ihr, dass ein Gesetz, welches verbietet, an dem Wesen eines vorgefundenen Kunstwerkes etwas zu aendern, dem Verfalle und der Zerstoerung desselben fuer alle Zeiten vorbeugen wuerde?" fragte ich. "Das glaube ich nicht", erwiderte er; "denn es koennen Zeiten so geringen Kunstsinnes kommen, dass sie das Gesetz selber aufheben; aber auf eine laengere Dauer und auf eine bessere Weise waere doch durch ein solches Gesetz gesorgt, als wenn gar keines waere. Den besten Schutz fuer Kunstwerke der Vorzeit wuerde freilich eine fortschreitende und nicht mehr erlahmende Kunstempfindung gewaehren. Aber alle Mittel, auch in ihrer groessten Vollkommenheit angewendet, wuerden den endlichen Untergang eines Kunstwerkes nicht aufhalten koennen; dies liegt in der immerwaehrenden Taetigkeit und in dem Umwandlungstriebe der Menschen und in der Vergaenglichkeit des Stoffes. Alles, was ist, wie gross und gut es sei, besteht eine Zeit, erfuellt einen Zweck und geht vorueber. Und so wird auch einmal ueber alle Kunstwerke, die jetzt noch sind, ein ewiger Schleier der Vergessenheit liegen, wie er jetzt ueber denen liegt, die vor ihnen waren." "Ihr arbeitet an der Herstellung eines zweiten Altares", sagte ich, "da ihr einen schon vollendet habt; wuerdet ihr auch noch andere herstellen, da ihr sagt, dass es mehrere in dem Lande gibt?" "Wenn ich die Mittel dazu haette, wuerde ich es tun", erwiderte er, "ich wuerde sogar, wenn ich reich genug waere, angefangene mittelalterliche Bauwerke vollenden lassen. Da steht in Gruenau hart an der Grenze unseres Landes an der Stadtpfarrkirche ein Turm, welcher der schoenste unseres Landes ist und der hoechste waere, wenn er vollendet waere; aber er ist nur ungefaehr bis zu zwei Drittteilen seiner Hoehe fertig geworden. Dieser altdeutsche Turm waere das Erste, welches ich vollenden liesse. Wenn ihr wieder kommt, so fuehre ich euch in eine Kirche, in welcher auf Landeskosten ein geschnitzter Fluegelaltar wieder hergestellt worden ist, der zu den bedeutendsten Kunstwerken gehoert, welche in dieser Art vorhanden sind." Wir traten bei diesen Worten den Rueckweg aus dem Trockenhause in die Arbeitstube an. Mein Begleiter sagte auf diesem Wege: "Da Eustach jetzt vorzugsweise damit beschaeftigt ist, die im Laufe befindlichen Werke auszufertigen, so hat er seinen Bruder, der herangewachsen ist, unterrichtet, und dieser versieht jetzt hauptsaechlich das Geschaeft des Zeichnens. Er ist eben daran, die Verzierungen, die in unserem Lande an Bauwerken, Holzarbeiten oder sonstwo vorkommen und die wir in unseren Blaettern von groesseren Werken noch nicht haben, zu zeichnen. Wir erwarten ihn in kurzer Zeit auf einige Tage zurueck. An diesen Dingen koennte auch die Gegenwart lernen, falls sie lernen will. Nicht bloss aus dem Grossen, wenn wir das Grosse betrachteten, was unsere Voreltern gemacht haben und was die kunstsinnigsten vorchristlichen Voelker gemacht haben, koennten wir lernen, wieder in edlen Gebaeuden wohnen oder von edlen Geraeten umringt sein, wenigstens wie die Griechen in schoenen Tempeln beten; sondern wir koennten uns auch im Kleinen vervollkommnen, die Ueberzuege unserer Zimmer koennten schoener sein, die gewoehnlichen Geraete, Kruege, Schalen, Lampen, Leuchter, Aexte wuerden schoener werden, selbst die Zeichnungen auf den Stoffen zu Kleidern und endlich auch der Schmuck der Frauen in schoenen Steinen; er wuerde die leichten Bildungen der Vergangenheit annehmen, statt dass jetzt oft eine Barbarei von Steinen in einer Barbarei von Gold liegt. Ihr werdet mir Recht geben, wenn ihr an die vielen Zeichnungen von Kreuzen, Rosen, Sternen denkt, die ihr in unseren Blaettern mittelalterlicher Bauwerke gesehen habt." Ich bewunderte den Mann, der, da er so redete, in einem sonderbaren, ja abgeschmackten Kleide neben mir ging. "Wenigstens Achtung vor Leuten, die vor uns gelebt haben, koennte man aus solchen Bestrebungen lernen", fuhr er fort, "statt dass wir jetzt gewohnt sind, immer von unseren Fortschritten gegenueber der Unwissenheit unserer Voreltern reden zu hoeren. Das grosse Preisen von Dingen erinnert zu oft an Armut von Erfahrungen." Wir waren bei diesen Worten wieder in die Werkstube gekommen und verabschiedeten uns von dem Meister. Ich reichte ihm die Hand, die er annahm, und schuettelte die seinige herzlich. Da wir aus dem Hause getreten waren und ich umschaute, sah ich durch das Fenster, wie er eben seine gruene Schuerze herab nahm und wieder umband. Auch hoerten wir das Hobeln und Saegen wieder, das bei unserem Besuche des Werkhauses ein wenig verstummt war. Wir betraten den Gebueschpfad und kamen wieder in die Naehe des Wohnhauses. "Ihr habt nun meine ganze Behausung gesehen", sagte mein Gastfreund. "Ich habe ja Kueche und Keller und Gesindestuben nicht gesehen", erwiderte ich. "Ihr sollt sie sehen, wenn ihr wollt", sagte er. Ich nahm mein mehr im Scherze gesprochenes Wort nicht zurueck, und wir gingen wieder in das Haus. Ich sah hier eine grosse gewoelbte Kueche, eine grosse Speisekammer, drei Stuben fuer Dienstleute, eine fuer eine Art Hausaufseher, dann die Waschstube, den Backofen, den Keller und die Obstkammer. Wie ich vermutet hatte, war dies alles reinlich und zweckmaessig eingerichtet. Ich sah Maegde beschaeftigt, und wir trafen auch den Hausaufseher in seinem Tagewerke begriffen. Das flache feine Koerbchen, aus welchem mein Beherberger die Voegel gefuettert hatte, lehnte in einer eigenen Mauernische neben der Tuer, welche sein bestimmter Platz zu sein schien. Wir gingen von diesen Raeumen in das Gewaechshaus. Es enthielt sehr viele Pflanzen, meistens solche, welche zur Zeit gebraeuchlich waren. Auf den Gestellen standen Camellien mit gut gepflegten gruenen Blaettern, Rhododendren, darunter, wie mir die Aufschrift sagte, gelbe, die ich nie gesehen hatte, Azaleen in sehr mannigfaltigen Arten und besonders viele neuhollaendische Gewaechse. Von Rosen war die Teerose in hervorragender Anzahl da, und ihre Blumen bluehten eben. An das Gewaechshaus stiess ein kleines Glashaus mit Ananas. Auf dem Sandwege vor beiden Haeusern standen Citronen- und Orangenbaeume in Kuebeln. Der alte Gaertner hatte noch weissere Haare als sein Herr. Er war ebenfalls ungewoehnlich gekleidet, nur konnte ich bei ihm das Ungewoehnliche nicht finden. Das fiel mir auf, dass er viel reines Weiss an sich hatte, welches im Vereine mit seiner weissen Schuerze mich eher an einen Koch als an einen Gaertner erinnerte. Dass die schmale Seite des Gewaechshauses von Aussen mit Rosen bekleidet sei, wie die Suedseite des Wohnhauses, fiel mir wieder auf, aber es beruehrte mich nicht unangenehm. Die alte Gattin des Gaertners, die wir in der Wohnung desselben fanden, war ebenso weiss gekleidet wie ihr Mann. An die Gaertnerswohnung stiessen die Kammern der Gehilfen. "Jetzt habt jetzt alles gesehen", sagte mein Gastfreund, da wir aus diesen Kammern traten, "ausser den Gastzimmern, die ich euch zeigen werde, wenn ihr es verlangt, und der Wohnung meines Ziehsohnes, die wir aber jetzt nicht betreten koennen, weil wir ihn in seinem Lernen stoeren wuerden." "Wir wollen das auf eine spaetere Stunde lassen, in der ich euch daran erinnern werde", sagte ich, "jetzt habe ich aber ein anderes Anliegen an eure Guete, das mir naeher am Herzen ist." "Und dieses naehere Anliegen?" fragte er. "Dass ihr mir endlich sagt", antwortete ich, "wie ihr zu einer so entschiedenen Gewissheit in Hinsicht des Wetters gekommen seid." "Der Wunsch ist ein sehr gerechter", entgegnete er, "und um so gerechter, als eure Meinung ueber das Gewitter der Grund gewesen ist, weshalb ihr zu unserem Hause herauf gegangen seid, und als unser Streit ueber das Gewitter der Grund gewesen ist, dass ihr laenger da geblieben seid. Gehen wir aber gegen das Bienenhaus, und setzen wir uns auf eine Bank unter eine Linde. Ich werde euch auf dem Wege und auf der Bank meine Sache erzaehlen." Wir schlugen einen breiten Sandpfad ein, der Anfangs von groesseren Obstbaeumen und spaeter von hohen, schattenden Linden begrenzt war. Zwischen den Staemmen standen Ruhebaenke, auf dem Sande liefen pickende Voegel und in den Zweigen wurde heute wieder das Singen vollbracht, welches ich gestern schon wahrgenommen hatte. "Ihr habt die Sammlung von Werkzeugen der Naturlehre in meiner Wohnung gesehen", fing mein Begleiter an, als wir auf dem Sandwege dahin gingen, "sie erklaeren schon einen Teil unserer Sache." "Ich habe sie gesehen", antwortete ich, "besonders habe ich das Barometer, Thermometer sowie einen Luftblau- und Feuchtigkeitsmesser bemerkt; aber diese Dinge habe ich auch, und sie haben eher, da ich sie vor meiner Wanderung beobachtete, auf einen Niederschlag als auf sein Gegenteil gedeutet." "Das Barometer ist gefallen", erwiderte er, "und wies auf geringeren Luftdruck hin, mit welchem sehr oft der Eintritt von Regen verbunden ist." "Wohl", sagte ich. "Der Zeiger des Feuchtigkeitsmessers", fuhr er fort, "rueckte mehr gegen den Punkt der groessten Feuchtigkeit." "Ja, so ist es gewesen", antwortete ich. "Aber der Electricitaetsmesser", sagte er, "verkuendigte wenig Luftelectricitaet, dass also eine Entladung derselben, womit in unseren Gegenden gerne Regen verbunden ist, nicht erwartet werden konnte." "Ich habe wohl auch die nehmliche Beobachtung gemacht", entgegnete ich, "aber die electrische Spannung steht nicht so sehr im Zusammenhange mit Wetterveraenderungen und ist meistens nur ihre Folge. Zudem hat sich gestern gegen Abend Electricitaet genug entwickelt, und alle Anzeichen, von denen ihr redet, verkuendeten einen Niederschlag." "Ja, sie verkuendeten ihn und er ist erfolgt", sagte mein Begleiter; "denn es bildeten sich aus den unsichtbaren Wasserduensten sichtbare Wolken, die ja wohl sehr fein zerteiltes Wasser sind. Da ist der Niederschlag. Auf die geringe electrische Spannung legte ich kein Gewicht; ich wusste, dass, wenn einmal Wolken entstaenden, sich auch hinlaengliche Electricitaet einstellen wuerde. Die Anzeichen, von denen wir geredet haben, beziehen sich aber nur auf den kleinen Raum, in dem man sich eben befindet, man muss auch einen weiteren betrachten, die Blaeue der Luft und die Gestaltung der Wolken." "Die Luft hatte schon gestern Vormittags die tiefe und finstere Blaeue", erwiderte ich, "welche dem Regen vorangeht, und die Wolkenbildung begann bereits am Mittage und schritt sehr rasch vorwaerts." "Bis hieher habt ihr Recht", sagte mein Begleiter, "und die Natur hat euch auch Recht gegeben, indem sie eine ungewoehnliche Menge von Wolken erzeugte. Aber es gibt auch noch andere Merkmale als die wir bisher besprochen haben, welche euch entgangen sind. Ihr werdet wissen, dass Anzeichen bestehen, welche nur einer gewissen Gegend eigen sind und von den Eingeborenen verstanden werden, denen sie von Geschlecht zu Geschlecht ueberliefert worden sind. Oft vermag die Wissenschaft recht wohl den Grund der langen Erfahrung anzugeben. Ihr wisst, dass in Gegenden ein kleines Woelklein, an einer bestimmten Stelle des Himmels, der sonst rein ist, erscheinend und dort schweben bleibend, ein sicherer Gewitteranzeiger fuer diese Gegend ist, dass ein trueberer Ton an einer gewissen Stelle des Himmels, ein Windstoss aus einer gewissen Gegend her Vorboten eines Landregens sind und dass der Regen immer koemmt. Solche Anzeichen hat auch diese Gegend, und es sind gestern keine eingetreten, die auf Regen wiesen." "Merkmale, die nur dieser Gegend angehoeren", erwiderte ich, "konnte ich nicht beobachten; aber ich glaube, dass diese Merkmale allein euch doch nicht bestimmen konnten, einen so entscheidenden Ausspruch zu tun, wie ihr getan habt." "Sie bestimmten mich auch nicht", antwortete er, "ich hatte auch noch andere Gruende." "Nun?" "Alle die Vorzeichen, von denen wir bisher geredet haben, sind sehr grobe", sagte er, "und werden meistens von uns nur mittelst raeumlicher Veraenderungen erkannt, die, wenn sie nicht eine gewisse Groesse erreichen, von uns gar nicht mehr beobachtet werden koennen. Der Schauplatz, auf welchem sich die Witterungsverhaeltnisse gestalten, ist sehr gross; dort, wohin wir nicht sehen und woher die Wirkungen auf unsere wissenschaftlichen Werkzeuge nicht reichen koennen, moegen vielleicht Ursachen und Gegenanzeigen sein, die, wenn sie uns bekannt waeren, unsere Vorhersage in ihr Gegenteil umstimmen wuerden. Die Anzeichen koennen daher auch taeuschen. Es sind aber noch viel feinere Vorrichtungen vorhanden, deren Beschaffenheit uns ein Geheimnis ist, die von Ursachen, die wir sonst gar nicht mehr messen koennen, noch betroffen werden und deren Wirkung eine ganz gewisse ist." "Und diese Werkzeuge?" "Sind die Nerven." "Also empfindet ihr durch eure Nerven, wenn Regen kommen wird?" "Durch meine Nerven empfinde ich das nicht", antwortete er. "Der Mensch stoert leider durch zu starke Einwirkungen, die er auf die Nerven macht, das feine Leben derselben, und sie sprechen zu ihm nicht mehr so deutlich, als sie sonst wohl koennten. Auch hat ihm die Natur etwas viel Hoeheres zum Ersatze gegeben, den Verstand und die Vernunft, wodurch er sich zu helfen und sich seine Stellung zu geben vermag. Ich meine die Nerven der Tiere." "Es wird wohl wahr sein, was ihr sagt", antwortete ich. "Die Tiere haengen mit der tiefer stehenden Natur noch viel unmittelbarer zusammen als wir. Es wird nur darauf ankommen, dass diese Beziehungen ergruendet werden und dafuer ein Ausdruck gefunden wird, besonders, was das kommende Wetter betrifft." "Ich habe diesen Zusammenhang nicht ergruendet", entgegnete er, "noch weniger den Ausdruck dafuer gefunden; beides duerfte in dieser Allgemeinheit wohl sehr schwer sein; aber ich habe zufaellig einige Beobachtungen gemacht, habe sie dann absichtlich wiederholt und daraus Erfahrungen gesammelt und Ergebnisse zusammen gestellt, die eine Voraussage mit fast voelliger Gewissheit moeglich machen. Viele Tiere sind von Regen und Sonnenschein so abhaengig, ja bei einigen handelt es sich geradezu um das Leben selber, je nachdem Sonne oder Regen ist, dass ihnen Gott notwendig hat Werkzeuge geben muessen, diese Dinge vorhinein empfinden zu koennen. Diese Empfindung als Empfindung kann aber der Mensch nicht erkennen, er kann sie nicht betrachten, weil sie sich den Sinnen entzieht; allein die Tiere machen in Folge dieser Vorempfindung Anstalten fuer ihre Zukunft, und diese Anstalten kann der Mensch betrachten und daraus Schluesse ziehen. Es gibt einige, die ihre Nahrung finden, wenn es feucht ist, andere verlieren sie in diesem Falle. Manche muessen ihren Leib vor Regen bergen, manche ihre Brut in Sicherheit bringen. Viele muessen ihre fuer den Augenblick aufgeschlagene Wohnung verlassen oder eine andere Arbeit suchen. Da nun die Vorempfindung gewiss sein muss, wenn die daraus folgende Handlung zur Sicherung fuehren soll, da die Nerven schon beruehrt werden, wenn noch alle menschlichen wissenschaftlichen Werkzeuge schweigen, so kann eine Voraussage ueber das Wetter, die auf eine genaue Betrachtung der Handlungen der Tiere gegruendet ist, mehr Anhalt gewaehren als die aus allen wissenschaftlichen Werkzeugen zusammen genommen." "Ihr eroeffnet da eine neue Richtung." "Die Menschen haben darin schon Vieles erfahren. Die besten Wetterkenner sind die Insekten und ueberhaupt die kleinen Tiere. Sie sind aber viel schwerer zu beobachten, da sie, wenn man dies tun will, nicht leicht zu finden sind und da man ihre Handlungen auch nicht immer leicht versteht. Aber von kleineren Tieren haengen oft groessere ab, deren Speise jene sind, und die Handlungen kleinerer Tiere haben Handlungen groesserer zur Folge, welche der Mensch leichter ueberblickt. Freilich steht da ein Schluss in der Mitte, der die Gefahr zu irren groesser macht, als sie bei der unmittelbaren Betrachtung und der gleichsam redenden Tatsache ist. Warum, damit ich ein Beispiel anfuehre, steigt der Laubfrosch tiefer, wenn Regen folgen soll, warum fliegt die Schwalbe niedriger und springt der Fisch aus dem Wasser? Die Gefahr, zu irren, wird wohl bei oftmaliger Wiederholung der Beobachtung und bei sorglicher Vergleichung geringer; aber das Sicherste bleiben immer die Herden der kleinen Tiere. Das habt ihr gewiss schon gehoert, dass die Spinnen Wetterverkuendiger sind und dass die Ameisen den Regen vorhersagen. Man muss das Leben dieser kleinen Dinge betrachten, ihre haeuslichen Einrichtungen anschauen, oft zu ihnen kommen, sehen, wie sie ihre Zeit hinbringen, erforschen, welche Grenzen ihre Gebiete haben, welche die Bedingungen ihres Glueckes sind und wie sie denselben nachkommen. Darum wissen Jaeger, Holzhauer und Menschen, welche einsam sind und zur Betrachtung dieses abgesonderten Lebens aufgefordert werden, das Meiste von diesen Dingen und wie aus dem Benehmen von Tieren das Wetter vorherzusagen ist. Es gehoert aber wie zu allem auch Liebe dazu." "Hier ist der Sitz", unterbrach er sich, "von welchem ich frueher gesprochen habe. Hier ist die schoenste Linde meines Gartens, ich habe einen bessern Ruheplatz unter ihr anbringen lassen und gehe selten vorueber, ohne mich eine Weile nieder zu setzen, um mich an dem Summen in ihren Aesten zu ergoetzen. Wollen wir uns setzen?" Ich willigte ein, wir setzten uns, das Summen war wirklich ueber unsern Haeuptern zu hoeren, und ich fragte, "Habt ihr nun diese Beobachtungen an den Tieren, wie ihr sagtet, gemacht?" "Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht ausgegangen", antwortete er; "aber da ich lange in diesem Hause und in diesem Garten gelebt habe, hat sich Manches zusammengefunden; aus dem Zusammengefundenen haben sich Schluesse gebaut, und ich bin durch diese Schluesse umgekehrt wieder zu Betrachtungen veranlasst worden. Viele Menschen, welche gewohnt sind, sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten diese Dinge fuer klein; aber bei Gott ist es nicht so; das ist nicht gross, an dem wir vielmal unsern Massstab umlegen koennen, und das ist nicht klein, wofuer wir keinen Massstab mehr haben. Das sehen wir daraus, weil er alles mit gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht, dass die Erforschung des Menschen und seines Treibens, ja sogar seiner Geschichte, nur ein anderer Zweig der Naturwissenschaft sei, wenn er auch fuer uns Menschen wichtiger ist, als er fuer Tiere waere. Ich habe zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in diesem Zweige Manches zu erfahren und mir Einiges zu merken. Doch ich will zu meinem Gegenstande zurueckkehren. Von dem, was die kleinen Tiere tun, wenn Regen oder Sonnenschein kommen soll, oder wie ich ueberhaupt aus ihren Handlungen Schluesse ziehe, kann ich jetzt nicht reden, weil es zu umstaendlich sein wuerde, obwohl es merkwuerdig ist; aber das kann ich sagen, dass nach meinen bisherigen Erfahrungen gestern keines der Tierchen in meinem Garten ein Zeichen von Regen gegeben hat. Wir moegen von den Bienen anfangen, welche in diesen Zweigen summen, und bis zu den Ameisen gelangen, die ihre Puppen an der Planke meines Gartens in die Sonne legen, oder zu dem Springkaefer, der sich seine Speise trocknet. Weil mich nun diese Tiere, wenn ich zu ihnen kam, nie getaeuscht haben, so folgerte ich, dass die Wasserbildung, welche unsere groeberen wissenschaftlichen Werkzeuge voraussagten, nicht ueber die Entstehung von Wolken hinausgehen wuerde, da es sonst die Tiere gewusst haetten. Was aber mit den Wolken geschehen wuerde, erkannte ich nicht genau, ich schloss nur, dass durch die Abkuehlung, die ihr Schatten erzeugen muesste, und durch die Luftstroemungen, denen sie selber ihr Dasein verdankten, ein Wind entstehen koennte, der in der Nacht den Himmel wieder rein fegen wuerde." "Und so geschah es auch", sagte ich. "Ich konnte es um so sicherer voraussehen", erwiderte er, "weil es an unserem Himmel und in unserem Garten oft schon so gewesen ist wie gestern und stets so geworden ist wie heute in der Nacht." "Das ist ein weites Feld, von dem ihr da redet", sagte ich, "und da steht der menschlichen Erkenntnis ein nicht unwichtiger Gegenstand gegenueber. Er beweist wieder, dass jedes Wissen Auslaeufe hat, die man oft nicht ahnt, und wie man die kleinsten Dinge nicht vernachlaessigen soll, wenn man auch noch nicht weiss, wie sie mit den groesseren zusammenhaengen. So kamen wohl auch die groessten Maenner zu den Werken, die wir bewundern, und so kann mit Hereinbeziehung dessen, von dem ihr redet, die Witterungskunde einer grossen Erweiterung faehig sein." "Diesen Glauben hege ich auch", erwiderte er. "Euch Juengeren wird es in den Naturwissenschaften ueberhaupt leichter, als es den Aelteren geworden ist. Man schlaegt jetzt mehr die Wege des Beobachtens und der Versuche ein, statt dass man frueher mehr den Vermutungen, Lehrmeinungen, ja Einbildungen hingegeben war. Diese Wege wurden lange nicht klar, obgleich sie Einzelne wohl zu allen Zeiten gegangen sind. Je mehr Boden man auf die neue Weise gewinnt, desto mehr Stoff hat man als Hilfe zu fernern Erringungen. Man wendet sich jetzt auch mit Ernst der Pflege der einzelnen Zweige zu, statt wie frueher immer auf das Allgemeine zu gehen; und es wird daher auch eine Zeit kommen, in der man dem Gegenstande eine Aufmerksamkeit schenken wird, von dem wir jetzt gesprochen haben. Wenn die Fruchtbarkeit, wie sie durch Jahrzehnte in der Naturwissenschaft gewesen ist, durch Jahrhunderte anhaelt, so koennen wir gar nicht ahnen, wie weit es kommen wird. Nur das eine wissen wir jetzt, dass das noch unbebaute Feld unendlich groesser ist als das bebaute." "Ich habe gestern einige Arbeiter bemerkt", sagte ich, "welche, obwohl der Himmel voll Wolken war, doch Wasser pumpten, ihre Giesskannen fuellten und die Gewaechse begossen. Haben diese vielleicht auch gewusst, dass kein Regen kommen werde, oder haben sie bloss eure Befehle vollzogen, wie die Maeher, die an dem Meierhofe Gras abmaehten?" "Das Letztere ist der Fall", erwiderte er. "Diese Arbeiter glauben jedes Mal, dass ich mich irre, wenn der aeussere Anschein gegen mich ist, wie oft sie auch durch den Erfolg belehrt worden sein moegen. Und so werden sie gewiss auch gestern geglaubt haben, dass Regen komme. Sie begossen die Gewaechse, weil ich es angeordnet habe und weil es bei uns eingefuehrt ist, dass der, welcher wiederholt den Anordnungen nicht nachkoemmt, des Dienstes entlassen wird. Es sind aber endlich auch noch andere Dinge ausser den Tieren, welche das Wetter vorhersagen, nehmlich die Pflanzen." "Von den Pflanzen wusste ich es schon, und zwar besser, als von den Tieren", erwiderte ich. "In meinem Garten und in meinem Gewaechshause sind Pflanzen", sagte er, "welche einen auffallenden Zusammenhang mit dem Luftkreise zeigen, besonders gegen das Nahen der Sonne, wenn sie lange in Wolken gewesen war. Aus dem Geruche der Blumen kann man dem kommenden Regen entgegen sehen, ja sogar aus dem Grase riecht man ihn beinahe. Mir kommen diese Dinge so zufaellig in den Garten und in das Haus; ihr aber werdet sie weit besser und weit gruendlicher kennen lernen, wenn ihr die Wege der neuen Wissenschaftlichkeit wandelt und die Hilfsmittel benuetzt, die es jetzt gibt, besonders die Rechnung. Wenn ihr namentlich eine einzelne Richtung einschlage, so werdet ihr in derselben ungewoehnlich grosse Fortschritte machen." "Woher schliesst ihr denn das?" fragte ich. "Aus eurem Aussehen", erwiderte er, "und schon aus der sehr bestimmten Aussage, die ihr gestern in Hinsicht des Wetters gemacht habt." "Diese Aussage war aber falsch", antwortete ich, "und aus ihr haettet ihr gerade das Gegenteil schliessen koennen." "Nein, das nicht", sagte er, "eure Aeusserung zeigte, weil sie so bestimmt war, dass ihr den Gegenstand genau beobachtet habt, und weil sie so warm war, dass ihr ihn mit Liebe und mit Eifer umfasst; dass eure Meinung dessohngeachtet irrig war, kam nur daher, weil ihr einen Umstand, der auf sie Einfluss hatte, nicht kanntet und ihn auch nicht leicht kennen konntet; sonst wuerdet ihr anders geurteilt haben." "Ja, ihr redet wahr, ich wuerde anders geurteilt haben", antwortete ich, "und ich werde nicht wieder so voreilig urteilen." "Ihr habt gestern gesagt, dass ihr euch mit Naturdingen beschaeftiget", fuhr er fort, "darf ich wohl fragen, ob ihr eine bestimmte Richtung gewaehlt habt und welche." Ich war durch die Frage ein wenig in Verwirrung gebracht und antwortete: "Ich bin doch im Grunde nur ein gewoehnlicher Fussreisender. Ich besitze gerade so viel Vermoegen, um unabhaengig leben zu koennen, und gehe in der Welt herum, um sie anzusehen. Ich habe wohl vor Kurzem alle Wissenschaften angefangen; aber davon bin ich zurueckgekommen und habe mir nur hauptsaechlich die einzelne Wissenschaft der Erdbildung zur Aufgabe gemacht. Um die Werke, welche ich hierin lese, zu ergaenzen, suche ich auf den Reisen, die ich in verschiedene Landesteile mache, zu beobachten, schreibe meine Erfahrungen auf und verfertige Zeichnungen. Da die Werke vorzueglich von Gebirgen handeln, so suche ich auch vorzueglich die Gebirge auf. Sie enthalten sonst auch Vieles, das mir lieb ist." "Diese Wissenschaft ist eine sehr weite", entgegnete mein Gastfreund, "wenn sie in der Bedeutung der Erdgeschichte genommen wird. Sie schliesst manche Wissenschaften ein und setzt manche voraus. Die Berge sind wohl jetzt, wo diese Wissenschaft noch jung ist und wo man ihre ersten und greifbarsten Zuege sammelt, von der groessten Bedeutung; aber es wird auch die Ebene an die Reihe kommen, und ihre einfache und schwerer zu entziffernde Frage wird gewiss nicht von geringerer Wichtigkeit sein." "Sie wird gewiss wichtig sein", antwortete ich. "Ich habe die Ebene und ihre Sprache, die sie damals zu mir sprach, schon geliebt, ehe ich meine jetzige Aufgabe betrieb und ehe ich die Gebirge kannte." "Ich glaube", entgegnete mein Begleiter, "dass in der gegenwaertigen Zeit der Standpunkt der Wissenschaft, von welcher wir sprechen, der des Sammelns ist. Entfernte Zeiten werden aus dem Stoffe etwas bauen, das wir noch nicht kennen. Das Sammeln geht der Wissenschaft immer voraus; das ist nicht merkwuerdig; denn das Sammeln muss ja vor der Wissenschaft sein; aber das ist merkwuerdig, dass der Drang des Sammelns in die Geister koemmt, wenn eine Wissenschaft erscheinen soll, wenn sie auch noch nicht wissen, was diese Wissenschaft enthalten wird. Es geht gleichsam der Reiz der Ahnung in die Herzen, wozu etwas da sein koenne und wozu es Gott bestellt haben moege. Aber selbst ohne diesen Reiz hat das Sammeln etwas sehr Einnehmendes. Ich habe meine Marmore alle selber in den Gebirgen gesammelt und habe ihren Bruch aus den Felsen, ihr Absaegen, ihr Schleifen und ihre Einfuegungen geleitet. Die Arbeit hat mir manche Freude gebracht, und ich glaube, dass mir nur darum diese Steine so lieb sind, weil ich sie selber gesucht habe." "Habt ihr alle Arten unsers Gebirges?" fragte ich. "Ich habe nicht alle", antwortete er, "ich haette sie vielleicht nach und nach erhalten koennen, wenn ich meine Besuche stetig haette fortsetzen koennen. Aber seit ich alt werde, wird es mir immer schwieriger. Wenn ich jetzt zu seltnen Zeiten einmal an den Rand des Simmeises hinaufkomme, empfinde ich, dass es nicht mehr ist wie in der Jugend, wo man keine Grenze kennt als das Ende des Tages oder die bare Unmoeglichkeit. Weil ich nun nicht mehr so grosse Strecken durchreisen kann, um etwa Marmor, der mir noch fehlt, in Bloecken aufzusuchen, so wird die Ausbeute immer geringer; sie wird auch aus dem Grunde geringer, weil ich bereits so viel habe und die Stellen also seltener sind, wo ich ein noch Fehlendes finde. Da ich allen Marmor selber gesammelt habe, so kann ich wohl auch kein Stueck an meinem Hause anbringen, das mir von fremder Hand kaeme." "Ihr habt also wahrscheinlich das Haus selber gebaut oder es sehr umgestaltet?" fragte ich. "Ich habe es selber gebaut", antwortete er. "Das Wohnhaus, welches zu den umliegenden Gruenden gehoert, war frueher der Meierhof, an dem ihr gestern, da wir auf dem Baenkchen der Felderrast sassen, Leute Gras maehen gesehen habt. Ich habe ihn von dem frueheren Besitzer sammt allen Laendereien, die dazu gehoeren, gekauft, habe das Haus auf dem Huegel gebaut und habe den Meierhof zum Wirtschaftsgebaeude bestimmt." "Aber den Garten koennt ihr doch unmoeglich neu angelegt haben?" "Das ist eine eigene Entstehungsgeschichte", erwiderte er. "Ich muss sagen: ich habe ihn neu angelegt, und ich muss sagen: ich habe ihn nicht neu angelegt. Ich habe mir mein Wohnhaus fuer den Rest meiner Tage auf einen Platz gebaut, der mir entsprechend schien. Der Meierhof stand in dem Tale, wie meistens die Gebaeude dieser Art, damit sie das fette Gras, das man haeufig in den Wirtschaften braucht, um das Gehoefte herum haben; ich wollte aber mit meiner Wohnung auf die Anhoehe. Da sie nun fertig war, sollte der Garten, der an dem Meierhofe stand und nur mit vereinzelten Baeumen oder mit Gruppen von ihnen zu mir langte, heraufgezogen werden. Die Linde, unter welcher wir jetzt sitzen, sowie ihre Kameraden, die um sie herum stehen oder einen Gartenweg bilden, stehen da, wo sie gestanden sind. Der grosse alte Kirschbaum auf der Anhoehe stand mitten im Getreide. Ich zog die Anhoehe zu meinem Garten, legte einen Weg zu dem Kirschbaume hinauf an und baute um ihn ein Baenklein herum. Und so ging es mit vielen andern Baeumen. Manche, und darunter sehr bedeutende, dass man es nicht glauben sollte, haben wir uebersetzt. Wir haben sie im Winter mit einem grossen Erdballen ausgegraben, sie mit Anwendung von Seilen umgelegt, hierher gefuehrt und mit Hilfe von Hebeln und Balken in die vorgerichteten, gut zubereiteten Gruben gesenkt. Waren die Zweige und Aeste gehoerig gekuerzt, so schlugen sie im Fruehlinge desto kraeftiger an, gleichsam als waeren die Baeume zu neuem Leben erwacht. Die Gestraeuche und das Zwergobst ist alles neu gesetzt worden. In kuerzerer Zeit, als man glauben sollte, hatten wir die Freude, zu sehen, dass der Garten so zusammengewachsen erschien, als waere er nie an einem andern Platze gewesen. In der Naehe des Meierhofes habe ich manchen Rest von Baeumen faellen lassen, wenn er dem Getreidebau hinderlich war; denn ich legte dort Felder an, wo ich die Baeume genommen hatte, um an Boden auf jener Seite zu gewinnen, was ich auf dieser durch Anlegung des Gartens verloren hatte." "Ihr habt da einen reizenden Sitz", bemerkte ich. "Nicht der Sitz allein, das ganze Land ist reizend", erwiderte er, "und es ist gut da wohnen, wenn man von den Menschen koemmt, wo sie ein wenig zu dicht an einander sind, und wenn man fuer die Kraefte seines Wesens Taetigkeit mitbringt. Zuweilen muss man auch einen Blick in sich selbst tun. Doch soll man nicht stetig mit sich allein auch in dem schoensten Lande sein; man muss zu Zeiten wieder zu seiner Gesellschaft zurueckkehren, waere es auch nur, um sich an manche glaenzende Menschentruemmer, die aus unsrer Jugend noch uebrig sind, zu erquicken, oder an manchem festen Turm von einem Menschen empor zu schauen, der sich gerettet hat. Nach solchen Zeiten geht das Landleben wieder wie lindes Oel in das geoeffnete Gemuet. Man muss aber weit von der Stadt weg und von ihr unberuehrt sein. In der Stadt kommen die Veraenderungen, welche die Kuenste und die Gewerbe bewirkt haben, zur Erscheinung: auf dem Lande die, welche naheliegendes Beduerfnis oder Einwirken der Naturgegenstaende auf einander hervorgebracht haben. Beide vertragen sich nicht, und hat man das Erste hinter sich, so erscheint das Zweite fast wie ein Bleibendes, und dann ruht vor dem Sinne ein schoenes Bestehendes und zeigt sich dem Nachdenken ein schoenes Vergangenes, das sich in menschlichen Wandlungen und in Wandlungen von Naturdingen in eine Unendlichkeit zurueckzieht." Ich antwortete nichts auf diese Rede, und wir schwiegen eine Weile. Endlich sagte er wieder: "Ihr bleibt noch heute nachmittag und in der Nacht bei uns?" "Nach dem, wie ich hier aufgenommen worden bin", antwortete ich, "ist es ein angenehmes Gefuehl, noch den Tag und die Nacht hier zubringen zu duerfen." "So ist es gut", erwiderte er, "ihr muesst aber auch erlauben, dass ich euch einen Teil des Vormittags allein lasse, weil die Stunde naht, in der ich zu Gustav gehen und ihm in seinem Lernen beistehen muss." "Tut euch nur keinen Zwang an", entgegnete ich. "So werde ich euch verlassen", antwortete er, "geht indessen ein wenig in dem Garten herum, oder seht das Feld an, oder besucht das Haus." "Ich wuensche fuer den Augenblick noch eine Weile unter diesem Baume sitzen bleiben zu duerfen", erwiderte ich. "Tut, wie es euch gefaellt", antwortete er, "nur erinnert euch, dass ich gestern gesagt habe, dass in diesem Hause um zwoelf Uhr zu Mittag gegessen wird." "Ich erinnere mich", sagte ich, "und werde keine Unordnung machen." Eine kleine Weile nach diesen Worten stand er auf, strich sich mit seiner Hand die Tierchen und sonstigen Koerperchen, die von dem Baume auf ihn herabgefallen waren, aus den Haaren, empfahl sich und ging in der Richtung gegen das Haus zu. Der Abschied Ich sass noch eine geraume Zeit unter dem Baume und legte mir zurecht, was ich gesehen und vernommen. Die Bienen summten in dem Baume, und die Voegel sangen in dem Garten. Das Haus, in welches der alte Mann gegangen war, blickte mit einzelnen Teilen, sei es von der weissen Wand, sei es von dem Ziegeldache durch das Gruen der Baeume herueber, und zu meiner Rechten ging jenseits der Gebuesche, in der Gegend, in welcher ich das Schreinerhaus vermutete, ein duenner Rauch in die Luft empor. Das Singen der Voegel und das Summen der Bienen war mir beinahe eine Stille, da ich durch meine Gebirgswanderungen an solche andauernde Laute gewohnt war. Die Stille wurde unterbrochen durch einzelne Laute, welche von den Arbeitern im Garten herruehrten, entweder dass man das Quieken einer Pumpe hoerte, mit der man Wasser pumpte, und mittelst Rinnen in eine Tonne leitete, um es abends zum Begiessen zu verwenden, oder dass eine menschliche Rede ferner oder naeher erscholl, die einen Befehl oder eine Auskunft enthielt. Die verschiedenen Flecke des Himmels, welche durch das Gruen der Baeume hereinsahen, waren ganz blau und zeigten, wie sehr mein Gastfreund mit seiner Voraussage des schoenen Wetters Recht gehabt hatte. Ich riss mich endlich aus meinen Gedanken und ging in dem Garten empor. Ich ging zu dem grossen Kirschbaume. Ich suchte das Freie, weil ich in dem Garten wegen der beschraenkten Aussicht doch nicht einen genauen Ueberblick in Hinsicht der Witterungsverhaeltnisse machen konnte. Hier oben stand der Himmel als eine grosse, ausgedehnte Glocke ueber mir, und in der ganzen Glocke war kein einziges Woelklein. Das Hochgebirge, welches wir gestern nicht hatten sehen koennen, stand heute in seiner ganzen Klarheit an der Laenge des suedlichen Himmels dahin. Vor ihm waren die Vorlande mit manchen weissen Punkten von Kirchen und Doerfern, naeher zu mir zeigte sich mancher Turm von einer Ortschaft, die ich kannte, und unter meinen Fuessen ruhten der Garten und das Haus, in welchem ich gestern so freundlich aufgenommen worden war. Die Getreide, welche nicht weit von mir hinter der Planke des Gartens standen, und die gestern ganz ruhig gewesen waren, befanden sich heute in einem zwar schwachen, aber froehlichen Wogen. Ich musste denken, dass das Wetter nicht nur jetzt so schoen sei, sondern dass es noch lange so schoen bleiben werde. Von dem grossen Kirschbaume ging ich wieder in den Garten zurueck und betrachtete verschiedene Gegenstaende. Ich ging auch noch einmal in das Gewaechshaus. Ich konnte nun manches genauer ansehen, als es mir frueher moeglich gewesen war, da ich mit meinem Begleiter das Haus gleichsam nur durchschritten hatte. Der weisse Gaertner gesellte sich zu mir, erlaeuterte mir manches, gab mir ueber Verschiedenes Auskunft und beantwortete bereitwillig alle meine Fragen, wie weit seine Kenntnisse und seine Uebersicht es zuliessen. Als ich das Gebaeude verlassen wollte, sagte er mir, er wolle mir noch etwas zeigen, was der Herr mir zu zeigen vergessen habe. Er fuehrte mich auf einen Platz, der mit Sand bedeckt war, der von allen Seiten der Sonne zugaenglich und doch durch Baeume und Gebuesche, die ihn in einer gewissen Entfernung umgaben, vor heftigen Winden geschuetzt war. Mitten auf dem Platze stand ein kleines glaesernes Haus, welches zum Teile in der Erde steckte. Dieser Umstand und dann der, dass es von Baeumen umringt war, machten, dass ich es frueher nicht wahrgenommen hatte. Als wir naeher kamen, sah ich, dass es ganz von Glas sei und nur so viel Gerippe habe, als sich zur Festigkeit der Tafeln notwendig zeige. Es war auch mit einem starken eisernen Gitter, wahrscheinlich des Hagels wegen, umspannt. Als wir die einigen Stufen von der Flaeche des Gartens in das Innere hinabgestiegen waren, sah ich, dass sich Pflanzen in dem Hause befanden, und zwar nur eine einzige Gattung, nehmlich lauter Cactus. Mehr als hundert Arten standen in Tausenden von kleinen Toepfen da. Die niederen und runden standen frei, die langen, welche Luftwurzeln treiben, hatten Waende von Baumrinden neben sich, die mit Erde eingerieben waren, damit die Pflanzen die Luftwurzeln in sie schlagen konnten. Alle Glastafeln ueber unseren Haeuptern waren geoeffnet, dass die freie Luft den ganzen Raum durchdringen konnte und doch die Wirkung der Sonnenstrahlen nicht beirrt war. Die Toepfe standen in Reihen auf hoelzernen Gestellen, die Gestelle aber waren wieder unterbrochen, so dass man in allen Richtungen herum gehen und alles betrachten konnte. Der Gaertner fuehrte mich herum und zeigte mir die Abteilungen und Unterabteilungen, in welchen die Gewaechse beisammenstanden. Ich sagte, dass ich mich freue, dass mein Gastfreund auf die Familie dieser Pflanzen eine solche Sorgfalt wende, da sie gewiss besonders und merkwuerdig waeren. "Wenn man sie laenger betrachtet und laenger mit ihnen umgeht, werden sie immer merkwuerdiger", antwortete mein Nachbar. "Die Stellung ihrer Bildungen ist so mannigfaltig, die Stacheln koennen zu einer wahren Zierde und zu einer Bewaffnung dienen, und die Blueten sind verwunderlich wie Maerchen. In einem Monate wuerdet ihr sehr schoene sehen, jetzt sind sie noch zu wenig entwickelt." Ich sagte ihm, dass ich schon Blueten gesehen habe, nicht bloss solche, die, wie schoen sie seien, doch ueberall wachsen, sondern auch andere, die selten sind, und solche, die mit der Schoenheit den lieblichen Duft vereinen. Ich sagte ihm, dass ich in frueheren Zeiten Pflanzenkunde getrieben habe, zwar nicht in Bezug auf Gartenpflege, sondern zu meiner Belehrung und Erheiterung, und dass die Cactus nicht das Letzte gewesen waeren, dem ich eine Aufmerksamkeit geschenkt habe. "Wenn der Herr alte Sachen sammelt", sagte er, "so waere es wohl auch recht, wenn er dies auch mit alten Pflanzen taete. Im Inghofe ist in dem Gewaechshause ein Cereus, der staerker als ein Mannesarm sammt seiner Bekleidung ist. Er geht an der Wand empor, biegt sich um und waechst an der Decke des Hauses hin, an welcher er mit Baendern befestigt ist. Der untere Teil ist schon Holz geworden, dass man Namen eingeschnitten hat. Ich glaube, es ist ein Cereus peruvianus. Sie schaetzen ihn nicht so hoch, und der Herr sollte den Cereus kaufen, wenn man auch wegen seiner Laenge drei Waegen aneinander binden muesste, um ihn herueber bringen zu koennen. Er ist gewiss schon zweihundert Jahre alt." Ich antwortete auf diese Rede nicht, um ihm seine Zeitrechnung in Hinsicht der Cactuspflege in Europa nicht zu stoeren. Ich dankte ihm, da ich endlich alles gesehen hatte, fuer seine Muehe und verliess das kleine Haus. Er verabschiedete sieh sehr freundlich und mit vielen Verbeugungen. Ich ging nun zu dem Eingangsgitter, durch welches mein Gastfreund mich gestern hereingelassen hatte, weil ich auch ausserhalb des Gartens ein wenig herumsehen wollte. Ein Arbeiter, welcher in der Naehe beschaeftigt war, oeffnete mir die Tuer, weil ich die Einrichtung des Schlosses nicht kannte, und ich trat in das Freie. Ich ging auf der Seite des Huegels, auf welcher ich gestern heraufgekommen war, in mehreren Richtungen herum. Wenn ich auch die Gegend des Landes, in der ich mich befand, im Allgemeinen sehr wohl kannte, so hatte ich mich doch nie so lange in ihr aufgehalten, um in das Einzelne eindringen zu koennen. Ich sah jetzt, dass es ein sehr fruchtbarer, schoener Teil sei, der mich aufgenommen hatte, dass sich anmutige Stellen zwischen die Kruemmungen der Huegel hineinziehen und dass ein dichtes Bewohntsein der Gegend etwas sehr Heiteres erteile. Der Tag wurde nach und nach immer waermer, ohne heiss zu sein, und es war jene Stille, die zur Zeit der Rosenbluete weit mehr als zu einer anderen auf den Feldern ist. In dieser Zeit sind alle Feldgewaechse gruen, sie sind im Wachsen begriffen, und wenn nicht viele Wiesen in der Gegend sind, auf welchen zu jener Zeit die Heuernte vorkoemmt, so haben die Leute keine Arbeit auf den Feldern und lassen sie allein unter der befruchtenden Sonne. Die Stille war wie in dem Hochgebirge; aber sie war nicht so einsam, weil man ueberall von der Geselligkeit der Naehrpflanzen umgeben war. Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, dass es Mittag sei. Ich ging dem Hause zu, das Gitter wurde mir auf einen Zug an der Glockenstange geoeffnet, und ich ging in das Speisezimmer. Dort fand ich meinen Gastfreund und Gustav, und wir setzten uns zu Tische. Wir drei waren allein bei dem Mahle. Waehrend des Essens sagte mein Gastfreund: "Ihr werdet euch wundern, dass wir so allein unsere Speisen verzehren. Es ist in der Tat sehr zu bedauern, dass die alte Sitte abgekommen ist, dass der Herr des Hauses zugleich mit den Seinigen und seinem Gesinde beim Mahle sitzt. Die Dienstleute gehoeren auf diese Weise zu der Familie, sie dienen oft lebenslang in demselben Hause, der Herr lebt mit ihnen ein angenehmes gemeinschaftliches Leben, und weil alles, was im Staate und in der Menschlichkeit gut ist, von der Familie koemmt, so werden sie nicht bloss gute Dienstleute, die den Dienst lieben, sondern leicht auch gute Menschen, die in einfacher Froemmigkeit an dem Hause wie an einer unverrueckbaren Kirche haengen und denen der Herr ein zuverlaessiger Freund ist. Seit sie aber von ihm getrennt sind, fuer die Arbeit bezahlt werden und abgesondert ihre Nahrung erhalten, gehoeren sie nicht zu ihm, nicht zu seinem Kinde, haben andere Zwecke, widerstreben ihm, verlassen ihn leicht und fallen, da sie familienlos und ohne Bildung sind, leicht dem Laster anheim. Die Kluft zwischen den sogenannten Gebildeten und Ungebildeten wird immer groesser; wenn noch erst auch der Landmann seine Speisen in seinem abgesonderten Stuebchen verzehrt, wird dort eine unnatuerliche Unterscheidung, wo eine natuerliche nicht vorhanden gewesen waere." "Ich habe", fuhr er nach einer Weile fort, "diese Sitte in unserem hiesigen Hause einfuehren wollen; allein die Leute waren auf eine andere Weise herangewachsen, waren in sich selber hineingewachsen, konnten sich an ein Fremdes nicht anschliessen und haetten nur die Freiheit ihres Wesens verloren. Es ist kein Zweifel, dass sie sich nach und nach in das Verhaeltnis wuerden eingelebt haben, besonders die Juengeren, bei denen die Erziehung noch wirkt; allein ich bin so alt, dass das Unternehmen weit ueber den Rest meiner Jahre hinausgeht. Ich befreite daher meine Dienstleute von dem Zwange, und juengere Nachfolger moegen den Versuch wieder erneuern, wenn sie meine Meinung teilen." Mir fiel bei dieser Rede mein Elternhaus ein, in welchem es wohltuend ist, dass wenigstens die Handlungsdiener meines Vaters mit uns an dem Mittagstische essen. Die Zeit nach dem Mittagsessen ward dazu bestimmt, den Meierhof zu besuchen, und Gustav durfte uns begleiten. Wir gingen nicht den Weg, der an dem grossen Kirschbaume vorueber und auf der Hoehe der Felder dahin fuehrt. Dieser Weg, sagte mein Gastfreund, sei mir schon bekannt; sondern wir gingen in der Naehe der Bienenhuette durch ein Pfoertchen in das Freie und gingen auf einem Pfade ueber den sanften Abhang hinab, der noch mit hohen Obstbaeumen, die die besseren Arten des Landes trugen und von dem Meierhofgarten uebrig geblieben waren, bedeckt war. Die Wiesen, ueber die wir wandelten, waren so gut, wie ich sie selten angetroffen habe. Da wir zu dem Gebaeude gekommen waren, sah ich, dass es ein weitlaeufiges Viereck war wie die groesseren Landhoefe der Gegend, dass man aber hie und da daran gebessert und dass man es durch Zubauten erweitert hatte. Der Hofraum war an den Gebaeuden herum mit breiten Steinen gepflastert, der uebrige Teil desselben war mit grobem Quarzsande bedeckt, der oefter umgearbeitet wurde. Die Gebaeude, welche diesen Raum umgaben, enthielten die Staelle, Scheunen, Wagengewoelbe und Wohnungen. Das Vorratshaus stand weiter entfernt in dem Garten. Wir besahen die Tiere, welche eben zu Hause waren, von den Pferden und Rindern angefangen bis zu den Schweinen und dem Federvieh hinunter. Fuer die Rinder war hinter dem Hause ein schoener Platz eingefangen, auf welchem sie in freie Luft gelassen werden konnten. Es stroemte frisches Wasser in einer tiefen Steinrinne durch den Platz, von welchem sie trinken konnten. Ich hatte diese Einrichtung nie gesehen, und sie gefiel mir sehr. Ein aehnlicher Platz war fuer das Federvieh eingefangen, und nicht weit davon war ein Anger, auf welchem sich die Fuellen tummeln konnten. Wir besuchten auch die Wohnungen der Leute. Hier fielen mir die grossen, schoenen Steinrahmen auf, die an den Fenstern gesetzt waren, auch konnte man leicht die bedeutende Vergroesserung der Fenster sehen. In der Wagenhalle waren nicht bloss die Waegen und anderen Fahrzeuge, sondern auch die uebrigen Landwirtschaftsgeraete in Vorrate vorhanden. Die Duengerstaette, welche auch hier wie in den meisten Wirtschaftshaeusern unseres Landes in dem Hofe gewesen war, ist auf einen Platz hinter dem Hause verwiesen worden, den ringsum hohe Gebuesche umfingen. "Es ist hier noch Vieles im Entstehen und Werden begriffen", sagte mein Gastfreund, "aber es geht langsam vorwaerts. Man muss die Vorurteile der Leute schonen, die unter anderen Umgebungen herangewachsen und sie gewohnt sind, damit sie nicht durch das Neue beirrt werden und ihre Liebe zur Arbeit verlieren. Wir muessen uns beruhigen, dass schon so Vieles geschehen ist, und auf das Weitere hoffen." Die Leute, welche dieses Haus bewohnten, waren damit beschaeftigt, das Heu, welches gestern gemaeht worden war, einzubringen oder, wo es not tat, vollkommen zu trocknen. Mein Gastfreund redete mit Manchem und fragte um Verschiedenes, das sich auf die taeglichen Geschaefte bezog. Als wir von der entgegengesetzten Seite des Hauses fortgingen, sahen wir auch den Garten, in welchem die Gemuese und andere Dinge fuer den Gebrauch des Hofes gezogen wurden. Auf dem Rueckwege schlugen wir eine andere Richtung ein, als auf der wir gekommen waren. Hatten wir auf unserem Herwege den grossen Kirschbaum noerdlich gelassen, so liessen wir ihn jetzt suedlich, so dass es schien, dass wir den ganzen Garten des Hauses umgehen wuerden. Wir stiegen gegen jene Wiese hinan, von der mir mein Gastfreund gestern gesagt hatte, dass sie die noerdliche Grenze seines Besitztums sei und dass er sie nicht nach seinem Willen habe verbessern koennen. Der Weg fuehrte sachte aufwaerts, und in der Tiefe der Wiese kam uns in vielen Windungen ein Baechlein, das mit Schilf und Gestrippe eingefasst war, entgegen. Als wir eine Strecke gegangen waren, sagte mein Begleiter: "Das ist die Wiese, die ich euch gestern von dem Huegel herab gezeigt habe und von der ich gesagt habe, dass bis dahin unser Eigentum gehe und dass ich sie nicht habe einrichten koennen, wie ich gewollt haette. Ihr seht, dass die Stellen an dem Bache versumpft sind und saures Gras tragen. Dem waere leicht abzuhelfen und das mildeste Gras zu erzielen, wenn man dem Bache einen geraden Lauf gaebe, dass er schneller abfloesse, die Waende hie und da mit Steinen ausmauerte und die Niederungen mit trockener Erde anfuellte. Ich kann euch jetzt den Grund zeigen, weshalb dieses nicht geschieht. Ihr seht an beiden Seiten des Baches Erlenschoesslinge wachsen. Wenn ihr naeher herzutretet, so werdet ihr sehen, dass diese Schoesslinge aus dicken Bloecken, gleichsam aus Knollen und Hoeckern von Holz hervorwachsen, welches Holz teils ueber der Erde ist, teils in dem feuchten Boden derselben steckt." Wir waren bei diesen Worten zu dem Bache hinzugegangen, und ich sah, dass es so war. "Diese ungestalteten Anhaeufungen von Holz", fuhr er fort, "aus denen die duennen Ruten oder krueppelhafte Aeste hervorragen, bilden sich hier in sumpfigem Boden, sie entstehen aber auch im Sande oder in Steinen und sind ein Aftererzeugnis des sonst recht schoen emporwachsenden Erlenbaumes. In dem vielteiligen Streben des Holzes, eine Menge Ruten oder zwietraechtige Aeste anzusetzen und sich selber dabei zu vergroessern, entsteht ein solches Verwinden und Drehen der Fasern und Rinden, dass, wenn man einen solchen Block auseinandersaegt und die Saegeflaeche glaettet, sich die schoenste Gestaltung von Farbe und Zeichnung in Ringen, Flammen und allerlei Schlangenzuegen darstellt, so dass diese Gattung Erlenholz sehr gesucht fuer Schreinerarbeiten und sehr kostbar ist. Als ich das Anwesen hier gekauft, die Wiese besehen und die Erlenbloecke entdeckt hatte, liess ich einen ausgraben, auseinandersaegen und untersuchte ihn dann. Da fand ich, der ich damals im Erkennen des Holzes schon mehrere Uebung hatte, dass diese Bloecke zu den schoensten gehoeren, die bestehen, und dass die feurige Farbe und der weiche, seidenartige Glanz des Holzes, auf welche Dinge man besonders das Augenmerk richtet, kaum ihresgleichen haben duerften. Ich liess mehrere Bloecke ausgraben und Blaetter aus ihnen schneiden. Ihr werdet die Verwendung derselben in unserer Nachbarschaft sehen, wenn ihr uns wieder besuchen wollt und uns Zeit gebt, euch dorthin zu fuehren, wo sie sind. Die uebrigen Bloecke liess ich in dem Boden als einen Schatz, der da bleiben und sich vermehren sollte. Nur wenn einer derselben nicht mehr zu treiben, sondern vielmehr abzusterben beginnt, wird er herausgenommen und wird zu Blaettern geschnitten, welche ich dann zu kuenftigen Arbeiten aufbewahre oder verkaufe. An seiner Stelle bildet sich dann leicht ein anderer. Zu dem Entschlusse, diesen Anwuchs zu pflegen, kam ich, nachdem ich einerseits vorher nach und nach die Gegend um unser Haus immer naeher kennen gelernt, alle Talmulden und Bachrinnen erforscht und nirgends auch nur annaehernd so brauchbares Erlenholz gefunden hatte, und nachdem anderseits auch das, was mir auf mein Verlangen aus mehreren Orten eingesendet worden war, sich dem unseren als nicht gleichkommend gezeigt hatte. Ich liess oberhalb des Erlenwuchses einen Wasserbau auffuehren, um die Pflanzung vor Ueberschwemmung und Ueberkiesung zu sichern und das zu sehr anschwellende Wasser in ein anderes Rinnsal zu leiten. Meine Nachbarn sahen das Zweckdienliche der Sache ein, und zwei derselben legten sogar in oeden Gruenden, die nicht zu entwaessern waren, solche Erlenpflanzungen an. Mit welchem Erfolge dies geschah, laesst sich noch nicht ermitteln, da die Pflanzen noch zu jung sind." Wir betrachteten die Reihen dieser Gewaechse und gingen dann weiter. Wir gingen die Wiese entlang, streiften an einem Gehoelze hin, ueberschritten den Wasserbau, von dem mein Gastfreund gesprochen hatte, und begannen nicht nur den Garten, sondern den ganzen Getreidehuegel, auf dem das Haus steht, zu umgehen. Da die Sonne immer waermer, wenn auch nicht gar heiss schien, wunderte ich mich, dass keiner von meinen zwei Begleitern eine Bedeckung auf dem Haupte trug. Sie waren ohne einer solchen von dem Hause fortgegangen. Der alte Mann breitete dem Glanz der Sonne die Fuelle seiner weissen Haare unter, und der Zoegling trug auf seinem Scheitel die dichten, glaenzenden braunen Locken. Ich wusste nicht, kamen mir die beiden ohne Kopfbedeckung sonderbar vor oder ich neben ihnen mit meinem Reisehute auf dem Haupte. Der Juengling hatte wenigstens den Vorteil, dass ihm die Sonne die Wangen noch mehr roetete und noch schoener faerbte, als sie sonst waren. Ich betrachtete ihn ueberhaupt gerne. Sein leichter Gang war ein heiterer Fruehlingstag gegen den zwar auch noch kraeftigen, aber bestimmten und abgemessenen Schritt seines Begleiters, seine schlanke Gestalt war der froehliche Anfang, die seines Erziehers das Hinneigen zum Ende. Was sein Benehmen anbelangt, so war er zurueckgezogen und bescheiden und mischte sich nicht in die Gespraeche, ausser wenn er gefragt wurde. Ich wendete mich haeufig an ihn und fragte ihn um verschiedene Dinge, besonders um solche, die die Gegend umher betrafen und deren Kenntnis ich bei ihm voraussetzen musste. Er antwortete sicher und mit einer gewissen Ehrerbietung gegen mich, obwohl ich ihm an Jahren nicht so ferne stand als sein Erzieher. Er ging meistens, auch wenn der Weg breit genug gewesen waere, hinter uns. Als wir den Huegel vollends umgangen hatten und an mehreren laendlichen Wohnungen vorbeigekommen waren, stiegen wir auf der nehmlichen Seite und auf dem nehmlichen Wege gegen das Haus empor, auf welchem ich gestern gegen dasselbe hinangekommen war. Da wir es erreicht hatten, traten uns die Rosen entgegen, wie sie mir gestern entgegengetreten waren. Ich nahm von diesem Anblicke Gelegenheit, meinen Gastfreund der Rosen wegen zu fragen, da ich ueberhaupt gesonnen war, dieser Blumen willen einmal eine Frage zu tun. Ich bat ihn, ob wir denn zu besserer Betrachtung nicht naeher auf den grossen Sandplatz treten wollten. Wir taten es und standen vor der ganzen Wand von Blumen, die den unteren Teil des weissen Hauses deckte. Ich sagte, er muesse ein besonderer Freund dieser Blumen sein, da er so viele Arten hege, und da die Pflanzen hier in einer Vollkommenheit zu sehen seien wie sonst nirgends. "Ich liebe diese Blume allerdings sehr", antwortete er, "halte sie auch fuer die schoenste und weiss wirklich nicht mehr, welche von diesen beiden Empfindungen aus der andern hervorgegangen ist." "Ich waere auch geneigt", sagte ich, "die Rose fuer die schoenste Blume zu halten. Die Camellia steht ihr nahe, dieselbe ist zart, klar und rein, oft ist sie voll von Pracht; aber sie hat immer fuer uns etwas Fremdes, sie steht immer mit einem gewissen vornehmen Anstande da: das Weiche, ich moechte den Ausdruck gebrauchen, das Suesse der Rose hat sie nicht. Wir wollen von dem Geruche gar nicht einmal reden; denn der gehoert nicht hieher." "Nein", sagte er, "der gehoert nicht hieher, wenn wir von der Schoenheit sprechen; aber gehen wir ueber die Schoenheit hinaus und sprechen wir von dem Geruche, so duerfte keiner sein, der dem Rosengeruche an Lieblichkeit gleichkommt." "Darueber koennte nach einzelner Vorliebe gestritten werden", antwortete ich, "aber gewiss wird die Rose weit mehr Freunde als Gegner haben. Sie wird sowohl jetzt geehrt, als sie in der Vergangenheit geehrt wurde. Ihr Bild ist zu Vergleichen das gebraeuchlichste, mit ihrer Farbe wird die Jugend und Schoenheit geschmueckt, man umringt Wohnungen mit ihr, ihr Geruch wird fuer ein Kleinod gehalten und als etwas Koestliches versendet, und es hat Voelker gegeben, die die Rosenpflege besonders schaetzten, wie ja die waffenkundigen Roemer sich mit Rosen kraenzten. Besonders liebenswert ist sie, wenn sie so zur Anschauung gebracht wird wie hier, wenn sie durch eigentuemliche Mannigfaltigkeit und Zusammenstellung erhoeht und ihr gleichsam geschmeichelt wird. Erstens ist hier eine wahre Gewalt von Rosen, dann sind sie an der grossen weissen Flaeche des Hauses verteilt, von der sie sich abheben; vor ihnen ist die weisse Flaeche des Sandes, und diese wird wieder durch das gruene Rasenband und die Hecke, wie durch ein gruenes Samtband und eine gruene Verzierung, von dem Getreidefelde getrennt." "Ich habe auf diesen Umstand nicht eigens gedacht", sagte er, "als ich sie pflanzte, obwohl ich darauf sah, dass sie sich auch so schoen als moeglich darstellten." "Aber ich begreife nicht, wie sie hier so gut gedeihen koennen", entgegnete ich. "Sie haben hier eigentlich die unguenstigsten Bedingungen. Da ist das hoelzerne Gitter, an das sie mit Zwang gebunden sind, die weisse Wand, an der sich die brennenden Sonnenstrahlen fangen, das Ueberdach, welches dem Regen, Taue und dem Einwirken des Himmelsgewoelbes hinderlich ist, und endlich haelt das Haus ja selber den freien Luftzug ab." "Wir haben dieses Gedeihen nur nach und nach hervorrufen koennen", antwortete er, "und es sind viele Fehlgriffe getan worden. Wir lernten aber und griffen die Sache dann der Ordnung nach an. Es wurde die Erde, welche die Rosen vorzueglich lieben, teils von anderen Orten verschrieben, teils nach Angabe von Buechern, die ich hiezu anschaffte, im Garten bereitet. Ich bin wohl nicht ganz unerfahren hieher gekommen, ich hatte auch vorher schon Rosen gezogen und habe hier meine Erfahrungen angewendet. Als die Erde bereit war, wurde ein tiefer, breiter Graben vor dem Hause gemacht und mit der Erde gefuellt. Hierauf wurde das hoelzerne Gitter, welches reichlich mit Oelfarbe bestrichen war, dass es von Wasser nicht in Faeulnis gesetzt werden konnte, aufgerichtet, und eines Fruehlings wurden die Rosenpflanzen, die ich entweder selbst gezogen oder von Blumenzuechtern eingesendet erhalten hatte, in die lockere Erde gesetzt. Da sie wuchsen, wurden sie angebunden, im Laufe der Jahre versetzt, verwechselt, beschnitten und dergleichen, bis sich die Wand allgemach erfuellte. In dem Garten sind die Vorratsbeete angelegt worden, gleichsam die Schule, in welcher die gezogen werden, die einmal hieher kommen sollen. Wir haben gegen die Sonne eine Rolle Leinwand unter dem Dache anbringen lassen, die durch einige leichte Zuege mit Schnueren in ein Dach ueber die Rosen verwandelt werden kann, das nur gedaempfte Strahlen durchlaesst. So werden die Pflanzen vor der zu heissen Sommersonne und die Blumen vor derjenigen Sonne geschuetzt, die ihnen schaden koennte. Die heutige ist ihnen nicht zu heiss, ihr seht, dass sie sie froehlich aushalten. Was ihr von Tau und Regen sagt, so steht das Gitter nicht so nahe an dem Hause, dass die Einfluesse des freien Himmels ganz abgehalten werden. Tau sammelt sich auf den Rosen und selbst Regen traeufelt auf sie herunter. Damit wir aber doch nachhelfen und zu jener Zeit Wasser geben koennen, wo es der Himmel versagt, haben wir eine hohle Walze unter der Dachrinne, die mit aeusserst feinen Loechern versehen ist und aus Tonnen, die unter dem Dache stehen, mit Wasser gefuellt werden kann. Durch einen leichten Druck werden die Loecher geoeffnet, und das Wasser faellt wie Tau auf die Rosen nieder. Es ist wirklich ein angenehmer Anblick, zu sehen, wie in Zeiten hoher Not das Wasser von Blaettern und Zweigen rieselt und dieselben sich daran erfrischen. Und damit es endlich nicht an Luft gebricht, wie ihr fuerchtet, gibt es ein leichtes Mittel. Zuerst ist auf diesem Huegel ein schwacher Luftzug ohnehin immer vorhanden und streicht an der Wand des Hauses. Sollten aber die Blumen an ganz stillen Tagen doch einer Luft beduerfen, so werden alle Fenster des Erdgeschosses geoeffnet, und zwar sowohl an dieser Wand als auch an der entgegengesetzten. Da nun die entgegengesetzte Seite die noerdliche ist und dort die Luft durch den Schatten abgekuehlt wird, so stroemt sie bei jenen Fenstern herein und bei denen der Rosen heraus. Ihr koennt da an den windstillsten Tagen ein sanftes Faecheln der Blaetter sehen." "Das sind bedeutende Anstalten", erwiderte ich, "und beweisen eure Liebe zu diesen Blumen; aber aus ihnen allein erklaert sich doch noch nicht die besondere Vollkommenheit dieser Gewaechse, die ich nirgends gesehen habe, so dass keine unvollkommene Blume, kein duerrer Zweig, kein unregelmaessiges Blatt vorkommt." "Zum Teile erklaert sich die Tatsache doch wohl aus diesen Anstalten", sagte er. "Luft, Sonne und Regen sind durch die suedliche Lage des Standortes und die Vorrichtungen so weit verbessert, als sie hier verbessert werden koennen. Noch mehr ist an der Erde getan worden. Da wir nicht wissen, welches denn der letzte Grund des Gedeihens lebendiger Wesen ueberhaupt ist, so schloss ich, dass den Rosen am meisten gut tun muesse, was von Rosen koemmt. Wir liessen daher seit jeher alle Rosenabfaelle sammeln, besonders die Blaetter und selbst die Zweige der wilden Rosen, welche sich in der ganzen Gegend befinden. Diese Abfaelle werden zu Huegeln in einem abgelegenen Teile unseres Gartens zusammengetan, den Einfluessen von Luft und Regen ausgesetzt, und so bereitet sich die Rosenerde. Wenn in einem Huegel sich keine Spur mehr von Pflanzentum zeigt und nichts als milde Erde vor die Augen tritt, so wird diese den Rosen gegeben. Die Pflanzen, welche neu gesetzt werden, erhalten in ihrem Graben gleich so viel Erde, dass sie auf mehrere Jahre versorgt sind. Aeltere Rosen, welche von ihrem Standboden laengere Zeit gezehrt haben, werden mit einer Erneuerung beteilt. Entweder wird die Erde oberhalb ihrer Wurzeln weggetan und ihnen neue gegeben, oder sie werden ganz ausgehoben und ihr Standpunkt durchaus mit frischer Erde erfuellt. Es ist auffaellig sichtbar, wie sich Blatt und Blume an dieser Gabe erfreuen. Aber trotz der Erde und der Luft und der Sonne und der Feuchtigkeit wuerdet ihr die Rosen hier nicht so schoen sehen, als ihr sie seht, wenn nicht noch andre Sorgfalt angewendet wuerde; denn immer entstehen manche Uebel aus Ursachen, die wir nicht ergruenden koennen oder die, wenn sie auch ergruendet sind, wir nicht zu vereiteln vermoegen. Endlich trifft ja die Gewaechse wie alles Lebende der natuerliche Tod. Kranke Pflanzen werden nun bei uns sogleich ausgehoben, in den Garten, gleichsam in das Rosenhospital getan und durch andere aus der Schule ersetzt. Abgestorbene Baeumchen kommen hier nicht leicht vor, weil sie schon in der Zeit des Absterbens weggetan werden. Toetet aber eine Ursache eines schnell, so wird es ohne Verzug entfernt. Eben so werden Teile, die erkranken oder zu Grunde gehen, von dem Gitter getrennt. Die beste Zeit ist der Fruehling, wo die Zweige bloss liegen. Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu allen Teilen gestatten, angelegt, und es wird das ganze Gitter untersucht. Man reinigt die Rinde, pflegt sie, verbindet ihre Wunden, knuepft die Zweige an und schneidet das Untaugliche weg. Aber auch im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte Blatt und jede unvollstaendige Blume. Es haben nach und nach alle im Hause eine Neigung zu den Rosen bekommen, sehen gerne nach und zeigen es sogleich an, wenn sich etwas Unrechtes bemerken laesst. Auch in der Umgegend hat man Wohlgefallen an diesen Blumen gefunden, man setzt sie in Gaerten und pflegt sie, ich schenke den Leuten die Pflanzen aus meinen Vermehrungsbeeten und unterrichte sie in der Behandlung. Zwei Wegestunden von hier ist ein Bauer, der wie ich eine ganze Wand seines Hauses mit Rosen bepflanzt hat." "Je mehr es mir wichtig erscheint, wie ihr mit euren Rosen umgeht", antwortete ich, "und fuer je wichtiger ihr sie selbst betrachtet, desto mehr muss ich doch die Frage tun, warum ihr denn gerade vorzugsweise an dieser Wand eures Hauses die Rosen zieht, wo ihr Standort doch nicht so erspriesslich ist, und wo man solche Anstalten machen muss, um ihr voelliges Gedeihen zu sichern. Es ist zwar sehr schoen, wie sie sich hier ausbreiten und darstellen; aber sollte man sie denn im Garten nicht auch in Stellungen und Gruppen bringen koennen, die eben so schoen oder schoener waeren als diese hier, und noch den Vorteil haetten, dass ihre Pflege viel leichter waere?" "Ich habe die Rosen an die Wand des Hauses gesetzt", erwiderte er, "weil sich eine Jugenderinnerung an diese Blume knuepft und mir die Art, sie so zu ziehen, lieb macht. Ich glaube, dass mir einzig darum die Rose so schoen erscheint und dass ich darum die grosse Muehe fuer diese Art ihrer Pflege verwende." "Ihr habt nichts von Ungeziefer gesagt", entgegnete ich. "Nun weiss ich aber aus Erfahrung, dass kaum eine Pflanzengattung, etwa die Pappel ausgenommen, so gerne von Ungeziefer heimgesucht wird als die Rose, die in verschiedenen Arten und Geschlechtern von demselben bewohnt und entstellt wird. Hier sehe ich von dieser Plage gar nichts, als waere sie nicht vorhanden oder als wuerde die Rose von ihr durch irgendein kuenstliches Mittel befreit. Ihr werdet doch nicht so wie jedes kranke Blatt auch jeden Blattwickler, jede Spinne, jede Blattlaus abnehmen lassen? Dieses bringt mich sogar noch auf einen weiteren Umstand, ueber den ich mir eine Frage an euch zu tun vorgenommen habe, welche ich gewiss noch vor meiner Abreise bei einer schicklichen Gelegenheit getan haette, welche ich mir aber jetzt erlaube, da ihr mit solcher Guete und Bereitwilligkeit mir die Einsicht in die Dinge dieses Landsitzes gestattet habt. Bei meiner Wanderung durch das flache Land hatte ich mehrfach Gelegenheit zu bemerken, dass Obstbaeume haeufig kahle Aeste haben oder dass ueberhaupt das Laub zerstoert oder verunstaltet war, was von Raupenfrass herruehrte. Mir fiel die Sache nicht weiter auf, da ich sie von Jugend an zu sehen gewohnt war und da sie sich nicht in einem ungewoehnlichen Grade zeigte; aber das fiel mir auf, dass so wie an diesen Rosen auch in eurem ganzen Garten nichts von dem Uebel zu sehen ist, kein duerres Reis, kein kahles Zweiglein, kein Stengel eines abgefressenen Blattes, ja nicht einmal ein verletztes Blatt des Kohles, dem doch sonst der Weissling so gerne Schaden tut. Im Angesichte dieses Wohlbefindens kamen mir die Zerstoerungen wieder zu Sinne, die ich in dem Lande gesehen hatte, und ich beschloss, in dieser Hinsicht eine Frage an euch zu tun, ob ihr denn da eigentuemliche Vorkehrungen habt; denn das Ablesen der Raupen und Insekten hat sich ja ueberall als unzulaenglich gezeigt." "Wir wuerden allerdings durch Ablesen des Ungeziefers weder unsere Rosen noch die Baeume und Gestraeuche im Garten vor Verunglimpfung frei halten koennen", antwortete er. "Wir haben nun in der Tat andere Einrichtungen dagegen. Ich muss euch sagen, dass es mich freut, dass ihr in meinem Garten die Abwesenheit des Raupenfrasses bemerkt habt, und ich werde euch recht gerne darueber Aufklaerung geben, und besonders darum, dass es sich auch ausbreiten koenne. Die Beantwortung eurer Frage kann aber am besten in dem Garten geschehen, weil ich euch zur Bekraeftigung gleich manche Vorrichtungen zeigen und die Beweise dartun kann. Wenn es euch genehm ist, so gehen wir in den Garten, in welchem auch eine kleine Ruhe auf irgend einem Baenkchen nach dem Gange von dem Meierhofe herauf nicht unangenehm sein wird." "Einen Augenblick lasst mich noch diese Rosen betrachten", sagte ich. "Tut nach eurem Gefallen", antwortete er. Ich trat zuerst naeher an das Gitter, um Einzelnes zu betrachten. Ich sah nun wirklich die reinliche Erde, in welcher die Staemmchen standen und die nicht von einem einzigen Graeschen bewachsen war. Ich sah das gutbestrichene Holzgitter, an welchem die Baeumchen angebunden und an welchem ihre Zweige ausgebreitet waren, dass sich keine leere Stelle an der Wand des Hauses zeigte. An jedem Staemmchen hing der Name der Blume auf Papier geschrieben und in einer glaesernen Huelse hernieder. Diese glaesernen Huelsen waren gegen den Regen geschuetzt, indem sie oben geschlossen, unten umgestuelpt und mit einer kleinen Abflussrinne versehen waren. Nach dieser Betrachtung in der Naehe trat ich wieder zurueck und besah noch einmal die ganze Wand der Blumen durch mehrere Augenblicke. Nachdem ich dieses getan hatte, sagte ich, dass wir jetzt in den Garten gehen koennten. Wir naeherten uns dem Torgitter, der alte Mann tat einen Druck wie gestern, da er mich eingelassen hatte, das Tor oeffnete sich und wir gingen in den Garten. Dort naeherten wir uns einer Bank, die in angenehmem nachmittaegigem Schatten stand. Als wir uns auf ihr niedergesetzt hatten, sagte mein Gastfreund: "Unsere Mittel, die Baeume, Gestraeuche und kleineren Pflanzen vor Kahlheit zu bewahren, sind so einfach und in der Natur gegruendet, dass es eine Schande waere, sie aufzuzaehlen, wenn es andererseits nicht auch wahr waere, dass sie nicht ueberall angewendet werden, besonders das letzte. Was nun das Kahlwerden von Baeumen und Aesten anlangt, so entsteht es nicht immer durch Raupen, sondern oft auch auf andern Wegen nach und nach. Gegen ein endliches Sterben und also Entlaubtwerden des ganzen Baumes gibt es so wenig ein Mittel als gegen den Tod des Menschen; aber so weit darf man es bei einem Baume im Garten nicht kommen lassen, dass er tot in demselben dasteht, sondern wenn man ihm durch Zurueckschneiden seiner Aeste oefter Verjuengungskraefte gegeben hat; wenn aber nach und nach dieses Mittel anfaengt, seine Wirkung nicht mehr zu bewaehren, so tut man dem Baume und dem Garten eine Wohltat, wenn man beide trennt. Ein solcher Baum steht also in einem nur einiger Massen gut besorgten Garten oder auf anderem Grunde gar nicht. Damit aber auch nicht Teile eines Baumes kahl dastehen, haben wir mehrere Mittel. Sie bestehen aber darin, dem Baume zu geben, was ihm not tut, und ihm zu nehmen, was ihm schadet. Darum gilt als Oberstes, dass man nie einen Baum an eine Stelle setze, auf der er nicht leben kann. Auf Stellen, die Baeumen ueberhaupt das Leben versagen, setzt wohl kein vernuenftiger Mensch einen. Aber es gibt auch Stellen, die nur darum nicht taugen, weil sie nicht bearbeitet sind, oder weil ihnen etwas mangelt, was einem bestimmten Gewaechse notwendig ist. Um nun die Stelle gut zu bearbeiten, haben wir, ehe wir einen Baum setzten, eine so tiefe Grube gegraben und mit gelockerter Erde gefuellt, dass der Baum bedeutend alt werden konnte, ehe er genoetigt war, seine Wurzeln in unbearbeiteten Boden zu treiben. Selbst alte Staemme, die ich hier gefunden hatte und deren Zustand mir nicht gefiel, habe ich durch Herausnehmen, Lockern ihres Standortes und Wiedereinsetzen zu vortrefflichem Gedeihen gebracht. Aber ehe wir die Grube gegraben haben, ehe wir den Baum in dieselbe gesetzt haben, haben wir auch durch Erfahrung oder Buecher herauszubringen gesucht, was ihm auch nebst der Erde noch not tue und welchen Platz er haben muesse. Fuer welchen Baum ein geeigneter Platz im Garten nicht ist, der soll auch im Garten gar nicht sein. Welche Baeume viele Luft brauchen, setzten wir in die Luft, die das Licht lieben, in das Licht, die den Schatten, in den Schatten. In den Schutz der groesseren oder windwiderstandsfaehigeren setzten wir diejenigen, welche des Schutzes bedurften. Die Frost und Reif scheuen, stehen an Waenden oder warmen Orten. Und auf diese Weise gedeihen nun alle durch ihre Lebenskraft und natuerliche Nahrung. Im Fruehlinge wird jeder Stamm und seine staerkeren Aeste durch eine Buerste und gutes Seifenwasser gewaschen und gereinigt. Durch die Buerste werden die fremden Stoffe, die dem Baume schaden koennten, entfernt, und das Waschen ist ein nuetzliches Bad fuer die Rinde, die wie die Haut der Tiere von dem hoechsten Belange fuer das Leben ist, und endlich werden die Staemme dadurch auch schoen. Unsere Baeume haben kein Moos, die Rinde ist klar und bei den Kirschbaeumen fast so fein wie graue Seide." Ich hatte wohl gesehen, dass alle Baeume eine sehr gesunde Rinde haben; aber ich hatte dieses mit ihren schoenen Blaettern und mit ihrem guten Gedeihen ueberhaupt als eine notwendige Folge in Zusammenhang gebracht. "Wenn nun trotz aller Vorsichten doch einzelne Teile der Baeume durch Winde, Kaelte oder dergleichen kahl werden", fuhr mein Gastfreund fort, "so werden dieselben bei dem Beschneiden der Baeume im Fruehlinge entfernt. Der Schnitt wird mit gutem Kitte verstrichen, dass keine Naesse in das Holz dringen und in dem noch gesunden Teile eine Krankheit erzeugen kann. Und so wuerde in einem Garten nie eine Kahlheit zu erblicken sein, wenn nicht aeussere Feinde kaemen, die eine solche zu bewirken trachteten. Derlei Feinde sind Hagel, Wolkenbrueche und aehnliche Naturerscheinungen, gegen die es keine Mittel gibt. Sie schaden aber auch nicht so sehr. In unseren Gegenden sind sie selten, und ihre Wirkungen koennen auch leicht durch schnelles Beseitigen des Zerstoerten, durch Nachwuchs und Nachpflanzungen unbemerkbar gemacht werden. Aber gefaehrlichere Gegner sind die Insekten, diese koennen die Guete eines Gartens zerstoeren, koennen seine Schoenheit entstellen und ihm in manchen Jahren einen wahrhaft traurigen Anblick geben. Dies ist der Umstand, von dem ich sagte, dass ich seiner zuletzt Erwaehnung tun werde. Ihr seht, dass unser Garten von der Insektenplage, die ihr, wie ihr sagt, auf eurer Wanderung an anderen Baeumen bemerkt habt, in diesem Jahre frei ist." "Ich habe Aepfelbaeume an warmen und stillen Orten fast ganz entlaubt gesehen", antwortete ich. "Es sind mir mehrere Faelle dieser Art vorgekommen. Aber dass einzelne Aeste entlaubt waren, dass das Laub von ganzen Baeumen entstellt war, habe ich oft gesehen. Allein ich habe es fuer kein grosses Uebel gehalten, und habe auf kein schlechtes Jahr geschlossen, weil ich wusste, dass diese Zerstoerungen immer vorkommen und dass ihr Schaden, wenn sie nicht im Uebermasse auftreten, nicht erheblich ist. Ich betrachtete die Erscheinung als ein Ding, das so sein muss." "Daran moechtet ihr Unrecht getan haben", sagte mein Gastfreund, "einen Schaden bringt diese Erscheinung immer, und wenn man ihn nach ganzen Laenderstrichen berechnete, so koennte er ein sehr betraechtlicher sein, zu dem noch der andere koemmt, dass man den entlaubten Baum anschauen muss. Auch ist das Ding keine Erscheinung, die so sein muss. Es gibt ein Mittel dagegen, und zwar ein Mittel, das ausser seiner Wirksamkeit auch noch sehr schoen ist und also zum Nutzen einen Genuss beschert, durch den uns die Natur gleichsam zu seiner Anwendung leiten will. Aber dennoch, wie ich frueher sagte, wird dieses Mittel unter allen am wenigsten gebraucht, ja man beeifert sich sogar an vielen Orten, es zu zerstoeren. Ihr solltet das Mittel schon wahrgenommen haben." Ich sah ihn fragend an. "Habt ihr nicht etwas in unserem Garten gehoert, das euch besonders auffallend war?" fragte er. "Den Vogelsang", sagte ich ploetzlich. "Ihr habt richtig bemerkt", erwiderte er. "Die Voegel sind in diesem Garten unser Mittel gegen Raupen und schaedliches Ungeziefer. Diese sind es, welche die Baeume, Gestraeuche, die kleinen Pflanzen und natuerlich auch die Rosen weit besser reinigen, als es Menschenhaende oder was immer fuer Mittel zu bewerkstelligen im Stande waeren. Seit diese angenehmen Arbeiter uns Hilfe leisten, hat sich in unserm Garten so wie im heurigen Jahre auch sonst nie mehr ein Raupenfrass eingefunden, der nur im Geringsten bemerkbar gewesen waere." "Aber Voegel sind ja an allen Orten", entgegnete ich. "Sollten sie in eurem Garten mehr sein, um ihn mehr schuetzen zu koennen?" "Sie sind auch mehr in unserem Garten", erwiderte er, "weit mehr als an jeder Stelle dieses Landes und vielleicht auch anderer Laender." "Und wie ist denn diese Mehrheit hieher gebracht worden?" fragte ich. "Es ist so, wie ich frueher von den Baeumen gesagt habe, man muss ihnen die Bedingungen ihres Gedeihens geben, wenn man sie an einem Orte haben will; nur dass man die Tiere nicht erst an den Ort setzen muss wie die Baeume, sie kommen selber, besonders die Voegel, denen das Uebersiedeln so leicht ist." "Und welche sind denn die Bedingungen ihres Gedeihens?" fragte ich. "Hauptsaechlich Schutz und Nahrung", erwiderte er. "Wie kann man denn einen Vogel schuetzen?" fragte ich. "Ihn kann man nicht schuetzen", sagte mein Gastfreund, "er schuetzt sich selber; aber die Gelegenheit zum Schutze kann man ihm geben. Die Singvoegel, welche sich nicht mit Waffen verteidigen koennen, suchen gegen Feinde und Wetter Hoehlungen in Baeumen, Felsen, Mauern oder dergleichen auf, die so enge sind, dass ihnen ihr meistens groesserer Feind in dieselben nicht folgen kann, und so tief, dass er auch nicht mit einem Schnabel oder einer Tatze bis auf den Grund zu langen vermag - einige, wie die Spechte, machen sich selber die Hoehlungen in die Baeume -, oder sie gehen in solche Dickichte, dass Raubvoegel, Wiesel und aehnliche Verfolger nicht durchzudringen vermoegen. Hiebei ist es ihnen noch mehr um den Schutz ihrer Jungen, die sie in solchen Orten haben, als um ihren eigenen zu tun. Erst, wenn so gesicherte Stellen nicht zu finden sind und die Zeit draengt, begnuegt sich der Singvogel zum Wohnen und Brueten mit schlechteren Plaetzen. Hat eine Gegend haeufige solche Zufluchtsorte, so darf man sicher schliessen, dass sie auch, wenn die andern Bedingungen nicht fehlen, viele Voegel hat. Denkt nur an ein altes loecheriges Turmdach, wie ist es von Dohlen und Mauerschwalben umschwaermt. Will man Voegel in eine Gegend ziehen, so muss man solche Zufluchtsorte schaffen, und zwar so gut als moeglich. Wir koennen, wie ihr seht, nicht Felsen und Baumstaemme aushoehlen, aber aus Holz gemachte Hoehlungen koennen wir ueberall auf die Baeume aufhaengen. Und dies tun wir auch. Wir machen diese Hoehlungen tief genug, richten das Schlupfloch von der Wetterseite weg meistens gegen Mittag und machen es gerade so weit, dass der Vogel, fuer den es bestimmt ist, ein und aus kann. Ihr muesst ja derlei in den Baeumen unseres Gartens gesehen haben?" "Ich habe sie gesehen", erwiderte ich, "habe dunkel vermutet, wozu sie dienen koennten, habe aber die Vorstellung in Folge anderer Eindruecke wieder aus dem Haupte verloren." "Wenn wir etwa noch einmal ein wenig in dem Garten herumgehn", sagte mein Gastfreund, "so werden wir mehrere solche Vogelbehaelter sehen. Den Heckennistern bauen wir ein so dichtes Geflechte von Dornzweigen und Dornaesten in unsere Buesche, dass man meinen sollte, es koenne kaum eine Hummel ein- und ausschluepfen; aber der Vogel findet doch einen Eingang und baut sich sein Nest. Solcher Nester koennt ihr mehrere sehen, wenn ihr wollt. Sie haben das Angenehme, dass man diese Federfamilien in ihrem Haushalte sieht, was bei den Hoehlennistern nicht angeht. Auf diese Weise schuetzen wir die kleineren Voegel, die wir in unserem Garten brauchen. Die grossen, welche sich mit Schnabel, Krallen und Fluegeln verteidigen koennen, sind bei uns eher Feinde als Freunde und werden nicht geduldet." "Ausser dem Schutze", fuhr er nach einer Weile fort, "brauchen die Voegel auch Nahrung. Sie meiden die nahrungsarmen Orte und unterscheiden sich hierdurch von den Menschen, welche zuweilen grosse Strecken weit gerade dahin wandern, wo sie ihren Unterhalt nicht finden. Die Voegel, die fuer unseren Garten passen, ernaehren sich meistens von Gewuermen und Insekten; aber wenn an einem Platze, der zum Nisten geeignet ist, die Zahl der Voegel so gross wird, dass sie ihre Nahrung nicht mehr finden, so wandert ein Teil aus und sucht den Unterhalt des Lebens anderswo. Will man daher an einem Orte eine so grosse Zahl von Voegeln zurueckhalten, dass man vollkommen sicher ist, dass sie auch in den ungezieferreichsten Jahren hinlaenglich sind, um Schaden zu verhueten, so muss man ihnen ausser ihrer von der Natur gegebenen Nahrung auch kuenstliche mit den eigenen Haenden spenden. Tut man das, so kann man so viele Voegel an einem Platze erziehen, als man will. Es koemmt nur darauf an, dass man, um seinen Zweck nicht aus den Augen zu verlieren, nur so viel Almosen gibt, als notwendig ist, einen Nahrungsmangel zu verhindern. Es ist wohl in dieser Hinsicht im allgemeinen nicht zu befuerchten, dass in der kuenstlichen Nahrung ein Uebermass eintrete, da den Tieren ohnehin die Insekten am liebsten sind. Nur wenn diese Nahrung gar zu reizend fuer sie gemacht wuerde, koennte ein solches Uebermass erfolgen, was leicht an der Vermehrung des Ungeziefers erkannt werden wuerde. Einige Erfahrung laesst einen schon den rechten Weg einhalten. Im Winter, in welchem einige Arten dableiben, und in Zeiten, wo ihre natuerliche Kost ganz mangelt, muss man sie vollstaendig ernaehren, um sie an den Platz zu fesseln. Durch unsere Anstalten sind Voegel, die im Fruehlinge nach Plaetzen suchten, wo sie sich anbauen koennten, in unserem Garten geblieben, sie sind, da sie die Bequemlichkeit sahen und Nahrung wussten, im naechsten Jahre wieder gekommen oder, wenn sie Wintervoegel waren, gar nicht fortgegangen. Weil aber auch die Jungen ein Heimatsgefuehl haben und gerne an Stellen bleiben, wo sie zuerst die Welt erblickten, so erkoren sich auch diese den Garten zu ihrem kuenftigen Aufenthaltsorte. Zu den vorhandenen kamen von Zeit zu Zeit auch neue Einwanderer, und so vermehrt sich die Zahl der Voegel in dem Garten und sogar in der naechsten Umgebung von Jahr zu Jahr. Selbst solche Voegel, die sonst nicht gewoehnlich in Gaerten sind, sondern mehr in Waeldern und abgelegenen Gebueschen, sind gelegentlich gekommen, und da es ihnen gefiel, dageblieben, wenn ihnen auch manche Dinge, die sonst der Wald und die Einsamkeit gewaehren, hier abgehen mochten. Zur Nahrung rechnen wir auch Licht, Luft und Waerme. Diese Dinge geben wir nach Bedarf dadurch, dass wir die Bauplaetze zu den Nestern an den verschiedensten Stellen des Gartens anbringen, damit sich die Paare die waermeren oder kuehleren, luftigeren oder sonnigeren aussuchen koennen. Fuer welche keine taugliche Stelle moeglich ist, die sind nicht hier. Es sind das nur solche Voegel, fuer welche die hiesigen Landstriche ueberhaupt nicht passen, und diese Voegel sind dann auch fuer unsere Landstriche nicht noetig. Zu den geeigneten Zeiten besuchen uns auch Wanderer und Durchzuegler, die auf der Jahresreise begriffen sind. Sie haetten eigentlich keinen Anspruch auf eine Gabe, allein da sie sich unter die Einwohner mischen, so essen sie auch an ihrer Schuessel und gehen dann weiter." "Auf welche Weise gebt ihr denn den Tieren die noetige Nahrung?" fragte ich. "Dazu haben wir verschiedene Einrichtungen", sagte er. "Manche von den Voegeln haben bei ihrem Speisen festen Boden unter den Fuessen, wie die Spechte, die an den Baeumen hacken, und solche, die ihre Nahrung auf der platten Erde suchen; andere, besonders die Waldvoegel, lieben das Schwanken der Zweige, wenn sie essen, da sie ihr Mahl in eben diesen Zweigen suchen. Fuer die ersten streut man das Futter auf was immer fuer Plaetze, sie wissen dieselben schon zu finden. Den anderen gibt man Gitter, die an Schnueren haengen, und in denen, in kleine Troege gefuellt oder auf Stifte gesteckt, die Speise ist. Sie fliegen herzu und wiegen sich essend in dem Gitter. Die Voegel werden auch nach und nach zutraulich, nehmen es endlich nicht mehr so genau mit dem Tische, und es tummeln sich Festfuessler und Schaukler auf der Fuetterungstenne, die neben dem Gewaechshause ist, wo ihr mich heute morgen gesehen habt." "Ich habe das von heute morgen mehr fuer zufaellig als absichtlich gehalten", sagte ich. "Ich tue es gerne, wenn ich anwesend bin", erwiderte er, "obwohl es auch andere tun koennen. Fuer die ganz schuechternen, wie meistens die neuen Ankoemmlinge und die ganz und gar eingefleischten Waldvoegel sind, haben wir abgelegene Plaetze, an die wir ihnen die Nahrung tun. Fuer die vertraulicheren und umgaenglicheren bin ich sogar auf eine sehr bequeme und annehmliche Verfahrungsweise gekommen. Ich habe in dem Hause ein Zimmer, vor dessen Fenster Brettchen befestigt sind, auf welche ich das Futter gebe. Die Federgaeste kommen schon herzu und speisen vor meinen Augen. Ich habe dann auch das Zimmer gleich zur Speisekammer eingerichtet und bewahre dort in Kaesten, deren kleine Faecher mit Aufschriften versehen sind, dasjenige Futter, das entweder in Saemereien besteht oder dem schnellen Verderben nicht ausgesetzt ist." "Das ist das Eckzimmer", sagte ich, "das ich nicht begriff, und dessen Brettchen ich fuer Blumenbrettchen ansah und doch fuer solche nicht zweckmaessig fand." "Warum habt ihr denn nicht gefragt?" erwiderte er. "Ich nahm es mir vor und habe wieder darauf vergessen", antwortete ich. "Da die meisten Saenger von lebendigen Tierchen leben", setzte er seine Erzaehlung fort, "so ist es nicht ganz leicht, die Nahrung fuer alle zu bereiten. Da aber doch ein grosser Teil nebst dem Ungeziefer auch Saemereien nicht verschmaeht, so sind in der Speisekammer alle Saemereien, welche auf unseren Fluren und in unseren Waeldern reifen und werden, wenn sie ausgehen oder veralten, durch frische ersetzt. Fuer solche, welche die Koerner nicht lieben, wird der Abgang durch Teile unseres Mahles, zartes Fleisch, Obst, Eierstueckchen, Gemuese und dergleichen, ersetzt, was unter die Koerner gemischt wird. Die Kohlmeise erhaelt sehr gerne, wenn sie taetig ist, und besonders, wenn sie um ihre Jungen sich gut annimmt, ein Stueckchen Speck zur Belohnung, den sie ausserordentlich liebt. Auch Zucker wird zuweilen gestreut. Fuer den Trank ist im Garten reichlich gesorgt. In jede Wassertonne geht schief ein befestigter Holzsteg, an welchem sie zu dem Wasser hinabklettern koennen. In den Gebueschen sind Steinnaepfe, in die Wasser gegossen wird, und in dem Dickichte an der Abendseite des Gartens ist ein kleines Quellchen, das wir mit steinernen Raendern eingefasst haben." "Da habt ihr ja Arbeit und Sorge in Fuelle mit diesen Gartenbewohnern". sagte ich. "Es uebt sich leicht ein", antwortete er, "und der Lohn dafuer ist sehr gross. Es ist kaum glaublich, zu welchen Erfahrungen man gelangt, wenn man durch mehrere Jahre diese gefiederten Tiere hegt und gelegentlich die Augen auf ihre Geschaeftigkeit richtet. Alle Mittel, welche die Menschen ersonnen haben, um die Gewaechse vor Ungeziefer zu bewahren, so trefflich sie auch sein moegen, so fleissig sie auch angewendet werden, reichen nicht aus, wie es ja in der Lage der Sache gegruendet ist. Wie viele Haende von Menschen muessten taetig sein, um die unzaehlbaren Stellen, an deren sich Ungeziefer erzeugt, zu entdecken und die Mittel auf sie anzuwenden. Ja, die ganz gereinigten Stellen geben auf die Dauer keine Sicherheit und muessen stets von neuem untersucht worden. In den verschiedensten Zeiten und unbeachtet entwickeln sich die Insekten auf Stengeln, Blaettern, Blueten, unter der Rinde und breiten sich unversehens und schnell aus. Wie koennte man da die Keime entdecken und vor ihrer Entwicklung vernichten? Oft sind die schaedlichen Tierchen so klein, dass wir sie mit unseren Augen kaum zu entdecken vermoegen, oft sind sie an Orten, die uns schwer zugaenglich sind, zum Beispiele in den aeussersten Spitzen der feinsten Zweige der Baeume. Oft ist der Schaden in groesster Schnelligkeit entstanden, wenn man auch glaubt, dass man seine Augen an allen Stellen des Gartens gehabt, dass man keine unbeachtet gelassen und dass man seine Leute zur genauesten Untersuchung angeeifert hat. Zu dieser Arbeit ist von Gott das Vogelgeschlecht bestimmt worden und insbesondere das der kleinen und singenden, und zu dieser Arbeit reicht auch nur das Vogelgeschlecht vollkommen aus. Alle Eigenschaften der Insekten, von denen ich gesprochen habe, ihre Menge, ihre Kleinheit, ihre Verborgenheit und endlich ihre schnelle und ploetzliche Entwicklung schuetzen sie gegen die Voegel nicht. Sprechen wir von der Menge. Alle Singvoegel, wenn sie auch spaeter Saemereien fressen, naehren doch ihre Jungen von Raupen, Insekten, Wuermern, und da diese Jungen so schnell wachsen und so zu sagen unaufhoerlich essen, so bringt ein einziges Paar in einem einzigen Tage eine erkleckliche Menge von solchen Tierchen in das Nest, was erst hundert Paare in zehn, vierzehn, zwanzig Tagen! So lange brauchen ungefaehr die Jungen zum Flueggewerden. Und alle Stellen, wie zahlreich sie auch sein koennen, werden von den geschaeftigen Eltern durchsucht. Sprechen wir von der Kleinheit der Tierchen. Sie oder ihre Larven und Eier moegen noch so klein sein, von den scharfen, spaehenden Augen eines Vogels werden sie entdeckt. Ja manche Voegel, wie das Goldhaehnchen, der Zaunkoenig, duerfen ihren Jungen nur die kleinsten Nahrungsstueckchen bringen, weil dieselben, wenn sie dem Ei entschluepft sind, selber kaum so gross wie eine Fliege oder eine kleine Spinne sind. Gehen wir endlich auf die Abgelegenheit und Unerreichbarkeit der Aufenthaltsorte der Insekten ueber, so sind sie dadurch nicht vor dem Schnabel der Voegel geschuetzt, wenn sie fuer ihre Jungen oder sich Nahrung brauchen. Was waere einem Vogel leicht unzugaenglich? In die hoechsten Zweige schwingt er sich empor, an der Rinde haelt er sich und bohrt in sie, durch die dichtesten Hecken dringt er, auf der Erde laeuft er, und selbst unter Bloecke und Steingeroelle dringt er. Ja, einmal sah ich einen Buntspecht im Winter, da die Aeste zu Stein gefroren schienen, auf einen solchen mit Gewalt loshaemmeren und sich aus dessen Innern die Nahrung holen. Die Spechte zeigen auf diese Weise - ich sage es hier nebenbei - auch die Aeste an, die morsch und vom Gewuerme ergriffen sind, und daher weggeschafft werden muessen. Was zuletzt den unvorhergesehenen und ploetzlichen Raupenfrass anlangt, den der Mensch zu spaet entdeckt, so kann er sich nicht einstellen, da die Voegel ueberall nachsehen und bei Zeiten abhelfen." "Wie sehr diese Tiere fuer das Ungeziefer geschaffen sind", sagte er nach einer Weile, "zeigt sich aus der Beobachtung, dass sie die Arbeit unter sich teilen. Die Blaumeise und die Tannenmeise entdeckt die Brut der Ringelraupe und anderer Raupengattungen an den aeussersten Spitzen der Zweige, wo sie unter der Rinde verborgen ist, indem sie, sich an die Zweige haengend, dieselben absucht, die Kohlmeise durchsucht fleissig das Innere der Baumkrone, die Spechtmeise klettert Stamm auf Stamm ab und holt die versteckten Eier hervor, der Finke, der gerne in den Nadelbaeumen nistet, weshalb auch solche Baeume in dem Garten sind, geht gleichwohl gerne von ihnen herab und laeuft den Gaengen der Kaefer und der gleichen nach, und ihn unterstuetzen oder uebertreffen vielmehr die Ammerlinge, die Grasmuecken, die Rotkehlchen, die auf der Erde unter Kohlpflanzen und in Hecken ihre Nahrung suchen und finden. Sie beirren sich wechselseitig nicht und lassen in ihrer unglaublichen Taetigkeit nicht nach, ja sie scheinen sich eher darin einander anzueifern. Ich habe nicht eigens Beobachtungen angestellt; aber wenn man mehrere Jahre unter den Tieren lebt, so gibt sich die Betrachtung von selber." "Auch einen eigentuemlichen Gedanken", fuhr er fort, "hat das Walten dieser Tiere in mir erweckt oder vielmehr bestaerkt; denn ich hatte ihn schon laengst. Allen Tatsachen, die wichtig sind, hat Gott ausser unserem Bewusstsein ihres Wertes auch noch einen Reiz fuer uns beigesellt, der sie annehmlich in unser Wesen gehen laesst. Diesen Tierchen nun, die so nuetzlich sind, hat er, ich moechte sagen, die goldene Stimme mitgegeben, gegen die der verhaertetste Mensch nicht verhaertet genug ist. Ich habe in unserem Garten mehr Vergnuegen gehabt als manchmal in Saelen, in denen die kunstreichste Musik aufgefuehrt wurde, die selten zu hoeren ist. Zwar singt ein Vogel in einem Kaefige auch; denn der Vogel ist leichtsinnig, er erschrickt zwar heftig, er fuerchtet sich; aber bald ist der Schrecken und die Furcht vergessen, er huepft auf einen Halt fuer seine Fuesse und traellert dort das Lied, das er gelernt hat und das er immer wiederholt. Wenn er jung und sogar auch alt gefangen wird, vergisst er sich und sein Leid, wird ein Hin- und Widerhuepfer in kleinem Raume, da er sonst einen grossen brauchte, und singt seine Weise; aber dieser Gesang ist ein Gesang der Gewohnheit, nicht der Lust. Wir haben an unserm Garten einen ungeheueren Kaefig ohne Draht, Stangen und Vogeltuerchen, in welchem der Vogel vor ausserordentlicher Freude, der er sich so leicht hingibt, singt, in welchem wir das Zusammentoenen vieler Stimmen hoeren koennen, das in einem Zimmer beisammen nur ein Geschrei waere, und in welchem wir endlich die haeusliche Wirtschaft der Voegel und ihre Gebaerden sehen koennen, die so verschieden sind und oft dem tiefsten Ernste ein Laecheln abgewinnen koennen. Man hat uns in diesem Hegen von Voegeln in einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute sind nicht verhaertet gegen die Schoenheit des Vogels und gegen seinen Gesang, ja diese beiden Eigenschaften sind das Unglueck des Vogels. Sie wollen dieselben geniessen, sie wollen sie recht nahe geniessen, und da sie keinen Kaefig mit unsichtbaren Draehten und Stangen machen koennen wie wir, in dem sie das eigentliche Wesen des Vogels wahrnehmen koennten, so machen sie einen mit sichtbaren, in welchem der Vogel eingesperrt ist und seinem zu fruehen Tode entgegen singt. Sie sind auf diese Weise nicht unfuehlsam fuer die Stimme des Vogels, aber sie sind unfuehlsam fuer sein Leiden. Dazu kommt noch, dass es der Schwaeche und Eitelkeit des Menschen, besonders der Kinder, angenehm ist, eines Vogels, der durch seine Schwingen und seine Schnelligkeit gleichsam aus dem Bereiche menschlicher Kraft gezogen ist, Herr zu werden und ihn durch Witz und Geschicklichkeit in seine Gewalt zu bringen. Darum ist seit alten Zeiten der Vogelfang ein Vergnuegen gewesen, besonders fuer junge Leute; aber wir muessen sagen, dass es ein sehr rohes Vergnuegen ist, das man eigentlich verachten sollte. Freilich ist es noch schlechter und muss ohne weiteres verabscheut werden, wenn man Singvoegel nicht des Gesanges wegen faengt, sondern sie faengt und toetet, um sie zu essen. Die unschuldigsten und mitunter schoensten Tiere, die durch ihren einschmeichelnden Gesang und ihr liebliches Benehmen ohnehin unser Vergnuegen sind, die uns nichts anders tun als lauter Wohltaten, werden wie Verbrecher verfolgt, werden meistens, wenn sie ihrem Triebe der Geselligkeit folgen, erschossen, oder, wenn sie ihren nagenden Hunger stillen wollen, erhaengt. Und dies geschieht nicht, um ein unabweisliches Beduerfnis zu erfuellen, sondern einer Lust und Laune willen. Es waere unglaublich, wenn man nicht wuesste, dass es aus Mangel an Nachdenken oder aus Gewohnheit so geschieht. Aber das zeigt eben, wie weit wir noch von wahrer Gesittung entfernt sind. Darum haben weise Menschen bei wilden Voelkern und bei solchen, die ihre Gierde nicht zu zaehmen wussten oder einen hoeheren Gebrauch von ihren Kraeften noch nicht machen konnten, den Aberglauben aufgeregt, um einen Vogel seiner Schoenheit oder Nuetzlichkeit willen zu retten. So ist die Schwalbe ein heiliger Vogel geworden, der dem Hause Segen bringt, das er besucht, und den zu toeten Suende ist. Und selten duerfte es ein Vogel mehr verdienen als die Schwalbe, die so wunderschoen ist und so unberechenbaren Nutzen bringt. So ist der Storch unter goettlichen Schutz gestellt, und den Staren haengen wir hoelzerne Haeuser in unsere Baeume. Ich hoffe, dass, wenn unseren Nachbarn die Augen ueber den Erfolg und den Nutzen des Hegens von Singvoegeln aufgehen, sie vielleicht auch dazu schreiten werden, uns nachzuahmen; denn fuer Erfolg und Nutzen sind sie am empfaenglichsten. Ich glaube aber auch, dass unsere Obrigkeiten das Ding nicht gering achten sollten, dass ein strenges Gesetz gegen das Fangen und Toeten der Singvoegel zu geben waere und dass das Gesetz auch mit Umsicht und Strenge aufrecht erhalten werden sollte. Dann wuerde dem menschlichen Geschlechte ein heiligendes Vergnuegen aufbewahrt bleiben, wir wuerden durch die Laender wie durch schoene Gaerten gehen, und die wirklichen Gaerten wuerden erquickend dastehen, in keinem Jahre leiden und in besonders ungluecklichen nicht den Anblick der gaenzlichen Kahlheit und der traurigen Veroedung zeigen. Wollt ihr nicht auch ein wenig unsere gefiederten Freunde ansehen?" "Sehr gerne", sagte ich. Wir standen von dem Sitze auf und gingen mehr in die Tiefe den Gartens zurueck. Das vielstimmige Vogelgezwitscher durch den Garten und das helle Singen in unserer Naehe, welches mir gestern nachmittags da ich es in das Zimmer hinein gehoert hatte, seltsam gewesen war, erschien mir nun sehr lieblich, ja ehrwuerdig, und wenn ich einen Vogel durch einen Baum huschen sah oder ueber einen Sandweg laufen, so erfuellte es mich mit einer Gattung Freude. Mein Begleiter fuehrte mich zu einer Hecke, wies mit dem Finger hinein und sagte: "Seht!" Ich antwortete, dass ich nichts saehe. "Schaut nur genauer", sagte er, indem er mit dem Finger neuerdings die Richtung wies. Ich sah nun unter einem aeusserst dichten Dornengeflechte, welches in die Hecke gemacht worden war, ein Nest. In dem Neste sass ein Rotkehlchen, wenigstens dem Ruecken nach zu urteilen. Es flog nicht auf, sondern wendete nur ein wenig den Kopf gegen uns und sah mit den schwarzen, glaenzenden Augen unerschrocken und vertraulich zu uns herauf. "Dieses Rotkehlchen sitzt auf seinen Eiern", sagte mein Begleiter, "es ist eine Spaetehe, wie sie oefter vorkommen. Ich besuche es schon mehrere Tage und lege ihm die Larve des Mehlkaefers in die Naehe. Das weiss der Schelm, darum fraegt er mich schon darnach und fuerchtet den Fremden nicht, der bei mir ist." In der Tat, das Tierchen blieb ruhig in seinem Neste und liess sich durch unser Reden und durch unsere Augen nicht beirren. "Man muss eigentlich ehrlich gegen sie sein", sagte mein Gastfreund; "aber ich habe keine Larve in der Hand, darum bitte ich dich, Gustav, gehe in das Haus und hole mir eine." Der Juengling wendete sich schnell um und eilte in das Haus. Indessen fuehrte mich mein Begleiter eine Strecke vorwaerts und zeigte mir neuerdings in einer Hecke unter Dornen ein Nest, in welchem eine Ammer sass. "Diese sitzt auf ihren Jungen, die noch kaum die ersten Haerchen haben, und erwaermt sie", sagte mein Begleiter. "Sie kann nicht viel von ihnen weg, darum bringt den meisten Teil der Nahrung der Vater herbei. Nach einigen Tagen aber werden sie schon so stark, dass sie der Mutter ueberall hervor sehen, wenn sie sich auch zeitweilig auf sie setzt." Auch die Ammer flog bei unserer Annaeherung nicht auf, sondern sah uns ruhig an. So zeigte mir mein Begleiter noch ein paar Nester, in denen Junge waren, die, wenn sie sich allein befanden, auf das Geraeusch unserer Annaeherung die gelben Schnaebel aufsperrten und Nahrung erwarteten. In zwei anderen waren Muetter, die bei unserem Herannahen nicht aufflogen. Da wir im Vorbeigehen noch eins trafen, bei welchem die Eltern aetzten, liessen sich diese nicht von ihrem Geschaefte abhalten, flogen herzu und naehrten in unserer Gegenwart die Kinder. "Ich habe euch jetzt Nester gezeigt, die noch bevoelkert sind", sagte mein Gastfreund, "die meisten sind schon leer, die Jugend flattert bereits in dem Garten herum und uebt sich zur Herbstreise. Die Nester sind zahlreicher als man vermutet, wir besuchen nur die, die uns bei der Hand sind." Indessen war Gustav mit der verlangten Larve gekommen und gab sie dem alten Manne in die Hand. Dieser ging zu der Hecke, in welcher das Nest des Rotkehlchens war, und legte die Larve auf den Weg daneben. Kaum hatte er sich entfernt und war zu uns getreten, die wir in der Naehe standen, so schluepfte das Rotkehlchen unter den untersten Aesten der Hecke heraus, rannte zu der Larve, nahm sie und lief wieder in die Hecke zurueck. Ich weiss nicht, welche tiefe Ruehrung mich bei diesem Vorfalle ueberkam. Mein Gastfreund erschien mir wie ein weiser Mann, der sich zu einem niedreren Geschoepfe herablaesst. Auch der Juengling Gustav war sehr heiter und zeigte Freude, wenn er in die Buesche blickte, in denen eine Wohnung war. Es war mir dies ein Beweis, dass das Zerstoeren der Vogelnester durch Wegnahme der Eier oder der Jungen und das Fangen der Voegel ueberhaupt den Kindern nicht angeboren ist, sondern dass dieser Zerstoerungstrieb, wenn er da ist, von Eltern oder Erziehern hervorgerufen und in diese Bahn geleitet wurde, und dass er durch eine bessere Erziehung sein Gegenteil wird. Wir schritten weiter. In einer kleinen Fichte, die am Rande des Gartens stand, zeigten sie mir noch eine Finkenwohnung, die an dem Stamme in das Geflechte teils hervorgewachsener, teils kuenstlich eingefugter Aeste und Zweige gebaut war. An anderen Baeumen sahen wir auch in die aufgehaengten Behaelter Voegel aus- und einschluepfen. Mein Begleiter sagte, dass, wenn ich nur laenger hier waere, mir selbst die Sitten der Voegel verstaendlicher werden wuerden. Ich erwiderte, dass ich schon Mehreres aus meinen Reisen im Gebirge und aus meinen frueheren Beschaeftigungen in den Naturwissenschaften kenne. "Das ist doch immer weniger", sagte mein Gastfreund, "als was man durch das lebendige Beisammenleben inne wird." Es wurden einige Behaelter, die mit aus Ruten geflochtenen Seilen an Baeumen befestigt waren und von denen man wusste, dass sie nicht mehr bewohnt seien, herabgenommen und auseinander gelegt, damit ich ihre Einrichtung saehe. Es war nur eine einfache Hoehlung, die aus zwei halbhohlen Stuecken bestand, die man mittelst Ringen, die enger zu schrauben waren, aneinanderpressen konnte. "Kein Singvogel", sagte mein Begleiter, "geht in ein fertiges Nest, es mag nun dasselbe in einer frueheren Zeit von ihm selber oder einem anderen Vogel gebaut worden sein, sondern er verfertigt sich sein Nest in jedem Fruehlinge neu. Deshalb haben wir die Behaelter aus zwei Teilen machen lassen, dass wir sie leicht auseinander nehmen und die veralteten Nester heraustun koennen. Auch zum Reinigen der Behaelter ist diese Einrichtung sehr tauglich; denn wenn sie unbewohnt sind, nimmt allerlei Ungeziefer seine Zuflucht zu diesen Hoehlungen, und der Vogel scheut Unrat und verdorbene Luft und wuerde eine unreine Hoehlung nicht besuchen. Im letzten Teile des Winters, wenn der Fruehling schon in Aussicht steht, werden alle diese Behaelter herabgenommen, auf das Sorgfaeltigste gescheuert und in Stand gesetzt. Im Winter sind sie darum auf den Baeumen, weil doch mancher Vogel, der nicht abreist, Schutz in ihnen sucht. Die alten Nester werden zerfasert und gegen den Fruehling ihre Bestandteile mit neuen vermehrt in dem Garten ausgestreut, damit die Familien Stoff fuer ihre Haeuser finden." Ich sah im Voruebergehen auch die Kletterstaebchen in den Wassertonnen, und im Gebuesche fanden wir das kleine rieselnde Waesserlein. Als wir uns auf dem Rueckwege zum Hause befanden, sagte mein Begleiter: "Ich habe noch eine Art Gaeste, die ich fuettere, nicht dass sie mir nuetzen, sondern dass sie mir nicht schaden. Gleich in der ersten Zeit meines Hierseins, da ich eine sogenannte Baumschule anlegte, nehmlich ein Gaertchen, in welchem die zur Veredlung tauglichen Staemmchen gezogen wurden, habe ich die Bemerkung gemacht, dass mir im Winter die Rinde an Staemmchen abgefressen wurde, und gerade die beste und zarteste Rinde an den besten Staemmchen. Die Uebeltaeter wiesen sich teils durch ihre Spuren im Schnee, teils, weil sie auch auf frischer Tat ertappt wurden, als Hasen aus. Das Verjagen half nicht, weil sie wieder kamen und doch nicht Tag und Nacht jemand in der Baumschule Wache stehen konnte. Da dachte ich: die armen Diebe fressen die Rinde nur, weil sie nichts Besseres haben, haetten sie es, so liessen sie die Rinde stehen. Ich sammelte nun alle Abfaelle von Kohl und aehnlichen Pflanzen, die im Garten und auf den Feldern uebrig blieben, bewahrte sie im Keller auf und legte sie bei Frost und hohem Schnee teilweise auf die Felder ausserhalb des Gartens. Meine Absicht wurde belohnt: die Hasen frassen von den Dingen und liessen unsere Baumschule in Ruhe. Endlich wurde die Zahl der Gaeste immer mehr, da sie die wohleingerichtete Tafel entdeckten; aber weil sie mit dem Schlechtesten, selbst mit den dicken Struenken des Kohles, zufrieden waren und ich mir solche von unseren Feldern und von Nachbarn leicht erwerben konnte, so fragte ich nichts darnach und fuetterte. Ich sah ihnen oft aus dem Dachfenster mit dem Fernrohre zu. Es ist possierlich, wenn sie von der Ferne herzulaufen, dem bequem daliegenden Frasse misstrauen, Maennchen machen, huepfen, dann aber sich doch nicht helfen koennen, herzustuerzen und von dem Zeuge hastig fressen, das sie im Sommer nicht anschauen wuerden. Manche Leute legten Schlingen, da sie wussten, dass hier Hasen zusammenkamen. Aber da wir sehr sorgfaeltig nachspuerten und die Schlingen wegnehmen liessen, da ich auch verbot, ueber unsere Felder zu gehen, und die Betroffenen zur Verantwortung zog, verlor sich die Sache wieder. Auch den Voegeln legten Buben in unserer Naehe Schlingen; aber das half sehr wenig, da die Voegel in unserem Garten sehr gute Kost hatten und nach der fremden Lockspeise nicht ausgingen. Die Beute an Voegeln war daher nie gross, und mit einiger Aufsicht und Wachsamkeit, die wir in den ersten Jahren einleiteten, geschah es, dass dieser Unfug auch bald wieder aufhoerte." Der alte Mann lud mich ein, in das Haus zu gehen und die Fuetterungskammer anzusehen. Auf dem Wege dahin sagte er: "Unter die Feinde der Saenger gehoeren auch die Katzen, Hunde, Iltisse, Wiesel, Raubvoegel. Gegen letzte schuetzen die Dornen und die Nestbehaelter, und Hunde und Katzen werden in unserm Hause so erzogen, dass sie nicht in den Garten gehen, oder sie werden ganz von dem Hause entfernt." Wir waren indessen in das Haus gekommen und gingen in das Eckzimmer, in welchem ich die vielen Faecher gesehen hatte. Mein Begleiter zeigte mir die Vorraete, indem er die Faecher herauszog und mir die Saemereien wies. Die Speisen, welche eben nicht in Saemereien bestehen, wie Eier, Brot, Speck, werden beim Bedarfe aus der Speisekammer des Hauses genommen. "Meine Nachbaren aeusserten schon", sagte mein Begleiter, "dass ausser der Muehe, die das Erhalten der Singvoegel macht, auch die Kosten zu ihrer Ernaehrung in keinem Verhaeltnisse zu ihrem Nutzen stehen. Aber das ist unrichtig. Die Muehe ist ein Vergnuegen, das wird der, welcher einmal anfaengt, bald inne werden; so wie der Blumenfreund keine Muehe, sondern nur Pflege kennt, welche zudem bei den Blumen viel mehr Taetigkeit in Anspruch nimmt als das Ziehen der Gesangvoegel im Freien; die Kosten aber sind in der Tat nicht ganz unbedeutend; allein wenn ich die edlen Fruechte eines einzigen Pflaumenbaumes, welchen mir die Raupen der Voegel wegen nicht abgefressen haben, verkaufe, so deckt der Kaufschilling die Nahrungskosten der Saenger ganz und gar. Freilich ist der Nutzen desto groesser, je edler das Obst ist, welches in dem Garten gezogen wird, und dazu, dass sie edles Obst in dieser Gegend ziehen, sind sie schwer zu bewegen, weil sie meinen, es gehe nicht. Wir muessen ihnen aber zeigen, dass es geht, indem wir ihnen die Fruechte weisen und zu kosten geben, und wir muessen ihnen zeigen, dass es nuetzt, indem wir ihnen Briefe unserer Handelsfreunde weisen, die uns das Obst abgekauft haben. Von den Staemmchen, die in unserer Obstschule wachsen, geben wir ihnen ab und unterrichten sie, wie und auf welchen Platz sie gesetzt werden sollen." "Wenn wieder einmal ein Jahr kommen sollte wie das, welches wir vor fuenf Jahren hatten", fuhr er fort, "es war ein schlimmes Jahr, heiss mit wenig Regen und ungeheurem Raupenfrass. Die Baeume in Rohrberg, in Regau, in Landegg und Pludern standen wie Fegebesen in die Hoehe, und die grauen Fahnen der Raupennester hingen von den entwuerdigten Aesten herab. Unser Garten war unverletzt und dunkelgruen, sogar jedes Blatt hatte seine natuerliche Raenderung und Ausspitzung. Wenn noch einmal ein solches Jahr kaeme, was Gott verhuete, so wuerden sie wieder ein Stueckchen Erfahrung machen, das sie das erste Mal nicht gemacht haben." Ich sah unterdessen die Saemereien und die Anstalten an, fragte manches und liess mir manches erklaeren. Wir verliessen hierauf das Zimmer, und da wir auf dem Gange waren und gegen Gustavs Zimmer gingen, sagte er: "Dass auch unnuetze Glieder herbeikommen, Muessiggaenger, Stoerefriede, das begreift sich. Ein grosser Haendelmacher ist der Sperling. Er geht in fremde Wohnungen, balgt sich mit Freund und Feind, ist zudringlich zu unsern Saemereien und Kirschen. Wenn die Gesellschaft nicht gross ist, lasse ich sie gelten und streue ihnen sogar Getreide. Sollten sie hier aber doch zu viel werden, so hilft die Windbuechse, und sie werden in den Meierhof hinabgescheucht. Als einen boesen Feind zeigte sich der Rotschwanz. Er flog zu dem Bienenhause und schnappte die Tierchen weg. Da half nichts, als ihn ohne Gnade mit der Windbuechse zu toeten. Wir liessen beinahe in Ordnung Wache halten und die Verfolgung fortsetzen, bis dieses Geschlecht ausblieb. Sie waren so klug, zu wissen, wo Gefahr ist, und gingen in die Scheunen, in die Holzhuette des Meierhofes und die Ziegelhuette, wo die grossen Wespennester unter dem Dache sind. Wir lassen auch darum im Meierhofe und anderen entfernteren Orten die grauen Kugeln solcher Nester, die sich unter den Latten und Sparren der Daecher oder Dachvorspruenge ansiedeln, nicht zerstoeren, damit sie diese Voegel hinziehen." Waehrend dieses Gespraeches waren wir in dem Gange der Gastzimmer zu der Tuer gekommen, die in Gustavs Wohnung fuehrte. Mein Gastfreund fragte, ob ich diese Wohnung nicht jetzt besehen wollte, und wir traten ein, Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern, einem Arbeitszimmer und einem Schlafzimmer. Beide waren, wie es bei solchen Zimmern selten der Fall ist, sehr in Ordnung. Sonst war ihr Geraete sehr einfach. Buecherkaesten, Schreib- und Zeichnungsgeraete, ein Tisch, Schreine fuer die Kleider, Stuehle und das Bett. Der Juengling stand fast erroetend da, da ein Fremder in seiner Wohnung war. Wir entfernten uns bald, und der Bewohner machte uns die leichte, feine Verbeugung, die ich gestern schon an ihm bemerkt hatte, weil er uns nicht mehr begleiten, sondern in den Zimmern zurueckbleiben wollte, in welchen er noch Arbeit zu verrichten hatte. "Ihr koennt nun auch die Gastzimmer besuchen", sagte mein Begleiter, "dann habt ihr alle Raeume unseres Hauses gesehen." Ich willigte ein. Er nahm ein kleines silbernes Gloecklein aus seiner Tasche und laeutete. Es erschien in kurzem eine Magd, von welcher er die Schluessel der Zimmer verlangte. Sie holte dieselben und brachte sie an einem Ringe, von welchem einzelne los zu loesen waren. Jeder trug die Zahl seines Zimmers auf sich eingegraben. Nachdem mein Beberberger die Magd verabschiedet hatte, schloss er mir die einzelnen Zimmer auf. Sie waren einander vollkommen gleich. Sie waren gleich gross, jedes hatte zwei Fenster, und jedes hatte aehnliche Geraete wie das meine. "Ihr seht", sagte er, "dass wir in unserem Hause nicht so ungesellig sind und bei dessen Anlegung schon auf Gaeste gerechnet haben. Es koennen im aeussersten Notfalle noch mehr untergebracht werden als die Zimmer anzeigen, wenn wir zwei in ein Gemach tun und noch andere Zimmer, namentlich die im Erdgeschosse, in Anspruch nehmen. Es ist aber in der Zeit, seit welcher dieses Haus besteht, der Notfall noch nicht eingetreten." Als wir an die oestliche Seite des Hauses gekommen waren, an die Seite, die seiner Wohnung gerade entgegengesetzt lag, oeffnete er eine Tuer, und wir traten nicht in ein Zimmer wie bisher, sondern in drei, welche sehr schoen eingerichtet waren und zu lieblichem Wohnen einluden. Das erste war ein Zimmer fuer einen Diener oder eigentlich eine Dienerin; denn es sah ganz aus wie das Zimmer, in welchem die Maedchen meiner Mutter wohnten. Es standen grosse Kleiderkaesten da, mit gruenem Zitz verhaengte Betten, und es lagen Dinge herum wie in dem Maedchenzimmer meiner Mutter. Die zwei anderen Gemaecher zeigten zwar nicht solche Dinge, im Gegenteile, sie waren in der musterhaftesten Ordnung; aber sie wiesen doch eine solche Gestalt, dass man schliessen musste, dass sie zu Wohnungen fuer Frauen bestimmt sind. Die Geraete des ersten waren von Mahagoniholz, die des zweiten von Cedern. Ueberall standen weichgepolsterte Sitze und schoene Tische herum. Auf dem Fussboden lagen weiche Teppiche, die Pfeiler hatten hohe Spiegel, ausserdem stand in jedem Zimmer noch ein beweglicher Ankleidespiegel, an den Fenstern waren Arbeitstischchen, und in der Ecke jedes Zimmers stand, von weissen Vorhaengen dicht und undurchdringlich umgeben, ein Bett. Jedes Gemach hatte ein Blumentischchen, und an den Waenden hingen einige Gemaelde. Als ich diese Zimmer eine Weile betrachtet hatte, oeffnete mein Begleiter im dritten Zimmer mittelst eines Drueckers eine Tapetentuer, die sich den Blicken nicht gezeigt hatte, und fuehrte mich noch in ein viertes, kleines Zimmer mit einem einzigen Fenster. Das Zimmerchen war sehr schoen. Es war ganz in sanft rosenfarbener Seide ausgeschlagen, welche Zeichnungen in derselben, nur etwas dunkleren Farbe hatte. An dieser schwach rosenroten Seide lief eine Polsterbank von lichtgrauer Seide hin, die mit mattgruenen Baendern geraendert war. Sessel von gleicher Art standen herum. Die Seide, grau in Grau gezeichnet, hob sich licht und lieblich von dem Rot der Waende ab, es machte fast einen Eindruck, wie wenn weisse Rosen neben roten sind. Die gruenen Streifen erinnerten an das gruene Laubblatt der Rosen. In einer der hinteren Ecken des Zimmers war ein Kamin von ebenfalls grauer, nur dunklerer Farbe mit gruenen Streifen in den Simsen und sehr schmalen Goldleisten. Vor der Polsterbank und den Sesseln stand ein Tisch, dessen Platte grauer Marmor von derselben Farbe wie der Kamin war. Die Fuesse des Tisches und der Sessel so wie die Fassungen an der Polsterbank und den anderen Dingen waren von dem schoenen veilchenblauen Amarantholze; aber so leicht gearbeitet, dass dieses Holz nirgends herrschte. An dem mit grauen Seidenvorhaengen gesaeumten Fenster, welches zwischen gruenen Baumwoelbungen auf die Landschaft und das Gebirge hinaussah, stand ein Tischchen von demselben Holze und ein reichgepolsterter Sessel und Schemel, wie wenn hier der Platz fuer eine Frau zum Ruhen waere. An den Waenden hingen nur vier kleine, an Groesse und Rahmen vollkommen gleiche Oelgemaelde. Der Fussboden war mit einem feinen gruenen Teppiche ueberspannt, dessen einfache Farbe sich nur ein wenig von dem Gruen der Baender abhob. Es war gleichsam der Rasenteppich, ueber dem die Farben der Rosen schwebten. Die Schuerzange und die anderen Geraete an dem Kamine hatten vergoldete Griffe, auf dem Tische stand ein goldenes Gloecklein. Kein Merkmal in dem Gemache zeigte an, dass es bewohnt sei. Kein Geraete war verrueckt, an dem Teppiche zeigte sich keine Falte und an den Fenstervorhaengen keine Verknitterung. Als ich eine Zeit diese Dinge mit Staunen betrachtet hatte, oeffnete mein Begleiter wieder die Tapetentuer, die man auch im Innern dieses Zimmers nicht sehen konnte, und fuehrte mich hinaus. Er hatte in dem Rosenzimmerchen nicht ein Wort gesprochen, und ich auch nicht. Als wir durch die anderen Zimmer gegangen waren und er sie hinter uns zugeschlossen hatte, sagte er mir ebenfalls ueber den Zweck dieser Wohnung nichts, und ich konnte natuerlich nicht darum fragen. Als wir auf den Gang hinausgekommen waren, sagte er: "Nun habt ihr mein ganzes Haus gesehen; wenn ihr wieder einmal in der Zukunft vorueberkommt oder euch gar in der Ferne desselben erinnert, so koennt ihr euch gleich vorstellen, wie es im Inneren aussieht." Bei diesen Worten nestelte er den Ring mit den Schluesseln in irgend eine Tasche seines seltsamen Obergewandes. "Es ist ein Bild", erwiderte ich auf seine Rede, "das sich mir tief eingepraegt hat und das ich nicht so bald vergessen werde." "Ich habe mir das beinahe gedacht", antwortete er. Da wir in die Naehe meines Zimmers gekommen waren, verabschiedete er sich, indem er sagte, dass er nun einen grossen Teil meiner Zeit in Anspruch genommen habe und dass er, um mich nicht noch mehr einzuengen, mir nichts weiter davon entziehen wolle. Ich dankte ihm fuer seine Gefaelligkeit und Freundlichkeit, mit welcher er mir einen Teil des Tages gewidmet und mir seine Haeuslichkeit gezeigt habe, und wir trennten uns. Ich nahm den Schluessel aus meiner Tasche und oeffnete mein Zimmer, um einzutreten; ihn aber hoerte ich die Treppe hinabgehen. Ich blieb nun bis gegen Abend in meinem Gastgemache, teils weil ich ermuedet war und wirklich einige Ruhe noetig hatte, teils weil ich meinem Gastfreunde nicht weiter laestig sein wollte. Am Abende ging ich wieder ein wenig auf die Felder ausserhalb des Gartens hinaus und kam erst zur Speisestunde zurueck. Ich hatte bei dieser Gelegenheit gelernt, mir selber das Gitter zu oeffnen und zu schliessen. Es war kein Gast da, und beim Abendessen wie beim Mittagessen waren nur mein Gastfreund, Gustav und ich. Die Gespraeche waren ueber verschiedene gleichgueltige Dinge, wir trennten uns bald, ich verfuegte mich auf mein Zimmer, las noch, schrieb, entkleidete mich endlich, loeschte das Licht und begab mich zur Ruhe. Der naechste Morgen war wieder herrlich und heiter. Ich oeffnete die Fenster, liess Duft und Luft hereinstroemen, kleidete mich an, erfrischte mich mit reichlichem Wasser zum Waschen, und ehe die Sonne nur einen einzigen Tautropfen hatte aufsaugen koennen, stand ich schon mit meinem Raenzlein auf dem Ruecken und mit meinem Hute und dem Schwarzdornstocke in der Hand im Speisezimmer. Der alte Mann und Gustav warteten meiner bereits. Nachdem das Fruehmahl verzehrt worden war, wobei ich trotz der Forderung mein Raenzlein nicht abgelegt hatte, dankte ich noch einmal fuer die grosse Freundlichkeit und Offenheit, mit welcher ich hier aufgenommen worden war, verabschiedete mich und begab mich auf meinen Weg. Der alte Mann und Gustav begleiteten mich bis zum Gittertore des Gartens. Der Alte oeffnete, um mich hinauszulassen, so wie er vorgestern geoeffnet hatte, um mir den Eingang zu gestatten. Beide gingen mit mir durch das geoeffnete Tor hinaus. Als wir auf dem Sandplatze vor dem Hause, angeweht von dem Dufte der Rosen, standen, sagte mein Beherberger: "Nun lebt wohl und geht gluecklich eures Weges. Wir kehren durch unser Gitter wieder in unseren Landaufenthalt und zu unseren Beschaeftigungen zurueck. Wenn ihr in einer anderen Zeit wieder in die Naehe kommt und es euch gefaellt, uns zu besuchen, so werdet ihr mit Freundlichkeit aufgenommen werden. Wenn ihr aber gar, ohne dass euch euer Weg hier vorueberfuehrt, freiwillig zu uns kommt, um uns zu besuchen, so wird es uns besonders freuen. Es ist keine Redensart, wenn ich sage, dass es uns freuen wuerde, ich gebrauche diese Redensarten nicht, sondern es ist wirklich so. Wenn ihr das einmal wollt, so lebt in diesem Hause, so lange es euch zusagt, und lebt so ungebunden als ihr wollt, so wie auch wir so ungebunden leben werden als wir wollen. Wenn ihr uns die Zeit vorher etwa durch einen Boten wissen machen koenntet, waere es gut, weil wir, wenn auch nicht oft, doch manchmal abwesend sind." "Ich glaube, dass ihr mich freundlich aufnehmen werdet, wenn ich wieder komme", antwortete ich, "weil ihr es sagt und euer Wesen mir so erscheint, dass ihr nicht eine unwahre Hoeflichkeit aussprechen wuerdet. Ich begreife zwar den Grund nicht, weshalb ihr mich einladet, aber da ihr es tut, nehme ich es mit vieler Freude an und sage euch, dass ich im naechsten Sommer, wenn mich auch mein gewoehnlicher Weg nicht hieher fuehrt, freiwillig in diese Gegend und in dieses Haus kommen werde, um eine kleine Zeit da zu bleiben." "Tut es, und ihr werdet sehen, dass ihr nicht unwillkommen seid", sagte er, "wenn ihr auch die Zeit ausdehnt." "Ich werde vielleicht das Letztere tun", antwortete ich, "und so lebet wohl." "Lebt wohl." Bei diesen Worten reichte er mir die Hand und drueckte sie. Ich reichte meine Hand, da er sie losgelassen hatte, auch an den Knaben Gustav, welcher sie annahm, aber nichts sprach, sondern mich bloss mit seinen Augen freundlich ansah. Hierauf schieden wir, indem sie durch das Gitter zurueckgingen, ich aber den Hut auf dem Haupte den Weg hinabwandelte, den ich vor zwei Tagen heraufgegangen war. Ich fragte mich nun, bei wem ich denn diesen Tag und die zwei Naechte zugebracht habe. Er hat um meinen Namen nicht gefragt und hat mir den seinigen nicht genannt. Ich konnte mir auf meine Frage keine Antwort geben. Und so ging ich denn nun weiter. Die gruenen Aehren gaben jetzt in der Morgensonne feurige Strahlen, waehrend sie bei meinem Heraufgehen im Schatten des herandrohenden Gewitters gestanden waren. Ich sah mich noch einmal um, da ich zwischen den Feldern hinabging, und sah das weisse Haus im Sonnenscheine stehen, wie ich es schon oefter hatte stehen gesehen, ich konnte noch den Rosenschimmer unterscheiden und glaubte, noch das Singen der zahlreichen Voegel im Garten vernehmen zu koennen. Hierauf wendete ich mich wieder um und ging abwaerts, bis ich zu der Hecke und der Einfriedigung der Felder kam, bei der ich vorgestern von der Strasse abgebogen hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, noch einmal umzusehen. Das Haus stand jetzt nur mehr weiss da, wie ich es oefter bei meinen Wanderungen gesehen hatte. Ich ging nun auf der Landstrasse in meiner Richtung vorwaerts. Den ersten Mann, welcher mir begegnete, fragte ich, wem das weisse Haus auf dem Huegel gehoere und wie es hiesse. "Es ist der Aspermeier, dem es gehoert", antwortete der Mann, "ihr seid ja gestern selber in dem Asperhofe gewesen und seid mit dem Aspermeier herumgegangen." "Aber der Besitzer jenes Hauses ist doch unmoeglich ein Meier?" fragte ich; denn mir war wohlbekannt, dass man in der Gegend jeden groesseren Bauern einen Meier nannte. "Er ist anfangs nicht der Aspermeier gewesen", antwortete der Mann, "aber er hat von dem alten Aspermeier den Asperhof gekauft, und das Haus hat er gebaut, welches in dem Garten steht und zu dem Asperhof gehoert, und jetzt ist er der Aspermeier; denn der alte ist laengst gestorben." "Hat er denn nicht auch einen andern Namen?" fragte ich. "Nein, wir heissen ihn den Aspermeier", antwortete er. Ich sah, dass der Mann nichts Weiteres von meinem Gastfreunde wisse und sich nicht um denselben gekuemmert habe, ich gab daher bei ihm jedes weitere Forschen auf. Es begegneten mir noch mehrere Menschen, von denen ich dieselbe Antwort erhielt. Alle kehrten das Verhaeltnis um und sagten, das Haus im Garten gehoere zu dem Asperhofe. Ich beschloss daher, vorlaeufig jedes Forschen zu unterlassen, bis ich zu einem Menschen gekommen sein wuerde, von dem ich berechtigt war, eine bessere Auskunft zu erwarten. Da mir aber der Name Aspermeier und Asperhof nicht gefiel, nannte ich das Haus, in welchem ein solcher Rosendienst getrieben wurde, in meinem Haupte vorlaeufig dass Rosenhaus. Es begegnete mir aber niemand, den ich noch einmal haette fragen koennen. Ich liess, da ich so meines Weges weiter wandelte, die Dinge des letzten Tages in mir voruebergehen. Mich freute es, dass ich in dem Hause eine so grosse Reinlichkeit und Ordnung getroffen hatte, wie ich sie bisher nur in dem Hause meiner Eltern gesehen hatte. Ich wiederholte, was der alte Mann mir gezeigt und gesagt hatte, und es fiel mir ein, wie ich mich viel besser haette benehmen koennen, wie ich auf manche Reden bessere Antworten geben und ueberhaupt viel bessere Dinge haette sagen koennen. In diesen Betrachtungen wurde ich unterbrochen. Als ich ungefaehr eine Stunde auf dem Wege gewandert war, kam ich an die Ecke des Buchenwaldes, von dem wir vorgestern abends gesprochen hatten, der zu den Besitzungen meines Gastfreundes gehoert und in welchem ich einmal eine Gabelbuche gezeichnet hatte. Der Weg geht an dem Walde etwas steiler hinan und biegt um die Ecke desselben herum. Da ich bis zu der Biegung gelangt war, kam mir ein Wagen entgegen, welcher mit eingelegtem Radschuhe langsam die Strasse herabfuhr. Er mochte darum langsamer als gewoehnlich fahren, weil sich diejenigen, welche in ihm sassen, Vorsicht zum Gesetze gemacht haben konnten. Es sassen nehmlich in dem offenen und des schoenen Wetters willen ganz zurueckgelegten Wagen zwei Frauengestalten, eine aeltere und eine juengere. Beide hatten Schleier, welche von den Hueten ueber die Schultern niedergingen. Die aeltere hatte den Schleier ueber das Angesicht gezogen, welches aber doch, da der Schleier weiss war, ein wenig gesehen werden konnte. Die juengere hatte den Schleier zu beiden Seiten des Angesichts zurueckgetan und zeigte dieses Angesicht der Luft. Ich sah sie beide an und zog endlich zu einer hoeflichen Begruessung meinen Hut. Sie dankten freundlich, und der Wagen fuhr vorueber. Ich dachte mir, da der Wagen immer tiefer ueber den Berg hinabging, ob denn nicht eigentlich das menschliche Angesicht der schoenste Gegenstand zum Zeichnen waere. Ich sah dem Wagen noch nach, bis er durch die Biegung des Weges unsichtbar geworden war. Dann ging ich an dem Waldrande vorwaerts und aufwaerts. Nach drei Stunden kam ich auf einen Huegel, von welchem ich in die Gegend zuruecksehen konnte, aus der ich gekommen war. Ich sah mit meinem Fernrohre, das ich aus dem Raenzlein genommen hatte, deutlich den weissen Punkt des Hauses, in welchem ich die letzten zwei Naechte zugebracht hatte, und hinter dem Hause sah ich die duftigen Berge. Wie war nun der Punkt so klein in der grossen Welt. Ich kam bald in den Ort, in welchem ich, da ich bisher nirgends angehalten hatte, mein Mittagsmahl einzunehmen gesonnen war, obwohl die Sonne bis zum Scheitel noch einen kleinen Bogen zurueckzulegen hatte. Ich fragte in dem Orte wieder um den Besitzer des weissen Hauses und beschrieb dasselbe und seine Lage, so gut ich konnte. Man nannte mir einen Mann, der einmal in hohen Staatsaemtern gestanden war; man nannte mir aber zwei Namen, den Freiherrn von Risach und einen Herrn Morgan. Ich war nun wieder ungewiss wie vorher. Am andern Tage morgens kam ich in den Gebirgszug, welcher das Ziel meiner Wanderung war und in welchen ich von dem anderen Gebirgszuge durch einen Teil des flachen Landes ueberzusiedeln beschlossen hatte. Am Mittage kam ich in dem Gasthofe an, den ich mir zur Wohnung ausgewaehlt hatte. Mein Koffer war bereits da, und man sagte mir, dass man mich frueher erwartet habe. Ich erzaehlte die Ursache meiner verspaeteten Ankunft, richtete mich in dem Zimmer, das ich mir bestellt hatte, ein und begab mich an die Geschaefte, welche in diesem Gebirgsteile zu betreiben ich mir vorgesetzt hatte. Der Besuch Ich blieb ziemlich lange in meinem neuen Aufenthaltsorte. Es entwickelte sich aus den Arbeiten ein Weiteres und Neues und hielt mich fest. Ich drang spaeter noch tiefer in das Gebirgstal ein und begann Dinge, die ich mir fuer diesen Sommer gar nicht einmal vorgenommen hatte. Im spaeten Herbste kehrte ich zu den Meinigen zurueck. Es erging mir auf dieser Reise, wie es mir auf jeder Heimreise ergangen war. Als ich das Gebirge verliess, waren die Bergahornblaetter und die der Birken und Eschen nicht nur schon laengst abgefallen, sondern sie hatten auch bereits ihre schoene gelbe Farbe verloren und waren schmutzig schwarz geworden, was nicht mehr auf die Kinder der Zweige erinnerte, die sie im Sommer gewesen waren, sondern auf die befruchtende Erde, die sie im Winter fuer den neuen Nachwuchs werden sollten; die Bewohner der Bergtaeler und der Halden, die wohl gelegentlich in jeder Jahreszeit Feuer machen, unterhielten es schon den ganzen Tag in ihrem Ofen, um sich zu waermen, und an heiteren Morgen glaenzte der Reif auf den Bergwiesen und hatte bereits das Gruen der Farrenkraeuter in ein duerres Rostbraun verwandelt: da ich aber in die Ebene gelangt war und die Berge mir am Rande derselben nur mehr wie ein blauer Saum erschienen, und da ich endlich gar auf dem breiten Strome zu unserer Hauptstadt hinabfuhr, umfaechelten mich so weiche und warme Luefte, dass ich meinte, ich haette die Berge zu frueh verlassen. Es war aber nur der Unterschied der Himmelsbeschaffenheit in dem Gebirge und in den entfernten Niederungen. Als ich das Schiff verlassen hatte und an den Toren meiner Heimatstadt angekommen war, trugen die Akazien noch ihr Laub, warmer Sonnenschein legte sich auf die Umfassungsmauern und auf die Haeuser, und schoengekleidete Menschen lustwandelten in den Stunden des Nachmittages. Die liebliche roetliche und dunkelblaue Farbe der Weintrauben, die man an dem Tore und auf dem Platze innerhalb desselben feil bot, brachte mir manchen freundlichen und froehlichen Herbsttag meiner Kindheit in Erinnerung. Ich ging die gerade Gasse entlang, ich bog in ein paar Nebenstrassen und stand endlich vor dem wohlbekannten Vorstadthause mit dem Garten. Da ich die Treppe hinangegangen war, da ich die Mutter und die Schwester gefunden hatte, war die erste Frage nach Gesundheit und Wohlbefinden aller Angehoerigen. Es war alles im besten Stande, die Mutter hatte auch meine Zimmer ordnen lassen, alles war abgestaubt, gereinigt und an seinem Platze, als haette man mich gerade an diesem Tage erwartet. Nach einem kurzen Gespraeche mit der Mutter und der Schwester kleidete ich mich, ohne meinen Koffer zu erwarten, von meinen zurueckgelassenen Kleidern auf staedtische Weise an, um in die Stadt zu gehen und den Vater zu begruessen, der noch auf seiner Handelsstube war. Das Gewimmel der Leute in den Gassen, das Herumgehen geputzter Menschen in den Baumgaengen des gruenen Platzes zwischen der Stadt und den Vorstaedten, das Fahren der Waegen und ihr Rollen auf den mit Steinwuerfeln gepflasterten Strassen und endlich, als ich in die Stadt kam, die schoenen Warenauslagen und das Ansehnliche der Gebaeude befremdeten und beengten mich beinahe als ein Gegensatz zu meinem Landaufenthalte; aber ich fand mich nach und nach wieder hinein, und es stellte sich als das Langgewohnte und Allbekannte wieder dar. Ich ging nicht zu meinen Freunden, an deren Wohnung ich vorueberkam, ich ging nicht in die Buchhandlung, in der ich manche Stunde des Abends zuzubringen gewohnt war und die an meinem Wege lag, sondern ich eilte zu meinem Vater. Ich fand ihn an dem Schreibtische und gruesste ihn ehrerbietig und wurde auch von ihm auf das Herzlichste empfangen. Nach kurzer Unterredung ueber Wohlbefinden und andere allgemeine Dinge sagte er, dass ich nach Hause gehen moechte, er habe noch Einiges zu tun, werde aber bald nachkommen, um mit der Mutter, der Schwester und mir den Abend zuzubringen. Ich ging wieder gerades Weges nach Hause. Dort machte ich einen Gang durch den Garten, sprach einige liebkosende Worte zu dem Hofhunde, der mich mit Heulen und Freudenspruengen begruesste, und brachte dann noch eine Weile bei der Mutter und der Schwester zu. Hierauf ging ich in alle Zimmer unserer Wohnung, besonders in die mit den alten Geraeten, den Buechern und Bildern. Sie kamen mir beinahe unscheinbar vor. Nach einiger Zeit kam auch der Vater. Es war heute in dem Stuebchen, in welchem die alten Waffen hingen und um welches der Epheu rankte, zum Abendessen aufgedeckt worden. Man hatte sogar bis gegen Abend die Fenster offen lassen koennen. Da waehrend meines Ganges in die Stadt mein Koffer und meine Kisten von dem Schiffe gekommen waren, konnte ich die Geschenke, welche ich von der Reise mitgebracht hatte, in das Stuebchen schaffen lassen: fuer die Mutter einige seltsame Toepfe und Geschirre, fuer den Vater ein Amonshorn von besonderer Groesse und Schoenheit, andere Marmorstuecke und eine Uhr aus dem siebenzehnten Jahrhunderte, und fuer die Schwester das gewoehnliche Edelweiss, getrockneten Enzian, ein seidenes Bauertuechlein und silberne Brustkettlein, wie man sie in einigen Teilen des Gebirges traegt. Auch was man mir als Geschenke vorbereitet hatte, kam in das Stueblein: von der Mutter und Schwester verfertigte Arbeiten, darunter eine Reisetasche von besonderer Schoenheit, dann saemtliche Arten guter Bleifedern, nach den Abstufungen der Haerte in einem Fache geordnet, besonders treffliche Federkiele, glattes Papier, und von dem Vater ein Gebirgsatlas, dessen ich schon einige Male Erwaehnung getan und den er fuer mich gekauft hatte. Nachdem alles mit Freuden gegeben und empfangen worden war, setzte man sich zu dem Tische, an dem wir heute Abend nur allein waren, wie es nach und nach bei jeder meiner Zurueckkuenfte nach einer laengeren Abwesenheit der Gebrauch geworden war. Es wurden die Speisen aufgetragen, von denen die Mutter vermutete, dass sie mir die liebsten sein koennten. Die Vertraulichkeit und die Liebe ohne Falsch, wie man sie in jeder wohlgeordneten Familie findet, tat mir nach der laengeren Vereinsamung ausserordentlich wohl. Als die ersten Besprechungen ueber alles, was zunaechst die Angehoerigen betraf und was man in der juengsten Zeit erlebt hatte, vorueber waren, als man mir den ganzen Gang des Hauswesens waehrend meiner Abwesenheit auseinandergesetzt hatte, musste ich auch von meiner Reise erzaehlen. Ich erklaerte ihren Zweck und sagte, wo ich gewesen sei und was ich getan habe, ihn zu erreichen. Ich erwaehnte auch des alten Mannes und erzaehlte, wie ich zu ihm gekommen sei, wie gut ich von ihm aufgenommen worden sei und was ich dort gesehen habe. Ich sprach die Vermutung aus, dass er, seiner Sprache nach zu urteilen, aus unserer Stadt sein koennte. Mein Vater ging seine Erinnerungen durch, konnte aber auf keinen Mann kommen, der dem von mir beschriebenen aehnlich waere. Die Stadt ist gross, meinte er, es koennten da viele Leute gelebt haben, ohne dass er sie haette kennen lernen koennen. Die Schwester meinte, vielleicht haette ich ihn auch der Umgebung zufolge, in welcher ich ihn gefunden habe, schon in einem anderen und besonderen Lichte gesehen und in solchem dargestellt, woraus er schwerer zu erkennen sei. Ich entgegnete, dass ich gar nichts gesagt habe, als was ich gesehen haette und was so deutlich sei, dass ich es, wenn ich mit Farben besser umzugehen wuesste, sogar malen koennte. Man meinte, die Zeit werde die Sache wohl aufklaeren, da er mich auf einen zweiten Besuch eingeladen habe und ich gewiss nicht anstehen werde, denselben abzustatten. Dass ich ihn nicht geradezu um seinen Namen gefragt habe, billigten alle meine Angehoerigen, da er weit mehr getan, nehmlich mich aufgenommen und beherbergt habe, ohne um meinen Namen oder um meine Herkunft zu forschen. Der Vater erkundigte sich im Laufe des Gespraeches genauer nach manchen Gegenstaenden in dem Hause des alten Mannes, deren ich Erwaehnung getan hatte, besonders fragte er nach den Marmoren, nach den alten Geraeten, nach den Schnitzarbeiten, nach den Bildsaeulen, nach den Gemaelden und den Buechern. Die Marmore konnte ich ihm fast ganz genau beschreiben, die alten Geraete beinahe auch. Der Vater geriet ueber die Beschreibung in Bewunderung und sagte, es wuerde fuer ihn eine grosse Freude sein, einmal solche Dinge mit eigenen Augen sehen zu koennen. Ueber Schnitzarbeiten konnte ich schon weniger sagen, ueber die Buecher auch nicht viel, und das wenigste, beinahe gar nichts, ueber Bildsaeulen und Gemaelde. Der Vater drang auch nicht darauf und verweilte nicht lange bei diesen letzteren Gegenstaenden - die Mutter meinte, es waere recht schoen, wenn er sich einmal aufmachte, eine Reise in das Oberland unternaehme und die Sachen bei dem alten Manne selber ansaehe. Er sitze jetzt immer wieder zu viel in seiner Schreibstube, er gehe in letzter Zeit auch alle Nachmittage dahin und bleibe oft bis in die Nacht dort. Eine Reise wuerde sein Leben recht erfrischen, und der alte Mann, der den Sohn so freundlich aufgenommen habe, wuerde ihn gewiss herzlich empfangen und ihm als einem Kenner seine Sammlungen noch viel lieber zeigen als einem andern. Wer weiss, ob er nicht gar auf dieser Reise das eine oder andere Stueck fuer seine Altertumszimmer erwerben koennte. Wenn er immer warte, bis die dringendsten Geschaefte vorueber waeren und bis er sich mehr auf die juengeren Leute in seiner Arbeitsstube verlassen koenne, so werde er gar nie reisen; denn die Geschaefte seien immer dringend, und sein Misstrauen in die Kraefte der juengeren Leute wachse immer mehr, je aelter er werde und je mehr er selber alle Sachen allein verrichten wolle. Der Vater antwortete, er werde nicht nur schon einmal reisen, sondern sogar eines Tages sich in den Ruhestand setzen und keine Handelsgeschaefte weiter vornehmen. Die Mutter erwiderte, dass dies sehr gut sein und dass ihr dieser Tag wie ein zweiter Brauttag erscheinen werde. Ich musste dem Vater nun auch die einzelnen Holzgattungen angeben, aus denen die verschiedenen Geraete in dem Rosenhause eingelegt seien, aus denen die Fussboeden bestanden, und endlich aus welchen geschnitzt wuerde. Ich tat es so ziemlich gut, denn ich hatte bei der Betrachtung dieser Dinge an meinen Vater gedacht und hatte, mir mehr gemerkt, als sonst der Fall gewesen sein wuerde. Ich musste ihm auch beschreiben, in welcher Ordnung diese Hoelzer zusammengestellt seien, welche Gestalten sie bildeten und ob in der Zusammenstellung der Linien und Farben ein schoener Reiz liege. Ebenso musste ich ihm auch noch mehr von den Marmorarten erzaehlen, die in dem Gange und in dem Saale waeren, und musste darstellen, wie sie verbunden waeren, welche Gattungen an einander grenzten und wie sie sich dadurch abhoeben. Ich nahm haeufig ein Stueck Papier und die Bleifeder zur Hand, um zu versinnlichen, was ich gesehen haette. Er tat auch weitere Fragen, und durch ihre zweckmaessige Aufeinanderfolge konnte ich mehr beantworten, als ich mir gemerkt zu haben glaubte. Als es schon spaet geworden war, mahnte die Mutter zur Ruhe, wir trennten uns von dem Waffenhaeuschen und begaben uns zu Bette. Am anderen Tage begann ich meine Wohnung fuer den Winter einzurichten. Ich packte nach und nach die Sachen, welche ich von meiner Reise mitgebracht hatte, aus, stellte sie nach gewohnter Art und Weise auf und suchte sie in die vorhandenen einzureihen. Diese Beschaeftigung nahm mehrere Tage in Anspruch. Am ersten Sonntage nach meiner Ankunft war ein Bewillkommungsmahl. Alle Leute von dem Handelsgeschaefte meines Vaters waren besonders eingeladen worden, und es wurden bessere Speisen und besserer Wein auf den Tisch gesetzt. Auch die zwei alten Leute, die in dem dunkeln Stadthause unsere Wohnungsnachbarn gewesen waren, sind zu diesem Mahle geladen worden, weil sie mich sehr lieb hatten und weil die Frau gesagt hatte, dass aus mir einmal grosse Dinge worden wuerden. Diese Mahle waren schon seit ein paar Jahren Sitte, und die alten Leute waren jedesmal Gaeste dabei. Als ich mit dem Hauptsaechlichsten in der Anordnung meiner Zimmer fertig war, besuchte ich auch meine Freunde in der Stadt und brachte wieder manche Abenddaemmerung in der Buchhandlung zu, welche mir ein lieber Aufenthalt geworden war. Wenn ich durch die Gassen der Stadt ging, war es mir, als haette ich das, was ich von dem alten Manne wusste, in einem Maerchenbuche gelesen; wenn ich aber wieder nach Hause kam und in die Zimmer mit den altertuemlichen Gegenstaenden und mit den Bildern ging, so war er wieder wirklich und passte hieher als Vergleichsgegenstand. Die Spuren, welche mit einer Ankunft nach einer laengeren Reise in einer Wohnung immer unzertrennlich verbunden sind, namentlich wenn man von dieser Reise viele Gegenstaende mitgebracht hat, welche geordnet werden muessen, waren endlich aus meinem Zimmer gewichen, meine Buecher standen und lagen zum Gebrauche bereit, und meine Werkzeuge und Zeichnungsgeraetschaften waren in der Ordnung, wie ich sie fuer den Winter bedurfte. Dieser Winter war aber auch schon ziemlich nahe. Die letzten schoenen Spaetherbsttage, die unserer Stadt so gerne zu Teil werden, waren vorueber, und die neblige, nasse und kalte Zeit hatte sich eingestellt. In unserem Hause war waehrend meiner Abwesenheit eine Veraenderung eingetreten. Meine Schwester Klotilde, welche bisher immer ein Kind gewesen war, war in diesem Sommer ploetzlich ein erwachsenes Maedchen geworden. Ich selber hatte mich bei meiner Rueckkehr sehr darueber verwundert, und sie kam mir beinahe ein wenig fremd vor. Diese Veraenderung brachte fuer den kommenden Winter auch eine Veraenderung in unser Haus. Unser Leben war fuer die Hauptstadt eines grossen Reiches bisher ein sehr einfaches und beinah laendliches gewesen. Der Kreis der Familien, mit denen wir verkehrten, hatte keine grosse Ausdehnung gehabt, und auch da hatten sich die Zusammenkuenfte mehr auf gelegentliche Besuche oder auf Spiele der Kinder im Garten beschraenkt. Jetzt wurde es anders. Zu Klotilden kamen Freundinnen, mit deren Eltern wir in Verbindung gewesen waren, diese hatten wieder Verwandte und Bekannte, mit denen wir nach und nach in Beziehungen gerieten. Es kamen Leute zu uns, es wurde Musik gemacht, vorgelesen, wir kamen auch zu anderen Leuten, wo man sich ebenfalls mit Musik und aehnlichen Dingen unterhielt. Diese Verhaeltnisse uebten aber auf unser Haus keinen so wesentlichen Einfluss aus, dass sie dasselbe umgestaltet haetten. Ich lernte ausser den Freunden, die ich schon hatte und an deren Art und Weise ich gewoehnt war, noch neue kennen. Sie hatten meistens ganz andere Bestrebungen als ich und schienen mir in den meisten Dingen ueberlegen zu sein. Sie hielten mich auch fuer besonders, und zwar zuerst darum, weil die Art der Erziehung in unserem Hause eine andere gewesen war als in anderen Haeusern, und dann, weil ich mich mit anderen Dingen beschaeftigte als auf die sie ihre Wuensche und Begierden richteten. Ich vermutete, dass sie mich wegen meiner Sonderlichkeit geringer achteten als sich unter einander selbst. Sie erwiesen meiner Schwester grosse Aufmerksamkeiten und suchten ihr zu gefallen. Die jungen Leute, welche in unser Haus kommen durften, waren nur lauter solche, deren Eltern zu uns eingeladen waren, die wir auch besuchten und an deren Sitten sich kein Bedenken erhob. Meine Schwester wusste nicht, dass ihr die Maenner gefallen sollten, und sie achtete nicht darauf. Ich aber kam in jenen Tagen, wenn mir einfiel, dass meine Schwester einmal einen Gatten haben werde, immer auf den nehmlichen Gedanken, dass dies kein anderer Mann sein koenne als der so waere wie der Vater. Auch mich zogen diese jungen Maenner und andere, die nicht eben der Schwester willen in das Haus kamen, oefter in ihre Gespraeche; sie erzaehlten mir von ihren Ansichten, Bestrebungen, Unterhaltungen und manche vertrauten mir Dinge, welche sie in ihrem geheimen Inneren dachten. So sagte mir einmal einer namens Preborn, welcher der Sohn eines alten Mannes war, der ein hohes Amt am Hofe bekleidete und oefter in unser Haus kam, die junge Tarona sei die groesste Schoenheit der Stadt, sie habe einen Wuchs, wie ihn niemand von der halben Million der Einwohner der Stadt habe, wie ihn nie irgend jemand gehabt habe, und wie ihn keine Kuenstler alter und neuer Zeit darstellen koennten. Augen habe sie, welche Kiesel in Wachs verwandeln und Diamanten schmelzen koennten. Er liebe sie mit solcher Heftigkeit, dass er manche Nacht ohne Schlaf auf seinem Lager liege oder in seiner Stube herum wandle. Sie lebe nicht hier, komme aber oefter in die Stadt, er werde sie mir zeigen, und ich muesse ihm als Freund in seiner Lage beistehen. Ich dachte, dass vieles in diesen Worten nicht Ernst sein koenne. Wenn er das Maedchen so sehr liebe, so haette er es mir oder einem andern gar nicht sagen sollen, auch wenn wir Freunde gewesen waeren. Freunde waren wir aber nicht, wenn man das Wort in der eigentlichen Bedeutung nimmt, wir waren es nur, wie man es in der Stadt mit einer Redeweise von Leuten nennt, die einander sehr bekannt sind und mit einander oefter umgehen. Und endlich konnte er ja keinen Beistand von mir erwarten, der ich in der Art mit Menschen umzugehen nicht sehr bewandert war und in dieser Hinsicht weit unter ihm selber stand. Ich besuchte zuweilen auch den einen oder den anderen dieser jungen Leute ausser der Zeit, in der wir in Begleitung unserer Eltern zusammenkamen, und da war ebenfalls oefter von Maedchen die Rede. Sie sagten, wie sie diese oder jene lieben, sich vergeblich nach ihr sehnen oder von ihr Zeichen der Gegenneigung erhalten haetten. Ich dachte, das sollten sie nicht sagen; und wenn sie eine mutwillige Bemerkung ueber die Gestalt oder das Benehmen eines Maedchens ausdrueckten, so erroetete ich, und es war mir, als waere meine Schwester beleidigt worden. Ich ging nun oefter in die Stadt und betrachtete aufmerksamer den alten Bau unseres Erzdomes. Seit ich die Zeichnungen von Bauwerken in dem Rosenhause so genau und in solcher Menge angesehen hatte, waren mir die Bauwerke nicht mehr so fremd wie frueher. Ich sah sie gerne an, ob sie irgend etwas Aehnliches mit den Gegenstaenden haetten, die ich in den Zeichnungen gesehen hatte. Auf meiner Reise von dem Rosenhause in das Gebirgstal, in welchem ich mich spaeter aufgehalten hatte, und von diesem Gebirgstale bis zu dem Schiffe, das mich zur Heimreise aufnehmen sollte, war mir nichts besonders Betrachtenswertes vorgekommen. Nur einige Wegsaeulen sehr alter Art erinnerten an die reinen und anspruchlosen Gestalten, wie ich sie bei dem Meister auf dem reinen Papier mit reinen Linien gesehen hatte. Aber in der Nische der einen Wegsaeule war statt des Standbildes, das einst darinnen gewesen war und auf welches der Sockel noch hinwies, ein neues Gemaelde mit bunten Farben getan worden, in der anderen fehlte jede Gestalt. Auf meiner Stromesfahrt kam ich wohl an Kirchen und Burgen vorueber, die der Beachtung wert sein mochten, aber mein Zweck fuehrte mich in dem Schiffe weiter. An dem Erzdome sah ich beinahe alle Gestalten von Verzierungen, Simsen, Boegen, Saeulen und groesseren Teilwerken, wie ich sie auf dem Papier im Rosenhause gesehen hatte. Es ergoetzte mich, in meiner Erinnerung diese Gestalten mit den gesehenen zu vergleichen und sie gegenseitig abzuschaetzen. Auch in Beziehung der Edelsteine fiel mir das ein, was der alte Mann in dem Rosenhause ueber die Fassung derselben gesagt hatte. Es gab Gelegenheit genug, gefasste Edelsteine zu sehen. In unzaehligen Schaufenstern der Stadt liegen Schmuckwerke zur Ansicht und zur Verlockung zum Kaufe aus. Ich betrachtete sie ueberall, wo sie mir auf meinem Wege aufstiessen, und ich musste denken, dass der alte Mann recht habe. Wenn ich mir die Zeichnungen von Kreuzen, Rosen, Sternen, Nischen und dergleichen Dingen an mittelalterlichen Baugegenstaenden, wie ich sie im Rosenhause gesehen hatte, vergegenwaertigte, so waren sie viel leichter, zarter und, ich moechte den Ausdruck gebrauchen, inniger als diese Sachen hier, und waren doch nur Teile von Bauwerken, waehrend diese Schmuck sein sollten. Mir kam wirklich vor, dass sie, wie er gesagt hatte, unbeholfen in Gold und unbeholfen in den Edelsteinen seien. Nur bei einigen Vorkaufsorten, die als die vorzueglichsten galten, fand ich eine Ausnahme. Ich sah, dass dort die Fassungen sehr einfach waren, ja dass man, wenn die Edelsteine einmal eine groessere Gestalt und einen hoeheren Wert annahmen, schier gar keine Fassung mehr machte, sondern nur so viel von Gold oder kleinen Diamanten anwendete, als unumgaenglich noetig schien, die Dinge nehmen und an dem menschlichen Koerper befestigen zu koennen. Mir schien dieses schon besser, weil hier die Edelsteine allein den Wert und die Schoenheit darstellen sollten. Ich dachte aber in meinem Herzen, dass die Edelsteine, wie schoen sie auch seien, doch nur Stoffe waeren, und dass es viel vorzueglicher sein muesste, wenn man sie, ohne dass ihre Schoenheit einen Eintrag erhielte, doch auch mit einer Gestalt umgaebe, welche ausser der Lieblichkeit des Stoffes auch den Geist des Menschen sehen liesse, der hier taetig war und an dem man Freude haben koennte. Ich nahm mir vor, wenn ich wieder zu meinem alten Gastfreunde kaeme, mit ihm ueber die Sache zu reden. Ich sah, dass ich in dem Rosenhause etwas Erspriessliches gelernt hatte. Ich wurde bei jener Gelegenheit zufaellig mit dem Sohne eines Schmuckhaendlers bekannt, welcher als der vorzueglichste in der Stadt galt. Er zeigte mir oefter die wertvolleren Gegenstaende, die sie in dem Verkaufsgewoelbe hatten, die aber nie in einem Schaufenster lagen, er erklaerte mir dieselben und machte mich auf die Merkmale aufmerksam, an denen man die Schoenheit der Edelsteine erkennen koenne. Ich getraute mir nie, meine Ansichten ueber die Fassung derselben darzulegen. Er versprach mir, mich naeher in die Kenntnis der Edelsteine einfuehren, und ich nahm es recht gerne an. Weil ich durch meine Gebirgswanderungen an viele Bewegung gewoehnt war, so ging ich alle Tage entweder durch Teile der Stadt herum, oder ich machte einen Weg in den Umgebungen derselben. Das Zutraegliche der starken Gebirgsluft ersetzte nur hier die Herbstluft, die immer rauher wurde, und ich ging ihr sehr gerne entgegen, wenn sie mit Nebeln gefuellt oder hart von den Bergen her wehte, die gegen Westen die Umgebungen unserer Stadt saeumten. Ich fing auch in jener Zeit an, das Theater zuweilen zu besuchen. Der Vater hatte, so lange wir Kinder waren, nie erlaubt, dass wir ein Schauspiel zu sehen bekaemen. Er sagte, es wuerde dadurch die Einbildungskraft der Kinder ueberreizt und ueberstuerzt, sie behingen sich mit allerlei willkuerlichen Gefuehlen und gerieten dann in Begierden oder gar Leidenschaften. Da wir mehr herangewachsen waren, was bei mir schon seit laengerer Zeit, bei der Schwester aber kaum seit einem Jahre der Fall war, durften wir zu seltenen Zeiten das Hoftheater besuchen. Der Vater waehlte zu diesen Besuchen jene Stuecke aus, von denen er glaubte, dass sie uns angemessen waeren und unser Wesen foerderten. In die Oper oder gar in das Ballet durften wir nie gehen, eben so wenig durften wir ein Vorstadttheater besuchen. Wir sahen auch die Auffuehrung eines Schauspiels nie anders als in Gesellschaft unserer Eltern. Seit ich selbststaendig gestellt war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl die Schauspielhaeuser zu besuchen. Da ich mich aber mit wissenschaftlichen Arbeiten beschaeftigte, hatte ich nach dieser Richtung hin keinen maechtigen Zug. Aus Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den nehmlichen Stuecken, die ich schon mit den Eltern gesehen hatte. In diesem Herbste wurde es anders. Ich waehlte zuweilen selber ein Stueck aus, dessen Auffuehrung im Hoftheater ich sehen wollte. Es lebte damals an der Hofbuehne ein Kuenstler, von dem der Ruf sagte, dass er in der Darstellung des Koenigs Lear von Shakespeare das Hoechste leiste, was ein Mensch in diesem Kunstzweige zu leisten im Stande sei. Die Hofbuehne stand auch in dem Rufe der Musteranstalt fuer ganz Deutschland. Es wurde daher behauptet, dass es in deutscher Sprache auf keiner deutschen Buehne etwas gaebe, was jener Darstellung gleich kaeme, und ein grosser Kenner von Schauspieldarstellungen sagte in seinem Buche ueber diese Dinge von dem Darsteller des Koenigs Lear auf unserer Hofbuehne, dass es unmoeglich waere, dass er diese Handlung so darstellen koennte, wie er sie darstellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren Lichtes in ihm lebte, wodurch dieses Meisterwerk erschaffen und mit unuebertrefflicher Weisheit ausgestattet worden ist. Ich beschloss daher, da ich diese Umstaende erfahren hatte, der naechsten Vorstellung des Koenig Lear auf unserer Hofbuehne beizuwohnen. Eines Tages war in den Zeitungen, die taeglich zu dem Fruehmahle des Vaters kamen, fuer die Hofbuehne die Auffuehrung des Koenig Lear angekuendigt und als Darsteller des Lear der Mann genannt, von dem ich gesprochen habe und der jetzt schon dem Greisenalter entgegen geht. Die Jahreszeit war bereits in den Winter hinein vorgerueckt. Ich richtete meine Geschaefte so ein, dass ich in der Abendzeit den Weg zu dem Hoftheater einschlagen konnte. Da ich gerne das Treiben der Stadt ansehen wollte, wie ich auf meinen Reisen die Dinge im Gebirge untersuchte, ging ich frueher fort, um langsam den Weg zwischen der Vorstadt und der Stadt zurueck zu legen. Ich hatte einen einfachen Anzug angelegt, wie ich ihn gerne auf Spaziergaengen hatte, und eine Kappe genommen, die ich bei meinen Reisen trug. Es fiel ein feiner Regen nieder, obwohl es in der unteren Luft ziemlich kalt war. Der Regen war mir nicht unangenehm, sondern eher willkommen, wenn er mir auch auf meinen Anzug fiel, an dem nicht viel zu verderben war. Ich schritt seinem Rieseln mit Gemessenheit entgegen. Der Weg zwischen den Baeumen auf dem freien Raume vor der Stadt war durch das Eis, welches sich bildete, gleichsam mit Glas ueberzogen, und die Leute, welche vor und neben mir gingen, glitten haeufig aus. Ich war an schwierige Wege gewoehnt und ging auf der Mitte der Eisbahn ohne Beschwerde fort. Die Zweige der Baeume glaenzten in der Nachbarschaft der brennenden Laternen, sonst war es ueberall finstere Nacht, und der ganze Raum und die Mauern der Stadt waren in ihrer Dunkelheit verborgen. Als ich von dem Gehwege in die Fahrstrasse einbog, rasselten viele Waegen an mir vorueber, und die Pferde zerstampften und die Raeder zerschnitten die sich bildende Eisdecke. Die meisten von ihnen, wenn auch nicht alle, fuhren in das Theater. Mir kam es beinahe sonderbar vor, dass sie und ich selber in diesem unfreundlichen Wetter einem Raume zustrebten, in welchem eine erlogene Geschichte vorgespiegelt wird. So kam ich in die erleuchtete Ueberwoelbung, in der die Waegen hielten, ich wendete mich von ihr in den Eingang, kaufte meine Karte, steckte meine Kappe in die Tasche meines Ueberrocks, gab diesen in das Kleiderzimmer und trat in den hellen ebenerdigen Raum des Darstellungssaales. - Ich hatte von meinem Vater die Gewohnheit angenommen, nie von oben herab oder von grosser Entfernung die Darstellung eines Schauspieles zu sehen, weil man den Menschen, welche die Handlung darstellen, in ihrer gewoehnlichen Stellung nicht auf die obere Flaeche ihres Kopfes oder ihrer Schultern sehen soll und weil man ihre Mienen und Geberden soll betrachten koennen. Ich blieb daher ungefaehr am Ende des ersten Drittteiles der Laenge des Raumes stehen und wartete, bis sich der Saal fuellen wuerde und die Glocke zum Beginne des Stueckes toente. Sowohl die gewoehnlichen Sitze als auch die Logen fuellten sich sehr stark mit geputzten Leuten, wie es Sitte war, und wahrscheinlich von dem Rufe des Stueckes und des Schauspielers angezogen stroemte heute eine weit groessere und gemischtere Menge, wie man bei dem ersten Blicke erkennen konnte, in diese Raeume. Maenner, die neben mir standen, sprachen dieses aus, und in der Tat war in der Versammlung manche Gestalt zu sehen, die von den entferntesten Teilen der Vorstaedte gekommen sein musste. Die meisten, da endlich gleichsam Haupt an Haupt war, blickten neugierig nach dem Vorhange der Buehne. Es war damals nicht meine Gewohnheit, und ist es jetzt auch noch nicht, in ueberfuellten Raeumen die Menge der Menschen, die Kleider, den Putz, die Lichter, die Angesichter und dergleichen zu betrachten. Ich stand also ruhig, bis die Musik begann und endete, bis sich der Vorhang hob und das Stueck den Anfang nahm. Der Koenig trat ein und war, wie er spaeter von sich sagte, jeder Zoll ein Koenig. Aber er war auch ein uebereilender und bedaurungswuerdiger Tor. Regan, Goneril und Cordelia redeten, wie sie nach ihrem Gemuete reden mussten, auch Kent redete so, wie er nicht anders konnte. Der Koenig empfing die Reden, wie er nach seinem heftigen, leichtsinnigen und doch liebenswuerdigen Gemuete ebenfalls musste. Er verbannte die einfache Cordelia, die ihre Antwort nicht schmuecken konnte, der er desto heftiger zuernte, da sie frueher sein Liebling gewesen war, und gab sein Reich den beiden anderen Toechtern, Regan und Goneril, die ihm auf seine Frage, wer ihn am meisten liebe, mit uebertriebenen Ausdruecken schmeichelten und ihm dadurch, wenn er der Betrachtung faehig gewesen waere, schon die Unechtheit ihrer Liebe dartaten, was auch die edle Cordelia mit solchem Abscheu erfuellte, dass sie auf die Frage, wie _sie_ den Vater liebe, weniger zu antworten wusste, als sie vielleicht zu einer anderen Zeit, wo das Herz sich freiwillig oeffnete, gesagt haette. Gegen Kent, der Cordelia verteidigen wollte, wuetete er und verbannte ihn ebenfalls, und so sieht man bei dieser heftigen und kindischen Gemuetsart des Koenigs ueblen Dingen entgegen. Ich kannte dieses Schauspiel nicht und war bald von dem Gange der Handlung eingenommen. Der Koenig wohnt nun mit seinen hundert Rittern im ersten Monate bei der einen Tochter, um im zweiten dann bei der anderen zu sein und so abwechselnd fortzufahren, wie es bedungen war. Die Folgen dieser schwachen Massregel zeigten sich auch im Lande. In dem hohen Hause Glosters empoert sich ein unehelicher Sohn gegen den Vater und den rechtmaessigen Bruder und ruft unnatuerliche Dinge in die Welt, da auch in des Koenigs Hause unnatuerliche und unzweckmaessige Dinge geschahen. In dem Hofhalte der Tochter und in der in diesen Hofhalt eingepflanzten zweiten Hofhaltung des Koenigs und seiner hundert Ritter entstehen Anstaende und Widrigkeiten, und die Entgegnungen der Tochter gegen das Tun des Koenigs und seines Gefolges sind sehr begreiflich, aber fast unheimlich. Beinahe herzzerreissend ist nun die treuherzige, fast bloede Zuversicht des Koenigs, womit er die eine Tochter, die mit schnoeden Worten seinen Handlungen entgegen getreten war, verlaesst, um zu der anderen, sanfteren zu gehen, die ihn mit noch haerterem Urteile abweist. Sein Diener ist hier in den Stock geschlagen, er selber findet keine Aufnahme, weil man nicht vorbereitet ist, weil man die andere Schwester erwartet, die man aufnehmen muss, man raet dem Koenig, zu der verlassenen Tochter zurueckzukehren und sich ihren Massregeln zu fuegen. Bei dem Koenige war vorher blindes Vertrauen in die Toechter, Uebereilung im Urteile gegen Cordelia, Leichtsinn in Vergebung der Wuerden: jetzt entsteht Reue, Scham, Wut und Raserei. Er will nicht zu der Tochter zurueckkehren, eher geht er in den Sturm und in das Ungewitter auf die Haide hinaus, die gegen ihn wueten duerfen, denen er ja nichts geschenkt hat. Er tritt in die Wueste bei Nacht, Sturm und Ungewitter, der Greis gibt die weissen Haare den Winden preis, da er auf der Haide vorschreitet, von niemandem begleitet als von dem Narren, er wirft den Mantel in die Luft, und da er sich in Ausdruecken erschoepft hat, weiss er nichts mehr als die Worte - Lear! Lear! Lear! aber in diesem einzigen Worte liegt seine ganze vergangene Geschichte und liegen seine ganzen gegenwaertigen Gefuehle. Er wirft sich spaeter dem Narren an die Brust und ruft mit Angst: Narr, Narr! ich werde rasend - ich moechte nicht rasend werden - nur nicht toll! Da er die drei letzten Worte milder sagte, gleichsam bittend, so flossen mir die Traenen ueber die Wangen herab, ich vergass die Menschen herum und glaubte die Handlung als eben geschehend. Ich stand und sah unverwandt auf die Buehne. Der Koenig wird nun wirklich toll, er kraenzt sich in den Tagen nach jener Sturmnacht mit Blumen, schwaermt auf den Huegeln und Haiden und haelt mit Bettlern einen hohen Gerichtshof. Es ist indessen schon Botschaft an seine Tochter Cordelia getan worden, dass Regan und Goneril den Vater schnoed behandeln. Diese war mit Heeresmacht gekommen, um ihn zu retten. Man hatte ihn auf der Haide gefunden, und er liegt nun im Zelte Cordelias und schlaeft. Waehrend der letzten Zeit ist er in sich zusammengesunken, er ist, waehrend wir ihn so vor uns sahen, immer aelter, ja gleichsam kleiner geworden. Er hatte lange geschlafen, der Arzt glaubt, dass der Zustand der Geisteszerruettung nur in der uebermannenden Heftigkeit der Gefuehle gelegen war und dass sich sein Geist durch die lange Ruhe und den erquickenden Schlaf wieder stimmen werde. Der Koenig erwacht endlich, blickt die Frau an, hat nicht den Mut, die vor ihm stehende Cordelia als solche zu erkennen, und sagt im Misstrauen auf seinen Geist mit Verschaemtheit, er halte diese fremde Frau fuer sein Kind Cordelia. Da man ihn sanft von der Wahrheit seiner Vorstellung ueberzeugt, gleitet er ohne Worte von dem Bette herab und bittet knieend und haendefaltend sein eigenes Kind stumm um Vergebung. Mein Herz war in dem Augenblicke gleichsam zermalmt, ich wusste mich vor Schmerz kaum mehr zu fassen. Das hatte ich nicht geahnt, von einem Schauspiele war schon laengst keine Rede mehr, das war die wirklichste Wirklichkeit vor mir. Der guenstige Ausgang, welchen man den Auffuehrungen dieses Stueckes in jener Zeit gab, um die fuerchterlichen Gefuehle, die diese Begebenheit erregt, zu mildern, tat auf mich keine Wirkung mehr, mein Herz sagte, dass das nicht moeglich sei, und ich wusste beinahe nicht mehr, was vor mir und um mich vorging. Als ich mich ein wenig erholt hatte, tat ich fast scheu einen Blick auf meine Umgebung, gleichsam um mich zu ueberzeugen, ob man mich beobachtet habe. Ich sah, dass alle Angesichter auf die Buehne blickten und dass sie in starker Erregung gleichsam auf den Schauplatz hingeheftet seien. Nur in einer ebenerdigen Loge sehr nahe bei mir sass ein Maedchen, welches nicht auf die Darstellung merkte, sie war schneebleich, und die Ihrigen waren um sie beschaeftigt. Sie kam mir unbeschreiblich schoen vor. Das Angesicht war von Traenen uebergossen, und ich richtete meinen Blick unverwandt auf sie. Da die bei ihr Anwesenden sich um und vor sie stellten, gleichsam um sie vor der Betrachtung zu decken, empfand ich mein Unrecht und wendete die Augen weg. Das Stueck war indessen aus geworden, und um mich entstand die Unruhe, die immer mit dem Fortgehen aus einem Schauspielhause verbunden ist. Ich nahm mein Taschentuch heraus, wischte mir die Stirne und die Augen ab und richtete mich zum Fortgehen. Ich ging in das Kleiderzimmer, holte mir meinen Ueberrock und zog ihn an. Als ich in den Vorsaal kam, war dort ein sehr starres Gedraenge, und da er mehrere Ausgaenge hatte, wogten die Menschen vielfach hin und her. Ich gab mich einem groesseren Zuge hin, der langsam bei dem Hauptausgange ausmuendete. Ploetzlich war es mir, als ob sich meinen Blicken, die auf den Ausgang gerichtet waren, ganz nahe etwas zur Betrachtung aufdraengte. Ich zog sie zurueck, und in der Tat hatte ich zwei grosse, schoene Augen den meinigen gegenueber, und das Angesicht des Maedchens aus der ebenerdigen Loge war ganz nahe an dem meinigen. Ich blickte sie fest an, und es war mir, als ob sie mich freundlich ansaehe und mir lieblich zulaechelte. Aber in dem Augenblicke war sie vorueber. Sie war mit einem Menschenstrome aus dem Logengange gekommen, dieser Strom hatte unseren Zug gekreuzt und strebte bei einem Seitenausgange hinaus. Ich sah sie nur noch von rueckwaerts und sah, dass sie in einen schwarzseidenen Mantel gehuellt war. Ich war endlich auch bei dem Hauptausgange hinaus, kommen. Dort zog ich erst meine Kappe aus der Tasche des Ueberrockes, setzte sie auf und blieb noch einen Augenblick stehen und sah den abfahrenden Waegen nach, die ihre roten Laternenlichter in die truebe Nacht hinaustrugen. Es regnete noch viel dichter als bei meinem Hereingehen. Ich schlug den Weg nach Hause ein. Ich gelangte aus den fahrenden Waegen, ich gelangte aus dem groesseren Strome der Menschen und bog in den vereinsamteren Weg ein, der im Freien durch die Reihen der Baeume der Vorstadt zufuehrte. Ich schritt neben den duesteren Laternen vorbei, kam wieder in die Gassen der Vorstadt, durchging sie und war endlich in dem Hause meiner Eltern. Es war beinahe Mitternacht geworden. Die Mutter, welche es sich bei solchen Gelegenheiten nicht nehmen laesst, besonders auf die Gesundheit der Ihrigen bedacht zu sein, war noch angekleidet und wartete meiner im Speisezimmer. Die Magd, welche mir die Wohnung geoeffnet hatte, sagte mir dieses und wies mich dahin. Die Mutter hatte noch ein Abendessen fuer mich in Bereitschaft und wollte, dass ich es einnehme. Ich sagte ihr aber, dass ich noch zu sehr mit dem Schauspiele beschaeftigt sei und nichts essen koenne. Sie wurde besorgt und sprach von Arznei. Ich erwiderte ihr, dass ich sehr wohl sei und dass mir gar nichts als Ruhe not tue. "Nun, wenn dir Ruhe not tut, so ruhe", sagte sie, "ich will dich nicht zwingen, ich habe es gut gemeint." "Gut gemeint wie immer, teure Mutter", antwortete ich, "darum danke ich auch." Ich ergriff ihre Hand und kuesste sie. Wir wuenschten uns gegenseitig eine gute Nacht, nahmen Lichter und begaben uns auf unsere Zimmer. Ich entkleidete mich, legte mich auf mein Bett, loeschte die Lichter aus und liess mein heftiges Herz nach und nach in Ruhe kommen. Es war schon beinahe gegen Morgen, als ich einschlief. Das erste, was ich am andern Tage tat, war, dass ich den Vater um die Werke Shakespeares aus seiner Buechersammlung bat und sie, da ich sie hatte, in meinem Zimmer zur Lesung fuer diesen Winter zurecht legte. Ich uebte mich wieder im Englischen, damit ich sie nicht in einer Uebersetzung lesen muesse. Als ich im vergangenen Sommer von meinem alten Gastfreunde Abschied genommen hatte und an dem Saume seines Waldes auf der Landstrasse dahin ging, waren mir zwei in einem Wagen fahrende Frauen begegnet. Damals hatte ich gedacht, dass das menschliche Angesicht der beste Gegenstand fuer das Zeichnen sein duerfte. Dieser Gedanke fiel mir wieder ein, und ich suchte mir Kenntnisse ueber das menschliche Antlitz zu verschaffen. Ich ging in die kaiserliche Bildersammlung und betrachtete dort alle schoenen Maedchenkoepfe, welche ich abgemalt fand. Ich ging oefter hin und betrachtete die Koepfe. Aber auch von lebenden Maedchen, mit denen ich zusammentraf, sah ich die Angesichter an, ja ich ging an trockenen Wintertagen auf oeffentliche Spaziergaenge und sah die Angesichter der Maedchen an, die ich traf. Aber unter allen Koepfen, sowohl den gemalten als auch den wirklichen, war kein einziger, der ein Angesicht gehabt haette, welches sich an Schoenheit nur entfernt mit dem haette vergleichen koennen, welches ich an dem Maedchen in der Loge gesehen hatte. Dieses eine wusste ich, obwohl ich mir das Angesicht eigentlich gar nicht mehr vorstellen konnte und obwohl ich es, wenn ich es wieder gesehen haette, nicht erkannt haette. Ich hatte es in einer Ausnahmsstellung gesehen, und im ruhigen Leben musste es gewiss ganz anders sein. Mein Vater hatte ein Bild, auf welchem ein lesendes Kind gemalt war. Es hatte eine so einfache Miene, nichts war in derselben als die Aufmerksamkeit des Lesens, man sah auch nur die eine Seite des Angesichtes, und doch war alles so hold. Ich versuchte das Angesicht zu zeichnen; allein ich vermochte durchaus nicht die einfachen Zuege, von denen noch dazu das Auge nicht zu sehen war, sondern durch das Lid beschattet wurde, auch nur entfernt mit Linien wieder zu geben. Ich durfte mir das Bild herabnehmen, ich durfte ihm eine Stellung geben, wie ich wollte, um die Nachahmung zu versuchen; sie gelang nicht, wenn ich auch alle meine Fertigkeit, die ich im Zeichnen anderer Gegenstaende bereits hatte, darauf anwendete. Der Vater sagte mir endlich, dass die Wirkung dieses Bildes vorzueglich in der Zartheit der Farbe liege, und dass es daher nicht moeglich sei, dieselbe in schwarzen Linien nachzuahmen. Er machte mich ueberhaupt, da er meine Bestrebungen sah, mehr mit den Eigenschaften der Farben bekannt, und ich suchte mich auch in diesen Dingen zu unterrichten und zu ueben. Sonderbar war es, dass ich nie auf den Gedanken kam, meine Schwester zu betrachten, ob ihre Zuege zum Nachzeichnen geeignet waeren, oder den Wunsch hegte, ihr Angesicht zu zeichnen, obgleich es in meinen Augen nach dem des Maedchens in der Loge das schoenste auf der Welt war. Ich hatte nie den Mut dazu. Oft kam mir auch jetzt noch der Gedanke, so schoen und rein wie Klotilde koenne doch nichts mehr auf der Erde sein; aber da fielen mir die Zuege des weinenden Maedchens ein, das die Ihrigen zu beruhigen gestrebt hatten und von dem ich mir einbildete, dass es mich im Vorsaale des Theaters freundlich angeblickt habe, und ich musste sie vorziehen. Ich konnte sie mir zwar nicht vorstellen; aber es schwebte mir ein unbestimmtes, dunkles Bild von Schoenheit vor der Seele. Die Freundinnen meiner Schwester oder andere Maedchen, mit denen ich gelegentlich zusammen kam, hatten manche liebe, angenehme Eigenschaften in ihrem Angesichte, ich betrachtete sie und dachte mir, wie dieses oder jenes zu zeichnen waere; aber ich mochte sie ebenfalls nie ersuchen, und so kam ich nicht dazu, ein lebendes, vor mir befindliches Angesicht zu zeichnen. Ich wiederholte also die Zuege in der Erinnerung oder zeichnete nach Gemaelden. Man machte mich endlich auch darauf aufmerksam, dass ich immer Maedchenkoepfe entwerfe. Ich war beschaemt und begann spaeter Maenner, Greise, Frauen, ja auch andere Teile des Koerpers zu zeichnen, so weit ich sie in Vorlagen oder Gipsabguessen bekommen konnte. Trotz dieser Bestrebungen, welchen nach dem Grundsatze unseres Hauses kein Hindernis in den Weg gelegt wurde, vernachlaessigte ich meine Hauptbeschaeftigung doch nicht. Es tat mir sehr wohl, zu Hause unter meinen Sammlungen herum zu gehen, ich dachte oft an die Worte des alten Mannes in dem Rosenhause, und im Gegensatze zu den Festen, zu denen ich geladen war, oder selbst zu Spaziergaengen und Geschaeftsbesuchen war mir meine Wohnung wie eine holde, bedeutungsvolle Einsamkeit, die mir noch lieber wurde, weil ihre Fenster auf Gaerten und wenig geraeuschvolle Gegenden hinausgingen. Die Heiterkeiten wurden in der Stadt immer groesser, je naeher der Winter seinem Ende zuging, und ich hatte in dieser Hinsicht und oft auch in anderer mehr Ursache und Pflicht, zu dieser oder jener Familie einen Gang zu tun. Bei einer solchen Gelegenheit ereignete sich mit mir ein Vorfall, der mich nach dem Beiwohnen bei der Auffuehrung des Lear in jenem Winter am meisten beschaeftigte. Wir waren seit Jahren mit einer Familie sehr befreundet, welche in der Hofburg wohnte. Es war die Wittwe und Tochter eines beruehmten Mannes, der einmal in grossem Ansehen gestanden war. Da der Vater ein bedeutendes Hofamt bekleidet hatte, wurde die Tochter nach seinem Tode auch ein Hoffraeulein, weshalb sie mit der Mutter in der Burg wohnte. Von den Soehnen war einer in der Armee, der andere bei einer Gesandtschaft. Wenn das Fraeulein nicht eben im Dienste war, wurde zuweilen abends ein kleiner Kreis zur Mutter geladen, in welchem etwas vorgelesen, gesprochen oder Musik gemacht wurde. Da die Mutter etwas aelter wurde, spielte man sogar zuweilen Karten. Wir waren oefter an solchen Abenden bei dieser Familie. In jenem Winter hatte ich ein Buch, welches mir von der Mutter des Hoffraeuleins war geliehen worden, laenger behalten, als es eigentlich die Hoeflichkeit erlaubte. Deshalb ging ich eines Mittags hin, um das Buch persoenlich zu ueberbringen und mich zu entschuldigen. Als ich von dem aeusseren Burgplatze durch das hohe Gewoelbe des Gehweges in den inneren gekommen war, fuhren eben aus dem Hofe zu meiner Rechten mehrere Waegen heraus, die meinen Weg kreuzten und mich zwangen, eine Weile stehen zu bleiben. Es standen noch mehrere Menschen neben mir, und ich fragte, was diese Waegen bedeuteten. "Es sind Glueckwuensche, welche dem Kaiser nach seiner Wiedergenesung von grossen Herren abgestattet worden sind und welche er eben angenommen hatte", sagte ein Mann neben mir. Der letzte der Waegen war mit zwei Rappen bespannt, und in ihm sass ein einzelner Mann. Er hatte den Hut neben sich liegen und trug die weissen Haare frei in der winterlichen Luft. Der Ueberrock war ein wenig offen, und unter ihm waren Ordenssterne sichtbar. Als der Wagen bei mir vorueberfuhr, sah ich deutlich, dass mein alter Gastfreund, der mich in dem Rosenhause so wohlwollend aufgenommen hatte, in demselben sitze. Er fuhr schnell vorbei, wie es bei Waegen dieser Art Sitte ist, und schlug die Richtung nach der Stadt ein. Er fuhr bei dem Tore aus der Burg, an welchem die zwei Riesen als Simstraeger angebracht sind. Ich wollte jemand von meinen Nachbaren fragen, wer der Mann sei; aber da von den Waegen, welche die Fussgaenger aufgehalten hatten, der seinige der letzte gewesen und der Weg sodann frei war, so waren alle Nachbaren bereits ihrer Wege gegangen, und diejenigen, welche jetzt neben mir waren, hatten die Waegen nicht in der Naehe gesehen. Ich ging daher ueber den Hof und stieg, ueber die sogenannte Reichskanzleitreppe empor. Ich traf die alte Frau allein, uebergab ihr das Buch und sagte meine Entschuldigungen. Im Verlaufe des Gespraeches erwaehnte ich des Mannes, den ich in dem Wagen gesehen hatte und fragte, ob sie nicht wisse, wer er sei. Sie wusste von gar nichts. "Ich habe nicht bei den Fenstern hinabgeschaut", sagte sie, "es geht Vieles auf dem grossen Hofe vor, ich achte nicht darauf. Ich habe gar nicht gewusst, dass bei dem Kaiser eine Vorfahrt gewesen ist, er war vorgestern noch nicht ganz gesund. Da mein Mann noch lebte, haben wir immer die Aussicht auf den grossen Platz der Hofburg gehabt, und wie bedeutende Dinge da auch vorgehen, so wiederholen sich doch immer die nehmlichen, wenn man viele Jahre zuschaut; und endlich schaut man gar nicht mehr zu und hat herinnen ein Buch oder sein Strickzeug, wenn draussen in das Gewehr gerufen wird, oder Reiter zu hoeren sind, oder Wagen rollen." "Wer ist denn von denen, die in der Aufwartung bei dem Kaiser wegfuhren, in dem letzten Wagen gesessen, Henriette?" fragte sie ihre eben eintretende Tochter, das Hoffraeulein. "Das ist der alte Risach gewesen", antwortete diese, "er ist eigens hereingekommen, um sich Seiner Majestaet vorzustellen und seine Freude ueber dessen Wiedergenesung auszudruecken." Ich hatte in meiner Jugend oefter den Namen Risach nennen gehoert, allein ich hatte damals so wenig darauf geachtet, was ein Mann, dessen Namen ich hoerte, tue, dass ich jetzt gar nicht wusste, wer dieser Risach sei, Ich fragte daher mit jener Ruecksicht, die man bei solchen Fragen immer beobachtet, und erfuhr, dass der Freiherr von Risach zwar nicht die hoechsten Staatswuerden bekleidet habe, dass er aber in der wichtigen und schmerzlichen Zeit des nunmehr auch alternden Kaisers in den belangreichsten Dingen taetig gewesen sei, dass er mit den Maennern, welche die Angelegenheiten Europas leiteten, an der Schlichtung dieser Angelegenheiten gearbeitet habe, dass er von fremden Herrschern geschaetzt worden sei, dass man gemeint habe, er werde einmal an die Spitze gelangen, dass er aber dann ausgetreten sei. Er lebe meistens auf dem Lande, komme aber oefter herein und besuche diesen oder jenen seiner Freunde. Der Kaiser achte ihn sehr, und es duerfte noch jetzt vorkommen, dass hie und da nach seinem Rate gefragt werde. Er soll reich geheiratet, aber seine Frau wieder verloren haben. Ueberhaupt wisse man diese Verhaeltnisse nicht genau. Alles dieses hatte mir das Hoffraeulein gesagt. "Siehst du, meine liebe Henriette", sprach die alte Frau, "wie sich die Dinge in der Welt veraendern. Du weisst es noch nicht, weil du noch jung bist und weil du nichts erfahren hast. Das Niedrige wird hoch, das Hohe wird niedrig, Eines wird so, das Andere wird anders, und ein Drittes bleibt bestehen. Dieser Risach ist sehr oft in unser Haus gekommen. Da uns der Vater noch zuweilen in dem alten Doktorwagen, den er hatte, und der dunkelgruen und schwarz angestrichen war, spazieren fahren liess, ist er nicht einmal, sondern oft auf dem Kutschbocke gesessen, oder er ist gar, wenn wir im Freien fuhren und uns die Leute nicht sehen konnten, hinten aufgestanden wie ein Leibdiener, denn der Wagen des Vaters hat ein Dienerbrett gehabt. Wir waren kaum anders als Kinder, er war ein junger Student, der wenig Bekanntschaft hatte, dessen Herkunft man nicht wusste und um den man auch nicht fragte. Wenn wir in dem Garten auf dem Landhause waren, sprang er mit den Bruedern auf den hoelzernen Esel, oder sie jagten die Runde in das Wasser oder setzten unsere Schaukel in Bewegung. Er brachte deinen Vater zu meinen Bruedern als Kameraden in das Haus. Man wusste damals kaum, wer schoener gewesen sei, Risach oder dein Vater. Aber nach einer Zeit wurde Risach weniger gesehen, ich weiss nicht warum, es vergingen manche Jahre, und ich trat mit deinem Vater in den heiligen Stand der Ehe. Die Brueder waren als Staatsdiener zerstreut, die Eltern waren endlich tot, von Risach wurde oft gesprochen, aber wir kamen wenig zusammen. Der Vater begann seine Taetigkeit hauptsaechlich erst dann, als Risach schon ausgetreten war. Da sitze ich jetzt nun wieder, aber in einem anderen Teile der Burg, dein Vater hat die Erde verlassen muessen, du bist nicht einmal mehr ein Kind, dienst deiner hohen, guetigen Herrin, und da von Risach die Rede war, meinte ich, es seien kaum einige Jahre vergangen, seit er die Schaukel in unserem Garten bewegt hat." Ich fragte, ob nicht Risach eine Besitzung im Oberlande habe. Man sagte mir, dass er dort eine habe. Ich wollte nicht weiter fragen, um nicht die ganze Darlegung meiner Einkehr in diesem Sommer machen zu muessen. Als ich aber nach Hause gekommen war, erzaehlte ich die heutige Begegnung meinen Angehoerigen bei dem Mittagessen. Der Vater kannte den Freiherrn von Risach sehr gut. Er war in frueherer Zeit mehrere Male mit ihm zusammengekommen, hatte ihn aber jetzt schon lange nicht gesehen. Als Anhaltspunkte, dass mein Beherberger in dem Rosenhause der Freiherr von Risach gewesen sei, dienten, dass ich ihn, wenn mich nicht in der Schnelligkeit des Fahrens eine Aehnlichkeit getaeuscht hat, selber gesehen habe, dass er im Oberlande eine Besitzung hat, dass er wohlhabend sei, was mein Beherberger sein muesse, und dass er hohe Geistesgaben besitze, die mein Beherberger auch zu haben scheine. Man beschloss, in dieser Sache nicht weiter zu forschen, da mein Beherberger mir seinen Namen nicht freiwillig genannt habe, und die Dinge so zu belassen, wie sie seien. Ausser diesen zwei Begebenheiten, die wenigstens fuer mich von Bedeutung waren, ereignete sich nichts in jenem Winter, was meine Aufmerksamkeit besonders in Anspruch genommen haette. Ich war viel beschaeftigt, musste oft Stunden der Nacht zu Hilfe nehmen, und so ging mir der Winter weit schneller vorueber, als es in frueheren Jahren der Fall gewesen war. Im allgemeinen aber befriedigten mich besonders die Hilfsmittel, die eine grosse Stadt zur Ausbildung gibt und die man sonst nicht leicht findet. Als die Tage schon laenger wurden, als die eigentliche Stadtlust schon aufgehoert hatte und die stillen Wochen der Fastenzeit liefen, fragte ich eines Tages Preborn, weshalb er mir denn die Graefin Tarona nicht gezeigt habe, die er so liebe, die so schoen sein soll, und zu deren Gewinnung er meinen Beistand angerufen habe. "Erstens ist sie keine Graefin", antwortete er mir, "ich weiss nicht genau ihren Stand, ihr Vater ist tot, und sie lebt in der Gesellschaft einer reichen Mutter; aber das weiss ich, dass sie nicht von Adel ist, was mir sehr zusagt, da ich es auch nicht bin - und zweitens ist sie und ihre Mutter in diesem Winter nicht in die Stadt gekommen. Das ist die Ursache, dass ich sie dir nicht zeigen konnte und dass du Gelegenheit fandest, einen Spott gegen mich zu richten. Du musst sie aber vorerst sehen. Alle, denen heuer Schoenheiten gesagt worden sind, alle, die man geruehmt hat, alle, die geblendet haben, sind nichts, ja sie sind noch weniger als nichts gegen sie." Ich antwortete ihm, dass ich nicht spotten, sondern die Sache einfach habe sagen wollen. Wie sich der Fruehling immer mehr naeherte, ruestete ich mich zu meiner Reise. Ich wollte heuer frueher reisen, weil ich mir vorgenommen hatte, ehe ich in die Berge ginge, einen Besuch in dem Rosenhause zu machen. Mit jedem Jahre wurden meine Zuruestungen weitlaeufiger, weil ich in jedem Jahre mehr Erfahrungen hatte und meine Entwuerfe weiter hinaus gingen. Heuer hatte ich auch beschlossen, umfassendere Zeichnungswerkzeuge und sogar Farben mitzunehmen. Wie es mit jeder Gewohnheit ist, war es auch bei mir. Wenn ich mich in jedem Herbste nach der Haeuslichkeit zurueck sehnte, war es mir in jedem Fruehlinge wie einem Zugvogel, der in jene Gegenden zurueckkehren muss, die er in dem Herbste verlassen hatte. Als sich im Maerz in der Stadt schon recht liebliche Tage einstellten, welche die Menschen in das Freie und auf die Waelle lockten, war ich mit meinen Vorbereitungen fertig, und nachdem ich von den Meinigen den gewoehnlichen herzlichen Abschied genommen hatte, reisete ich eines Morgens ab. Mir war damals, so wie jetzt noch, jedes Fortfahren von den Angehoerigen in der Nacht sowie das Antreten irgend einer Reise in der Nacht sehr zuwider. Die Post ging aber damals in das Oberland erst abends ab, darum fuhr ich lieber in einem Mietwagen. Die Landhaeuser ausser der Stadt, welche reichen Bewohnern derselben gehoerten, waren noch im Winterschlafe. Sie waren teilweise in ihren Umhuellungen mit Stroh oder mit Brettern befangen, was einen grossen Gegensatz zu dem heiteren Himmel und zu den Lerchen machte, welche schon ueberall sangen. Ich fuhr nur durch die Ebene. Da ich in den Bereich der Huegel gelangte, verliess ich den Wagen und setzte meinen Weg nach meiner gewoehnlichen Art in kurzen Fussreisen fort. Ich betrachtete wieder ueberall die Bauwerke, wo sie mir als betrachtenswert aufstiessen. Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass der Mensch leichter und klarer zur Kenntnis und zur Liebe der Gegenstaende gelangt, wenn er Zeichnungen und Gemaelde von ihnen sieht, als wenn er sie selber betrachtet, weil ihm die Beschraenktheit der Zeichnung alles kleiner und vereinzelter zusammen fasst, was er in der Wirklichkeit gross und mit Genossen vereint erblickt. Bei mir schien sich dieser Ausspruch zu bestaetigen. Seit ich die Bauzeichnungen in dem Rosenhause gesehen hatte, fasste ich Bauwerke leichter auf, beurteilte sie leichter, und ich begriff nicht, warum ich frueher auf sie nicht so aufmerksam gewesen war. Im Oberlande war es noch viel rauher, als ich es in der Stadt verlassen hatte. Als ich eines Morgens an der Ecke des Buchenwaldes meines Gastfreundes ankam, in welchem der Alizbach in die Agger faellt, war noch manches Waesserchen mit einer Eisrinde bedeckt. Da ich das Rosenhaus erblickte, machte es einen ganz anderen Eindruck als damals, da ich es als weisse Stelle in dem gesaettigten und dunkeln Gruen der Felder und Baeume unter einem schwuelen und heissen Himmel gesehen hatte. Die Felder hatten noch, mit Ausnahme der gruenen Streifen der Wintersaat, die braunen Schollen der nackten Erde, die Baeume hatten noch kein Knoespchen, und das Weiss des Hauses sah zu mir herueber, als saehe ich es auf einem schwach veilchenblauen Grunde. Ich ging auf der Strasse in der Naehe von Rohrberg vorueber und kam endlich zu der Stelle, wo der Feldweg von ihr ueber den Huegel zu dem Rosenhause hinauffuehrt. Ich ging zwischen den Zaeunen und nackten Hecken dahin, ich ging auf der Hoehe zwischen den Feldern und stand dann vor dem Gitter des Hauses. Wie anders war es jetzt. Die Baeume ragten mit dem schwarzen oder braunlichen Gezweige nackt in die dunkelblaue Luft. Das einzige Gruen waren die Gartengitter. Ueber die Rosenbaeumchen an dem Hause war eine schoengearbeitete Decke von Stroh herabgelassen. Ich zog den Glockengriff, ein Mann erschien, der mich kannte und einliess, und ich wurde zu dem Herrn gefuehrt, der sich eben in dem Garten befand. Ich traf ihn in einer Kleidung wie im Sommer, nur dass sie von waermerem Stoffe gemacht war. Die weissen Haare hatte er wieder wie gewoehnlich unbedeckt. Er schien mir wieder so sehr ein Ganzes mit seiner Umgebung, wie er es mir im vorigen Sommer geschienen hatte. Man war damit beschaeftigt, die Staemme der Obstbaeume mit Wasser und Seife zu reinigen. Auch sah ich, wie hie und da Arbeiter auf Leitern neben den Baeumen waren, um die abgestorbenen und ueberfluessigen Aeste abzuschneiden. Als ich im vorigen Sommer fort gegangen war, hatte mein Gastfreund gesagt, dass ich meine Wiederkunft vorher durch eine Botschaft anzeigen moege, damit ich ihn zu Hause treffe. Er hatte aber wahrscheinlich nicht bedacht, dass dieses Schwierigkeiten habe, indem ich in der Regel selber nicht wissen kann, wie sich durch Witterungsverhaeltnisse oder andere Umstaende meine Vorhaben zu aendern gezwungen sein duerften. Ich habe ihm also eine Botschaft nicht geschickt und ihn auf meine Gefahr hin ueberrascht. Er aber nahm mich so freundlich auf, da er mich auf sich zuschreiten sah, wie er mich bei dem vorigjaehrigen Aufenthalte in seinem Hause freundlich behandelt hat. Ich sagte, er moege es sich selber zuschreiben, dass ich ihn schon so frueh im Jahre in seinem Hause ueberfalle; er habe mich so wohlwollend eingeladen, und ich habe mir es nicht versagen koennen, hieher zu kommen, ehe die Taeler und die Fusswege in dem Gebirge so frei waeren, dass ich meine Beschaeftigungen in ihnen anfangen koennte. "Wir haben eine ganze Reihe von Gastzimmern, wie ihr wisst", sagte er, "wir sehen Gaeste sehr gerne, und ihr seid gewiss kein unlieber unter ihnen, wie ich euch schon im vergangenen Sommer gesagt habe." Er wollte mich in das Haus geleiten, ich sagte aber, dass ich heute erst drei Stunden gegangen sei, dass meine Kraefte sich noch in sehr gutem Zustande befaenden und dass er erlauben moege, dass ich hier bei ihm in dem Garten bleibe. Ich bitte ihn nur um das einzige, dass er mein Raenzlein und meinen Stock in mein Zimmer tragen lasse. Er nahm das silberne Gloecklein, das er bei sich trug, aus der Tasche und laeutete. Der Klang war selbst im Freien sehr durchdringend, und es erschien auf ihn eine Magd aus dem Hause, welcher er auftrug, mein Raenzlein, das ich mittlerweile abgenommen hatte, und meinen Stock, den ich ihr darreichte, in mein Zimmer zu tragen. Er gab ihr noch ferner einige Weisungen, was in dem Zimmer zu geschehen habe. Ich fragte nach Gustav, ich fragte nach dem Zeichner in dem Schreinerhause, und ich fragte sogar nach dem weissen alten Gaertner und seiner Frau. Gustav sei gesund, erhielt ich zur Antwort, er vervollkommne sich an Geist und Koerper. Er sei eben in seiner Arbeitsstube beschaeftigt, er werde sich gewiss sehr freuen, mich zu sehen. Der Zeichner lebe fort wie frueher und sei sehr eifrig, und was die Gaertnersleute anbelange, so veraendern sich diese schon seit mehreren Jahren gar nicht mehr und seien heuer wie ich sie im vorigen Sommer gesehen habe. Ich fragte endlich auch noch nach dem Gesinde, den Gartenarbeitern und den Meierhofleuten. Sie seien alle ganz wohl, wurde geantwortet, es sei seit meinem vorjaehrigen Besuche kein Krankheitsfall vorgekommen, und es habe auch keines der Leute eine gruendliche Ursache zur Unzufriedenheit gegeben. Nach mehreren gleichgueltigen Gespraechen namentlich ueber die Beschaffenheit der Wege, auf denen ich hieher gekommen war, und ueber das Vorruecken der Wintersaaten auf den Feldern wendete er sich wieder mehr der Arbeit, die vor ihm geschah, zu, und auch ich richtete meine Aufmerksamkeit auf dieselbe. Ich hatte mir einmal, da er mir erzaehlte, dass er die Baumstaemme waschen lasse, die Sache sehr umstaendlich gedacht. Ich sah aber jetzt, dass sie mittelst Doppelleitern und Brettern sehr einfach vor sich gehe. Mit den langstieligen Buersten konnte man in die hoechsten Zweige emporfahren, und da die Leute von der Zweckmaessigkeit der Massregel fest ueberzeugt waren und emsig arbeiteten, so schritt das Werk mit einer von mir nicht geahnten Schnelligkeit vor. In der Tat, wenn man einen gewaschenen und gebuersteten Stamm ansah, wie er rein und glatt in der Luft stand, waehrend sein Nachbar noch rauh und schmutzig war, so meinte man, dass dem einen sehr wohl sein muesse und dass der andere verdrossen aussehe. Mir fiel die stolze Aeusserung ein, die mein Gastfreund im vergangenen Sommer zu mir getan hatte, dass ich mir den Stamm jenes Kirschbaumes ansehen solle, ob seine Rinde nicht aussaehe wie feine graue Seide. Sie war wirklich wie Seide und musste es gerade immer mehr werden, da sie in jedem Jahre aufs Neue gepflegt wurde. Als wir nach einer Weile weiter in den Garten zurueckgingen, sah ich auch noch andere Arbeiten. Die Hecken wurden gebunden und geordnet, das Dornenreisig zu den Nestern der Voegel unter ihnen hergerichtet, die Wege von den Schaeden des Winters ausgebessert, unter den Zwergbaeumen, die schon beschnitten waren, die Erde gelockert und bei den schwaecheren, welche Staebe hatten, nachgesehen, ob diese festhielten und nicht etwa in der Erde abgefault waeren. Es wurden losgegangene Baender wieder geknuepft, im Gemuesegarten umgegraben, Fenster an Winterbeeten gelueftet oder zugedeckt, die Pumpen ausgebessert, mancher Nagel eingeschlagen und endlich hie und da ein Behaeltnis fuer die Voegel gereinigt und befestigt. Ich verabschiedete mich von meinem Gastfreunde, da er sehr mit der Leitung der Arbeiten beschaeftigt war, und ging allein in dem Garten herum, in Teilen, in die ich wollte. Die Voegel waren schon zahlreich da, sie schluepften durch die laublosen Zweige der Baeume, und es begann schon hie und da ein Laut oder ein Zwitschern. Besonders lieblich und hell schallte der Gesang der aufsteigenden Lerchen von den den Garten umgebenden Feldern herein. Die Vorrichtungen zur Ernaehrung und Traenkung der Voegel waren wegen der Blattlosigkeit der Baeume und Gestraeuche mehr sichtbar, auch schaute ich mehr nach ihnen aus als bei meiner ersten Ankunft, da ich jetzt bereits von ihnen wusste. Ich sah mehrere zum Aufstecken von Kernen dienende Gitter, von denen mir mein Gastfreund erzaehlt hatte. Ich betrachtete auch die Zweige. Die Knospen der Blaetter und der Blueten waren schon sehr geschwollen und harrten der Zeit, in welcher sie aufbrechen wuerden. Ich stieg bis zu dem grossen Kirschbaume empor und sah ueber den Garten, ueber das Haus und auf die Berge. Eine ganz heitere dunkelblaue Luft war ueber alles ausgegossen. Dieser schoene Tag, deren es in der fruehen Jahreszeit noch ziemlich wenige gibt, war es auch, der meinen Gastfreund bewog, so viele Arbeiten in dem Garten zu veranlassen. Unter der heiteren Luft lag die Erde noch in bedeutender Oede. Ich wollte auch zu der Felderrast hinueber gehen; allein der Weg, der am Morgen gefroren gewesen sein mochte, war jetzt weich und tief durchfeuchtet, dass das Gehen auf ihm sehr unangenehm und verunreinigend gewesen waere. Ich sah die dunkeln Wintersaaten und die nackten Schollen der neben ihnen liegenden Felder eine Weile an und ging dann wieder hinab. Ich ging zu den Gaertnerleuten. Mir kam es nicht vor, wie mein Gastfreund gesagt hatte, dass sie sich nicht veraendert haetten. Der Mann schien mir noch weisser geworden zu sein. Seine Haare unterschieden sich nicht mehr von der Leinwand. Die Frau aber war unveraendert. Sie musste von einer sehr reinlichkeitliebenden Familie stammen, weil sie das Haeuschen so nett hielt und den alten Mann so fleckenlos und knapp heraus kleidete. Er machte mir ganz genau wieder den nehmlichen Eindruck wie im vergangenen Jahre, als ob er einer ganz anderen Beschaeftigung angehoerte. Da ich von dem Gewaechshause gegen die Fuetterungstenne ging, begegnete mir Gustav. Er lief mit einem Rufe auf mich zu und gruesste mich. Der Knabe hatte sich in kurzer Zeit sehr geaendert. Er stand sehr schoen neben mir da, und gegen die rauhe Art der Natur, die noch kein Laub, kein Gras, keinen Stengel, keine Blume getrieben hatte, sondern der Jahreszeit gemaess nur die braunen Schollen, die braunen Staemme und die nackten Zweige zeigte, war er noch schoener; wie ich oft beim Zeichnen bemerkt hatte, dass zum Beispiele Augen der Tiere in struppigen Koepfen noch glaenzender erschienen und dass feine Kinderangesichtchen, wenn sie von Pelzwerk umgeben sind, noch feiner aussehen. Ein sanftes Rot war auf seinen Wangen, braune Haarfuelle um die Stirne, und die grossen schwarzen Augen waren wie bei einem Maedchen. Es war, obwohl er sehr heiter war, fast etwas Trauerndes in ihnen. Wir gingen dem Platze zu, auf welchem sein Ziehvater beschaeftigt war. Ich erzaehlte ihm auf dem Wege von meinen Angehoerigen; von meiner Mutter, von meinem Vater und von meiner lieblichen Schwester. Auch erzaehlte ich ihm von der Stadt, wie man dort lebe, was sie fuer Vergnuegungen biete, was sie fuer Unannehmlichkeiten habe und wie ich in ihr meine Zeit hinbringe. Er sagte mir, dass er jetzt schon in die Naturlehre eingerueckt sei, dass ihm der Vater Versuche zeige und dass ihn die Sache sehr freue. Wir blieben eine Weile bei dem Ziehvater. Gustav zeigte mir allerlei und machte mich bald auf diese, bald auf jene Veraenderung aufmerksam, welche sich seit meiner frueheren Anwesenheit ergeben habe. Der Mittag vereinigte uns in dem Hause. Da ich so, da die Speisen erschienen, meinem alten Gastfreunde gegenueber sass, fiel mir ploetzlich auf, was der Mann fuer schoene Zaehne habe. Sehr dicht, weiss, klein und mit einem feinen Schmelze ueberzogen sassen sie in dem Munde, und kein einziger fehlte. Seine Wangen hatten durch den vielen Aufenthalt in der freien Luft ein gutes und gesundes Rot, nur seine Haare schienen mir wie bei dem Gaertner noch weisser geworden zu sein. Nach dem Essen begab ich mich ein wenig in mein Zimmer. Es war sehr freundlich hergerichtet worden, und in dem Ofen brannte ein erwaermendes Feuer. Nachmittags gingen wir in das Schreinerhaus. Eustach begruesste mich aus seiner Stelle tretend sehr heiter, und ich erwiderte seinen Gruss auf das herzlichste. Auch die andern Arbeiter gaben zu erkennen, dass sie mich noch kannten. Ich besah zuerst die Dinge nur fluechtig und im allgemeinen. Der schoene Tisch war sehr weit vorgerueckt; aber er war noch lange nicht fertig. Es waren wieder ein paar neue Erwerbungen gemacht worden. Man zeigte sie mir und machte mich darauf aufmerksam, was aus ihnen werden koenne. Auch Plane zu selbststaendigen Arbeiten waren wieder gemacht worden, und man legte mir in kurzem die Grundansichten auseinander. Ich bat Eustach, dass er erlaube, dass ich ihn waehrend meiner Anwesenheit ein paar Male besuche. Er gestand es sehr gerne zu. Nach diesem Besuche machten wir trotz der sehr schlechten Wege einen weiten Spaziergang. Da ich davon sprach, dass ich schon die Voegel in dem Garten bemerkt habe, sagte mein Gastfreund: "Wenn ihr laenger bei uns waeret, so wuerdet ihr jetzt eine ganze Lebensgeschichte dieser Tiere erfahren. Die Zurueckgebliebenen fangen schon an, sich zu erheitern, die fortgezogen sind, treffen bereits allmaehlich ein und werden mit Geschrei empfangen. Sie draengen sich sehr an die Tafel und sputen sich, bis die in der Fremde erfahrnen Nahrungssorgen verwunden sind; denn dort werden sie schwerlich einen Brotvater finden, der ihnen gibt. Von da an werden sie immer inniger und singen taeglich schoener. Dann wird ein Gekose in den Zweigen, und sie jagen sich. Hieran schliesst sich die Haeuslichkeit. Sie sorgen fuer die Zukunft und schleppen sich mit naerrischen Lappen zu dem Nesterbau. Ich lasse ihnen dann allerlei Faeden zupfen, sie nehmen sie aber nicht immer, sondern ich sehe manchmal einen, wie er an einem kotigen Halme zerrt. Nun koemmt die Zeit der Arbeit wie bei uns in den Maennerjahren. Da werden die leichtsinnigen Voegel ernsthaft, sie sind rastlos beschaeftigt, ihre Nachkommen zu fuettern, sie zu erziehen und zu unterrichten, dass sie zu etwas Tuechtigem tauglich werden, namentlich zu der grossen bevorstehenden Reise. Gegen den Herbst koemmt wieder eine freiere Zeit. Da haben sie gleichsam einen Nachsommer und spielen eine Weile, ehe sie fort gehen." Als wir von dem Spaziergange zurueckgekehrt waren und es Abend wurde, versammelten wir uns an dem Kamine des Speisezimmers, in welchem ein lustiges Feuer brannte. Auch Eustach wurde herueber geholt, und der weisse Gaertner musste kommen und sagen, welche Fortschritte die Pflanzen in den Winterbeeten und in den Gewaechshaeusern gemacht hatten. Die Haushaelterin Katharina setzte hie und da ein warmes Getraenke auf ein Tischchen. Am andern Tage morgens ging ich zu meinem Gastfreunde in das Fuetterungszimmer, um zuzusehen. Er suchte sich alle Gattungen Nahrung aus den Faechern zurecht, oeffnete dann die Fenster und tat das Futter auf die Brettchen. Er blieb an dem Fenster stehen und ich bei ihm. Trotzdem kamen die Voegel in Boegen oder geraden Linien herbei geflogen. Ihn fuerchteten sie nicht, weil sie ihn als den Naehrvater kannten, und mich nicht, weil ich bei ihm stand. Sie draengten sich, pickten, zwitscherten und balgten sich sogar mitunter. "Ich gebe im spaeteren Fruehlinge und Sommer den Weibchen sehr gerne noch eine leckere Draufgabe", sagte er, "weil manches Mal eine bedraengte Mutter unter ihnen sein kann. Die so hastig und zugleich so erschreckt fressen, sind Fremde. Sie wuerden um keinen Preis zu einem Menschen herzu gehen, wenn sie nicht der bitterste Hunger noetigte. Ich habe in harten Wintern schon die seltensten Voegel auf diesen Brettern gesehen." Als alles vorueber war und sich keine Gaeste mehr einfanden, schloss er die Fenster. Ich stieg von da auf den Dachboden des Hauses empor, weil er gesagt hatte, dass jetzt auch den Hasen ausserhalb des Gartens Futter gestreut wuerde und dass man sie von da sehen koennte. Sie haben noch nichts als die karge Wintersaat und Nadelreiser, weshalb man noch nachhelfen muesse. Da die Magd die Blaetter ausgestreut und sich entfernt hatte, kamen schon Hasen herzu. Ich schraubte ein Fernrohr an einen Balken, und es war laecherlich anzusehen, worauf mich Gustav aufmerksam machte, wenn ein riesiger Hase in dem Fernrohre sass, mit schreckhaften Augen auf das verdaechtige Mahl sah und schnell die Lippen bewegte, als fraesse er schon. Da ich auch dies gesehen hatte, stieg ich wieder herunter und ging mit Gustav in das Zimmer, in welchem die Geraete zur Naturlehre standen. Es sollte nun erst das Fruehmahl eingenommen werden. Dasselbe wurde zur Winterszeit immer in dem Zimmer der naturwissenschaftlichen Geraetschaften genommen, weil man, da man einen Teil des Vormittages in seinen Zimmern zubrachte, nicht eigens dazu in das Speisezimmer hinabsteigen wollte und weil in derselben Zeit in den andern Wohngemaechern des alten Mannes, im Arbeitszimmer und Schlafzimmer, eben aufgeraeumt und gelueftet wurde. Mein Gastfreund erwartete mich und Gustav schon, denn er war nicht mit uns auf den Dachboden hinauf gestiegen. Das Gemach war sanft erwaermt, und in der Naehe des Ofens stand ein Tisch, der gedeckt und mit allen Geraeten versehen war, ein angenehmes Fruehmahl zu bereiten. Er stand auf einem freien Raume, um den herum sich die Werkzeuge der Wissenschaft befanden. Da wir nach dem Fruehmahle nun so sassen, da eine anmutige Waerme das Zimmer erfuellte, da von dem Widerscheine der ganz schief die Fenster treffenden Morgensonne das Messing, das Glas und das Holz der verschiedenartigen Werkzeuge erglaenzte, sagte ich zu meinem alten Gastfreunde: "Es ist seltsam, da ich von eurer Besitzung in die Stadt und ihre Bestrebungen kam, lag mir euer Wesen hier wie ein Maerchen in der Erinnerung, und nun, da ich hier bin und das Ruhige vor mir sehe, ist mir dieses Wesen wieder wirklich und das Stadtleben ein Maerchen. Grosses ist mir klein, Kleines ist mir gross." "Es gehoert wohl Beides und Alles zu dem Ganzen, dass sich das Leben erfuelle und begluecke", antwortete er. "Weil die Menschen nur ein Einziges wollen und preisen, weil sie, um sich zu saettigen, sich in das Einseitige stuerzen, machen sie sich ungluecklich. Wenn wir nur in uns selber in Ordnung waeren, dann wuerden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben. Aber wenn ein Uebermass von Wuenschen und Begehrungen in uns ist, so hoeren wir nur diese immer an und vermoegen nicht die Unschuld der Dinge ausser uns zu fassen. Leider heissen wir sie wichtig, wenn sie Gegenstaende unserer Leidenschaften sind, und unwichtig, wenn sie zu diesen in keinen Beziehungen stehen, waehrend es doch oft umgekehrt sein kann." Ich verstand dieses Wort damals noch nicht so ganz genau, ich war noch zu jung und hoerte selber oft nur mein eigenes Innere reden, nicht die Dinge um mich. Gegen Mittag kam derjenige meiner Koffer, den ich in das Rosenhaus bestellt hatte. Ich packte ihn aus und zeigte Gustav, der mich besuchte, manche Buecher, Zeichnungen und andere Dinge, die er enthielt, und richtete mich in meinem Zimmer haeuslich ein. So gingen nun mehrere Tage dahin. In diesem Hause war jeder unabhaengig und konnte seinem Ziele zustreben. Nur durch die gemeinsame Hausordnung war man gewissermassen zu einem Bande verbunden. Selbst Gustav erschien voellig frei. Das Gesetz, welches seine Arbeiten regelte, war nur einmal gegeben, es war sehr einfach, der Juengling hatte es zu dem seinigen gemacht, er hatte es dazu machen muessen, weil er verstaendig war, und so lebte er darnach. Gustav bat mich sehr, ich moechte einmal seinem Unterrichte in der Naturlehre beiwohnen. Ich sagte es meinem Gastfreunde, und dieser hatte nichts dawider. So war ich dann nicht einmal, sondern mehrere Male bei diesem Unterrichte zugegen. Mein alter Gastfreund sass in einem Lehnsessel und erzaehlte. Er beschrieb eine Erscheinung, er machte die Erscheinung recht deutlich, zeigte sie, wenn es moeglich war, mit den Vorrichtungen seiner Sammlung oder, wo dies nicht moeglich war, suchte er sie durch Zeichnung oder Versinnbildlichung darzustellen. Dann erzaehlte er, auf welchem Wege die Menschen zur Kenntnis dieser Erscheinung gekommen waren. Wenn er dieses vollendet hatte, tat er das gleiche mit einer zweiten, verwandten Erscheinung. Und wenn er nun einen Kreis von zusammengehoerigen Erscheinungen, der ihm hinlaenglich schien, ausgefuehrt hatte, dann hob er dasjenige, was allen Erscheinungen gleichartig ist, hervor und stellte die Grunderscheinung oder das Gesetz dar. Bei diesem Unterrichte, wurde nicht ein gewisses Buch zu Grunde gelegt, sondern Gustav schrieb spaeter das, was ihm erzaehlt worden war, aus dem Gedaechtnisse auf, der alte Mann besserte es dann in seiner Gegenwart aus, und so erhielt der Knabe nicht nur ein Handbuch der Naturwissenschaft, sondern lernte den Stoff selber schon durch das Aufschreiben und Ausbessern. Was sich Gustav angeeignet hatte, wurde zu Zeiten gleichsam in freundlichen Gespraechen durchgenommen. Die Sprache des Unterrichtes war stets so einfach und klar, dass ich meinte, ein Kind muesse diese Dinge verstehen koennen. Mir fiel es jetzt erst recht auf, wie ungehoerig manche Lehrer in der Stadt in dieser Wissenschaft verfahren, welche sie gewissermassen in eine wissenschaftliche Necksprache kleiden, die ein Schueler nicht versteht und mit welcher sie die Mathematik so in eins verflechten, dass beide beides nicht sind und ein Ganzes auch nicht darstellen. Ich sah, dass Gustav auch die Rechnung auf die Naturlehre anwandte, aber wo er es tat, erkannte ich, dass er es stets mit Sachkenntnis und Klarheit tat, und dass er immer die Rechnung nicht als Hauptsache, sondern hier als Dienerin der Natur betrachtete. Ich urteilte aus meinen eigenen frueheren Arbeiten, dass er auch in diesem Fache einen gruendlichen Unterricht erhalten haben musste. Ich fragte ihn einmal darnach und erfuhr, dass auch hierin sein Ziehvater sein Lehrer gewesen sei. Ich besuchte spaeter auch den Unterricht in der Laenderkunde. Hier fiel mir auf, dass gezeichnete Karten gebraucht wurden, welche alle den nehmlichen Massstab hatten, so dass Russland in einer ausserordentlich grossen, die Schweiz in einer sehr kleinen Karte dargestellt war. Mir leuchtete der Zweck dieser Massregel ein, damit nehmlich bei der lebhaften jugendlichen Einbildungskraft ein Bild der Groessenverhaeltnisse dauernd eingepraegt werde. Ich erinnerte mich bei dieser Gelegenheit einer Wette, die wir Kinder um eine Kleinigkeit ueber die Frage abgeschlossen hatten, ob Philadelphia nicht beinahe so suedlich wie Rom liege, was die meisten mit Lachen verneinten. Eine herbeigebrachte Karte zeigte, dass es suedlicher als Neapel liege. Allgemein sagten damals auch die grossen Leute, die zugegen waren, dass bei Kindern dieser Irrtum, durch die Raumverhaeltnisse, in denen unsere gewoehnlichen Karten gezeichnet seien, veranlasst werden musste. Die Karten, welche Gustav gebrauchte, waren von dem Zeichner im Schreinerhause nach Karten unserer sogenannten Atlasse verfertigt worden. Ich fragte meinen Gastfreund, ob Gustav auch Geschichte lerne, worauf er erwiderte: "Man nimmt sehr haeufig mit jungen Schuelern gleich zur Erdbeschreibung auch Geschichte vor; ich glaube aber, dass man hierin Unrecht tut. Wenn man in der Erdbeschreibung nicht bloss die geschichtliche Einteilung der Erde und Laender vor Augen hat, was ich auch fuer einen Fehler halte, sondern wenn man auf die bleibenden Gestaltungen der Erde sieht, auf denen sich eben durch ihren Einfluss verschiedenartige Voelker gebildet haben, so ist die Erde ein Naturgegenstand und Erdbeschreibung zum grossen Teile ein Bestandteil der Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaften sind uns aber viel greifbarer als die Wissenschaften der Menschen, wenn ich ja Natur und Menschen gegenueber stellen soll, weil man die Gegenstaende der Natur ausser sich hinstellen und betrachten kann, die Gegenstaende der Menschheit aber uns durch uns selber verhuellt sind. Man sollte meinen, dass das Gegenteil statthaben solle, dass man sich selber besser als Fremdes kennen solle, viele glauben es auch; aber es ist nicht so. Tatsachen der Menschheit, ja Tatsachen unseres eigenen Innern werden uns, wie ich schon einmal gesagt habe, durch Leidenschaft und Eigensucht verborgen gehalten oder mindestens getruebt. Glaubt nicht der groesste Teil, dass der Mensch die Krone der Schoepfung, dass er besser als Alles, selbst das Unerforschte sei? Und meinen die, welche aus ihrem Ich nicht heraus zu schreiten vermoegen, nicht, dass das All nur der Schauplatz dieses Ichs sei, selbst die unzaehligen Welten des ewigen Raumes dazu gerechnet? Und dennoch duerfte es ganz anders sein. Ich glaube daher, dass Gustav erst nach Erlernung der Naturwissenschaften zu den Wissenschaften des Menschen uebergehen soll und dass er da ungefaehr die Reihe beobachten soll: Koerperlehre, Seelenlehre, Denklehre, Sittenlehre, Rechtslehre, Geschichte. Hierauf mag er etwas von den Buechern der sogenannten Weltweisheit lesen, dann aber muss er in das Leben selber hinaus kommen." Zum Unterrichte fuer Gustav waren gewisse Stunden festgesetzt, welche der alte Mann nie versaeumte, andere Stunden waren fuer die Selbstarbeit bestimmt, welche Gustav wieder gewissenhaft hielt. Die uebrige Zeit war zu freier Beschaeftigung ueberlassen. In solchen Zeiten waren wir manches Mal in dem Lesezimmer. Mein Gastfreund kam auch oefter und gelegentlich auch Eustach oder der eine und der andere Arbeiter. Fuer Gustav waren nach der Wahl seines Lehrers die Buecher, die er lesen durfte, bestimmt. Er benutzte sie fleissig, ich sah aber nie, dass er nach einem anderen langte. Eustach und die anderen Leute hatten freie Auswahl, und natuerlich ich auch. Da ich das erste Mal in diesem Hause war, hatte ich es getadelt, dass das Buecherzimmer von dem Lesezimmer abgesondert sei, es erschien mir dieses als ein Umweg und eine Weitschweifigkeit. Da ich aber jetzt laenger bei meinem Gastfreunde war, erkannte ich meine Meinung als einen Irrtum. Dadurch, dass in dem Buecherzimmer nichts geschah, als dass dort nur die Buecher waren, wurde es gewissermassen eingeweiht; die Buecher bekamen eine Wichtigkeit und Wuerde, das Zimmer ist ihr Tempel, und in einem Tempel wird nicht gearbeitet. Diese Einrichtung ist auch eine Huldigung fuer den Geist, der so mannigfaltig in diesen gedruckten und beschriebenen Papieren und Pergamentblaettern enthalten ist. In dem Lesezimmer aber wird dann der wirkliche und der freundliche Gebrauch dieses Geistes vermittelt, und seine Erhabenheit wird in unser unmittelbares und irdisches Beduerfnis gezogen. Das Zimmer ist auch recht lieblich zum Lesen. Da scheint die freundliche Sonne herein, da sind die gruenen Vorhaenge, da sind die einladenden Sitze und Vorrichtungen zum Lesen und Schreiben. Selbst dass man jedes Buch nach dem zeitlichen Gebrauche wieder in das Buecherzimmer an seinem Platz tragen muss, erschien mir jetzt gut; es vermittelt den Geist der Ordnung und Reinheit und ist gerade bei Buechern wie der Koerper der Wissenschaft das System. Wenn ich mich jetzt an Buecherzimmer erinnerte, die ich schon sah, in welchen Leitern, Tische, Sessel, Baenke waren, auf denen allen etwas lag, seien es Buecher, Papiere, Schreibzeuge oder gar Geraete zum Abfegen, so erschienen mir solche Buechersaele wie Kirchen, in denen man mit Troedel wirtschaftet. Ich ging auch oefter zu Eustach in das Schreinerhaus. An einem der ersten sehr heiteren Tage nahm ich alle Zeichnungen mit seiner Erlaubnis heraus und sah sie noch einmal mit grosser Musse und Genauigkeit an. Ich konnte es fast kaum glauben, wie sehr mich meine Zeichnungsuebungen waehrend des vergangenen Winters gefoerdert hatten. Ich verstand jetzt Vieles, was ich da vorfand, besser als im Sommer, und es gefielen mir die meisten Dinge auch mehr. Ich teilte ihm manches von meinen Zeichnungen mit, namentlich von Zeichnungen von Pflanzen, deren ich dieses Mal eine groessere Anzahl in meinem Koffer mitgebracht hatte. Bei meiner ersten Anwesenheit hatte ich in dem Raenzchen nur einige Schriften, ein Fernrohr und andere Sachen getragen, die in ein so kleines Behaeltnis gehen, Zeichnungen aber nicht. Er hatte eine Freude an diesen Dingen; aber sonderbar war es anzusehen, wie er die Pflanzenzeichnungen nicht als Pflanzenfreund und Kenner anblickte, sondern als Baumeister, der ihre Gestalt verwenden kann. Er versuchte spaeter selber auch Zeichnungen nach lebenden Pflanzen; aber hier trat der Unterschied von einem Pflanzenfreunde noch mehr hervor: die Bilder wurden ihm allgemach durch unmerkliche Zusaetze aus Gewaechsen schoene Verzierungen. Er suchte sich auch in der Regel solche Vorbilder aus, die zu seinem Berufe in naeherer Beziehung standen oder in eine solche gebracht werden konnten. In Bezug auf die anderen Dinge, die in dem Schreinerhause gearbeitet wurden, zeigte er mir Alles und erklaerte mir Manches, wenn ich nach Erklaerung verlangte. Auch hierin glaubte ich seit dem vorigen Sommer Fortschritte gemacht zu haben, namentlich da ich die Gegenstaende, die mein Vater besass, wohl genau betrachtet und mir eingepraegt hatte, um ihre Bilder hieher uebertragen und mit dem, was sich hier befand, vergleichen zu koennen. Die Gestalten gingen jetzt leichter in mein Wesen ein, mir gefiel Vieles mehr als im vorigen Sommer, und ich wurde auf Manches aufmerksam, was ich damals nicht beachtet hatte. Wir sassen zuweilen in dem freundlichen Zimmer Eustachs, wenn die Vormittagssonne durch die geschlossenen Vorhaenge sanft hereinblickte, und redeten von allerlei Dingen. An Nachmittagen, besonders wenn truebes Wetter war und die Geschaefte im Freien nicht eine grosse Ausdehnung hatten, versammelte man sich in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes. Dieses Zimmer war an Nachmittagen, wo es sehr zusammengeraeumt und wo mehr Musse war, der Vereinigungspunkt der kleinen Gesellschaft, wenn sie sich ueberhaupt vereinigte. Mein alter Gastfreund hatte sich dieses Gemach sehr wohnlich, wenn auch fuer Einsamkeit geeignet, herrichten lassen, wie er ueberhaupt, wenn er nicht eigens Menschen um sich versammelte, die Einsamkeit liebte. Er hatte neben seinem Sessel einen Glockenzug, der durch den Fussboden in die Gesindezimmer hinab ging, um schnell einen Diener rufen zu koennen. In dem Schlafzimmer war etwas Aehnliches. Dort befanden sich ausser dem gewoehnlichen Glockenzuge an den Seitenbrettern des Bettes zwei Platten, die durch das leiseste Auflegen einer Hand eine laut und lange toenende Glocke in Bewegung setzten, damit man, wenn dem alten Manne etwas zustiesse, schnell zu Hilfe eilen koennte. Zwei Diener hatten immer die Schluessel zu seinen Gemaechern, um auch in der Nacht von aussen aufsperren zu koennen. Diese Vorrichtungen waren eine Erfindung Eustachs, weil der alte Mann jede Einschraenkung durch Dienerschaft, ja die Naehe derselben nicht wollte, um nicht gestoert zu werden. Er liess auch nicht zu, dass Gustav in einem Zimmer neben ihm schlafe, um sich nicht an ihn zu gewoehnen und ihn dann zu vermissen, da der Juengling doch einmal fort muesse. Wenn man in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes versammelt war, besprach man gewoehnlich Angelegenheiten des Besitztums, Veraenderungen, die notwendig sind, Arbeiten, die man vornehmen muesse, und Gegenstaende der Kunst. Hieher wurden die Plaene und Entwuerfe von Dingen gebracht, die man entweder in Holz ausfuehren wollte oder die Anlagen in dem Garten oder Umaenderungen an Gebaeuden betrafen. Es war gut, diese Entwuerfe gerade in dieses Zimmer zu bringen, weil sie da eine sehr schoene und ausgezeichnete Umgebung antrafen, und sich daher jeder Fehler und jede Unzulaenglichkeit, wenn derlei in dem Entwurfe waren, sogleich aufzeigte und verbessert werden konnte. An dem Tage, wo mehrere Menschen in das Arbeitszimmer des alten Mannes kamen, war immer ein Teppich ueber den auserlesenen Fussboden desselben gebreitet, damit er keine Beschaedigung erleide. Wenn trockene Wege waren, gingen wir oefter in den Meierhof. Dort wurden die Arbeiten, welche der erste Fruehling bringt, ruestig betrieben. Das Ganze war seit meiner vorjaehrigen Anwesenheit in Ordnung und Fuelle sehr vorgeschritten. Man musste bis spaet in den Herbst hinein und selbst im Winter, soweit es tunlich war, fleissig gearbeitet haben. Im Innern des Hofes war nicht mehr bloss die schoene Pflasterung an den Gebaeuden herum und der reinliche Sand ueber den ganzen Hofraum, sondern es war in der Mitte desselben ein kleiner Springquell, der mit drei Strahlen in ein Becken fiel und eine Blumenanlage um sich hatte. Auf das alles sahen die hellen Fenster des Hofes ringsum heraus. So sah dieser Teil des Gebaeudes, obwohl zwei Seiten des Hofes Staelle und Scheunen waren, wie ein Edelsitz aus. Ich fragte meinen Gastfreund, ob er neues Mauerwerk habe auffuehren lassen, da ich den Meierhof viel vollkommener sehe als im vergangenen Jahre, und da er auch schoener sei, als sie hier im Lande gebaut wuerden. "Ich habe keine Mauern auffuehren lassen", antwortete er, "nur die letzten aeusseren Verschoenerungen habe ich angebracht, und die Fenster habe ich vergroessert, der Grund war schon da. Die Meierhoefe und groesseren Bauerhoefe unserer Gegend sind nicht so haesslich gebaut, als ihr meint. Nur sind sie stets bis auf ein gewisses Mass fertig, weiter nicht; die letzte Vollendung, gleichsam die Feile, fehlt, weil sie in dem Herzen der Bewohner fehlt. Ich habe bloss dieses Letzte gegeben. Wenn man mehrere Beispiele aufstellte, so wuerden sich im Lande die Ansichten ueber das notwendige Aussehen und die Wohnbarkeit der Haeuser aendern. Dieses Haus soll so ein Beispiel sein." Die Wege um den Hof und dessen Wiesen und Felder waren auch nicht mehr so, wie sie groesstenteils in dem vorigen Sommer gewesen waren. Sie waren fest, mit weissem Quarze belegt und scharf und wohl abgegrenzt. An schoenen Mittagen, die bereits auch immer waermer wurden, sass ich gerne auf dem Baenkchen, das um den grossen Kirschbaum lief, und sah auf die unbelaubten Baeume, auf die frisch geeggten Felder, auf die gruenen Tafeln der Wintersaat, die schon sprossenden Wiesen und durch den Duft, der in dem ersten Fruehlinge gerne aus Gruenden quillt, auf die Hochgebirge, die mit dem Glanze des noch in ungeheurer Menge auf ihnen liegenden Schnees spielten. Gustav schloss sich an mich viel an, wahrscheinlich weil ich unter allen Bewohnern des Hauses ihm an Alter am naechsten war. Er sass deshalb gerne bei mir auf dem Baenkchen. Wir gingen manches Mal auf die Felderrast hinueber, und er zeigte mir einen Strauch, auf dem bald Blueten hervor kommen wuerden, oder eine sonnige Stelle, auf der das erste Gruen erschien, oder Steine, um die schon verfruehte Tierchen spielten. Eines Tages entdeckte ich in den Schreinen der Natursammlung eine Zusammenstellung aller inlaendischen Hoelzer. Sie waren in lauter Wuerfeln aufgestellt, von denen zwei Flaechen quer gegen die Fasern, die uebrigen vier nach den Fasern geschnitten waren. Von diesen vier Flaechen war eine rauh, die zweite glatt, die dritte poliert und die vierte hatte die Rinde. Im Innern der Wuerfel, welche hohl waren und geoeffnet werden konnten, befanden sich die getrockneten Blueten, die Fruchtteile, die Blaetter und andere merkwuerdige Zugehoere der Pflanze, zum Beispiel gar die Moose, die auf gewissen Orten gewoehnlich wachsen. Eustach sagte mir, der alte Herr - so nannten alle Bewohner des Hauses meinen Gastfreund, nur Gustav nannte ihn Ziehvater - habe diese Sammlung angelegt und die Anordnung so ausgedacht. Sie soll nach dem Willen des alten Herrn noch einmal gemacht und der Gewerbschule zum Geschenke gegeben werden. Seine seltsame Kleidung und seine Gewohnheit, immer barhaeuptig zu gehen, welch beides mir Anfangs sehr aufgefallen war, beirrte mich endlich gar nicht mehr, ja es stimmte eigentlich zu der Umgebung sowohl seiner Zimmer als der um ihn herum wohnenden Bevoelkerung, von der er sich nicht als etwas Vornehmes abhob, der er vielmehr gleich war und von der er sich doch wieder als etwas Selbststaendiges unterschied. Mir fiel im Gegenteile ein, dass manches nicht geschmackvoll sei, was wir so heissen, am wenigstens der Stadtrock und der Stadthut der Maenner. In die Zimmer, welche nach Frauenart eingerichtet waren, wurde ich einmal auf meine Bitte gefuehrt. Sie gefielen mir wieder sehr, besonders das letzte, kleine, welchem ich jetzt den Namen "die Rose" gab. Man konnte in ihm sitzen, sinnen und durch das liebliche Fenster auf die Landschaft blicken. Dass ich nicht um den Gebrauch dieser Zimmer fragte, begreift sich. Ich erzaehlte meinem Gastfreunde oft von meinem Vater, von der Mutter und von der Schwester. Ich erzaehlte ihm von allen unsern haeuslichen Verhaeltnissen und beschrieb ihm mehrfach, so genau ich es konnte, die Dinge, die mein Vater in seinen Zimmern hatte und auf welche er einen Wert legte. Meinen Namen nannte ich hiebei nicht, und er fragte auch nicht darnach. Ebenso wusste ich, obwohl ich nun laenger in seinem Hause gewesen war, noch immer seinen Namen nicht. Zufaellig ist er nicht genannt worden, und da er ihn nicht selber sagte, so wollte ich aus Grundsatz niemanden darum fragen. Von Gustav oder Eustach waere er am leichtesten zu erfahren gewesen; aber diese zwei mochte ich am wenigsten fragen, am allerwenigsten Gustav, wenn er unzaehlige Male unbefangen den Namen Ziehvater aussprach. Der Mann war sehr gut, sehr lieb und sehr freundlich gegen mich, er nannte seinen Namen nicht, ich konnte auch nicht mit Gewissheit voraussetzen, dass er meine, ich kenne denselben; daher beschloss ich, gar nicht, selbst nicht in der groessten Entfernung von diesem Orte, um den Namen des Besitzers des Rosenhauses zu fragen. Nach und nach aenderte sich die Zeit immer mehr und immer gewaltiger. Die Tage waren viel laenger geworden, die Sonne schien schon sehr warm, die Fristen, in denen der Himmel sich klar und wolkenlos zeigte, wurden bereits laenger als die, in denen er umwoelkt oder neblich war; die Erde sprosste, die Baeume knospten, an den Rosenbaeumchen vor dem Hause wurde sehr fleissig gearbeitet, alles war heiter, und der Fruehling war in seine ganze Fuelle eingetreten. Diese Zeit war schon lange als diejenige bestimmt gewesen, in welcher ich abreisen wuerde. Ich sagte dieses noch einmal meinem Gastfreunde, und da ich Anstalten getroffen hatte, meinen Koffer fort zu senden, wurde der Tag der Abreise festgesetzt. Wir hatten frueher noch die Verabredung getroffen, dass ich meine Arbeiten so einrichten wolle, dass ich zur Zeit der Rosenbluete wiederkommen und wieder laengere Zeit in dem Hause verbleiben koenne. Da ich sah, dass ich gerne aufgenommen werde und dass ich in Hinsicht der aeusseren Mittel keine Last in dem Hause sei, und da mein Gemuet sich auch diesem Orte zugeneigt fuehlte, so war mir diese Verabredung ganz nach meinem Sinne. Nur, meinte mein Gastfreund, muesste ich dann in den Gebirgstaelern schon zur Herreise aufbrechen, wenn dort kaum die Rosen voellige Knospen haetten, weil sie hier der bessern Erde und der bessern Pflege willen frueher bluehten als an allen Teilen des Landes. Ich sagte es zu, und so war alles in Ordnung. Am Tage vor meiner Abreise kam Eustachs Bruder zurueck. Er mochte zwanzig und einige Jahre alt sein, war schoen gewachsen, hatte braune Wangen und dunkle Locken und ein klein wenig aufgeworfene Lippen. Mir war, als waere ich dem Manne schon einige Male auf meinen Reisen begegnet. Er brachte in seinem Buche viele und darunter schoene Zeichnungen mit, welche mit Anteil betrachtet wurden. Sie sollten nun auf groesserem Papiere und in kuenstlerischer Richtung ausgefuehrt werden. Als ich am Abende vor der Abreise noch im Meierhofe gewesen war, als ich am Morgen derselben zu Eustach und den Gaertnersleuten gegangen war, als ich den Hausbewohnern Lebewohl gesagt und von meinem Gastfreunde und von Gustav vor dem Hause Abschied genommen hatte, ging ich den Huegel hinunter, und ich hoerte schon von dem Garten und von den Hecken und aus den Saaten den kraeftigen Fruehlingsgesang der Voegel. Die Begegnung Auf der Reise nach dem Orte meiner Bestimmung zeichnete ich ein schoenes Standbild, welches ich in der Nische einer Mauertruemmer fand. Ich hatte dazu mein Zeichnungsbuch aus dem Raenzlein genommen, in welchem ich es jetzt immer trug. Dies war die einzige Unterbrechung und der einzige Aufenthalt auf dieser Reise gewesen. Als ich an meinem Bestimmungsorte angelangt war, war das erste, was ich tat, dass ich meine Zeit besser zu Rate hielt als frueher. Ich musste mir bekennen, dass die Art, wie in dem Rosenhause das Tagewerk betrieben wurde, auf mich von grossem Einflusse sein solle. Da dort der Wert der Zeit sehr hoch angeschlagen und dieses Gut sehr sorgfaeltig angewendet wurde, so fing ich, wenn ich mir auch bisher einen grossen Vorwurf nicht hatte machen koennen, dennoch an, mit viel mehr Ordnung als bisher nach einem einzigen Ziele waehrend einer bestimmten Zeit hinzuarbeiten, waehrend ich frueher, durch augenblickliche Eindruecke bestimmt, mit den Zielen oefter wechselte und, obwohl ich eifrig strebte, doch eine dem Streben entsprechende Wirkung nicht jederzeit erreichte. Ich machte mir nun zur Aufgabe, eine bestimmte Strecke zu durchforschen und im Verlaufe ueberhaupt nichts liegen zu lassen, was von Wesenheit waere, aber auch nichts auf eine gelegenere Zukunft zu verschieben, so dass, sollte ich bis zur Rosenzeit mit der vorgesetzten Strecke nicht fertig werden, wenigstens der Teil, den ich vollendete, wirklich fertig waere und ich auf genau umschriebene Ergebnisse zu deuten im Stande waere. Das sah ich nach dem Beginne der Arbeiten sehr bald, dass ich mir den Raum zu gross ausgesteckt hatte; aber auch das sah ich sehr bald, dass der kleinere Raum, den ich ueberwinden wuerde, mir mehr an Erfolg sicherte, als wenn ich wie in meiner Vergangenheit durch geraume Zeit den Blick so ziemlich auf Alles gespannt haette. Hiezu kam auch eine gewisse Zufriedenheit, die ich fuehlte, wenn ich sah, dass sich Glied an Glied zu einer Ordnung aneinander reihte, waehrend frueher mehr ein ansprechender Stoff durcheinander lag, als dass eine aus dem Stoffe hervorgehende Gestaltung sich entwickelt haette. Meine Kisten fuellten sich und stellten sich an einander. Meine Fuehrer und meine Traeger gewannen auch einen Halt in der neuen Ordnung und es wuchs ihnen ein Zutrauen zu mir. Ich bekam eine Neigung zu ihnen, die sie erwiderten, so dass sich ein froehliches Zusammenleben immer mehr gestaltete und die Arbeit heiter und darum auch zweckmaessig wurde. Oft, wenn wir abends in der Wirtsstube um den grossen viereckigen Ahorntisch oder, da die Tage endlich heisser wurden, statt an den toten Brettern des Tisches draussen unter den lebenden und rauschenden Ahornen sassen, um welche ein fichtener Tisch zusammen gezimmert war und auf welche das vielfenstrige Gasthaus heraus sah, rechneten sie sich vor, was heute, was seit vierzehn Tagen geschehen sei, wie viel wir, wie sie sich ausdrueckten, abgetan haben, und wie viel Gebirge zusammen gestellt worden sei. Sie fingen auch bald an, die Sache nach ihrer Art zu begreifen, ueber Vorkommnisse in den Gebirgszuegen zu reden und zu streiten und mir zuzumuten, dass, wenn ich mir merken koennte, woher alle die gesammelten Stuecke seien, und wenn ich die Hoehe und die Maechtigkeit der Gebirge zu messen im Stande waere, ich das Gebirge im Kleinen auf einer Wiese oder auf einem Felde aufstellen koennte. Ich sagte ihnen, dass das ein Teil meines Zweckes sei, und wenn gleich das Gebirge nicht auf einer Wiese oder auf einem Felde zusammengestellt werde, so werde es doch auf dem Papiere gezeichnet und werde mit solchen Farben bemalt, dass jeder, der sich auf diese Dinge verstaende, das Gebirge mit allem, woraus es bestehe, vor Augen habe. Deshalb merke ich mir nicht nur, woher die Stuecke seien und unter welchen Verhaeltnissen sie in den Bergen bestehen, sondern schreibe es auch auf, damit es nicht vergessen werde, und beklebe auch die Stuecke mit Zetteln, auf denen alles Notwendige stehe. Diese Stuecke, in ihrer Ordnung aufgestellt, seien dann der Beweis dessen, was auf dem Papiere oder der Karte, wie man das Ding nenne, aufgemalt sei. Sie meinten, dass dieses sehr klug getan sei, um, wenn einer einen Stein oder sonst etwas zu einem Baue oder dergleichen beduerfe, gleich aus der Karte heraus lesen zu koennen, wo er zu finden sei. Ich sagte ihnen, dass ein anderer Zweck auch darin bestehe, aus dem, was man in den Gebirgen finde, schliessen zu koennen, wie sie entstanden seien. Die Gebirge seien gar nicht entstanden, meinte einer, sondern seien seit Erschaffung der Welt schon dagewesen. "Sie wachsen auch", sagte ein anderer, "jeder Stein waechst, jeder Berg waechst wie die anderen Geschoepfe. Nur", setzte er hinzu, weil er gerne ein wenig schalkhaft war, "wachsen sie nicht so schnell wie die Schwaemme." So stritten sie laenger und oefter ueber diesen Gegenstand, und so besprachen wir uns ueber unsere Arbeiten. Sie lernten durch den blossen Umgang mit den Dingen des Gebirges und durch das oeftere Anschauen derselben nach und nach ein Weiteres und Richtigeres, und laechelten oft ueber eine irrige Ansicht und Meinung, die sie frueher gehabt hatten. Mein Tagebuch der Aufzeichnungen zur Festhaltung der Ordnung dehnte sich aus, die Blaetter mehrten sich und gaben Aussicht zu einer umfassenden und regelmaessigen Zusammenstellung des Stoffes, wenn die Wintertage oder sonst Tage der Musse gekommen sein wuerden. An Sonntagen oder zu anderen Zeiten, wo die Arbeit minder draengte, gab es noch Gelegenheit zu manchen angenehmen Freuden und zu staerkender Erholung. Eines Tages fanden wir ein Stueck Marmor, von dem ich dachte, dass ihn mein Gastfreund in seinem Rosenhause noch gar nicht habe. Er war von dem reinsten Weiss, Rosenrot und Strohgelb in kleiner und lieblicher Mischung. Seine Art ist eine der seltensten, und hier war sie in einem so grossen Stuecke vorhanden, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich beschloss, diesen Marmor meinem Gastfreunde zum Geschenke zu machen. Ich versuchte, mir ein Eigentumsrecht darueber zu erwerben, und als mir dieses gelungen war, ging ich daran, das Stueck, soweit seine Festigkeit ununterbrochen war, heraus nehmen und in eine Gestalt schneiden zu lassen, deren es faehig war. Es zeigte sich, dass eine schoene Tischplatte aus diesem Stoffe zu verfertigen waere. Von den losen Schuttstuecken nahm ich mehrere der besseren mit, um allerlei Dinge der Erinnerung daraus machen zu lassen. Eines liess ich zu einer Tafel schleifen und dieselbe glaetten, dass mein Gastfreund die Zeichnung und die Farbe des Marmors auf das beste sehen koenne. So war eine Strecke abgetan, als in den Taelern sich die kleinen Knospen der Rosen zu zeigen anfingen und selbst an dem Hagedorn, der in Feldgehegen oder an Gebirgssteinen wuchs, die Baellchen zu der schoenen, aber einfachen Blume sich entwickelten, die die Ahnfrau unserer Rosen ist. Ich beschloss daher, meine Reise in das Rosenhaus anzutreten. Ich habe mich kaum mit groesserem Vergnuegen nach einem langen Sommer zur Heimreise vorbereitet, als ich mich jetzt nach einer wohlgeordneten Arbeit zu dem Besuche im Rosenhause anschickte, um dort eine Weile einen angenehmen Landaufenthalt zu geniessen. Eines Nachmittages stieg ich zu dem Hause empor und fand die Rosen zwar nicht bluehend, aber so ueberfuellt mit Knospen, dass in nicht mehr fernen Tagen eine reiche Bluete zu erwarten war. "Wie hat sich alles veraendert", sagte ich zu dem Besitzer, nachdem ich ihn begruesst hatte, "da ich im Fruehlinge von hier fortging, war noch alles oede, und nun blaettert, blueht und duftet alles hier beinahe in solcher Fuelle wie im vorigen Jahre zu der Zeit, da ich zum ersten Male in dieses Haus heraufkam." "Ja", erwiderte er, "wir sind wie der reiche Mann, der seine Schaetze nicht zaehlen kann. Im Fruehlinge kennt man jedes Graeschen persoenlich, das sich unter den ersten aus dem Boden hervor wagt, und beachtet sorgsam sein Gedeihen, bis ihrer so viele sind, dass man nicht mehr nach ihnen sieht, dass man nicht mehr daran denkt, wie muehevoll sie hervor gekommen sind, ja dass man Heu aus ihnen macht und gar nicht darauf achtet, dass sie in diesem Jahre erst geworden sind, sondern tut, als staenden sie von jeher auf dem Platze." Man hatte mir eine eigene Wohnung machen lassen und fuehrte mich in dieselbe ein. Es waren zwei Zimmer am Anfange des Ganges der Gastzimmer, welche man durch eine neugebrochene Tuer zu einer einzigen Wohnung gemacht hatte. Das eine war bedeutend gross und hatte urspruenglich die Bestimmung gehabt, mehrere Personen zugleich zu beherbergen. Es war jetzt ausgeleert, an seinen Waenden standen Tische und Gestelle herum, sowie in seiner Mitte ein langer Tisch angebracht war, damit ich meine Sachen, die ich etwa von dem Gebirge braechte, ausbreiten koennte. Das zweite Zimmer war kleiner und war zu meinem Schlaf- und Wohngemache hergerichtet. Der alte Mann reichte mir die Schluessel zu dieser Wohnung. Auch zeigte man mir in der leichten gemauerten Huette, die nicht weit hinter der Schreinerei an der westlichen Grenze des Gartens lag und in frueheren Zeiten zu den Steinarbeiten benutzt worden war, einen Raum, den man ausgeleert hatte und in welchen ich Gegenstaende, die ich gesammelt haette, bis auf weitere Verfuegung niederlegen koennte. Sollte ich mehr brauchen, so koenne noch mehr geraeumt werden, da jetzt die Arbeiten mit den Steinen fast beendigt seien und selten etwas gesaegt, geschliffen oder geglaettet werde. Ich war ueber diese Aufmerksamkeiten so geruehrt, dass ich fast keinen Dank dafuer zu sagen vermochte. Ich begriff nicht, was ich mir denn fuer Verdienste um den Mann oder seine Umgebung erworben habe, dass man solche Anstalten mache. Das Eine gereichte zu meiner Beruhigung, dass ich aus diesen Vorrichtungen sah, dass ich in dem Hause nicht unwillkommen sei, denn sonst waere man nicht auf den Gedanken derselben geraten. Dieses Bewusstsein versprach meinen Bewegungen in den hiesigen Verhaeltnissen viel mehr Freiheit zu geben. Ich stattete endlich doch meinen Dank ab und man nahm ihn mit Vergnuegen auf. Da ich in meiner Wohnung meine Wandersachen abgelegt hatte und die ersten allgemeinen Gespraeche vorueber waren, wollte ich einen uebersichtlichen Gang durch den Garten machen. Ich ging bei der Seitentuer des Hauses hinaus, und da ich auf den kleinen Raum kam, der hier eingefasst ist, kam der grosse Hofhund auf mich zu und wedelte. Als ich sah, dass der alte Hilan mich erkenne und begruesse, war ich so kindisch, mich darueber zu freuen, weil es mir war, als sei ich kein Fremder, sondern gehoere gewissermassen zur Familie. Am naechsten Tage nach meiner Ankunft erschien der Wagen mit meinem Gepaecke und mit der Marmorplatte. Ich liess abladen und uebergab die Platte meinem Gastfreunde mit dem Bedeuten, dass ich ihm in derselben eine Erinnerung aus dem Gebirge bringe. Zugleich haendigte ich ihm das kleinere geschliffene Stueck zur genaueren Einsicht in die Natur des Marmors ein. Er besah das Stueck und dann auch die Platte sehr sorgfaeltig. Hierauf sagte er: "Dieser Marmor ist ausserordentlich schoen, ich habe ihn noch gar nicht in meiner Sammlung, auch scheint die Platte dicht und ohne Unterbrechung zu sein, so dass ein reiner Schliff auf ihr moeglich sein wird, ich bin sehr erfreut, in dem Besitze dieses Stueckes zu sein und danke euch sehr dafuer. Allein in meinem Hause kann er als Bestandteil desselben nicht verwendet werden, weil dort nur solche Stuecke angebracht sind, welche ich selber gesammelt habe, und weil ich an dieser Art der Sammlung und an der Verbuchung darueber eine solche Freude habe, dass ich auch in der Zukunft nicht von diesem Grundsatze abgehe. Es wird aber ganz gewiss aus diesem Marmor etwas gemacht werden, das seiner nicht unwert ist, ich hege die Hoffnung, dass es euch gefallen wird, und ich wuensche, dass die Gelegenheit seiner Verwendung euch und mir zur Freude gereiche." Ich hatte ohnehin ungefaehr so etwas erwartet und war beruhigt. Der Marmor wurde in die Steinhuette gebracht, um dort zu liegen, bis man ueber ihn verfuegen wuerde. Meine uebrigen Dinge aber liess ich in meine Wohnung bringen. Ich ging im Sommer immer sehr leicht gekleidet, entweder in ungebleichtem oder gestreiftem Linnen. Den Kopf bedeckte meistens ein leichter Strohhut. Um nun hier nicht aufzufallen und um weniger von der einfachen Kleidung der Hausbewohner abzustechen, nahm ich ein paar solcher Anzuege sammt einem Strohhute aus dem Koffer, kleidete mich in einen und legte dafuer meinen Reiseanzug fuer eine kuenftige Wanderung zurueck, Mein Gastfreund hatte auf seiner Besitzung eine etwas eigentuemliche Tracht teils eingefuehrt, teils nahmen sie die Leute selber an. Die Dienerinnen des Hauses waren in die Landestracht gekleidet, nur dort, wo diese, wie namentlich in unserem Gebirge, ungefaellig war oder in das Haessliche ging, wurde sie durch den Einfluss des Hausbesitzers gemildert und mit kleinen Zutaten versehen, die mir schoen erschienen. Diese Zutaten fanden im Anfange Widerstand, aber da sie von dem alten Herrn geschenkt wurden und man ihn nicht kraenken wollte, wurden sie angenommen und spaeter von den Umwohnerinnen nicht nur beneidet, sondern auch nachgeahmt. Die Maenner, welche in dem Hause dienten oder in dem Meierhofe arbeiteten oder in dem Garten beschaeftigt waren, trugen gefaerbtes Linnen, nur war dasselbe nicht so dunkel, als es bei uns im Gebirge gebraeuchlich ist. Eine Jacke oder eine andere Art Ueberrock hatten sie im Sommer nicht, sondern sie gingen in lediglichen Hemdaermeln, und um den Hals hatten sie ein loses Tuch geschlungen. Auf dem Haupte trugen einige wie der Hausherr nichts, andere hatten den gewoehnlichen Strohhut. Eustach schien in seiner Kleidung niemanden nachzuahmen, sondern sie selbst zu waehlen. Er ging auch in gestreiftem Linnen, meistens rostbraun mit grau oder weiss; aber die Streifen waren fast handbreit, oder es hatte der ganze Stoff nur zwei Farben, die Haelfte des Laengenblattes braun, die Haelfte weiss. Oft hatte er einen Strohhut, oft gar nichts auf dem Haupte. Seine Arbeiter hatten aehnliche Anzuege, auf denen selten ein Schmutzfleck zu sehen war; denn bei der Arbeit hatten sie grosse gruene Schuerzen um. Unter allen diesen Leuten hoben sich der Gaertner und die Gaertnerin heraus, welche bloss schneeweiss gingen. Ich zeigte meinem Gastfreunde und Eustach die Zeichnung, welche ich von dem Standbilde in der Mauernische gemacht hatte. Sie freuten sich, dass ich auf derlei Dinge aufmerksam sei, und sagten, dass sie dasselbe Bild auch unter ihren Zeichnungen haetten, nur dass es jetzt mit mehreren anderen Blaettern ausser Hause sei. Ich betrachtete nun alles, was mir in dem Garten und auf dem Felde im vorigen Jahre in derselben Jahreszeit merkwuerdig gewesen war. Die Blaetter der Baeume, die Blaetter des Kohles und die von anderen Gewaechsen waren vom Raupenfrasse frei, und nicht nur die im Garten, sondern auch die in der naechsten und in der in ziemliche Ferne reichenden Umgebung. Ich hatte bei meiner Herreise eigens auf diesen Umstand mein Augenmerk gerichtet. Dennoch entbehrte der Garten nicht des schoenen Schmuckes der Faltern; denn einerseits konnten die Voegel doch nicht alle und jede Raupen verzehren und andererseits wehte der Wind diese schoenen lebendigen Blumen in unsern Garten oder sie kamen auf ihren Wanderungen, die sie manchmal in grosse Entfernungen antreten, selber hieher. Der Gesang der Voegel war mir wieder wie im vorigen Jahre eigentuemlich, und er war mir wieder ganz besonders schmelzend. Dadurch, dass sie in verschiedenen Fernen sind, die Laute also mit ungleicher Staerke an das Ohr schlagen, dadurch, dass sie sich gelegenheitlich unterbrechen, da sie inzwischen allerlei zu tun haben, eine Speise zu haschen, auf ein Junges zu merken, wird ein reizender Schmelz veranlasst wie in einem Walde, waehrend die besten Singvoegel in vielen Kaefigen nahe bei einander nur ein Geschrei machen, und dadurch, dass sie in dem Garten sich doch wieder naeher sind als im Walde, wird der Schmelz kraeftiger, waehrend er im Walde zuweilen duenn und einsam ist. Ich sah die Nester, besuchte sie und lernte die Gebraeuche dieser Tiere kennen. In meinen Zimmern richtete ich mich ein, ich tat die Buecher und Papiere, die ich mitgebracht hatte, heraus, um zu lesen, einzuzeichnen und zu ordnen. Ich legte auch auf den grossen Tisch und auf die Gestelle an den Waenden kleinere Gegenstaende, die ich mitgebracht hatte, besonders Versteinerungen oder andere deutlichere Ueberreste, um sie zu benutzen. Gustav kam haeufig zu mir, er nahm Anteil an diesen Dingen, ich erklaerte ihm manches, und mein Gastfreund sah es nicht ungern, wenn ich mit ihm, entweder ein Buch in der Hand unter den schattigen Linden des Gartens oder ohne Buch auf grossen Spaziergaengen - denn der alte Mann liebte die Bewegung noch sehr - von meiner Wissenschaft sprach. Er erzaehlte mir dagegen von der seinigen, und ich hoerte ihm freundlich zu, wenn er auch Dinge brachte, die mir schon besser bekannt waren. Zeiten, in denen ich ohne Beschaeftigung und allein war, brachte ich auf Gaengen in den Feldern oder auf einem Besuche in dem Schreinerhause oder in dem Gewaechshause oder bei den Cactus zu. Die wogenden Felder, die ich im vorigen Jahre um dieses Anwesen getroffen hatte, waren auch heuer wogende und wurden mit jedem Tage schoener, dichter und segensreicher, der Garten huellte sich in die Menge seiner Blaetter und der nach und nach schwellenden Fruechte, der Gesang der Voegel wurde mir immer noch lieblicher und schien die Zweige immer mehr zu erfuellen, die scheuen Tiere lernten mich kennen, nahmen von mir Futter und fuerchteten mich nicht mehr. Ich lernte nach und nach alle Dienstleute kennen und nennen, sie waren freundlich mit mir, und ich glaube, sie wurden mir gut, weil sie den Herrn mich mit Wohlwollen behandeln sahen. Die Rosen gediehen sehr, Tausende harrten des Augenblicks, in dem sie aufbrechen wuerden. Ich half oft an den Beschaeftigungen, die diesen Blumen gewidmet wurden, und war dabei, wenn die Rosenarbeiten besichtigt wurden und ausgemittelt ward, ob alles an ihnen in gutem Stande sei. Ebenso ging ich gerne zum Besehen anderer Dinge mit, wenn auf Wiesen oder im Walde gearbeitet wurde, in welch letzterem man jetzt daran war, das im Winter geschlagene Holz zu verkleinern oder zum Baue oder zu Schreinerarbeiten herzurichten. Ich trug oft meinen Strohhut, wenn der alte Mann und Gustav neben mir barhaeuptig gingen, in der Hand, und ich musste bekennen, dass die Luft viel angenehmer durch die Haare strich, als wenn sie durch einen Hut auf dem Haupte zurueck gehalten wurde, und dass die Hitze durch die Locken so gut wie durch einen Hut von dem blossen Haupte abgehalten wurde. Eines Tages, da ich in meinem Zimmer sass, hoerte ich einen Wagen zu dem Hause herzufahren. Ich weiss nicht, weshalb ich hinabging, den Wagen ankommen zu sehen. Da ich an das Gitter gelangte, stand er schon ausserhalb desselben. Er war von zwei braunen Pferden herbeigezogen worden, der Kutscher sass noch auf dem Bocke und musste eben angehalten haben. Vor der Wagentuer, mit dem Ruecken gegen mich gekehrt, stand mein Gastfreund, neben ihm Gustav und neben diesem Katharina und zwei Maegde. Der Wagen war noch gar nicht geoeffnet, er war ein geschlossener Glaeserwagen und hatte an der innern Seite seiner Fenster gruene zugezogene Seidenvorhaenge. Einen Augenblick nach meiner Ankunft oeffnete mein Gastfreund die Wagentuer. Er geleitete an seiner Hand eine Frauengestalt aus dem Wagen. Sie hatte einen Schleier auf dem Hute, hatte aber den Schleier zurueckgeschlagen und zeigte uns ihr Angesicht. Sie war eine alte Frau. Augenblicklich, da ich sie sah, fiel mir das Bild ein, welches mein Gastfreund einmal ueber manche alternde Frauen von verbluehenden Rosen hergenommen hatte. "Sie gleichen diesen verwelkenden Rosen. Wenn sie schon Falten in ihrem Angesichte haben, so ist doch noch zwischen den Falten eine sehr schoene, liebe Farbe", hatte er gesagt, und so war es bei dieser Frau. Ueber die vielen feinen Faeltchen war ein so sanftes und zartes Rot, dass man sie lieben musste und dass sie wie eine Rose dieses Hauses war, die im Verbluehen noch schoener sind als andere Rosen in ihrer vollen Bluete. Sie hatte unter der Stirne zwei sehr grosse schwarze Augen, unter dem Hute sahen zwei sehr schmale Silberstreifen des Haares hervor, und der Mund war sehr lieb und schoen. Sie stieg von dem Wagentritte herab und sagte die Worte: "Gott gruesse dich, Gustav!" Hiebei neigte sich der alte Mann gegen sie, sie neigte ihr Angesicht gegen ihn und die beiderseitigen Lippen kuessten sich zum Willkommensgrusse. Nach dieser Frau kam eine zweite Frauengestalt aus dem Wagen. Sie hatte auch einen Schleier um den Hut und hatte ihn auch zurueckgeschlagen. Unter dem Hute sahen braune Locken hervor, das Antlitz war glatt und fein, sie war noch ein Maedchen. Unter der Stirne waren gleichfalls grosse schwarze Augen, der Mund war hold und unsaeglich guetig, sie schien mir unermesslich schoen. Mehr konnte ich nicht denken; denn mir fiel ploetzlich ein, dass es gegen die Sitte sei, dass ich hinter dem Gitter stehe und die Aussteigenden anschaue, waehrend die, die sie empfangen, mir den Ruecken zuwenden und von meiner Anwesenheit nichts wissen. Ich ging um die Ecke des Hauses zurueck und begab mich wieder in mein Wohnzimmer. Dort hoerte ich nach einiger Zeit an Tritten und Gespraechen, dass die ganze Gesellschaft an meinem Zimmer vorbei den ganzen Gang entlang wahrscheinlich in die schoenen Gemaecher an der oestlichen Seite des Hauses gehe. Was weiter an dem Wagen geschehen sei, ob noch eine oder zwei Personen aus demselben gestiegen seien, konnte ich nicht wissen; denn auch nicht einmal beim Fenster wollte ich nun hinabsehen. Dass aber Gegenstaende von demselben abgepackt und in das Haus gebracht wurden, konnte ich an dem Reden und Rufen der Leute erkennen. Auch den Wagen hoerte ich endlich fortfahren, wahrscheinlich wurde er in den Meierhof gebracht. Ich blieb immer in der Tiefe des Zimmers sitzen. Ich ging weder zu dem Fenster, noch ging ich in den Garten, noch verliess ich ueberhaupt das Zimmer, obwohl eine ziemlich lange Zeit ruhig und still verfloss. Ich wollte lesen oder schreiben und tat es dann doch wieder nicht. Endlich, da vielleicht ein paar Stunden vergangen waren, kam Katharina und sagte, der alte Herr lasse mich recht schoen bitten, dass ich in das Speisezimmer kommen moege, man erwarte mich dort. Ich ging hinab. Als ich eingetreten war, sah ich, dass mein Gastfreund in einem Lehnsessel an dem Tische sass, neben ihm sass Gustav. An der entgegengesetzten Seite sass die Frau. Ihr Sessel war aber ein wenig von dem Tische abgewendet und der Tuer, durch welche ich eintrat, zugekehrt. Hinter ihr und um eine Sesselhaelfte seitwaerts sass das Maedchen. Sie waren nun ganz anders gekleidet, als da ich sie aus dem Wagen steigen gesehen hatte. Statt des staedtischen Hutes, den sie da getragen hatten, deckte jetzt ein Strohhut mit nicht gar breiten Fluegeln, so dass sie eben genug Schatten gaben, das Haupt, die uebrigen Kleider bestanden aus einem einfachen, lichten, mattfaerbigen Stoffe und waren ohne alle besonderen Verzierungen verfertigt, so wie der Schnitt nichts Auffaelliges hatte, weder eine zur Schau getragene Laendlichkeit noch ein zu strenge festgehaltenes staedtisches Wesen. Es standen mehrere Diener herum, so wie Katharina, die mich geholt hatte, auch wieder hinter mir in das Zimmer gegangen war und sich zu den dastehenden Maegden gesellt hatte. Selbst der Gaertner Simon war zugegen. Als ich in die Naehe des Tisches gekommen war, stand mein Gastfreund auf, umging den Tisch, fuehrte mich vor die Frau und sagte: "Erlaube, dass ich dir den jungen Mann vorstelle, von dem ich dir erzaehlt habe." Hierauf wandte er sich gegen mich und sagte: "Diese Frau ist Gustavs Mutter, Mathildis." Die Frau sagte in dem ersten Augenblicke nichts, sondern richtete ein Weilchen die dunkeln Augen auf mich. Dann wies er mit der Hand auf das Maedchen und sagte: "Diese ist Gustavs Schwester Natalie." Ich wusste nicht, waren die Wangen des Maedchens ueberhaupt so rot oder war es erroetet. Ich war sehr befangen und konnte kein Wort hervor bringen. Es war mir aeusserst auffallend, dass er jetzt, wo er den Namen beinahe mit Notwendigkeit brauchte, weder um den meinigen gefragt noch den der Frauen genannt hatte. Ehe ich recht mit mir zu Rate gehen konnte, ob zu der Verbeugung, welche ich gemacht hatte, etwas gesagt werden solle oder nicht, fuhr er in seiner Rede fort und sagte: "Er ist ein freundlicher Hausgenosse von uns geworden und schenkt uns einige Zeit in unserer laendlichen Einsamkeit. Er strebt die Berge und das Land zu erforschen und zur Kenntnis des Bestehenden und zur Herstellung der Geschichte des Gewordenen etwas beizutragen. Wenn auch die Taten und die Foerderung der Welt mehr das Geschaeft des Mannes und des Greises sind, so ziert ein ernstes Wollen auch den Juengling, selbst wo es nicht so klar und so bestimmt ist wie hier." "Mein Freund hat mir von euch erzaehlt", sagte die Frau zu mir, indem sie mich wieder mit den dunkeln glaenzenden Augen ansah, "er hat mir gesagt, dass ihr im vergangenen Jahre bei ihm waret, dass ihr ihn im Fruehlinge besucht habt und dass ihr versprochen habt, zur Zeit der Rosenbluete wieder eine Weile in diesem Hause zuzubringen. Mein Sohn hat auch sehr oft von euch gesprochen." "Er scheint nicht ganz ungerne hier zu sein", sagte mein Gastfreund; "denn sein Angesicht wenigstens hat noch nicht, bei dem frueheren so wie bei dein jetzigen Besuche, die Heiterkeit verloren." Ich hatte mich waehrend dieser Reden gesammelt und sagte: "Wenn ich auch aus der grossen Stadt komme, so bin ich doch wenig mit fremden Menschen in Verkehr getreten und weiss daher nicht, wie mit ihnen um zugehen ist. In diesem Hause bin ich, da ich irrtuemlich ein Gewitter fuerchtete und um einen Unterstand herauf ging, sehr freundlich aufgenommen worden, ich bin wohlwollend eingeladen worden, wieder zu kommen und habe es getan. Es ist mir hier in Kurzem so lieb geworden wie bei meinen teuren Eltern, bei welchen auch eine Regelmaessigkeit und Ordnung herrscht wie hier. Wenn ich nicht ungelegen bin und die Umgebung mir nicht abgeneigt ist, so sage ich gerne, wenn ich auch nicht weiss, ob man es sagen darf, dass ich immer mit Freuden kommen werde, wenn man mich einladet." "Ihr seid eingeladen", erwiderte mein Gastfreund, "und ihr muesst aus unsern Handlungen erkennen, dass ihr uns sehr willkommen seid. Nun werden auch Gustavs Mutter und Schwester eine Weile in diesem Hause zubringen, und wir werden erwarten, wie sich unser Leben entwickeln wird. Wollt ihr euch nicht ein wenig zu mir setzen und abwarten, bis der Willkommensgruss von allen, die da stehen, vorueber ist?" Er ging wieder um den Tisch herum zurueck, und ich folgte ihm. Gustav machte mir Platz neben seinem Ziehvater und sah mich mit der Freude an, welche ein Sohn empfindet, der in der Fremde den Besuch der Mutter empfaengt. Natalie hatte kein Wort gesprochen. Ich konnte jetzt, da ich ein wenig gegen die Frauen hin zu blicken vermochte, recht deutlich sehen, dass hier Gustavs Mutter und Schwester zugegen seien; denn beide hatten dieselben grossen schwarzen Augen wie Gustav, beide dieselben Zuege des Angesichtes, und Natalie hatte auch die braunen Locken Gustavs, waehrend die der Mutter die Silberfarbe des Alters trugen. Sie gingen nun, recht schoen geordnet, in einem viel breiteren Bande an beiden Seiten der Stirne herab, als sie es unter dem Reisestrohhute getan hatten. Vor Mathilde war, waehrend wir unsere Sitze eingenommen hatten, die Haushaelterin Katharina getreten. Die Frau sagte: "Sei mir vielmal gegruesst, Katharina, ich danke dir, du hast deinen Herrn und meinen Sohn in deiner besonderen Obhut und uebst viele Sorgfalt an ihnen aus. Ich danke dir sehr. Ich habe dir etwas gebracht, nur als eine kleine Erinnerung, ich werde es dir schon geben." Als Katharina zurueck getreten war, als sich die anderen insgesammt naeherten, sich verbeugten und mehrere Maedchen der Frau die Hand kuessten, saegte sie: "Seid mir alle von Herzen gegruesst, ihr sorgt alle fuer den Herrn und seinen Ziehsohn. Sei gegruesst, Simon, sei gegruesst, Klara, ich danke euch allen und habe allen etwas gebracht, damit ihr seht, dass ich keines in meiner Zuneigung vergessen habe; denn sonst ist es freilich nur eine Kleinigkeit." Die Leute wiederholten ihre Verbeugung, manche auch den Handkuss, und entfernten sich. Sie hatten sich auch vor Natalie geneigt, welche den Gruss recht freundlich erwiderte. Als alle fort waren, sagte die Frau zu Gustav: "Ich habe auch dir etwas gebracht, das dir Freude machen soll, ich sage noch nicht was; allein ich habe es nur vorlaeufig gebracht, und wir muessen erst den Ziehvater fragen, ob du es schon ganz oder nur teilweise oder noch gar nicht gebrauchen darfst." "Ich danke dir, Mutter", erwiderte der Sohn, "du bist recht gut, liebe Mutter, ich weiss jetzt schon, was es ist, und wie der Ziehvater ausspricht, werde ich genau tun." "So wird es gut sein", antwortete sie. Nach dieser Rede waren alle aufgestanden. "Du bist heuer zu sehr guter Zeit gekommen, Mathilde", sagte mein Gastfreund, "keine einzige der Rosen ist noch aufgebrochen; aber alle sind bereit dazu." Wir hatten uns waehrend dieser Rede der Tuer genaehert, und mein Gastfreund hatte mich gebeten, bei der Gesellschaft zu bleiben. Wir gingen bei dem gruenen Gitter hinaus und gingen auf den Sandplatz vor dem Hause. Die Leute mussten von diesem Vorgange schon unterrichtet sein; denn ihrer zwei brachten einen geraeumigen Lehnsessel und stellten ihn in einer gewissen Entfernung mit seiner Vorderseite gegen die Rosen. Die Frau setzte sich in den Sessel, legte die Haende in den Schoss und betrachtete die Rosen. Wir standen um sie. Natalie stand zu ihrer Linken, neben dieser Gustav, mein Gastfreund stand hinter dem Stuhle und ich stellte mich, um nicht zu nahe an Natalie zu sein, an die rechte Seite und etwas weiter zurueck. Nachdem die Frau eine ziemliche Zeit gesessen war, stand sie schweigend auf, und wir verliessen den Platz. Wir gingen nun in das Schreinerhaus. Eustach war nicht bei der allgemeinen Bewillkommnung im Speisezimmer gewesen. Er musste wohl als Kuenstler betrachtet worden, dem man einen Besuch zudenke. Ich erkannte aus dem ganzen Benehmen, dass das Verhaeltnis in der Tat so sei und als das richtigste empfunden werde. Eustach musste das gewusst haben; denn er stand mit seinen Leuten ohne die gruenen Schuerzen vor der Tuer, um die Angekommenen zu begruessen. Die Frau dankte freundlich fuer den Gruss aller, redete Eustach herzlich an, fragte ihn um sein und seiner Leute Wohlbefinden, um ihre Arbeiten und Bestrebungen, und sprach von vergangenen Leistungen, was ich, da mir diese fremd waren, nicht ganz verstand. Hierauf gingen wir in die Werkstaette, wo die Frau jede der einzelnen Arbeiterstellen besah. In dem Zimmer Eustachs sprach sie die Bitte aus, dass er ihr bei ihrem laengeren Aufenthalte manches Einzelne zeigen und naeher erklaeren moege. Von dem Schreinerhause gingen wir in die Gaertnerwohnung, wo die Frau ein Weilchen mit den alten Gaertnerleuten sprach. Hierauf begaben wir uns in das Gewaechshaus, zu den Ananas, zu den Cacteen und in den Garten. Die Frau schien alle Stellen genau zu kennen; sie blickte mit Neugierde auf die Plaetze, auf denen sie gewisse Blumen zu finden hoffte, sie suchte bekannte Vorrichtungen auf und blickte sogar in Buesche, in denen etwa noch das Nest eines Vogels zu erwarten war. Wo sich etwas seit frueher veraendert hatte, bemerkte sie es und fragte um die Ursache. So waren wir durch den ganzen Garten bis zu dem grossen Kirschbaume und zu der Felderrast gekommen. Dort sprach sie noch etwas mit meinem Gastfreunde ueber die Ernte und ueber die Verhaeltnisse der Nachbarn. Natalie sprach aeusserst wenig. Als wir in das Haus zurueck gekommen waren, begaben wir uns, da das Mittagsmahl nahe war, auf unsere Zimmer. Mein Gastfreund sagte mir noch vorher, ich moege mich zum Mittagessen nicht umkleiden; es sei dieses in seinem Hause selbst bei Besuchen von Fremden nicht Sitte, und ich wuerde nur auffallen. Ich dankte ihm fuer die Erinnerung. Als ich, da die Hausglocke zwoelf Uhr geschlagen hatte, in das Speisezimmer hinunter gegangen war, fand ich in der Tat die Gesellschaft nicht umgekleidet. Mein Gastfreund war in den Kleidern, wie er sie alle Tage hatte, und die Frauen trugen die nehmlichen Gewaender, in denen sie den Spaziergang gemacht hatten. Gustav und ich waren wie gewoehnlich. Am oberen Ende des Tisches stand ein etwas groesserer Stuhl und vor ihm auf dem Tische ein Stoss von Tellern. Mein Gastfreund fuehrte, da ein stummes Gebet verrichtet worden war, die Frau zu diesem Stuhle, den sie sofort einnahm. Links von ihr sass mein Gastfreund, rechts ich, neben meinem Gastfreunde Natalie und neben ihr Gustav. Mir fiel es auf, dass er die Frau als ersten Gast zu dem Platze mit den Tellern gefuehrt hatte, den in meiner Eltern Hause meine Mutter einnahm und von dem aus sie vorlegte. Es musste aber hier so eingefuehrt sein; denn wirklich begann die Frau sofort die Teller der Reihe nach mit Suppe zu fuellen, die ein junges Aufwartemaedchen an die Plaetze trug. Mich erfuellte das mit grosser Behaglichkeit. Es war mir, als wenn das immer bisher gefehlt haette. Es war nun etwas wie eine Familie in dieses Haus gekommen, welcher Umstand mir die Wohnung meiner Eltern immer so lieb und angenehm gemacht hatte. Das Essen war so einfach, wie es in allen Tagen gewesen war, die ich in dem Rosenhause zugebracht hatte. Die Gespraeche waren klar und ernst, und mein Gastfreund fuehrte sie mit einer offenen Heiterkeit und Ruhe. Nach dem Essen kam ein grosser Korb, welchen Arabella, das Dienstmaedchen Mathildens, welches mit den Frauen gekommen war, welches ich aber nicht mehr hatte aussteigen gesehen, herein gebracht hatte. Ausser dem Korbe wurde auch ein Pack in grauem Papiere und mit schoenen Schnueren zugeschnuert gebracht und auf zwei Sessel gelegt, die an der Wand standen. In dem Korbe befanden sich die Geschenke, welche Mathilde den Leuten mitgebracht hatte und welche jetzt ausgepackt waren. Ich sah, dass diese Geschenkausteilung gebraeuchlich war und oefter vorkommen musste. Das Gesinde kam herein, und jede der Personen erhielt etwas Geeignetes, sei es ein schwarzes seidnes Tuch fuer ein Maedchen oder eine Schuerze oder ein Stoff auf ein Kleid, oder sei es fuer einen Mann eine Reihe Silberknoepfe auf eine Weste oder eine glaenzende Schnalle auf das Hutband oder eine zierliche Geldtasche. Der Gaertner empfing etwas, das in sehr feine Metallblaetter gewickelt war. Ich vermutete, dass es eine besondere Art von Schnupftabak sein muesse. Als schon alles ausgeteilt war, als sich schon alle auf das beste bedankt und aus dem Zimmer entfernt hatten, wies Mathilde auf den Pack, der noch immer auf den Sesseln lag, und sagte: "Gustav, komme her zu mir." Der Juengling stand auf und ging um den Tisch herum zu ihr. Sie nahm ihn freundlich bei der Hand und sagte: "Was noch da liegt, gehoert dir. Du hast mich schon lange darum gebeten, und ich habe es dir lange versagen muessen, weil es noch nicht fuer dich war. Es sind Goethes Werke. Sie sind dein Eigentum. Vieles ist fuer das reifere Alter, ja fuer das reifste. Du kannst die Wahl nicht treffen, nach welcher du diese Buecher zur Hand nehmen oder auf spaetere Tage aufsparen sollst. Dein Ziehvater wird zu den vielen Wohltaten, die er dir erwies, auch noch die fuegen, dass er fuer dich waehlt, und du wirst ihm in diesen Dingen ebenso folgen, wie du ihm bisher gefolgt hast." "Gewiss, liebe Mutter, werde ich es tun, gewiss", sagte Gustav. "Die Buecher sind nicht neue und schoen eingebundene, wie du vielleicht erwartest", fuhr sie fort. "Es sind dieselben Buecher Goethes, in welchen ich in so mancher Nachtstunde und in so mancher Tagesstunde mit Freude und mit Schmerzen gelesen habe und die mir oft Trost und Ruhe zuzufuehren geeignet waren. Es sind meine Buecher Goethes, die ich dir gebe. Ich dachte, sie koennten dir lieber sein, wenn du ausser dem Inhalte die Hand deiner Mutter daran faendest, als etwa nur die des Buchbinders und Druckers." "O lieber, viel lieber, teure Mutter, sind sie mir", antwortete Gustav, "ich kenne ja die Buecher, die mit dem feinen braunen Leder gebunden sind, die feine Goldverzierung auf dem Ruecken haben und in der Goldverzierung die niedlichen Buchstaben tragen, die Buecher, in denen ich dich so oft habe lesen gesehen, weshalb es auch kam, dass ich dich schon wiederholt um solche Buecher gebeten habe." "Ich dachte es, dass sie dir lieber sind", sagte die Frau, "und darum habe ich sie dir gegeben. Da ich aber auch wohl noch gerne fuer den Ueberrest meines Lebens ein Wort von diesem merkwuerdigen Manne vernehmen moechte, werde ich mir die Buecher neu kaufen, fuer mich haben die neuen die Bedeutung wie die alten. Du aber nimm die deinigen in Empfang und bringe sie an den Ort, der dir dafuer eingeraeumt ist." Gustav kuesste ihr die Hand und legte seinen Arm wie in unbeholfener Zaertlichkeit auf die Schulter ihres Gewandes. Er sprach aber kein Wort, sondern ging zu den Buechern und begann, ihre Schnur zu loesen. Als ihm dies gelungen war, als er die Buecher aus den Umschlagpapieren geloest und in mehreren geblaettert hatte, kam er ploetzlich mit einem in der Hand zu uns und sagte: "Aber siehst du, Mutter, da sind manche Zeilen mit einem feinen Bleistifte unterstrichen und mit demselben feingespitzten Stifte sind Worte an den Rand geschrieben, die von deiner Hand sind. Diese Dinge sind dein Eigentum, sie sind in den neugekauften Buechern nicht enthalten, und ich darf dir dein Eigentum nicht entziehen." "Ich gebe es dir aber", antwortete sie, "ich gebe es dir am liebsten, der du jetzt schon von mir entfernt bist und in Zukunft wahrscheinlich noch viel weiter von mir entfernt leben wirst. Wenn du in den Buechern liesest, so liesest du das Herz des Dichters und das Herz deiner Mutter, welches, wenn es auch an Werte tief unter dem des Dichters steht, fuer dich den unvergleichlichen Vorzug hat, dass es dein Mutterherz ist. Wenn ich an Stellen lesen werde, die ich unterstrichen habe, werde ich denken, hier erinnert er sich an seine Mutter, und wenn meine Augen ueber Blaetter gehen werden, auf welche ich Randbemerkungen niedergeschrieben habe, wird mir dein Auge vorschweben, welches hier von dem Gedruckten zu dem Geschriebenen sehen und die Schriftzuege von Einer vor sich haben wird, die deine beste Freundin auf der Erde ist. So werden die Buecher immer ein Band zwischen uns sein, wo wir uns auch befinden. Deine Schwester Natalie ist bei mir, sie hoert oefter als du meine Worte, und ich hoere auch oft ihre liebe Stimme und sehe ihr freundliches Angesicht." "Nein, nein, Mutter", sagte Gustav, "ich kann die Buecher nicht nehmen, ich beraube dich und Natalie." "Natalie wird schon etwas anderes bekommen", antwortete die Mutter. "Dass du mich nicht beraubst, habe ich dir schon erklaert, und es war seit laengerer Zeit mein wohldurchdachter Wille, dass ich dir diese Buecher geben werde." Gustav machte keine Einwendungen mehr. Er nahm ihre Rechte in seine beiden Haende, drueckte sie, kuesste sie und ging dann wieder zu den Buechern. Als er alle ausgepackt hatte, holte er einen Diener und liess sie durch ihn in seine Wohnung tragen. Nach dem Essen war es im Plane, dass wir uns zerstreuen sollten und jeder sich nach seinem Sinne beschaeftige. Ich hatte es waehrend des Vorganges mit den Buechern nicht vermocht, auf das Angesicht Nataliens zu schauen, was etwa in ihr vorgehen moege und was sich in den Zuegen spiegle. Ich musste mir nur denken, sie werde von dem hoechsten Beifalle ueber die Handlung ihrer Mutter durchdrungen sein. Als wir uns aber von dem Tische erhoben, als wir das stumme Gebet gesprochen und uns wechselweise verneigt hatten, wobei ich meine Augen immer nur auf meinen alten Gastfreund und auf die Frau gerichtet hatte, und als wir uns jetzt anschickten, das Zimmer zu verlassen, und Natalie den Arm Gustavs nahm und beide Geschwister sich umkehrten, um der Tuer zuzugehen, wagte ich es, den Blick zu dem Spiegel zu erheben, in dem ich sie sehen musste. Ich sah aber fast nichts mehr als die vier ganz gleichen schwarzen Augen sich in dem Spiegel umwenden. Wir traten alle in das Freie. Mein Gastfreund und die Frau begaben sich in eine Wirtschaftstube. Natalie und Gustav gingen in den Garten, er zeigte ihr Verschiedenes, das ihm etwa an dem Herzen lag oder worueber er sich freute, und sie nahm gewiss den Anteil, den die Schwester an den Bestrebungen des Bruders hat, den sie liebt, auch wenn sie die Bestrebungen nicht ganz verstehen sollte und sie, wenn es auf sie allein ankaeme, nicht zu den ihrigen machen wuerde. So tut es ja auch Klotilde mit mir in meiner Eltern Hause. Ich stand an dem Eingange des Hauses und sah den beiden Geschwistern nach, so lange ich sie sehen konnte. Einmal erblickte ich sie, wie sie vorsichtig in ein Gebuesch schauten. Ich dachte mir, er werde ihr ein Vogelnest gezeigt haben und sie sehe mit Teilnahme auf die winzige befiederte Familie. Ein anderes Mal standen sie bei Blumen und schauten sie an. Endlich sah ich nichts mehr. Das lichte Gewand der Schwester war unter den Baeumen und Gestraeuchen verschwunden, manche schimmernde Stellen wurden zuweilen noch sichtbar und dann nichts mehr. Ich ging hierauf in meine Zimmer. Mir war, als muesse ich dieses Maedchen schon irgendwo gesehen haben; aber da ich mich bisher viel mehr mit leblosen Gegenstaenden oder mit Pflanzen beschaeftigt hatte als mit Menschen, so hatte ich keine Geschicklichkeit, Menschen zu beurteilen, ich konnte mir die Gesichtszuege derselben nicht zurecht legen, sie mir nicht einpraegen und sie nicht vergleichen; daher konnte ich auch nicht ergruenden, wo ich Natalie schon einmal gesehen haben koennte. Ich blieb den ganzen Nachmittag in meiner Wohnung. Als die Hitze des Tages, welcher ganz heiter war, sich ein wenig gemildert hatte, wurde ich aufgefordert, einen Spaziergang mit zu machen. An demselben nahmen mein Gastfreund, Mathilde, Natalie, Gustav und ich Teil. Wir gingen durch eine Strecke des Gartens. Mein Gastfreund, Mathilde und ich bildeten eine Gruppe, da sie mich in ihr Gespraech gezogen hatten, und wir gingen, wo es die Breite des Sandweges zuliess, neben einander. Die andere Gruppe bildeten Natalie und Gustav, und sie gingen eine ziemliche Anzahl Schritte vor uns. Unser Gespraech betraf den Garten und seine verschiedenen Bestandteile, die sich zu einem angenehmen Aufenthalte wohltuend abloesten, es betraf das Haus und manche Verzierungen darin, es erweiterte sich auf die Fluren, auf denen wieder der Segen stand, der den Menschen abermals um ein Jahr weiter helfen sollte, und es ging auf das Land ueber, auf manche gute Verhaeltnisse desselben und auf anderes, was der Verbesserung beduerfte. Ich sah den zwei holen Gestalten nach, die vor uns gingen. Gustav ist mir heute ploetzlich als voellig erwachsen erschienen. Ich sah ihn neben der Schwester gehen und sah, dass er groesser sei als sie. Dieser Gedanke draengte sich mir mehrere Male auf. War er aber auch groesser, so war ihre Gestalt feiner und ihre Haltung anmutiger. Gustav hatte wie sein Ziehvater nichts auf dem Haupte als die Fuelle seiner dichten braunen Locken, und als Natalie den sanft schattenden Strohhut, den sie wie ihre Mutter auf hatte, abgenommen und an den Arm gehaengt hatte, so zeigten ihre Locken genau die Farbe wie die Gustavs, und wenn die Geschwister, die sich sehr zu lieben schienen, sehr nahe an einander gingen, so war es von ferne, als saehe man eine einzige braune, glaenzende Haarfuelle und als teilen sich nur unten die Gestalten. Wir gingen bei der Pforte hinaus, die gegen den Meierhof fuehrt, gingen aber nicht in den Meierhof, sondern machten einen grossen Bogen durch die Felder und kamen dann schief ueber den suedlichen Abhang des Huegels wieder zu dem Hause hinauf. Da die Tage sehr lang waren, so leuchtete noch die Abendroete, wenn wir von unserem Abendessen, das puenktlich immer zur gleichen Zeit sein musste, aufstanden. Wir gingen daher heute auch noch nach dem Abendessen in den Garten. Wir gingen zu dem grossen Kirschbaume empor. Dort setzten wir uns auf das Baenklein. Mein Gastfreund und Mathilde sassen in der Mitte, so dass ihre Angesichter gegen den Garten hinab gerichtet waren. Links von meinem Gastfreunde sass ich, rechts von der Mutter sassen Natalie und Gustav. Die Luefte dunkelten immer mehr, ein blasser Schein war ueber die Wipfel des Gartens, der jetzt schwieg, und ueber das Dach des Hauses gebreitet. Das Gespraech war heiter und ruhig, und die Kinder wendeten oft ihr Angesicht herueber, um an dem Gespraeche Anteil zu nehmen und gelegentlich selber ein Wort zu reden. Da sich der eine und der andere Stern an dem Himmel entzuendete und in den Tiefen der Gartengestraeuche schon die voellige Dunkelheit herrschte, gingen wir in das Haus und in unsere Zimmer. Ich war sehr traurig. Ich legte meinen Strohhut auf den Tisch, legte meinen Rock ab und sah bei einem der offenen Fenster hinaus. Es war heute nicht wie damals, da ich zum ersten Male in diesem Hause ueber dem Rosengitter aus dem offenen Fenster in die Nacht hinausgeschaut hatte. Es standen nicht die Wolken am Himmel, die ihn nach Richtungen durchzogen und ihm Gestaltung gaben, sondern es brannte bereits ueber dem ganzen Gewoelbe der einfache und ruhige Sternenhimmel. Es ging kein Duft der Rosen zu meiner Nachtherberge herauf, da sie noch in den Knospen waren, sondern es zog die einsame Luft kaum fuehlbar durch die Fenster herein, ich war nicht von dem Verlangen belebt wie damals, das Wesen und die Art meines Gastfreundes zu erforschen, dies lag entweder aufgeloest vor mir oder war nicht zu loesen. Das einzige war, dass wieder Getreide ausserhalb des Sandplatzes vor den Rosen ruhig und unbewegt stand; aber es war eine andere Gattung und es war nicht zu erwarten, dass es in der Nacht im Winde sich bewegen und am Morgen, wenn ich die geklaerten Augen ueber die Gegend wendete, vor mir wogen wuerde. Als die Nacht schon sehr weit vorgerueckt war, ging ich von dem Fenster und obwohl ich jeden Abend gewohnt war, ehe ich mich zur Ruhe begab, zu meinem Schoepfer zu beten, so kniete ich doch jetzt vor dem einfachen Tischlein hin und tat ein heisses, inbruenstiges Gebet zu Gott, dem ich alles und jedes, besonders mein Sein und mein Schicksal und das Schicksal der Meinigen, anheim stellte. Dann entkleidete ich mich, schloss die Schloesser meiner Zimmer ab und begab mich zur Ruhe. Als ich schon zum Entschlummern war, kam mir der Gedanke, ich wolle nach Mathilden und ihren Verhaeltnissen eben so wenig eine Frage tun, als ich sie nach meinem Gastfreunde getan habe. Ich erwachte sehr zeitig; aber nach der Natur jener Jahreszeit war es schon ganz licht, ein blauer, wolkenloser Himmel woelbte sich ueber die Huegel, das Getreide unter meinen Fuessen wogte wirklich nicht, sondern es stand unbewegt, mit starkem Taue wie mit feurigen Funken angetan, in der aufgehenden Sonne da. Ich kleidete mich an, richtete meine Gedanken zu Gott und setzte mich zu meiner Arbeit. Nach geraumer Zeit hoerte ich durch meine Fenster, welche ich bei weiter fortschreitendem Morgen geoeffnet hatte, dass auch am aeussersten Ende des Hauses gegen Osten Fenster erklangen, welche geoeffnet wurden. In jener Gegend wohnten die Frauen in den schoenen, nach weiblicher Art eingerichteten Gemaechern. Ich ging zu meinem Fenster, schaute hinaus und sah wirklich, dass alle Fensterfluegel an jenem Teile des Hauses offen standen. Nach einer Zeit, da es bereits zur Stunde des Fruehmahles ging, hoerte ich weibliche Schritte an meiner Tuer vorueber der Marmortreppe zugehen, welche mit einem weichen Teppiche belegt war. Ich hatte auch, obwohl sie gedaempft war, wahrscheinlich, um mich nicht zu stoeren, Gustavs Stimme erkannt. Ich ging nach einer kleinen Weile auch ueber die Marmortreppe an dem Marmorbilde der Muse vorueber in das Speisezimmer hinunter. Der Tag verging ungefaehr wie der vorige, und so verflossen nach und nach mehrere. Die Ordnung des Hauses war durch die Ankunft der Frauen fast gar nicht gestoert worden, nur dass solche Vorrichtungen vorgenommen werden mussten, welche die Aufmerksamkeit fuer die Frauen verlangte. Die Unterrichts- und Lernstunden Gustavs wurden eingehalten wie frueher, und ebenso ging die Beschaeftigung meines Gastfreundes ihren Gang. Mathilde beteiligte sich nach Frauenart an dem Hauswesen. Sie sah auf das, was ihren Sohn betraf, und auf alles, was das haeusliche Wohl des alten Mannes anging. Sie wurde gar nicht selten in der Kueche gesehen, wie sie mitten unter den Maegden stand und an den Arbeiten Teil nahm, die da vorfielen. Sie begab sich auch gerne in die Speisekammer, in den Keller oder an andere Orte, die wichtig waren. Sie sorgte fuer die Dinge, welche den Dienstleuten gehoerten, insoferne sie sich auf ihre Nahrung bezogen oder auf ihre Wohnung oder auf ihre Kleider und Schlafstellen. Sie legte das Linnen, die Kleider und anderes Eigentum des alten Herrn und ihres Sohnes zurecht und bewirkte, dass, wo Verbesserungen notwendig waren, dieselben eintreten koennten. Unter diesen Dingen ging sie manches Mal des Tages auf den Sandplatz vor dem Hause und betrachtete gleichsam wehmuetig die Rosen, die an der Wand des Hauses empor wuchsen. Natalie brachte viele Zeit mit Gustav zu. Die Geschwister mussten sich ausserordentlich lieben. Er zeigte ihr alle seine Buecher, namentlich die neu zu den alten hinzu gekommen waren, er erklaerte ihr, was er jetzt lerne, und suchte sie in dasselbe einzuweihen, wenn sie es auch schon wusste und frueher die nehmlichen Weg gegangen war. Wenn es die Umstaende mit sich brachten, schweiften sie in dein Garten herum und freuten sich all des Lebens, was in demselben war, und freuten sich des gegenseitigen Lebens, das sich an einander schmiegte und dessen sie sich kaum als eines gesonderten bewusst wurden. Die Zeit, welche alle frei hatten, brachten wir haeufig gemeinschaftlich mit einander zu. Wir gingen in den Garten oder sassen unter einem schattigen Baume oder machten einen Spaziergang oder waren in dem Meierhofe. Ich vermochte nicht in die Gespraeche so einzugehen, wie ich es mit meinem Gastfreunde allein tat, und wenn auch Mathilde recht freundlich mit mir sprach, so wurde ich fast immer noch stummer. Die Rosen fingen an, sich stets mehr zu entwickeln, sehr viele waren bereits aufgeblueht und stuendlich oeffneten andere den sanften Kelch. Wir gingen sehr oft hinaus und betrachteten die Zierde, und es musste manchmal eine Leiter herbei, um irgend etwas Stoerendes oder Unvollkommenes zu entfernen. Die Mittage waren lieb und angenehm. Auch das, dass Mathilde und Natalie so fein und passend, wenn auch einfach angezogen waren, wie ich es von meiner Mutter und Schwester gewohnt war, gab dem Mahle einen gewissen Glanz, den ich frueher vermisst hatte. Die Vorhaenge waren gegen die unmittelbare Sonne jederzeit zu, und es war eine gebrochene und sanfte Helle in dem Zimmer. Die Abende nach dem Abendessen brachten wir immer im Freien zu, da noch lauter schoene Tage gewesen waren. Meistens sassen wir bei dem grossen Kirschbaume oben, welches bei weitem der schoenste Platz zu einem Abendsitze war, obgleich er auch zu jeder andern Zeit, wenn die Hitze nicht zu gross war, mit der groessten Annehmlichkeit erfuellte. Mein Gastfreund fuehrte die Gespraeche klar und warm, und Mathilde konnte ihm entsprechend antworten. Sie wurden mit einer Milde und Einsicht gefuehrt, dass sie immer an sich zogen, dass ich gerne meine Aufmerksamkeit hin richtete und, wenn sie auch Gewoehnliches betrafen, etwas Neues und Eindringendes zu hoeren glaubte. Der alte Mann fuehrte dann die Frau im Sternenscheine oder bei dem schwachen Lichte der schmalen Mondessichel, die jetzt immer deutlicher in dem Abendrote schwamm, ueber den Huegel in das Haus hinab, und die schlanken Gestalten der Kinder gingen an den dunkeln Bueschen dahin. Das war alles so einfach, klar und natuerlich, dass es mir immer war, die zwei Leute seien Eheleute und Besitzer dieses Anwesens, Gustav und Natalie seien ihre Kinder, und ich sei ein Freund, der sie hier in diesem abgeschiedenen Winkel der Welt besucht habe, wo sie den stilleren Rest ihres Daseins in Unscheinbarkeit und Ruhe hinbringen wollten. Eines Tages wurde eine feierliche Mahlzeit in dem Speisezimmer gehalten. Es war Eustach, dann der Hausaufseher, der alte Gaertner mit seiner Frau, der Verwalter des Meierhofes und die Haushaelterin Katharina geladen worden. Statt Katharinen musste ein anderes die Herrschaft in der Kueche fuehren. Es musste, wie ich aus allem entnahm, jedes Mal bei der Anwesenheit Mathildens die Sitte sein, ein solches Gastmahl abzuhalten; die Leute fanden sich auf eine natuerliche Art in die Sache, und die Gespraeche gingen mit einer Gemaessheit vor sich, welche auf Uebung deutete. Mathilde konnte sie veranlassen, etwas zu sagen, was passte und was daher dem Sprechenden ein Selbstgefuehl gab, das ihm den Aufenthalt in der Umgebung angenehm machte. Eustach allein erhielt die Auszeichnung, dass man das bei ihm nicht fuer noetig erachtete, er sprach daher auch weniger und nur in allgemeinen Ausdruecken ueber allgemeine Dinge. Er empfand, dass er der hoeheren Gesellschaft zugezaehlt werde, wie ich es auch, da ich ihn naeher kennen gelernt hatte, ganz natuerlich fand, waehrend die anderen nicht merkten, dass man sie empor hebe. Der Gaertner und seine Frau waren in ihrem weissen, reinlichen Anzuge ein sehr liebes greises Paar, welches auch die anderen mit einer gewissen Auszeichnung behandelten. An Speisen war eine etwas reichlichere Auswahl als gewoehnlich, die Maenner bekamen einen guten Gebirgswein zum Getraenke, fuer die Frauen wurde ein suesser neben die Backwerke gestellt. Da die Rosen immer mehr der Entfaltung entgegen gingen, wurden einmal Sessel und Stuehle in einem Halbkreise auf dem Sandplatze vor dem Hause aufgestellt, so dass die Oeffnung des Kreises gegen das Haus sah, und ein langer Tisch wurde in die Mitte gestellt. Wir setzten uns auf die Sessel, der Gaertner Simon war gerufen worden, Eustach kam, und von den Leuten und Gartenarbeitern konnte kommen, wer da wollte. Sie machten auch Gebrauch davon. Die Rosen wurden einer sehr genauen Beurteilung unterzogen. Man fragte sich, welche die schoensten seien oder welche dem einen oder dem anderen mehr gefielen. Die Aussprueche erfolgten verschieden und jedes suchte seine Meinung zu begruenden. Es lagen Druckwerke und Abbildungen auf dem Tische, zu denen man dann seine Zuflucht nahm, ohne eben jedes Mal ihrem Ausspruche beizupflichten. Man tat die Frage, ob man nicht Baeumchen versetzen solle, um eine schoenere Mischung der Farben zu erzielen. Der allgemeine Ausspruch ging dahin, dass man es nicht tun solle, es taete den Baeumchen wehe, und wenn sie gross waeren, koennten sie sogar eingehen; eine zu aengstliche Zusammenstellung der Farben verrate die Absicht und stoere die Wirkung; eine reizende Zufaelligkeit sei doch das Angenehmste. Es wurde also beschlossen, die Baeume stehen zu lassen, wie sie standen. Man sprach sich nun ueber die Eigenschaften der verschiedenen Baeumchen aus, man beurteilte ihre Trefflichkeit an sich, ohne auf die Blumen Ruecksicht zu nehmen, und oft wurde der Gaertner um Auskunft angerufen. Ueber die Gesundheit der Pflanzen und ihre Pflege konnte kein Tadel ausgesprochen werden, sie waren heuer so vortrefflich, wie sie alle Jahre vortrefflich gewesen waren. Auf den Tisch wurden nun Erfrischungen gestellt und alle jene Vorrichtungen ausgebreitet, die zu einem Vesperbrote notwendig sind. Aus den Reden Mathildens sah ich, dass sie mit allen hier befindlichen Rosenpflanzen sehr vertraut sei und dass sie selbst kleine Veraenderungen bemerkte, welche seit einem Jahre vorgegangen sind. Sie musste wohl Lieblinge unter den Blumen haben, aber man erkannte, dass sie allen ihre Neigung in einem hohen Masse zugewendet habe. Ich schloss aus diesem Vorgange wieder, welche Wichtigkeit diese Blumen fuer dieses Haus haben. Gegen Abend desselben Tages kam ein Besuch in das Rosenhaus. Es war ein Mann, welcher in der Naehe eine bedeutende Besitzung hatte, die er selber bewirtschaftete, obwohl er sich im Winter eine geraume Zeit in der Stadt aufhielt. Er war von seiner Gattin und zwei Toechtern begleitet, Sie waren auf der Rueckfahrt von einem Besuche begriffen, den sie in einem entfernteren Teile der Gegend gemacht hatten, und waren wie sie sagten, zu dem Hause herauf gefahren, um zu sehen, ob die Rosen schon bluehten und um die gewoehnliche Pracht zu bewundern. Sie hatten im Sinne, am Abende wieder fort zu fahren, allein da die Zeit schon so weit vorgerueckt war, drang mein Gastfreund in sie, die Nacht in seinem Hause zuzubringen, in welches Begehren sie auch einwilligten. Die Pferde und der Wagen wurden in den Meierhof gebracht, den Reisenden wurden Zimmer angewiesen. Sie gingen aus denselben aber wieder sehr bald hervor, man begab sich auf den Sandplatz vor dem Hause, und die Rosenschau wurde aufs neue vorgenommen. Es waren zum Teile noch die Stuehle vorhanden, die man heute herausgetragen hatte, obwohl der Tisch schon weggeraeumt war. Die Mutter setzte sich auf einen derselben und noetigte Mathilden, neben ihr Platz zu nehmen. Die Maedchen gingen neben den Rosen hin, und man redete viel von den Blumen und bewunderte sie. Vor dem Abendessen wurde noch ein Gang durch den Garten und einen Teil der Felder gemacht, dann begab sich alles auf seine Zimmer. Da die Stunde zu dem Abendmahle geschlagen hatte, versammelte man sich wieder in dem Speisesaale. Der Fremde und seine Begleiterinnen hatten sich umgekleidet, der Mann erschien sogar im schwarzen Fracke, die Frauen hatten einen Anzug, wie man ihn in der Stadt bei nicht festlichen, aber freundschaftlichen Besuchen hat. Wir waren in unseren gewoehnlichen Kleidern. Aber gerade durch den Anzug der Fremden, an dem sachgemaess nichts zu tadeln war, was ich recht gut beurteilen konnte, weil ich solche Gewaender an meiner Mutter und Schwester oft sah und auch oft Urteile darueber hoerte, wurden unsere Kleider nicht in den Schatten gestellt, sondern sie taten eher denen der Fremden, wenigstens in meinen Augen, Abbruch. Der geputzte Anzug erschien mir auffallend und unnatuerlich, waehrend der andere einfach und zweckmaessig war. Es gewann den Anschein, als ob Mathilde, Natalie, mein alter Gastfreund und selbst Gustav bedeutende Menschen waeren, indes jene einige aus der grossen Menge darstellten, wie sie sich ueberall befinden. Ich betrachtete waehrend der Zeit des Essens und nachher, da wir uns noch eine Weile in dem Speisezimmer aufhielten, sogar auch die Schoenheit der Maedchen. Die aeltere von den beiden Toechtern der Fremden - wenigstens mir erschien sie als die aeltere - hiess Julie. Sie hatte braune Haare wie Natalie. Dieselben waren reich und waren schoen um die Stirne geordnet. Die Augen waren braun, gross und blickten mild. Die Wangen waren fein und ebenmaessig, und der Mund war aeusserst sanft und wohlwollend. Ihre Gestalt hatte sich neben den Rosen und auf dem Spaziergange als schlank und edel, und ihre Bewegungen hatten sich als natuerliche und wuerdevolle gezeigt. Es lag ein grosser hinziehender Reiz in ihrem Wesen. Die juengere, welche Appolonia hiess, hatte gleichfalls braune, aber lichtere Haare als die Schwester. Sie waren ebenso reich und wo moeglich noch schoener geordnet. Die Stirne trat klar und deutlich von ihnen ab, und unter derselben blickten zwei blaue Augen nicht so gross wie die braunen der Schwester, aber noch einfacher, guetevoller und treuer hervor. Diese Augen schienen von dem Vater zu kommen, der sie auch blau hatte, waehrend die der Mutter braun waren. Die Wangen und der Mund erschienen noch feiner als bei der Schwester und die Gestalt fast unmerkbar kleiner. War ihr Benehmen minder anmutig als das der Schwester, so war es treuherziger und lieblicher. Meine Freunde in der Stadt wuerden gesagt haben, es seien zwei hinreissende Wesen, und sie waren es auch. Natalie - ich weiss nicht, war ihre Schoenheit unendlich groesser oder war es ein anderes Wesen in ihr, welches wirkte -, ich hatte aber dieses Wesen noch in einem geringen Masse zu ergruenden vermocht, da sie sehr wenig zu mir gesprochen hatte, ich hatte ihren Gang und ihre Bewegungen nicht beurteilen koennen, da ich mir nicht den Mut nahm, sie zu beobachten, wie man eine Zeichnung beobachtet - aber sie war neben diesen zwei Maedchen weit hoeher, wahr, klar und schoen, dass jeder Vergleich aufhoerte. Wenn es wahr ist, dass Maedchen bezaubernd wirken koennen, so konnten die zwei Schwestern bezaubern; aber um Natalie war etwas wie ein tiefes Glueck verbreitet. Mathilde und mein Gastfreund schienen diese Familie sehr zu lieben und zu achten, das zeigte das Benehmen gegen sie. Die Mutter der zwei Maedchen schien ungefaehr vierzig Jahre alt zu sein. Sie hatte noch alle Frische und Gesundheit einer schoenen Frau, deren Gestalt nur etwas zu voll war, als dass sie zu einem Gegenstande der Zeichnung haette dienen koennen, wie man wenigstens in Zeichnungen gerne schoene Frauen vorstellt. Ihr Gespraech und ihr Benehmen zeigte, dass sie in der Welt zu dem sogenannten vorzueglicheren Umgang gehoere. Der Vater schien ein kenntnisvoller Mann zu sein, der mit dem Benehmen der feineren Staende der Stadt die Einfachheit der Erfahrung und die Guete eines Landwirtes verband, auf den die Natur einen sanften Einfluss uebte. Ich hoerte seiner Rede gerne zu. Mathilde erschien bedeutend aelter als die Mutter der zwei Maedchen, sie schien einstens wie Natalie gewesen zu sein, war aber jetzt ein Bild der Ruhe und, ich moechte sagen, der Vergebung. Ich weiss nicht, warum mir in den Tagen dieser Ausdruck schon mehrere Male einfiel. Sie sprach von den Gegenstaenden, welche von den Besuchenden vorgebracht wurden, brachte aber nie ihre eigenen Gegenstaende zum Gespraeche. Sie sprach mit Einfachheit, ohne von den Gegenstaenden beherrscht zu werden und ohne die Gegenstaende ausschliesslich beherrschen zu wollen. Mein Gastfreund ging in die Ansichten seines Gutsnachbars ein und redete in der ihm eigentuemlichen klaren Weise, wobei er aber auch die Hoeflichkeit beging, den Gast die Gegenstaende des Gespraeches waehlen zu lassen. So sassen diese zwei Abteilungen von Menschen an demselben Tische und bewegten sich in demselben Zimmer, wirklich zwei Abteilungen von Menschen. Daraus, dass sie gerade zur Rosenbluete herauf gefahren waren, erkannte ich, dass die Nachbarn meines Gastfreundes nicht bloss um seine Vorliebe fuer diese Blumen wussten, sondern dass sie etwa auch Anteil daran nahmen. Es wurde nach dem Essen nicht mehr ein Spaziergang gemacht, wie in diesen Tagen, sondern man blieb in Gespraechen bei einander und ging spaeter, als es sonst in diesem Hause gebraeuchlich war, zur Ruhe. Am anderen Morgen wurde das Fruehmahl in dem Garten eingenommen, und nachdem man sich noch eine Weile in dem Gewaechshause aufgehalten hatte, fuhren die Gaeste mit der wiederholt vorgebrachten Bitte fort, sie doch auch recht bald auf ihrem Gute zu besuchen, was zugesagt wurde. Nach dieser Unterbrechung gingen die Tage auf dem Rosenhause dahin, wie sie seit der Ankunft der Frauen dahin gegangen waren. Die Zeit, welche jedes frei hatte, brachten wir wieder oefter gemeinschaftlich zu. Ich wurde nicht selten in diesen Zeiten ausdruecklich zur Gesellschaft geladen. Natalie hatte auch ihre Lernstunden, welche sie gewissenhaft hielt. Gustav sagte mir, dass sie jetzt Spanisch lerne und spanische Buecher mit hieher gebracht habe. Ich hatte doch den Raum, welchen man mir in dem sogenannten Steinhause eingeraeumt hatte, benutzt und hatte mehrere meiner Gegenstaende dort hingebracht. Gustav las bereits in den Buechern von Goethe. Sein Ziehvater hatte ihm Hermann und Dorothea ausgewaehlt und ihm gesagt, er solle das Werk so genau und sorgfaeltig lesen, dass er jeden Vers voellig verstehe, und wo ihm etwas dunkel sei, dort solle er fragen. Mir war es ruehrend, dass die Buecher alle in Gustavs Zimmer aufgestellt waren und dass man das Zutrauen hatte, dass er kein anderes lesen werde, als welches ihm von dem Ziehvater bezeichnet worden sei. Ich kam oft zu ihm, und wenn ich nach der Kenntnis, die ich bereits von seinem Wesen gewonnen hatte, nicht gewusst haette, dass er sein Versprechen halten werde, so haette ich mich durch meine Besuche von dieser Tatsache ueberzeugt. Mathilde und Natalie standen oft dabei, wenn mein Gastfreund fuer seine gefiederten Gaeste auf der Fuetterungstenne Koerner streute, und nicht selten, wenn ich des Morgens von einem Gange durch den Garten zurueckkam, sah ich, dass bei der Fuetterung in dem Eckzimmer, an dessen Fenstern die Fuetterungsbrettchen angebracht waren, eine schoene Hand taetig sei, die ich fuer Nataliens erkannte. Wir besuchten manchmal die Nester, in welchen noch gebruetet wurde oder sich Junge befanden. Die meisten aber waren schon leer, und die Nachkommenschaft wohnte bereits in den Zweigen der Baeume. Oft befanden wir uns in dem Schreinerhause, sprachen mit den Leuten, betrachteten die Fortschritte der Arbeit und redeten darueber. Wir besuchten sogar auch Nachbarn und sahen uns in ihrer Wirtschaftlichkeit um. Wenn wir in dem Hause waren, befanden wir uns in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes, es wurde etwas gelesen, oder es wurde ein geistansprechender Versuch in dem Zimmer der Naturlehre gemacht, oder wir waren in dem Bilderzimmer oder in dem Marmorsaale. Mein Gastfreund musste oft seine Kunst ausueben und das Wetter voraussagen. Immer, wenn er eine bestimmte Aussage machte, traf sie ein. Oft verweigerte er aber diese Aussage, weil, wie er erklaerte, die Anzeigen nicht deutlich und verstaendlich genug fuer ihn seien. Zuweilen waren wir auch in den Zimmern der Frauen. Wir kamen dahin, wenn wir dazu geladen waren. Das kleine letzte Zimmerchen mit der Tapetentuer gehoerte insbesondere Mathilden. Ich hatte es Rosenzimmer genannt, und es wurde scherzweise der Name beibehalten. Mir war es ein anmutiger Eindruck, dass ich sah, wie liebend und wie hold dieses Zimmer fuer die alte Frau eingerichtet worden war. Es herrschte eine zusammenstimmende Ruhe in diesem Zimmer mit den sanften Farben Blassrot, Weissgrau, Gruen, Mattveilchenblau und Gold. In all das sah die Landschaft mit den lieblichen Gestalten der Hochgebirge herein. Mathilde sass gerne auf dem eigentuemlichen Sessel am Fenster und sah mit ihrem schoenen Angesichte hinaus, dessen Art mein Gastfreund einmal mit einer welkenden Rose verglichen hatte. In den Zimmern las zuweilen Natalie etwas vor, wenn mein Gastfreund es verlangte. Sonst wurde gesprochen. Ich sah auf ihrem Tische Papiere in schoener Ordnung und neben ihnen Buecher liegen. Ich konnte es nie ueber mich bringen, auch nur auf die Aufschrift dieser Buecher zu sehen, viel weniger gar eines zu nehmen und hinein zu schauen. Es taten dies auch andere nie. An dem Fenster stand ein verhuellter Rahmen, an dem sie vielleicht etwas arbeitete; aber sie zeigte nichts davon. Gustav, wahrscheinlich aus Neigung zu mir, um mich mit den schoenen Dingen zu erfreuen, die seine Schwester verfertigte, ging sie wiederholt darum an. Sie lehnte es aber jedes Mal auf eine einfache Art ab. Ich hatte einmal in einer Nacht, da meine Fenster offen waren, Zithertoene vernommen. Ich kannte dieses Musikgeraet des Gebirges sehr gut, ich hatte es bei meinen Wanderungen sehr oft und von den verschiedensten Haenden spielen gehoert, und hatte mein Ohr fuer seine Klaenge und Unterschiede zu bilden gesucht. Ich ging an das Fenster und hoerte zu. Es waren zwei Zithern, die im oestlichen Fluegel des Hauses abwechselnd gegen einander und mit einander spielten. Wer Uebung im Hoeren dieser Klaenge hat, merkt es gleich, ob auf derselben Zither oder auf verschiedenen, und von denselben Haenden oder verschiedenen gespielt wird. In den Gemaechern der Frauen sah ich spaeter die zwei Zithern liegen. Es wurde aber in unserer Gegenwart nie darauf gespielt. Mein Gastfreund verlangte es nicht, ich ohnehin nicht, und in dieser Angelegenheit beobachtete auch Gustav eine feste Enthaltung. Indessen war nach und nach die Zeit herangerueckt, in welcher die Rosen in der allerschoensten Bluete standen. Das Wetter war sehr guenstig gewesen. Einige leichte Regen, welche mein Gastfreund vorausgesagt hatte, waren dem Gedeihen bei weitem foerderlicher gewesen, als es fortdauernd schoenes Wetter haette tun koennen. Sie kuehlten die Luft von zu grosser Hitze zu angenehmer Milde herab und wuschen Blatt, Blume und Stengel viel reiner von dem Staube, der selbst in weit von der Strasse entfernten und mitten in Feldern gelegenen Orten doch nach lange andauerndem schoenem Wetter sich auf Daechern, Mauern, Zaeunen, Blaettern und Halmen sammelt, als es die Spruehregen, die mein Gastfreund ein paar Male durch seine Vorrichtung unter dem Dache auf die Rosen hatte ergehen lassen, zu tun im Stande gewesen waren. Unter dem klarsten, schoensten und tiefsten Blau des Himmels standen nun eines Tages Tausende von den Blumen offen, es schien, dass keine einzige Knospe im Rueckstande geblieben und nicht aufgegangen ist. In ihrer Farbe von dem reinsten Weiss in gelbliches Weiss, in Gelb, in blasses Rot, in feuriges Rosenrot, in Purpur, in Veilchenrot, in Schwarzrot zogen sie an der Flaeche dahin, dass man bei lebendiger Anschauung versucht wurde, jenen alten Voelkern Recht zu geben, die die Rosen fast goettlich verehrten und bei ihren Freuden und Festen sich mit diesen Blumen bekraenzten. Man war taeglich, teils einzeln, teils zusammen, zu dem Rosengitter gekommen, um die Fortschritte zu betrachten, man hatte gelegentlich auch andere Rosenteile und Rosenanlagen in dem Garten besucht; allein an diesem Tage erklaerte man einmuetig, jetzt sei die Bluete am schoensten, schoener vermoege sie nicht mehr zu werden und von jetzt an muesse sie abzunehmen beginnen. Dies hatte man zwar auch schon einige Tage frueher gesagt; jetzt aber glaubte man sich nicht mehr zu irren, jetzt glaubte man auf dem Gipfel angelangt zu sein. So weit ich mich auf das vergangene Jahr zu erinnern vermochte, in welchem ich auch diese Blumen in ihrer Bluete angetroffen hatte, waren sie jetzt schoener als damals. Es kamen wiederholt Besuche an, die Rosen zu sehen. Die Liebe zu diesen Blumen, welche in dem Rosenhause herrschte, und die zweckmaessige Pflege, welche sie da erhielten, war in der Nachbarschaft bekannt geworden, und da kamen manche, welche sich wirklich an dem ungewoehnlichen Ergebnisse dieser Zucht ergoetzen wollten, und andere, die dem Besitzer etwas Angenehmes erzeigen wollten, und wieder andere, die nichts Besseres zu tun wussten, als nachzuahmen, was ihre Umgebung tat. Alle diese Arten waren nicht schwer von einander zu unterscheiden. Die Behandlung derselben war von Seite meines Gastfreundes so fein, dass ich es nicht von ihm vermutet hatte und dass ich diese Eigenschaft an ihm erst jetzt, wo ich ihn unter Menschen beobachten konnte, entdeckte. Auch Bauern kamen zu verschiedenen Zeiten und baten, dass sie die Rosen anschauen duerfen. Nicht nur die Rosen wurden ihnen gezeigt, sondern auch alles andere im Hause und Garten, was sie zu sehen wuenschten, besonders aber der Meierhof, insoferne sie ihn nicht kannten oder ihnen die letzten Veraenderungen in demselben neu waren. Eines Tages kam auch der Pfarrer von Rohrberg, den ich bei meinem vorjaehrigen Besuche in dem Rosenhause getroffen hatte. Er zeichnete sich einige Rosen in ein Buch, das er mitgebracht hatte, und wendete sogar Wasserfarben an, um die Farben der Blumen so getreu, als nur immer moeglich ist, nachzuahmen. Die Zeichnung aber sollte keine Kunstabbildung von Blumen sein, sondern er wollte sich nur solche Blumen anmerken und von ihnen den Eindruck aufbewahren, deren Art er in seinen Garten zu verpflanzen wuenschte. Es bestand nehmlich schon seit lange her zwischen meinem Gastfreunde und dem Pfarrer das Verhaeltnis, dass mein Gastfreund dem Pfarrer Pflanzen gab, womit dieser seinen Garten zieren wollte, den er teils neu um das Pfarrhaus angelegt, teils erweitert hatte. Unter allen aber schien Mathilde die Rosen am meisten zu lieben. Sie musste ueberhaupt die Blumen sehr lieben; denn auf den Blumentischen in ihren Zimmern standen stets die schoensten und frischesten des Gartens, auch wurde gerne auf dem Tische, an welchem wir speisten, eine Gruppe von Gartentoepfen mit ihren Blumen zusammengestellt. Abgebrochen oder abgeschnitten und in Glaeser mit Wasser gestellt durften in diesem Hause keine Blumen werden, ausser sie waren welk, so dass man sie entfernen musste. Den Rosen aber wendete sie ihr meistes Augenmerk zu. Nicht nur ging sie zu denen, welche im Garten in Straeuchen, Baeumchen und Gruppen standen, und bekuemmerte sich um ihre Hegung und Pflege, sondern sie besuchte auch ganz allein, wie ich schon frueher bemerkt hatte, die, welche an der Wand des Hauses bluehten. Oft stand sie lange davor und betrachtete sie. Zuweilen holte sie sich einen Schemel, stieg auf ihn und ordnete in den Zweigen. Sie nahm entweder ein welkes Laubblatt ab, das den Blicken der andern entgangen war, oder bog eine Blume heraus, die am vollkommenen Aufbluehen gehindert war, oder las ein Kaeferchen ab oder lueftete die Zweige, wo sie sich zu dicht und zu buschig gedraengt hatten. Zuweilen blieb sie auf dem Schemel stehen, liess die Hand sinken und betrachtete wie im Sinnen die vor ihr ausgebreiteten Gewaechse. Wirklich war der Tag, den man als den schoensten der Rosenbluete bezeichnet hatte, auch der schoenste gewesen. Von ihm an begann sie abzunehmen, und die Blumen fingen an zu welken, so dass man oefter die Leiter und die Schere zur Hand nehmen musste, um Verunzierungen zu beseitigen. Auch zwei fremde Reisende waren in das Rosenhaus gekommen, welche sich eine Nacht und einen Teil des darauf folgenden Vormittages in demselben aufgehalten hatten. Sie hatten den Garten, die Felder und den Meierhof besehen. In seine Zimmer und in die Schreinerei hatte sie mein Gastfreund nicht gefuehrt, woraus ich die mir angenehme Bemerkung zog, dass er mir bei meiner ersten Ankunft in seinem Hause eine Bevorzugung gab, die nicht jedem zu Teil wurde, dass ich also eine Art Zuneigung bei ihm gefunden haben musste. Gegen das Ende der Rosenbluete kam Eustachs Bruder Roland in das Haus. Da er sich mehrere Tage in demselben aufhielt, fand ich Gelegenheit, ihn genauer zu beobachten. Er hatte noch nicht die Bildung seines Bruders, auch nicht dessen Biegsamkeit; aber er schien mehr Kraft zu besitzen, die seinen Beschaeftigungen einen wirksamen Erfolg versprach. Was mir auffiel, war, dass er mehrere Male seine dunkeln Augen laenger auf Natalien heftete, als mir schicklich erscheinen wollte. Er hatte eine Reihe von Zeichnungen gebracht und wollte noch einen entfernteren Teil des Landes besuchen, ehe er wiederkehrte, um den Stoff vollkommen zu ordnen. Ehe Mathilde und Natalie das Rosenhaus verliessen, musste noch der versprochene Besuch auf dem Gute des Nachbars, welches Ingheim hiess und von dem Volke nicht selten der Inghof genannt wurde, gemacht werden. Es wurde hingeschickt und ein Tag genannt, an dem man kommen wollte, welcher auch angenommen wurde. Am Morgen dieses Tages wurden die braunen Pferde, mit denen Mathilde gekommen war und die sie die Zeit ueber in dem Meierhofe gelassen hatte, vor den Wagen gespannt, der die Frauen gebracht hatte, und Mathilde und Natalie setzten sich hinein. Mein Gastfreund, Gustav und ich, der ich eigens in die Bitte des Gegenbesuchs eingeschlossen worden war, stiegen in einen anderen Wagen, der mit zwei sehr schoenen Grauschimmeln meines Gastfreundes bespannt war. Eine rasche Fahrt von einer Stunde brachte uns an den Ort unserer Bestimmung. Ingheim ist ein Schloss, oder eigentlich sind zwei Schloesser da, welche noch von mehreren anderen Gebaeuden umgeben sind. Das alte Schloss war einmal befestigt. Die grauen, aus grossen viereckigen Steinen erbauten runden Tuerme stehen noch, ebenso die graue aus gleichen Steinen erbaute Mauer zwischen den Tuermen. Beide Teile beginnen aber oben zu verfallen. Hinter den Tuermen und Mauern steht das alte, unbewohnte, ebenfalls graue Haus, scheinbar unversehrt; aber von den mit Brettern verschlagenen Fenstern schaut die Unbewohntheit und Ungastlichkeit herab. Vor diesen Werken des Altertums steht das neue weisse Haus, welches mit seinen gruenen Fensterlaeden und dem roten Ziegeldache sehr einladend aussieht. Wenn man von der Ferne koemmt, meint man, es sei unmittelbar an das alte Schloss angebaut, welches hinter ihm emporragt. Wenn man aber in dem Hause selber ist und hinter dasselbe geht, so sieht man, dass das alte Gemaeuer noch ziemlich weit zurueck ist, dass es auf einem Felsen steht und dass es durch einen breiten, mit einem Obstbaumwald bedeckten Graben von dem neuen Hause getrennt ist. Auch kann man in der Ferne wegen der ungewoehnlichen Groesse des alten Schlosses die Geraeumigkeit des neuen Hauses nicht ermessen. Sobald man sich aber in demselben befindet, so erkennt man, dass es eine bedeutende Raeumlichkeit habe und nicht bloss fuer das Unterkommen der Familie gesorgt ist, sondern auch eine ziemliche Zahl von Gaesten noch keine Ungelegenheit bereitet. Ich hatte wohl den Namen des Schlosses oefter gehoert, dasselbe aber nie gesehen. Es liegt so abseits von den gewoehnlichen Wegen und ist durch einen grossen Huegel so gedeckt, dass es von Reisenden, welche durch diese Gegend gewoehnlich den Gebirgen zugehen, nicht gesehen werden kann. Als wir uns naeherten, entwickelten sich die mehreren Bauwerke. Zuerst kamen wir zu den Wirtschaftsgebaeuden oder der sogenannten Meierei. Dieselben standen, wie es bei vielen Besitzungen in unserem Lande der Brauch ist, ziemlich weit entfernt von dem Wohnhause und bildeten eine eigene Abteilung. Von da fuehrte der Weg durch eine Allee uralter grosser Linden eine Strecke gegen das neue Haus. Die Allee ist ein Bruchstueck von derjenigen, die einmal gegen die Zugbruecke des alten Schlosses hinauf gefuehrt hatte; sie brach daher ab, und wir fuhren die uebrige Strecke durch schoenen gruenen Rasen, der mit einzelnen Blumenhuegeln geschmueckt war, dem Hause zu. Dasselbe war von weisslich grauer Farbe und hatte saeulenartige Streifen und Friese. Alle Fenster, soweit die geoeffneten Laeden eine Einsicht zuliessen, zeigten von Innen schwere Vorhaenge. Als der Wagen der Frauen unter dem Ueberdache der Vorfahrt hielt, stand schon der Herr von Ingheim sammt seiner Gattin und seinen Toechtern am Ende der Treppe zur Bewillkommnung. Sie waren alle mit Geschmack gekleidet, sowie die Dienerschaft, die hinter ihnen stand, in Festkleidern war. Der Herr half den Frauen aus dem Wagen, und da wir mittlerweile auch ausgestiegen und herzugekommen waren, wurden wir von der ganzen Familie begruesst und die Treppe hinauf geleitet. Man fuehrte uns in ein grosses Empfangszimmer und wies uns Plaetze an. Mathilde und Natalie hatten zwar festlichere Kleider an, als sie im Rosenhause trugen, aber dieselben, so edel der Stoff war, zeigten doch keine uebermaessige Verzierung oder gar Ueberladung. Mein Gastfreund, Gustav und ich waren gekleidet, wie man es zu laendlichen Besuchen zu sein pflegt. So liessen wir uns in die prachtvollen Polster, die hier ueberall ausgelegt waren, nieder. Auf einem Tische, ueber den ein schoener Teppich gebreitet war, standen Erfrischungen verschiedener Art. Andere Tische, die noch in dem Zimmer standen, waren unbedeckt. Die Geraete waren von Mahagoniholz und schienen aus der ersten Werkstaette der Stadt zu stammen. Ebenso waren die Spiegel, die Kronleuchter und andere Dinge des Zimmers. Eine Ecke an einem Fenster nahm ein sehr schoenes Clavier ein. Die ersten Gespraeche betrafen die gewoehnlichen Dinge ueber Wohlbefinden, ueber Wetter, ueber Gedeihen der Feld- und Gartengewaechse. Die Maenner nannten sich wechselweise Nachbar, die Frauen benannten sich gar nicht. Als man etwas Weniges von den dastehenden Speisen genommen hatte, erhob man sich, und wir gingen durch die Zimmer. Es war eine Reihe, deren Fenster groesstenteils gegen Mittag auf die Landschaft hinaus gingen. Alle waren sehr schoen nach neuer Art eingerichtet, besonders reich waren die Palisandergeraete im Empfangszimmer der Frau, in welchem, so wie in dem Arbeitszimmer der Maedchen, wieder Claviere standen. Der Herr des Hauses fuehrte besonders mich in den Raeumen herum, dem sie noch fremd waren. Die uebrige Gesellschaft folgte uns gelegentlich in das eine oder andere Gemach. Aus den Zimmern ging man in den Garten. Derselbe war wie viele wohlgehaltene und schoene Gaerten in der Naehe der Stadt. Schoene Sandgaenge, gruene ausgeschnittene Rasenplaetze mit Blumenstuecken, Gruppen von Zier- und Waldgebueschen, ein Gewaechshaus mit Camellien, Rhododendren, Azaleen, Eriken, Calceolarien und vielen neuhollaendischen Pflanzen, endlich Ruhebaenke und Tische an geeigneten schattigen Stellen. Der Obstgarten als Nuetzlichkeitsstueck war nicht bei dem Wohnhause, sondern hinter dem Meierhofe. Von dem Garten gingen wir, wie es bei laendlichen Besuchen zu geschehen pflegt, in die Meierei. Wir gingen durch die Reihen der glatten Rinder, die meistens weiss gestirnt waren, wir besahen die Schafe, die Pferde, das Gefluegel, die Milchkammer, die Kaesebereitung, die Brauerei und aehnliche Dinge. Hinter den Scheuern trafen wir den Gemuesegarten und den sehr weitlaeufigen Obstgarten an. Von diesen gingen wir in die wohlbestellten Felder und in die Wiesen. Der Wald, welcher zu der Besitzung gehoert, wurde mir in der Ferne gezeigt. Nachdem wir unsern ziemlich bedeutenden Spaziergang beendigt hatten, wurden wir in eine ebenerdige grosse Speisehalle gefuehrt, in welcher der Mittagtisch gedeckt war. Ein einfaches, aber ausgesuchtes Mahl wurde aufgetragen, wobei die Dienerschaft hinter unseren Stuehlen stehend bediente. Hatte sich die Familie Ingheim schon bei dem Besuche auf dem Rosenhause als unter die gebildeten gehoerig gezeigt, so war dies bei unserem Empfange in ihrem eigenen Hause wieder der Fall. Sowohl bei Vater und Mutter als auch bei den Maedchen war Einfachheit, Ruhe und Bescheidenheit. Die Gespraeche bewegten sich um mehrere Gegenstaende, sie rissen sich nicht einseitig nach einer gewissen Richtung hin, sondern schmiegten sich mit Mass der Gesellschaft an. Einen Teil der Zeit nach dem Mittagessen brachten wir in den Zimmern des ersten Stockwerkes zu. Es wurde Musik gemacht, und zwar Clavier und Gesang. Zuerst spielte die Mutter etwas, dann beide Maedchen allein, dann zusammen. Jedes der Maedchen sang auch ein Lied. Natalie sass in den seidenen Polstern und hoerte aufmerksam zu. Als man sie aber aufforderte, auch zu spielen, verweigerte sie es. Gegen Abend fuhren wir wieder in das Rosenhaus zurueck. Als Gustav aus unserem Wagen gesprungen war, als mein Gastfreund und ich denselben verlassen hatten, und ich die edle, schlanke Gestalt Nataliens gegen die Marmortreppe hinzu gehen sah, blieb ich ein Weilchen stehen und begab mich dann auch in meine Zimmer, wo ich bis zum Abendessen blieb. Dieses war wie gewoehnlich, man machte aber nach demselben an diesem Tage keinen Spaziergang mehr. Ich ging in mein Schlafzimmer, oeffnete die Fenster, die man trotz des warmen Tages, weil ich abwesend gewesen war, geschlossen gehalten hatte, und lehnte mich hinaus. Die Sterne begannen sachte zu glaenzen, die Luft war mild und ruhig und die Rosenduefte zogen zu mir herauf. Ich geriet in tiefes Sinnen. Es war mir wie im Traume, die Stille der Nacht und die Duefte der Rosen mahnten an Vergangenes; aber es war doch heute ganz anders. Nach diesem Besuche auf dem Inghofe folgten mehrere Regentage, und als diese beendigt waren und wieder dem Sonnenscheine Platz machten, war auch die Zeit heran genaht, in welcher Mathilde und Natalie das Rosenhaus verlassen sollten. Es war schon Mehreres gepackt worden, und darunter sah ich auch die beiden Zithern, die man in sammtene Faecher tat, welche ihrerseits wieder in lederne Behaeltnisse gesteckt wurden. Endlich war der Tag der Abreise festgesetzt worden. Am Abende vorher war schon das Hauptsaechlichste, was mitgenommen werden sollte, in den Wagen geschafft, und die Frauen hatten am Nachmittage in mehreren Stellen Abschied genommen: bei den Gaertnerleuten, in der Schreinerei und im Meierhofe. Am andern Morgen erschienen sie bei dem Fruehmahle in Reisekleidern, waehrend noch Arabella, das Dienstmaedchen Mathildens, diejenigen Sachen, die bis zu dem letzten Augenblicke im Gebrauch gewesen waren, in den Wagen packte. Nach dem Fruehmahle, als die Frauen schon die Reisehuete aufhalten, sagte Mathilde zu meinem Gastfreunde: "Ich danke dir, Gustav, lebe wohl, und komme bald in den Sternenhof." "Lebe wohl, Mathilde", sagte mein Gastfreund. Die zwei alten Leute kuessten sich wieder auf die Lippen, wie sie es bei der Ankunft Mathildens getan hatten. "Lebe wohl, Natalie", sagte er dann zu dem Maedchen. Dasselbe erwiderte nur leise die Worte: "Dank fuer alle Guete." Mathilde sagte zu dem Knaben: "Sei folgsam und nimm dir deinen Ziehvater zum Vorbilde." Der Knabe kuesste ihr die Hand. Dann, zu mir gewendet, sprach sie: "Habet Dank fuer die freundlichen Stunden, die ihr uns in diesem Hause gewidmet habt. Der Besitzer wird euch fuer euren Besuch wohl schon danken. Bleibt meinem Knaben gut, wie ihr es bisher gewesen seid, und lasst euch seine Anhaenglichkeit nicht leid tun. Wenn es eure schoene Wissenschaft zulaesst, so seid unter denen, die von diesem Hause aus den Sternenhof besuchen werden. Eure Ankunft wird dort sehr willkommen sein." "Den Dank muss wohl ich zurueckgeben fuer alle die Guete, welche mir von euch und von dem Besitzer dieses Hauses zu Teil geworden ist", erwiderte ich. "Wenn Gustav einige Zuneigung zu mir hat, so ist wohl die Guete seines Herzens die Ursache, und wenn ihr mich von dem Sternenhofe nicht zurueck weiset, so werde ich gewiss unter den Besuchenden sein." Ich empfand, dass ich mich auch von Natalien verabschieden sollte; ich vermochte aber nicht, etwas zu sagen, und verbeugte mich nur stumm. Sie erwiderte diese Verbeugung ebenfalls stumm. Hierauf verliess man das Haus und ging auf den Sandplatz hinaus. Die braunen Pferde standen mit dem Wagen schon vor dem Gitter. Die Hausdienerschaft war herbei gekommen, Eustach mit seinen Arbeitern stand da, der Gaertner mit seinen Leuten und seiner Frau und der Meier mit dem Grossknechte aus dem Meierhofe waren ebenfalls gekommen. "Ich danke euch recht schoen, lieben Leute", sagte Mathilde, "ich danke euch fuer eure Freundschaft und Guete, seid fuer euren Herrn treu und gut. Du, Katharina, sehe auf ihn und Gustav, dass keinem ein Ungemach zustoesst." "Ich weiss, ich weiss" fuhr sie fort, als sie sah, dass Katharina reden wollte, "du tust Alles, was in deinen Kraeften ist, und noch mehr, als in deinen Kraeften ist; aber es liegt schon so in dem Menschen, dass er um Erfuellung seiner Herzenswuensche bittet, wenn er auch weiss, dass sie ohnehin erfuellt werden, ja dass sie schon erfuellt worden sind." "Kommt recht gut nach Hause", sagte Katharina, indem sie Mathilden die Hand kuesste und sich mit dem Zipfel ihrer Schuerze die Augen trocknete. Alle draengten sich herzu und nahmen Abschied. Mathilde hatte fuer ein jedes liebe Worte. Auch von Natalien beurlaubte man sich, die gleichfalls freundlich dankte. "Eustach, vergesst den Sternenhof nicht ganz", sagte Mathilde zu diesem gewendet, "besucht uns mit den anderen. Ich will nicht sagen, dass euch auch die Dinge dort notwendig haben koennten, ihr sollt unsertwegen kommen." "Ich werde kommen, hochverehrte Frau", erwiderte Eustach. Nun sprach sie noch einige Worte zu dem Gaertner und seiner Frau und zu dem Meier, worauf die Leute ein wenig zurueck traten. "Sei gut, mein Kind", sagte sie zu Gustav, indem sie ihm ein Kreuz mit Daumen und Zeigefinger auf die Stirne machte und ihn auf dieselbe kuesste. Der Knabe hielt ihre Hand fest umschlungen und kuesste sie. Ich sah in seinen grossen schwarzen Augen, die in Traenen schwammen, dass er sich gerne an ihren Hals wuerfe; aber die Scham, die einen Bestandteil seines Wesens machte, mochte ihn zurueck halten. "Bleibe lieb, Natalie", sagte mein Gastfreund. Das Maedchen haette bald die dargereichte Hand gekuesst, wenn er es zugelassen haette. "Teurer Gustav, habe noch einmal Dank", sagte Mathilde zu meinem Gastfreunde. Sie hatte noch mehr sagen wollen; aber es brachen Traenen aus ihren Augen. Sie nahm ein feines, weisses Tuch und drueckte es fest gegen diese Augen, aus denen sie heftig weinte. Mein Gastfreund stand da und hielt die Augen ruhig; aber es fielen Traenen aus denselben herab. "Reise recht gluecklich, Mathilde", sagte er endlich, "und wenn bei deinem Aufenthalte bei uns etwas gefehlt hat, so rechne es nicht unserer Schuld an." Sie tat das Tuch von den Augen, die noch fortweinten, deutete auf Gustav und sagte: "Meine groesste Schuld steht da, eine Schuld, welche ich wohl nie werde tilgen koennen." "Sie ist nicht auf Tilgung entstanden", erwiderte mein Gastfreund. "Rede nicht davon, Mathilde, wenn etwas Gutes geschieht, so geschieht es recht gerne." Sie hielten sich noch einen Augenblick bei den Haenden, waehrend ein leichtes Morgenlueftchen einige Blaetter der abgebluehten Rosen zu ihren Fuessen wehte. Dann fuehrte er sie zu dem Wagen, sie stieg ein, und Natalie folgte ihr. Es war nach den mehreren Regentagen ein sehr klarer, nicht zu warmer Tag gefolgt. Der Wagen war offen und zurueck gelegt. Mathilde liess den Schleier von dem nehmlichen Hute, den sie bei ihrer Herfahrt gehabt hatte, ueber ihr Angesicht herabfallen; Natalie aber legte den ihrigen zurueck und gab ihre Augen den Morgenlueften. Nachdem auch noch Arabella in den Wagen gestiegen war, zogen die Pferde an, die Raeder furchten den Sand und der Wagen ging auf dem Wege hinab der Hauptstrasse zu. Wir begaben uns wieder in das Haus zurueck. Jeder ging in sein Zimmer und zu seinen Geschaeften. Nachdem ich eine Weile in meiner Wohnung gewesen war, suchte ich den Garten auf. Ich ging zu mehreren Blumen, die in einer fuer Blumen schon so weit vorgerueckten Jahreszeit noch bluehten, ich ging zu den Gemuesen, zu dem Zwergobste und endlich zu dem grossen Kirschbaume hinauf. Von demselben ging ich in das Gewaechshaus. Ich traf dort den Gaertner, welcher an seinen Pflanzen arbeitete. Als er mich eintreten sah, kam er mir entgegen und sagte: "Es ist gut, dass ich allein mit euch sprechen kann, habt ihr ihn gesehen?" "Wen?" fragte ich. "Nun, ihr waret ja auf dem Inghofe", antwortete er, "da werdet ihr wohl den Cereus peruvianus angeschaut haben." "Nein, den habe ich nicht angeschaut", erwiderte ich, indem ich mich wohl des Gespraeches erinnerte, in welchem er mir erzaehlt hatte, dass sich eine so grosse Pflanze dieser Art in dem Inghofe finde, "ich habe auf ihn vergessen." "Nun, wenn ihr ihn vergessen habt, so wird ihn wohl der Herr angeschaut haben", sagte er. "Ich glaube, dass uns niemand auf diese Pflanze aufmerksam gemacht hat, als wir in dem Gewaechshause waren", erwiderte ich; "denn wenn jemand anderer sich eigens zu dieser Pflanze gestellt haette, so haette ich es gewiss bemerkt und haette sie auch angesehen." "Das ist sehr sonderbar und sehr merkwuerdig", sagte er; "nun, wenn ihr vergessen habt, den Cereus peruvianus anzusehen, so muesst ihr einmal mit mir hinuebergehen; wir brauchen nicht zwei Stunden, und es ist ein angenehmer Weg. So etwas seht ihr nicht leicht anders wo. Sie bringen ihn nie zur Bluete. Wenn ich ihn hier haette, so wuerde er bald so weiss wie meine Haare bluehen, natuerlich viel weisser. Die unseren sind noch viel zu klein zum Bluehen." Ich sagte ihm zu, dass ich einmal mit ihm in den Inghof hinuebergehen werde, ja sogar, wenn es nicht eine Unschicklichkeit sei und nicht zu grosse Hindernisse im Wege stehen, dass ich auch versuchen werde, dahin zu wirken, dass diese Pflanze zu ihm herueberkomme. Er war sehr erfreut darueber und sagte, die Hindernisse seien gar nicht gross, sie achten den Cereus nicht, sonst haetten sie ja die Gesellschaft zu ihm hingefuehrt, und der Herr wolle sich vielleicht keine Verbindlichkeit gegen den Nachbar auflegen. Wenn ich aber eine Fuersprache mache, so wuerde der Cereus gewiss herueber kommen. Wie doch der Mensch ueberall seine eigenen Angelegenheiten mit sich herum fuehrt, dachte ich, und wie er sie in die ganze uebrige Welt hineintraegt. Dieser Mann beschaeftigt sich mit seinen Pflanzen und meint, alle Leute muessten ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken, waehrend ich doch ganz andere Gedanken in dem Haupte habe, waehrend mein Gastfreund seine eigenen Bestrebungen hat und Gustav seiner Ausbildung obliegt. Das eine Gute hatte aber die Ansprache des Gaertners fuer mich, dass sie mich von meinen wehmuetigen und schmerzlichen Gefuehlen ein wenig abzog und mir die Ueberzeugung brachte, wie wenig Berechtigung sie haben und wie wenig sie sich fuer das Einzige und Wichtigste in der Welt halten duerfen. Ich blieb noch laenger in dem Gewaechshause und liess mir Mehreres von dem Gaertner zeigen und erklaeren. Dann ging ich wieder in meine Wohnung und setzte mich zu meiner Arbeit. Wir kamen bei dem Mittagessen zusammen, wir machten am Nachmittage einen Spaziergang, und die Gespraeche waren wie gewoehnlich. Die Zeit auf dem Rosenhause floss nach dem Besuche der Frauen wieder so hin, wie sie vor demselben hingeflossen war. Ich hatte die Musse, welche ich mir von meinen Arbeiten im Gebirge zu einem Aufenthalte bei meinem Gastfreunde abgedungen hatte, beinahe schon erschoepft. Das, was ich mir in dem Rosenhause als Ergaenzungsarbeit zu tun auferlegt hatte, rueckte auch seiner Vollendung entgegen. Ich liess mir aber dessohngeachtet einen Aufschub gefallen, weil man verabredet hatte, einen Besuch auf dem Sternenhofe zu machen, was, wie ich einsah, Mathildens Wohnsitz war, und weil ich bei diesem Besuche zugegen sein wollte. Auch war es im Plane, dass wir eine Kirche besuchen wollten, die in dem Hochlande lag und in welcher sich ein sehr schoener Altar aus dem Mittelalter befand. Ich nahm mir vor, das, was mir an Zeit entginge, durch ein laenger in den Herbst hinein fortgesetztes Verweilen im Gebirge wieder einzubringen. Mein Gastfreund hatte in dem Meierhofe wieder Bauarbeiten beginnen lassen und beschaeftigte dort mehrere Leute. Er ging alle Tage hin, um bei den Arbeiten nachzusehen. Wir begleiteten ihn sehr oft. Es war eben die letzte Einfuhr des Heues aus den hoeheren, in dem Alizwalde gelegenen Wiesen, deren Ertrag spaeter als in der Ebene gemaeht wurde, im Gange. Wir erfreuten uns an dieser duftenden, wuerzigen Nahrung der Tiere, welche aus den Waldwiesen viel besser war als aus den fetten Wiesen der Taeler; denn auf den Bergwiesen wachsen sehr mannigfaltige Kraeuter, die aus den sehr verschiedenartigen Gesteingrundlagen die Stoffe ihres Gedeihens ziehen, waehrend die gleichartigere Gartenerde der tiefen Gruende wenigere, wenngleich wasserreichere Arten hervor bringt. Mein Gastfreund widmete diesem Zweige eine sehr grosse Aufmerksamkeit, weil er die erste Bedingung des Gedeihens der Haustiere, dieser geselligen Mitarbeiter der Menschen ist. Alles, was die Wuerze, den Wohlgeruch und, wie er sich ausdrueckte, die Nahrungslieblichkeit beeintraechtigen konnte, musste strenge hintan gehalten werden, und wo durch Versehen oder Ungunst der Zeitverhaeltnisse doch dergleichen eintrat, musste das minder Taugliche ganz beseitigt oder zu andern Wirtschaftszwecken verwendet werden. Darum konnte man aber auch keine schoeneres, glatteren, glaenzenderen und froehlicheren Tiere sehen als auf dem Asperhofe. Der Wirtschaftsvorteil lag ausserdem noch als Zugabe bei; denn da das Schlechtere gar nicht verwendet werden durfte, wurde bei der Behandlung und Einbringung die groesste Sorgfalt von den Leuten beobachtet, abgesehen davon, dass mein Gastfreund bei seiner Kenntnis der Witterungsverhaeltnisse weniger Schaden durch Regen oder dergleichen erlitt als die meisten Landwirte, die sich um diese Kenntnis gar nicht bekuemmerten. Und der Nachteil der Nichtanwendung des Schlechteren wurde weit durch den Vorteil des besseren Gedeihens der Tiere aufgewogen. In dem Asperhofe konnte man immer mit einer geringeren Anzahl Tiere groessere Arbeiten ausfuehren als in anderen Gehoeften. Hiezu kam noch eine gewisse Froehlichkeit und Heiterkeit der untergeordneten Leute, die bei jeder sachgemaessen Fuehrung eines Geschaeftes, bei dem sie beteiligt sind, und bei einer wenn auch strengen, doch stets freundlichen Behandlung nicht ausbleibt. Ich hoerte bei meiner jetzigen Anwesenheit oefter von benachbarten Leuten die Aeusserung, das haette man dem alten Asperhofe nicht angesehen, dass das noch heraus kommen koennte. Es wurde, da wieder mehrere Gewitter niedergegangen waren, die Luft sich gereinigt hatte und einige schoene Tage erwartet werden konnten, die Reise zu der Kirche mit dem sehenswuerdigen Altare festgesetzt. Im Norden unseres herrlichen Stromes, welcher das Land in einen noerdlichen und suedlichen Teil teilt, erhebt sich ein Hochland, welches viele Meilen die noerdlichen Ufer des Stromes begleitet. In seinem Sueden ist eine acht bis zehn Meilen breite, verhaeltnismaessig ebene Gegend von grosser Fruchtbarkeit, die endlich von dem Zuge der Alpen begrenzt ist. Ich war bisher nur vorzugsweise in die Alpen gegangen, die noerdlichen Hochlande hatte ich bloss ein einziges Mal betreten und nur eine kleine Ecke derselben durchwandert. Jetzt sollte ich mit meinem Gastfreunde eine Fahrt in das Innere derselben machen; denn die Kirche, welche das Ziel unserer Reise war, steht weit naeher an der noerdlichen als an der suedlichen Grenze des Hochlandes. Wir fuhren in der Begleitung Eustachs von dem Stromesufer die staffelartigen Erhebungen empor und fuhren dann in dem hohen vielgehuegelten Lande dahin. Wir fuhren oft mit unseren Gespann langsam bis auf die hoechste Spitze eines Berges empor, dann auf der Hoehe fort, oder wir senkten uns wieder in ein Tal, umfuhren oft in Windungen abwaerts die Dachung des Berges, legten eine enge Schlucht zurueck, stiegen wieder empor, veraenderten recht oft unsere Richtung und sahen die Huegel, die Gehoefte und andere Bildungen von verschiedenen Seiten. Wir erblickten oft von einer Spitze das ganze flache gegen Mittag gelegene Land mit seiner erhabenen Hochgebirgskette, und waren dann wieder in einem Talkessel, in welchem wir keine Gegenstaende neben unserem Wagen hatten als eine dunkle, weitaestige Fichte und eine Muehle. Oft, wenn wir uns einem Gegenstande gleichsam auf einer Ebene naehern zu koennen schienen, war ploetzlich eine tiefe Schlucht in die Ebene geschnitten, und wir mussten dieselbe in Schlangenwindungen umfahren. Ich hatte bei meinem ersten Besuche dieses Hochlandes die Bemerkung gemacht, dass es mir da stiller und schweigsamer vorkomme, als wenn ich durch andere, ebenfalls stille und schweigende Landschaften zog. Ich dachte nicht weiter darueber nach. Jetzt kam mir dieselbe Empfindung wieder. In diesem Lande liegen die wenigen groesseren Ortschaften sehr weit von einander entfernt, die Gehoefte der Bauern stehen einzeln auf Huegeln oder in einer tiefen Schlucht oder an einem nicht geahnten Abhange. Herum sind Wiesen, Felder, Waeldchen und Gestein. Die Baeche gehen still in den Schluchten, und wo sie rauschen, hoert man ihr Rauschen nicht, weil die Wege sehr oft auf den Hoehen dahin fuehren. Einen grossen Fluss hat das Land nicht, und wenn man die ausgedehnte suedliche Ebene und das Hochgebirge sieht, so ist es nur ein sehr grosser, aber stiller Gesichtseindruck. In den Alpen geht der Strassenzug meistens nur in den Talrinnen, an den Fluessen oder Wildbaechen dahin, er kann sich wenig verzweigen, der Verkehr ist auf ihn zusammengedraengt, und es regt sich auf ihm, und es wehet und rauscht an ihm. In diesem Lande sind noch viele wertvolle Altertuemer zerstreut und aufbewahrt, es haben einmal reiche Geschlechter in ihm gewohnt, und die Krieges- und Voelkerstuerme sind nicht durch das Land gegangen. Wir kamen in den kleinen Ort Kerberg. Er liegt in einem sehr abgeschiedenen Winkel und ist von keinerlei Bedeutung. Nicht einmal eine Strasse von nur etwas lebhaftem Verkehre fuehrt durch, sondern nur einer jener Landwege, wie sie zum Austausche der Erzeugnisse der Bevoelkerung dienen und von dem guten Sand- und Steinstoffe des Landes sehr gut gebaut sind. Nur die Lage ist schoen, da hier die Bildungen etwas groesser sind und, mit daemmerigem Walde teilweise bekleidet, anmutig zusammentreten. Und doch steht in diesem Orte die Kirche, zu welcher wir auf der Reise waren. Hinter dem Orte, ungefaehr nach Mitternacht, liegt ein weitlaeufiges Schloss auf einem Berge, welches grosse Garten- und Waldanlagen um sich hat. Auf diesem Schlosse hat einmal ein reiches und maechtiges Geschlecht gewohnt. Einer von ihnen hatte in dem kleinen Orte die Kirche bauen und auszieren lassen. Er hat die Kirche im altdeutschen Stile gebaut, Spitzbogen schliessen sie, schlanke Saeulen aus Stein teilen sie in drei Schiffe, und hohe Fenster mit Steinrosen in ihren Boegen und mit den kleinen vieleckigen Taefelchen geben ihr Licht. Der Hochaltar ist aus Lindenholz geschnitzt, steht wie eine Monstranze auf dem Priesterplatze und ist von fuenf Fenstern umgeben. Viele Zeiten sind voruebergegangen. Der Gruender ist gestorben, man zeigt sein Bild aus rotem Marmor in Halbarbeit auf einer Platte in der Kirche. Andere Menschen sind gekommen, man machte Zutaten in der Kirche, man bemalte und bestrich die steinernen Saeulen und die aus gehauenen Steinen gebauten Waende, man ersetzte die zwei Seitenaltaere, von deren Gestalt man jetzt nichts mehr weiss, durch neue, und es geht die Sage, dass schoene Glasgemaelde die Monstranze umstanden haben, dass sie fortgekommen seien und dass gemeine viereckige Tafeln in die fuenf Fenster gesetzt wurden. Sie verunzieren in der Tat noch jetzt die Kirche. Die neuen Besitzer des Schlosses waren nicht mehr so reich und maechtig, andere Zeiten hatten andere Gedanken bekommen, und so war der geschnitzte Hochaltar von Voegeln, Fliegen und Ungeziefer beschmutzt worden, die Sonne, die ungehindert durch die viereckigen Tafeln hereinschien, hatte ihn ausgedoerrt, Teile fielen herab und wurden willkuerlich wieder hinauf getan und durcheinander gestellt, und in Arme, Angesichter und Gewaender bohrte sich der Wurm. Darum haben die Behoerden des Landes den Altar wieder hergestellt, und zu diesem gingen wir. Eustach geleitete uns in die Kirche, es war ein sonniger Vormittag, kein Mensch war zugegen, und wir traten vor das Schnitzwerk. Eustach konnte vieles aus den Regeln der alten Kunst und aus der Geschichte derselben erklaeren. Er sprach ueber das Mittelfeld, in welchem drei ganze, ueberlebensgrosse Gestalten auf reich verzierten Gestellen unter reichen Ueberdaechern standen. Es waren die Gestalten des heiligen Petrus, des heiligen Wolfgang - beide in Bischofsgewaendern - und des heiligen Christophorus, wie er das Jesuskindlein auf der Schulter traegt, und wie dasselbe nach der Legende dem riesenhaft starken Manne schwer wie ein Weltball wird und seine Kraefte erschoepft, welche Erschoepfung in der Gestalt ausgedrueckt ist. Sehr viele kleine Gestalten waren noch nach der Sitte unserer Voraeltern in dem Raume zerstreut. An dem Mittelfelde waren in gezierten Rahmen zwei Fluegel, auf welchen Bilder in halberhabener Arbeit sich befanden: die Verkuendigung des Engels, die Geburt des Heilandes, die Opferung der drei Koenige und der Tod Marias. Oberhalb des Mittelstueckes war ein Giebel mit der emporstrebenden durchbrochenen Arbeit, die man, wie Eustach meint, faelschlich die gothische nennt, da sie vielmehr mittelalterlich deutsch sei. In diese durchbrochene Arbeit waren mehrere Gestalten eingestreut. Zu beiden Seiten hinter den Fluegeln standen die Gestalten des heiligen Florian und des heiligen Georg in mittelalterlicher Ritterruestung empor. Der heilige Florian hatte das Sinnbild des brennenden Hauses und der heilige Georg das des Drachen zu seinen Fuessen. Eustach behauptete, dass sich nur aus der Ansicht eines Sinnbildes die Kleinheit solcher Beigaben zu altertuemlichen Gestalten erklaere, da unsere kunstsinnigen Altvordern gewiss nicht den grossen Fehler der Unverhaeltnismaessigkeit der Koerper der Gegenstaende gemacht haben wuerden. Mein Gastfreund sagte, ohne die Meinung Eustachs verwerfen zu wollen, dass man die Sache auch etwa so auslegen koenne, dass man durch die ueber alles Mass hinausgehende Groesse der Gestalten, gegen welche ein Haus oder ein Drache klein sei, ihre Uebernatuerlichkeit habe ausdruecken wollen. Mein Gastfreund sagte, es muessten einmal nicht nur viel kunstsinnigere Zeiten gewesen sein als heute, sondern es muesste die Kunst auch ein allgemeineres Verstaendnis bis in das unterste Volk hinab gefunden haben; denn wie waeren sonst Kunstwerke in so abgelegene Orte wie Kerberg gekommen, oder wie befaenden sich solche in noch kleineren Kirchen und Kapellen des Hochlandes, die oft einsam auf einem Huegel stehen oder mit ihren Mauern aus einem Waldberge hervor ragen, oder wie waeren kleine Kirchlein, Feldkapellen, Wegsaeulen, Denksteine alter Zeit mit solcher Kunst gearbeitet: so wie heut zu Tage der Kunstverfall bis in die hoeheren Staende hinauf rage, weil man nicht nur in die Kirchen, Graeber und heiligen Orte abscheuliche Gestalten, die eher die Andacht zerstoeren als befoerdern, von dem Volke stellen laesst, sondern auch bis zu sich hinauf in das herrschaftliche Schloss so oft die leeren und geistesarmen Arbeiten einer ohnmaechtigen Zeit zieht. Meines Gastfreundes und Eustachs bemaechtigte sich bei diesen Betrachtungen eine Traurigkeit, welche ich nicht ganz begriff. Wir betrachteten nach dem Altare auch noch die Kirche, betrachteten das Steinbild des Mannes, der sie hatte erbauen lassen. und betrachteten noch andere alte Grabdenkmale und Inschriften. Es zeigte sich hier, dass die fuenf Fenster des Priesterplatzes nicht wie die Fenster des Kirchenschiffes in ihren Spitzbogen Steinrosen hatten, was als neuer Beweis galt, dass das Glas aus diesen Fenstern einmal heraus genommen worden war, und dass man zu besserer Gewinnung der Gemaelde in den Spitzbogen oder gar zu bequemerer Einsetzung der viereckigen Tafeln die steinernen Fassungen weggeraeumt habe. Ich ging mit manchem Gedanken bereichert neben meinen zwei Begleitern aus der Kirche. Auf der Rueckfahrt schlugen wir einen anderen Weg ein, damit ich auch noch andere Teile des Landes zu sehen bekaeme. Wir besuchten noch ein paar Kirchen und kleinere Bauwerke, und Eustach versprach mir, dass er mir, wenn wir nach Hause gekommen waeren, die Zeichnungen von den Dingen zeigen wuerde, welche wir gesehen hatten. Die Maenner sprachen auf der Rueckreise auch von der mutmasslichen Zeit, in welcher die Kirche, die das Ziel unserer Reise gewesen war, entstanden sein koennte. Sie schlossen auf diese Zeit aus der Art und Weise des Baues und aus manchen Verzierungen. Sie bedauerten nur, dass man Naeheres darueber aus Urkunden nicht erfahren koenne, da das Schriftgewoelbe des alten Schlosses unzugaenglich gehalten werde. Wir fuhren am Mittage des naechsten Tages wieder die staffelartigen Erhebungen hinab und gelangten in spaeter Nacht in das Rosenhaus. Ich mahnte in ein paar Tagen darauf den Gaertner an unsern verabredeten Gang nach Ingheim. Er freute sich ueber meine Achtsamkeit, wie er es nannte, und an einem freundlichen Nachmittage gingen wir in das Schloss hinueber. Wir sagten die Ursache unseres Besuches und wurden mit Zuvorkommenheit empfangen. Wir gingen sogleich in das Gewaechshaus, und es war in Wirklichkeit eine sehr schoene und zu ansehnlicher Groesse ausgebildete Pflanze, zu der mich der Gaertner Simon gefuehrt hatte. Ich kannte nicht genau, wie weit sich diese Pflanzen ueberhaupt entwickeln und welche Groesse sie zu erreichen vermoegen; aber eine groessere habe ich nirgends gesehen. Dass man sie in Ingheim nicht viel achte, erkannte ich ebenfalls; denn der Winkel des Gewaechshauses, in welchem sie in freiem Boden stand, war der vernachlaessigteste, es lagen Blumenstaebe, Bastbaender, welke Blaetter und dergleichen dort, und man hatte ihn mit Gestellen, auf welchen andere Pflanzen standen, verstellt, dass sein Anblick den Augen entzogen werde. Man konnte den gruenen Arm dieser Pflanze wohl an der Decke des Hauses hingehen sehen, ich hatte aber dort hinauf bei meiner ersten Anwesenheit nicht geschaut. Mein Begleiter erkannte jetzt, dass es ein Cereus peruvianus sei und erklaerte mir seine Merkmale. Sonst aber konnten wir keine Cactus in Ingheim entdecken. Nach mancher Aufmerksamkeit, die uns in dem Schlosse noch zu Teil wurde, begaben wir uns gegen Abend wieder auf den Rueckweg, und ich troestete meinen alten Begleiter mit den Worten, dass ich glaube, dass es nicht schwer sein werde, diese Pflanze in das Rosenhaus zu bringen. Dort wuerde sie die Sammlung ergaenzen und zieren, waehrend sie in Ingheim allein ist. Auch wird man wohl einem Wunsche meines Gastfreundes willfaehrig sein, und ich werde die Sache schon zu foerdern trachten. Nach kurzer Zeit traten wir unsere Weg zum Besuche in dem Sternenhofe an. Dieses Mal fuhr ausser Eustach auch Gustav mit. Die Grauschimmel wurden vor einen groesseren Wagen gespannt, als wir in den Hochlanden gehabt hatten, und wir fuhren mit ihnen ueber den Huegel hinab. Es war sehr frueh am Morgen, noch lange vor Sonnenaufgang. Wir fuhren auf der Hauptstrasse gegen Rohrberg zu und fuhren endlich auf der Anhoehe an dem Alizwalde empor. Da die Pferde langsam den Weg hinan gingen, sagte mein Gastfreund: "Es ist moeglich, dass ihr im vorigen Jahre an dieser Stelle Mathilden und Natalien gesehen habt. Sie erzaehlten mir, als sie zu Besuche der Rosenbluete zu mir kamen, und ich ihnen von euch, von eurer Anwesenheit bei mir und von eurer an dem Morgen ihrer Ankunft erfolgten Abreise sagte, dass sie einem Fussreisenden auf der Alizhoehe begegnet seien, der dem ungefaehr gleich gesehen habe, den ich ihnen beschrieben." Ploetzlich war es mir ganz klar, dass wirklich Mathilde und Natalie die zwei Frauen gewesen waren, welchen ich an jenem Morgen an dieser Stelle begegnet bin. Mir waren jetzt deutlich dieselben Reisehuete vor Augen, die sie auch dieses Mal aufgehabt hatten, ich sah die Zuege Nataliens wieder, und auch der Wagen und die braunen Pferde kamen mir in die Erinnerung. Darum also war mir Natalie immer als schon einmal gesehen vorgeschwebt. Ich hatte ja sogar damals gedacht, dass das menschliche Angesicht etwa der edelste Gegenstand fuer die Zeichnungskunst sein duerfte, und hatte sie als unbeholfener Mensch, der im Zurechtlegen aller Eindruecke geschickter ist als in dem der menschlichen, doch wieder aus meiner Vorstellungskraft verloren. Ich sagte zu meinem Gastfreunde, dass er durch seine Bemerkung meinem Gedaechtnisse zu Hilfe gekommen sei, dass ich jetzt alles klar wisse und dass mir auf dieser Anhoehe Mathilde und Natalie begegnet seien, und dass ich ihnen, da der Wagen langsam den Berg hinab fuhr, nachgesehen habe. "Ich habe mir es gleich so gedacht", erwiderte er. Aber auch etwas anderes fiel mir ein und machte, dass mein Angesicht erroetete. Also hatte mein Gastfreund von mir mit den Frauen gesprochen, und mich sogar beschrieben. Er hatte also einen Anteil an mir genommen. Das freute mich von diesem Manne sehr. Als wir auf der Hoehe des Berges angekommen waren, liess mein Gastfreund an einer Stelle, wo das Seitengebuesch des Weges eine Durchsicht erlaubte, halten, stand im Wagen auf und bat mich, das gleiche zu tun. Er sagte, dass man an dieser Stelle das Stueck des Alizwaldes, das zu dem Asperhofe gehoere, uebersehen koenne. Er wies mir mit dem Zeigefinger an den Farbunterschieden des Waldes, die durch die Mischung der Buchen und Tannen, durch Licht und Schatten und durch andere Merkmale hervorgebracht wurden, die Grenzen dieses Besitztumes nach. Als ich dies genugsam verstanden und ihm auch mit dem Finger ungefaehr die Stellen des Waldes gezeigt hatte, an denen ich schon gewesen war, setzten wir uns wieder nieder und fuhren weiter. Es war bei dieser Gelegenheit das erste Mal gewesen, dass ich aus seinem Munde den Namen Asperhof gehoert habe, mit dem er sein Besitztum bezeichnete. Nach kurzer Fahrt trennten wir uns von der nach Osten gehenden Hauptstrasse und schlugen einen gewoehnlichen Verbindungsweg nach Sueden ein. Wir fuhren also dem Hochgebirge naeher. Am Mittage blieben wir eine ziemlich lange Zeit zur Erquickung und zum Ausruhen der Pferde, auf deren Pflege mein Gastfreund sehr sah, in einem einzeln stehenden Gasthofe, und es war schon am Abende in tiefer Daemmerung, als mir mein Gastfreund die Umrisse des Sternenhofes zeigte. Ich war schon zweimal in der Gegend gewesen, erinnerte mich sogar im allgemeinen auf das Gebaeude und wusste genau, dass am Fusse des Huegels, auf welchem es stand, sehr schoene Ahorne wuchsen. Ich hatte aber nie Ursache gehabt, mich weiter um diese Gegenstaende zu kuemmern. Wir kamen bei Sternenscheine zu den mir bekannten Ahornen, fuhren einen Huegel empor, legten einen Torweg zurueck und hielten in einem Hofe. In demselben standen vier grosse Baeume, an deren eigentuemlichen, gegen den dunkeln Nachthimmel gehaltenen Bildungen ich erkannte, dass es Ahorne seien. In ihrer Mitte plaetscherte ein Brunnen. Auf das Rollen des Wagens unter dem hallenden Torwege kamen Diener mit Lichtern herbei, uns aus dem Wagen zu helfen. Gleich darauf erschien auch Mathilde und Natalie in dem Hofe, um uns zu begruessen. Sie geleiteten uns die Treppe hinan in einen Vorsaal, in welchem die Begruessungen im allgemeinen wiederholt wurden und von wo aus man uns unsere Zimmer anwies. Das meinige war ein grosses freundliches Gemach, in welchem bereits auf dem Tische zwei Kerzen brannten. Ich legte, da der Diener die Tuer hinter sich geschlossen hatte, meinen Hut auf den Tisch, und das Naechste, was ich tat, war, dass ich mehrere Male schnell in dem Zimmer auf und nieder ging, um die durch das Fahren ersteiften Glieder wieder ein wenig einzurichten. Als dieses ziemlich gelungen war, trat ich an eines der offenen Fenster, um herum zu schauen. Es war aber nicht viel zu sehen. Die Nacht war schon zu weit vorgerueckt und die Lichter im Zimmer machten die Luft draussen noch finsterer. Ich sah nur so viel, dass meine Fenster ins Freie gingen. Nach und nach begrenzten sich vor meinen Augen die dunkeln Gestalten der am Fusse des Huegels stehenden Ahorne, dann kamen Flecken von dunkler und fahler Farbe, wahrscheinlich Abwechslung von Feld und Wald, weiter war nichts zu unterscheiden als der glaenzende Himmel darueber, der von unzaehligen Sternen, aber nicht von dem geringsten Stueckchen Mond beleuchtet war. Nach einer Zeit kam Gustav und holte mich zu dem Abendessen ab. Er hatte eine grosse Freude, dass ich in dem Sternenhofe sei. Ich ordnete aus meinem Reisesacke, der heraufgeschafft worden war, ein wenig meine Kleider und folgte dann Gustav in das Speisezimmer. Dasselbe war fast wie das in dem Rosenhause. Mathilde sass wie dort in einem Ehrenstuhle oben an, ihr zur Rechten mein Gastfreund und Natalie, ihr zur Linken ich, Eustach und Gustav. Auch hier besorgte eine Haushaelterin und eine Magd den Tisch. Der Hergang bei dem Speisen war der nehmliche wie an jenen Abenden bei meinem Gastfreunde, an denen wir alle beisammen gewesen waren. Um von der Reise ausruhen zu koennen, trennte man sich bald und suchte seine Zimmer. Ich entschlief unter Unruhe, sank aber nach und nach in festeren Schlummer und erwachte, da die Sonne schon aufgegangen war. Jetzt war es Zeit, herum zu schauen. Ich kleidete mich so schnell und so sorgfaeltig an, als ich konnte, ging an ein Fenster, oeffnete es und sah hinaus. Ein ganz gleicher, sehr schoen gruener Rasen, der durch keine Blumengebuesche oder dergleichen unterbrochen war, sondern nur den weissen Sandweg enthielt, breitete sich ueber die gedehnte Dachung des Huegels, auf der das Gebaeude stand, hinab. Auf dem Sandwege aber gingen Natalie und Gustav herauf. Ich sah in die schoenen jugendlichen Angesichter, sie aber konnten mich nicht sehen, weil sie ihre Augen nicht erhoben. Sie schienen in traulichem Gespraeche begriffen zu sein, und bei ihrer Annaeherung - an dem Gange, an der Haltung, an den grossen dunklen Augen, an den Zuegen der Angesichter - sah ich wieder recht deutlich, dass sie Geschwister seien. Ich sah auf sie, so lange ich sie erblicken konnte, bis sie endlich der dunkle Torweg aufgenommen hatte. Jetzt war die Gegend sehr leer. Ich blickte kaum auf sie. Allgemach entwickelten sich aber wieder freundlich Felder, Waeldchen und Wiesen im Gemisch, ich erblickte Meierhoefe rings herumgestreut, hie und da erglaenzte ein weisser Kirchturm in der Ferne und die Strasse zog einen lichten Streifen durch das Gruen. Den Schluss machte das Hochgebirge, so klar, dass man an dem untern Teile seiner Wand die Talwindungen, an dem obern die Gestaltung der Kanten und Flaechen und die Schneetafeln wahrnehmen konnte. Sehr gross und schoen waren die Ahorne, die unten am Huegel standen, deshalb mochten sie schon frueher bei meinen Reisen durch diese Gegend meine Aufmerksamkeit erregt haben. Von ihnen zogen sich Erlenreihen fort, die den Lauf der Baeche anzeigten. Das Haus musste weitlaeufig sein; denn die Wand, in der sich meine Fenster befanden und die ich, hinausgebeugt, uebersehen konnte, war sehr gross. Sie war glatt mit vorspringenden steinernen Fenstersimsen und hatte eine grauweissliche Farbe, mit der sie offenbar erst in neuerer Zeit uebertuencht worden war. Hinter dem Hause musste vielleicht ein Garten oder ein Waeldchen sein, weil ich Vogelgesang herueber hoerte. Auch war es mir zuweilen, als vernaehme ich das Rauschen des Hofbrunnens. Der Tag war heiter. Ich harrte nun der Dinge, die kommen sollten. Ein Diener rief mich zu dem Fruehmahle. Es war zu derselben Zeit wie im Rosenhause. Als ich in das Speisezimmer getreten war, sagte mir Mathilde, dass es sehr lieb von mir sei, dass ich ihre Freunde und ihren Sohn in den Sternenhof begleitet habe, sie werde sich bemuehen, dass es mir in demselben gefalle, wozu ihr ihr Freund, der mir den Asperhof anziehend mache, beistehen muesse. Ich antwortete, dass ich mich auf die Reise in den Sternenhof sehr gefreut habe und dass ich mich freue, in demselben zu sein. Von einer Bedeutung sei es nicht, dass mir eine Ruecksicht zu Teil werde, ich bitte nur, dass man, wenn ich etwas fehle, es nachsehe. Nach mir trat Eustach ein. Mathilde begruesste auch ihn noch einmal. Gustav, der schon zugegen war, gesellte sich zu mir. Die Frauen waren haeuslich und schoen, aber minder einfach als in dem Rosenhause gekleidet. Meinen Gastfreund sah ich zum ersten Male in ganz anderen Kleidern als auf seiner Besitzung und auf dem Besuche zu Ingheim. Er war schwarz, mit einem Fracke, der einen etwas weiteren und bequemeren Schnitt hatte als gewoehnlich, und sogar einen leichten Biberhut trug er in der Hand. Nach dem Fruehmahle sagte Mathilde, sie wolle mir ihre Wohnung zeigen. Die andern gingen mit. Wir traten aus dem Speisezimmer in einen Vorsaal. Am Ende desselben wurden zwei Fluegeltueren aufgetan, und ich sah in eine Reihe von Zimmern, welche nach der ganzen Laenge des Hauses hinlaufen musste. Als wir eingetreten waren, sah ich, dass in den Zimmern alles mit der groessten Reinheit, Schoenheit und Zusammenstimmung geordnet war. Die Tueren standen offen, so dass man durch alle Zimmer sehen konnte. Die Geraete waren passend, die Waende waren mit zahlreichen Gemaelden geziert, es standen Glaskaesten mit Buechern, es waren musikalische Geraete da, und auf Gestellen, die an den rechten Orten angebracht waren, befanden sich Blumen. Durch die Fenster sah die naehere Landschaft und die ferneren Gebirge herein. Es zeigte sich, dass diese Zimmer ein schoener Spaziergang seien, der unter dem Dache und zwischen den Waenden hinfuehrte. Man konnte sie entlang schreiten, von angenehmen Gegenstaenden umgeben sein und die Kaelte oder das Ungestuem des Wetters oder Winters nicht empfinden, waehrend man doch Feld und Wald und Berg erblickte. Selbst im Sommer konnte es Vergnuegen gewaehren, hier bei offenen Fenstern gleichsam halb im Freien und halb in der Kunst zu wandeln. Da ich meinen Blick mehr auf das Einzelne richtete, fielen mir die Geraete besonders auf. Die waren neu und nach sehr schoenen Gedanken gebildet. Sie schickten sich so in ihre Plaetze, dass sie gewissermassen nicht von Aussen gekommen, sondern zugleich mit diesen Raeumen entstanden zu sein schienen. Es waren an ihnen sehr viele Holzarten vermischt, das erkannte ich sehr bald, es waren Holzarten, die man sonst nicht gerne zu Geraeten nimmt, aber sie schienen mir so zu stimmen, wie in der Natur die sehr verschiedenen Geschoepfe stimmen. Ich machte in dieser Hinsicht eine Bemerkung gegen meinen Gastfreund, und er antwortete: "Ihr habt einmal gefragt, ob Gegenstaende, die wir in unserem Schreinerhause neu gemacht haben, in meinem Hause vorhanden seien, worauf ich geantwortet habe, dass nichts von Bedeutung in demselben sei, dass sich aber einige gesammelt in einem anderen Orte befinden, in den ich euch, wenn ihr Lust zu solchen Dingen haettet, geleiten wuerde. Diese Zimmer hier sind der andere Ort, und ihr seht die neuen Geraete, die in unserem Schreinerhause verfertigt worden sind." "Es ist aber zu bewundern, wie sehr sie in ihren Abwechslungen und Gestalten hieher passen", sagte ich. "Als wir einmal den Plan gefasst hatten, die Zimmer Mathildens nach und nach mit neuen Geraeten zu bestellen", erwiderte er, "so wurde die ganze Reihe dieser Zimmer im Grund- und Aufrisse aufgenommen, die Farben bestimmt, welche die Waende der einzelnen Zimmer haben sollten, und diese Farben gleich in die Zeichnungen getragen. Hierauf wurde zur Bestimmung der Groesse, der Gestalt und der Farbe, mithin der Hoelzer der einzelnen Geraete geschritten. Die Farbezeichnungen derselben wurden verfertigt und mit den Zeichnungen der Zimmer verglichen. Die Gestalten der Geraete sind nach der Art entworfen worden, die wir vom Altertume lernten, wie ich euch einmal sagte, aber so, dass wir nicht das Altertum geradezu nachahmten, sondern selbststaendige Gegenstaende fuer die jetzige Zeit verfertigten mit Spuren des Lernens an vergangenen Zeiten. Wir sind nach und nach zu dieser Ansicht gekommen, da wir sahen, dass die neuen Geraete nicht schoen sind und dass die alten in neue Raeume zu wohnlicher Zusammenstimmung nicht passten. Wir haben uns selber gewundert, als die Sachen nach vielerlei Versuchen, Zeichnungen und Entwuerfen fertig waren, wie schoen sie seien. In der Kunst, wenn man bei so kleinen Dingen von Kunst reden kann, ist eben so wenig ein Sprung moeglich als in der Natur. Wer ploetzlich etwas so Neues erfinden wollte, dass weder den Teilen noch der Gestaltung nach ein Aehnliches da gewesen ist, der wuerde so toericht sein wie der, der fordern wuerde, dass aus den vorhandenen Tieren und Pflanzen sich ploetzlich neue, nicht dagewesene entwickeln. Nur dass in der Schoepfung die Allmaehlichkeit immer rein und weise ist; in der Kunst aber, die der Freiheit des Menschen anheim gegeben ist, oft Zerrissenheit, oft Stillstand, oft Rueckschritt erscheint. Was die Hoelzer anbelangt, so sind da fast alle und die schoensten Blaetter verwendet worden, die wir aus den Knollen der Erlen geschnitten haben, die in unserer Sumpfwiese gewachsen sind. Ihr koennt sie dann betrachten. Wir haben uns aber auch bemueht, Hoelzer aus unserer ganzen Gegend zu sammeln, die uns schoen schienen, und haben nach und nach mehr zusammengebracht, als wir anfaenglich glaubten. Da ist der schneeige, glatte Bergahorn, der Ringelahorn, die Blaetter der Knollen von dunkelm Ahorn - alles aus den Alizgruenden -, dann die Birke von den Waenden und Klippen der Aliz, der Wachholder von der duerren, schiefen Haideflaeche, die Esche, die Eberesche, die Eibe, die Ulme, selbst Knorren von der Tanne, der Haselstrauch, der Kreuzdorn, die Schlehe und viele andere Gestraeuche, die an Festigkeit und Zartheit wetteifern, dann aus unseren Gaerten der Wallnussbaum, die Pflaume, der Pfirsich, der Birnbaum, die Rose. Eustach hat die Blaetter der Hoelzer alle gemalt und zur Vorgleichung zusammengestellt, er kann euch die Zeichnung einmal im Asperhofe zeigen und die vielen Arten noch angeben, die ich hier nicht genannt habe. In der Holzsammlung muessen sie ja auch vorhanden sein." Ich betrachtete die Sachen genauer. Die Erlenblaetter, von denen mir mein Gastfreund im vorigen Jahre gesagt hatte, dass sie an einem anderen Orte verwendet worden seien, waren in der Tat ausserordentlich, so feurig und fast erhaben, auch ungemein gross; alles andere Holz, wie zart, wie schoen in der Zusammenstellung, dass man gar nicht ahnen sollte, dass dies in unseren Waeldern ist. Und die Gestalten der Geraete, wie leicht, wie fein, wie anschmiegend, sie waren ganz anders als die jetzt verfertigt werden, und waren doch neu und fuer unsere Zeit passend. Ich erkannte, welch ein Wert in den Zeichnungen liege, die Eustach habe. Ich dachte an meinen Vater, der solche Dinge so liebt. Ach, wenn er nur hier waere, dass er sie sehen koennte! Mir war, als gingen mir neue Kenntnisse auf. Ich wagte einen Blick auf Natalie, ich wendete ihn aber schnell wieder weg; sie stand so in Gedanken, dass ich glaube, dass sie erroetete, als ich sie anblickte. Mathilde sagte zu Eustach: "Es ist im Verlaufe der Zeit, ohne dass eine absichtliche Stoerung vorgekommen waere, manches hier anders geworden und nicht mehr so schoen als anfangs. Wir werden es einmal, wenn ihr Zeit habt und herueber kommen wollt, ansehen, ihr koennt die Fehler erkennen und Mittel zur Abhilfe an die Hand geben." Wir gingen nun weiter. Durch eine geoeffnete Tuer gelangten wir in Zimmer, welche in einer anderen Richtung des Hauses lagen. Die durchwanderten hatten nach Sued gesehen, diese sahen nach West. Es waren ein grosser Saal und zwei Seitengemaecher. Waren die frueheren Zimmer lieb und wohnlich gewesen, so waren diese wahrhaft prachtvoll. Der Saal war mit Marmor gepflastert, die Zimmer hatten altertuemliche Wandbekleidung, altertuemliche Fenstervorhaenge und altertuemliche Geraete, der Fussboden des Saales enthielt die schoensten, seltensten und zahlreichsten Gattungen unsers Marmors, nach einer Zeichnung eingelegt und so geglaettet, dass er alle Dinge spiegelte. Es war der ernsteste und feurigste Teppich. Wir mussten hier auch Filzschuhe anlegen. Auf diesem Spiegelboden standen die schoensten und wohlerhaltensten alten Schreine und andere Einrichtungsstuecke. Es waren hier die groessten versammelt. In den zwei anstossenden Gemaechern standen auf feurig farbigen Holzteppichen die kleineren, zarteren und feineren. Waren gleich die altertuemlichen Geraete nicht schoener als die bei meinem Gastfreunde - ich glaube, schoenere wird es kaum geben -, so zeigte sich hier eine Zusammenstimmung, als muessten die, welche diese Dinge urspruenglich hatten herrichten lassen, in ihren einstigen Trachten bei den Tueren hereingehen. Es ergriff einen ein Gefuehl eines Bedeutungsvollen. "Die Marmore", sagte mein Gastfreund, "sind aller Orten erworben, geschliffen, geglaettet und nach einer altertuemlichen Zeichnung vieler Kirchenfenster eingesetzt worden." "Aber dass ihr die Geraete so zusammen gefunden habt, dass sie wie ein Einziges stimmen, ist zu verwundern", sagte ich. "Also empfindet ihr, dass sie stimmen?" erwiderte er. "Seht, das ist mir lieb, dass ihr das sagt. Ihr seid ein Beobachter, der nicht von der Sucht nach Altem befangen ist, wie uns unsere Gegner vorwerfen. Ihr empfangt also das Gefuehl von den Gegenstaenden und tragt es nicht in dieselben hinein, wie auch unsere Gegner von uns sagen. Die Sache aber ist nur so: als man die Nichtigkeit und Leere der letztvergangenen Zeiten erkannte und wieder auf das Alte zurueck wies und es nicht mehr als Plunder und Troedel ansah, sondern Schoenes darin suchte: da geschahen freilich toerichte Dinge. Man sammelte wieder Altes und nur Altes. Statt der neuen Mode mit neuen Gegenstaenden kam die neueste mit alten Gegenstaenden. Man raffte Schreine, Betschemel, Tische und dergleichen zusammen, weil sie alt waren, nicht weil sie schoen waren, und stellte sie auf. Da standen nun Dinge beisammen, die in ihren Zeiten weit von einander ablagen, es konnte nicht fehlen, dass ein Widerwaertiges herauskam und dass die Feinde des Alten, wenn sie Gefuehl hatten, sich abwenden mussten. Nichts aber kann so wenig passen, als alte Dinge von sehr verschiedenen Zeiten. Die Voraeltern legten so sehr einen eigentuemlichen Geist in ihre Dinge - es war der Geist ihres Gemuetes und ihres allgemeinen Gefuehlslebens -, dass sie diesem Geiste sogar den Zweck opferten. Man bringt Linnen, Kleider und dergleichen in neue Geraete zweckmaessiger unter als in alte. Man kann daher alte Geraete von ziemlich gleicher Zeit, aber verschiedenem Zwecke ohne grosse Stoerung des Geistes der Traulichkeit und Innigkeit, der in ihnen wohnt, zusammenstellen, waehrend von unseren Geraeten, die keinen Geist, aber einen Zweck haben, sogleich ein Widersinniges ausgeht, wenn man Dinge verschiedenen Gebrauches in dasselbe Zimmer tut, wie etwa den Schreibtisch, den Waschtisch, den Buecherschrein und das Bett. Die groesste Wirkung erzielt man freilich, wenn man alte Geraete aus derselben und guten Zeit, die also denselben Geist haben, und auch Geraete des nehmlichen Zweckes, in ein Zimmer bringt. Da spricht nun in der Wirklichkeit etwas ganz anderes als bei unseren neuen Dingen." "Und das scheint mir hier der Fall zu sein", sagte ich. "Es ist nicht Alles alt", erwiderte er. "Viele Dinge sind so unwiederbringlich verloren gegangen, dass es fast unmoeglich ist, eine ganze Wohnung mit Gegenstaenden aus der selben Zeit einzurichten, dass kein notwendiges Stueck fehlt. Wir haben daher lieber solche Stuecke im alten Sinn neu gemacht, als alte Stuecke von einer ganz anderen Zeit zugemischt. Damit aber Niemand irre gefuehrt werde, ist an jedem solchen altneuen Stuecke ein Silberplaettchen eingefuegt, auf welchem die Tatsache in Buchstaben eingegraben ist." Er zeigte mir nun jene Gegenstaende, welche in dem Schreinerhause als Ergaenzung hinzugemacht worden sind. Trotzdem war bei mir der Eindruck immer derselbe, und ich hatte bestaendig und bestaendig den Gedanken an meinen Vater in dem Haupte. Man fuehrte mich auch zu den alten, schweren, mit Gold und Silber durchwirkten Fenstervorhaengen und zeigte mir dieselben als echt, so auch die ledernen, mit Farben und Metallverzierungen versehenen Belege der Zimmerwaende. Nur hat man da in dem Leder nachhelfen und ihm Nahrung geben muessen. Als ich diese ernsten und feierlichen Gemaecher genugsam betrachtet hatte, oeffnete Mathilde das schwere Schloss der Ausgangstuer, und wir kamen in mehrere unbedeutende Raeume, die nach Norden sahen, worunter auch der allgemeine Eintrittssaal und das Speisezimmer waren. Von da gelangten wir in den Fluegel, dessen Fenster die Morgensonne hatten. Hier waren die Wohnzimmer Mathildens und Nataliens. Jede hatte ein groesseres und ein kleineres Gemach. Sie waren einfach mit neuen Geraeten eingerichtet und drueckten durch Dinge unmittelbaren Gebrauches die Bewohntheit aus, ohne dass ich die vielen Spielereien sah, mit denen gerne, zwar nicht bei meinen Eltern, aber an anderen Orten unserer Stadt, die Zimmer der Frauen angefuellt sind. In jeder der zwei Wohnungen sah ich eine der Zithern, die in dem Rosenhause gewesen waren. Bei Natalien herrschten besonders Blumen vor. Es standen Gestelle herum, auf welche sie von dem Garten herauf gebracht worden waren, um hier zu verbluehen. Auch standen groessere Pflanzen, namentlich solche, welche schoene Blaetter oder einen schoenen Bau hatten, in einem Halbkreise und in Gruppen auf dem Fussboden. In einem Vorsaale, der den Eintritt zu diesen Wohnungen bildete, befand sich ein Clavier. Die Zimmer im zweiten Stockwerke des Hauses waren geblieben, wie sie frueher gewesen waren. Sie sahen so aus, wie sie gerne in weitlaeufigen alten Schloessern auszusehen pflegen. Sie waren mit Geraeten vieler Zeiten, die meistens ohne Geschmack waren, mit Spielereien vergangener Geschlechter, mit einigen Waffen und mit Bildern, namentlich Bildnissen, die nach der Laune des Tages gemacht waren, angefuellt. Namentlich waren an den Waenden der Gaenge Abbildungen aufgehaengt von grossen Fischen, die man einmal gefangen, nebst beigefuegter Beschreibung, von Hirschen, die man geschossen, von Federwild, von Wildschweinen und dergleichen. Auch Lieblingshunde fehlten nicht. In diesem Stockwerke waren nach Sueden die Gastzimmer, und der Fluegel derselben war geordnet worden. Hier befand sich auch mein Zimmer nebst dem Gustavs. Nach der Besichtigung der Zimmer gingen wir in das Freie. Die breite Haupttreppe aus rotem Marmor fuehrte in den Hof hinab. Derselbe zeigte, wie gross das Gebaeude sei. Er war von vier ganz gleichen, langen Fluegeln umschlossen. In seiner Mitte war ein Becken von grauem Marmor, in welches sich aus einer Verschlingung von Wassergoettinnen vier Strahlen ergossen. Um das Becken standen vier Ahorne, welche gewiss nicht kleiner waren als die, welche den Schlosshuegel saeumten. Auf dem Sandplatze unter den Ahornen waren Ruhebaenke, ebenfalls aus grauem Marmor. Von diesem Sandplatze liefen Sandwege wie Strahlen auseinander. Der uebrige Raum war gleichfoermiges Rasen, nur dass an den Mauern des Hauses eine Pflasterung von glatten Steinen herum fuehrte. Von dem Hofe gingen wir bei dem grossen Tore hinaus. Ich wendete mich, da wir draussen waren, unwillkuerlich um, um das Gebaeude zu betrachten. Ueber dem Tore war ein ziemlich umfangreiches steinernes Schild mit sieben Sternen. Sonst sah ich nichts, als was ich bei meinem Morgenausblicke aus dem Fenster schon gesehen hatte. Wir gingen auf einem Sandwege des gruenen Rasens, wir umgingen das Haus und gelangten hinter demselben in den Garten. Hier sah ich, was ich mir schon frueher gedacht hatte, dass das Gebaeude, welches man wohl ein Schloss nennen musste, nur aus den vier grossen Fluegeln bestehe, welche ein vollkommenes Viereck bildeten. Die Wirtschaftsgebaeude standen ziemlich weit entfernt in dem Tale. Der Garten begann mit Blumen, Obst und Gemuese, zeigte aber, dass er in der Entfernung mit etwas endigen muesse, das wie ein Laubwald aussah. Alles war rein und schoen gehalten. Der Garten war auch hier mit gefiederten Bewohnern bevoelkert, und man hatte aehnliche Vorrichtungen wie im Asperhofe. Die Baeume standen daher auch vortrefflich und gesund. Rosen zeigten sich ebenfalls viele, nur nicht in so besonderen Gruppierungen wie bei meinem Gastfreunde. Die Gewaechshaeuser des Gartens waren ausgedehnt und weit groesser und sorgfaeltiger gepflegt als auf dem Asperhofe. Der Gaertner, ein junger und, wie es schien, unterrichteter Mann, empfing uns mit Hoeflichkeit und Ehrfurcht am Eingange derselben. Er zeigte mir mit mehr Genauigkeit seine Schaetze, als ich mit der Ruecksicht auf meine Begleiter, denen nichts neu war, fuer vereinbarlich hielt. Es waren viele Pflanzen aus fremden Weltteilen da, sowohl im warmen als im kalten Hause. Besonders erfreut war er ueber seine reiche Sammlung von Ananas, die einen eigenen Platz in einem Gewaechshause einnahmen. Nicht weit hinter dem Gewaechshause stand eine Gruppe von Linden, welche beinahe so schoen und so gross waren wie die in dem Garten des Asperhofes. Auch war der Sand unter ihrem Schattendache so rein gefegt, und um die Aehnlichkeit zu vollenden, liefen auf demselben Finken, Ammern, Schwarzkehlchen und andere Voegel so traulich hin, wie auf dem Sande des Rosenhauses. Dass Baenke unter den Linden standen, ist natuerlich. Die Linde ist der Baum der Wohnlichkeit. Wo waere eine Linde in deutschen Landen - und gewiss ist es in andern auch so - unter der nicht eine Bank staende oder auf der nicht ein Bild hinge oder neben welcher sich nicht eine Kapelle befaende. Die Schoenheit ihres Baues, das Ueberdach ihres Schattens und das gesellige Summen des Lebens in ihren Zweigen ladet dazu ein. Wir gingen in den Schatten der Linden. "Das ist eigentlich der schoenste Platz in dem Sternenhofe", sagte Mathilde, "und jeder, der den Garten besucht, muss hier ein wenig ruhen, daher sollt ihr auch so tun." Mit diesen Worten wies sie auf die Baenke, die fast in einem Bogen unter den Staemmen der Linden standen und hinter denen sich eine Wand gruenen Gebuesches aufbaute. Wir setzten uns nieder. Das Summen, wie es jedes Mal in diesen Baeumen ist, war gleichmaessig ueber unserm Haupte, das stumme Laufen der Voegel ueber den reinen Sand war vor unsern Augen und ihr gelegentlicher Aufflug in die Baeume toente leicht in unsere Ohren. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass auch mit Unterbrechungen ein leises Rauschen hoerbar sei, gleichsam als wuerde es jetzt von einem leichten Lueftchen hergetragen, jetzt nicht. Ich aeusserte mich darueber. "Ihr habt recht gehoert", sagte Mathilde, "wir werden die Sache gleich sehen." Wir erhoben uns und gingen auf einem schmalen Sandpfade durch die Gebuesche, die sich in geringer Entfernung hinter den Linden befanden. Als wir etwa vierzig oder fuenfzig Schritte gegangen waren, oeffnete sich das Dickicht und ein freier Platz empfing uns, der rueckwaerts mit dichtem Gruen geschlossen war. Das Gruen bestand aus Epheu, welcher eine Mauer von grossen Steinen bekleidete, die an ihren beiden Enden riesenhafte Eichen hatte. In der Mitte der Mauer war eine grosse Oeffnung, oben mit einem Bogen begrenzt, gleichsam wie eine grosse Nische oder wie eine Tempelwoelbung. Im Innern dieser Woelbung, die gleichfalls mit Eppich ueberzogen war, ruhte eine Gestalt von schneeweissem Marmor - ich habe nie ein so schimmerndes und fast durchsichtiges Weiss des Marmors gesehen, das noch besonders merkwuerdig wurde durch das umgebende Gruen. Die Gestalt war die eines Maedchens, aber weit ueber die gewoehnliche Lebensgroesse, was aber in der Epheuwand und neben den grossen Eichen nicht auffiel. Sie stuetzte das Haupt mit der einen Hand, den anderen Arm hatte sie um ein Gefaess geschlungen, aus welchem Wasser in ein vor ihr befindliches Becken rann. Aus dem Becken fiel das Wasser in eine in den Sand gemauerte Vertiefung, von welcher es als kleines Baechlein in das Gebuesch lief. Wir standen eine Weile, betrachteten die Gestalt und redeten ueber sie. Eustach und ich kosteten auch mittelst einer alabasternen Schale, die in einer Vertiefung des Epheus stand, von dem frischen Wasser, welches sich aus dem Gefaesse ergoss. Hierauf gingen wir hinter der Eppichwand ueber eine Steintreppe empor und erstiegen einen kleinen Huegel, auf welchem sich wieder Sitze befanden, die von verschiedenen Gebueschen beschattet waren. Gegen das Haus zu aber gewaehrten sie die Aussicht. Wir mussten uns hier wieder ein wenig setzen. Zwischen den Eichen, gleichsam wie in einem gruenen, knorrigen Rahmen erschien das Haus. Mit seinem hohen, steilen Dache von altertuemlichen Ziegeln und mit seinen breiten und hochgefuehrten Rauchfaengen glich es einer Burg, zwar nicht einer Burg aus den Ritterzeiten, aber doch aus den Jahren, in denen man noch den Harnisch trug, aber schon die weichen Locken der Peruecke auf ihn herabfallen liess. Die Schwere einer solchen Erscheinung sprach sich auch in dem ganzen Bauwerke aus. Zu beiden Seiten des Schlosses sah man die Landschaft und hinten das liebliche Blau der Gebirge. Die dunkeln Gestalten der Linden, unter denen wir gesessen waren, befanden sich weiter links und stoerten die Aussicht nicht. "Man hat sehr mit Unrecht in neuerer Zeit die Mauern dieses Schlosses mit der weissgrauen Tuenche ueberzogen", sagte mein Gastfreund, "wahrscheinlich um es freundlicher zu machen, welche Absicht man sehr gerne zu Ende des vorigen Jahrhunderts an den Tag legte. Wenn man die grossen Steine, aus denen die Hauptmauern errichtet sind, nicht bestrichen haette, so wuerde das natuerliche Grau derselben mit dem Rostbraun des Daches und dem Gruen der Baeume einen sehr zusammenstimmenden Eindruck gemacht haben. Jetzt aber steht das Schloss da wie eine alte Frau, die weiss gekleidet ist. Ich wuerde den Versuch machen, wenn das Schloss mein Eigentum waere, ob man nicht mit Wasser und Buersten und zuletzt auf trockenem Wege mit einem feinen Meissel die Tuenche beseitigen koennte. Alle Jahre eine maessige Summe darauf verwendet, wuerde jaehrlich die Aussicht, des widrigen Anblickes erledigt zu werden, angenehm vermehren." "Wir koennen ja den Versuch nahe an der Erde machen und aus der Arbeit einen ungefaehren Kostenanschlag verfertigen", sagte Mathilde; "denn ich gestehe gerne zu, dass mich auch der Anblick dieser Farbe nicht erfreut, besonders, da die Aussenseite der Mauern ganz von Steinen ist, die mit feinen Fugen an einander stossen, und man also bei Erbauung des Hauses auf keine andere Farbe als die der Steine gerechnet hat. Jetzt ist das Schloss von Innen viel natuerlicher und, wenn auch nicht an eine Kunstzeit erinnernd, doch in seiner Art zusammenstimmender als von Aussen." "Das Grau der Mauer mit den grauen Steinsimsen der Fenster, die nicht ungeschickt gegliedert sind, mit der Hoehe und Breite der Fenster, deren Verhaeltnis zu den festen Zwischenraeumen ein richtiges ist, wuerde, glaube ich, dem Hause ein schoeneres Ansehen geben, als man jetzt ahnt", sagte Eustach. Mir fielen bei dieser Aeusserung die Worte ein, welche mein Gastfreund einmal zu mir gesagt hatte, dass alte Geraete in neuen Haeusern nicht gut stehen. Ich erinnerte mich, dass in dem Saale und in den alt eingerichteten Gemaechern dieses Schlosses die hohen Fenster, die breiten Raeume zwischen ihnen und die eigentuemlich gestalteten Zimmerdecken den Geraeten sehr zum Vorteile gereichten, was in Zimmern der neuen Art gewiss nicht der Fall gewesen waere. Als wir so sprachen, kamen Natalie und Gustav, die bei der Nymphe des Brunnens zurueckgeblieben waren, die Steintreppe zu uns empor. Die Angesichter waren sanft geroetet, die dunkeln Augen blickten heiter in das Freie, und die beiden jugendlichen Gestalten stellten sich mit einer anmutigen Bewegung hinter uns. Von diesem Huegel der Eichenaussicht gingen wir weiter in den Garten zurueck und gelangten endlich in das Gemisch von Ahornen, Buchen, Eichen, Tannen und anderen Baeumen, welches wie ein Waeldchen den Garten schloss. Wir gingen in den Schatten ein, und die Freudenaeusserungen und das Geschmetter der Voegel war kaum irgendwo groesser als hier. Wir besuchten Stellen, wo man der Natur nachgeholfen hatte, um diese Abteilung noch angenehmer zu machen, und Gustav zeigte mir Baenke, Tischchen und andere Plaetze, wo er mit Natalien gesessen war, wo sie gelernt, wo sie als Kinder gespielt hatten. Wir gingen an den wunderbar von Licht und Schatten gesprenkelten Staemmen dahin, wir gingen ueber die dunkeln und die leuchtenden Stellen der Sandwege, wir gingen an reichen gruenenden Bueschen, an Ruhebaenken und sogar an einer Quelle vorbei und kamen durch Wendungen, die ich nicht bemerkt hatte, an einer Stelle wieder in den freien Garten zurueck, die an der entgegengesetzten Seite von der lag, bei welcher wir das Waeldchen betreten hatten. Wir liessen jetzt die zwei grossen Eichen links, ebenso die Linden und gingen auf einem anderen Wege in das Schloss zurueck. Das Mittagessen wurde an dem aeusserst schoenen Gruen des Huegels unmittelbar vor dem Hause unter einem Dache von Linnen eingenommen. Am Nachmittage besprachen sich Mathilde und Eustach vorlaeufig ueber das, was in Hinsicht der Beschaedigungen geschehen koennte, welche die neuen Geraete in den Suedzimmern sowie die Fussboeden und zum Teile auch die alten Geraete in den Westzimmern in der Zeit erlitten hatten. Gegen Abend wurden der Meierhof und die Wirtschaftsgebaeude besucht. So wie Mathilde in dem Rosenhause um den weiblichen Anteil des Hauswesens sich bekuemmert, alles, was dahin einschlug, besehen und Anleitungen zu Verbesserungen gegeben hatte: so tat es mein Gastfreund in dem Sternenhofe mit allem, was auf die aeussere Verwaltung des Besitzes Bezug hatte, worin er mehr Erfahrung zu haben schien als Mathilde. Er ging in alle Raeume, besah die Tiere und ihre Verpflegung und besah die Anstalten zur Bewahrung oder Umgestaltung der Wirtschaftserzeugnisse. War mir dieses Verhaeltnis schon in dem Rosenhause ersichtlich gewesen, so war es hier noch mehr der Fall. In den Handlungen meines Gastfreundes und in dem kleinen Teile, den ich von seinen Gespraechen mit Mathilde ueber haeusliche Dinge hoerte, zeigte er sich als ein Mann, der mit der Bewirtschaftung eines grossen Besitzes vertraut ist und die Pflichten, die ihm in dieser Hinsicht zufallen, mit Eifer, mit Umsicht und mit einem Blicke ueber das Ganze erfuellt, ohne eben deshalb die Grenzen zu beruehren, innerhalb welcher die Geschaefte einer Frau liegen. Das geschah so natuerlich, als muesste es so sein und als waere es nicht anders moeglich. Von dem Meierhofe gingen wir in die Wiesen und auf die Felder, welche zu der Besitzung gehoerten. Wir gingen endlich ueber die Grenzen des Besitztumes hinaus, gingen ueber den Boden anderer Menschen, die wir zum Teile arbeitend auf den Feldern trafen und mit denen wir redeten. Wir gelangten endlich auf eine Anhoehe, die eine grosse Umsicht gewaehrte. Wir blieben hier stehen. Das erste, auf das wir blickten, war das Schloss mit seinem gruenen Huegel und im Schosse seiner umguertenden Ahorne und des begrenzenden Gartenwaldes. Dann gingen wir auf andere Punkte ueber. Man zeigte und nannte mir die einzelnen Haeuser, die zerstreut in der Landschaft lagen und durch die Linien von Obstbaeumen, die hier ueberall durch das Land gingen, wie durch gruene Ketten zusammenhingen. Dann kam man auf die entfernteren Ortschaften, deren Tuerme hier zu erblicken waren. In diesem Stoffe konnte ich schon mehr mitreden, da mir die meisten Orte bekannt waren. Als wir aber mit unsern Augen in die Gebirge gelangten, war ich fast der Bewandertste. Ich geriet nach und nach in das Reden, da man mich um verschiedene Punkte fragte, und sah, dass ich Antwort zu geben wusste. Ich nannte die Berge, deren Spitzen erkennbar hervortraten, ich nannte auch Teile von ihnen, ich bezeichnete die Taeler, deren Windungen zu verfolgen waren, zeigte die Schneefelder, bemerkte die Einsattlungen, durch welche Berge oder ganze Gebirgszuege zusammenhingen oder getrennt waren, und suchte die Richtungen zu verdeutlichen, in denen bekannte Gebirgsortschaften lagen oder bekannte Menschenstaemme wohnten. Natalie stand neben mir, hoerte sehr aufmerksam zu und fragte sogar um Einiges. Als die Sonne untergegangen war und die sanfte Glut von den Gipfeln der Hochgebirge sich verlor, gingen wir in das Schloss zurueck. Das Abendessen wurde in dem Speisezimmer eingenommen. So brachten wir mehrere Tage in freundlichem Umgange und in heiteren, mitunter belehrenden Gespraechen hin. Endlich ruesteten wir uns zur Abreise. Am fruehesten Morgen war der Wagen bespannt. Mathilde und Natalie waren aufgestanden, um uns Lebewohl zu sagen. Mein Gastfreund nahm Abschied von Mathilde und Natalie, Eustach und Gustav verabschiedeten sich, und ich glaubte auch einige Worte des Dankes fuer die guetige Aufnahme an Mathilde richten zu muessen. Sie gab eine freundliche Antwort und lud mich ein, bald wieder zu kommen. Selbst zu Natalie sagte ich ein Wort des Abschiedes, das sie leise erwiderte. Wie sie so vor mir stand, begriff ich wieder, wie ich bei ihrem ersten Anblicke auf den Gedanken gekommen war, dass der Mensch doch der hoechste Gegenstand fuer die Zeichnungskunst sei, so suess gehen ihre reinen Augen und so lieb und hold gehen ihre Zuege in die Seele des Betrachters. Wir stiegen in den Wagen, fuhren den gruenen Rasenhuegel hinab, wendeten unsern Weg gegen Norden und kamen spaet in der Nacht im Rosenhause an. Mein Bleiben war nun in diesem Hause nicht mehr lange; denn ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Ich packte meine Sachen ein, bezeichnete die Kisten und Koffer, welchen Weg sie zu nehmen haetten, besuchte alle, von denen ich glaubte, Abschied nehmen zu muessen, dankte meinem Gastfreunde fuer alle Guete und Freundlichkeit, leistete das Versprechen, wieder zu kommen, und wanderte eines Tages ueber den Rosenhuegel hinunter. Da es zu einer Zeit geschah, in welcher Gustav frei war, begleiteten er und Eustach mich eine Stunde Weges. Die Erweiterung Ich ging an den Ort, wo ich meine Arbeiten abgebrochen hatte. Die Leute, welche von meiner Absicht, wieder zu kommen, unterrichtet waren, hatten mich schon lange erwartet. Der alte Kaspar, welcher mein treuester Begleiter auf meinen Gebirgswanderungen war und meistens in einem Ledersacke die wenigen Lebensmittel trug, welche wir fuer einen Tag brauchten, hatte schon mehrere Male in dem Ahornwirtshause um mich gefragt und war gewoehnlich, wie mir die Wirtin sagte, ehe er eintrat, ein wenig auf der Gasse stehen geblieben und hatte auf die vielen Fenster, welche von der hoelzernen Zimmerung des Hauses auf die Ahorne hinausschauten, empor geblickt, um zu sehen, ob nicht aus einem derselben mein Haupt hervorrage. Jetzt sass er wieder bei mir an dem langen Eichtentische unter den gruenen Baeumen, und die andern, denen er Botschaft getan hatte, fanden sich ein. Ich war sehr erfreut und es ruehrte mein Herz, als ich sah, dass diese Leute mit Vergnuegen mein Wiederkommen ansahen und sich schon auf die Fortsetzung der Arbeit freuten. Ich ging sehr ruestig daran, gleichsam als ob mich mein Gewissen draengte, das, was ich durch die laengere Abwesenheit versaeumt hatte, einzubringen. Ich arbeitete fleissiger und taetiger als in allen frueheren Zeiten, wir durchforschten die Bergwaende laengs ihrer Einlagerungen in die Talsohlen und in ihren verschiedenen Hoehepunkten, die uns zugaenglich waren oder die wir uns durch unsere Haemmer und Meissel zugaenglich machten. Wir gingen die Taeler entlang und spaehten nach Spuren ihrer Zusammensetzungen, und wir begleiteten die Wasser, die in den Tiefen gingen, und untersuchten die Gebilde, welche von ihnen aus entlegenen Stellen hergetragen und immer weiter und weiter geschoben wurden. Der Hauptsammelplatz fuer uns blieb das Ahornhaus, und wenn wir auch oft laenger von demselben abwesend waren und in anderen Gebirgswirtshaeusern oder bei Holzknechten oder auf einer Alpe oder gar im Freien uebernachteten, so kamen wir in Zwischenraeumen doch immer wieder in das Ahornhaus zurueck, wir wurden dort als Eingebuergerte betrachtet, meine Leute fanden ihre Schlafstellen im Heu, ich hatte mein bestaendiges wohleingerichtetes Zimmer und hatte ein Gelass, in welches ich meine gesammelten Gegenstaende konnte bringen lassen. Oft, wenn ich von dem Arbeiten ermuedet war oder wenn ich glaubte, in dem Einsammeln meiner Gegenstaende genug getan zu haben, sass ich auf der Spitze eines Felsens und schaute sehnsuechtig in die Landschaftsgebilde, welche mich umgaben, oder blickte in einen der Seen nieder, wie sie unser Gebirge mehrere hat, oder betrachtete die dunkle Tiefe einer Schlucht, oder suchte mir in den Moraenen eines Gletschers einen Steinblock aus und sass in der Einsamkeit und schaute auf die blau oder gruene oder schillernde Farbe des Eises. Wenn ich wieder talwaerts kam und unter meinen Leuten war, die sich zusammenfanden, war es mir, als sei mir alles wieder klarer und natuerlicher. Von einem Jaegersmanne, welcher aber mehr ein Herumstreicher war, als dass er an einem Platze durch lange Zeit als ein mit dem Bezirke und mit dem Wildstande vertrauter Jaeger gedient haette, liess ich mir eine Zither ueber die Gebirge herueber bringen. Er kannte, eben weil er nirgends lange blieb und an allen Orten schon gedient hatte, das ganze Gebirge genau und wusste, wo die besten und schoensten Zithern gemacht wuerden. Er konnte dies darum auch am besten beurteilen, weil er der fertigste und beruehmteste Zitherspieler war, den es im Gebirge gab. Er brachte mir eine sehr schoene Zither, deren Griffbrett von rabenschwarzem Holze war, in welchem sich aus Perlenmutter und Elfenbein eingelegte Verzierungen befanden, und auf welchem die Stege von reinem glaenzenden Silber gemacht waren. Die Bretter, sagte mein Bote, koennten von keiner singreicheren Tanne sein; sie ist von dem Meister gesucht und in guten Zeichen und Jahren eingebracht worden. Die Fuesslein der Zither waren elfenbeinerne Kugeln. Und in der Tat, wenn der Jaegersmann auf ihr spielte, so meinte ich, nie einen suesseren Ton auf einem menschlichen Geraete gehoert zu haben. Selbst was Mathilde und Natalie in dem Rosenhause gespielt hatten, war nicht so gewesen; ich hatte weit und breit nichts gehoert, was an die Handhabung der Zither durch diesen Jaegersmann erinnerte. Ich liess ihn gerne in meiner Gegenwart auf meiner Zither spielen, weil ihm keine so klang wie diese und weil er sagte, sie muesse eingespielt werden. Er wurde mein Lehrer im Zitherspiele, und ich nahm mir vor, da ich sah, dass er meine Zither allen anderen vorzog, ihm, wenn ich Ursache haette, mit unseren Lehrstunden zufrieden zu sein, eine gleiche zu kaufen. Er hatte nehmlich erzaehlt, dass der Meister mehrere aus dem gleichen Holze wie die meinige und in gleicher Art gefertigt habe. Da sie nun ziemlich teuer gewesen war, so schloss ich, dass der Meister die gleichen nicht so schnell werde verkaufen koennen und dass noch eine werde uebrig sein, wenn ich meinem Lehrer zu dem gewoehnlichen Lohne, den ich ihm in Geld zugedacht habe, noch dieses Geschenk wuerde hinzufuegen wollen. Ich begann in demselben Sommer auch, mir eine Sammlung von Marmoren anzulegen. Die Stuecke, die ich gelegentlich fand oder die ich mir erwarb, wurden zu kleinen Koerpern geschliffen, gleichsam dicken Tafeln, die auf ihren Flaechen die Art des Marmors zeigten. Wenn ich groessere Stuecke fand, so bestimmte ich sie ausser dem, dass ich die gleiche Art in Tafeln in die Sammlung tat, zu allerlei Gegenstaenden, zu kleinen Dingen des Gebrauches auf Schreibtischen, Schreinen, Waschtischen oder zu Teilen von Geraeten oder zu Geraeten selbst. Ich hoffte, meinem Vater und meiner Mutter eine grosse Freude zu machen, wenn ich nach und nach als Nebengewinn meiner Arbeiten eine Zierde in ihr Haus oder gar in den Garten braechte; denn ich sann auch darauf, aus einem Blocke, wenn ich einen faende, der gross genug waere, ein Wasserbecken machen zu lassen. Im Lauterthale fand ich einmal Roland, den Bruder Eustachs. Er hatte in einer alten Kirche gezeichnet und war jetzt damit beschaeftigt, im Gasthause des Lauterthales diese Zeichnungen und einige andere, welche er in der Naehe entworfen hatte, mehr in das Reine zu bringen. Es befand sich nehmlich nicht weit von Lauterthal ein einsamer Hof oder eigentlich mehr ein festes, steinernes, schlossartiges Haus, welches einmal einer Familie gehoert hatte, die durch Handel mit Gebirgserzeugnissen und durch immer ausgedehnteren Verkehr in viele Gegenden der Erde wohlhabend und durch Entartung ihrer Nachkommen, durch den Leichtsinn derselben und durch Verschwendung wieder arm geworden war. Einer dieses Geschlechtes hatte das grosse steinerne Haus gebaut. Er gehoerte jetzt einem fremden Herrn aus der Stadt, welcher es seiner Lage und seiner Seltenheiten willen gekauft hatte und es zuweilen besuchte. In dem Hause waren schoene Bauwerke, schoene Steinarbeiten und schoene Arbeiten aus Holz, teils in Zimmerdecken, Tueren und Fussboeden, teils in Geraeten. Die Holzarbeit musste einmal im Gebirge viel bluehender gewesen sein als jetzt. Von diesen Gegenstaenden durfte nichts aus dem Hause gebracht werden, auch wurde von ihnen nichts verkauft. Roland hatte die Erlaubnis erhalten, zu zeichnen, was ihm als zeichnungswuerdig erscheinen wuerde. Dieses Zweckes halber hielt er sich im Lanterthalwirtshause auf. Ich besuchte mit ihm oefter das Haus, und wir gerieten in mannigfache Gespraeche, namentlich, wenn wir abends, nachdem wir beide unser Tagewerk getan hatten, an dem Wirtstische in der grossen Stube zusammen kamen. Ich fand in ihm einen sehr feurigen Mann von starken Entschluessen und von heftigem Begehren, sei es, dass ein Gegenstand der Kunst sein Herz erfuellte oder dass er sonst etwas in den Bereich seines Wesens zu ziehen strebte. Er verliess diese Staette frueher als ich. Ehe mich meine Geschaefte aus der Gegend fuehrten, fand ich noch etwas, das mich meines Vaters willen sehr freute. Kaspar hatte oefters meinen und Rolands Gespraechen zugehoert und mitunter sogar in die Zeichnungen geblickt. Einmal sagte er mir, dass, wenn ich an alten Dingen so ein Vergnuegen haette, er mir etwas zeigen koenne, das sehr alt und sehr merkwuerdig waere. Es gehoere einem Holzknechte, der ein Haus, einen Garten und ein kleines Feldwesen habe, das von seinem Weibe und seinen heranwachsenden Kindern besorgt werde. Wir gingen einmal auf meine Anregung in das Haus hinauf, das jenseits eines Waldarmes mitten in einer trockenen Wiese nicht weit von kleinen Feldern und hart an einem grossen, vereinzelten Steinblocke lag, wie sie sich losgerissen oft im Innern von fruchtbaren Gruenden befinden. Das alte Werk, welches ich hier traf, war die Vertaefelung von zwei Fensterpfeilern, ungefaehr halbmanneshoch. Es war offenbar der Rest einer viel groesseren Vertaefelung, welche in der angegebenen Hoehe auf dem Fussboden laengs der ganzen Waende eines Zimmers herum gelaufen war. Hier bestanden nur mehr die Verkleidungen von zwei Fensterpfeilern; aber sie waren vollkommen ganz. Halberhabne Gestalten von Engeln und Knaben, mit Laubwerk umgeben, standen auf einem Sockel und trugen zarte Simse. Der Besitzer des Haeuschens hatte die zwei Verkleidungen in seiner Prunkstube so aufgestellt, dass sie mit der unverzierten Hoehlung gegen die Stube schauten. In diese Hoehlung hatte er geschnitzte und bemalte Heiligenbilder aus neuerer Zeit gestellt. Vermutlich war das Werk einmal in dem steinernen Hause gewesen und war dort weggekommen, da etwa Nachfolger Veraenderungen machten und Gegenstaende verschleuderten. Der Besitzer des Wiesenhauses sagte uns, dass sein Grossvater die Dinge in einer Versteigerung der Hagermuehle gekauft habe, die wegen Verschwendung des Muellers war eingeleitet worden. Meine Nachfragen um die Ergaenzungen zu diesen Verkleidungen waren vergeblich, und durch Vermittlung Kaspars erkaufte ich von dem Besitzer die uebergebliebenen Reste. Ich liess Kisten machen, legte die gefugten Teile auseinander, packte sie selber ein und sendete sie unterdessen in das Ahornhaus zu meinen anderen Dingen. Ich blieb wirklich in jenem Herbste sehr lange im Gebirge. Es lag nicht nur der Schnee schon auf den Bergen, sondern er deckte auch bereits das ganze Land, und man fuhr schon in Schlitten statt in Waegen, als ich von dem Ahornhause Abschied nahm. Ich hatte alle meine Sachen gepackt und hatte sie voraus gesendet, weil ich im kuenftigen Jahre nicht mehr in diesem freundlichen Hause, sondern irgend wo anders meinen Aufenthalt wuerde aufschlagen muessen. Ich sagte allen meinen Leuten Lebewohl und ging auf der glattgefrorenen Bahn neben dem rauschenden Flusse, der schon Stuecke Ufereis ansetzte, in die ebneren Laender hinaus. Mein Weg fuehrte mich in seinem Verlaufe auf Anhoehen dahin, von welchen ich im Norden die Gegend des Rosenhauses und im Sueden die des Sternenhofes erblicken konnte. In dem weissen Gewande, welches sich ueber die Gefilde breitete und welches von den dunkeln Baendern der Waelder geschnitten war, konnte ich kaum die Huegelgestaltungen erkennen, innerhalb welcher das Haus meines Freundes liegen musste, noch weniger konnte ich die Umgebungen des Sternenhofes unterscheiden, da ich nie im Winter in dieser Gegend gewesen war. Das aber wusste ich mit Gewissheit, in welcher Richtung das Haus liegen muesse, an dem im vergangenen Sommer so viele Rosen geblueht haben und in welcher das Schloss, hinter dem die alten Linden standen und die Quelle floss, an der die weibliche Gestalt aus weissem Marmor Wache hielt. Die wohltuenden Faeden, die mich nach beiden Richtungen zogen, wurden von dem staerkeren Bande aufgehoben, das mich zu den lieben, teuren Meinigen fuehrte. Als ich das flache Land erreicht hatte und an dem Orte eingetroffen war, in welchem mich meine Kisten erwarten sollten, uebergab ich dieselben, die ich unverletzt vorfand, meinem Fraechter zur Befoerderung an den Strom und empfahl sie ihm, besonders die mit den Altertuemern, auf das Angelegentlichste. Am anderen Tage reiste ich in einem Wagen nach. Am Strome liess ich die Kisten sorgfaeltig in ein Schiff bringen und fuhr am naechsten Morgen mit dem nehmlichen Schiffe meiner Vaterstadt zu. Ich langte gluecklich dort an, liess meine Habseligkeiten in unser Haus schaffen, packte zuerst die Kiste mit den Altertuemern aus und war beruhigt, als die Holzschnitzereien unversehrt daraus hervor gingen. Die Freude meines Vaters war ausserordentlich, die Mutter freute sich des Vaters willen, und die Schwester, deren glaenzende Augen bald auf mich, bald auf den Vater schauten, zeigte, dass sie mit mir zufrieden sei. Dieses liess mir manches vergessen, das beinahe wie eine Sorge in meinem Herzen war. Ich befand mich wieder bei meinen Angehoerigen, die mit allen Kraeften ihrer Seele an meinem Wohle Anteil nahmen, und dies erfuellte mich mit Ruhe und einer suessen Empfindung, die mir in der letzten Zeit beinahe fremd geworden war. Ich sah am anderen Tage, als ich in das Speisezimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidungen stand und sie betrachtete. Bald neigte er sich naeher zu ihnen, bald kniete er nieder und befuehlte manches mit der Hand oder untersuchte es genauer mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude, und die weissen Haare, welche unter den dunkeln immer haeufiger auf seinem Haupte zum Vorschein kamen, erschienen mir doppelt ehrwuerdig, und die leichte Falte der Sorge auf seiner Stirne, die in der Arbeit fuer uns auf diesem Sitze seiner Gedanken entstanden war, waehrend ich meiner Freude nachgehen und die Welt und die Menschen geniessen konnte, und waehrend meine Schwester wie eine prachtvolle Rose erbluehen durfte, erfuellte mich beinahe mit einer Andacht. Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er erklaerte ihr die Stellungen der Gestalten, die Fuehrung und die Schwingung der Stengel und der Blaetter und die Einteilung des Ganzen. Die Mutter verstand diese Dinge durch die langjaehrige Uebung viel besser als ich, und ich sah jetzt, dass ich dem Vater etwas weit Schoeneres gebracht habe, als ich wusste. Ich nahm mir vor, im naechsten Fruehlinge viel genauer nach den zu diesen Verkleidungen noch gehoerenden Teilen zu forschen; ich hatte frueher nur im allgemeinen gefragt, jetzt wollte ich aber auf das Sorgfaeltigste in der ganzen Gegend suchen. Nachdem wir noch eine Weile ueber das Werk geredet hatten, fuehrte mich die Mutter durch alle meine Zimmer und zeigte mir, was man waehrend meiner Abwesenheit getan habe, um mir den Winteraufenthalt recht angenehm zu machen. Die Schwester kam dazu, und da die Mutter fortgegangen war, schlang sie beide Arme um meinen Hals, kuesste mich und sagte, dass ich so gut sei und dass sie mich nach Vater und Mutter unter allen Dingen, die auf der Welt sein koennen, am meisten und am ausserordentlichsten liebe. Mir waeren bei dieser Rede bald die Traenen in die Augen getreten. Als ich spaeter in meinem Zimmer allein auf und ab ging, wollte mir mein Herz immer sagen: "Jetzt ist alles gut, jetzt ist alles gut." Ich kaufte mir am andern Tage eine spanische Sprachlehre, welche mir ein Freund, der sich seit mehreren Jahren mit diesen Dingen abgegeben hatte, anriet. Ich begann neben meinen anderen Arbeiten vorerst fuer mich in diesem Buche zu lernen, mir vorbehaltend, spaeter, wenn ich es fuer noetig halten sollte, auch einen Lehrer im Spanischen zu nehmen. Auch fuhr ich nicht nur fort, in den Schauspielen Shakespeares zu lesen, sondern ich wendete die Zeit, die mir von meinen Arbeiten uebrig blieb, auch der Lesung anderer dichterischer Werke zu. Ich suchte die Schriften der alten Griechen und Roemer wieder hervor, von denen ich schon Bruchstuecke waehrend meiner Studienjahre als Pflichterfuellung hatte lesen muessen. Damals waren mir die Gestaltungen dieser Voelker, die ich mit ruhigen und kuehlen Kraeften hatte erfassen koennen, sehr angenehm gewesen, deshalb nahm ich jetzt die Buecher dieser Art wieder vor. Meine Zither gereichte der Schwester zur Freude. Ich spielte ihr die Dinge vor, die ich bereits auf diesen Saiten hervorzubringen im Stande war, ich zeigte ihr die Anfangsgruende, und als fuer uns beide in dieser Uebung auch ein Meister aus der Stadt in das Haus kam, lieh ich ihr die Zither und versprach ihr, eine eben so schoene und gute oder eine noch schoenere und bessere fuer sie aus dem Gebirge zu schicken, wenn sie zu bekommen waere. Ich erzaehlte ihr, dass der Mann, der mir in dem Gebirge Unterricht im Zitherspiele gebe, bei weitem schoener, wenn auch nicht so gekuenstelt spiele als der Meister in der Stadt. Ich sagte, ich wolle in dem Gebirge sehr fleissig lernen und ihr, wenn ich wieder komme, Unterricht in dem erteilen, was ich unterdessen in mein Eigentum verwandelt haette. Unter diesen Beschaeftigungen und unter andern Dingen, welche schon fruehere Winter eingeleitet hatten, ging die kaeltere Jahreszeit dahin. Als die Fruehlingsluefte wehten und die Erde abzutrocknen begann, trat ich meine Sommerwanderung wieder an. Ich waehlte doch abermals das Ahornhaus zu meinem Aufenthalte, wenn ich auch wusste, dass ich oft weit von ihm weggehen und lange von ihm wuerde entfernt bleiben muessen. Es war nur schon zur Gewohnheit geworden, und es war mir lieb und angenehm in ihm. Das erste, was ich vernahm, war, dass ich Botschaft nach meinem Zitherspieljaegersmanne aussandte. Da er ueberall zu finden ist, kam er sehr bald, und wir verabredeten, wie wir unsere Uebungen im Zitherspiele fortsetzen wuerden. Gleichzeitig begann ich die Forschungen nach jenen Teilen der Wandverkleidungen, welche zu den meinem Vater ueberbrachten Pfeilerverkleidungen als Ergaenzung gehoerten. Ich forschte in dem Hause nach, in welchem Roland im vergangenen Sommer gezeichnet hatte, ich forschte bei dem Holzknechte, von welchem mir die Pfeilerverkleidungen waren verkauft worden, ich dehnte meine Forschungen in alle Teile der umliegenden Gegend aus, gab besonders Maennern Auftraege, welche oft in die abgelegensten Winkel von Haeusern und anderen Gebaeuden kommen, wie zum Beispiele Zimmerleuten, Maurern, dass sie mir sogleich Nachricht gaeben, wenn sie etwas aus Holz Geschnitztes entdeckten, ich reiste selber an manche Stellen, um nachzusehen: allein es fand sich nichts mehr vor. Als beinahe nicht zu bezweifeln stellte sich heraus, dass die von mir gekauften Verkleidungen einmal zu dem steinernen Hause der ausgestorbenen Gebirgskaufherren gehoert haben, in welchem sie die Unterwand eines ganzen Saales umgeben haben mochten. Bei einer einmal vorgenommenen sogenannten Verschoenerung spaeterer, verschwenderisch gewordener Nachkommen hat man sie wahrscheinlich weg getan und sie fremden Haenden ueberlassen, die sie in abwechselnden Besitz brachten. Die Pfeilerverkleidungen, welche gleichsam Nischen bildeten, in die man Heiligenbilder tun konnte, sind uebrig geblieben, die anderen geraden Teile sind verkommen oder sogar mutwillig zerschlagen oder verbrannt worden. Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes ging ich auch mit meinem Jaegersmanne von dem Ahornhause ueber das Echergebirge in das Echertal, wo der Meister wohnte, von dem der Jaeger die Zither fuer mich gekauft hatte und von dem ich auch eine fuer meine Schwester kaufen wollte. Dieser Mann verfertigte Zithern fuer das ganze umliegende Gebirge und zur Versendung. Er hatte noch zwei mit der meinigen ganz gleiche. Ich waehlte eine davon, da in der Arbeit und in dem Tone gar keine Verschiedenheit wahrgenommen werden konnte. Der Meister sagte, er habe lange keine so guten Zithern gemacht und werde lange keine solchen mehr machen. Sie seien alle drei von gleichem Holze, er habe es mit vieler Muehe gesucht und mit vielen Schwierigkeiten gefunden. Er werde vielleicht auch nie mehr ein solches finden. Auch werde er kaum mehr so kostbare Zithern machen, da seine entfernten Abnehmer nur oberflaechliche Ware verlangten und auch die Gebirgsleute, die wohl die Guete verstehen, doch nicht gerne teure Zithern kauften. Von dem Zitherspiele, welches mein Jaeger mit mir uebte, schrieb ich mir so viel auf, als ich konnte, um es der Schwester zum Einlernen und zum Spielen zu bringen. Gegen die Zeit der Rosenbluete ging ich in den Asperhof und fand die zwei Zimmer schon fuer mich hergerichtet, welche ich im vorigen Sommer bewohnt hatte. Am ersten Tage erzaehlte mir schon der Gaertner Simon, der von seinem Gewaechshause zu mir herueber gekommen war, dass der Cereus peruvianus in dem Asperhofe sei. Der Herr habe ihn von dem Inghofe gekauft, und da ich gewiss Ursache dieser Erwerbung sei, so muesse er mir seinen Dank dafuer abstatten. Ich hatte allerdings mit meinem Gastfreunde ueber den Cereus geredet, wie ich es dem Gaertner versprochen hatte; aber ich wusste nicht, wie viel Anteil ich an dem Kaufe haette, und sagte daher, dass ich den Dank nur mit Zurueckhaltung annehmen koenne. Ich musste dem Gaertner in das Cactushaus folgen, um den Cereus anzusehen. Die Pflanze war in freien Grund gestellt, man hatte fuer sie einen eigenen Aufbau, gleichsam ein Tuermchen von doppeltem Glas, auf dem Cactushause errichtet und hatte durch Stuetzen oder durch Lenkung der Sonnenstrahlen auf gewisse Stellen des Gewaechses Anstalten getroffen, dass der Cereus, der sich an der Decke des Gewaechshauses im Inghofe hatte kruemmen muessen, wieder gerade wachsen koenne. Ich haette nicht gedacht, dass diese Pflanze so gross sei und dass sie sich so schoen darstellen wuerde. Weil mein Vater an altertuemlichen Dingen eine so grosse Freude hatte, weil ihn die Verkleidungen so sehr erfreut hatten, welche ich ihm im vergangenen Herbste gebracht hatte, so tat ich an meinen Gastfreund, da ich eine Weile in seinem Hause gewesen war, eine Bitte. Ich hatte die Bitte schon laenger auf dem Herzen gehabt, tat sie aber erst jetzt, da man gar so gut und freundlich mit mir in dem Rosenhause war. Ich ersuchte nehmlich meinen Gastfreund, dass er erlaube, dass ich einige seiner alten Geraete zeichnen und malen duerfe, um meinem Vater die Abbilder zu bringen, die ihm eine deutlichere Vorstellung geben wuerden, als es meine Beschreibungen zu tun im Stande waeren. Er gab die Einwilligung sehr gerne und sagte: "Wenn ihr eurem Vater ein Vergnuegen bereiten wollet, so zeichnet und malet, wie ihr wollt, ich habe nicht nur nichts dagegen, sondern werde auch Sorge tragen, dass in den Zimmern, die ihr benuetzen wollt, gleich alles zu eurer Bequemlichkeit hergerichtet werde. Sollte euch Eustach an die Hand gehen koennen, so wird er es gewiss sehr gerne tun." Am folgenden Tage war in dem Zimmer, in welchem sich der grosse Kleiderschrein befand. mit dem ich anfangen wollte, eine Staffelei aufgestellt und neben ihr ein Zeichnungstisch, ob ich mich des einen oder des andern bedienen wollte. Der Schrein war von seiner Stelle weg in ein besseres Licht gerueckt, und alle Fenster bis auf eines waren mit ihren Vorhaengen bedeckt, damit eine einheitliche Beleuchtung auf den Gegenstand geleitet wurde, der gezeichnet werden sollte. Eustach hatte alle seine Farbstoffe zu meiner Verfuegung gestellt, wenn etwa die von mir mitgebrachten irgendwo eine Luecke haben sollten. Das zeigte sich sogleich klar, dass die Zeichnungen jedenfalls mit Farben gemacht werden muessten, weil sonst gar keine Vorstellung von den Gegenstaenden haette erzeugt werden koennen, die aus verschiedenfarbigem Holze zusammengestellt waren. Ich ging sogleich an die Arbeit. Mein Gastfreund hatte auch fuer meine Ruhe gesorgt. So oft ich zeichnete, durfte niemand in das Zimmer kommen, in dem ich war, und so lange sich ueberhaupt meine Geraetschaften in demselben befanden, durfte es zu keinem andern Gebrauche verwendet werden. Um desto mehr glaubte ich meine Arbeit beschleunigen zu muessen. Es waren indessen Mathilde und Natalie in dem Asperhofe angekommen, und sie lebten dort, wie sie im vorigen Jahre gelebt hatten. Ich zeichnete fleissig fort. Niemand stellte das Verlangen, meine Arbeit zu sehen. Eustach hatte ich gebeten, dass ich ihn zuweilen um Rat fragen duerfe, was er bereitwillig zugestanden hatte. Ich fuehrte ihn daher zu Zeiten in das Zimmer, und er gab mir mit vieler Sachkenntnis an, was hie und da zu verbessern waere. Nur Gustav liess Neugierde nach der Zeichnung blicken; nicht dass ihm geradezu eine Aeusserung in dieser Hinsicht entfallen waere; aber da er sich so an mich angeschlossen hatte und da sein Wesen sehr offen und klar war, so erschien es nicht schwer, den Wunsch, den er hegte, zu erkennen. Ich lud ihn daher ein, mich in dem Zimmer zu besuchen, wenn ich zeichnete, und ich richtete es so ein, dass meine Zeichnungszeit in seine freien Stunden fiel. Er kam fleissig, sah mir zu, fragte um allerlei und geriet endlich darauf, auch ein solches Gemaelde versuchen zu wollen. Da mein Gastfreund nichts dawider hatte, so ueberliess ich ihm meine Farben zur Benuetzung, und er begann auf einem Tische neben mir sein Geschaeft, indem er den nehmlichen Schrein abbildete wie ich. Im Zeichnen war er sehr unterrichtet, Eustach war sein Lehrmeister; dieser hatte aber bisher noch immer nicht zugegeben, dass sein Zoegling den Gebrauch der Farben anfange, weil er von dem Grundsatze ausging, dass zuvor eine sehr sichere und behende Zeichnung vorhanden sein muesse. Die Spielerei aber mit dem Schreine - denn es war nichts weiter als eine Spielerei - liess er als eine Ausnahme geschehen. Ich wurde in Kurzem mit der ersten Arbeit fertig. Das Bild sah in den genau und gewissenhaft nachgeahmten Farben fast noch lieblicher und reizender aus als der Gegenstand selber, da alles ins Kleinere und Feinere zusammengerueckt war. Da ich die Zeichnung vollendet hatte, legte ich sie meinem Gastfreunde und Mathilde vor. Sie billigten dieselbe und schlugen einige kleine Aenderungen vor. Da ich die Notwendigkeit derselben einsah, nahm ich sie sogleich vor. Hierauf wurde von ihnen so wie von Eustach die Abbildung fuer fertig erklaert. Nach dem Kleiderschreine nahm ich den Schreibtisch mit den Delphinen vor. Weil ich durch die erste Zeichnung schon einige Fertigkeit erlangt hatte, so ging es bei der zweiten schneller, und alles geriet mit mehr Leichtigkeit und Schwung. Ich war fertig geworden und legte auch diese Abbildung Mathilden, meinem Gastfreunde und Eustach vor. Gustav hatte in der Zeit auch seine Zeichnung des grossen Schreines vollendet und brachte sie herbei. Er wurde ein wenig ausgelacht, und andererseits wurden ihm auch Dinge angegeben, die er noch zu veraendern und hinein zu machen haette. Auch bei mir wurden Verbesserungen vorgeschlagen. Als wir beide mit unsern Ausfeilungen fertig waren, wurden in dem Zimmer, in welchem wir gezeichnet hatten, die Geraete wieder an den Platz gerueckt, und die Staffelei und unsere Malergeraetschaften wurden daraus entfernt. Ich hatte mir in diesem Zimmer nur die zwei Gegenstaende abzubilden vorgenommen. Hierauf versuchte ich noch einige kleinere Gegenstaende. Unterdessen waren manche Leute zum Besuche in das Rosenhaus gekommen, wir selber hatten auch einige Nachbarn aufgesucht, hatten Spaziergaenge gemacht, und an mehreren Abenden sassen wir im Garten oder vor den Rosen oder unter dem grossen Kirschbaume und es wurde von verschiedenen Dingen gesprochen. Eustach sagte mir einmal, da ich von den Geraeten in dem Sternenhofe redete und die Aeusserung machte, dass meinen Vater Abbildungen von ihnen sehr freuen wuerden, es koenne keinen Schwierigkeiten unterliegen, dass ich in dem Sternenhofe ebenso zeichnen duerfe wie in dem Asperhause. Ich ging auf die Sache nicht ein, da ich nicht den Mut hatte, mit Mathilde darueber zu sprechen. Am andern Tage zeigte mir Eustach die Einwilligung an, und Mathilde lud mich auf das Freundlichste ein und sagte, dass mir in ihrem Hause jede Bequemlichkeit zu Gebote stehen wuerde. Ich dankte sehr freundlich fuer die Guete, und nach mehreren Tagen fuhr ich mit den Pferden meines Gastfreundes in den Sternenhof, waehrend Mathilde und Natalie noch in dem Rosenhause blieben. Im Sternenhofe fand ich zu meiner Ueberraschung schon alles zu meinem Empfange vorbereitet. Da Bilder in dem Schlosse waren, hatte man auch mehrere Staffeleien, welche man mir zur Auswahl in das grosse Zimmer gestellt hatte, in welchem die altertuemlichen Geraete standen. Auch ein Zeichnungstisch mit allem Erforderlichen war in das Zimmer geschafft worden. Ich waehlte unter den Staffeleien eine und liess die uebrigen wieder an ihre gewoehnlichen Orte bringen. Den Zeichnungstisch behielt ich zur Bequemlichkeit neben der Staffelei bei mir. Es war nun zum Malen beinahe alles so eingerichtet wie im Asperhofe. Auch durfte ich mir die Geraete, die ich zu zeichnen vorhatte, in das Licht ruecken lassen wie ich wollte. Zum Wohnen und Schlafen hatte man mir das nehmliche Zimmer hergerichtet, in welchem ich bei meinem ersten Besuche gewesen war. Zum Speisen wurde mir der Saal, in dem ich arbeitete, oder mein Wohnzimmer frei gestellt. Ich waehlte das Letzte. Ich betrachtete mir vorerst die Geraete und waehlte diejenigen aus, die ich abbilden wollte. Hierauf ging ich an die Arbeit. Ich malte sehr fleissig, um die Unordnung, welche meine Arbeiten notwendig in dem Hause machen mussten, so kurz als moeglich dauern zu lassen. Ich blieb daher den ganzen Tag in dem Saale, nur des Abends, wenn es daemmerte, oder Morgens, ehe die Sonne aufging, begab ich mich in das Freie oder in den Garten, um einen Gang in der erquickenden Luft zu machen oder gelegentlich auch, stille stehend oder auf einer Ruhebank sitzend, die weite Gegend um mich herum zu betrachten. Oft, wenn ich die Pinsel gereinigt und all das unter Tags gebrauchte Malergeraete geordnet und an seinen Platz gelegt hatte, sass ich unter den alten hohen Linden im Garten und dachte nach, bis das spaete Abendrot durch die Blaetter derselben herein fiel und die Schatten auf dem Sandboden so tief geworden waren, dass man die kleinen Gegenstaende, die auf diesem Boden lagen, nicht mehr sehen konnte. Noch oefter aber war ich auf dem Platze hinter der Epheuwand, von welchem aus das Schloss in die grossen Eichen eingerahmt zu erblicken war und neben und hinter dem Schlosse sich die Gegend und die Berge zeigten. Es war die Stille des Landes, wenn der heitere Spaethimmel sich ueber das Schloss hinzog, wenn die Spitzen von dessen Dachfaehnchen glaenzten, sich in Ruhe das Gruen herum lagerte und das Blau der Berge immer sanfter wurde. Zuweilen, in besonders heissen Tagen, ging ich auch in die Grotte, in welcher die Marmornymphe war, freute mich der Kuehle, die da herrschte, sah das gleiche Rinnen des Wassers und sah den gleichen Marmor, auf dem nur zuweilen ein Lichtchen zuckte, wenn sich ein spaeter Strahl in dem Wasser fing und auf die Gestalt geworfen wurde. In dem Schlosse war es sehr einsam, die Diener waren in ihren abgelegenen Zimmern, ganze Reihen von Fenstern waren durch herabgelassene Vorhaenge bedeckt, und zu dem Hofbrunnen ging selten eine Gestalt, um Wasser zu holen, daher er zwischen den grossen Ahornen eintoenig fortrauschte. Diese Stille machte, dass ich desto mehr der Bewohnerinnen dachte, die jetzt abwesend waren, dass ich meinte, ihre Spuren entdecken zu koennen, und dass ich dachte, ihren Gestalten irgendwo begegnen zu muessen. Besser war es, wenn ich in die Landschaft hinausging. Dort lebten die Klaenge der Arbeit, dort sah ich heitere Menschen, die sich beschaeftigten, und regsame Tiere, die ihnen halfen. Es war eine Art von Verwalter in dem Schlosse, der den Auftrag haben musste, fuer mich zu sorgen, wenigstens tat er alles, was er zu meiner Bequemlichkeit fuer noetig erachtete. Er fragte oft nach meinen Wuenschen, liess mehr Speisen und Getraenke auf meinen Tisch stellen als noetig war, sorgte stets fuer frisches Wasser, Kerzen und andere Dinge, liess eine Menge Buecher, die er aus der Buechersammlung des Schlosses genommen haben mochte, in mein Zimmer bringen und meinte zuweilen, dass es die Hoeflichkeit erfordere, dass er mehrere Minuten mit mir spreche. Ich machte so wenig als moeglich Gebrauch von allen fuer mich in diesem Schlosse eingeleiteten Anstalten und ging nicht einmal in die Meierei, in welcher es sehr lebhaft war, um durch meine Gegenwart oder durch mein Zuschauen nicht jemanden in seiner Arbeit zu beirren. Als ich mit den ausgewaehlten Gegenstaenden fertig war, hoerte ich nicht auf; denn aus ihnen entwickelten sich wieder andere Arbeiten, was seinen Grund darin hatte, dass ein Gegenstand den andern verlangte, was wieder daher ruehrte, dass die Geraete dieses Zimmers und der Nebengemaecher ein Ganzes bildeten, welches man nicht zerstueckt denken konnte. Was mir aber zu statten kam, war die grosse Uebung, die ich nach und nach erlangte, so dass ich endlich in einem Tage mehr vor mich brachte als sonst in dreien. Eustach kam einmal herueber, mich zu besuchen. Ich sah darin ein Zeichen, dass man mir Gelegenheit geben wollte, mich seines Rates zu bedienen. Ich tat dieses auch, freute mich der Worte, die er sprach, und folgte den Ansichten, die er entwickelte. Er erzaehlte mir auch, dass Mathilde und Natalie noch lange in dem Asperhofe zu bleiben gedaechten. Da, wie ich wusste, ihr Besuch in dem vorigen Sommer im Rosenhause viel kuerzer gewesen war, so verfiel ich auf den Gedanken, ob sie nicht etwa gerade darum heuer laenger in demselben verweilten, um mir Musse zu meinen Arbeiten in dem Sternenhofe zu geben. Ob es nun so sei oder nicht, wusste ich nicht, es konnte aber so sein, und darum beschloss ich, mein Malen abzukuerzen. Endlich musste ich doch einmal schliessen, da ich doch nicht alle Gegenstaende abbilden konnte. Ich sagte Eustach die Zeit, in der ich fertig sein wuerde. Er blieb zwei Tage in dem Schlosse, vermass Manches, untersuchte Einiges in manchen Zimmern und kehrte dann wieder in das Rosenhaus zurueck. Ehe ich ganz fertig war, kamen alle vom Asperhofe herueber und blieben einige Tage. Auch Eustach kam wieder mit. Ich legte vor, was ich gemacht hatte, und es geschah das Nehmliche, was in dem Rosenhause geschehen war. Man billigte im Allgemeinen die Arbeit und stellte hie und da etwas aus, was zu verbessern waere. Ich hatte schon zu der Abbildung der Geraete im Asperhofe Oelfarben angewendet, weil ich in Behandlung derselben nach und nach eine groessere Fertigkeit erlangt hatte als in der der Wasserfarben und weil die Wirkung eine viel groessere war. Die Geraete des Sternenhofes hatte ich nun auch mit Oelfarben abgebildet, und diese Abbildungen waren viel gelungener als die im Rosenhause. Ich erkannte die Vorschlaege, welche mir gemacht worden waren, an und bemerkte mir sie zur Ausfuehrung. Eustach ging von dem Sternenhofe wieder in das Rosenhaus zurueck; mein Gastfreund, Mathilde, Natalie und Gustav machten eine kleine Reise. Auch mein Bleiben war nicht mehr lange in dem Schlosse. Ich machte noch fertig, was fertig zu machen war, ich verbesserte, was zu verbessern vorgeschlagen worden war und was mir selber noch in der Zeit als verbessrungswuerdig einfiel und wartete dann ab, bis alles gut getrocknet waere, um es einpacken und fuer den Vater in Bereitschaft halten zu koennen. Da dies geschehen war, dankte ich dem Verwalter sehr verbindlich fuer alle seine Aufmerksamkeit, gab den Maedchen, die fuer mich zu tun gehabt hatten, Geschenke, welche ich mir zu diesem Zwecke schon frueher angeschafft hatte, und bestieg den Wagen, den mir der Verwalter zu meiner Zurueckfahrt in das Rosenhaus zur Verfuegung gestellt hatte. Als ich in dem Rosenhause ankam, traf ich meinen Gastfreund und seine Gesellschaft von der Reise schon zurueckgekehrt an. Ich blieb noch mehrere Tage bei ihnen, nahm dann Abschied und begab mich in das Ahornhaus zu meinen Arbeiten zurueck. Ich suchte diese Arbeiten rasch zu betreiben; aber alles war jetzt anders und nahm eine andere Faerbung in meinem Herzen an. Als ich in dem Fruehling die Hauptstadt verlassen hatte und dem langsam ueber einen Berg empor fahrenden Wagen folgte, war ich einmal bei einem Haufen von Geschiebe stehen geblieben, das man aus einem Flussbette genommen und an der Strasse aufgeschuettet hatte, und hatte das Ding gleichsam mit Ehrfurcht betrachtet. Ich erkannte in den roten, weissen, grauen, schwarzgelben und gesprenkelten Steinen, welche lauter plattgerundete Gestalten hatten, die Boten von unserem Gebirge, ich erkannte jeden aus seiner Felsenstadt, von der er sich losgetrennt hatte und von der er ausgesendet worden war. Hier lag er unter Kameraden, deren Geburtsstaette oft viele Meilen von der seinigen entfernt ist, alle waren sie an Gestalt gleich geworden, und alle harrten, dass sie zerschlagen und zu der Strasse verwendet wuerden. Besonders kamen mir die Gedanken, wozu dann alles da sei, wie es entstanden sei, wie es zusammenhaenge, und wie es zu unserem Herzen spreche. Einmal gelangte ich zu dem See hinunter und betrachtete an dem sonnigen Nachmittage die Tatsache, dass die Schoenheit der absteigenden Berge meistens gegen einen Seespiegel am groessten ist. Koemmt das aus Zufall, haben die abstuerzenden, dem See zueilenden Waesser die Berge so schoen gefurcht, gehoehlt, geschnitten, geklueftet, oder entspringt unsere Empfindung von dem Gegensatze des Wassers und der Berge, wie nehmlich das erste eine weiche, glatte, feine Flaeche bildet, die durch die rauhen absteigenden Riffe, Rinnen und Streifen geschnitten wird, waehrend unterhalb nichts zu sehen ist und so das Raetsel vermehrt wird? Ich dachte bei dieser Gelegenheit: wenn das Wasser durchsichtiger waere, zwar nicht so durchsichtig wie die Luft, doch beinahe so, dann muesste man das ganze innere Becken sehen, nicht so klar wie in der Luft, sondern in einem gruenlichen, feuchten Schleier. Das muesste sehr schoen sein. Ich blieb in Folge dieses Gedankens laenger an dem See, mietete mich in einem Gasthofe ein und machte mehrere Messungen der Tiefe des Wassers an verschiedenen Stellen, deren Entfernung vom Ufer ich mittelst einer Messschnur bezeichnete. Ich dachte, auf diese Weise koennte man annaehernd die Gestalt des Seebeckens ergruenden, koennte es zeichnen und koennte das innere Becken von dem aeusseren durch eine sanftere, gruenlichere Farbe unterscheiden. Ich beschloss, bei einer ferneren Gelegenheit die Messungen fortzusetzen. Diese Bestrebungen brachten mich auf die Betrachtung der Seltsamkeiten unserer Erdgestaltungen. In dem Seegrunde sah ich ein Tal, in dessen Sohle, die sich bei andern Taelern mit dem vieltausendfachen Pflanzenreichtume und den niedergestuerzten Gebirgsteilen fuellt und so einen schoenen Wechsel von Pflanzen und Gestein darstellt, kein Pflanzengrund sich entwickelt, sondern das Geroelle sich sachte mehrt, der Boden sich hebt und die urspruenglichen Klueftungen ausfuellt. Dazu kommen die Stuecke, die unmittelbar von den Waenden in den See stuerzen, dazu kommen die Huegel, die ausser der gewoehnlichen Ordnung von bedeutenden Hochwassern in den See geschoben und von dem nachtraeglichen Wellenschlage wieder abgeflacht werden. In Jahrtausenden und Jahrtausenden fuellt sich das Becken immer mehr, bis einmal, moegen hundert oder noch mehr Jahrtausende vergangen sein, kein See mehr ist, auf der ungeheuren Dicke der Geroellschichten der menschliche Fuss wandelt, Pflanzen gruenen und selbst Baeume stehen. So kannte ich manche Stellen, die einst Seegrund gewesen waren. Der Fluss, der Vater des Sees, hatte sich in seinem Weiterlaufe tiefer gewuehlt, er hatte den Seespiegel niederer gelegt, der Seegrund hatte sich gehoben, bis nichts mehr war als ein Tal, an dem jetzt die Ufer als gruene Waelle in langen Strecken stehen, mit kraeftigen Kraeutern, bluehenden Bueschen und mancher lachenden Wohnung von Menschen prangen, waehrend das, was einmal ein maechtiges Wasser gebildet hatte, jetzt als ein schmales Baendlein in glaenzenden Schlangenlinien durch die Landschaft geht. Ich betrachtete vom See aus die Schichtungen der Felsen. Was bei Kristallen der Blaetterdurchgang ist, das zeigt sich hier in grossen Zuegen. An manchen Stellen ist die Neigung diese, an manchen ist sie eine andere. Sind diese ungeheuren Blaetter einst gestuerzt worden, sind sie erhoben worden, werden sie noch immer erhoben? Ich zeichnete manche Lagerungen in ihren schoenen Verhaeltnissen und in ihren Neigungen gegen die wagrechte Flaeche. Wenn ich so die Blaetter durchging und die Gestaltungen ansah, war es mir wie eine unbekannte Geschichte, die ich nicht entraetseln konnte und zu der es doch Anhaltspunkte geben musste, um die Ahnungen in Nahrung zu setzen. Wenn ich die Stuecke unbelebter Koerper, die ich fuer meine Schreine sammelte, ansah, so fiel mir auf, dass hier diese Koerper liegen, dort andere, dass ungeheure Mengen desselben Stoffes zu grossen Gebirgen aufgetuermt sind und dass wieder in kleinen Abstaenden kleine Lagerungen mit einander wechseln. Woher sind sie gekommen, wie haben sie sich gehaeuft? Liegen sie nach einem Gesetze, und wie ist dieses geworden? Oft sind Teile eines groesseren Koerpers in Menge oder einzeln an Stellen, wo der Koerper selber nicht ist, wo sie nicht sein sollen, wo sie Fremdlinge sind. Wie sind sie an den Platz gekommen? Wie ist ueberhaupt an einer Stelle gerade dieser Stoff entstanden und nicht ein anderer? Woher ist die Berggestalt im Grossen gekommen? Ist sie noch in ihrer Reinheit da oder hat sie Veraenderungen erlitten, und erleidet sie dieselben noch immer? Wie ist die Gestalt der Erde selber geworden, wie hat sich ihr Antlitz gefurcht, sind die Luecken gross, sind sie klein? Wenn ich auf meinen Marmor kam - wie bewunderungswuerdig ist der Marmor! Wo sind denn die Tiere hin, deren Spuren wir ahnungsvoll in diesen Gebilden sehen? Seit welcher Zeit sind die Riesenschnecken verschwunden, deren Andenken uns hier ueberliefert wird? Ein Andenken, das in ferne Zeiten zurueck geht, die niemand gemessen hat, die vielleicht niemand gesehen hat und die laenger gedauert haben als der Ruhm irgend eines Sterblichen. Eine Tatsache fiel mir auf. Ich fand tote Waelder, gleichsam Gebeinhaeuser von Waeldern, nur dass die Gebeine hier nicht in eine Halle gesammelt waren, sondern noch aufrecht auf ihrem Boden standen. Weisse, abgeschaelte, tote Baeume in grosser Zahl, so dass vermutet werden musste, dass an dieser Stelle ein Wald gestanden sei. Die Baeume waren Fichten oder Laerchen oder Tannen. Jetzt konnte an der Stelle ein Baum gar nicht mehr wachsen, es sind nur Kriechhoelzer um die abgestorbenen Staemme, und auch diese selten. Meistens bedeckt Geroelle den Boden oder groessere, mit gelbem Moose ueberdeckte Steine. Ist diese Tatsache eine vereinzelte, nur durch vereinzelte Ortsursachen hervorgebracht? Haengt sie mit der grossen Weltbildung zusammen? Sind die Berge gestiegen, und haben sie ihren Waelderschmuck in hoehere, todbringende Luefte gehoben? Oder hat sich der Boden geaendert, oder waren die Gletscherverhaeltnisse andere? Das Eis aber reichte einst tiefer: wie ist das alles geworden? Wird sich vieles, wird sich alles noch einmal ganz aendern? In welch schneller Folge geht es? Wenn durch das Wirken des Himmels und seiner Gewaesser das Gebirge bestaendig zerbroeckelt wird, wenn die Truemmer herabfallen, wenn sie weiter zerklueftet werden und der Strom sie endlich als Sand und Geschiebe in die Niederungen hinausfuehrt, wie weit wird das kommen? Hat es schon lange gedauert? Unermessliche Schichten von Geschieben in ebenen Laendern bejahen es. Wird es noch lange dauern? So lange Luft, Licht, Waerme und Wasser dieselben bleiben, so lange es Hoehen gibt, so lange wird es dauern. Werden die Gebirge also einstens verschwunden sein? Werden nur flache, unbedeutende Hoehen und Huegel die Ebenen unterbrechen, und werden spaehst diese auseinander gewaschen werden? Wird dann die Waerme in den feuchten Niederungen oder in tiefen, heissen Schluchten verschwinden, so wie die kalte Luft in Hoehen auf die Erde ohne Einfluss sein wird, so dass alle Glieder in unsern Laendern von demselben lauen Stoffe umflossen sind und sich die Verhaeltnisse aller Gewaechse aendern? Oder dauert die Taetigkeit, durch welche die Berge gehoben wurden, noch heute fort, dass sie durch innere Kraft an Hoehe ersetzen oder uebertreffen, was sie von Aussen her verlieren? Hoert die Hebungskraft einmal auf? Ist nach Jahrmillionen die Erde weiter abgekuehlt, ist ihre Rinde dicker, so dass der heisse Fluss in ihrem Innern seine Kristalle nicht mehr durch sie empor zu treiben vermag? Oder legt er langsam und unmerklich stets die Raender dieser Rinde auseinander, wenn er durch sie seine Geschiebe hinan hebt? Wenn die Erde Waerme ausstrahlt und immer mehr erkaltet, wird sie nicht kleiner? Sind dann die Umdrehungsgeschwindigkeiten ihrer Kreise nicht geringer? Aendert das nicht die Passate? Werden Winde, Wolken, Regen nicht anders? Wie viele Millionen Jahre muessen verfliessen, bis ein menschliches Werkzeug die Aenderung messen kann? Solche Fragen stimmten mich ernst und feierlich, und es war, als waere in mein Wesen ein inhaltreicheres Leben gekommen. Wenn ich gleich weniger sammelte und zusammentrug als frueher, so war es doch, als wuerde ich in meinem Innern bei weitem mehr gefoerdert als in vergangenen Zeiten. Wenn eine Geschichte des Nachdenkens und Forschens wert ist, so ist es die Geschichte der Erde, die ahnungsreichste, die reizendste, die es gibt, eine Geschichte, in welcher die der Menschen nur ein Einschiebsel ist und wer weiss es, welch ein kleines, da sie von anderen Geschichten vielleicht hoeherer Wesen abgeloeset werden kann. Die Quellen zu der Geschichte der Erde bewahrt sie selber wie in einem Schriftengewoelbe in ihrem Inneren auf, Quellen, die vielleicht in Millionen Urkunden niedergelegt sind und bei denen es nur darauf ankoemmt, dass wir sie lesen lernen und sie durch Eifer und Rechthaberei nicht verfaelschen. Wer wird diese Geschichte einmal klar vor Augen haben? Wird eine solche Zeit kommen oder wird sie nur der immer ganz wissen, der sie von Ewigkeit her gewusst hat? Von solchen Fragen fluechtete ich zu den Dichtern. Wenn ich von langen Wanderungen in das Ahornhaus zurueck kam oder wenn ich ferne von dem Ahornhause in irgend einem Stuebchen eines Alpengebaeudes wohnte, so las ich in den Werken eines Mannes, der nicht Fragen loeste, sondern Gedanken und Gefuehle gab, die wie eine Loesung in holder Umhuellung waren und wie ein Glueck aussahen. Ich hatte mannigfaltige solcher Maenner. Unter den Buechern waren auch solche, in denen Schwulst enthalten war. Sie gaben die Natur in und ausser dem Menschen nicht so wie sie ist, sondern sie suchten sie schoener zu machen und suchten besondere Wirkungen hervorzubringen. Ich wendete mich von ihnen ab. Wem das nicht heilig ist was ist, wie wird der Besseres erschaffen koennen als was Gott erschaffen hat? In der Naturwissenschaft war ich gewohnt geworden, auf die Merkmale der Dinge zu achten, diese Merkmale zu lieben und die Wesenheit der Dinge zu verehren. Bei den Dichtern des Schwulstes fand ich gar keine Merkmale, und es erschien mir endlich laecherlich, wenn einer schaffen wollte, der nichts gelernt hat. Die Maenner gefielen mir, welche die Dinge und die Begebenheiten mit klaren Augen angeschaut hatten und sie in einem sicheren Masse in dem Rahmen ihrer eigenen inneren Groesse vorfuehrten. Andere gaben Gefuehle in schoener Sittenkraft, die tief auf mich wirkten. Es ist unglaublich, welche Gewalt Worte ueben koennen; ich liebte die Worte und liebte die Maenner und sehnte mich oft nach einer unbestimmten, unbekannten gluecklichen Zukunft hinaus. Die Alten, die ich einst zu verstehen geglaubt hatte, kamen mir doch jetzt anders vor als frueher. Es schien mir, als waeren sie natuerlicher, wahrer, einfacher und groesser als die Maenner der neuen Zeit und als lasse sie der Ernst ihres Wesens und die Achtung vor sich selbst nicht zu den Ueberschreitungen gelangen, welche spaetere Zeiten fuer schoen hielten. Ich trug Homeros, Aeschylos, Sophokles, Thukydides fast auf allen Wanderungen mit mir. Um sie zu verstehen, nahm ich alle griechischen Sprachwerke, die mir empfohlen waren, vor und lernte in ihnen. Am foerderlichsten im Verstehen war aber das Lesen selber. Bei den Alten nahm ich Geschichtschreiber gerne unter Dichter, sie schienen mir dort einander naeher zu stehen als bei den Neuen. Da geriet auch ich auf das Malen. Die Gebirge standen im Reize und im Ganzen vor mir, wie ich sie frueher nie gesehen hatte. Sie waren meinen Forschungen stets Teile gewesen. Sie waren jetzt Bilder, so wie frueher bloss Gegenstaende. In die Bilder konnte man sich versenken, weil sie eine Tiefe hatten, die Gegenstaende lagen stets ausgebreitet zur Betrachtung da. So wie ich frueher Gegenstaende der Natur fuer wissenschaftliche Zwecke gezeichnet hatte, wie ich bei diesen Zeichnungen zur Anwendung von Farben gekommen war, wie ich ja vor Kurzem erst Geraete gezeichnet und gemalt hatte: so versuchte ich jetzt auch, den ganzen Blick, in dem ein Hintereinanderstehendes, im Dufte Schwebendes, vom Himmel sich Abhebendes enthalten war, auf Papier oder Leinwand zu zeichnen und mit Oelfarben zu malen. Das sah ich sogleich, dass es weit schwerer war als meine frueheren Bestrebungen, weil es sich hier darum handelte, ein Raeumliches, das sich nicht in gegebenen Abmessungen und mit seinen Naturfarben, sondern gleichsam als die Seele eines Ganzen darstellte, zu erfassen, waehrend ich frueher nur einen Gegenstand mit bekannten Linienverhaeltnissen und seiner ihm eigentuemlichen Farbe in die Mappe zu uebertragen hatte. Die ersten Versuche misslangen gaenzlich. Dieses schreckte mich aber nicht ab, sondern eiferte mich vielmehr noch immer staerker an. Ich versuchte wieder und immer wieder. Endlich vertilgte ich die Versuche nicht mehr, wie ich frueher getan hatte, sondern bewahrte sie zur Vergleichung auf. Diese Vergleichung zeigte mir nach und nach, dass sich die Versuche besserten und die Zeichnung leichter und natuerlicher wurde. Es war ein gewaltiger Reiz fuer das Herz, das Unnennbare, was in den Dingen vor mir lag, zu ergreifen, und je mehr ich nach dem Ergreifen strebte, desto schoener wurde auch dieses Unnennbare vor mir selbst. Ich blieb so lange in dem Gebirge, als es nur moeglich wurde und als die zunehmende Kaelte einen Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verbot. Im spaetesten Herbste ging ich noch einmal zu meinem Gastfreunde in das Rosenhaus. Es war zur Zeit, da in dem Gebirge schon mannigfaltige Schneelasten auf den Hoehen lagen und das flache Land sich schon jedes Schmuckes entaeussert hatte. Der Garten meines Freundes war kahl, die Bienenhuette war in Stroh eingehuellt, in den laublosen Zweigen schrillte mir noch manche vereinzelte Kohlmeise oder ein Wintervogel, und ueber ihnen zogen in dem grauen Himmel die grauen Dreiecke der Gaense nach dem Sueden. Wir sassen in den langen Abenden bei dem Feuer des Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhuellung und Einwinterung der Gegenstaende, die es bedurften, oder machten an manchem Nachmittage einen Spaziergang, wenn der regsame Nebel die Huegel und die Taeler und die Ebenen umwandelte. Ich zeigte meinem Gastfreunde meine Versuche im landschaftlichen Malen, weil ich es gewissermassen fuer eine Falschheit gehalten haette, ihm nichts von der Veraenderung zu sagen, die in mir vorgegangen war. Ich scheute mich sehr, die Versuche vorzulegen, ich tat es aber doch, und zwar zu einer Zeit, da auch Eustach zugegen war. Als Einleitung erklaerte ich, wie ich nach und nach dazu gekommen waere, diese Dinge zu machen. "Es geht allen so, welche die Gebirge oefter besuchen und welche Einbildungskraft und einiges Geschick in den Haenden haben", sagte mein Gastfreund, "ihr braucht euch deshalb nicht beinahe zu entschuldigen, es war zu erwarten, dass ihr nicht bloss bei eurem Sammeln von Steinen und Versteinerungen bleiben werdet, es ist so in der Natur, und es ist so gut." Die Entwuerfe wurden mit viel mehr Ernst und Genauigkeit durchgenommen, als sie verdienten. Da sowohl mein Gastfreund als auch Eustach jedes Blatt oefter betrachtet hatten, sprachen sie mit mir darueber. Ihr Urteil ging einstimmig darauf hinaus, dass mir das Naturwissenschaftliche viel besser gelungen sei als das Kuenstlerische. Die Steine, die sich in den Vordergruenden befaenden, die Pflanzen, die um sie herum wuchsen, ein Stueck alten Holzes, das da laege, Teile von Geroelle, die gegen vorwaerts saessen, selbst die Gewaesser, die sich unmittelbar unter dem Blicke befaenden, haette ich mit Treue und mit den ihnen eigentuemlichen Merkmalen ausgedrueckt. Die Fernen, die grossen Flaechen der Schatten und der Lichter an ganzen Bergkoerpern und das Zurueckgehen und Hinausweichen des Himmelsgewoelbes seien mir nicht gelungen. Man zeigte mir, dass ich nicht nur in den Farben viel zu bestimmt gewesen waere, dass ich gemalt haette, was nur mein Bewusstsein an entfernten Stellen gesagt, nicht mein Auge, sondern dass ich auch die Hintergruende zu gross gezeichnet haette, sie waeren meinen Augen gross erschienen, und das haette ich durch das Hinaufruecken der Linien angeben wollen. Aber durch Beides, durch Deutlichkeit der Malerei und durch die Vergroesserung der Fernen haette ich die letzteren naeher gerueckt und ihnen das Grossartige benommen, das sie in der Wirklichkeit besaessen. Eustach riet mir, eine Glastafel mit Canadabalsam zu ueberziehen, wodurch sie etwas rauher wuerde, so dass Farben auf ihr haften, ohne dass sie die Durchsichtigkeit verloere und durch diese Tafel Fernen mit den an sie grenzenden naeheren Gegenstaenden mittelst eines Pinsels zu zeichnen, und ich wuerde sehen, wie klein sich die groessten und ausgedehntesten entfernten Berge darstellen und wie gross das zunaechstliegende Kleine wuerde. Dieses Verfahren aber empfehle er nur, damit man zur Ueberzeugung der Verhaeltnisse komme und einen Massstab gewinne, nicht aber, dass man dadurch kuenstlerische Aufnahmen von Landschaften mache, weil durch einen solchen Vorgang die kuenstlerische Freiheit und Leichtigkeit verloren wuerde, welche in Bezug auf Darstellung das Wesen und das Herz der Kunst sei. Das Auge soll nur geuebt und unterrichtet werden, die Seele muesse schaffen, das Auge soll ihr dienen. In Hinsicht der Farbgebung der Fernen riet er mir, dort, wo ich einen Zweifel haette, ob ich etwas saehe oder nur wisse, es lieber nicht anzugeben und ueberhaupt in der Farbe lieber unbestimmter als bestimmter zu sein, weil dadurch die Gegenstaende an Grossartigkeit gewinnen. Sie worden durch die Unbestimmtheit ferner und durch dieses allein groesser. Durch Linien des Zeichnenstiftes auf dem kleinen Papiere oder der kleinen Leinwand koenne man nichts gross machen. Durch Verdeutlichung werden die Koerper naeher gerueckt und verkleinert. Wenn ueberhaupt ein Fehler gegen die Genauigkeit gemacht werden muesse - und kein Mensch koenne Dinge, namentlich Landschaften, in ihrer voelligen Wesenheit geben -, so sei es besser, die Gegenstaende grossartiger und uebersichtlicher zu geben als in zu viele einzelne Merkmale zerstreut. Das erste sei das Kuenstlerischere und Wirksamere. Ich sah sehr gut ein, was sie sagten, und wusste auch, woher die Fehler kaemen, von denen sie redeten. Ich hatte bisher alle Gegenstaende in Hinblick auf meine Wissenschaft gezeichnet, und in dieser waren Merkmale die Hauptsache. Diese mussten in der Zeichnung ausgedrueckt sein und gerade die am schaerfsten, durch welche sich die Gegenstaende von verwandten unterschieden. Selbst bei meinem Zeichnen von Angesichtern hatte ich deren Linien, ihr Koerperliches, ihre Licht- und Schattenverteilung unmittelbar vor mir. Daher war mein Auge geuebt, selbst bei fernen Gegenstaenden das, was sie wirklich an sich hatten, zu sehen, wenn es auch noch so undeutlich war, und dafuer auf das, was ihnen durch Luft, Licht und Duenste gegeben wurde, weniger zu achten, ja diese Dinge als Hindernisse der Beobachtung eher weg zu denken als zum Gegenstande der Aufmerksamkeit zu machen. Durch das Urteil meiner Freunde wurde mir der Verstand ploetzlich geoeffnet, dass ich das, was mir bisher immer als wesenlos erschienen war, betrachten und kennen lernen muesse. Durch Luft, Licht, Duenste, Wolken, durch nahe stehende andere Koerper gewinnen die Gegenstaende ein anderes Aussehen, dieses muesse ich ergruenden, und die veranlassenden Dinge muesse ich, wenn es mir moeglich waere, so sehr zum Gegenstande meiner Wissenschaft machen, wie ich frueher die unmittelbar in die Augen springenden Merkmale gemacht hatte. Auf diese Weise duerfte es zu erreichen sein, dass die Darstellung von Koerpern gelaenge, die in einem Mittel und in einer Umgebung von anderen Koerpern schwimmen. Ich sagte das meinen Freunden, und sie billigten meinen Entschluss. Wenn der Nebel oder ueberhaupt die truebe Jahreszeit einen Blick in die Ferne gestattete, wurde das, was mit Worten gesagt wurde, auch an wirklichen Beispielen eroertert, und wir sprachen ueber die Art und Weise, wie sich die entfernten Gebirge oder Teile von ihnen oder naeher gehende von der Hauptkette sich abloesende Gruende darstellten. Es ist unglaublich, wie sehr ich in jenem kurzen Herbstaufenthalte unterrichtet wurde. Ich sprach mit meinem Gastfreunde auch von den Dichtern, welche ich las, und erzaehlte ihm von dem grossen Eindrucke, welchen ihre Worte auf mich machten. Wir gingen bei Gelegenheit einmal in sein Buecherzimmer, er fuehrte mich vor die Schreine, in welchen die Dichter standen, und zeigte mir, was er in dieser Hinsicht besass. Er sagte auch, ich moechte waehrend des Aufenthaltes in seinem Hause von den Buechern Gebrauch machen, wie ich wollte; ich koennte sie im Lesezimmer benuetzen oder auch in meine Wohnung mit hinuebernehmen. Es waren Werke in den aeltesten Sprachen da, von Indien bis nach Griechenland und Italien, es waren Werke der neueren Zeiten da und auch der neuesten. Am zahlreichsten waren natuerlich die der Deutschen. "Ich habe diese Buecher gesammelt", sagte er, "nicht als ob ich sie alle verstaende; denn von manchen ist mir die Sprache vollkommen fremd; aber ich habe im Verlaufe meines Lebens gelernt, dass die Dichter, wenn sie es im rechten Sinne sind, zu den groessten Wohltaetern der Menschheit zu rechnen sind. Sie sind die Priester des Schoenen und vermitteln als solche bei dem steten Wechsel der Ansichten ueber Welt, ueber Menschenbestimmung, ueber Menschenschicksal und selbst ueber goettliche Dinge das ewig Dauernde in uns und das allzeit Beglueckende. Sie geben es uns im Gewande des Reizes, der nicht altert, der sich einfach hinstellt und nicht richten und verurteilen will. Und wenn auch alle Kuenste dieses Goettliche in der holden Gestalt bringen, so sind sie an einen Stoff gebunden, der diese Gestalt vermitteln muss: die Musik an den Ton und Klang, die Malerei an die Linien und die Farbe, die Bildnerkunst an den Stein, das Metall und dergleichen, die Baukunst an die grossen Massen irdischer Bestandteile, sie muessen mehr oder minder mit diesem Stoffe ringen; nur die Dichtkunst hat beinahe gar keinen Stoff mehr, ihr Stoff ist der Gedanke in seiner weitesten Bedeutung, das Wort ist nicht der Stoff, es ist nur der Traeger des Gedankens, wie etwa die Luft den Klang an unser Ohr fuehrt. Die Dichtkunst ist daher die reinste und hoechste unter den Kuensten. Da ich nun meine, dass es so ist, wie ich sage, so habe ich die Maenner, welche die Stimme der Zeiten als grosse in der Kunst des Dichtens bezeichnete, hier zusammengestellt. Ich habe Dichter in fremden Sprachen, die ich nicht verstand, dazu getan, wenn ich nur wusste, dass sie in der Geschichte ihres Volkes vorzueglich genannt werden, und wenn ich von einem Fachmanne das Zeugnis hatte, dass ich in dem Buche den Dichter besitze, den ich meine. Sie moegen unverstanden hier stehen oder es man wohl einer oder der andere in diesen Saal kommen, der manchen versteht und liest. Ich habe wohl auch solche Buecher hieher gestellt, die mir gefallen, das Urteil der Zeit mag anders lauten oder erst festzustellen sein. In diesen Buechern habe ich viel Glueck gefunden und in dem Alter fast noch mehr als in der Jugend. Wenn auch die Jugend die Worte aus einem goldenen Munde mit einem Sturme und mit Entzuecken aufnimmt, wenn sie auch dieselben mit einer Art Schwaermerei und mit Sehnsucht in dem Busen traegt, so ist es doch fast stets mehr die Waerme des eigenen Gefuehles, die sie empfindet, als dass sie die fremde Weisheit und Groesse in ein besonnenes, betrachtendes, abwaegendes Herz aufnehmen koennte. Ihr seid selber jung, und die Tiefe und Innigkeit der Dichtung mag euch foerdern und euer Herz jedem kuenftigen Grossen oeffnen, wie die reine Dichtkunst das immer an der Jugend tut; aber ihr werdet selber einmal sehen, um wie viel milder und klarer die vergluehende Sonne des Alters in die Groesse eines fremden Geistes leuchtet als die feurige Morgensonne der Jugend, die alles mit ihrem Glanze faerbt, so wie es eine Tatsache ist, dass die innige, wahre und treue Liebe der alternden Gattin fester und dauernder beglueckt als die lodernde Leidenschaft der jungen, schoenen, schimmernden Braut. Die Jugend sieht in der Dichtung die eigene Unbegrenztheit und Unendlichkeit der Zukunft, diese verhuellt die Maengel und ersetzt das Abgaengige. Sie dichtet in das Kunstwerk, was im eignen Herzen lebt. Daher koemmt die Erscheinung, dass Werke von bedeutend verschiedener Geltung die Jugend auf gleiche Art entzuecken koennen, und dass Erzeugnisse hoechster Groesse, wenn sie keine Wiederspieglung der Jugendbluete sind, nicht erfasst werden koennen. In dem Alter werden selbst solche Glanzstellen der Jugend, die schon sehr ferne liegen, wie etwa die Sehnsucht der ersten Liebe mit ihrer Dunkelheit und Grenzenlosigkeit, oder wie die holde und berauschende Seligkeit der Gegenliebe, oder die Traeume kuenftiger Taten und kuenftiger Groesse, der Blick in ein unendliches, erst kommendes Leben, oder wie das erste Stammeln in irgend einer Kunst, von dem Greise in dem sanften Spiegel seiner Erinnerung beglueckender aufgefasst als von dem Juenglinge, der sie in dem Brausen seines Lebens ueberhoert, und an der grauen Wimper mag manche beseligendere und mitunter schmerzlichere Traene haengen als der feurige Funke, der in ueberwaeltigender Empfindung aus dem Auge des Juenglings springt und keine Spur hinterlaesst. Ich lese jetzt selten mehr die groessten Geister im Zusammenhange - mit kleineren tue ich es wohl, weil sie in einzelnen Stellen minder bedeutend sind -, aber ich lese immer in ihnen und werde wohl bis zu meinem Lebensende in ihnen lesen. Sie begleiten mich mit ihren Gedanken wie mit grossen Erquickungen durch den Rest meines Lebens und werden mir wohl, wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kraenze aufhaengen, als waeren sie von meinen eigenen Rosen geflochten. Deshalb gebe ich auch kein Buch aus dem Hause, weil ich nicht weiss, ob ich es nicht in naechster Zeit selber brauchen werde. Im Hause stehen sie jedem, der davon Gebrauch machen will, zu Gebote. Nur fuer Gustav wird eine Auswahl getroffen, weil er noch zu jung ist und nicht alles sondern kann. Er wuerde hier zwar nichts gaenzlich Schlechtes finden; aber nicht alles Gute wuerde er verstehen, und dann waere die daran gewendete Zeit verloren; oder er koennte es missverstehen, und dann waere der Erfolg ein unrichtiger. Das Schlechte, das sich Dichtkunst nennt, ist der Jugend sehr gefaehrlich. In der Wissenschaft zeigt es sich viel leichter auf. In der Mathematik liegt es in der Darstellung, da solche Werke wohl kaum vorkommen duerften, in denen sogar der Stoff fehlerhaft waere, in der Naturwissenschaft liegt es in der Darstellung wie im Stoffe, in welch letzterem es sich in der Gestalt gewagter Behauptungen ausspricht; nur in der sogenannten Weisheitslehre kann es verborgener sein gleichwie in der Dichtkunst, weil manche Weisheitslehre wie Dichtkunst zusammen gestellt ist und wirkt: aber in den Werken der eigentlichen Dichtkunst versteckt es sieh vor dem bluehenden Gemuete des Juenglings, dieser breitet seine Blueten und seine Begierden darueber und saugt das Gift in sich. Ein klarer Verstand, der sich von Kindheit an eben zur Klarheit hingeuebt hat, und ein gutes, reines Herz sind Schutzwehren vor Schlechtigkeit und Sittenlosigkeit von Dichtungen, weil der klare Verstand den hohlen Schwulst von sich abweist und das reine Herz die Unsittlichkeit ablehnt. Aber Beides geschieht nur gegen die Entschiedenheit des Schlechten. Wo es in Reize verhuellt ist und mit Reinem gemischt, dort ist es am bedenklichsten, und da muessen Ratgeber und vaeterliche Freunde zu Hilfe stehen, dass sie teils aufklaeren, teils von vornherein die Annaeherung des Uebels aufhalten. Gegen die Schlechtigkeit in der Darstellung oder gegen die lange Weile braucht man kein Mittel als sie selber. Ihr seid zwar noch jung; aber ihr seid nicht so jung zu dem Lesen von Dichtern gekommen wie die meisten unserer Juenglinge, und ihr habt so viel in Wissenschaften gelernt, dass ich glaube, dass man euch alle Dichter in die Haende geben kann, ohne Gefahr zu befuerchten, selbst bei solchen, die in ihrem Amte sehr zweifelhaft sind. Euer Geist wird sich wohl heraus finden und gerade dadurch noch mehr klaeren. Da ich von der Weisheitslehre sprach, welche man in unserem deutschen Lande noch immer als Weisheitsliebe mit dem griechischen Worte Philosophie bezeichnet, muss ich euch sagen, was ihr wohl vielleicht schon aus anderen Reden von mir gemerkt haben moegt, dass ich nicht gar sehr viel auf sie halte, wenn sie in ihrem eigenen und eigentuemlichen Gewande auftritt. Ich habe alte und neue Werke derselben mit gutem Willen durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der Natur abgegeben, als dass ich auf ledigliche Abhandlungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen koennte, ja sie sind mir sogar widerwaertig. Vielleicht reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegenstande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, so habe ich sie nicht aus den eigentlichsten Weisheitsbuechern, am wenigsten aus den neuen - jetzt lese ich gar keine mehr - gelernt, sondern ich habe sie aus Dichtern genommen oder aus der Geschichte, die mir am Ende wie die gegenstaendlichste Dichtung vorkoemmt." Als ich meinen Gastfreund so reden hoerte, erinnerte ich mich, dass ich ihn in der Tat viel lesen gesehen habe. Oft war er mit einem Buche unter einem schattigen Baume gesessen oder in rauherer Jahreszeit auf einer sonnigen Bank, oft hatte er sich mit einem auf einen Spaziergang begeben, er ist sehr haeufig in dem Lesezimmer gewesen, und er trug Buecher in seine Arbeitsstube. Als wir die letzte Fahrt in den Sternenhof gemacht hatten, hatte er Buecher mitgenommen, und ich glaube von Gustav gehoert zu haben, dass er auf jede Reise Buecher einpacke. Ich ging bei meinem jetzigen Aufenthalte in dem Rosenhause sehr oft in das Buecherzimmer, und wie ich frueher vor den Schraenken gestanden war, die die Werke der Naturwissenschaften enthielten, und wie ich damals manches Buch in das Lesezimmer mitgenommen hatte, so stand ich jetzt vor den Schreinen mit den Dichtern, sah viele einzelne der vorhandenen Buecher an, trug manches in das Lesezimmer oder mit Bewilligung meines Gastfreundes in meine Stube und schrieb mir die Aufschrift von manchem in mein Gedenkbuch, um es mir, wenn ich nach Hause gekommen waere, zu kaufen. Gegen das Ende meines Aufenthaltes, da noch einige sonnige Tage kamen, zeichnete und malte ich auch mehrere Stuecke der schoenen getaefelten Fussboeden, die in diesem Hause anzutreffen waren. Ich tat dies, um dem Vater von allen Dingen, welche ich gesehen hatte, einiger Massen Abbildungen bringen zu koennen. Als es schon bald zu meiner Abreise kam, sagte mein Gastfreund, er haette noch etwas mit mir zu reden, und er sprach: "Weil euch euere Natur selber zum Teile aus dem Kreise herausgezogen hat, den ihr um euch gesteckt habt, weil ihr zu euren frueheren Bestrebungen noch den Einblick in die Dichtungen gesellt habt, so wie ja schon das Landschaftsmalen als ein Uebergang in das Kunstfach ein Schritt aus eurem Kreise war, so erlaubet mir, dass ich als Freund, der euch wohl will, ein Wort zu euch rede. Ihr solltet zu eurem Wesen eine breitere Grundlage legen. Wenn die Kraefte des allgemeinen Lebens zugleich in allen oder vielen Richtungen taetig sind, so wird der Mensch, eben weil alle Kraefte wirksam sind, weit eher befriedigt und erfuellt, als wenn eine Kraft nach einer einzigen Richtung hinzielt. Das Wesen wird dann im Ganzen leichter gerundet und gefestet. Das Streben in einer Richtung legt dem Geiste eine Binde an, verhindert ihn, das Nebenliegende zu sehen und fuehrt ihn in das Abenteuerliche. Spaeter, wenn der Grund gelegt ist, muss der Mann sich wieder dem Einzigen zuwenden, wenn er irgendwie etwas Bedeutendes leisten soll. Er wird dann nicht mehr in das Einseitige verfallen. In der Jugend muss man sich allseitig ueben, um als Mann gerade dann fuer das Einzelne tauglich zu sein. Ich sage nicht, dass man sich in das Tiefste des Lebens in allen Richtungen versenken muesse, wie zum Beispiele in allen Wissenschaften, wie ihr ja selber einmal angefangen habt, das waere ueberwaeltigend oder toetend, ohne dabei moeglich zu sein; sondern dass man das Leben, wie es uns ueberall umgibt, aufsuche, dass man seine Erscheinungen auf sich wirken lasse, damit sie Spuren einpraegen, unmerklich und unbewusst, ohne dass man diese Erscheinungen der Wissenschaft unterwerfe. Darin, meine ich, besteht das natuerliche Wissen des Geistes, zum Unterschiede von der absichtlichen Pflege desselben. Er wird nach und nach gerecht fuer die Vorkommnisse des Lebens. Ihr habt, scheint es mir, zu jung einen einzelnen Zug erfasst, unterbrecht ihn ein wenig, ihr werdet ihn dann freier und grossartiger wieder aufnehmen. Schaut auch die unbedeutenden, ja nichtigen Erscheinungen des Lebens an. Geht in die Stadt, sucht euch deren Vorkommnisse zurecht zu legen, kommt dann zu uns auf das Land, lebt einmal eine Weile muessig bei uns, das heisst tut, was euch der Augenblick und die Neigung eingibt, wir wollen dieses Haus und den Garten geniessen, wollen den Nachbar Ingheim besuchen, wollen auch zu anderen entfernteren Nachbarn gehen und die Dinge an uns vorueber fliessen lassen, wie sie fliessen." Ich dankte ihm fuer seine Bemerkungen, sagte, dass ich selber so etwas Aehnliches in mir empfinde, dass ich wohl etwas unbeholfen gegen das Leben sei, dass meine Eltern und wohlmeinenden Freunde wohl Nachsicht mit mir haben muessen und dass ich fuer jeden Wink dankbar sei. Besonders freue mich die Einladung in sein Haus, und ich werde ihr mit vieler Freude Folge leisten. Als die Zeit meiner Abreise herangekommen war, packte ich die Zeichnungen und alles, was ich in dem Rosenhause hatte, ein, nahm den herzlichsten Abschied von dem alten Manne, Gustav, Eustach, Roland, der gekommen war, verabschiedete mich von allen Bewohnern des Hauses, Gartens und Meierhofes und reisete zu meinen Angehoerigen in die Hauptstadt zurueck. Das Erste, was ich dort nach dem innigsten und aufrichtigsten Bewillkommen sah, war, dass mein Vater das teils glaeserne, teils hoelzerne Haeuschen, in welchem die alten Waffen hingen, um welches sich der Epheu rankte und welches im Grunde den aeussersten Ansatz oder gleichsam einen Erker des rechten Fluegels des Hauses gegen den Garten bildete, in dem vergangenen Sommer hatte umbauen lassen. Er hatte es bedeutend vergroessert, aber die Leisten, Spangen und Rahmen, in denen das Glas befestigt war, hatte er in der frueheren Art gelassen, nur waren sie dem Stoffe nach neu gemacht und mit schoenen Verzierungen und Schnitzereien versehen. Die Simse des Daches waren nach mittelalterlicher Weise verfertigt, schoen geschnitzt und verziert. Der Epheu war wieder an Leisten empor geleitet worden und blickte an manchen Stellen durch das Glas herein. Die Fenster waren nicht mehr nach Aussen und Innen zu oeffnen wie frueher, sondern zum Verschieben. Die groesste Veraenderung aber war die, dass der Vater zwei Saeulen hatte auffuehren lassen, waehrend frueher die beiden Waende, welche nach Aussen geschaut hatten, aus Glas verfertigt gewesen waren. Diese zwei Pfeiler hatten genau die Abmessungen, dass die zwei Verkleidungen, welche ich ihm in dem vorigen Herbste gebracht hatte, auf dieselben passten. Die Verkleidungen waren aber noch nicht auf ihnen, weil das Mauerwerk zuerst austrocknen musste, dass das Holz an demselben keinen Schaden nehmen konnte. Der Vater hatte mir nur den ganzen Plan und die Vorrichtungen zu seiner Ausfuehrung gesagt. So wie es mich einerseits freute, dass der Vater das Holzkunstwerk so schaetzte, dass er eigens zu dem Zwecke, es anbringen zu koennen, das Haeuschen hatte umbauen lassen, so war es mir andererseits erst recht schmerzlich, dass ich die Ergaenzungen zu den Verkleidungen nicht aufzufinden im Stande gewesen war. Ich sagte dem Vater von meinen Bemuehungen und von meinem Leidwesen wegen des schlechten Erfolges. Er und die Mutter troesteten mich und sagten, es sei alles auch in der vorhandenen Gestalt recht schoen, was verschwunden ist und nicht mehr erlangt werden kann, muesse man nicht eigensinnig anstreben, sondern sich an dem, was eine gute Gunst uns noch erhalten habe, freuen. Das Haeuschen werde eine Erinnerung sein, und so oft man sich in demselben, wenn es vollkommen in den Stand gesetzt sein werde, befinden werde, werde einem die Zeit vorschweben, in welcher das Holzwerk gemacht worden sei, und die, in welcher ein lieber Sohn es zur Freude des Vaters ans dem Gebirge gebracht habe. Ich musste mich wohl, obgleich ungern, beruhigen. Es erschien mir jetzt erst recht schoen, wenn die Verkleidungen am ganzen Innern des Haeuschens herum liefen und ueber ihnen einerseits die Pfeiler und andererseits die Fenster schimmerten. Nach einigen Tagen, in welchen die ersten Besprechungen gefuehrt wurden, die nach einer Reise eines Familiengliedes im Schosse einer Familie immer vorfallen, wenn auch die Reise eine jaehrlich wiederkommende ist, legte ich dem Vater, da unterdessen auch meine Koffer und Kisten angekommen waren, die Abbildungen vor, welche ich von den Geraeten und Fussboeden im Rosenhause und im Sternenhofe gemacht hatte. Ich war auf die Wirkung sehr neugierig. Ich hatte einen Sonntag abgewartet, an welchem er Zeit hatte und an welchem er gerne nach dem Mittagessen eine geraume Weile in dem Kreise seiner Familie zubrachte. Ich legte die Blaetter vor ihm auf einem Tische auseinander. Er schien mir bei ihrem Anblick - ich kann sagen - betroffen. Er sah die Blaetter genau au, nahm jedes mehrere Male in die Hand und sagte laengere Zeit kein Wort. Endlich ging seine Empfindung in eine unverhohlene Freude ueber. Er sagte, ich wisse gar nicht, was ich gemacht haette, ich wisse gar nicht, welchen Wert diese Dinge haetten, ich haette in frueherer Zeit die Schoenheit und Zusammenstimmigkeit dieser Dinge mit Worten gar nicht so in das rechte Licht gestellt, wie es sich jetzt in Farbe und Zeichnung, wenn auch beides mangelhaft waere, beurkunde. Im ersten Augenblicke hielt der Vater die Geraete, welche ich in dem Sternenhofe abgebildet hatte, fuer wirklich alte; als ich ihn aber auf die tatsaechlichen Verhaeltnisse derselben aufmerksam machte, sagte er, das muesse ein ausserordentlicher Mensch sein, der diese Entwuerfe gemacht habe, er muesse nicht nur mit der alten Bauart und Zusammenstellung der Geraete sehr vertraut sein, sondern er muesse auch ein ungewoehnliches Schoenheitsgefuehl haben, um aus der Menge der ueberlieferten Gestalten das zu waehlen, was er gewaehlt habe. Und die Zusammenreihung der Geraete sei so aus einem Gusse, als waeren sie einstens zu einem Zweck und in einer Zeit verfertigt worden. Auch die wirklich alten Geraete im Rosenhause seien von einer Schoenheit, wie er sie nie gesehen habe, obgleich ihm die vorzueglichsten und beruehmtesten Sammlungen der Stadt und mancher Schloesser bekannt waeren. Zwei so auserlesene Stuecke wie den grossen Kleiderschrein und den Schreibschrein mit den Delphinen duerfte man kaum irgendwo finden. Sie waeren wert, in einem kaiserlichen Gemache zu stehen. Ich erzaehlte ihm, um den Mann, der die Entwuerfe fuer den Sternenhof gemacht hatte, naeher zu bezeichnen, dass ich viele Bauzeichnungen und Zeichnungen von anderen Dingen in dem Rosenhause gesehen habe, welche weit hoehere Gegenstaende darstellen und auch mit einer ungleich groesseren Vollendung ausgefuehrt seien, als ich bei meinen Abbildungen anzubringen im Stande gewesen waere. Diese Arbeiten seien bei dem Manne Vorbildungen gewesen, damit er die Entwuerfe haette machen koennen, die er gemacht habe. Er schien auf meine Worte nicht zu achten, sondern legte irgend ein Blatt hin, nahm ein anderes auf und betrachtete es. "So weit ich aus den Abbildungen urteilen kann", sagte er, "sind die altertuemlichen Gegenstaende, welche du mir da veranschaulicht hast, nicht nur an sich sehr vortrefflich, sondern sie sind auch hoechst wahrscheinlich, wie Farbe und Zeichnung dartut, sehr zweckmaessig wieder hergestellt. Meine Habseligkeiten sinken dagegen zu Unbedeutenheiten herab, und ich sehe aus diesen Blaettern, wie man die Sache anfassen muss, wenn man die Zeit, die Kenntnisse und die Mittel dazu hat." Mich freute es jetzt recht sehr, dass ich auf den Gedanken gekommen war, dem Vater diese Dinge nachzubilden, um ihm eine Vorstellung von ihnen zu geben; mich freute sein Anteil, den er an ihnen nahm, und die Freude, die er darueber hatte. "Es sind nun zwei Wege, die zu gehen sind", meinte die Mutter, "entweder kannst du dir nach diesen Gemaelden die Dinge, die sie darstellen, machen lassen, um dich immerwaehrend daran zu ergoetzen, oder du kannst in den Asperhof und Sternenhof reisen und sie in Wirklichkeit sehen, um eine Freude zu haben, so lange du sie siehst, und in der Erinnerung dich zu laben, wenn du wieder weggereist bist." Der Vater antwortete: "Die Geraete, die hier gezeichnet sind, nachmachen zu lassen, ist eine Unzukoemmlichkeit; denn erstens muesste hiezu die Einwilligung des Eigentuemers erlangt werden, und wenn sie auch erlangt worden waere, so haetten zweitens die nachgebildeten Gegenstaende in meinen Augen nicht den Wert, den sie haben sollten, weil sie doch nur, wie die Maler sagen, Copien waeren. Es boete sich auch noch der Gedanke, mit Einwilligung des Eigentuemers nach diesen Abbildungen neue Zusammenstellungen entwerfen und in Wirklichkeit ausfuehren zu lassen; allein das verlangt eine so grosse Geschicklichkeit, welche ich nicht nur mir nicht zutraue, sondern welche ich auch an den Arbeitern in aehnlichen Dingen, die ich in unserer Stadt kenne, nicht aufzufinden hoffe. Und zuletzt waeren die verfertigten Gegenstaende doch noch immer nichts mehr als halbe Copien. Das Verfertigen geht also nicht. Was deinen zweiten Weg anbelangt, Mutter, so werde ich ihn gewiss gehen. Ich habe mir schon frueher bei den Erzaehlungen von diesen Dingen vorgenommen, die Reise zu ihnen zu machen; jetzt aber, da ich die Abbildungen sehe, werde ich die Reise nicht nur um so gewisser, sondern auch in viel naeherer Zeit machen, als es wohl sonst haette geschehen koennen." "Das wird recht schoen sein", riefen wir fast alle aus einem Munde. Die Mutter sagte: "Du solltest gleich die Zeit bestimmen und solltest gleich mit deinem Sohne verabreden, dass er dich in derselben zu dem alten Manne in das Rosenhaus fuehre, welcher dich schon auch in den Sternenhof geleiten wuerde." "Nun, so draenget nur nicht", erwiderte er, "es wird geschehen, das ist genug; binden, wisst ihr, kann sich ein Mann nicht, der von seinem Geschaefte abhaengt und nicht wissen kann, welche Umstaende einzutreten vermoegen, die von ihm Zeit und Handlungen fordern." Die Mutter kannte ihn zu gut, um weiter in ihn zu dringen, er wuerde bei seinem ausgesprochenen Satze geblieben sein. Sie beruhigte sich mit dem Erlangten. Sowohl sie als die Schwester dankten mir, dass ich dem Vater die Bilder gebracht hatte, die ihm ein solches Vergnuegen bereiteten. "Die Fussboeden muessen auch vortrefflich sein", rief er aus. "Sie sind viel schoener als die ungefaehre Malerei andeuten kann", erwiderte ich, "mein Pinsel kann noch immer nicht den Glanz und die Zartheit und das Seidenartige der Holzfasern ausdruecken, was man alles dort so liebt, dass nur mit Filzschuhen auf diesen Boeden gegangen werden darf." "Das kann ich mir denken", antwortete er, "das kann ich mir denken." Hierauf musste ich ihm alle Hoelzer nennen, die hier mit Farben angegeben waren und aus denen die abgebildeten Gegenstaende bestanden. Die meisten kannte er ohnehin, was mich freute, weil es der Beweis war, dass ich die Farben nicht unsachgemaess angewendet habe. Die er nicht kannte, nannte ich ihm. Ich wusste sie fast alle ganz genau anzugeben. Er verwunderte sich wieder und immer aufs Neue und suchte sich die Gegenstaende recht lebhaft vorzustellen. Die Mutter und Schwester fragten mich, ob ich recht lange zu dieser Arbeit gebraucht haette und ob ich nicht dabei beklommen gewesen waere. Ich antwortete, dass ich des Zweckes willen sehr fleissig gewesen sei, dass es anfaenglich langsam gegangen sei, dass ich aber nach und nach Uebung erlangt haette und dass ich dann weit schneller vorwaertsgekommen sei, als ich selber geahnt habe. Und was die Beklemmung anbelangt, so haette ich sie freilich im Anfange gehabt; aber da die Dinge einmal auf mich gewirkt haetten, da ich in Eifer geraten waere, da sich hie und da ein Gelingen eingestellt haette, namentlich da mir durch die Entschiedenheit der Erscheinung mancher Holzgattung die Farbe gleichsam von selber in die Hand gegeben worden waere, so haette sich bald die Unbefangenheit eingefunden und nach und nach sich die Lust hinzu gesellt. Nach diesen Worten zeigte mir der Vater auch manchen Fehler, den ich in den Arbeiten gemacht haette, und setzte mir auseinander, wie ich selbe, falls ich wieder aehnliche Dinge entwerfen sollte, vermeiden koennte. Da er Gemaelde hatte, da er sich seit Jahren mit denselben beschaeftigt hatte, so durfte ihm wohl ein Urteil in dieser Hinsicht zugewachsen sein, und ich erkannte das, was er sagte, als vollkommen richtig an und glaubte mich aber auch befaehigt zu fuehlen, es in Zukunft besser zu machen. Nach den Fehlern ging der Vater auch auf die Vorzuege der Arbeit ueber und sagte, dass er nach den Zeichnungen von Koepfen, die ich vor einiger Zeit gemacht haette, zu schliessen, von mir nicht erwartet haette, dass ich etwas so Sachgemaesses in Oelfarben wuerde ausfuehren koennen. Dieser Sonntagsnachmittag war eine sehr liebe, angenehme Zeit. Die Freundlichkeit der Schwester, die sie besonders an diesem Nachmittage an den Tag legte, war mir ein schoenerer Lohn, als wenn ein Kenner gesagt haette, dass meine Blaetter ausgezeichnet seien, das Lob der Mutter, dass ich auf den Vater und das vaeterliche Haus gedacht habe und aus Liebe zu beiden, um Freude zu bereiten, eine beschwerliche Arbeit unternommen habe, erregte mir die angenehmsten Gefuehle, und da auch der Vater mit einigen gewaehlten Worten seinen Dank aussprach und sagte, dass er dieses Zartgefuehl nicht vergessen werde, konnte ich nur mit grosser Gewalt die Traenen bemeistern. Ich gab ihm alle Blaetter als Eigentum, und er reihte sie seiner Sammlung von Merkwuerdigkeiten ein. Am naechsten Tage packte ich die Zithern aus, legte beide der Schwester vor und liess ihr die Wahl, ob sie die meinige oder die neuangekaufte als fuer sie gehoerig annehmen wolle. Sie waehlte die neue und freute sich darueber sehr. Ich zeigte ihr auch die Stuecke, welche ich mir nach dem Spiele meines Gebirgslehrmeisters geschrieben hatte, und liess sie ihr in ihrem Zimmer, dass sie sie abschreiben lassen koenne und dass sie ihre Uebungen darnach begoenne. Ich versprach ihr, in diesem Winter ihr Lehrer in dieser Kunst zu sein. Nach einiger Zeit brachte ich auch meine Malereien von Gebirgslandschaften zum Vorscheine. Ich hatte bis dahin immer nicht den Mut dazu gehabt; aber endlich machte mir mein Gewissen zu bittere Vorwuerfe, dass ich gegen meine Angehoerigen Heimlichkeiten habe. Ich zeigte meinem Vater die Blaetter auch an einem Sonntagsnachmittage. Ich blickte ihm erstaunt in das Angesicht, als er dieselben gesehen hatte und das Nehmliche sagte, was mein Gastfreund im Rosenhause und was Eustach gesagt hatten. Bei diesen letzten beiden hatte es mich nicht gewundert, da ich sie fuer Kenner hielt und da sie Gebirgsbewohner waren. Der Vater aber, der zwar Bilder besass, war ein Kaufherr und war nie lange in dem Gebirge gewesen. Es erhoehte dies meine Ehrfurcht gegen ihn noch mehr. Er zeigte mir, wo ich unwahr gewesen war, und setzte mir auseinander, wie es haette sein sollen, was ich augenblicklich begriff. Das was er lobte und richtig fand, gefiel mir selber nachher doppelt so wohl. Klotilden musste ich die Blaetter noch einmal und allein in ihrem Zimmer zeigen. Sie verlangte, dass ich ihr beinahe alles erklaere. Sie war nie in hoeherem oder im Urgebirge gewesen, sie wollte sehen, wie diese Dinge beschaffen seien, und sie reizten ihre Aufmerksamkeit sehr. Obgleich meine Malereien keine Kunstwerke waren, wie ich jetzt immer mehr einsah, so hatten sie doch einen Vorzug, den ich erst spaeter recht erkannte und der darin bestand, dass ich nicht wie ein Kuenstler nach Abrundung noch zusammenstimmender Wirkung oder Anwendung von Schulregeln rang, sondern mich ohne vorgefasster Einuebung den Dingen hingab und sie so darzustellen suchte, wie ich sie sah. Dadurch gewannen sie, was sie auch an Schmelz und Einheit verloren, an Naturwahrheit in einzelnen Stuecken und gaben dem Nichtkenner und dem, der nie die Gebirge gesehen hatte, eine bessere Vorstellung als schoene und kuenstlerisch vollendete Gemaelde, wenn sie nicht die vollendetsten waren, die dann freilich auch die Wahrheit im hoechsten Masse trugen. Aus diesem Grunde sagte mir Klotilde durch eine Art unbewusster Ahnung, sie wisse jetzt, wie die Berge aussehen, was sie aus vielen und guten Bildern nicht gewusst haette. Sie aeusserte auch den Wunsch, einmal die hohen Berge selber sehen zu koennen, und meinte, wenn der Vater die Reise in das Rosenhaus und in den Sternenhof mache und bei dieser Gelegenheit auch die Gebirge besuche, werde sie ihn bitten, sie mitreisen zu lassen. Ich erzaehlte ihr nun recht viel von den Bergen, beschrieb ihr ihre Herrlichkeit und Groesse, machte sie mit manchen Eigentuemlichkeiten derselben bekannt und setzte ihr meine verschiedenen Reisen in denselben und meine Bestrebungen ausfuehrlicher als sonst auseinander. Ich hatte nie so viel von den Gebirgen mit ihr geredet. Nach diesen Worten verlangte sie auch, dass ich sie unterrichte, ebensolche Abbildungen verfertigen zu koennen, wie sie hier vor ihr liegen. Sie wolle sich Farben und alle andere dazu notwendigen Geraetschaften verschaffen. Da sie ohnehin ziemlich gut zeichnen konnte, so war die Sache nicht so schwierig als sie beim ersten Anscheine ausgesehen hatte. Ich versprach ihr meinen Beistand, wenn die Eltern einwilligen wuerden. Wir fragten nach einiger Zeit die Eltern. Sie hatten im Ganzen nichts dagegen, nur die Mutter verlangte ausdruecklich, dass diese Arbeiten nur Nebendinge sein sollen, Dinge zum Vergnuegen, nicht Hauptbeschaeftigungen; denn die Hauptpflicht des Weibes sei ihr Haus, diese Dinge koennen zwar auch recht wohl in das Haus gehoeren; aber einseitig oder gar mit Leidenschaft betrieben, untergraben sie eher das Haus, als sie es bauen helfen. Klotilde aber sei schon so alt, dass sie sich ihrem kuenftigen Berufe zuwenden muesse. Wir begriffen das alles und versprachen, nichts ins Uebermass gehen lassen zu wollen. Es wurden alle Erfordernisse angeschafft, und wir begannen in gegoennten Zeiten die Arbeit. Auch spanisch wollte die Schwester von mir lernen. Ich betrieb es fort, und da ich ihr voraus war, wurde ich auch hierin ihr Lehrer, was die Mutter mit derselben Einschraenkung wie das Landschaftsmalen gelten liess. Es waren also in unserem Hause fuer dieses Jahr mehr Beschaeftigungen fuer mich vorhanden als in anderen Zeiten. Es war mir in jenem Herbste besonders wunderbar, dass weder Vater noch Mutter genauer nach meinem Gastfreunde fragten. Sie mussten entweder nach meinen Erzaehlungen ein entschiedenes Vertrauen in ihn setzen oder sie wollten durch zu vieles Einmischen die Unbefangenheit meiner Handlungen nicht stoeren. Bei allen haeuslichen Bestrebungen fing ich bei dem herannahenden Winter doch ein etwas anderes Leben an, als ich es bisher gefuehrt hatte, und zwar ein etwas mannigfaltigeres. Ich hatte in vergangener Zeit nur solche Stadtkreise besucht, in welche meine Eltern geladen worden waren oder in welche ich durch Freunde, die ich gewann, gezogen wurde. Diese Kreise bestanden groesstenteils aus Leuten von aehnlichem Stande mit dem meines Vaters. Ich spuerte Neigung in mir, nun auch Sitten und Gebraeuche so wie Ansichten und Meinungen solcher Menschen kennen zu lernen, die sich auf glaenzenderen Lebenswegen befanden. Der Zufall gab bald hier, bald da Gelegenheit dazu, und teils suchte ich auch Gelegenheiten. Es geschah, dass ich Bekanntschaften machte und mitunter auch fortsetzen konnte. Ich lernte Leute von hoeherem Adel kennen, lernte sehen, wie sie sich bewegen, wie sie sich gegenseitig behandeln und wie sie sich gegen solche, die nicht ihres Standes sind, benehmen. Es lebte eine alte, edle, verwittwete Fuerstin in unserer Stadt, deren zu frueh verstorbener Gemahl den Oberbefehl in den letzten grossen Kriegen gefuehrt hatte. Sie war haeufig mit ihm im Felde gewesen und hatte da die Verhaeltnisse von Kriegsheeren und ihren Bewegungen kennen gelernt, sie war in den groessten Staedten Europas gewesen und hatte die Bekanntschaft von Menschen gemacht, in deren Haenden die ganzen Zustaende des Weltteiles lagen, sie hatte das gelesen, was die hervorragendsten Maenner und Frauen in Dichtungen, in betrachtenden Werken und zum Teile in Wissenschaften, die ihr zugaenglich waren, geschrieben haben, und sie hatte alles Schoene genossen, was die Kuenste hervorbringen. Einstens war sie in den hoeheren Kreisen eine der ausserordentlichsten Schoenheiten gewesen, und noch jetzt konnte man sich kaum etwas Lieblicheres denken als die freundlichen, klugen und innigen Zuege dieses Angesichtes. Ein Mann, der sich viel mit Gemaelden und ihrer Beurteilung abgab und oft in die Naehe der Fuerstin kam, sagte einmal, dass nur Rembrandt im Stande gewesen waere, die feinen Toene und die kunstgemaessen Uebergaenge ihres Angesichtes zu malen. Sie hatte jetzt eine Wohnung an der Ostgrenze der innern Stadt, damit die Morgensonne ihre Zimmer fuellte und damit sie den freien Blick ueber das frische Gruen und auf die entfernten Vorstaedte haette. Bluehende Soehne in hohen kriegerischen Wuerden besuchten die alte, ehrwuerdige Mutter hier, so oft ihr Dienst ihre Anwesenheit in der Stadt gestattete und so oft waehrend dieser Anwesenheit ein Augenblick es erlaubte. Schoene Enkel und Enkelinnen gingen bei ihr aus und ein, und eine zahlreiche Verwandtschaft wurde bald in diesen, bald in jenen Mitgliedern in ihren Zimmern gesehen. Aber geistige Erholung oder Anstrengung - wie man den Ausdruck nehmen will - war ihr ein Beduerfnis geblieben. Sie wollte nicht bloss das wissen, was jetzt noch auf den geistigen Gebieten hervor gebracht wurde, und in dieser Beziehung, wenn irgend ein Werk Ruhm erlangte und Aufsehen machte, suchte sie auch an dessen Pforte zu klopfen und zu sehen, ob sie eintreten koennte; sondern sie nahm oft auch ein Buch von solchen Personen in die Hand, die in ihre Jugendzeit gefallen und dort bedeutsam gewesen waren, sie ging das Werk durch und forschte, ob sie auch jetzt noch die zahlreichen, mit Rotstift gemachten Zeichen und Anmerkungen wieder in derselben Art machen oder ob sie andere an ihre Stelle setzen wuerde; ja sie nahm Werke der aeltesten Vergangenheit vor, die jetzt die Leute, ausser sie waeren Gelehrte, nur in dem Munde fuehren, nicht lesen; sie wollte doch sehen, was sie enthielten, und wenn sie ihr gefielen, wurden sie nach manchen Zwischenzeiten wieder hervorgeholt. Von dem, was in den Verhaeltnissen der Staaten und Voelker vorging, wollte sie bestaendig unterrichtet sein. Sie empfing daher von manchen ihrer Verwandten und Bekannten Briefe, und die vorzueglichsten Zeitungsblaetter mussten auf ihren Tisch kommen. Weil aber, obwohl ihre Augen noch nicht so schwach waren, das viele Lesen, das sie sich hatte auflegen muessen, bei ihrem Alter doch haette beschwerlich werden koennen, hatte sie eine Vorleserin, welche einen Teil, und zwar den groessten, des Lesestoffes auf sich nahm und ihr vortrug. Diese Vorleserin war aber keine blosse Vorleserin, sondern vielmehr eine Gesellschafterin der Fuerstin, die mit ihr ueber das Gelesene sprach und die eine solche Bildung besass, dass sie dem Geiste der alten Frau Nahrung zu geben vermochte, so wie sie von diesem Geiste auch Nahrung empfing. Nach dem Urteile von Maennern, die ueber solche Dinge sprechen koennen, war die Gesellschafterin von ausserordentlicher Begabung, sie war im Stande, jedes Grosse in sich aufzunehmen und wiederzugeben, so wie ihre eigenen Hervorbringungen, zu denen sie sich zuweilen verleiten liess, zu den beachtenswertesten der Zeit gehoerten. Sie blieb immer um die Fuerstin, auch wenn diese im Sommer auf ein Landgut, das in einem entfernten Teile des Reiches lag und ihr Lieblingsaufenthalt war, ging, oder wenn sie sich auf Reisen befand oder eine Zeit an einer schoenen Stelle unsers Gebirges weilte, wie sie gerne tat. An manchen Abenden zu der Zeit, da sie in der Stadt war, sammelte die Fuerstin einen kleinen Kreis um sich, in welchem entweder etwas vorgelesen wurde oder in welchem man ueber wissenschaftliche oder gesellige oder Staatsdinge oder Dinge der Kunst sprach. Die Kreise waren regelmaessig an gleichen Tagen der Woche, sie waren in der Stadt bekannt, wurden sehr hoch geachtet oder verspottet, wie eben der Beurteilende war, wurden gesucht und bestanden zuweilen aus sehr bedeutenden Personen. In diese Kreise hatte ich Zutritt erlangt. Die Fuerstin hatte mich einige Male getroffen, es war einmal von meiner Wissenschaft die Rede gewesen, sie war sehr neugierig, was man denn von der Geschichte der Erdbildung wisse und aus welchen Umstaenden man seine Schluesse ziehe, und sie hatte mich in ihre Naehe gezogen. Ich hoerte aufmerksam zu, wenn ich an den bestimmten Abenden in ihrem Gesellschaftszimmer war, sprach selber wenig und meistens nur, wenn ich dazu aufgefordert wurde. Die Fuerstin sass in schwarzem oder aschgrauem Seidenkleide - lichtere trug sie nie - in ihrem Polsterstuhle und hatte einen Schemel unter ihren Fuessen. Die Lampe trug gegen ihre Seite hin einen gruenen Schirm und goss ihr Licht in die Gegend der Vorleserin oder des Vorlesers, wenn eben gelesen wurde. Die Andern sassen nach ihrer Bequemlichkeit herum. Meistens bildete sich von selber eine Art Kreis. Man hoerte in tiefer Stille dem Vorlesen zu und nahm an den Gespraechen, die nach dem Lesen folgten oder die, wenn gar keine Vorlesung war, den ganzen Abend erfuellten, den eifrigsten Anteil. Die Fuerstin konnte ihnen den lebhaftesten und tiefsten Fortgang geben. Es schien, dass das, was die vorzueglichsten Maenner in ihrer Gegenwart sprachen, von ihr angeregt wurde und dass ihre groesste Gabe darin bestand, das, was in Anderen war, hervor zu rufen. Sie sass dabei mit ihrer aeusserst zierlichen Gestalt auf die anmutigste Weise in ihrem Stuhle und bewegte noch als hochbetagte Frau die Gesellschaft mit ihrer herrlichen Schoenheit. Zuweilen, wenn sich ihr Inneres erregte, stand sie auf, hielt sich an ihrem Stuhle und erklaerte und sprach zu den Anwesenden mit ihrer klaren, zarten, wohllautenden Stimme. Ich lernte verschiedene Menschen in den Zimmern der Fuerstin kennen. Zuweilen war es ein hervorragender Kuenstler, den man dort sprechen hoerte, zuweilen ein Staatsmann, der mit den wichtigsten Angelegenheiten unseres Landes betraut war, oder es war sonst eine bedeutende Persoenlichkeit der Gesellschaft, oder es waren die Saeulen und die Fuehrer unseres tapferen Heeres. Ich hoerte bei der Fuerstin Aussprueche, die ich mir merken wollte, die ich mir aufschrieb und die mir ein unveraeusserliches Eigentum bleiben sollten. Ich gestehe es, dass ich nie ohne eine gewisse Beklemmung in das Zimmer mit den blaubemalten Waenden und den dunkelblauen Geraeten und den einigen Bildern, worunter mich besonders das anzog, welches ihren Landsitz darstellte, trat, und ich gestehe es, dass ich nie das Zimmer ohne Ruhe und Befriedigung verliess. Ich empfand, dass jene Abende fuer mich von grosser Bedeutung, dass sie eine Zukunft seien. Ausser den besonders hervorragenden Menschen lernte ich bei der Fuerstin auch noch andere Personen, des hoeheren Adels unseres Reiches, kennen, kam manches Mal mit den Kreisen desselben in Beruehrung und sah seine Art, seine Lebensweise und seine Sitten. Neben diesen Abteilungen der menschlichen Gesellschaft kam ich auch mit anderen zusammen. Es war in der Stadt ein oeffentlicher Ort, welcher hauptsaechlich von Kuenstlern aller Art besucht wurde, welche sich dort besprachen, Erfrischungen zu sich nahmen, Zeitungen lasen oder sich mit koerperlichen Spielen ergoetzten. Diesen Ort besuchte ich gerne. Da war der eine oder der andere Schauspieler von der Hofbuehne oder von der Oper, da war ein Maler, dessen Namen damals hoch gepriesen wurde, da waren Tonkuenstler, sowohl ausuebende als dichtende, da waren Bildhauer und Baumeister, vorzueglich aber waren es Schriftsteller und Dichter, und es befanden sich darunter auch Vorstaende und Mitarbeiter an Zeitungsanstalten. Von anderen Personen waren hoehere Staatsdiener, Buerger, Kaufleute und ueberhaupt solche vorhanden, die einen Anteil an Kunst und Wissenschaft und an einem dahin abzielenden Umgange nahmen. Wenn auch eigentlich nur eine ungezwungene Heiterkeit herrschte, wenn auch nur Spiele zu koerperlicher Bewegung und daneben das Schachspiel vorzuherrschen schienen, so waren doch auch Gespraeche und, wie es bei solchen Maennern zu erwarten war, Gespraeche sehr lebhafter Natur im Gange, und waren doch im Grunde die Hauptsache. Da konnte man in leichten Worten den tiefen Geist des Einen sehen oder den ruhigen, der alles zersetzt und in seine Bestandteile aufloest, oder den lebhaften, der darueber weggeht, oder den leichtfertigen, der alles verlacht, oder den, dessen Sitten selbst ein wenig bedenklich waren. Oft war es nur ein Wort, ein Witz, der den Grund geben konnte, um Schluesse zu bauen. Trotz meiner Schuechternheit, die mich ferne hielt, geriet ich doch in Gespraeche und lernte den einen und andern Mann von denen kennen, die sich hier einfanden. Selbst das aeussere Benehmen und Gebaren von Maennern, die sonst solche Geltung haben, schien mir nicht gleichgiltig. Ich besuchte in jenem Winter auch gerne Orte, an welchen sich viele Menschen zu ihren Vergnuegungen versammeln, um die Art ihrer Erscheinung, ihr Wesen und ihr Verhalten als eines Ganzen sehen zu koennen. Vorzueglich ging ich dahin, wo das eigentliche Volk, wie man es jetzt haeufig zum Gegensatze der sogenannten Gebildeten nennt, zusammen koemmt. Die man gebildet nennt, sind fast ueberall gleich; das Volk aber ist urspruenglich, wie ich es bei meinen Wanderungen schon kennen lernte, und hat seine zugearteten Braeuche und Sitten. Ich ging in die guten Darstellungen von Musikstuecken, ich fuhr im Besuche des Hoftheaters fort, ging jetzt auch in die Oper und besuchte manche oeffentliche wissenschaftliche Vortraege, dann Kunst- und Buechersammlungen, hauptsaechlich aber zur Vervollkommnung meiner eigenen kuenftigen Arbeiten die Sammlungen von Gemaelden. Den Umgang mit meinem neuen Freunde, dem Sohne des Juwelenhaendlers, setzte ich fort. Wir begannen endlich in der Tat einen eigenen Unterrichtsgang ueber Edelsteine und Perlen. Zwei Tage in der Woche waren festgesetzt, an denen ich zu einer bestimmten, fuer ihn verfuegbaren Stunde kam und so lange blieb, als es eben seine Zeit gestattete. Er fuehrte mich zuerst in die Kenntnis aller jener Mineralien ein, welche man Edelsteine nennt und vorzueglich zu Schmuck benuetzt. Ebenso zeigte er mir alle Gattungen von Perlen. Hierauf unterrichtete er mich in dem Verfahren, die Juwelen zu erkennen und von falschen zu unterscheiden. Spaeter erst ging er auf die Merkmale der schoenen und der minder schoenen ueber. Bei diesem Unterrichte kamen mir meine Kenntnisse in den Naturwissenschaften sehr zu statten, ja ich war sogar im Stande, durch Angaben aus meinem Fache die Kenntnisse meines Freundes zu erweitern, besonders was das Verhalten der Edelsteine zum Lichtdurchgang, zur doppelten Brechung und zu der sogenannten Polarisation des Lichtes anbelangt. Ich hatte aber noch immer nicht den Mut, ueber die gebraeuchliche Fassung der Edelsteine mit ihm zu sprechen und meine Gedanken hierueber ihm mitzuteilen. Unter diesen Dingen ging neben meinen eigentlichen Arbeiten der Unterricht, den ich meiner Schwester gab, regelmaessig fort. In der Malerei hatte sie noch viel groessere Schwierigkeiten als ich, weil sie einesteils weniger geuebt war und weil sie andernteils die Urbilder nicht gesehen, sondern nur fehlerhafte Abbilder vor sich hatte. Im Zitherspiel ging es weit besser. Ich wurde heuer ein wirksamerer Lehrer, als ich es in dem vergangenen Jahre gewesen war, und konnte nach dem, was ich gelernt hatte, ueberhaupt ein besserer Lehrer fuer sie sein, als einer in der Stadt zu finden gewesen waere, obwohl diese Schwierigkeiten ueberwanden, deren Besiegung mir und Klotilden eine Unmoeglichkeit gewesen waere. Nach meinen Ansichten, die ich in den Bergen gelernt hatte, kam es aber darauf nicht an. Wir lernten endlich wechselweise von einander und brachten manche freudige und empfindungsreiche Stunde an der Zither zu. Ich musste zuletzt Klotilden auch im Spanischen unterrichten. Da ich immer einige Schritte von ihr voraus war, so konnte ich allerdings einen Lehrer fuer sie wenigstens in den Anfangsgruenden vorstellen. Wie es im weiteren Verlaufe zu machen waere, wuerde sich zeigen. Wir lebten uns in ein wechselseitiges Taetigkeitsleben hinein. So verging der Winter, und ich blieb damals bis ziemlich tief in das Fruehjahr hinein bei den Meinigen in der Stadt. Die Annaeherung Obwohl fast den ganzen Winter hindurch davon die Rede gewesen war, dass mich der Vater in dem naechsten Fruehlinge in das Gebirge begleiten werde und dass er bei dieser Gelegenheit den Mann im Rosenhause besuchen wolle, um dessen Seltenheiten und Kostbarkeiten zu sehen, so hatte er doch, als der Fruehling gekommen war, nicht Zeit, sich von seinen Geschaeften zu trennen, und ich musste wie in allen frueheren Jahren meine Reise allein antreten. Als ich zu meinem Gastfreunde gekommen war, war das Erste, dass ich ihm von den Wandverkleidungen erzaehlte. Ich hatte frueher ihrer nicht erwaehnt, weil ich sie doch nicht fuer so wichtig gehalten hatte. Ich erzaehlte ihm, dass ich sie in dem Lauterthale gefunden und gekauft habe und dass sie aus Schnitzarbeit von Gestalten und Verzierungen bestanden. Der Vater, dem ich sie gebracht, habe eine grosse Freude darueber gehabt, habe sie nicht nur mit grossem Vergnuegen empfangen, sondern habe auch einen Teil eines Nebenbaues unseres Hauses umgebaut, um die Verkleidungen geschickt anbringen zu koennen. Dieses letztere habe mir erst gezeigt, wie wert der Vater diese Dinge halte, und dies habe mich bestimmt, noch genauer nachzuforschen, ob ich denn die Ergaenzungen zu dem Getaefel nicht aufzufinden vermoege; denn das, was der Vater habe, seien nur Bruchstuecke, und zwar zwei Pfeilerverkleidungen, das uebrige fehle. Ich habe wohl schon Nachforschungen in der besten Art, wie ich glaube, angestellt; aber ich wolle sie doch noch fortsetzen und versuchen, ob ich nicht noch neue Mittel und Wege auffinden koenne, zu meinem Ziele, wenn es noch vorhanden sei, zu gelangen oder die groesstmoegliche Gewissheit zu erhalten, dass das Gesuchte nicht mehr bestehe. Ich beschrieb meinem Gastfreunde, so gut ich es aus der Erinnerung konnte, die Vertaeflungen und machte ihn mit dem Fundorte und den Nebenumstaenden bekannt. Ich verhehlte ihm nicht, dass ich das darum tue, dass er mir einen Rat geben moege, wie ich etwa weiter vorzugehen habe. Es handle sich um einen Gegenstand, der meinem Vater nahe gehe. Nicht vorzueglich, weil diese Dinge schoen seien, obwohl dies auch ein Antrieb fuer sich sein koennte, sondern hauptsaechlich darum suche ich darnach zu forschen, weil sie dem Vater Freude machen. Je aelter er werde, desto mehr schliesse er sich in einem engen Raume ab, sein Geschaeftszimmer und sein Haus werden nach und nach seine ganze Welt, und da seien es vorzueglich Werke der bildenden Kunst und die Buecher, mit denen er sich beschaeftige und die Wirkung, welche diese Dinge auf ihn machen, wachse mit den Jahren. Er habe sich von dem Schnitzwerke in den ersten Tagen kaum trennen koennen, er habe es in allen Teilen genau betrachtet und sei zuletzt so mit demselben bekannt geworden, als waere er bei dessen Verfertigung zugegen gewesen. Darum wolle ich so vorgehen, dass ich mich nicht in die Lage setze, mir einen Vorwurf machen zu muessen, dass ich in meinen Nachforschungen etwas versaeumt habe. Bisher seien sie freilich fruchtlos gewesen. Mein Gastfreund fragte mich noch um einige Teile des Werkes und seines Auffindens, die ich ihm nicht dargestellt hatte oder die ihm dunkel geblieben waren, und liess sich die Oertlichkeiten des Auffindens noch einmal auf das Umstaendlichste beschreiben. Hierauf sagte er mir, ich moege an meinen Vater ungesaeumt einen Brief senden und ihn bitten, die genauen Ausmasse des Schnitzwerkes nach Aussen und nach Innen zu nehmen und mir zu schicken. Ich begriff augenblicklich die Zweckmaessigkeit der Massregel und schaemte mich, dass sie mir selber nicht frueher eingefallen war. Er selber wolle vorlaeufig an Roland schreiben und ihm dann, wenn sie eingelangt waeren, die Ausmasse schicken. Auch wolle er seine Geschaeftsfuehrer in jener Gegend beauftragen, sich um die Sache zu bemuehen. Wenn das Gesuchte zu finden ist, so duerfte Roland der geeignetste Mithelfer sein, und die anderen Maenner, die er noch auffordern werde, haetten sich schon in den verschiedensten Gelegenheiten sehr erprobt. Ich dankte meinem Gastfreunde auf das Verbindlichste fuer seine Gefaelligkeit und versprach, in nichts saeumig zu sein. Am naechsten Morgen trug ein Bote meinen Brief an den Vater und die Briefe meines Gastfreundes an Roland und andere Maenner auf die naechste Post. Mein Gastfreund musste bis in die tiefe Nacht geschrieben haben, denn es war ein ganzes Paeckchen von Briefen. Mich ruehrte diese Guete ausserordentlich, denn ich wusste nicht, wie ich sie verdient hatte. Dass ich in der ersten Zeit meines Aufenthaltes in dem Rosenhause gleich an alle Orte ging, die mir lieb waren, begreift sich. In dem Zeichnungszimmer Eustachs fand ich den Musiktisch fertig. Es war seit seiner Vollendung erst eine kurze Zeit verflossen, deshalb stand er noch an dieser Stelle. Ich hatte nicht geahnt, dass das Werk, das ich bei Beginn seiner Wiederherstellung gesehen hatte, sich so darstellen wuerde, wenn es fertig waere. Ich hatte Bilder, Bauwerke, Zeichnungen und dergleichen in juengster Zeit in grosser Menge gesehen und selber aehnliche Dinge verfertigt, ich konnte mir daher in solchen Sachen ein kleines Urteil zutrauen; aber, wenn ich nicht gewusst haette, dass der Rahmen und das Gestelle des Tisches neu gemacht worden sei, so haette ich es nie erkannt, so sehr passte beides im Baue, in der ganzen Art und selbst in der Farbe des Holzes zu der Platte. Das ganze Werk stand rein, glaenzend und klar vor den Augen. Die Farbe der verschiedenen Hoelzer an den Verzierungen, am Laubwerke, am Obste und an den Geraeten trat unter der Macht des Harzes kraeftig und scharf hervor. Selbst die Missverhaeltnisse der Groessen in den verschiedenen eingelegten Geraeten, zum Beispiele zwischen der Floete, der Geige, der Trommel, welche mir bei meinem ersten Besuche in dem Schreinerhause Anstoss gegeben hatten, erschienen mir jetzt als naiv und hatten etwas Anziehendes fuer mich, welches mir die Tischplatte lieber machte als wenn sie ganz fehlerfrei oder etwa nach neuen Kunstbegriffen gemacht gewesen waere. Ich fragte Eustach, wohin der Tisch zu stehen kommen wuerde. Er konnte es mir nicht sagen. Es sei darueber nichts eroeffnet worden, ob er in dem Hause bleiben oder ob er irgend wohin versendet werden wuerde. Jetzt bleibe er hier stehen, damit alle Nachtrocknungen in jener allmaehlichen Stufenfolge vor sich gehen koennen, wie sie bei jedem neuverfertigten Geraete eintreten muessen, dass es nicht Schaden leide. Die meisten der neuverfertigten oder wiederhergestellten Werke seien zu diesem Zwecke in dem Zeichnungszimmer stehen geblieben, wenn sie anders dort Platz hatten. Ich betrachtete den Tisch noch eine Weile und ging dann zu andern Gegenstaenden ueber. Auch die Gaertnerleute besuchte ich, die Leute des Meierhofes, die Gartenarbeiter, die Dienstleute des Hauses und einige Nachbaren, zu denen wir frueher oefter gekommen waren und die ich naeher kennen gelernt hatte. Obwohl ich nach dem Rate und der Einladung meines Gastfreundes entschlossen war heuer meine Berufsarbeit, wenigstens jenes Berufes, den ich mir selber aufgelegt hatte, ruhen zu lassen, sondern einen Teil des Sommers in dem Rosenhause zu verleben und mich meiner Laune und dem Augenblicke hinzugeben: hatte ich doch nicht den Willen, gar nichts zu tun, was mir die groesste Qual gewesen waere, sondern mich bei meinen Handlungen von meinem Vergnuegen und der Gelegenheit leiten zu lassen. Mein Gastfreund hatte mir die nehmlichen zwei Zimmer eingeraeumt, welche ich bisher stets inne gehabt hatte, und freute sich, dass ich seinen Rat befolgen und einmal auch anderswohin sehen wolle als immer einseitig auf meine Arbeiten, und dass ich einmal zu einem allgemeineren Bewusstsein kommen wolle, als zu dem ich mich bisher gebannt haette. Ich hatte viele Buecher und Schriften mitgebracht, hatte alle Werkzeuge zur Oelmalerei bei mir und hatte doch aus Vorsicht auch einige Vorrichtungen zu Vermessungen und dergleichen eingepackt. Wenn man von dem Rosenhause ueber den Huegel, auf dem der grosse Kirschbaum steht, nordwaerts geht, so koemmt man in die Wiese, durch welche der Bach fliesst, an dem mein Gastfreund jene Erlengewaechse zieht, welche ihm das schoene Holz liefern, das er neben anderen Hoelzern zu seinen Schreinerarbeiten verwendet. Wir waren oefter zu diesem Bache gekommen und seinen Ufern entlang gegangen. Er floss aus einem Gehoelze hervor, in welchem mein Gastfreund einige Wasserwerke hatte auffuehren lassen, um die Wiese vor Ueberschwemmungen zu sichern und die Verwilderung des Baches zu verhindern. Im Innern des Gehoelzes befindet sich ein ziemlich grosser Teich, eigentlich ein kleiner See, da er nicht mit Kunst angelegt, sondern groesstenteils von selber entstanden war. Nur Geringes hatte man hinzu gefuegt, um nicht Versumpfungen an seinen Raendern und Ueberflutungen bei seinem Ausflusse entstehen zu lassen. Das Wasser dieses Waldbeckens ist so klar, dass man in ziemlicher Tiefe noch alle die bunten Steine sehen kann, welche auf dem Grunde liegen. Nur schienen sie gruenlich blau gefaerbt, wie es bei allen Waessern der Fall ist, die aus unsern Kalkalpen oder in deren Naehe fliessen. Rings um dieses Wasser ist das Gezweige so dicht, dass man keinen Stein und kaum einen Uferrand sehen kann, sondern die Zweige aus dem Wasser zu ragen scheinen. Die Baeume, die da stehen, sind eines Teils Nadelholz, das mit seinem Ernste sich in die Heiterkeit mischt, die auf den Aesten, Blaettern und Wipfeln der Laubbaeume ruht, die den vorherrschenden Teil bilden. Vorzugsweise ist die Erle, der Ahorn, die Buche, die Birke und die Esche vorhanden. Zwischen den Staemmen ist reichliches Wuchergestrippe. Der Bach in der Erlenwiese meines Gastfreundes verdankt dem See sein Dasein; aber da dieser aus Quellzufluessen lebt, so ist der ausfliessende Bach oft so trocken, dass man, ohne sich die Sohle zu netzen, ueber seine hervorragenden Steine gehen kann. Wo er aus dem See geht, ist eine kleine Huette erbaut, die den Hauptzweck hat, dass die, welche in dem See sich baden wollen, in ihr sich entkleiden koennen. Der Seegrund geht mit seinen schoenen Kieseln so sachte in die Tiefe, dass man ziemlich weit vorwaerts gehen und das wallende Wasser geniessen kann ohne den Grund zu verlieren. Auch zum Lernen des Schwimmens ist dieser Teil sehr geeignet, weil man an allen Stellen Grund findet und sich unbefangener den Uebungen hingeben kann. Weiter draussen beginnt das Gebiet derer, die ihrer Arme und ihrer Bewegungen schon vollstaendig Herr sind. Gustav ging an Sommertagen fast jeden zweiten Tag mit Eustach oder mit jemand anderm oder zuweilen auch mit meinem Gastfreunde zu dem See hinaus, um in demselben zu schwimmen. Diese Taetigkeit, so wie die andern Koerperbewegungen und Uebungen, die fuer ihn in dem Rosenhause angeordnet waren, schienen ihm viele Freude zu machen. Mein Gastfreund hielt auf koerperliche Uebungen sehr viel, da sie zur Entwicklung und Gesundheit unumgaenglich notwendig seien. Er lobte diese Uebungen sehr an den Griechen und Roemern, welche beiden Voelker er auf eine hervorragende Weise ehrte. Das liege auf der Hand, pflegte er zu sagen, dass, so wie die Krankheit des Koerpers den Geist zu etwas anderem mache, als er in der Gesundheit des Koerpers ist, ein kraeftiger und in hohem Masse entwickelter Koerper die Grundlage zu allem dem abgebe, was tuechtig und herzhaft heisst. Bei den alten Roemern ist ein grosser Teil ihrer Erfolge in der Geschichte und ihres frueheren Glueckes in der Pflege und Entwicklung ihres Koerpers zu suchen. Ihr Glueck dauerte auch nur so lange, als die vernuenftige Pflege ihrer Leibesuebungen dauerte. In neuen Schulen vernachlaessige man diese Pflege zu sehr, die bei uns um so notwendiger waere, als sich durch das Zusammengehaeuftsein in dunstigen und heissen Stuben ohnehin Uebel erzeugen, die dem Aufenthalte in freier Luft fremd sind. Darum werden auch die Geisteskraefte von Schuelern der neuen Zeit nicht entwickelt wie sie sollten und wie sie es bei Kindern, die in Wald und Feldern schweifen, freilich auf Kosten ihres hoeheren Wesens, wirklich sind. Daher stamme ein Teil der Schalheit und Traegheit unserer Zeiten. Ich ging mit Gustav jetzt, da ich viele Musse hatte, sehr fleissig zu dem Waeldchen, und da ich in der Kunst des Schwimmens eine grosse Fertigkeit hatte, so sah er an mir ein Vorbild, dem er nachstreben konnte, und lernte Gelenkigkeit und Ausdauer mehr, als er es ohne mich gekonnt haette. Ueberhaupt gewann Gustav eine immer groessere Neigung zu mir. Es mochte, wie ich mir schon frueher gedacht hatte, zuerst der Umstand eingewirkt haben, dass ich ihm an Alter nicht so sehr ferne stand. Dazu mochte sich gesellt haben, dass ich, der ich eigentlich sehr einsam und abgeschlossen erzogen worden war, viel tiefer in spaetere Jahre hinein die Merkmale der Kindheit bewahrt haben mochte als andere Leute, die gleichen Alters mit mir waren, und zuletzt konnte jetzt auch das wirken, dass ich bei meiner Geschaeftlosigkeit viel mehr Beruehrungspunkte mit ihm fand, als es bei meinen frueheren Anwesenheiten in dem Rosenhause der Fall gewesen war. Ich schrieb nun auf dem Asperhofe mehr Briefe als sonst, ich las in Dichtern, betrachtete alles um mich herum, schweifte oft weit in die Gegend hinaus; aber diese Lebensweise wurde mir bald beschwerlich, und ich suchte etwas hervor, was mich tiefer beschaeftigte. Die Dichter als das Edelste, was mir jetzt begegnete, riefen wieder das Malen hervor. Ich richtete meine Zeichnungsgeraete und meine Vorrichtungen zur Malerei in den Stand und begann wieder meine Uebungen im Malen der Landschaft. Ich malte je nach der Laune bald ein Stueck Himmel, bald eine Wolke, bald einen Baum oder Gruppen von Baeumen, entfernte Berge, Getreidehuegel und dergleichen. Auch schloss ich menschliche Gestalten nicht aus und versuchte Teile derselben. Ich versuchte das Antlitz des Gaertners Simon und das seiner Gattin auf die Leinwand zu bringen. Die beiden Leute hatten eine grosse Freude ueber das Ding, und ich gab ihnen die Bilder in ihre Stube, nachdem ich vorher nette Rahmen dazu bestellt und in der Zeit, bis sie eintrafen, mir Abbilder von den Koepfen fuer meine eigene Mappe gemacht hatte. Ich malte die Haende oder Buesten verschiedener Leute, die sich in dem Rosenhause oder in dem Meierhofe befanden. Meinen Gastfreund oder Eustach oder Gustav zu bitten, dass sie mir als Gegenstand meiner Kunstbestrebungen dienen sollten, hatte ich nicht den Mut, weil die Erfolge noch gar zu unbedeutend waren. Gustav nahm unter allen den groessten Anteil an diesen Dingen. So wie er im vorigen Jahre Geraete mit mir gemalt hatte, versuchte er es heuer auch mit den Landschaften. Sein Ziehvater und sein Zeichnungslehrer hatten nichts dagegen, da nur freie Stunden zu diesen Beschaeftigungen verwendet wurden, da seine Koerperuebungen nicht darunter zu leiden hatten und da sich dadurch das Band zwischen mir und ihm noch mehr befestigte, was mein Gastfreund nicht ungern zu sehen schien, da doch zuletzt der Juengling niemanden hatte, an wen er das Gefuehl der Freundschaft leiten sollte, das in seinen Jahren so gerne erwacht und das sich in sanftem Zuge an einen Gegenstand richtet. Da unter seiner Hand ein Baum, ein Stein, ein Berg, ein Waesserchen in lieblichen Farben hervorging, hatte er eine unaussprechliche Freude. Bei Eustach hatte er nur groesstenteils Bau- und Geraetezeichnungen gesehen, und Roland hatte auch nur Aehnliches von seinen Reisen zurueck gebracht. Was von Landschaften in der Gemaeldesammlung seines Ziehvaters hing, auf denen er wohl gruene Baeume, weisse Wolken, blaue Berge beobachten konnte, hatte er nie um seine Entstehung angeschaut, sondern die Dinge waren da, wie auch andere Dinge da sind, das Haus, der Getreidehuegel, der Berg, der ferne Kirchturm, und er hatte nicht daran gedacht, dass auch er solche Gegenstaende hervorzubringen vermochte. Er redete auf Spaziergaengen davon, wie dieser Baum sich baue, wie jener Berg sich runde, und er erzaehlte mir, dass ihm oft von dem Zeichnen lebhaft traeume. Man liess den Juengling auch auf groessere Entfernungen von dem Rosenhause mit mir gehen. Seine Arbeiten wurden dabei so eingerichtet, dass, wenn sie auch unterbrochen werden mussten, ein wesentlicher Schaden sich nicht einstellen konnte. Dafuer gewann er an Gesundheit und koerperlicher Abhaertung bedeutend. Wir waren nicht selten mehrere Tage abwesend, und Gustav vergnuegte es sehr, wenn wir Abends nach unserem leichten Mahle in einem Gasthause in unser Zimmer gingen, wenn er durch die Fenster auf eine fremde Landschaft hinausschauen konnte, wenn er sein Raenzlein und seine Reisesachen auf dem Tische zurecht richten und dann die ermuedeten Glieder auf dem Gastbette ausstrecken durfte. Wir bestiegen hohe Berge, wir gingen an Felswaenden hin, wir begleiteten den Lauf rauschender Baeche und schifften ueber Seen. Er wurde stark, und das zeigte sich sichtbar, wenn wir von einer Gebirgswanderung - denn fast immer gingen wir in das Gebirge - zurueckkehrten, wenn seine Wangen gebraeunt waren, als wollten sie beinahe schwarz werden, wenn seine Locken die dunkle Stirne beschatteten und die grossen Augen lebhaft aus dem Angesichte hervor leuchteten. Ich weiss nicht, welcher innere Zug von Neigung mich zu dem Juenglinge hinwendete, der in seinem Geiste zuletzt doch nur ein Knabe war, den ich ueber die einfachsten Dinge taeglicher Erfahrung belehren musste, namentlich, wenn es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir in seiner Seele nichts bieten konnte, wodurch ich erweitert und gehoben werden musste, es muesste nur das Bild der vollkommensten Guete und Reinheit gewesen sein, das ich taeglich mehr an ihm sehen, lieben und verehren konnte. Ich ging auch einige Male zu dem Lautersee. Ich hatte im vorigen Jahre angefangen, seine Tiefe an verschiedenen Stellen zu messen, um ein Bild darzustellen, in welchem sich die Berge, die den See umstanden, sichtbar auch unter der Wasserflaeche fortsetzten und nur durch einen tieferen Ton gedaempft waren. Der Reiz, den diese Aufnahme herbei gefuehrt hatte, stellte sich wieder ein, und ich setzte die Messungen nach einem Plane fort, um die Talsohle des Sees immer richtiger zu ergruenden und das Bild einer groesseren Sicherstellung entgegen zu fuehren. Gustav begleitete mich mehrere Male und arbeitete mit den Maennern, die ich gedungen hatte, das Schiff zu lenken, die Schnuere auszuwerfen, die Kloben zu richten, an denen sich die Senkgewichte abwickelten, oder andere Dinge zu tun, die sich als notwendig erwiesen. Besondere Freude machte es mir, dass ich nach und nach die Feinheiten des menschlichen Angesichtes immer besser behandeln lernte, besonders, was mir frueher so schwer war, wenn der leichte Duft der Farbe ueber die Wangen schoener Maedchen ging, die sich sanft rundeten, schier keine Abwechslung zeigten und doch so mannigfaltig waren. Mir waren die Versuche am angenehmsten, das Liebliche, Sittige, Schelmische, das sich an manchen jungen Land- oder Gebirgsmaedchen darstellte, auf der Leinwand nachzuahmen. Eines Abends, da Blitze fast um den ganzen Gesichtskreis leuchteten und ich von dem Garten gegen das Haus ging, fand ich die Tuer, welche zu dem Gange des Amonitenmarmors, zu der breiten Marmortreppe und zu dem Marmorsaale fuehrte, offen stehen. Ein Arbeiter, der in der Naehe war, sagte mir, dass wahrscheinlich der Herr durch die Tuer hinein gegangen sei, dass er sich vermutlich in dem steinernen Saale befinden werde, in welchen er gerne gehe, wenn Gewitter am Himmel staenden, und dass die Tuer vielleicht offen geblieben sei, damit Gustav, wenn er kaeme, auch hinaufgehen koennte. Ich blickte in den Marmorgang, sah hinter der Schwelle mehrere Paare von Filzschuhen stehen und beschloss, auch in den steinernen Saal hinauf zu gehen, um meinen Gastfreund aufzusuchen. Ich legte ein Paar von passenden Filzschuhen an und ging den Gang des Amonitenmarmors entlang. Ich kam zu der Marmortreppe und stieg langsam auf ihr empor. Es war heute kein Tuchstreifen ueber sie gelegt, sie stand in ihrem ganzen feinen Glanze da und erhellte sich noch mehr, wenn ein Blitz durch den Himmel ging und von der Glasbedachung, die ueber der Treppe war, hereingeleitet wurde. So gelangte ich bis in die Mitte der Treppe, wo in einer Unterbrechung und Erweiterung, gleichsam wie in einer Halle, nicht weit von der Wand die Bildsaeule von weissem Marmor steht. Es war noch so licht, dass man alle Gegenstaende in klaren Linien und deutlichen Schatten sehen konnte. Ich blickte auf die Bildsaeule, und sie kam mir heute ganz anders vor. Die Maedchengestalt stand in so schoener Bildung, wie sie ein Kuenstler ersinnen, wie sie sich eine Einbildungskraft vorstellen oder wie sie ein sehr tiefes Herz ahnen kann, auf dem niedern Sockel vor mir, welcher eher eine Stufe schien, auf die sie gestiegen war, um herumblicken zu koennen. ich vermochte nun nicht weiter zu gehen und richtete meine Augen genauer auf die Gestalt. Sie schien mir von heidnischer Bildung zu sein. Das Haupt stand auf dem Nacken, als bluehete es auf demselben. Dieser war ein wenig, aber kaum merklich vorwaerts gebogen, und auf ihm lag das eigentuemliche Licht, das nur der Marmor hat und das das dicke Glas des Treppendaches hereinsendete. Der Bau der Haare, welcher leicht geordnet gegen den Nacken niederging, schnitt diesen mit einem fluechtigen Schatten, der das Licht noch lieblicher machte. Die Stirne war rein, und es ist begreiflich, dass man nur aus Marmor so etwas machen kann. Ich habe nicht gewusst, dass eine menschliche Stirne so schoen ist. Sie schien mir unschuldvoll zu sein und doch der Sitz von erhabenen Gedanken. Unter diesem Throne war die klare Wange ruhig und ernst, dann der Mund, so feingebildet, als sollte er verstaendige Worte sagen oder schoene Lieder singen, und als sollte er doch so guetig sein. Das Ganze schloss das Kinn wie ein ruhiges Mass. Dass sich die Gestalt nicht regte, schien bloss in dem strengen, bedeutungsvollen Himmel zu liegen, der mit den fernen stehenden Gewittern ueber das Glasdach gespannt war und zur Betrachtung einlud. Edle Schatten wie schoene Hauche hoben den sanften Glanz der Brust, und dann waren Gewaender bis an die Knoechel hinunter. Ich dachte es sei Nausikae, wie sie an der Pforte des goldenen Saales stand und zu Odysseus die Worte sagte: "Fremdling, wenn du in dein Land koemmst, so gedenke meiner." Der eine Arm war gesenkt und hielt in den Fingern ein kleines Staebchen, der andere war in der Gewandung zum Teile verhuellt, die er ein wenig emporhob. Das Kleid war eher eine schoen geschlungene Huelle als ein nach einem gebraeuchlichen Schnitte verfertigtes. Es erzaehlte von der reinen, geschlossenen Gestalt und war so stofflich treu, dass man meinte, man koenne es falten und in einen Schrein verpacken. Die einfache Wand des grauen Amonitenmarmors hob die weisse Gestalt noch schaerfer ab und stellte sie freier. Wenn ein Blitz geschah, floss ein rosenrotes Licht an ihr hernieder, und dann war wieder die fruehere Farbe da. Mir duenkte es gut, dass man diese Gestalt nicht in ein Zimmer gestellt hatte, in welchem Fenster sind, durch die alltaegliche Gegenstaende herein schauen und durch die verworrene Lichter einstroemen, sondern dass man sie in einen Raum getan hat, der ihr allein gehoert, der sein Licht von oben bekoemmt und sie mit einer daemmerigen Halle wie mit einem Tempel umfaengt. Auch durfte der Raum nicht einer des taeglichen Gebrauchs sein, und es war sehr geeignet, dass die Waende rings herum mit einem kostbaren Steine bekleidet sind. Ich hatte eine Empfindung, als ob ich bei einem lebenden schweigenden Wesen staende, und hatte fast einen Schauer, als ob sich das Maedchen in jedem Augenblicke regen wuerde. Ich blickte die Gestalt an und sah mehrere Male die roetlichen Blitze und die graulich weisse Farbe auf ihr wechseln. Da ich lange geschaut hatte, ging ich weiter. Wenn es moeglich waere, mit Filzschuhen noch leichter aufzutreten als es ohnehin stets geschehen muss, so haette ich es getan. Ich ging mit dem lautlosen Tritte langsam ueber die glaenzenden Stufen des Marmors bis zu dem steinernen Saale hinan. Seine Tuer war halb geoeffnet. Ich trat hinein. Mein Gastfreund war wirklich in demselben. Er ging in leichten Schuhen mit Sohlen, die noch weicher als Filz waren, auf dem geglaetteten Pflaster auf und nieder. Da er mich kommen sah, ging er auf mich zu und blieb vor mir stehen. "Ich habe die Tuer zu dem Marmorgange offen gesehen", sagte ich, "man hat mir berichtet, dass ihr hier oben sein koenntet, und da bin ich herauf gegangen, euch zu suchen." "Daran habt ihr recht getan", erwiderte er. "Warum habt ihr mir denn nicht gesagt", sprach ich weiter, "dass die Bildsaeule, welche auf eurer Marmortreppe steht, so schoen ist?" "Wer hat es euch denn jetzt gesagt?" fragte er. "Ich habe es selber gesehen", antwortete ich. "Nun dann werdet ihr es um so sicherer wissen und mit desto groesserer Festigkeit glauben", erwiderte er, "als wenn euch jemand eine Behauptung darueber gesagt haette." "Ich habe nehmlich den Glauben, dass das Bildwerk sehr schoen sei", antwortete ich, mich verbessernd. "Ich teile mit euch den Glauben, dass das Werk von grosser Bedeutung sei", sagte er. "Und warum habt ihr denn nie zu mir darueber gesprochen?" fragte ich. "Weil ich dachte, dass ihr es nach einer bestimmten Zeit selber betrachten und fuer schoen erachten werdet", antwortete er. "Wenn ihr mir es frueher gesagt haettet, so haette ich es frueher gewusst", erwiderte ich. "Jemandem sagen, dass etwas schoen sei", antwortete er, "heisst nicht immer, jemandem den Besitz der Schoenheit geben. Er kann in vielen Faellen bloss glauben. Gewiss aber verkuemmert man dadurch demjenigen das Besitzen des Schoenen, der ohnehin aus eigenem Antriebe darauf gekommen waere. Dies setzte ich bei euch voraus, und darum wartete ich sehr gerne auf euch." "Aber was muesst ihr denn die Zeit her ueber mich gedacht haben, dass ich diese Bildsaeule sehen konnte und ueber sie geschwiegen habe?" fragte ich. "Ich habe gedacht, dass ihr wahrhaftig seid", sagte er, "und ich habe euch hoeher geachtet als die, welche ohne Ueberzeugung von dem Werke reden, oder als die, welche es darum loben, weil sie hoeren, dass es von Andern gelobt wird." "Und wo habt ihr denn das herrliche Bildwerk hergenommen?" fragte ich. "Es stammt aus dem alten Griechenlande", antwortete er, "und seine Geschichte ist sonderbar. Es stand viele Jahre in einer Bretterbude bei Cumae in Italien. Sein unterer Teil war mit Holz verbaut, weil man den Platz, an dem es stand, und der teils offen, teils gedeckt war, zu haeufigem Ballschlagen verwendete, und die Baelle nicht selten in die Bude der Gestalt flogen. Deshalb legte man von der Brust abwaerts einen dachartigen Schutz an, der die Baelle geschickt herab rollen machte und ueber den sich die Gestalt wie eine Bueste darstellte. Es waren in dem Raume, teils an den Bretterbuden, teils an Mauerstuecken, aus denen er bestand, noch andere Gestalten angebracht, ein kleiner Herkules, mehrere Koepfe und ein altertuemlicher Stier von etwa drei Fuss Hoehe; denn der Platz wurde auch zu Taenzen benutzt und war an den Stellen, die keine Wand hatten, mit Schlinggewaechsen und Trauben begrenzt, an andern war er offen und blickte ueber Myrten, Lorbeer, Eichen auf die blauen Berge und den heiteren Himmel dieses Landes hinaus. Gedeckt waren nur Teile des Raumes, besonders dort, wo die Gestalten standen. Diese hatten Daecher ueber sich wie die niedlichen Taefelchen, welche italienische Maedchen auf dem Kopfe tragen. Im Uebrigen war die Bedeckung das Gezelt des Himmels. Mich brachte ein guenstiger Zufall nach Cumae, und zu diesem Ballplatze, auf dem sich eben junges Volk belustigte. Gegen Abend, da sie nach Hause gegangen waren, besichtigte ich das Mauerwerk, welches aus Resten alter Kunstbauten bestand, und die Gestalten, welche saemmtlich aus Gips waren, wie sie in Italien so haeufig alten edlen Kunstwerken nachgebildet werden. Den Herkules kannte ich insbesondere sehr gut, nur war er hier viel kleiner gebildet. Die Bueste des Maedchens - fuer eine solche hielt ich die Gestalt - war mir unbekannt; allein sie gefiel mir sehr. Da ich mich ueber die reizende Lage dieses Plaetzchens aussprach, sagte die Besitzerin, eine wahrhaftige altroemische Sibylle, es werde hier in Kurzem noch viel schoener werden. Ihr Sohn, der sich durch Handel Geld erworben, werde den Platz in einen Saal mit Saeulen verwandeln, es werden Tische herum stehen, und es werden vornehme Fremde kommen, sich hier zu ergoetzen. Die Gestalten muessen weg, weil sie ungleich seien und weil Menschen und Tiere unter einander stehen, ihr Sohn habe schon die schoensten Gipsarbeiten bestellt, die alle gleich gross waeren. Sie fuehrte mich zu dem Maedchen und zeigte mir durch eine Spalte der Bretter, dass dasselbe in ganzer Gestalt da stehe und also die andern Dinge weit ueberrage. Man habe darum an dem oberen Rande der Balken, mit denen die Gestalt umbaut ist, einen hoelzernen, bemalten Sockel angebracht, von dem der Oberleib wie eine Bueste herab schaue. Dadurch sei die Sache wieder zu den anderen gestimmt worden. Ich fragte, wann ihr Sohn hieherkomme und wann das Umbauen beginnen wuerde. Da sie mir das gesagt hatte, entfernte ich mich. Zur Zeit des mir von der Alten angegebenen Beginnes des Umbaues fand ich mich auf dem Platze wieder ein. Ich traf den Sohn der Wittwe - eine solche war sie - hier an, und der Bau hatte schon begonnen. Die alten reizenden Mauerstuecke waren zum Teile abgetragen, und ihre Stoffe waren geschichtet, um zu dem neuen Baue verwendet zu werden. Die Schlinggewaechse und Reben waren ausgerottet, die Gestraeuche vor dem Platze vernichtet, und man ebnete ihre Stelle, um dort Rosen anzulegen. Auf der Suedseite baute man schon die Sockelmauern, auf welche die Saeulen von Ziegeln zu stehen kommen sollten. Die Gestalt des Maedchens, von der man die Balkenverhuellung weggenommen hatte, lag in einer Huette, welche groesstenteils Baugeraete enthielt. Neben ihr lagen der Herkules, der Stier und die Koepfe, die, wie ich jetzt sah, alte Roemer darstellten. Mir gefiel nun auch die frueher nicht gesehene uebrige Gestalt des Maedchens, die nicht wesentlich verletzt war, ausserordentlich, und ich erhandelte sie, da die Dinge zum Zwecke des Verkaufes in der Bretterhuette lagen. Aber der Verkaeufer sagte, er gebe von der Sammlung nichts einzeln weg, und ich musste den Stier, den Herkules und die Koepfe mit kaufen. Der Kaufschilling war nicht geringe, da mein Gegenmann die Schoenheit der Gestalt recht gut kannte und sie geltend machte; aber ich fuegte mich. Ich liess Kisten machen, um die Dinge fortzuschaffen. Den Stier, den Herkules und die Koepfe verkaufte ich in Italien um ein Geringes, die Maedchengestalt sendete ich wohlverpackt, dass der Gips nicht leide, an meinen damaligen Aufenthaltsort; ich kann euch den Namen jetzt nicht nennen, es war ein kleines Staedtchen an dem Gebirge. Mir fiel schon damals auf, dass das Fahrgeld fuer die Gestalt sehr hoch sei und dass man sich ueber ihr Gewicht beklagt habe; allein ich hielt es fuer italienische List, um von mir, dem Fremden, etwas mehr heraus zu pressen. Als ich aber nach Deutschland zurueckgekehrt war und als eines Tages die Gipsgestalt, fuer deren gute Verpackung und Ueberbringung ich durch mir wohlbekannte Versendungsvermittler gesorgt hatte, in dem Asperhofe ankam, ueberzeugte ich mich selber von dem ungemeinen Gewichte der Last. Da der Bretterverschlag, in welchem sich die Gestalt befand, nicht so schwer sein konnte, so entstand in mir und Eustach, der damals schon in dem Asperhofe war, der Gedanke, die Gestalt moechte etwa nass geworden sein und durch die Naesse gelitten haben. Wir liessen das Standbild in die hoelzerne Huette schaffen, welche ich teils zu seinem Empfange, teils zur Reinigung von den vielen Schmutzflecken, die es an seinem frueheren Standorte erhalten hatte, vor dem Eingange in den Garten hatte aufbauen lassen. Da es dort von den Brettern und von allen seinen andern Huellen befreit worden war, sahen wir, dass sich unsere Furcht nicht bestaetigte. Die Gestalt war so trocken, wie Gips nur ueberhaupt zu sein vermag. Wir setzten nach und nach die Vorrichtungen in Gebrauch, durch die wir die Gestalt in die Naehe der Glaswand der Huette auf eine drehbare Scheibe stellen konnten, um sie nach Bequemlichkeit betrachten und reinigen zu koennen. Da sie auf der Scheibe stand und wir uns von der Sicherheit ihres Standes ueberzeugt hatten, gingen wir zu ihrer Betrachtung ueber. Eustach war ueber ihre Schoenheit entzueckt und machte mich auf Manches aufmerksam, was mir auf dem Tanz- und Ballplatze bei Cumae und spaeter in der Bauhuette entgangen war. Freilich stand die Gestalt jetzt viel vorteilhafter, da durch die reinen Scheiben der Glaswand das klare Licht auf sie fiel und alle Schwingungen und Schwellungen der Gestaltung deutlich machte. Da wir die Ueberzeugung gewonnen hatten, dass ein edles Werk in das Haus gekommen sei, beschlossen wir, sofort zu dessen Reinigung zu schreiten. Wir nahmen uns vor, dort, wo der Schmutz nur locker auf der Oberflaeche liege und dem reinen Wasser und dem Pinsel weiche, auch nur Wasser und den Pinsel anzuwenden. Leichtes Uebertuenchen und sanftes Glaetten wuerde die letzte Nachhuelfe geben. Fuer tiefer gehende Verunreinigung wurde die Anwendung des Messers und der Feile beschlossen; nur sollte die aeusserste Vorsicht beobachtet und lieber eine kleine Verunreinigung gelassen werden, als dass eine sichtbare Umgestaltung des Stoffes vorgenommen wuerde. Eustach machte in meiner Gegenwart Versuche, und ich billigte sein Verfahren. Es wurde nun sogleich ans Werk geschritten und die Arbeit in der naechsten Zeit fortgesetzt. Eines Tages kam Eustach zu mir herauf und sagte, er muesse mich auf einen sonderbaren Umstand aufmerksam machen. Er sei auf dem Schulterblatte mit dem feinen Messer auf einen Stoff gestossen, der nicht das Taube des Gipses habe, sondern das Messer gleiten mache und etwas wie die Ahnung eines Klanges merken lasse. Wenn die Sache nicht so unwahrscheinlich waere, wuerde er sagen, dass der Stoff Marmor sei. Ich ging mit ihm in die Bretterhuette hinab. Er zeigte mir die Stelle. Es war ein Platz, mit dem die Gestalt haeufig, wenn sie gelegt wurde, auf den Boden kam und der daher durch diesen Umstand und zum Teile durch Versendungen, denen die Gestalt ausgesetzt gewesen sein mochte, mehr abgenutzt war als andere. Ich liess das Messer auf dieser Stelle gleiten, ich liess es an ihr erklingen, und auch ich hatte das Gefuehl, dass es Marmor sei, was ich eben behandle. Weil der Platz, an dem die Versuche gemacht wurden, doch zu augenfaellig war, um weiter gehen zu koennen und ihn etwa zu verunstalten, so beschlossen wir an einem unscheinbareren einen neuen Versuch zu machen. In der Ferse des linken Fusses fehlte ein kleines Stueckchen, dort musste jedenfalls Gips eingesetzt werden, dort beschlossen wir zu forschen. Wir drehten die Gestalt mit ihrer Scheibe in eine Lage, in welcher das helle Licht auf die Luecke an der Ferse fiel. Es zeigte sich, dass neben der kleinen Vertiefung noch ein Stueckchen Gips ledig sei und bei der leisesten Beruehrung herab fallen muesse. Wir setzten das Messer an, das Stueck sprang weg, und es zeigte sich auf dem Grunde, der bloss wurde, ein Stoff, der nicht Gips war. Das Auge sagte, es sei Marmor. Ich holte ein Vergroesserungsglas, wir leiteten durch Spiegel ein schimmerndes Licht auf die Stelle, ich schaute durch das Glas auf sie, und mir funkelten die feinen Kristalle des weissen Marmors entgegen. Eustach sah ebenfalls durch die Linse, wir versuchten an dem Platze noch andere Mittel, und es stellte sich fest, dass die untersuchte Flaeche Marmor sei. Nun begannen wir, um das Unglaubliche voellig zu beweisen oder unsere Meinung zu widerlegen, auch an andern Stellen Untersuchungen. Wir fingen an Stellen an, welche ohnehin ein wenig schadhaft waren und gingen nach und nach zu anderen ueber. Wir beobachteten zuletzt gar nicht mehr so genau die Vorsichten, die wir uns am Anfange auferlegt hatten, und kamen zu dem Ergebnisse, dass an zahlreichen Stellen unter dem Gipse der Gestalt weisser Marmor sei. Der Schluss war nun erklaerlich, dass an allen Stellen, auch den nicht untersuchten, der Gips ueber Marmor liege. Das grosse Gewicht der Gestalt war nicht der letzte Grund unserer Vermutung. Durch welchen Zufall oder durch welch seltsames Beginnen die Marmorgestalt mit Gips koenne ueberzogen worden sein, war uns unerklaerlich. Am wahrscheinlichsten daeuchte uns, dass es einmal irgend ein Besitzer getan habe, damit ein fremder Feind, der etwa seine Wohnstadt und ihre Kunstwerke bedrohte, die Gestalt, als aus wertlosem Stoffe bestehend, nicht mit sich fort nehme. Weil nun doch der Feind die Gestalt genommen habe oder weil ein anderer hindernder Umstand eingetreten sei, habe die Decke nicht mehr weggenommen werden koennen, und der edle Kern habe undenkbar lange Jahre in der schlechten Huelle stecken muessen. Wir fingen nun auf dem Wirbel des Hauptes an, den Gips nach und nach zu beseitigen. Teils, und zwar im Roheren, geschah es mit dem Messer, teils, und zwar gegen das Ende, wurden Pinsel und das aufloesende Mittel des Wassers angewendet. Wir rueckten so von dem Haupte ueber die Gestalt hinunter, und alles und jedes war Marmor. Durch den Gips war der Marmor vor den Unbilden folgender Zeiten geschuetzt worden, dass er nicht das truebe Wasser der Erde oder sonstige Unreinigkeiten einsaugen musste, und er war reiner als ich je Marmor aus der alten Zeit gesehen habe, ja er war so weiss, als sei die Gestalt vor nicht gar langer Zeit erst gemacht worden. Da aller Gips beseitigt war, wurde die Oberflaeche, welche doch durch die feinsten zurueckgebliebenen Teile des Ueberzuges rauh war, durch weiche, wollene Tuecher so lange geglaettet, bis sich der glaenzende Marmor zeigte und durch Licht und Schatten die feinste und zartest empfundene Schwingung sichtbar wurde. Jetzt war die Gestalt erst noch viel schoener als sie sich in Gips dargestellt hatte, und Eustach und ich waren von Bewunderung ergriffen. Dass sie nicht aus neuer Zeit stamme, sondern dem alten Volke der Griechen angehoere, erkannten wir bald. Ich hatte so viele und darunter die als die schoensten gepriesenen Bildwerke der alten Heidenzeit gesehen und vermochte daher zwischen ihren und den Arbeiten des Mittelalters oder der neuen Zeit zu vergleichen. Ich hatte alle Abbildungen, welche von den Bildwerken der alten Zeit zu bekommen waren, in den Asperhof gebracht, so dass ich neuerdings Vergleichungen anstellen konnte, und dass auch Eustach, welcher nicht so viel in Wirklichkeit gesehen hatte, ein Urteil zu gewinnen vermochte. Nur nach sehr langen und sehr genauen Untersuchungen gaben wir uns mit Festigkeit dem Gedanken hin, dass das Standbild aus der alten Griechenzeit herruehre. Wir lernten bei diesen Untersuchungen, zu deren groesserer Sicherstellung wir sogar Reisen unternahmen, die Merkmale der alten und neuen Bildwerke so weit kennen, dass wir die Ueberzeugung gewannen, die besten Werke beider Zeiten gleich bei der ersten Betrachtung von einander unterscheiden zu koennen. Das Schlechte ist freilich schwerer in Hinsicht seiner Zeit zu ermitteln. Merkwuerdig ist es, dass voellig Wertloses aus der alten Zeit gar nicht auf uns gekommen ist. Entweder ist es nicht entstanden oder eine kunstbegeisterte Zeit hat es sogleich beseitigt. Wir haben in jener Untersuchungszeit viel ueber alte Kunst gelernt. Von wem und aus welchem Zeitabschnitte aber unser Standbild herruehre, konnten wir nicht ermitteln. Das war jedoch gewiss, dass es nicht der strengen Zeit angehoere und von der spaeteren, weicheren stamme. Ehe ich aber das Bild aus der Huette, in welcher es stand, entfernte, ja ehe ich an den Platz dachte, auf welchen ich es stellen wollte, musste etwas anderes geschehen. Ich reiste nach Italien und suchte bei Cumae den Verkaeufer meines Standbildes auf. Er war mit den Umaenderungen seines Platzes beinahe fertig. Dieser war jetzt eine Halle neuer Art, in welcher einige Menschen suessen roten Wein tranken, in welcher neue Gipsbilder standen, um welche gruener Rasen war und aus welcher man eine schoene Aussicht hatte. Ich erzaehlte ihm von der Entdeckung, welche ich gemacht hatte und sagte, er moege nun nach derselben den Preis des Bildes bestimmen. Er koennte es zu diesem Zwecke selber in Deutschland besehen oder es besehen lassen. Er fand Beides nicht fuer noetig, sondern forderte sogleich eine ansehnliche Summe, die den Wert eines solchen Gegenstandes, deren Preise in den verschiedenen Zeiten sehr wechseln, darstellen mochte. Ich war damals schon in den Besitz meiner groesseren Habe gekommen, die mir durch eine Erbschaft zugefallen war, und zeigte mich bereit, die Summe zu erlegen, nur moechte ich mich ueber das Herkommen des Standbildes noch naeher unterrichten und mir die Gewissheit ueber das Recht verschaffen, das mein Vormann bei so veraenderter Sachlage ueber das Bild habe. Meine Forschungen fuehrten zu nichts weiter, als dass das Bild seit vielen Menschenaltern schon in dem Besitze der Familie sei, von welcher ich es habe, dass einmal Ueberreste eines alten Gebaeudes hier gewesen waeren, dass man das Gebaeude nach und nach abgebrochen habe, dass man aus Wasserbecken, niederen Saeulengittern und andern Dingen von weissem Steine Kalk gebrannt, und dass man aus den Resten des Gebaeudes und mit dem Kalke Haeuser in den Umgebungen gebaut habe. Es seien mehrere Standbilder bei den Truemmern gewesen und seien verkauft worden. Fuer das weisse Maedchen mit dem Stabe in der Hand habe man einmal einen Mantel aus Holz gemacht, darueber ist ein Streit in Hinsicht der Zahlung entstanden, und die Schrift, welche den Grossvater des jetzigen Besitzers zur Zahlung verurteilte, ist mir in dem Amte zur Einsicht und beglaubigten Abschrift gewiesen worden. Nachdem ich mir noch einen Kaufvertrag ueber das Marmorbild von einem Notar hatte verfassen lassen und mich mit einer gefertigten Abschrift versehen hatte, erlegte ich die geforderte Summe und reiste wieder nach Hause. Hier wurde beraten, wohin das nun mit allem Rechte mein genannte Standbild kommen sollte. Es war nicht schwer, die Stelle auszufinden. Ich hatte auf der Marmortreppe schon einen Absatz errichtet, der einerseits die Treppe unterbrechen und ihr dadurch Zierlichkeit verleihen und andrerseits dazu dienen sollte, dass einmal ein Standbild auf ihm stehe und der Treppe den groessten Schmuck verleihe. Nachdem wir uns durch Messungen ueberzeugt hatten, dass die Gestalt fuer den Platz nicht zu hoch sei, wurde der kleine Sockel verfertigt, auf dem sie jetzt steht, es wurde eine Vorrichtung gebaut. sie auf den Platz zu bringen, und sie wurde auf ihn gebracht. Wir standen nun oft vor der Gestalt und betrachteten sie. Die Wirkung wurde statt schwaecher immer groesser und nachhaltiger, und unter allen Kunstgegenstaenden, die ich habe, ist mir dieser der liebste. Das ist der hohe Wert der Kunstdenkmale der alten, heitern Griechenwelt, nicht bloss der Denkmale der bildenden Kunst, die wir noch haben, sondern auch der der Dichtung, dass sie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemuet erfuellen und es, wenn die Lebensjahre des Menschen nach und nach fliessen, nicht verlassen, sondern es mit Ruhe und Groesse noch mehr erweitern und mit Unscheinbarkeit und Gesetzmaessigkeit zu immer groesserer Bewunderung hinreissen. Dagegen ist in der Neuzeit oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die Seele nicht gefangen nimmt, sondern als ein Unwahres von sich stoesst. Es sind manche Maenner gekommen, das Standbild zu betrachten, manche Freunde und Kenner der alten Kunst, und der Erfolg ist fast immer derselbe gewesen, ein Ernst der Anerkennung und der Wuerdigung. Wir, Eustach und ich, sind in den Dingen der alten Kunst sehr hiedurch vorgeschritten, und beide sind wir von der alten Kunst erst recht zur Erkenntnis der mittelalterlichen gekommen. Wenn wir die unnachahmliche Reinheit, Klarheit, Mannigfaltigkeit und Durchbildung der alten Gestaltungen betrachtet hatten und zu denen des Mittelalters gingen, bei welchen grosse Fehler in diesen Beziehungen walten, so sahen wir hier ein Inneres, ein Gemuet voll Ungeziertheit, voll Glauben und voll Innigkeit, das uns fast im Stammeln so ruehrt wie uns jenes dort im vollendeten Ausdrucke erhobt. Ueber die Zeit der Entstehung unseres Standbildes koennen wir auch jetzt noch nichts Festes behaupten, auch nicht, ob es mit anderen aus dem Volke von Standbildern, das in Hellas stand, nach Rom gekommen ist, oder ob es unter den Roemern von einem Griechen gefertigt worden ist, wie man es in jener Roemerzeit, da griechische Kunst mit nicht hinlaenglichem Verstaendnisse ueber Italien ausgebreitet wurde, in den Sitz eines Roemers gebracht hat und wie es auf ein ganz anderes, entferntes Geschlecht uebergegangen ist." Er schwieg nach diesen Worten, und ich sah den Mann an. Wir waren, waehrend er sprach, in dem Saale auf und nieder gegangen. Ich begriff, warum er diesen Saal bei Abendgewittern aufsucht. Durch die hellen Fenster schaut der ganze suedliche Himmel herein, und auch Teile des westlichen und des oestlichen sind zu erblicken. Die ganze Kette der hiesigen Alpen kann am Rande des Gesichtskreises gesehen werden. Wenn nun ein Gewitter in jenem Raume entsteht - und am schoensten sind Gewitterwaende oder Gewitterberge, wenn sie sich ueber fernhinziehende Gebirge lagern oder laengs des Kammes derselben dahin gehen -, so kann er dasselbe frei betrachten, und es breitet sich vor ihm aus. Zu dem Ernste der Wolkenwaende gesellt sich der Ernst der Waende von Marmor, und dass in dem Saale gar keine Geraete sind, vermehrt noch die Einsamkeit und Groesse. Wenn nun vollends schon eine schwache Abenddaemmerung eingetreten ist, so zeigt die Oberflaeche des Marmors den Widerschein der Blitze, und waehrend wir so auf und nieder gingen, war einige Male der reine, kalte Marmor wie in eine Glut getaucht, und nur die hoelzernen Tueren standen dunkel in dem Feuer oder zeigten ihre duestere Fuegung. Ich fragte meinen Gastfreund, ob er das Marmorstandbild schon lange besitze. "Die Zahl der Jahre ist nicht sehr gross", antwortete er, "ich kann sie euch aber nicht genau angeben, weil ich sie nicht in meinem Gedaechtnisse behalten habe. Ich werde in meinen Buechern nachsehen und werde euch morgen sagen, wie lange das Bild in meinem Hause steht." "Ihr werdet wohl erlauben", sagte ich, "dass ich die Gestalt oefter ansehen darf und dass ich mir nach und nach einpraege und immer klarer mache, warum sie denn so schoen ist und welches die Merkmale sind, die auf uns eine solche Wirkung machen." "Ihr duerft sie besehen, so oft ihr wollt", antwortete er, "den Schluessel zu der Tuer des Marmorganges gebe ich euch sehr gerne, oder ihr koennt auch von dem Gange der Gastzimmer ueber die Marmortreppe hinabgehen, nur muesst ihr sorgen, dass ihr immer Filzschuhe in Bereitschaft habt, sie anzuziehen. Ich freue mich jetzt, dass ich den Marmorgang und die Treppe so habe machen lassen, wie sie gemacht sind. Ich habe damals schon immer daran gedacht, dass auf die Treppe ein Bild von weissem Marmor wird gestellt werden, dass dann am besten das Licht von oben darauf herabfaellt und dass die umgebenden Waende so wie der Boden eine dunklere, sanfte Farbe haben muessen. Das reine Weiss - in der lichten Daemmerung der Treppe erscheint es fast als ganz rein - steht sehr deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schoenheit erkennen wollt, so werdet ihr keine finden. Das ist eben das Wesen der besten Werke der alten Kunst, und ich glaube, das ist das Wesen der hoechsten Kunst ueberhaupt, dass man keine einzelnen Teile oder einzelne Absichten findet, von denen man sagen kann, das ist das Schoenste, sondern das Ganze ist schoen, von dem Ganzen moechte man sagen, es ist das Schoenste; die Teile sind bloss natuerlich. Darin liegt auch die grosse Gewalt, die solche Kunstwerke auf den ebenmaessig gebildeten Geist ausueben, eine Gewalt, die in ihrer Wirkung bei einem Menschen, wenn er altert, nicht abnimmt, sondern waechst, und darum ist es fuer den in der Kunst Gebildeten so wie fuer den voellig Unbefangenen, wenn sein Gemuet nur ueberhaupt dem Reize zugaenglich ist, so leicht, solche Kunstwerke zu erkennen. Ich erinnere mich eines Beispieles fuer diese meine Behauptung, welches sehr merkwuerdig ist. Ich war einmal in einem Saale von alten Standbildern, in welchem sich ein aus weissem Marmor verfertigter, auf seinem Sitze zurueckgesunkener und schlafender Juengling befand. Es kamen Landleute in den Saal, deren Tracht schliessen liess, dass sie in einem sehr entfernten Teile des Landes wohnten. Sie hatten lange Roecke, und auf ihren Schnallenschuhen lag der Staub einer vielleicht erst heute Morgen vollbrachten Wanderung. Als sie in die Naehe des Juenglings kamen, gingen sie behutsam auf den Spitzen ihrer Schuhe vollends hinzu. Eine so unmittelbare und tiefe Anerkennung ist wohl selten einem Meister zu Teil geworden. Wer aber in einer bestimmten Richtung befangen ist und nur die Schoenheit, die in ihr liegt, zu fassen und zu geniessen versteht, oder wer sich in einzelne Reize, die die neuen Werke bringen, hineingelebt hat, fuer den ist es sehr schwer, solche Werke des Altertums zu verstehen, sie erscheinen ihm meistens leer und langweilig. Ihr waret eigentlich auch in diesem Falle. Wenngleich nicht von der neuen, nur bestimmte Seiten gebenden Kunst gefangen, habt ihr doch Abbildungen von gewissen Gegenstaenden, besonders denen eurer wissenschaftlichen Bestrebungen, zu sehr und zu lange in einer Richtung gemacht, als dass euer Auge sich nicht daran gewoehnt, euer Gemuet sich nicht dazu hingeneigt haette und ungefueger geworden waere, etwas anderes mit gleicher Liebe aufzunehmen, das in einer anderen Richtung lag, oder vielmehr, das sich in keiner oder in allen Richtungen befand. Ich habe gar nie gezweifelt, dass ihr zu dieser Allgemeinheit gelangen werdet, weil schoene Kraefte in euch sind, die noch auf keinen Afterweg geleitet sind und nach Erfuellung streben; aber ich habe nicht gedacht, dass dies so bald geschehen werde, da ihr noch zu kraftvoll in dem auf seiner Stufe hoechst lobenswerten Streben nach dem Einzelnen begriffen waret. Ich habe geglaubt, irgend ein grosses, allgemeines menschliches Gefuehl, das euch ergreifen wuerde, wuerde euch auf den Standpunkt fuehren, auf dem ich euch jetzt sehe." Ich konnte eine geraume Zeit auf diese letzte Rede meines Gastfreundes nichts antworten. Wir gingen schweigend in dem Saale auf und nieder, und es war um so stiller, als unsere mit weichen Sohlen bekleideten Fuesse nicht das geringste Geraeusch auf dem glaenzenden Fussboden machten. Blitze zuckten zuweilen in den Spiegelflaechen um und unter uns, der Donner rollte gleichsam bei den offenen Fenstern herein und die Wolken bauten sich in Gebirgen oder in Truemmern oder in luftigen Laenderstrecken durch den weiten Raum auf, den die Fenster des Saales beherrschten. Ich sagte endlich, dass ich mich jetzt erinnere, wie mein Vater oft geaeussert habe, dass in schoenen Kunstwerken Ruhe in Bewegung sein muesse. "Es ist ein gewoehnlicher Kunstausdruck", entgegnete mein Gastfreund, "allein es taete es auch ohne ihn. Man versteht gewoehnlich unter Bewegung Bewegbarkeit. Bewegung kann die bildende Kunst, von der wir hier eigentlich reden, gar nicht darstellen. Da die Kunst in der Regel lebende Wesen, Menschen, Tiere, Pflanzen - und selbst die Landschaft trotz der starrenden Berge ist mit ihren beweglichen Wolken und ihrem Pflanzenschmucke dem Kuenstler ein Atmendes; denn sonst wird sie ihm ein Erstarrendes - darstellt, so muss sie diese Gegenstaende so darstellen, dass es dem Beschauer erscheint, sie koennten sich im naechsten Augenblicke bewegen. Ich will hier wieder aus dem Altertume ein Beispiel anfuehren. Alle Stoffe, mit welchen Menschen sich bekleiden, nehmen nach der Art der Bewegungen, denen sich verschiedene Menschen gerne hingeben, verschiedene Gestaltungen an. Ein Freund von mir erkannte einen alten wohlbekannten und trefflichen Schauspieler einmal bei einer Gelegenheit, bei welcher er nur ein Stueck des Rockes des Schauspielers sehen konnte. Wenn nun die Gestaltungen der Stoffe, die sich meistens in Falten kund geben, nach der Wirklichkeit nachgebildet werden, nicht nach willkuerlichen Zurechtlegungen, die man nach herkoemmlichen Schoenheitsgesetzen an der Gliederpuppe macht, so liegt in diesen nachgebildeten Gestaltungen zuerst eine bestimmte Eigentuemlichkeit und Einzelheit, die den Gegenstand sinnlich hinstellt, und dann drueckt die Gestaltung nicht bloss den Zustand aus, in dem sie gegenwaertig ist, sondern sie weist auch auf den zurueck, der unmittelbar vorher war und von dem sich die Gebilde noch leise vorfinden, und sie laesst zugleich den naechstkuenftigen ahnen, zu dem die Bildungen neigen. Dies ist es, was bei Gewandungen ganz vorzueglich fuer das beschauende Auge den Begriff der Bewegung gibt und mithin der Lebendigkeit. Dies ist es, da die Alten so gerne nach der Natur arbeiteten, was sie dort, wo sie Gewaender anbringen, so meisterhaft handhaben, dass der Spruch entstanden ist, sie stellten nicht nur dar, was ist, sondern auch, was zunaechst war und sein wird. Darum bilden sie in der Gewandung nicht bloss die Hauptteile, sondern auch die entsprechenden Unterabteilungen, und dies mit einer solchen Zartheit und Genauigkeit, dass man auf den Stoff des Werkes vergisst und nur den Stoff der Gewandung sieht und ihn zusammenlegen und in der Hand ballen zu koennen vermeint. Solcher Bildung gegenueber legen manche Neuen sogenannte edle Falten zurecht, bilden sie im Erze oder Marmor nach, vermeiden hiebei in sorglichem Masse zu grosse Einzelheiten, um nicht unruhig zu werden, und erzielen hiebei, dass man allerdings grosse, edle Massen von Faltungen sieht, dass aber in der Falte der Stoff des Werkes, nicht des Gewandes herrscht, dass man die marmorne, die erzene Falte sieht, dass das Gemuet erkaeltet wird und dass man meint, der Mann, der damit angetan ist, koenne nicht gehen, weil ihn die erzene Falte hindere. Wie es mit dem Gewande ist, ist es auch mit dem Leibe, der das Gewand der Seele ist, und die Seele allein kann ja nur der Gegenstand sein, welchen der Kuenstler durch das Bild und Gleichnis des Leibes darstellt. Hier auch liessen sich die Alten von der Natur leiten, und wenn sie Suenden begingen, die das Auge des naturforschenden Zergliederers, strenge genommen, tadeln muesste, so begingen sie keine, die das nicht so stofflich blickende Auge der Kunst zu verdammen gezwungen waere. Dafuer zeigt die Schwingung der Gliederflaechen in ihren Teilen und Unterabteilungen eine solche Ausbildung und Durchfuehrung, dass die Zustaende von jetzt und von unmittelbar vorher und nachher sichtbar werden, dass die Glieder, wie ich vorher von der Gewandung sagte, die Vorstellung der Beweglichkeit geben und dass sie leben. Wie bei den Gewaendern bilden manche Neue auch die Glieder ins Groessere, Allgemeinere, weniger Ausgefuehrte, um nicht krampfig zu werden, und dann geraten die Muskeln gerne wie glatte, sproede, unbiegsame Glaskoerper, und die Gestalt kann sich nicht ruehren. Das Gesagte mag ungefaehr den Begriff von dem geben, was man in der Kunst unter Bewegung versteht. Was man unter Ruhe begreift, das mag wohl zuerst darin bestehen, dass jeder Gegenstand, den die bildende Kunst darstellt, genau betrachtet, in Ruhe ist. Der laufende Wagen, das rennende Pferd, der stuerzende Wasserfall, die jagende Wolke, selbst der zuckende Blitz sind in der Abbildung ein Starres, Bleibendes, und der Kuenstler kann nur durch die frueher von mir angedeuteten Mittel die Bewegung als Bewegbarkeit, als Taeuschung des Auges darstellen, wodurch er zugleich seinen Gegenstand ueber die Grenzen des unmittelbar Dargestellten hinaushebt und ihm eine ungleich groessere Bedeutung gibt. Aber die dargestellte Bewegung darf nicht zu gewaltsam sein, sonst helfen die Mittel nicht, der Kuenstler scheitert und wird laecherlich. Zum Beispiele Pferde, die von einem Felsen durch die Luft hinabstuerzen, duerfen nicht in der Luft fallend gemalt werden - wenigstens duerfte dies leichter eine den Verstand befriedigende Zeichnung als ein das ganze Kunstvermoegen entzueckendes Bild werden. Darum darf der in seinen Gestalten sich stets erneuende Wasserfall mit weit geringerer Gefahr dargestellt werden als eine Fluessigkeit, die aus einem Gefaesse gegossen wird, wobei die Einbildungskraft sich mit dem Gedanken quaelt, dass das Gefaess nicht leer wird. Der in hohen Lueften auf seinen Schwingen ruhende Geier ist im Bilde erhaben, der dicht vor unsern Augen auf seine Beute stuerzende kann sehr misslich werden. Der an Bergen emporsteigende Nebel ist lieblich, der von einer abgefeuerten Kanone aufsteigende Rauch verletzt uns durch sein immerwaehrendes Bleiben. Es ist begreiflich, dass die Grenzen zwischen dem Darstellbaren in der Bewegung nicht fest zu bestimmen sind und dass groessere Begabungen viel weiter hierin gehen duerfen als kleinere. So sah ich schon sehr oft gemalte fahrende Waegen. Die Pferde sind gewoehnlich ihrer Fussstellung nach im schoensten Laufe begriffen, waehrend die Speichen der Wagenraeder klar und sichtbar in voelliger Ruhe starren. Der groessere Kuenstler wird uns den Nebel der sausenden Speichen darstellen und manches Andere zutun und zusammenstellen, dass wir den Wagen wirklich fahren sehen. Ausser dem hier gegebenen Begriffe von stofflicher Ruhe mag wohl unter Ruhe weit oefter die kuenstlerische zu verstehen sein, die ein Kunstwerk, sei es Bild, Dichtung oder Musik, nie entbehren kann, ohne aufzuhoeren, ein Kunstwerk zu sein. Es ist diese Ruhe jene allseitige Uebereinstimmung aller Teile zu einem Ganzen, erzeugt durch jene Besonnenheit, die in hoechster kunstliebender Begeisterung nie fehlen darf, durch jenes Schweben ueber dem Kunstwerke und das ordnende Ueberschauen desselben, wie stark auch Empfindungen oder Taten in demselben stuermen moegen, die das Kunstschaffen des Menschen dem Schaffen Gottes aehnlich macht und Mass und Ordnung blicken laesst, die uns so entzuecken. Bewegung regt an, Ruhe erfuellt, und so entsteht jener Abschluss in der Seele, den wir Schoenheit nennen. Es ist nicht zu zweifeln, dass sich Andere vielleicht Anderes bei diesen Worten denken, dass dieses Andere gut oder besser als das Meinige sein kann - gewoehnlich geht es mit solchen Gangwoertern so, dass jeder seinen eigenen Sinn hinein legt. Das Beste ist, dass die schaffende Kraft in der Regel nicht nach solchen aufgestellten Saetzen wirkt, sondern das Rechte trifft, weil sie die Kraft ist, und es desto sicherer trifft, je mehr sie sich auf ihrem eigentuemlichen Wege naturgemaess ausbildet. Fuer das Verstaendnis der Kunst, fuer solche, welche ihre Werke beschauen und sich darueber besprechen, sind Auslegungen derselben Einkleidung ihres Wesens in Worte eine sehr nuetzliche Sache, nur muss man die Worte nicht zum Hauptgegenstande machen und auf einen Sinn, den man ihnen beilegt, nicht so bestehen, dass man alles verdammt, was nicht nach diesem Sinne ist. Sonst muesste man ja den groessten und einzigen Kuenstler am meisten tadeln, Gott, der so unzaehlige Gestaltungen erschaffen hat und dessen Werke ja wirklich von Menschen untergeordneten Geistes getadelt werden, die meinen, sie haetten es anders gemacht." Bei diesen Worten kam Gustav in den Saal. Die Daemmerung hatte schon stark zugenommen, es regnete aber noch immer nicht. "Dieser steht noch auf demselben Stande, auf welchem ihr frueher gestanden seid", sagte mein Gastfreund auf Gustav weisend, der auf ihn zuging. "Wie meinst du das, Vater?" fragte der Knabe. "Wir redeten von Kunst", antwortete mein Gastfreund, "und da behaupte ich, dass du noch nicht in der Lage bist, Kunstwerke so erkennen und beurteilen zu koennen wie unser Gast hier." "Wohl, das behaupte ich selber", sagte Gustav, "er ist darum auch teilweise mein Lehrer, und wenn er in der Erkenntnis der Kunst dir und Eustach und der Mutter nachstrebt, so werde ich meines Teils ihm wieder nachstreben." "Das ist gut", sagte mein Gastfreund, "aber das ist es nicht so ganz, wovon wir sprachen, allein es tut nichts zur Sache und gehoert auch nicht zur Wesenheit." Mit diesen Worten, gleichsam um ferneren Fragen vorzubeugen, trat er an ein Fenster und wir mit ihm. Wir betrachteten eine Weile die Erscheinung vor uns, die ueber dem immer dunkler werdenden Gefilde immer grossartiger wurde, und gingen dann, da der Abend beinahe in Finsternis uebergehen wollte und die Stunde des Abendessens gekommen war, ueber die Marmortreppe in das Speisezimmer hinunter. Das Gewitter war in der Nacht ausgebrochen, hatte einen Teil derselben mit Donnern und einen Teil mit blossem Regen erfuellt und machte dann einem sehr schoenen und heiteren Morgen Platz. Das Erste, was ich an diesem Tage tat, war, dass ich zu dem marmornen Standbilde ging. Ich hatte es gestern, da wir ueber die Treppe hinabstiegen, nicht mehr deutlich und nur von einem Blitze oberflaechlich beleuchtet gesehen. Die Finsternis war auf der Treppe schon zu gross gewesen. Heute stand es in der ruhigen und klaren Helle des Tages, welche das Glasdach auf die Treppe sendete, schmucklos und einfach da. Ich hatte nicht gedacht, dass das Bild so gross sei. Ich stellte mich ihm gegenueber und betrachtete es lange. Mein Gastfreund hatte Recht, ich konnte keine eigentliche einzelne Schoenheit entdecken, was wir im neuen Sinne Schoenheit heissen, und ich erinnerte mich auf der Treppe sogar, dass ich oft von einem Buche oder von einem Schauspiele, ja von einem Bilde sagen gehoert hatte, es sei voller Schoenheiten, und dem Standbilde gegenueber fiel mir ein, wie unrecht entweder ein solcher Spruch sei oder, wenn er berechtigt ist, wie arm ein Werk sei, das nur Schoenheiten hat, selbst dann, wenn es voll von ihnen ist und das nicht selber eine Schoenheit ist; denn ein grosses Werk, das sah ich jetzt ein, hat keine Schoenheiten und um so weniger, je einheitlicher und einziger es ist. Ich geriet sogar auf den Gedanken und auf die Erfahrung, die ich mir nie klar gemacht hatte, dass, wenn man sagt, dieser Mann, diese Frau habe eine schoene Stimme, schoene Augen, einen schoenen Mund, eben damit zuleich gesagt ist, das andere sei nicht so schoen; denn sonst wuerde man nicht Einzelnes herausheben. Was bei einem lebenden Menschen gilt, dachte ich, gilt bei einem Kunstwerke nicht, bei welchem alle Teile gleich schoen sein muessen, so dass keiner auffaellt, sonst ist es eben als Kunstwerk nicht rein und ist im strengsten Sinne genommen keines. Dessenohngeachtet, dass ich, oder vielmehr eben darum, weil ich keine einzelnen Schoenheiten an dem Standbilde zu entdecken vermochte, machte es, wie ich mir jetzt ganz klar bewusst war, wieder einen ausserordentlichen Eindruck auf mich. Der Eindruck war aber nicht einer, wie ich ihn oefter vor schoenen Sachen hatte, ja selbst vor Dichtungen, sondern er war, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, allgemeiner, geheimer, unentraetselbarer, er wirkte eindringlicher und gewaltiger; aber seine Ursache lag auch in hoeheren Fernen, und mir wurde begreiflich, ein welch hohes Ding die Schoenheit sei, wie schwerer sie zu erfassen und zu bringen sei als einzelne Dinge, die die Menschen erfreuen und wie sie in dem grossen Gemuete liege und von da auf die Mitmenschen hinausgehe, um Grosses zu stiften und zu erzeugen. Ich empfand, dass ich in diesen Tagen in mir um Vieles weiter gerueckt werde. In der naechsten Zeit sprach ich auch mit Eustach ueber das Standbild. Er war sehr erfreut darueber, dass ich es als so schoen erkannte, und sagte, dass er sich schon lange darnach gesehnt habe, mit mir ueber dieses Werk zu sprechen; allein es sei unmoeglich gewesen, da ich selber nie davon geredet habe und eine Zwiesprache nur dann erspriesslich werde, wenn man beiderseitig von einem Gegenstande durchdrungen sei. Wir betrachteten nun miteinander das Bildwerk und machten uns wechselseitig auf Dinge aufmerksam, die wir an demselben zu erkennen glaubten. Besonders war es Eustach, der ueber das Marmorbild, so sehr es sich in seiner Einfachheit und seiner taeglich sich vor mir immer staunenswerter entwickelnden Natuerlichkeit jeder Einzelverhandlung zu entziehen schien, doch ueber sein Entstehen, ueber die Art seiner Verhaeltnisse, ueber seine Gesetzmaessigkeit und ueber das Geheimnis seiner Wirkung sachkundig zu sprechen wusste. Ich hoerte begierig zu und empfand, dass es wahr sei, was er sprach, obgleich ich ihn nicht immer so genau verstand wie meinen Gastfreund, da er nicht so klar und einfach zu sprechen wusste wie dieser. Ich schritt in der Erkenntnis des Bildes vor, und es war mir, als ob es nach seinen Worten immer naeher an mich heran gerueckt wuerde. Er suchte viele Zeichnungen hervor, auf denen sich Abbildungen von Standbildern oder andern geschnitzten oder auf anderem Wege hervorgebrachten Gestalten des Mittelalters befanden. Wir verglichen diese Gestalten mit der aus dem Griechentume stammenden. Auch wirkliche Gestaltungen von kleinen Engeln, Heiligen oder anderen Personen, die sich in dem Rosenhause oder in der Naehe befanden, suchte er zur Vergleichung herbei zu bringen. Es zeigte sich hier fuer meine Augen, dass das wahr sei, was mein Gastfreund ueber griechische und mittelalterliche Kunst gesagt hatte. Es war mir wie ein jugendlicher und doch maennlich gereifter Sinn voll Mass und Besonnenheit sowie voll herrlicher Sinnfaelligkeit, der aus dem Griechenwerke sprach. In den mittelalterlichen Gebilden war es mir ein liebes, einfaches, argloses Gemuet, das glaeubig und innig nach Mitteln griff, sich auszusprechen, der Mittel nicht voellig Herr wurde, dies nicht wusste und doch Wirkungen hervorbrachte, die noch jetzt ihre Macht auf uns aeussern und uns mit Staunen erfuellen. Eis ist die Seele, die da spricht und in ihrer Reinheit und in ihrem Ernste uns mit Bewunderung erfuellt, waehrend spaetere Zeiten, von denen Eustach zahlreiche Abbildungen von Bildwerken vorlegte, trotz ihrer Einsicht, ihrer Aufgeklaertheit und ihrer Kenntnis der Kunstmittel nur frostige Gestalten in unwahren Flattergewaendern und uebertriebenen Gebaerden hervorbrachten, die keine Glut und keine Innigkeit haben, weil sie der Kuenstler nicht hatte, und die nicht einmal irgend eine Seele zeigen, weil der Kuenstler nicht mit der Seele arbeitete, sondern mit irgend einer Ueberlegung nach eben herrschenden Gestaltungsansichten, weshalb er das, was ihm an Gefuehl abging, durch Unruhe und Heftigkeit des Werkes zu ersetzen suchte. Was die Sinnfaelligkeit anlangt, so schien mir das Mittelalter nicht nach Vollendung in derselben gestrebt zu haben. Neben einem Haupte, das in seiner Einfachheit und Gegenstaendlichkeit trefflich und tadellos war, befinden sich wieder Bildungen und Gliederungen, die beinahe unmoeglich sind. Der Kuenstler sah dies nicht; denn er fand den Zustand seines Gemuetes in dem Ausdrucke seines Werkes, mehr hatte er nicht beabsichtigt, und nach Verschmelzung des Sinnentumes strebte er nicht, weil es ihm, wenigstens in seiner Kunsttaetigkeit ferne lag und er einen Mangel nicht empfand. Darum stellt sich auch bei uns die Wirkung der Innerlichkeit ein, obgleich wir, unaehnlich dem schaffenden Kuenstler des Mittelalters, die sinnlichen Maengel des Werkes empfinden. Dies spricht um so mehr fuer die Trefflichkeit der damaligen Arbeiten. Es waren recht schoene Tage, die ich mit Eustach in diesen Vergleichungen und diesen Bestrebungen hinbrachte. Ich wurde auch wieder auf die Gemaelde alter und laengstvergangener Zeiten zurueckgefuehrt. Ich hatte in meiner fruehesten Jugend eine Abneigung vor alten Gemaelden gehabt. Ich glaubte, dass in ihnen eine Dunkelheit und Duesterheit herrsche, die dem froehlichen Reize der Farben, wie er in den neuen Bildern sich vorstellt und wie ich ihn auch in der Natur zu sehen meinte, entgegen und weit untergeordnet sei. Diese Meinung hatte ich zwar fahren gelassen, als ich selber zu malen begonnen und nach und nach gesehen hatte, dass die Dinge der Natur und selber das menschliche Angesicht die heftigen Farben nicht haben, die sich in dem Farbekasten befinden, dass aber dafuer die Natur eine Kraft des Lichtes und des Schattens besitze, die wenigstens ich durch alle meine Farben nicht darzustellen vermochte. Dessohngeachtet war mir die Erkenntnis dessen, was die Malerkunst in frueheren Zeiten hervorgebracht hatte, nicht in dem Masse aufgegangen, als es der Sache nach notwendig gewesen waere. Wenn ich gleich im Einzelnen vorgesehritten war und Manches in alten Bildern als sehr schoen erkannt hatte, so war ich doch fort und fort zu sehr in meinen Bestrebungen auf dem Gebiete der Natur befangen, als dass ich auf andere Gebilde als die der Natur mit kraeftiger Innerlichkeit geachtet haette. Darum erschienen mir Pflanzen, Faltern, Baeume, Steine, Waesser, selbst das menschliche Angesicht als Gegenstaende, die wuerdig waeren, von der Malerkunst nachgebildet zu werden; aber alte Bilder erschienen mir nicht als Nachbildungen, sondern gewissermassen als kostbare Gegenstaende, die da sind und auf denen sich Dinge befinden, die man gewohnt ist als auf Gemaelden befindliche zu sehen. Diese Richtung hatte fuer mich den Nutzen, dass ich bei meinen Versuchen, Gegenstaende der Natur zu malen, nicht in die Nachahmung irgend eines Meisters verfiel, sondern dass meine Arbeiten mit all ihrer Fehlerhaftigkeit etwas sehr Gegenstaendliches und Naturwahres hatten; aber es erwuchs mir auch der Nachteil daraus, dass ich nie aus alten Meistern lernte, wie dieser oder jener die Farben und Linien behandelt habe und dass ich mir alles selber muehevoll erfinden musste und in Vielem gar zu einem Ziele nicht gelangte. Obwohl ich spaeter der Betrachtung mittelalterlicher Gemaelde mich mehr zuwandte und sogar im Winter viele Zeit in Gemaeldesammlungen unserer Stadt zubrachte, so war doch ein frueherer Zustand noch mehr oder weniger unbewusst vorherrschend und die Kunst des Pinsels fand von mir nicht die Hingabe, die sie verdient haette. Als ich jetzt mit Eustach die Zeichnungen mittelalterlicher bildender Kunst durchging, als ich mit ihm ein mir wie ein neues Wunder aufgegangenes Werk des alten Griechentums betrachtete, als ich dieses Werk mit den minder alten unserer Vorfahren verglich und die Unterschiede und Beziehungen einsehen lernte: da fing ich auch an, die Gemaelde meines Gastfreundes anders zu betrachten, als ich bisher sie und andere Gemaelde betrachtet hatte. Ich ging nicht nur oft in sein Bilderzimmer und verweilte lange Zeit in demselben, sondern ich liess mir auch das Verzeichnis der Bilder geben, um nach und nach die Meister kennen zu lernen, die er versammelt hatte, ich bat, dass mir erlaubt werde, mir das eine oder andere Bild, wie ich es eben wuenschte, auf die Staffelei stellen zu duerfen, um es so kennen zu lernen, wie mich ein innerer Drang trieb, und ich brachte oft mehrere Tage in Untersuchung eines einzigen Bildes zu. Welch ein neues Reich oeffnete sich vor meinen Blicken! Wie die Dichter mir eine Welt der Seele aufschlossen, so lag hier wieder eine Welt, es war wieder eine Welt der Seele, wieder dieselbe Welt der hochgehenden Seele der Dichtkunst; aber mit wie ganz anderen Mitteln war sie hier erstrebt und erreicht. Welche Kraft, welche Anmut, welche Fuelle, welche Zartheit, und wie war dem Schoepfer eine aehnliche, eine gleiche, aber menschliche Schoepfung nachgeschaffen. Ich lernte die Beziehungen der alten Malerei - mein Freund hatte fast lauter alte Bilder - zu der Natur kennen. Ich lernte einsehen, dass die alten Meister die Natur getreuer und liebevoller nachahmten als die neuen, ja dass sie im Erlernen der Zuege der Natur eine unsaegliche Ausdauer und Geduld hatten, vielleicht mehr, als ich empfand, dass ich selber haette, und vielleicht mehr, als mancher Kunstjuenger der Gegenwart haben mag. Ich konnte nicht aburteilen, da ich zu wenige Werke der Gegenwart kannte und so betrachtet hatte, als ich jetzt aeltere Bilder betrachtete; aber es schien mir ein groesseres Eingehen in das Wesen der Natur kaum moeglich. Ich begriff nicht, wie ich das so lange nicht in dem Masse hatte sehen koennen, als ich es haette sehen sollen. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit ihnen umging, sich der Wirklichkeit sehr beflissen und sich ihr sehr hingaben, so ging das doch nicht so weit, als ich bei der Abbildung meiner naturwissenschaftlichen Gegenstaende geschritten war, von denen ich alle Einzelheiten, so weit es nur immer moeglich gewesen war, zu geben gesucht hatte. Dies waere, wie ich einsah, der Kunst hinderlich gewesen, und statt einen ruhigen Gesammteindruck zu erzielen, waere sie in lauter Einzelheiten zerfallen. Die Meister, welche mein Gastfreund in seiner Sammlung besass, verstanden es, das Einzelne der Natur in grossen Zuegen zu fassen und mit einfachen Mitteln - oft mit einem einzigen Pinselstriche - darzustellen, so dass man die kleinsten Merkmale zu erblicken waehnte, bei naeherer Betrachtung aber sah, dass sie nur der Erfolg einer grossen und allgemeinen Behandlung waren. Diese grosse Behandlung sicherte ihnen aber auch Wirkungen im Grossen, die dem entgehen, welcher die kleinsten Gliederungen in ihren kleinsten Teilen bildet. Ich sah erst jetzt, welche schoene Gestalten aus dem menschlichen Geschlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel ihre Glieder sind, wie mannigfaltig - strahlend, kraeftig, geistvoll, milde - ihr Antlitz, wie adelig ihre Gewaender, und waere es eine Bettlerjacke, und wie treffend die Umgebung. Ich sah, dass die Farbe der Angesichter und anderer Teile das leuchtende Licht menschlicher Gestaltungen ist, nicht der Farbestoff, mit dem der Unkundige seinen Gebilden ein widriges Rot und Weiss gibt, dass die Schatten so tief gehen, wie sie die Natur zeigt, und dass die Umgebung eine noch groessere Tiefe hat, wodurch jene Kraft erzielt wird, die sich der naehert, welche die Schoepfung durch wirklichen Sonnenschein gibt, den niemand malen kann, weil man den Pinsel nicht in Licht zu tauchen vermag, eine Kraft, die ich jetzt an den alten Bildern so bewunderte. Von der aussermenschlichen Natur sah ich leuchtende Wolken, klare Himmelsgebilde, ragende, reiche Baeume, gedehnte Ebenen, starrende Felsen, ferne Berge, helle, dahinfliessende Baeche, spiegelnde Seen und gruene Weiden, ich sah ernste Bauwerke und ich sah das sogenannte stille Leben in Pflanzen, Blumen, Fruechten, in Tieren und Tierchen. Ich bewunderte das Geschick und den Geist, womit alles zurechtgelegt und hervorgebracht ist. Ich erkannte, wie unsere Vorfahren Landschaften und Tiere malten. Ich erstaunte ueber den zarten Schmelz, womit einer mittelst Ueberfarben seinen Gebilden eine Durchsichtigkeit gab, oder ueber die Staerke, womit ein anderer undurchsichtige Farben hinstellte, dass sie einen Berg bildeten, der das Licht faengt und spiegelt und es so zwingt, das Bild mit zu malen, zu dem ein Licht in dem Farbenkasten nicht war. Ich erkannte, wie der eine in durchsichtigen Farben untermalte und auf diese seine festen, koerperigen Farben aufsetzte, oder wie ein anderer Farbe auf Farbe mit breitem Pinsel hinstellt und mit ihm die Uebergaenge vermittelt und mit ihm die Zeichnung umreisst. Dass alte Bilder duesterer sind, erschien mir einleuchtend, da das Oel die Farben nachdunkeln macht und der Firniss eine dunkle braeunliche Farbe erhaelt. Beides haben umsichtige Meister mehr als voreilige zu vermeiden gewusst, und mein Gastfreund hatte Bilder, die in schoener Pracht und Farbenherrlichkeit leuchteten, obwohl auch bei ihnen die Wuerde bewahrt blieb, dass sie mehr die Kraft des Tones als auffallende oder etwa gar unwahre Farben brachten. Da ich schon viel mit Farben beschaeftigt gewesen war, so verweilte ich oft lange bei einem Bilde, um zu ergruenden, wie es gemalt ist und auf welche Weise die Stoffe behandelt worden sind. In dem Rosenzimmerchen Mathildens, wohin mich mein Gastfreund fuehrte, um auch dort die Bilder zu sehen, hingen vier kleine Gemaelde, davon zwei von Tizian waren, eines von Dominichino und eines von Guido Reni. Sie waren an Groesse fast gleich und hatten gleiche Rahmen. Sie waren die schoensten, die mein Gastfreund besass. Je mehr man sie betrachtete, desto mehr fesselten sie die Seele. Ich bat ihn fast zu oft, mir diese vier Bildchen zu zeigen, und er ermuedete nicht, mir immer die Frauengemaecher aufzuschliessen, mich in das Zimmerchen zu fuehren, mich die Bilder betrachten zu lassen und mit mir darueber zu sprechen. Er nahm sie oefter herab und stellte sie auf dem Tische oder auf einem Sessel so auf, dass sie in dem besten Lichte standen. Ich brachte merkwuerdige Tage in jener Zeit in dem Rosenhause meines Freundes zu. Mein Wesen war in einer hohen, in einer edlen und veredelnden Stimmung. Ich fragte ihn einmal, woher er denn die Bilder erhalten habe. "Sie sind recht nach und nach in das Haus gekommen, wie es der Sammelfleiss und mitunter auch der Zufall gefuegt hat", antwortete er. "Ich habe von einem Oheime mehrere geerbt; sie waren aber nicht die besten, wie ich sie jetzt habe, ich verkaufte einen Teil davon, um mir andere, wenn auch wenigere, aber bessere zu kaufen. Ich habe euch schon einmal gesagt, dass ich in Italien gewesen bin. Ich habe drei Reisen in dieses Land gemacht. Da hat sich Manches gefunden. Ich habe stets nach Bildern gesucht, habe Manches gekauft, Manches wieder verkauft, Neues gekauft, und so war ein fortlaufender Wechsel, bis es so wurde, wie es jetzt ist. Nun aber verkaufe oder vertausche ich nichts mehr, selbst wenn mir etwas Ausserordentliches vorkaeme, das ich nicht ohne Weggabe eines Frueheren erkaufen koennte. Mit dem Alter wird man so anhaenglich an das Gewohnte, dass man es nicht missen kann, wenn es auch verbraucht zu werden beginnt und verschossen und verschollen ist. Ich lege alte Kleider nicht gerne ab, und wenn ich eines der Bilder, die mich nun so lange umgeben, aus dem Hause lassen muesste, so wuerde ich einem grossen Schmerze nicht entgehen. Sie moegen nun bleiben, wie sie sind und wo sie sind, bis ich scheide. Selbst der Gedanke, dass ein Nachfolger die Bilder so lasse und sie ehre, wie sie hier sind, hat fuer mich etwas sehr Angenehmes, obwohl er toericht ist und ich ihm aus dem Wege gehe; denn darin besteht das Leben der Welt, dass ein Streben und Erringen und darum ein Wandel ist, welcher Wandel auch hier eintreten wird. Ich habe auch laengere Zeit schon nichts mehr gekauft, ausser einer recht lieben kleinen Landschaft von Ruysdael, die neben der Tuer im Bilderzimmer haengt und die ihr so gerne anschaut. Ich wuerde nur etwas sehr Wertvolles kaufen, in so ferne es meine Kraefte zuliessen. Ich habe oft Jahre lang auf ein Bild warten muessen, das mir sehr gefiel und das ich zu haben wuenschte, entweder, weil der Besitzer eigensinnig war und, obwohl er das Bild weggeben wollte, doch Bedingungen an die Hingabe knuepfte, die nicht zu erfuellen waren, oder weil er sich von dem Bilde nicht trennen wollte, obgleich er es misshandelte und zu Grunde gehen liess. Zuweilen musste ich schlechtere Bilder kaufen, die durch Farbenreiz oder andere Eigenschaften das Auge ansprachen, um einen Vorrat zum Tausche zu haben. Es gibt nehmlich Leute, welche Freude an Bildern haben, welche aeltere bedeutende Bilder nicht weggeben, wenn sie solche besitzen, sie aber doch nicht erkennen und sie durch schlechte Behandlung Schaden leiden lassen. Sie ziehen ein Gemaelde vor, welches sie besser verstehen, welches ihnen mehr gefaellt, wenn es auch im Werte minder ist, und sind zu einem Tausche bereit. Dieser macht ihnen Freude, und wenn ich ihnen darlegte, dass ihr Gemaelde einen hoeheren Wert habe als das meinige, und wenn ich diesen Wert nach genauer Schaetzung durch Geld ausglich, so war das Vergnuegen noch groesser; denn sie zweifelten doch immer, ob ich Recht habe und das alte Bild nicht aus Vorliebe ueberschaetze, da ihnen ja ihre Augen sagten, dass der Unterschied nicht so gross sei. Auf diese Weise bekam ich manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefuehle nahe treten zu muessen, was bei Bildergeschaeften so leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem Kinde, welche euch so wohl gefaellt und welche ich beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen moechte, hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hauses gefunden. Er war dorthin mit dem Eigentuemer gestiegen, um altes Eisenwerk, darunter sich mittelalterliche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen. Das Bild war ohne Blindrahmen und war nicht etwa zusammengerollt, sondern wie ein Tuch zusammengelegt und lag im Staube. Roland konnte nicht genau erkennen, ob es einen Wert habe, und kaufte es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat hatte es einmal aus Italien geschickt. Er hatte es als blosse Packleinwand benuetzt und hatte Waesche und alte Kleider in dasselbe getan, die ihm zu Hause ausgebessert werden sollten. Darum hatte das Bild Brueche, wo nehmlich die Leinwand zusammengelegt gewesen war, an welchen Bruechen sich keine Farbe zeigte, da sie durch die Gewalt des Umbiegens weggesprungen war. Auch hatte man, da wahrscheinlich die Flaeche zum Zwecke einer Umhuellung zu gross gewesen war, Streifen von ihr weggeschnitten. Man sah die Schnitte noch ganz deutlich, waehrend die anderen Raender sehr alt waren und noch die Spuren von den Naegeln zeigten, mit denen sie einst an den Blindrahmen befestigt gewesen waren. Auch war, durch die Misshandlungen der Zeiten herbeigefuehrt, an andern Stellen als an denen der Brueche die Farbe verschwunden, so dass man nicht nur den Grund des Gemaeldes, sondern hie und da auch die lediglichen nackten Faden der alten Leinwand sehen konnte. So kam das Bild auf dem Asperhofe an. Wir breiteten es zuerst auseinander, wuschen es mit reinem Wasser und mussten dann, um es als Flaeche zu erhalten und es betrachten zu koennen, Gewichte auf seine vier Ecken legen. So lag es auf dem Fussboden des Zimmers vor uns. Wir erkannten, dass es das Werk eines italienischen Malers sei, wir erkannten auch, dass es aus aelterer Zeit stamme; aber von welchem Kuenstler es herruehre oder auch nur aus welcher Zeit es sei, war nach dem Zustande, in welchem die Malerei sich befand, durchaus nicht zu bestimmen. Teile, welche ganz waren, liessen indessen ahnen, dass das Gemaelde einen nicht zu geringen Wert haben duerfte. Wir gingen nun daran, ein Brett zu verfertigen, auf welches das Bild geklebt werden koennte. Wir bereiten solche Bretter gewoehnlich aus Eichenholz, das aus zwei uebereinander liegenden Stuecken, deren Fasern auf einander senkrecht sind, und einem Roste besteht, damit dem sogenannten Werfen oder Verbiegen des Holzes vorgebeugt werde. Als das Brett fertig und die Verkittung an demselben vollkommen ausgetrocknet war, wurde das Gemaelde auf dasselbe aufgezogen. Wir hatten dort, wo die Raender des Bildes weggeschnitten waren, die Holzflaeche groesser gemacht und die neu entstandenen Stellen mit passender Leinwand gut ausgeklebt, um dem Gemaelde annaehernd wieder eine Gestalt geben zu koennen, die es urspruenglich gehabt haben mochte und in der es sich den Augen wohlgefaellig zeigte. Hierauf wurde daran gegangen, das Bild von dem alten, hie und da noch vorfindlichen Firnisse und von dem Schmutze, den es hatte, zu reinigen. Der Firniss war durch die gewoehnlichen Mittel leicht wegzubringen, nicht so leicht aber der durch Jahrhunderte veraltete Schmutz, ohne dass man in Gefahr kam, auch die Farben zu beschaedigen. Das gereinigte, auf der Staffelei stehende Gemaelde wies uns nun eine viel groessere Schoenheit, als es uns nach der ersten oberflaechlichen Waschung gezeigt hatte; aber es war durch die vielen Spruenge, Risse und nackten Stellen noch so verunstaltet, dass eine genaue Wuerdigung auch jetzt nicht moeglich war, selbst wenn wir bedeutend groessere Erfahrungen gehabt haetten als wir hatten. Roland und Eustach schritten zur Ausbesserung. Kein Ding kann schwieriger sein, und durch keins sind Gemaelde so sehr entstellt und entwertet worden. Ich glaube, wir haben einen nicht unrichtigen Weg eingeschlagen. Eine urspruengliche Farbe durfte gar nicht bedeckt werden. Zum Gluecke hatte das Bild gar nie eine Ausbesserung oder sogenannte Uebermalung erhalten, so dass entweder nur die urspruengliche Farbe vorhanden war oder gar keine. In die farbentbloessten Stellen wurde die Farbe, welche die umgrenzenden Raender zeigten, gleichsam wie ein Stift eingesetzt, bis die Grube erfuellt war. Wir nahmen die Farben so trocken als moeglich und so dicht gerieben, als es der Laufer auf dem Steine, ohne stecken zu bleiben zuwege bringen konnte. Wenn sich aber doch wieder nach dem Trocknen eine Vertiefung zeigte, wurde dieselbe neuerdings mit der nehmlichen Farbe ausgefuellt und so fortgefahren, bis eine Hoehlung nicht mehr entstand. Erhoehungen, die blieben, wurden mit einem feinen Messer gleichgeschliffen. Auch ueber unausrottbaren Schmutz wurde die Farbe seiner Umgebung gelegt. Wenn die Farbe nach laengerer Zeit durch das Oel, das sie enthielt, und durch andere Ursachen, die vielleicht noch mitwirken, nachgedunkelt war und sich in dem Gemaelde als Fleck zeigte, wurde mit aeusserst trockener Farbe und mit der Spitze eines feinen Pinsels die Stelle so lange gleichsam ausgepunktet, bis sie sich von der Umgebung durchaus nicht mehr unterschied. Dieses Verfahren wurde zuweilen mehrere Male wiederholt. Zuletzt konnte man mit freien Augen die Plaetze, an welchen sich neue Farben befanden, gar nicht mehr erkennen. Nur das Vergroesserungsglas zeigte noch die Ausbesserungen. Wir brachten Jahre mit diesem Verfahren zu, besonders da Zwischenzeiten waren, die mit andern Arbeiten ausgefuellt werden mussten und da unser Vorgehen selber Zwischenzeiten bedingte, in denen die Farben auszutrocknen hatten oder in denen man ihnen Zeit geben musste, die Veraenderungen zu zeigen, die notwendig bei ihnen eintreten muessen. Dafuer aber war an dem vollendeten Gemaelde nicht zu merken, dass es nicht in allen Teilen ein altes sei, es hatte die feinen Spruenge alter Bilder und hatte alle die Reinheit und Klarheit des Pinsels, der es urspruenglich geschaffen hatte. Wenn man alte Bilder bei Ausbesserungen uebermalt und dadurch stimmt, so ist nicht selten ein Ueberzug ueber die feinen Linien, welche die Zeit in alte Bilder sprengt, und dieser Ueberzug zeigt nicht nur, dass das Bild ausgebessert worden ist, sondern er stellt auch einen feinen Schleier dar, der ueber die Farben gebreitet ist und sie trueb und undurchsichtig macht. Solche Bilder geben oft einen duestern, unerfreulichen und schwerlastenden Eindruck. Es werden Viele unser Tun in Herstellung alter Bilder unbedeutend und unerheblich nennen, besonders da es so viele Zeit und so viele Anstalten erforderte; uns aber machte es eine grosse und eine innige Freude. Ihr werdet es gewiss nicht tadeln, da ihr einen so grossen Anteil an den Hervorbringungen der Kunst zu nehmen beginnt. Wenn nach und nach die Gestalt eines alten Meisters vor uns aufstand, so war es nicht bloss das Gefuehl eines Erschaffens, das uns beseelte, sondern das noch viel hoehere eines Wiederbelebens eines Dinges, das sonst verloren gewesen waere und das wir selber nicht haetten erschaffen koennen. Als schon bereits einige Teile des Bildes fertig waren, zeigte es sich, dass die Farben reiner und glaenzender seien, als wir gedacht hatten, und dass das Bild einen vorzueglicheren Wert habe, als Anfangs unsere Vermutung war. So lange die vielen Spruenge und farblosen Stellen und so lange die unreinen Flecke, die wir nicht hatten beseitigen koennen, auf dem Gemaelde waren, uebten sie auch auf das Nichtzerstoerte und sogar auf das sehr wohl Erhaltene einen Einfluss aus und liessen es im Ganzen missfaerbiger erscheinen, als es war. Nachdem aber in einer ziemlich grossen Flaeche die widerstreitenden Stellen mit den entsprechenden Farben zugedeckt waren und die neue Farbe die alte, statt ihr zu widersprechen, unterstuetzte, so kam eine Reinheit, ein Schmelz, eine Durchsichtigkeit und sogar ein Feuer zu Stande, dass wir in Erstaunen gerieten; denn bei starkbeschaedigten Bildern kann man die Folgerichtigkeit der Uebergaenge nicht beurteilen, bis man sie nicht vollendet vor sich hat. Freilich mochte der besondere Farbenfluss sich noch hoeher darstellen, da er von den unverbesserten und widerwaertigen Stellen umgeben und gehoben wurde; aber das war schon vorauszusehen, dass, wenn das ganze Bild fertig sein wuerde, seine Stimmung einen entschieden kuenstlerischen Eindruck machen muesse. Ich hatte waehrend der Arbeit viele Muehe darauf verwendet, die ganze Geschichte und die Herkunft des Bildes zu erforschen; allein ich kam zu keinem Ergebnisse. Der Soldat, der die Leinwand aus Italien geschickt hatte, war laengst gestorben, und es lebte ueberhaupt niemand mehr, der in naeherer Beziehung zu dem Ereignisse gestanden waere; denn dasselbe hatte sich weit frueher zugetragen, als ich gedacht hatte. Der Grossvater des letzten Besitzers des Bildes hatte oefter erzaehlt, dass er sagen gehoert habe, dass ein aus dem Hause gebuertiger Soldat einmal seine Struempfe und Hemden in ein Muttergottesbild eingewickelt aus Welschland nach Hause geschickt habe. Die Wahrheit der Erzaehlung bestaetigte sich dadurch, dass man noch das alte zerstoerte Marienbild auf dem Dachboden des Hauses fand. Ich konnte auch nicht ergruenden, welche Gelegenheit es gewesen sei, die jenen deutschen Soldaten nach Welschland gefuehrt hatte. Von dem, herauszufinden, aus welcher Gegend Italiens das Bild gekommen sei, konnte nun vollends gar keine Rede mehr sein. Als nach langer Zeit, nach vieler Muehe und mancher Unterbrechung das Gemaelde in einem schoenen, altertuemlich gearbeiteten Goldrahmen fertig vor uns stand, war es eine Art Fest fuer uns. Roland war herbei gerufen worden, da er gegen den Schluss des Werkes eine Reise angetreten und die Vollendung seinem Bruder ueberlassen hatte. Mehrere Nachbaren waren geladen worden, ja ein Freund und Kenner alter Kunst, dem ich die Sache gemeldet hatte, war sogar von ziemlich weiter Entfernung herzugekommen, um die Wiederherstellung zu sehen, und Andere, wenn sie auch nicht geladen waren, hatten sich eingefunden, da sie durch Zufall Kenntnis von der Begebenheit erhalten hatten, und wussten, dass sie auf dem Asperhofe nicht unwillkommen sein wuerden. Es ist nicht wahr, was man oefter sagt, dass eine schoene Frau ohne Schmuck schoener sei als in demselben; und eben so ist es nicht wahr, dass ein Gemaelde zu seiner Geltung nicht des Rahmens beduerfe. Ich hatte zu unserem Marienbilde einen Rahmen nach Zeichnungen aus mittelalterlichen Gegenstaenden bestellt und hatte dessen Ausfuehrung gelegentlich, wenn mich ein Geschaeft oder mein Wille in die Stadt brachte, ueberwacht. Er war weit eher auf dem Asperhofe angekommen, als das Bild fertig war, und musste die Zeit ueber in seiner Kiste verpackt harren. Wir versuchten auch nicht ein einziges Mal das Bild in ihn zu fuegen, ehe es fertig war, um den Eindruck nicht zu schwaechen. Bei neuen Bildern zeigt freilich der Rahmen erst, dass noch Manches hinzuzufuegen und zu aendern ist, und Vieles muss an solchen Bildern erst gemacht werden, wenn man sie bereits in einem Rahmen gesehen hat. Bei alten Bildern, die wiederhergestellt werden, ist das anders, besonders, wenn sie auf unsere Weise hergestellt worden. Da gibt das Vorhandene den Weg der Herstellung an, man kann nicht anders malen, als man malt, und die Tiefe, das Feuer und der Glanz der Farben ist daher durch das bereits auf der Leinwand Befindliche bedingt. Wie dann das Bild in einem Rahmen aussehen werde, liegt nicht in der Willkuer des Wiederherstellers, und wenn es in dem Rahmen trefflich oder minder gut steht, so ist das Sache des urspruenglichen Meisters, dessen Werk man nicht aendern darf. Als unsere Maria, welche noch nicht einmal einen Firniss erhalten hatte, aus den altertuemlichen Gestalten des Rahmens, die sehr passten, heraussah, so war es ein wunderbarer Anblick, und erst jetzt sahen wir, welche Lieblichkeit und Kraft der alte Meister in seinem Bilde dargelegt hatte. Obwohl der Rahmen erhabene Arbeit in Blumen, Verzierungen und sogar in Teilen der menschlichen Gestalt enthielt und auf demselben Glanzlichter von starker Wirkung angebracht waren, so erschien das Bild doch nicht unruhig, ja es beherrschte den Rahmen und machte seinen Reichtum zu einer anmutigen Mannigfaltigkeit, waehrend es selber durch seine Gewalt sich geltend machte und in den erhebenden Farben von wuerdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiser Ruf entschluepfte den Lippen aller Anwesenden, und ich freute mich, dass ich mich nicht getaeuscht hatte, als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen so reichen Rahmen fuer dasselbe bestellt hatte. Wir standen lange davor und betrachteten die Schoenheit der Farbengebung an den entbloessten Teilen so wie die der Gewandung und der Gruende, was im Vereine mit der Einfachheit und Hoheit der Linienfuehrung und mit der massvollen Anordnung der Flaechen ein so wuerdevolles und heiliges Ganzes bildete, dass man sich eines tiefen Ernstes nicht erwehren konnte, der wie wahrhaftige Andacht war. Erst spaeter fingen wir zu sprechen an, beredeten dieses und jenes und kamen, wie es natuerlich war, dahin, Vermutungen ueber den Meister zu wagen. Es wurde Guido Reni genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die Rafaelische Schule genannt. Fuer alles hatte man Gruende, und der Schluss war, wie er es auch noch heute ist, dass man nicht wusste, von wem das Bild sei. Roland war ausserordentlich vergnuegt, dass er die Sache in ihrer Entstehung schon geahnt und durch den Kauf eine so zweckmaessige Handlung ausgefuehrt habe. Damals war er noch ausserordentlich jung, er war bei Weitem nicht so eingeuebt wie jetzt und war daher seiner Handlung nicht ganz sicher. Eustach sah man es an, dass ihm, wie der Volksausdruck sagt, das Herz vor Freude lache. Eine freundliche Bewirtung meiner Gaeste war damals das Ende des Tages. Wir suchten in der folgenden Zeit eine Stelle, an welcher das Bild am vorteilhaftesten aufgehaengt werden koennte. Roland erhielt eine Belohnung in einem Werke, das er sich schon lange gewuenscht hatte, und Eustach, das sah ich wohl, fand seine schoenste Befriedigung darin, dass er naeher in unsere Kunstkreise gezogen wurde. Dem Manne, von welchem das Bild in seinem verstuemmelten Zustande gekauft worden war, gab ich noch eine Summe, mit welcher er weit ueber seine Erwartung abgefunden war; denn das Bild haette er doch nie herstellen lassen koennen, er waere auch auf den Gedanken nicht gekommen, und ohne Roland waere das Bild nicht verkauft worden, bis es immer mehr verfallen und einmal vernichtet worden waere. Oft stand ich in spaeteren Zeiten noch davor und hatte manche Freude in Betrachtung des Werkes. Ich sah das Angesicht und die Haende der Mutter an und sah das teils nackte, teils durch schoene Tuecher schicklich verhuellte Kind. Ein dem Lande Italien so haeufig zukommendes Zeichen ist es, dass das Kind nicht in den Armen der Mutter gehalten wird, sondern dass es mit schoenem Hinneigen zu derselben und von ihr leicht und sanft umfasst auf einem erhoehten Gegenstande vor ihr steht. Der Kuenstler hat dadurch nicht nur Gelegenheit gefunden, den Koerper des Kindes in einer weit schoeneren Stellung zu malen, als wenn er von der Mutter an ihren Busen gehalten gewesen waere, sondern er hat noch den weit hoeheren Vorteil erreicht, das goettliche Kind in seiner Kraft und in seiner Freiheit zu zeigen, was die Wirkung hat, als ehrten wir gleichsam schon die Macht, mit welcher es einstens handeln wird. Dass suedliche Voelker den Heiland als Kind in so grosser sinnlicher Schoenheit malen, hat mich immer entzueckt, und wenn auf meinem Bilde das heilige Kind eher wie ein kraeftiger, wunderschoener Leib des Suedens aussieht, so beirrt mich das nicht, sehen doch die Jesuskinder und die Johanneskinder des herrlichen Rafael auch so aus, und die Wirkung ist doch eine so gewaltige. Dass die Mutter, deren Mund so schoen ist, die Augen gegen Himmel wendet, sagt mir nicht ganz zu. Die Wirkung, scheint mir, ist hierin ein wenig ueberboten, und der Kuenstler legt in eine Handlung, die er seine Gestalt vor uns vornehmen laesst, eine Bedeutung, von der er nicht machen kann, dass wir sie in der blossen Gestalt sehen. Wer durch einfachere Mittel wirkt, wirkt besser. Wenn er die Heiligkeit und Hoheit statt in die erhobenen Augen in die blosse Gestalt haette legen koennen, wobei die Augen einfach vor sich hinblickten, so haette er besser getan. Rafael laesst seine Madonnen ruhig und ernst blicken, und sie werden Himmelskoeniginnen, waehrend so manche andere nur betende Maedchen sind. Aus diesem moechte ich auch schliessen, dass das Bild nicht aus der Rafaelschen Schule ist, so sehr die herrliche Gestalt des Kindes daran erinnert. Das Bild haengt nicht mehr dort, wo es Anfangs war. Wir haben alle Bilder mehrere Male umgehaengt, und es gewaehrt eine eigene Freude, zu versuchen, ob in einer andern Anordnung die Wirkung des Ganzen nicht eine bessere sei. Auch darueber haben wir ernste Beratungen und vielerlei Versuche angestellt, welche Farbe wir den Waenden geben sollen, dass sich die Bilder am besten von ihnen abheben. Wir blieben dann bei dem roetlichen Braun stehen, das ihr jetzt noch in dem Gemaeldezimmer findet. Ich lasse nun nichts mehr aendern. Die jetzige Lage der Bilder ist mir zu einer Gewohnheit und ist mir lieb geworden, und ich moechte ohne uebeln Eindruck die Sache nicht anders sehen. Sie ist mir eine Freude und eine Blume meines Alters geworden. Die Erwerbung der Bilder, die, wie ihr schon aus meinen frueheren Worten schliessen koennt, nicht immer so leicht war wie die der heiligen Maria, stellt eine eigene Linie in dem Gange meines Lebens dar, und diese Linie ist mit Vielem versehen, was mir teils einen freudigen, teils einen trueben Rueckblick gewaehrt. Wir sind in manche Verhaeltnisse geraten, haben manche Menschen kennen gelernt und haben manche Zeit mit Wiederherstellung der Bilder, mit Verwindung von Taeuschungen, mit Hineinleben in Schoenheiten zugebracht, wir haben auch manche zu Zeichnungen und Entwuerfen von Rahmen verwendet; denn alle Gemaelde haben wir nach und nach in neue, von uns entworfene Rahmen getan, und so stehen nun die Werke um mich wie alte, hochverehrungswuerdige Freunde, die es taeglich mehr werden und die eine Annehmlichkeit und eine Wonne fuer meine noch uebrigen Tage sind." Dass ich durch die Erzaehlung meines Gastfreundes der Sammlung seiner Bilder noch mehr zugewendet wurde, begreift sich. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit nun auch auf die Kupferstiche meines Gastfreundes. Da dieselben nicht unter Glas und Rahmen waren, sondern sich in grossen Laden des Tisches im Lesezimmer befanden, so konnte man sie weit bequemer betrachten als die Gemaelde. Ich nahm mir zuerst die Mappen nach einander heraus und sah alle Kupferstiche der Reihe nach an. Dann aber ging ich an eine mehr geordnete Betrachtung. So wie mein Gastfreund nicht Buecher aus dem Hause gab, wohl aber einem Gaste in sein Zimmer die verlangten bringen liess, so tat er es auch mit den Kupferstichen, nur gab er immer gleich eine ganze Mappe in ein Zimmer, nicht aber leicht einzelne Blaetter. Er tat dies der Erhaltung und Schonung willen. Weil ich nun nicht viele Stunden im Lesezimmer ununterbrochen mit Ansehen von Kupferstichen zubringen mochte, so liess mir mein Gastfreund die einzelnen Mappen nach und nach in meine Wohnung bringen, und ich konnte die in ihnen enthaltenen Werke mit Musse betrachten, konnte diese Beschaeftigung auch durch Anderes unterbrechen und konnte, wenn ich die Mappe durch eine beliebige Zeit in meiner Wohnung gehabt hatte, dieselbe durch eine andere ersetzen. Spaeter, da ich alle Mappen genau durchsucht hatte, wobei ich mir diejenigen Werke aufzeichnete, die mir ganz besonders gefielen oder die von meinem Gastfreunde und Eustach als vorzueglich bezeichnet waren, schlug ich mir bei Gelegenheit nur die eine oder andere auf, um das eine oder andere mir sehr liebe Werk des Grabstichels zu besehen. Ich merkte mir in meinem Gedenkbuche auch diejenigen an, welche ich mir gleichfalls kaufen wollte, wenn es solche waren, die man noch im Handel bekommen konnte. Ich lernte bei diesen Untersuchungen die Art und Weise des Vortrags verschiedener Meister und verschiedener Zeiten kennen und endlich auch wuerdigen, und ich fand wieder, wie es bei den Gemaelden der Fall ist, dass mit geringen Ausnahmen auch diese Kunst eine schoenere Vergangenheit gehabt habe, als sie eine Gegenwart habe, ja bei den Kupferstichen konnte ich dies noch genauer kennen lernen als bei Gemaelden, da mein Freund alte und neue Kupferstiche hatte, waehrend in seinem Bilderzimmer nur sehr wenige neue Bilder hingen, die Vergleichung also schwieriger war, und ich mich auf die neuen Bilder weniger erinnerte, welche ich in der Stadt gesehen hatte und welche ich auch mit anderen Augen mochte angeschaut haben. Ich lernte die Feinheiten, die Grossartigkeit, die Schoenheit, die Ruhe in der Behandlung immer mehr kennen und wuerdigen und beschloss, da mir Kupferstiche weit leichter zu erwerben waren als Gemaelde, vorlaeufig damit zu beginnen, mir Blaetter, die ich fuer trefflich hielt, zu kaufen und eine Sammlung anzubahnen. Es war eine ziemliche Zeit hingegangen, die ich mit Betrachtung und Einpraegung der Kupferstiche und Gemaelde verbrachte. Eustach war haeufig bei mir, wir sprachen ueber die Dinge, und ich lernte taeglich hoeher von diesem Manne denken. Ich kam waehrend dieser Zeit auch oefter in das Schreinerhaus und andere Werkstaetten und sah zu, was da verfertiget werde. Bei diesen Veranlassungen fiel es mir auf, dass mein Gastfreund noch nicht begonnen hatte, aus dem in Wahrheit gewiss ausserordentlich schoenen Marmor, den ich ihm gebracht hatte, dessen Schoenheit ich ganz gewiss zu beurteilen verstand und der ihm selber viele Freude gemacht zu haben schien, etwas verfertigen zu lassen. Ich konnte auch den Marmor in dem Rosenhause gar nicht auffinden. Er war in dem Vorratshause gelegen, wo sich auch oefter Steine von mir befunden hatten. Jetzt war er nicht mehr dort. War er, um nicht Verletzungen zu erfahren, in einen anderen, sichereren Ort gebracht worden oder hatte man ihn doch irgendwohin gesendet, wo an ihm gearbeitet wurde? Das Letzte war nicht denkbar, da mein Gastfreund alle Dinge aus Holz und Stein in seinem Hause arbeiten liess, wozu auch nicht nur die Vorrichtungen und Werkzeuge vorhanden waren, sondern wohin auch zu jeder Zeit die etwa noch mangelnden Arbeitskraefte gezogen werden koennen. Ich machte eines Tages eine Reise in das Lauterthal und hielt mich einige Zeit in demselben auf. Es war nicht, um meine gewoehnliche Beschaeftigung dort vorzunehmen, sondern um nach den Arbeiten mit meinem Marmor zu sehen. In der Naehe des Ahorngasthauses - etwa zwei Wegestunden von demselben entfernt - befand sich die Anstalt, in welcher Marmor gesaegt und geschliffen wurde und in welcher man verschiedene Dinge aus Marmor verfertigte. Der Ort hiess das Rothmoor, weshalb, konnte ich nicht ergruenden; denn es war ueberall Gestein und rauschendes Wasser, und von einem Moore war auf Meilen in der Laenge und Breite nichts zu finden; aber der Ort hiess so. Es befanden sich dort mehrere Stuecke Marmor von mir, damit aus denselben etwas fuer den Vater gemacht wuerde. Das groesste Stueck war fast rosenrot, und es sollte daraus ein Wasserbecken fuer den Garten werden. Das Becken aber hatte ich selber entworfen. Aus grosser Vorliebe fuer Gewaechse hatte ich seine Gestalt aus dem Gewaechsreiche genommen. Es war ein Blatt, welches dem der Einbeere sehr aehnlich war, in welchem die glaenzende dunkelschwarze Kugel liegt. Ich hatte das Blatt nach einem wirklichen aus Wachs gebildet, nur die Auszackung machte ich geringer und die Tiefe groesser. Das Wachsblatt wurde von einem Arbeiter, der des Gestaltens sehr kundig war, in Gips bedeutend groesser nachgebildet, und nach dem Gipsblatte sollte das Marmorbecken gearbeitet werden. In der Tiefe desselben sollte wie bei dem Einbeerenblatte die Kugel liegen, und aus einem Stiele, der sich ueber das Blatt erhebt, soll das Wasser in einem feinen Strahle in das Blatt springen. Das Blatt selber sollte von Rosenmarmor, der Stamm und Stengel von einem anderen, dunkleren sein. Ich bestrebte mich in dem Rothmoore nachzusehen, wie weit die Arbeit gediehen sei, und versuchte durch Besprechungen fuer groessere Leichtigkeit und Reinheit einzuwirken. Aus anderem Marmor sollten andere Dinge verfertigt werden. Zuerst das Pflaster um die Einbeere herum. Das Blatt sollte sein Wasser auf dieses Pflaster hinabgiessen, dasselbe sollte auf seiner Ebene eine sanfte Rinne bilden, um das Wasser weiter zu leiten. Die Farbe des Pflasters sollte blass gelblich sein. Ich hatte eine erkleckliche Anzahl Stuecke hiezu zusammengebracht. Fuer eine Laube in dem Garten hatte ich die Platte eines Tischchens beabsichtigt. Sonst waren noch kleine Tragsteine, ein paar Simse und Briefbeschwerer im Werke. Die Sachen waren in Arbeit. Als Daraufgabe war ein Nest, in welchem zwei Eier lagen, deren Marmor fast taeuschend die Farbe von Kibitzeiern hatte. Ich war mit den Arbeiten, so weit sie jetzt gediehen waren, sehr zufrieden. Der Stein zu dem Becken war nicht nur in seine allgemeine Gestalt geschnitten worden, sondern das Blatt war in rohen Umrissen fertig, so dass zur feineren Ausfeilung und zur Glaettung geschritten werden konnte. Es arbeiteten zwei Menschen ausschliesslich an diesem Gegenstande. Mit dem Gipsvorbilde liess ich noch einige Veraenderungen vornehmen. Es war mir nicht leicht genug und zeigte mir nicht hinlaenglich das Weiche des Pflanzenlebens. Ich ging in die Berge, suchte Pflanzen der Einbeere und brachte sie sammt ihrer Erde in Toepfen zurueck, damit sie nicht zu schnell welkten und uns laenger als Muster dienen koennten. An diesen Pflanzen suchte ich zu zeigen, was an dem Vorbilde noch fehle. Ich erklaerte, wo ein Blatteil sich sanfter legen, ein Rand sich weicher kruemmen muesse, damit endlich das Steinbild, wenn es fertig waere, nicht den Eindruck hervorbringe, als ob es gemacht worden, sondern den, als ob es gewachsen waere. Da ich mich bemuehte, die Sache ohne Verletzung des Mannes, welcher das Gipsvorbild verfertiget hatte, darzulegen und sie eher in das Gewand einer Beratung einzukleiden, so ging man auf meine Ansichten sehr gerne ein, und da die ersten Versuche gelangen und das Becken durch die groessere Aehnlichkeit, die es mit dem Blatte erlangte, auch sichtbar an Schoenheit gewann, so ging man mit Eifer an die Fortsetzung, suchte sich den Pflanzenmerkmalen immer mehr zu naehern und erlebte die Freude, dass endlich das Werk in ungemein edlerer Vollendung dastand als frueher. Selbst fuer kuenftige Arbeiten hatte man durch dieses Verfahren einen Anhaltspunkt gewonnen, und Hoffnungen geschoepft, sich in schoenere und heiterere Kreise zu schwingen. Der Werkmeister sprach unverhohlen mit mir ueber die Sache. Frueher hatte man nach hergebrachten Gestalten und Zeichnungen Gegenstaende verfertigt, dieselben versandt und Preise dafuer erhalten, die solchen Waren gewoehnlich zukommen, so dass die Anstalt bestehen konnte, aber einer gehaebigen und wohlhabenden Bluete doch nicht teilhaftig war. Dass man sich an Pflanzen als Vorbilder wenden koenne, war ihnen nicht eingefallen. Jetzt richtete man den Blick auf sie und fand, dass alle Berge voll von Dingen staenden, die ihnen Fingerzeige geben koennten, wie sie ihre Werke zu verfertigen und zu veredeln haetten. Ich blieb so lange da, bis das Gipsblatt vollkommen fertig war, und bis ich mich darueber beruhigt hatte, welche Werkzeuge zum Messen angewendet wuerden, damit die Gestalt des Vorbildes mit allen ihren Verhaeltnissen in die Nachbildung uebergehen koennte. Nachdem ich noch die Bitte um Beschleunigung der Arbeit angebracht hatte, damit ich sie so bald als moeglich in den Garten des Vaters bringen koennte, und nachdem ich versprochen hatte, in diesem Sommer noch einen Besuch in der Anstalt zu machen, trat ich den Rueckweg in das Rosenhaus wieder an. Ich bestieg auf meiner Wanderung, die ich in den Bergen zu Fusse machte, das Eiskar, setzte mich auf einen Steinblock und sah beinahe den ganzen Nachmittag in tiefem Sinnen auf die Landschaften, die vor mir ausgebreitet waren, hinaus. In dem Rosenhause beschaeftigte ich mich wieder mit Betrachtung der Bilder. Ich nahm sogar ein Vergroesserungsglas und sah die Gemaelde an, wie denn die verschiedenen alten Meister gemalt haben, ob der eine einen stumpfen, starren Pinsel genommen habe, der andere einen langen, weichen, ob sie mit breitem oder spitzigem gearbeitet, ob sie viel untermalt haben oder gleich mit den schweren, undurchsichtigen Farben darauf gegangen seien, ob sie in kleinen Flaechen fertig gemacht oder das Grosse vorerst angelegt und es in allen Teilen nach und nach der Vollendung zugefuehrt haetten. Mein Gastfreund war in diesen Dingen sehr erfahren und stand mir bei. Von den Dichtern nahm ich jetzt Calderon vor. Ich konnte ihn bereits in dem Spanischen lesen und vertiefte mich mit grossem Eifer in seinen Geist. Wir besuchten mehrere Male den Inghof. Es wurde dort Musik gemacht, es wurde gespielt, wir besuchten die schoensten Teile der Umgebung oder besahen, was der Garten oder der Meierhof oder das Haus Vorzuegliches aufzuweisen hatte. Zur Zeit der Rosenbluete kamen Mathilde und Natalie auf den Asperhof. Wir wussten den Tag der Ankunft und erwarteten sie. Als sie ausgestiegen waren, als Mathilde und mein Gastfreund sich begruesst hatten, als einige Worte von den Lippen der Mutter zu Gustav gesprochen worden waren, wendete sie sich zu mir und sprach mit den freundlichsten Mienen und mit dem liebevollsten Blick ihrer Augen die Freude aus, mich hier zu finden, zu wissen, dass ich mich schon ziemlich lange bei ihrem Freunde und ihrem Sohne aufgehalten habe, und zu hoffen, dass ich die ganze schoene Jahreszeit auf dem Asperhofe zubringen werde. Ich erwiderte, dass ich heuer beschlossen habe, den ganzen Sommer ueber bloss fuer mein Vergnuegen zu leben und dass ich es mit grossem Danke anerkennen muesse, dass mir erlaubt sei, auf diesem Sitze verweilen zu duerfen, der das Herz, den Verstand und das ganze Wesen eines jungen Mannes so zu bilden geeignet sei. Natalie stand vor mir, da dieses gesprochen worden war. Sie erschien mir in diesem Jahre vollkommener geworden und war so ausserordentlich schoen, wie ich nie in meinem ganzen Leben ein weibliches Wesen gesehen habe. Sie sagte kein Wort zu mir, sondern sah mich nur an. Ich war nicht im Stande, etwas aufzufinden, was ich zur Bewillkommnung haette sagen koennen. Ich verbeugte mich stumm, und sie erwiderte diese Verbeugung durch eine gleiche. Hierauf gingen wir in das Haus. Die Tage verflossen wie die in den vergangenen Jahren. Nur eine einzige Ausnahme trat ein. Man begann nach und nach von den Bildern zu sprechen, man sprach von der Marmorgestalt, welche auf der schoenen Treppe des Hauses stand, man ging oefter in das Bilderzimmer und besah Verschiedenes, und man verweilte manche Augenblicke in der daemmerigen Helle der Treppe, auf welche von oben die sanfte Flut des Lichtes hernieder sank, und vergnuegte sich an der Herrlichkeit der dort befindlichen Gestalt und der Pracht ihrer Gliederung. Ich erkannte, dass Mathilde in der Beurteilung der Kunst erfahren sei und dass sie dieselbe mit warmem Herzen liebe. Auch an Natalien sah ich, dass sie in Kunstdingen nicht fremd sei und dass sie in ihrer Neigung etwas gelten. Ich machte also jetzt die Erfahrung, dass man in frueherer Zeit, da ich mein Augenmerk noch weniger auf Gemaelde und aehnliche Kunstwerke gerichtet hatte und dieselben einen tiefen Platz in meinem Innern noch nicht einnahmen, mich geschont habe, dass man nicht eingegangen sei, in meiner Gegenwart von den in dem Hause befindlichen Kunstwerken zu sprechen, um mich nicht in einen Kreis zu noetigen, der in jenem Augenblicke noch beinahe ausserhalb meiner Seelenkraefte lag. Mir kam jetzt auch zu Sinne, dass in gleicher Weise mein Vater nie zu mir auf eigenen Antrieb von seinen Bildern gesprochen habe und dass er sich nur insoweit ueber dieselben eingelassen, als ich selber darauf zu sprechen kam und um dieses oder jenes fragte. Sie haben also saemmtlich einen Gegenstand vermieden, der in mir noch nicht gelaeufig war und von dem sie erwarteten, dass ich vielleicht mein Gemuet zu ihm hinwenden wuerde. Mich erfuellte diese Betrachtung einigermassen mit Scham, und ich erschien mir gegenueber all den Personen, die nun durch meine Vorstellung gingen, als ungefueg und unbehilflich; aber da sie immer so gut und liebreich gegen mich gewesen waren, so schloss ich aus diesem Umstande, dass sie nicht nachteilig ueber mich geurteilt und dass sie meinen Anteil an dem, was ihnen bereits teuer war, als sicher bevorstehend betrachtet haben. Dieser Gedanke beruhigte mich eines Teiles wieder. Besonders aber gereichte es mir zur Genugtuung, dass sie mit einer Art von Freude in die Gespraeche eingingen, die sich jetzt ueber bildende Kunst entspannen, dass also das nicht unsachgemaess sein musste, was ich in dieser Richtung jetzt aeusserte, und dass es ihnen angenehm war, mit mir auf einer Lebensrichtung zusammen zu treffen, welche fuer sie Wichtigkeit hatte. Eines Tages, da die Bluete der Rosen schon beinahe zu Ende war, wurde ich unfreiwillig der Zeuge einiger Worte, welche Mathilde an meinen Gastfreund richtete und welche offenbar nur fuer diesen allein bestimmt waren. Ich zeichnete in einer Stube des Erdgeschosses ein Fenstergitter. Das Erdgeschoss des Hauses hatte lauter eiserne Fenstergitter. Diese waren aber nicht jene grossstaebigen Gitter, wie man sie an vielen Haeusern und auch an Gefaengnissen anbringt, sondern sie waren sanft geschweift und hatten oben und unten eine flache Woelbung, die mitten, gleichsam wie in einen Schlussstein, in eine schoene Rose zusammenlief. Diese Rose war von vorzueglich leichter Arbeit und war ihrem Vorbilde treuer, als ich irgendwo in Eisen gesehen hatte. Ausserdem war das ganze Gitter in zierlicher Art zusammengestellt, und die Staebe hatten nebst der Schlussrose noch manche andere bedeutsam Verzierungen. Es war fast gegen Abend, als ich mich in einer Stube des Erdgeschosses, deren Fenster auf die Rosen hinausgingen, befand, um mir vorlaeufig die ganze Gestalt des Gitters, die aussen zu sehr von den Rosen verdeckt war, zu entwerfen. Die einzelnen Verzierungen, deren Hauptentwicklung nach aussen ging, wollte ich mir spaeter einmal von dorther zeichnen. Da ich in meine Arbeit vertieft war, dunkelte es vor dem Fenster, wie wenn die Laubblaetter vor demselben von einem Schatten bedeckt wuerden. Da ich genauer hinsah, erkannte ich, dass jemand vor dem Fenster stehe, den ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen konnte. In diesem Augenblicke ertoente durch das geoeffnete Fenster klar und deutlich Mathildens Stimme, die sagte: "Wie diese Rosen abgeblueht sind, so ist unser Glueck abgeblueht." Ihr antwortete die Stimme meines Gastfreundes, welcher sagte: "Es ist nicht abgeblueht, es hat nur eine andere Gestalt." Ich stand auf, entfernte mich von dem Fenster und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem weiteren Verlaufe des Gespraeches nicht mehr zu vernehmen. Da ich ferner ueberlegt hatte, dass es nicht geziemend sei, wenn mein Gastfreund und Mathilde spaeter erfuehren, dass ich zu der Zeit, als sie ein Gespraech vor dem Fenster gefuehrt hatten, in der Stube gewesen sei, der jenes Fenster angehoerte, so entfernte ich mich auch aus derselben und ging in den Garten. Da ich nach einer Zeit meinen Gastfreund, Mathilden, Natalie und Gustav gegen den grossen Kirschbaum zugehen sah, begab ich mich wieder in die Stube und holte mir meine Zeichnungsgeraete, die ich dort liegen gelassen hatte; denn der Abend war mittlerweile so dunkel geworden, dass ich zum Weiterzeichnen nicht mehr sehen konnte. Als die Rosenbluete gaenzlich vorueber war, beschlossen wir, uns auch eine Zeit in dem Sternenhofe aufzuhalten. Da wir den Huegel zu ihm hinan fuhren, sah ich, dass Gerueste an dem Mauerwerke aufgeschlagen waren, und als wir uns genaehert hatten, erkannte ich, dass die Arbeiter, die sich auf den Geruesten befanden, damit beschaeftigt waren, die Tuenche von den breiten Steinen, welche an die Oberflaeche der Mauern gingen, abzunehmen und die Steine zu reinigen. Man hatte vorher an einem abgelegenen Teile des Hauses einen Versuch gemacht, welcher sich bewaehrte und welcher dartat, dass das Haus ohne Tuenche viel schoener aussehen werde. In dem Sternenhofe wurde ich so freundlich behandelt, wie in der frueheren Zeit, ja wenn ich meinem Gefuehle trauen durfte und wenn man so feine Unterscheidungen machen darf, noch freundlicher als frueher. Mathilde zeigte mir selber alles, von dem sie glaubte, dass es mir von einigem Werte sein koennte, und erklaerte mir bei diesem Vorgange alles, von dem sie glaubte, dass es einer Erklaerung beduerfen koennte. Waehrend dieses meines Aufenthaltes erfuhr ich auch, dass Mathilde das Schloss von einem vornehmen Manne gekauft hatte, der selten auf demselben gewesen war und es ziemlich vernachlaessigt hatte. Vor ihm war es im Besitze einer Verwandten gewesen, deren Grossvater es gekauft hatte. In der Zeit vorher war ein haeufiger Wechsel der Eigentuemer gewesen, und das Gut war sehr herab gekommen. Mathilde fing damit an, dass sie die zum Schlosse gehoerigen Untertanen, welche Zehnte und Gaben in dasselbe zu entrichten hatten, gegen ein vereinbartes Entgelt fuer alle Zeiten von ihren Pflichten entband und sie zu unbeschraenkten Eigentuemern auf ihrem Grunde machte. Das zweite, was sie tat, bestand darin, dass sie die Liegenschaften des Schlosses selber zu bewirtschaften begann, dass sie einen geschlossenen Hausstand von Gesinde und ihrer eigenen Familie begruendete und mit diesem Hausstande lebte. Sie richtete den Meierhof zurecht und brachte mit Hilfe taetiger Leute, die sie aufnahm, die Felder, die Wiesen und Waelder in einen besseren Stand. Die schoenen Zeilen von Obstbaeumen, welche durch die Fluren liefen und die mir bei meinem ersten Aufenthalte schon so sehr gefallen hatten, waren von ihr selber gepflanzt, und wenn sie gute, selbst ziemlich erwachsene Obstbaeume irgendwo erhalten konnte, so scheute sie nicht die Zeit und den Aufwand, sie bringen und auf ihren Grund setzen zu lassen. Da die Nachbarn dieses Verfahren allmaehlich nachahmten, so erhielt die Gegend das eigentuemliche und wohlgefaellige Ansehen, das sie von den umliegenden Laendereien unterschied. Die Gemaelde, welche sich in den Wohnzimmern Mathildens und Nataliens befanden, hatten nach meiner Meinung im Ganzen genommen zwar nicht den Wert wie die im Asperhofe, aber es waren manche darunter, welche mir nach meinen jetzigen Ansichten mit der groessten Meisterschaft gemacht schienen. Ich sagte die Sache meinem Gastfreunde, er bestaetigte sie und zeigte mir Gemaelde von Tizian, Guido Reni, Paul Veronese, Van Dyck und Holbein. Unbedeutende oder gar schlechte Bilder, wie ich sie, so weit mir jetzt dieses meine Rueckerinnerung ploetzlich und wiederholt vor Augen brachte, in manchen Sammlungen, die mir in frueheren Jahren zugaenglich gewesen waren, gesehen hatte, befanden sich weder in der Wohnung Mathildens noch in dem Asperhofe. Wir sprachen auch hier so wie in dem Rosenhause von den Gemaelden, und es gehoerte zu den schoensten Augenblicken, wenn ein Bild auf die Staffelei getan worden war, wenn man die Fenster, die ein stoerendes Licht haetten senden koennen, verhuellt hatte, wenn das Bild in die rechte Helle gerueckt worden war, und wenn wir uns nun davor befanden. Mathilde und mein Gastfreund sassen gewoehnlich, Eustach und ich standen, neben uns Natalie und nicht selten auch Gustav, welcher bei solchen Gelegenheiten sehr bescheiden und aufmerksam war. Oefter sprach hauptsaechlich mein Gastfreund von dem Bilde, oefter aber auch Eustach, wozu Mathilde ihre Worte oder einfachen Meinungen gesellte. Man wiederholte vielleicht oft gesagte Worte, man zeigte sich Manches, das man schon oft gesehen hatte, und machte sich auf Dinge aufmerksam, die man ohnehin kannte. So wiederholte man den Genuss und verlebte sich in das Kunstwerk. Ich sprach sehr selten mit, hoechstens fragte ich und liess mir etwas erklaeren. Natalie stand daneben und redete niemals ein Wort. Zur Nymphe des Brunnens, die unter der Eppichwand im Garten war, ging ich auch oefter. Frueher hatte ich den wunderschoenen Marmor bewundert, desgleichen mir nicht vorgekommen war; jetzt erschien mir auch die Gestalt als ein sehr schoenes Gebilde. Ich verglich sie mit der auf der Treppe im Hause meines Gastfreundes stehenden. Wenn auch jenes an Hoheit, Wuerde und Ernst weit den Vorzug in meinen Augen hatte, so war dieses doch auch fuer mich sehr anmutig, weich und klar, es hatte eine beschwichtigende Ruhe, wie die Goettin eines Quells sollte, und hatte doch wieder jenes Reine und, ich moechte sagen, Fremde, das ein Gemaelde nicht hat, das aber der Marmor so gerne zeigt. Ich wurde mir dieser Empfindung des Fremden jetzt klarer bewusst, und ich erfuhr auch, dass sie mich schon in frueherer Zeit ergriffen hatte, wenn ich mich Marmorbildwerken gegenueber befand. Es wirkte bei dieser Gestalt noch ein Besonderes mit, was in meiner Beschaeftigung der Erdforschung seinen Grund hat, nehmlich, dass der Marmor gar so schoen und fast fleckenlos war. Er gehoerte zu jener Gattung, die an den Raendern durchscheinend ist, deren Weisse beinahe funkelt und uns verleitet, zu meinen, man saehe die zarten Kristalle wie Eisnadeln oder wie Zuckerkoerner schimmern. Diese Reinheit hatte fuer mich an der Gestalt etwas Erhabenes. Nur dort, wo das Wasser aus dem Kruge floss, den die Gestalt umschlungen hielt, war ein gruenlicher Schein in dem Marmor, und der Staffel, auf dem der am tiefsten herabgehende Fuss ruhte, war ebenfalls gruen und von unten durch die herauf dringende Feuchtigkeit ein wenig verunreinigt. Der Marmor an dem Bilde meines Freundes war wohl trefflich, es mochte wahrscheinlich parischer sein; aber er hatte schon einigermassen die Farbe alten Marmors, waehrend die Nymphe wie neu war, als waere der Marmor aus Carrara. Ich dachte mir wohl auch, und meine Freunde bestaetigten es, dass das Bildwerk neueren Ursprunges sei; aber wie bei dem meines Gastfreundes wusste man auch hier den Meister nicht. Ich sass sehr gerne in der Grotte bei dem Bildwerke. Es war da ein Sitz von weissem Marmor in einer Vertiefung, die sich seitwaerts von der Nymphe in das Bauwerk zurueck zog und von der aus man die Gestalt sehr gut betrachten konnte. Es war ein sanftes Daemmern auf dem Marmor, und im Daemmern war es wieder, als leuchtete der Marmor. Man konnte hier auch das leise Rinnen des Wassers aus dem Kruge, das Kraeuseln desselben in dem Becken, das Hinabtraeufeln auf den Boden und das gelegentliche Blitzen auf demselben sehen. Zur Wohnung hatte man mir dieselbe Raeumlichkeit gegeben, die ich in den ersten zwei Malen inne hatte, da ich in diesem Schlosse war. Man hatte sie mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet, auf die man nur immer denken konnte und deren ich zum groessten Teile nicht bedurfte; denn ich war in meinem Reiseleben gewohnt geworden, in den aeusseren Dingen auf das Einfachste vorzugehen. Da wir von dem Sternenhofe Abschied nahmen, sagte mir Mathilde auf die liebe, freundliche Weise Lebewohl, mit der sie mich empfangen hatte. Wir besuchten auf unserer Rueckreise mehrere Landwirte, welche in der Gegend einen grossen Ruf genossen, und besahen, was sie auf ihren Guetern eingefuehrt hatten und was sie zum Wohle des Landes auszubreiten wuenschten. Mein Gastfreund nahm Rebstecklinge, Abteilungen von Samen und Abbildungen von neuen Vorrichtungen mit nach Hause. Ehe ich die Rueckreise zu den Meinigen antrat, ging ich noch einmal in das Rothmoor, um zu sehen, wie weit die Arbeiten aus meinem Marmor gediehen waeren. Von den kleineren Dingen waren manche fertig. Das Wasserbecken und die groesseren Arbeiten mussten in das naechste Jahr hinueber genommen werden. Ich billigte diese Anordnung; denn es war mir lieber, dass die Sache gut gemacht wuerde, als dass sie bald fertig waere. Das Vollendete packte ich ein, um es mit nach Hause zu nehmen. In dem Rosenhause fand ich bei meiner Zurueckkunft einen Brief von Roland, der ueber die Ergebnisse der Nachforschungen nach den Ergaenzungen zu den Pfeilerverkleidungen meines Vaters sprach. Es war keine Hoffnung vorhanden, die Ergaenzungen zu finden. Im ganzen Gebirge war nichts, was mit den beschriebenen Verkleidungen Aehnlichkeit hatte, ueberhaupt sind da keine Verkleidungen und Vertaeflungen vorhanden gewesen, wohin Roland seit Jahren seine Wanderungen angestellt hatte, sie muessten denn sehr verborgen sein, wornach man ein Auffinden so dem Zufalle anheim geben muesse, wie das durch Zufall entdeckt worden sei, was ich meinem Vater gebracht haette. In Hinsicht der Vertaeflungen aber, um welche es sich hier handle, sei beinahe Gewiss vorhanden, dass sie zerstoert worden seien. Die Ausmasse, welche ihm ueber die in den Haenden meines Vaters befindlichen Werke zugesendet worden seien, passen genau auf ein Gemach im Steinhause des Lauterthales, woher gleich Anfangs der Ursprung der Dinge vermutet worden sei und welches Gemach jetzt oede steht. Es habe zwei Pfeiler, an denen die noch vorhandenen Verkleidungen gewesen sein muessen. Die Zwischenarbeiten sind eben so zerstoert worden wie Vieles, was sich in jenem steinernen Schloesschen befunden habe; denn sonst mussten sie sich entweder in dem Gebaeude oder in der Gegend vorfinden, was beides nicht der Fall ist, oder sie muessten sehr im Verborgenen sein, da doch sonst die Nachforschungen, welche nun schon durch zwei Jahre angestellt und bekannt geworden seien, die Leute veranlasst haben duerften, die Sachen zum Verkaufe um einen guten Kaufschilling zu bringen. Man muesse also seine Gedanken dahin richten, dass nichts zu finden sei, und wenn doch noch etwas gefunden wuerde, so muesse man es als eine unverhoffte Gunst ansehen. Mein Gastfreund und ich sagten, dass wir ungefaehr auf dieses Ergebnis gefasst gewesen seien. Als der Herbst ziemlich vorgesehritten war, begab ich mich auf die Rueckreise in meine Heimat. Es war ein sehr heiterer Sonntagsmorgen, den ich zu meiner Ankunft auserwaehlt hatte, weil ich wusste, dass an diesem Tage der Vater zu Hause sein wuerde und ich daher den Nachmittag in dem vollen Kreise der Meinigen zubringen konnte. Ich war nicht wie gewoehnlich auf einem Schiffe gekommen, sondern ich hatte meine Wanderung laengs des ganzen Gebirges gegen Sonnenaufgang unternommen und war dann mitternachtwaerts mit einem Wagen in unsere Stadt gefahren. Den Vater traf ich sehr heiter an, er schien gleichsam um mehrere Jahre juenger geworden zu sein. Die Augen glaenzten in seinem Angesichte, als waere ihm eine sehr grosse Freude widerfahren. Auch die anderen sahen sehr vergnuegt und froehlich aus. Nach dem Mittagessen fuehrte er mich in das glaeserne Haeuschen und zeigte mir, dass sich die Verkleidungen bereits auf den Pfeilern befaenden. Es war ein bewunderungswuerdiger Anblick, ich haette nie gedacht, dass sich die Schnitzerei so gut darstellen wuerde. Sie war vollkommen gereinigt und schwach mit Firniss ueberzogen worden. "Siehst du", sagte der Vater, "wie sich alles schoen gestaltet hat. Die Holzverkleidung fuegt sich, als waere sie fuer diese Pfeiler gemacht worden. Es ist fast auch so der Fall; wenn nicht die Holzverkleidung fuer die Pfeiler gemacht worden ist, so sind doch die Pfeiler fuer die Holzverkleidung gemacht worden. Was aber von weit groesserer Bedeutung ist, besteht darin, dass das Holzkunstwerk in das ganze Haeuschen so passt, als waere sie urspruenglich fuer dasselbe bestimmt gewesen - und dies freut mich am meisten. Ich kann mich daher auch nicht so betrueben wie du, dass die anderen Teile der Verkleidungen nicht aufzufinden gewesen sind. Ich muesste das ganze Haeuschen wieder umbauen, wenn die Ergaenzungen zum Vorscheine gekommen waeren; denn schwerlich wuerden sie hieher passen, und zu verstuemmeln oder zu vergroessern wuerden sie ihrer Natur nach nicht sein. Wir wollen daher das Vorhandene geniessen, und koemmt durch ein Wunder die Ergaenzung zum Vorscheine, so wird sich schon zeigen, was zu tun sei. Du siehst, wir haben uns viele Muehe gegeben, die Luecken auszufuellen und alles in einen natuerlichen Zusammenhang zu bringen." So war es auch. Ueber den Verkleidungen befanden sich an den Pfeilern Spiegel eingesetzt, deren Rahmen die Verzierungen der Verkleidung fortsetzten und zu den Verzierungen der Fensterstaebe und Fensterkreuze hinueber leiteten. Unter den Fenstern waren Simse und Vertaeflungen so angebracht, dass sie eine ruhigere Flaeche zwischen den Schnitzwerken abgaben. Ich sprach gegen meinen Vater meine Bewunderung aus, dass man der Sache eine solche Gestalt zu geben gewusst habe. "Es ist uns aber auch ein sehr tuechtiger Lehrmeister beigestanden", erwiderte er, "und wir waren in der Lage, nach seinem Rate noch Manches in unserem begonnenen Werke abzuaendern; denn sonst waere es nicht so geworden, wie es geworden ist. Setze dich zu uns, dass ich es dir erzaehle." Er sass mit der Mutter auf einer Bank, die aus feinen Rohrstaeben geflochten war, die Schwester und ich nahmen ihnen gegenueber auf Sesseln Platz. "Dein Gastfreund", fing er an, "hat uns ausgefunden und hat, als du zwei Wochen fort warest, seine Bauzeichnungen und die Zeichnungen vieler anderer Gegenstaende hieher gesendet, dass ich sie ansehe. Er hat mir auch den Antrag gemacht, dass ich manche, die mir besonders gefielen, zu meinem Gebrauche nachzeichnen lassen duerfe, nur moechte ich ihm die Blaetter vorher alle senden und die bezeichnen, deren Nachbildung ich wuenschte, er wuerde sie mir dann gelegentlich zu diesem Gebrauche zustellen. Ich lehnte diese Erlaubnis ab, nur Einzelnes von Verzierungen oder Staeben liess ich fluechtig heraus zeichnen, in so fern ich erkannte, dass es mir bei meinen naechsten Anordnungen wuerde dienlich sein. Den groessten Nutzen aber schoepften wir - mein Arbeiter und ich - aus der Anschauung des Ganzen ueberhaupt. Wir lernten hier neue Dinge kennen, wir sahen, dass es Schoeneres gibt, als wir selber haben, so dass wir den Plan und die Ausfuehrung zu den Arbeiten in dem Haeuschen hier viel besser machten, als wir sonst beides gemacht haben wuerden. Die Zeichnungen von den Bauwerken, Geraeten und anderen Dingen, welche mir dein Gastfreund gesandt hat, sind so schoen, dass es vielleicht wenige gleiche gibt. Ich habe wohl in juengeren Jahren bei meinen Reisen und Wanderungen sehr schoene und hie und da schoenere Bauwerke gesehen; aber Zeichnungen von Bauwerken habe ich nie so vollendet klar und rein gesehen. Ich hatte eine grosse Freude bei dem Anschauen dieser Dinge, und wer in dem Besitze einer so trefflichen Sammlung der schoensten, zahlreichen und dabei so mannigfaltigen Gegenstaende ist, der kann niemals mehr bei seinen Anordnungen in das Unbedeutende, Leere und Nichtige verfallen, ja er muss bei gehoeriger Benuetzung, und wenn sein Geist die Dinge in sich aufzunehmen versteht, nur das Hohe und Reine hervorbringen. Das ist eine seltne Gunst des Schicksales, wenn ein Mann die Musse, Mittel und Mitarbeiter hat, solche Werke anlegen zu koennen. Es gehoerte zu meinen schoensten Augenblicken, in diesen Sammlungen blaettern zu duerfen und mich in die Anschauung dessen, was mich besonders ansprach, zu vertiefen. Vielleicht goennt es doch noch einmal eine spaetere Gunst, von dem Anerbieten dieses Mannes Gebrauch machen zu koennen und hie und da etwas zu Stande zu bringen, was nicht ganz ein unwerter Zuwachs zu meinen letzten Tagen ist. Also gefaellt dir das, was wir zu unseren Verkleidungen hatten hinzu machen lassen?" "Vater, sehr", erwiderte ich; "aber ich habe jetzt andere Dinge zu reden; ich kann mich von meinem Erstaunen nicht erholen, dass mein Gastfreund seine Zeichnungen hieher gesendet hat, die er so liebt, die er gewiss nicht weniger liebt als seine Buecher, von denen er doch keines aus seinem Hause gibt. Ich habe eine so grosse Freude ueber dieses Ereignis, dass ich nicht Worte finde, sie nur halb auszudruecken. Vater, mein Gefuehl hat in juengster Zeit einen solchen Aufschwung genommen, dass ich die Sache selber nicht begreife, ich muss mit dir darueber reden, ich habe sehr viele Dinge mit dir zu reden. Meinem Gastfreunde muss ich auf das Waermste und Heisseste danken, sobald ich ihn sehe, er hat mir durch die Sendung der Zeichnungen an dich die hoechste Gunst erzeigt, die er mir nur zu erzeigen im Stande war." "Dann muss ich dich bitten, mit mir zu gehen und noch etwas anzuschauen", sagte mein Vater. Er fuehrte mich in sein Altertumszimmer. Die Mutter und die Schwester gingen mit. An einem Pfeiler, der mit einem langen, altertuemlich gefassten Spiegel geschmueckt war, stand der Tisch mit den Musikgeraeten, den ich im Rosenhause in der Wiederherstellung befindlich und zu Anfang dieses Sommers bereits vollendet gesehen hatte. Ich konnte vor Verwunderung kein Wort sagen. Der Vater, der mein Gefuehl verstand, sagte. "Der Tisch ist mein Eigentum. Er ist mir in diesem Sommer gesendet worden, und es war die Bitte beigefuegt, ich moege ihn unter meinen andern Dingen als Erinnerung an einen Mann aufstellen, dessen groesste Freude es waere, einem Andern, der seine Neigung gleichen Dingen zuwende wie er, ein Vergnuegen zu machen." "Da muss ich nun augenblicklich zu meinem Freunde reisen", rief ich. "Den Dank habe ich ihm wohl schon ausgedrueckt", sagte der Vater; "aber wenn du hingehen und es mit dem eigenen Munde tun willst, so freut es mich um desto mehr." Die Schwester huepfte oder sprang beinahe in dem Zimmer herum und rief: "Ich habe es mir gedacht, dass er so handeln wird, ich habe es mir gedacht. O der Freude, o der Freude! Wirst du bald abreisen?" "Morgen mit dem fruehesten Tagesanbruch", erwiderte ich, "heute muessen noch Pferde bestellt werden." "Es ist eine spaete Jahreszeit und du bist kaum gekommen, mein Sohn", sagte die Mutter; "aber ich halte dich nicht ab. Der Tisch und noch mehr die Gesinnung des Mannes, der ihn sendete, haben auf deinen Vater wie ein Glueck gewirkt. Das muessen vortreffliche Menschen sein." "Sie haben ihres Gleichen nicht auf Erden", rief ich. Ohne zu saeumen schickte ich den Knecht auf die Post, um mir auf den naechsten Morgen um vier Uhr zwei Pferde zu bestellen. Dann sprachen wir noch von dem Tische. Der Vater breitete sich ueber seine Eigenschaften aus, er erklaerte uns dieses und jenes und setzte mir dann in einer laengeren Beweisfuehrung auseinander, warum er gerade auf diesem Platze stehen muesse, auf dem er stehe. Ohne von den Gemaelden des Vaters etwas zu sagen, auf welche ich mich sehr gefreut hatte und von denen ich mit dem Vater hatte reden wollen, und ohne auf meinen diesjaehrigen Sommeraufenthalt naeher einzugehen, liess ich den Rest des Tages verfliessen und erwartete mit Ungeduld den Morgen. Nur gelegentliche Fragen des Vaters beantwortete ich und hoerte zu, wenn er wieder von dem sprach, was in diesem Sommer ein Ereignis fuer ihn gewesen war. Vor dem Schlafengehen nahmen wir Abschied, und ich begab mich auf meine Zimmer. Um drei Uhr des Morgens war ein leichter Lederkoffer gepackt, und eine halbe Stunde spaeter stand ich in guten Reisekleidern da. In dem Speisezimmer, in welchem noch ein Fruehstueck fuer mich bereit stand, erwarteten mich die Mutter und die Schwester. Der Vater, sagten sie, schlummre noch sehr sanft. Das Fruehmahl war eingenommen, die Pferde standen vor dem Haustore, die Mutter verabschiedete sich von mir, die Schwester begleitete mich zu dem Wagen, kuesste mich dort auf das Innigste und Freudigste, ich stieg ein und der Wagen fuhr in der noch ueberall dicht herrschenden Finsternis davon. Ich war nie mit eigenen Postpferden gefahren, weil ich die Auslage fuer Verschwendung hielt. Jetzt tat ich es, mir ging die Reise noch immer nicht schnell genug, und auf jeder Post, wo ich neue Pferde und einen neuen Wagen erhielt, daeuchte mir der Aufenthalt zu lange. Ich hatte den Vater um den Brief nicht gefragt, der mit den Zeichnungen oder mit dem Tische gekommen war, auch hatte ich mich nicht um die Art erkundigt, wie diese Dinge eingelangt seien. Der Vater hatte ebenfalls nichts davon erwaehnt. Ich beschloss, meinem Vorhaben treu zu bleiben und hierueber eine Frage nicht zu stellen. Nach einer nur durch das notwendige Essen von mir unterbrochenen Fahrt bei Tag und Nacht kam ich gegen den Mittag des zweiten Tages in dem Rosenhause an. Ich hielt vor dem Gitter, gab einem Knechte, der gar nicht erstaunt war, weil er an mein Gehen und Kommen in diesem Hause gewohnt sein mochte, meinen Koffer, sendete Wagen und Pferde auf die letzte Post, in die sie gehoerten, zurueck, ging in das Haus und fragte nach meinem Freunde. Er sei in seinem Arbeitszimmer, sagte man mir. Ich liess mich melden und wurde hinaufgewiesen. Er kam mir laechelnd entgegen, als ich eintrat. Ich sagte, er scheine zu wissen, weshalb ich komme. "Ich glaube es mir denken zu koennen", antwortete er. "Dann werdet ihr euch nicht wundern", sagte ich, "dass ich in diesem Jahre, fuer welches ich schon Abschied genommen habe, mittelst einer sehr eiligen Reise noch einmal in euer Haus komme. Ihr habt meinem Vater eine doppelte Freude erwiesen, ihr habt zu mir nichts gesagt, mein Vater hat mir auch nichts geschrieben, wahrscheinlich, um den Eindruck, wenn ich die Sache selber saehe, groesser zu machen: ich muesste ein sehr unrechtlicher Mensch sein, wenn ich nicht kaeme und fuer den Jubel, der in mein Herz kam, nicht dankte. Ich weiss nicht, wodurch ich es denn verdient habe, dass ihr das getan habt, was ihr tatet; ich weiss nicht, wie ihr denn mit meinem Vater zusammenhaenget, dass ihr ihm ein so kostbares Geschenk macht und dass ihr mit den Zeichnungen so in Liebe an ihn dachtet. Ich danke euch tausendmal und auf das herzlichste dafuer. Ich habe euch fuer alles Freundliche, was mir in eurem Hause zu Teil geworden ist, in meinem Herzen gedankt, ich habe euch auch mit Worten gedankt. Dieses aber ist das Liebste, was mir von euch gekommen ist, und ich biete euch den heissesten Dank dafuer an, der sich am besten aussprechen wuerde, wenn es mir nur auch einmal gegoennt waere, fuer euch etwas tun zu koennen." "Das duerfte sich vielleicht auch einmal fuegen", antwortete er, "das Beste aber, was der Mensch fuer einen andern tun kann, ist doch immer das, was er fuer ihn ist. Das Angenehmste an der Sache ist mir, dass ich mich nicht getaeuscht habe und dass euer Vater an den Sendungen Freude hatte und dass die Freude des Vaters auch euch Freude machte. Im uebrigen ist ja alles sehr einfach und natuerlich. Ihr habt mir von den altertuemlichen Dingen erzaehlt, welche euer Vater besitzt und welche ihm Vergnuegen machen, ihr habt von seinen Bildern gesprochen, ihr habt ihm Schnitzwerke gebracht, fuer welche er eigens einen kleinen Erker seines Hauses umbauen liess, ihr habt euch grosse Muehe gegeben, die Ergaenzungen zu den Schnitzereien zu finden, habt sogar meinen Rat hiebei eingeholt, und es war euch unangenehm, befuerchten zu muessen, dass ihr das Gesuchte trotz alles Strebens nicht finden wuerdet. Da dachte ich, dass ich vielleicht mit einem meiner Gegenstaende eurem Vater ein Vergnuegen machen koennte, besprach mich mit Eustach und sandte den Tisch. Das Uebersenden der Zeichnungen war auch ganz folgerichtig. Ihr habt im vorigen Jahre mit vieler Muehe hier und im Sternenhofe Abbildungen von Geraeten gemacht, um eurem Vater nur im Allgemeinen eine Vorstellung von dem zu geben, was hier ist. Wie nahe lag es also, ihm Zeichnungen zu schicken, in denen noch weit mehr, weit Umfassenderes und weit Edleres enthalten ist, obgleich sie nur die Sammlung eines einzelnen Menschen sind und weit hinter dem zurueckstehen, was an Prachtwerken hie und da besteht. Wir haben vielerlei an alten Geraeten hier, wir koennen etwas entbehren, haben schon Manches weggegeben, und geben gerne etwas einem Manne, der damit Freude hat und der es zu pflegen und zu achten versteht." "Es wurde mir sehr viel Schmerz machen", sagte ich, "wenn ihr nur im Entferntesten denken koenntet, dass ich mit meinen Handlungen auf ein solches Ergebnis habe hinzielen koennen." "Das habe ich nie geglaubt, mein junger Freund", antwortete er, "sonst haette ich die Sachen gar nicht geschickt. Aber es ist die zwoelfte Stunde nahe. Gehet mit mir in das Speisezimmer. Wir wussten zwar von eurer Ankunft nichts; aber es wird sich schon etwas vorfinden, dass ihr nicht Hunger leiden muesset und dass auch wir nicht einen Abbruch leiden." Mit diesen Worten gingen wir in das Speisezimmer. Nach dem Essen wurde ich von Gustav in meine Wohnung geleitet, die immer in reinlichem Stande gehalten wurde und die jetzt von einem schwachen Feuer wohltaetig erwaermt war. Mir tat eine Ruhe etwas not, und die maessige Waerme erquickte meine Glieder. Im Laufe des Nachmittages sagte mein Gastfreund zu mir. "Es ist nie ein so schoener Spaetherbst gewesen als heuer, meine Witterungsbuecher weisen keinen solchen seit meinem Hiersein aus, und es sind alle Anzeichen vorhanden, dass dieser Zustand noch mehrere Tage dauern wird. Nirgends aber sind solche klare Spaetherbsttage schoener als in unseren noerdlichen Hochlanden. Waehrend nicht selten in der Tiefe Morgennebel liegen, ja der Strom taeglich in seinem Tale Morgens den Nebelstreifen fuehrt, schaut auf die Haeupter des Hochlandes der wolkenlose Himmel herab und geht ueber sie eine reine Sonne auf, die sie auch den ganzen Tag hindurch nicht verlaesst. Darum ist es auch in dieser Jahreszeit in dem Hochlande verhaeltnismaessig warm, und waehrend die rauhen Nebel in der Tiefgegend schon die Blaetter von den Obstbaeumen gestreift haben, prangt oben noch mancher Birkenwald, mancher Schlehenstrauch, manches Buchengehege mit seinem goldenen und roten Schmucke. Nachmittags ist dann gewoehnlich auch die Aussicht ueber das ganze Tiefland deutlicher als je zu irgend einer Zeit im Sommer. Wir haben daher beschlossen, heuer noch eine Reise in das Hochland zu machen, wie ich es in frueherer Zeit schon in manchen Jahren getan habe. Die Entfernungen sind dort nicht so gross, und sollten sich die Vorboten melden, dass das Wetter sich zur Aenderung anschicken so koennen wir jederzeit den Heimweg antreten und ohne viel Ungemach den Asperhof wieder erreichen. Morgen wird Mathilde und Natalie eintreffen, sie fahren mit uns, auch Eustach begleitet uns. Wolltet ihr nicht auch den Weg mit uns machen und einige Tage der lieblichen Spaetzeit mit uns geniessen? Koemmt dann Schnee oder Regen, wenn wir wieder in meinem Hause angelangt sind, so werdet ihr wohl auf dem Postwagen eure Heimreise machen koennen und das Wetter wird euch nicht viel anhaben." "Es kann mir nie viel anhaben", entgegnete ich, "weil ich gegen seine Einfluesse abgehaertet bin, auch koennte mir in dem Gefuehle, welches ich gegen euch habe, keine groessere Annehmlichkeit begegnen, als einige Zeit in eurer Gesellschaft zu reisen; aber zu Hause wissen sie nichts davon und erwarten mich wahrscheinlich schon bald." "Ihr koenntet sie ja in einem Briefe verstaendigen", sagte er. "Das kann ich tun", erwiderte ich. "Wenn ich auch gleich nach meiner Ankunft nach einer viele Monate dauernden Abwesenheit wieder fortgereist bin, wenn sie mich auch schon in den naechsten Tagen erwarten, so werden sie doch einsehen, dass ein laengerer Aufenthalt in der Gesellschaft eines Mannes, zu welchem ich in einer Angelegenheit wie die zwischen uns vorgefallene gereist bin, nur in der Natur der Sache gegruendet ist. Sie wuerden es weit uebler nehmen, wenn ich unter den bestehenden Verhaeltnissen nach Hause kaeme, als wenn ich noch eine Weile bei euch bleibe." "Ich habe euch meine Frage und mein Anerbieten gestellt", antwortete mein Gastfreund, "handelt nach eurem besten Ermessen. Was ihr tut, wird wohl das Rechte sein." "Ich schreibe sogleich den Brief." "Gut, und ich werde ihn sofort auf die Post senden." Ich ging in meine Zimmer und schrieb einen Brief an den Vater. Es war wohl das Rechte, was ich tat. Wie schwer wuerden es mir Vater, Mutter und Schwester verziehen haben, wenn ich mich nicht mit Freude an einen Mann zu einer kurzen Reise angeschlossen haette, der so an unserm Hause gehandelt hat. Als ich mit dem Briefe fertig war, trug ich ihn hinab, und der Knecht, der gewoehnlich zu allen Botengaengen verwendet wurde, wartete schon auf ihn, um nebst anderen Auftraegen ihn an den Ort zu bringen, in welchem er auf die Post kommen sollte. Am anderen Tage, schon im Verlaufe des Vormittages, kamen Mathilde und Natalie. Es schien, dass allen die Ursache, weshalb ich, nachdem ich schon Abschied genommen hatte, wieder in das Rosenhaus gekommen war, Freude machte. Sie sahen mich freundlicher an. Selbst Natalie, die mich so gemieden hatte, war anders. Ich glaubte einige Male, wenn ich abgewendet war, ihren Blick auf mich gerichtet zu wissen, den sie aber sogleich, wenn ich hinsah, weg wendete. Gustav schloss sich mit ganzem Herzen an mich an und hatte darueber kein Hehl. Ich wusste schon, dass er mir immer seine Neigung in grossem Masse zugewendet habe, und ich erwiderte sie aus dem Grunde meiner Seele. Nachmittags wurden die Vorbereitungen zur Reise gemacht, und am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne fuhren wir ab. Mit Mathilde fuhren Natalie und ein Dienstmaedchen, mit meinem Gastfreunde fuhren Eustach, Gustav und ich. Mit Roland sollten wir irgend wo im Lande zusammen treffen, er sollte eine Strecke mit uns reisen, und fuer diesen Fall war es dann bestimmt, dass Gustav in dem Wagen der Mutter untergebracht werden musste. Die eigentuemliche Art des Hochlandes erzeugte einen eigentuemlichen Plan des Reisens. Wir hatten nehmlich beschlossen, ueber manchen steilen und laenger dauernden Berg hinan zu gehen, ebenso ueber manchen hinab. Dies sollte die ganze Gesellschaft zuweilen zusammen bringen, zuweilen trennen. Man konnte auf diese Art Manches gemeinschaftlich geniessen, Manches vereinzelt, sich aber in Kuerze davon Mitteilungen machen. Ehe noch die Sonne den hoechsten Punkt ihres Bogens erklommen hatte, waren wir bereits die Dachung empor gekommen, welche das niedrere Land von dem Hochlande trennt, und fuhren nun in das eigentliche Ziel unserer Reise hinein. Mein Gastfreund hatte Recht. In dem milden, sanften Schimmer der Nachmittagsonne, die hier fast waermer schien als in den Ebenen und Taelern des Tieflandes, fuhren wir einem lieblichen Schauplatze entgegen. Selbst untergeordnete Umstaende vereinigten sich, die Reise angenehm zu machen. Die sandigen Strassen des Oberlandes, welche auch sehr gut gebaut waren, zeigten sich, ohne staubig zu sein, sehr trocken, was von den Wegen in der Tiefe nicht gesagt werden konnte, die teils durch die taeglichen Morgennebel getraenkt, teils ihres schweren Bodens halber schon in langen Strecken feucht, kuehl und schmutzig waren. So rollten wir bequem dahin, alles war klar, durchsichtig und ruhig. Nataliens gelber Reisestrohhut tauchte vor uns auf oder verschwand, so wie ihr Wagen einen leichten Wall hinan ging oder jenseits desselben hinab fuhr. Die Sonne stand an dem wolkenlosen Himmel, aber schon tief gegen Sueden, gleichsam als wollte sie fuer dieses Jahr Abschied nehmen. Die letzte Kraft ihrer Strahlen glaenzte noch um manches Gestein und um die bunten Farben des Gestrippes an dem Gesteine. Die Felder waren abgeerntet und umgepfluegt, sie lagen kahl den Huegeln und Haengen entlang, nur die gruenen Tafeln der Wintersaaten leuchteten hervor. Die Haustiere, des Sommerzwanges entledigt, der sie auf einen kleinen Weidefleck gebannt hatte, gingen auf den Wiesen, um das nachsprossende Gras zu geniessen, oder gar auf den Saatfeldern umher. Die Waeldchen, die die unzaehligen Huegel kroenten, glaenzten noch in dieser spaeten Zeit des Jahres entweder goldgelb in dem unverlorenen Schmuck des Laubes oder roetlich oder es zogen sich bunte Streifen durch das dunkle, bergan klimmende Gruen der Foehren empor. Und ueber allem dem war doch ein blasser, sanfter Hauch, der es milderte und ihm einen lieben Reiz gab. Besonders gegen die Talrinnen oder Tiefen zu war die blaue Farbe zart und schoen. Aus diesem Dufte heraus leuchteten hie und da entfernte Kirchtuerme oder schimmerten einzelne weisse Punkte von Haeusern. Das Tiefland war von den Morgennebeln befreit, es lag sammt dem Hochgebirge, das es gegen Sueden begrenzte, ueberall sichtbar da und saeumte weithinstreichend das abgeschlossene Huegelgelaende, auf dem wir fuhren, wie eine entfernte, duftige, schweigende Fabel. Von Menschentreiben darin war kaum etwas zu sehen, nicht die Begrenzungen der Felder, geschweige eine Wohnung, nur das blitzende Band des Stromes war hie und da durch das Blau gezogen. Es war unsaeglich, wie mir alles gefiel, es gefiel mir bei weitem mehr als frueher, da ich das erste Mal dieses Land mit meinem Gastfreunde genauer besah. Ich tauchte meine ganze Seele in den holden Spaetduft, der alles umschleierte, ich senkte sie in die tiefen Einschnitte, an denen wir gelegentlich hin fuhren, und uebergab sie mit tiefem, innerem Abschlusse der Ruhe und Stille, die um uns wartete. Als wir einmal einen langen Berg empor klommen, dessen Weg einerseits an kleinen Felsstuecken, Gestrippe und Wiesen dahinging, andererseits aber den Blick in eine Schlucht und jenseits derselben auf Berge, Wiesen, Felder und entfernte Waldbaender gewaehrte, als die Waegen voran gingen und die ganze Gesellschaft langsam folgte, vielfach stehen bleibend und sich besprechend, geriet ich neben Natalien, die mich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, fragte, ob ich noch das Spanische betreibe. Ich antwortete ihr, dass ich es erst seit Kurzem zu lernen begonnen habe, dass ich aber seit der Zeit immer darin fortgefahren sei und dass ich zuletzt mich an Calderon gewagt habe. Sie sagte, von ihrer Mutter sei ihr das Spanische empfohlen worden. Es gefalle ihr, sie werde nicht davon ablassen, so weit nehmlich ihre Kraefte darin ausreichen, und sie finde in dem Inhalte der spanischen Schriften, besonders in der Einsamkeit der Romanzen, in den Pfaden der Maultiertreiber und in den Schluchten und Bergen eine Aehnlichkeit mit dem Lande, in dem wir reisen. Darum gefalle ihr das Spanische, weil ihr dieses Land hier so gefalle. Sie wuerde am liebsten, wenn es auf sie ankaeme, in diesen Bergen wohnen. "Mir gefaellt auch dieses Land", erwiderte ich, "es gefaellt mir mehr, als ich je gedacht haette. Da ich zum ersten Male hier war, uebte es auf mich schier keinen Reiz aus, ja mit seinem raschen Wechsel und doch mit der grossen Aehnlichkeit aller Gruende stiess es mich eher ab, als es mich anzog. Da ich mit unserem Gastfreunde spaeter einmal einen groesseren Teil bereiste, war es ganz anders, ich fand mich zu dieser Weitsicht und Beschraenktheit, zu dieser Enge und Grossartigkeit, zu dieser Einfachheit und Mannigfaltigkeit hingeneigt. Ich fuehlte mich bewegt, obwohl ich an ganz andere Gestalten gewohnt war und sie liebte, nehmlich an die des Hochgebirges. Heute aber gefaellt mir alles, was uns umgibt, es gefaellt mir so, dass ich es kaum zu sagen im Stande bin." "Seht, das geht immer so", erwiderte sie. "Als ich mit meinem Vater zum ersten Male hier war, freilich befand ich mich noch in den Kinderjahren, war mir das unaufhoerliche Auf- und Abfahren so unangenehm, dass ich mich auf das Aeusserste wieder in unsere Stadt und in deren Ebenen zurueck sehnte. Nach langer Zeit fuhr ich mit der Mutter durch diese Gegenden und spaeter wiederholt in derselben Gesellschaft wie heute, ausser euch, und jedes Mal wurde mir das Land und seine Gestaltungen, ja selbst seine Bewohner lieber. Auch das ist eigentuemlich und angenehm, dass man Wagenreisen und Fussreisen verbinden kann. Wenn man, wie wir jetzt tun, die Waegen verlaesst und einen langen Berg hinan geht oder ihn hinab geht, wird einem das Land bekannter, als wenn man immer in dem Wagen bleibt. Es tritt naeher an uns. Die Gestraeuche an dem Wege, die Steinmauern, die sie hier so gerne um die Felder legen, ein Birkenwaeldchen mit den kleinsten Dingen, die unter seinen Staemmen wachsen, die Wiesen, die sich in eine Schlucht hinab ziehen, und die Baumwipfel, welche aus der Schlucht herauf sehen, hat man unmittelbar vor Augen. In Ebenen eilt man schnell vorbei. Hier ist gerade so eine Schlucht, wie ich sprach." Wir blieben ein Weilchen stehen und sahen in die Schlucht hinab. Beide sprachen wir gar nichts. Endlich fragte ich sie, woher sie denn wisse, dass ich die spanische Sprache lerne. "Unser Gastfreund hat es uns gesagt", erwiderte sie, "er hat uns auch gesagt, dass ihr Calderon leset." Nach diesen Worten gingen wir weiter. Die andere Gesellschaft, welche vor uns gewesen war, blieb im Gespraeche stehen, und wir erreichten sie. Die Gespraeche wurden allgemeiner und betrafen meistens die Gegenstaende, welche man eben, entweder in naechster Naehe oder in grosser Entfernung, sah. Weil nach Untergang der Sonne gleich grosse Kuehle eintrat und unsere Reise nicht den Zweck hatte, grosse Strecken zurueck zu legen, sondern das zu geniessen, was die Zeit und der Weg boten, so wurde, als die Sonne hinter den Waldsaeumen hinab sank, Halt gemacht und die Nachtherberge bezogen. Die Einteilung war schon so gemacht worden, dass wir zu dieser Zeit in einem groesseren Orte eintrafen. Wir gingen noch ins Freie. Wie schnell war in Kurzem der Schauplatz geaendert! Die belebende und faerbende Sonne war verschwunden, alles stand einfarbiger da, die Kuehle der Luft liess sich empfinden, in der Tiefe der Wiesengruende zogen sich sehr bald Nebelfaeden hin, das ferne Hochgebirge stand scharf in der klaren Luft, waehrend das Tiefland verschwamm und Schleier wurde. Der Westhimmel war ueber den dunkeln Waeldern hellgelb, manche Rauchsaeule stieg aus einer Wohnung gegen ihn auf, und bald auch glaenzte hie und da ein Stern, die feine Mondessichel wurde ueber den Zacken des westlichen Waldes sichtbar, um in sie zu sinken. Wir gingen nun in ein Zimmer, das fuer uns geheizt worden war, verzehrten dort unser Abendessen, blieben noch eine Zeit in Gespraechen sitzen und begaben uns dann in unsere Schlafgemaecher. Am andere Tage war ein klarer Reif ueber Wiesen und Felder. Die Nebelfaeden unserer Umgebung waren verschwunden, alles lag scharf und funkelnd da, nur das Tiefland war ein einziger wogender Nebel, jenseits dessen das Hochgebirge deutlich mit seinen frischen und sonnigen Schneefeldern dastand. Kurz nach Aufgang der Sonne fuhren wir fort, und bald waren ihre milden Strahlen zu spueren. Wir empfanden sie, der Reif schmolz weg und in Kurzem zeigte sich uns die Gegend wieder wie gestern. Wir besuchten eine Kirche, in welcher mein Gastfreund Ausbesserungen an alten Schnitzereien machen liess. Es war aber gerade jetzt nicht viel zu sehen. Ein Teil der Gegenstaende war in das Rosenhaus abgegangen, ein anderer war abgebrochen und lag zum Einpacken bereit. Die Kirche war klein und sehr alt. Sie war in den ersten Anfaengen der gothischen Kunst gebaut. Ihre Abbildung befand sich unter den Bauzeichnungen Eustachs. Als wir alles besehen hatten, fuhren wir wieder weiter. Nachmittags gesellte sich Roland zu uns. Er hatte uns in einem Gasthause erwartet, in welchem unsere Pferde Futter bekamen. Ich konnte, da wir uns eine Weile in dem Hause aufhielten, und spaeter bei einer andern Gelegenheit, da wir eine Strecke zu Fuss gingen, wieder bemerken, dass seine Blicke zuweilen auf Natalien hafteten. Er hatte Zeichnungen in einem Buche, das er bei sich trug, und er hatte Bemerkungen und Vorschlaege in sein Gedenkbuch geschrieben. Er teilte von beiden Einiges mit, soweit es die Reise gestattete, und versprach, Abends, wenn wir in der Herberge angelangt sein wuerden, noch Mehreres vorzulegen. Am naechsten Tage Nachmittags kamen wir nach Kerberg und besahen die Kirche und den schoenen geschnitzten Hochaltar. Mir gefiel er jetzt viel besser, als da ich ihn in Gesellschaft meines Gastfreundes und Eustachs zum ersten Male gesehen hatte. Ich begriff nicht, wie ich damals mit so wenig Anteil vor diesem ausserordentlichen Werke hatte stehen koennen; denn ausserordentlich erschien es mir trotz seiner Fehler, die, wie ich wohl sah, in jedem Werke altdeutscher Kunst zu finden sein wuerden, die ich aber in dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freundes stand, nicht fand. Wir blieben lange in der Kirche, und ich waere gerne noch laenger geblieben. Vor der Ruhe, dem Ernste, der Wuerde und der Kindlichkeit dieses Werkes kam eine Ehrfurcht, ja fast ein Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der Anlage bei dem grossen Reichtume des Einzelnen beruhigte das Auge und das Gemuet. Wir sprachen ueber das Werk, und aus dem Gespraeche erkannte ich jetzt recht deutlich, dass frueher auch vor diesem Werke die zwei Maenner auf meine Unkenntnis Ruecksicht genommen hatten, und ich dankte es ihnen in meinem Herzen. Ich nahm mir vor, einmal von dieser Schnitzarbeit ein genaues Abbild zu machen und es meinem Vater zu bringen. Ich aeusserte mich, wie schoen, wie gross einmal die Kunst gewirkt habe und wie dies jetzt anders geworden scheine. "Es sind in der Kunst viele Anfaenge gemacht worden", sagte mein Gastfreund. "Wenn man die Werke betrachtet, die uns aus sehr alten Zeiten ueberliefert worden sind, aus den Zeiten der aegyptischen Reiche, des assyrischen, medischen, persischen, der Reiche Indiens, Kleinasiens, Griechenlands, Roms - Vieles wird noch erst in unsern Zeiten aus der Erde zu Tage gefoerdert, Vieles harrt noch der zukuenftigen Enthuellung, wer weiss, ob nicht sogar auch Amerika Schaetzenswertes verbirgt -, wenn man diese Werke betrachtet und wenn man die besten Schriften liest, die ueber die Entwicklung der Kunst geschrieben worden sind: so sieht man, dass die Menschen in der Erschaffung einer Schoepfung, die der des goettlichen Schoepfers aehnlich sein soll - und das ist ja die Kunst, sie nimmt Teile, groessere oder kleinere, der Schoepfung und ahmt sie nach -, immer in Anfaengen geblieben sind, sie sind gewissermassen Kinder, die nachaeffen. Wer hat noch erst nur einen Grashalm so treu gemacht, wie sie auf der Wiese zu Millionen wachsen, wer hat einen Stein, eine Wolke, ein Wasser, ein Gebirge, die gelenkige Schoenheit der Tiere, die Pracht der menschlichen Glieder nachgebildet, dass sie nicht hinter den Urbildern wie schattenhafte Wesen stehen, und wer hat erst die Unendlichkeit des Geistes darzustellen gewusst, die schon in der Endlichkeit einzelner Dinge liegt, in einem Sturme, im Gewitter, in der Fruchtbarkeit der Erde mit ihren Winden, Wolkenzuegen, in dem Erdballe selber und dann in der Unendlichkeit des Alls? Oder wer hat nur diesen Geist zu fassen gewusst? Einige Voelker sind sinniger und inniger geworden, andere haben ins Groessere und Weitere gearbeitet, wieder andere haben den Umriss mit keuscher und reiner Seele aufgenommen und andere sind schlicht und einfaeltig gewesen. Nicht ein Einzelnes von diesen ist die Kunst, alles zusammen ist die Kunst, was da gewesen ist und was noch kommen wird. Wir gleichen den Kindern auch darin, dass, wenn sie ein Haus, eine Kirche, einen Berg aus Erde nur entfernt aehnlich ausgefuehrt haben, sie eine groessere Freude darueber empfinden, als wenn sie das um Unvergleichliches schoenere Haus, die schoenere Kirche oder den schoeneren Berg selbst ansehen. Wir haben ein innigeres und suesseres Gefuehl in unserem Wesen, wenn wir eine durch Kunst gebildete Landschaft, Blumen oder einen Menschen sehen, als wenn diese Gegenstaende in Wirklichkeit vor uns sind. Was die Kinder bewundern, ist der Geist eines Kindes, der doch so viel in der Nachahmung hervorgebracht hat, und was wir in der Kunst bewundern, ist, dass der Geist eines Menschen, uns gleichsam sinnlich greifbar, ein Gegenstand unserer Liebe und Verehrung, wenn auch fehlerhaft, doch dem etwas nachgeschaffen hat, den wir in unserer Vernunft zu fassen streben, den wir nicht in den beschraenkten Kreis unserer Liebe ziehen koennen und vor dem die Schauer der Anbetung und Demuetigung in Anbetracht seiner Majestaet immer groesser werden, je naeher wir ihn erkennen. Darum ist die Kunst ein Zweig der Religion, und darum hat sie ihre schoensten Tage bei allen Voelkern im Dienste der Religion zugebracht. Wie weit sie es in dem Nachschaffen bringen kann, vermag niemand zu wissen. Wenn schoene Anfaenge da gewesen sind, wie zum Beispiele im Griechentume, wenn sie wieder zurueck gesunken sind, so kann man nicht sagen, die Kunst sei zu Grunde gegangen; andere Anfaenge werden wieder kommen, sie werden ganz Anderes bilden, wenn ihnen gleich allen das Nehmliche zu Grunde liegt und liegen wird, das Goettliche; und niemand kann sagen, was in zehntausend, in hunderttausend Jahren, in Millionen von Jahren oder in Hunderten von Billionen von Jahren sein wird, da niemand den Plan des Schoepfers mit dem menschlichen Geschlechte auf der Erde kennt. Darum ist auch in der Kunst nichts ganz unschoen, so lange es noch ein Kunstwerk ist, das heisst, so lange es das Goettliche nicht verneint, sondern es auszudruecken strebt, und darum ist auch nichts in ihr ohne Moeglichkeit der Uebertreffung schoen, weil es dann schon das Goettliche selber waere, nicht ein Versuch des menschlichen Ausdruckes desselben. Aus dem nehmlichen Grunde sind nicht alle Werke aus den schoensten Zeiten gleich schoen und nicht alle aus den verkommensten oder rohesten gleich haesslich. Was waere denn die Kunst, wenn die Erhebung zu dem Goettlichen so leicht waere, wie gross oder klein auch die Stufe der Erhebung sei, dass sie Vielen, ohne innere Groesse und ohne Sammlung dieser Groesse bis zum sichtlichen Zeichen, gelaenge? Das Goettliche musste nicht so gross sein, und die Kunst wuerde uns nicht so entzuecken. Darum ist auch die Kunst so gross, weil es noch unzaehlige Erhebungen zum Goettlichen gibt, ohne dass sie den Kunstausdruck finden, Ergebung, Pflichttreue, das Gebet, Reinheit des Wandels, woran wir uns auch erfreuen, ja woran die Freude den hoechsten Gipfel erreichen kann, ohne dass sie doch Kunstgefuehl wird. Sie kann etwas Hoeheres sein, sie wird als Hoechstes dem Unendlichen gegenueber sogar Anbetung und ist daher ernster und strenger als das Kunstgefuehl, hat aber nicht das Holde des Reizes desselben. Daher ist die Kunst nur moeglich in einer gewissen Beschraenkung, in der die Annaeherung zu dem Goettlichen von dem Banne der Sinne umringt ist und gerade ihren Ausdruck in den Sinnen findet. Darum hat nur der Mensch allein die Kunst, und wird sie haben, so lange er ist, wie sehr die Aeusserungen derselben auch wechseln moegen. Es waere des hoechsten Wunsches wuerdig, wenn nach Abschluss des Menschlichen ein Geist die gesammte Kunst des menschlichen Geschlechtes von ihrem Entstehen bis zu ihrem Vergehen zusammenfassen und ueberschauen duerfte." Mathilde antwortete hierauf mit Laecheln: "Das waere ja im Grossen, was du jetzt im Kleinen tust, und es duerfte hiezu eine ewige Zeit und ein unendlicher Raum noetig sein." "Wer weiss, wie es mit diesen Dingen ist", erwiderte mein Gastfreund, "und es wird hier wie ueberall gut sein: Ergebung, Vertrauen, Warten." Eustach oeffnete die Mappe, in welcher er die Zeichnung des Altares und die Zeichnungen von Teilen der Kirche, von der Kirche selber und von Gegenstaenden hatte, die sich in der Kirche befanden. Wir verglichen die Zeichnung mit dem Altare, es wurde Manches bemerkt, Manches gelobt, Manches zur Verbesserung der Zeichnung vorgeschlagen. Wir betrachteten auch die Kirche, wir betrachteten Teile derselben, wir besahen Grabmaeler und unter ihnen auch den grossen roten Stein, auf welchem der Mann mit der hohen, schoenen Stirne abgebildet ist, der die Kirche und den Altar gegruendet hatte. Wie blieben an diesem Tage in Kerberg. Wir stiegen auf den Berg, auf welchem das alte Schloss lag, und sahen das Schloss und den in dem tiefsten herbstlichen Zustande stehenden Garten an. Wir gingen auf den Stellen, auf welchen die alten maechtigen und reichen Leute gegangen waren, die einst hier gewohnt hatten, und auch der Mann, als dessen Tat die Kirche in dem Tale steht. "Was alle diese Menschen getan haben", sagte mein Gastfreund, "waere zum Teile in den Papieren und Pergamenten enthalten, die in den Schloessern und Haeusern dieses Landes und mitunter auch in entfernten Staedten liegen. Einige wissen einen Teil dieser Taten, die meisten sind damit voellig unbekannt, und diejenigen, welche auf den Spuren herum gehen, die ihre Vorfahren getreten haben, wissen oft nicht, wer diese gewesen sind. Es waere nicht unziemlich, wenn durch Oeffnung der Briefgewoelbe in allen Laendern auch Einzelgeschichten von Familien und Gegenden verfasst wuerden, die unser Herz oft naeher beruehren und uns greiflicher sind als die grossen Geschichten der grossen Reiche. Man betritt wohl diesen Weg, aber vielleicht nicht ausreichend und nicht in der rechten Art." Von Kerberg aus wendeten wir uns am folgenden Tage den hoeher gelegenen Teilen des Landes zu, das dichter und ausgebreiteter bewaldet war als die bisher befahrenen Gegenden und von dem uns durch das Daemmer des Vormittages die breiten und weithinziehenden Bergesruecken mit Nadeldunkel und Buchenrot entgegen sahen. Mein Gastfreund hatte Recht gehabt. Ein Tag wurde immer schoener als der andere. Nicht der geringste Nebel war auf der Erde, auf welcher wir reiseten, nicht das geringste Woelkchen am Himmel, der sich ueber uns spannte. Die Sonne begleitete uns freundlich an jedem Tage, und wenn sie schied, schien sie zu versprechen, morgen wieder so freundlich zu erscheinen. Roland blieb drei Tage bei uns, dann verliess er uns, nachdem er vorher noch Zeichnungen und andere Papiere in den Wagen meines Gastfreundes gepackt hatte. Er wollte noch bis zum Eintritte des schlechten Wetters in dem Lande bleiben und dann in das Rosenhaus zurueckkehren. Alles war recht lieb und freundlich auf dieser Reise, die Gespraeche waren traulich und angenehm, und jedes Ding, eine kleine alte Kirche, in der einst Glaeubige gebetet, eine Mauertruemmer auf einem Berge, wo einst maechtige und gebietende Menschen gehaust hatten, ein Baum auf einer Anhoehe, der allein stand, ein Haeuschen an dem Wege, auf das die Sonne schien, alles gewann einen eigentuemlichen sanften Reiz und eine Bedeutung. Am achten Tage wandten wir unsere Waegen wieder gegen Sueden, und am neunten Abend trafen wir in dem Asperhofe ein. Ehe ich mich zu meiner Heimreise ruestete, sah ich noch einmal Manches der herrlichen Bilder meines Gastfreundes, drueckte manches Ausserordentliche der Buecher in meine Seele, sah die geliebten Angesichter der Menschen, die mich umgaben, und sah manchen Blick der Landschaft, die sich zu tiefem Ersterben ruestete. Mein Herz war gehoben und geschwellt, und es war, als breitete sich in meinem Geiste die Frage aus, ob nun ein solches Vorgehen, ob die Kunst, die Dichtung, die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende, oder ob es noch ein Ferneres gaebe, das es umschliesse und es mit weit groesserem Glueck erfuelle. Der Einblick Ich fuhr bei sehr schlechtem Wetter, welches mit Wind, Regen und Schnee nach den hellen und sonnigen Tagen, die wir in dem Hochlande zugebracht hatten, gefolgt war, von dem Rosenhause ab. Die Pferde meines Gastfreundes brachten mich auf die erste Post, wo schon ein Platz fuer mich in dem in der Richtung nach meiner Heimat gehenden Postwagen bestellt war. Mathilde und Natalie waren zwei Tage vor mir abgereist, da sich schon die Zeichen an dem Himmel zeigten, dass die milden Tage fuer dieses Jahr zu Ende gehen wuerden. Roland war von seiner Wanderung in dem Asperhofe eingetroffen. Alles hatte auf stuermische Aenderung in dem Luftraume hingedeutet. Ich weiss nicht, warum ich so lange geblieben war. Es erschien mir auch einerlei, ob das Wetter uebel sei oder nicht. Ich war von meinen Wanderungen her an jedes Wetter gewohnt, um so mehr konnte mir dasselbe gleichgueltig sein, wenn ich in einem vollkommen geschuetzten Wagen sass und auf einer wohlgebauten Hauptstrasse dahin rollte. Am dritten Tage Mittags nach meiner Abreise von dem Rosenhause traf ich bei den Meinigen ein. Die zweite Ankunft in diesem Jahre. Sie hatten aus meinem Briefe die Verspaetung meiner Ankunft entnommen, den Grund vollstaendig gebilligt und waeren, wie ich ganz richtig vorausgesehen hatte, unwillig auf mich geworden, wenn ich anders gehandelt haette. Ich erzaehlte nun alles, was sich nach meiner schnellen Abreise von Hause begeben hatte. Da bei meiner ersten Ankunft gleich die eine Ursache zur Wiederabreise vorgekommen war, so konnte ich auch jetzt erst nach und nach erzaehlen, was sich im vergangenen Sommer mit mir zugetragen habe. Der Vater kam sehr haeufig auf die Zeichnungen zurueck, die ihm mein Gastfreund gesendet hatte, und aus seinen Reden war zu entnehmen, wie sehr er die Geschicklichkeit des Mannes anerkannte, der die Zeichnungen gemacht hatte, und wie hoch in seiner Achtung der stehe, auf dessen Veranlassung sie entstanden waren. Er fuehrte mich neuerdings zu dem Musikgeraettische, zeigte mir noch einmal, warum er ihn gerade an diesen Platz gestellt habe, und fragte mich wieder, ob ich mit der Wahl des Ortes einverstanden sei. Mich wunderte Anfangs die Frage, da er sonst nicht gewohnt war, mich in solchen Dingen zu Rate zu ziehen. Nach meiner Ansicht war der Tisch in dem Altertumszimmer an dem Fensterpfeiler in passender Umgebung sehr gut gestellt und zeigte seine Eigenschaften in dem besten Lichte. Ich wiederholte daher meine vollkommene Billigung des Platzes, die ich schon vor meiner Abreise ausgesprochen hatte. Spaeter aber sah ich wohl recht deutlich, dass es nur die Freude an diesem Stuecke war, was den Vater zur Wiederholung der Frage ueber die Zweckmaessigkeit des Platzes und zum wiederholten Zurueckkommen zu dem Tische veranlasst hatte. Das freudige Wesen, welches ich bei meiner ersten Ankunft in seiner ganzen Gestalt ausgedrueckt gesehen zu haben glaubte, erschien mir jetzt auch noch ueber ihn verbreitet. Selbst die Mutter und die Schwester schienen mir vergnuegter zu sein als in andern Zeiten - ja mir war es, als liebten mich alle mehr als sonst, so gut, so freundlich, so hingebend waren sie. Wie sehr dieses Gefuehl, von den Seinen geliebt zu sein, das Herz beseligt, ist mit Worten nicht auszusprechen. Ich erzaehlte meinem Vater von dem Marmorbilde, welches auf der Treppe im Hause meines Gastfreundes steht, und suchte ihm eine Beschreibung von diesem Kunstwerke zu machen. Er sah mich sehr aufmerksam an, ja mir war es einige Male, als saehe er mich gewissermassen betroffen an. Er fragte um Manches und veranlasste mich neuerdings von dem Bilderwerke zu sprechen. Es schien ihn sehr angelegentlich zu beruehren. Ich erzaehlte ihm dann auch von der Brunnengestalt in dem Sternenhofe, verglich sie mit der Treppengestalt im Rosenhause, suchte den Unterschied hervorzuheben, und suchte fuer die Treppengestalt weit den Vorzug zu gewinnen, obgleich sie der aelteren Zeit angehoere und die andere etwa erst im vergangenen Jahrhunderte verfertigt worden sei, und obgleich diese fast blendend reinen Marmor habe, die andere aber einen, dem man das hohe Alter schon ansehe. Er fragte auch hier noch um Vergleichungspunkte, und ich sah, dass er die Sache ergriff und Einsicht von ihr hatte. Ich erzaehlte ihm dann auch von den Gemaelden meines Gastfreundes, ich nannte ihm die Meister, von denen Werke vorhanden waeren, und bemuehte mich, Beschreibungen von den Bildern zu geben, welche mich am meisten in Anspruch genommen haetten. Er tat auch in dieser Hinsicht zahlreiche Fragen und machte, dass ich mich ueber den Gegenstand weiter ausbreitete, als ich wohl urspruenglich im Sinne hatte. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft, da wir wieder von diesen Dingen gesprochen hatten, nahm er mich bei der Hand und fuehrte mich in sein Bilderzimmer. Ich war absichtlich seit meiner Ankunft nicht in demselben gewesen und hatte mir dessen Besuch auf eine ruhigere Zeit aufgehoben. Ich hatte die zwei Tage in Gespraechen mit meinen Eltern hingebracht, zum Teile hatte ich sie auch benuetzt, die Dinge, welche ich ihnen und der Schwester gebracht hatte, zu uebergeben. Darunter waren auch die kleineren Marmorgegenstaende, welche im Rothmoore fertig geworden waren. Der Rest der Zeit war mit Auspacken, Einraeumen und mit einigen Ankunftsbesuchen ausgefuellt worden. Da wir in das Zimmer getreten waren und die Mitte desselben erreicht hatten, liess er meine Hand fahren, sagte aber nichts. Ich war im groessten Erstaunen. Die Bilder, welche vorhanden waren und deren Zahl geringe war, weit geringer als bei meinem Gastfreunde, ja selbst im Sternenhofe, erschienen mir als ausserordentlich schoen, als ganz vollendete, zusammenstimmende Meisterwerke, wie sie, wenn ich dem ersten Eindrucke trauen durfte, bei meinem Gastfreunde in dieser gleich hohen und zusammengehoerigen Schoenheit nicht vorhanden waren. Es befand sich, wie ich bald entdeckte, kein Bild der neueren oder neusten Zeit darunter, saemmtlich gehoerten sie der aelteren Zeit an, wenigstens, wie ich wahrzunehmen glaubte, dem sechzehnten Jahrhunderte. Ein ganz tiefes, eigentuemliches Gefuehl kam in meine Seele. Das ist die grosse und nicht zu beschreibende Liebe des Vaters. Diese kostbaren Dinge besass er, an diesen Dingen hing sein Herz, sein Sohn war vorueber gegangen, ohne sie zu beachten, und der Vater entzog dem Sohne doch kein Teilchen der Zuneigung, er opferte sich ihm, er opferte ihm fast sein Leben, er sorgte fuer ihn und suchte ihm nicht einmal zu beweisen, wie schoen die Sachen waeren. Ich erfuhr, wie sehr ich auch hier geschont worden war. "Das sind ja herrliche Bilder", rief ich in Ruehrung aus. "Ich glaube, dass sie nicht unbedeutend sind", erwiderte er mit einer durch Bewegung ergriffenen Stimme. Dann gingen wir naeher, um sie zu betrachten. Es waren in der Tat lauter alte Gemaelde, keines von besonders grossen Abmessungen, keines von kunstwidriger Kleinheit. Ich tat die Bemerkung, dass er keine neuen Bilder habe. "Es hat sich so gefuegt", sagte er, "ich habe schon einige der hier befindlichen Stuecke von deinem Grossvater, der auch ein Freund von solchen Dingen war, geerbt, und anderes habe ich gelegentlich erworben. Die mittelalterliche Kunst steht wohl hoeher als die neue. In ihr ist ein groesserer Reichtum schoener Werke vorhanden als in der neuen, es ist daher leichter moeglich, ein fehlerfreies altes Bild zu erwerben als ein neues. Wer Bilder unserer Zeiten liebt, gibt solche, die an Schoenheit keinen Tadel verdienen, nicht zum Kaufe, sie sind daher nicht leicht zu erhalten. Bilder, die von Anfaengern oder von solchen herruehren, die schwach in der Kunst sind, stehen leicht und an vielen Orten, teils von den Kuenstlern, teils von Haendlern, wie es auch in frueheren Zeiten gewesen sein wird, zum Kaufen. Zu diesen konnte ich nie eine Neigung fassen, daher ist es gekommen, dass ich lauter alte Bilder besitze. Es war ein kraeftiges und gewaltiges Geschlecht, das damals wirkte. Dann kam eine schwaechliche und entartetere Zeit. Sie meinte es besser zu machen, wenn sie die Gestalten reicher und verblasener bildete, wenn sie heftiger in der Farbe und weniger tief im Schatten wuerde. Sie lernte das Alte nach und nach missachten, daher liess sie dasselbe verfallen, ja die mit der Unkenntnis eintretende Rohheit zerstoerte Manches, besonders wenn wilde und verworrene Zeitlaeufe eintraten. Man wendete dann wieder um und achtete allgemeiner wieder das Alte - von allen Seiten missachtet war es niemals. - Man suchte sogar nachzuahmen, nicht bloss in der Malerkunst, sondern auch, und zwar noch mehr in der Baukunst; man konnte aber das Vorbild weder in der Grundeinheit noch in der Ausfuehrung erreichen, so gut und treu die neuen Einzelnheiten auch gewesen sein mochten. Es ist langsam besser geworden, was sich eben in dem Zeichen kund tat, dass man alte Bauwerke wieder schaetzte - ich selber weiss noch eine Zeit, in welcher Reisende und Schriftsteller, die man fuer gelehrt und spruchberechtigt achtete, die gothische Bauweise fuer barbarisch und veraltet erklaerten -, dass man alte Bilder hervor zog, ja alte Geraete sammelte und in dem Schnitte der Kleider alte Gebilde und Wendungen teilweise einfuehrte. Moege man auf diesem Wege zum Besseren fortfahren und nicht bloss das Alte wieder zu einer Mode machen, die den Geist nicht kennt, sondern nur die Veraenderung liebt. Du kannst es noch erleben, wenn wieder eine Hoehe eintritt; denn ein Schwellen von Tiefe in Hoehe und ein Sinken aus der Hoehe in die Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntnis des Altertums, nicht bloss des unsern, sondern des noch schoenern des Griechentums, wie es sich jetzt auszusprechen scheint, immer fortschreitet und nicht ermattet, so werden wir auch dahin kommen, dass wir eigene Werke werden ersinnen koennen, in denen die ernste Schoenheitsmuse steht, nicht Leidenschaft oder Absicht oder ein aeusserlicher Reiz oder ledigliche planlose Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt sind oder in denen nur ein aelterer Stil ausgedrueckt ist. Wenn wir dahin gekommen sind, dann duerften wir wohl auch gesellschaftlich auf einer Stufe stehen, dass nicht bloss Teile unseres Volkes nach Aussen maechtig sind, sondern das ganze Volk, und dass es dann mit seinem Leben gelassen kraeftig auf das Leben anderer Voelker wirkt. Ich denke immer, die sind gluecklich, die die Lerchen dieses Fruehlings singen hoeren; aber diese werden den Zustand nicht so empfinden wie der, der andere gesehen hat, so wie der Unschuldige seine Unschuld nicht empfindet, der rechtliche Mann seine Rechtschaffenheit nicht hoch anschlaegt und verdorbene Zeiten ihre Verdorbenheit nicht kennen." Ich dachte, da mein Vater so sprach, an meinen Gastfreund, der aehnlich fuehlt und sich aehnlich ausspricht. Aber es ist ja kein Wunder, dass Maenner, die ein aehnliches Streben haben, also auch aehnlichen Geist besitzen, auf aehnliche Gedanken kommen, besonders, wenn sie an Alter nicht zu verschieden sind. Wie betrachteten nun das Einzelne. Mein Vater hatte Bilder von Tizian, Guido Reni, Paul Veronese, Annibale Carracci, Dominichino, Salvator Rosa, Nikolaus Poussin, Claude Lorrain, Albrecht Duerer, den beiden Holbein, Lucas Cranach, Van Dyck, Rembrandt, Ostade, Potter, van der Neer, Wouvermann und Jakob Ruisdael. Wir gingen von dem einen zu dem andern, betrachteten ein jedes, taten manches Bild auf die Staffelei und redeten ueber ein jedes. Mein Herz war voll Freude. Es erschien mir jetzt immer deutlicher, was ich beim ersten Anblicke nur vermutet hatte, dass die Bilder in dem Gemaeldezimmer meines Vaters lauter vorzuegliche seien, und dass sie noch dazu an Wert so sehr zusammen stimmten, dass das Ganze eben den Eindruck eines Ausserordentlichen machte. Ich hatte schon so viel Urteil gewonnen, dass ich dachte, nicht gar zu weit mehr in die Irre geraten zu koennen. Ich aeusserte mich in dieser Beziehung gegen meinen Vater, und er versicherte in der Tat, dass er glaube, dass er nicht nur gute Meister besitze, sondern auch von diesen Meistern nach seiner Erfahrung, die er sich in vielen Jahren, in vielen Gemaeldesammlungen und im Lesen vieler Werke ueber Kunst erworben habe, bessere von ihren Arbeiten. Ich gab mich den Bildern immer inniger hin und konnte mich von manchem kaum trennen. Das Koepfchen von einem jungen Maedchen, das ich mir einmal zu einem Zeichnungsmuster genommen hatte, stammte von Hans Holbein dem Juengern her. Es war so zart, so lieb, dass es jetzt auch wieder einen Zauber auf mich ausuebte, wie es wohl auch damals ausgeuebt haben musste; denn sonst haette ich es ja nicht zum Vorbilde genommen. Kaum waren hier Mittel zu entdecken, mit denen der Kuenstler gewirkt hatte. Eine so einfache, so natuerliche Faerbung mit wenig Glanz und Vortreten der Farben, so gering scheinende harmlose Linien und doch eine solche Lieblichkeit, Reinheit, Bescheidenheit, dass man kaum weggehen konnte. Die blonden Haare, die sich von der Stirn gegen hinten zogen, waren fast mit keinem Aufwande gemacht, und doch konnte es kaum etwas Schoeneres geben als diese blonden Locken. Der Vater erlaubte, dass ich mir das Bild zweimal auf die Staffelei stellen durfte. Als wir mit dem Anschauen der Bilder fertig waren, zog der Vater eine flache Lade aus einem Kasten in dem Altertumszimmer, stellte die Lade auf einen Tisch in der Naehe des Fensters und lud mich ein, hinzu zu gehen und seine geschnittenen Steine anzusehen. Ich tat es. Hier war meine Verwunderung fast noch groesser als bei den Bildern. Ich fand auf den Steinen die Gestalten wieder, wie die eine war, welche auf der Treppe des Hauses meines Gastfreundes stand. "Das sind lauter antike Bildungen", sagte mein Vater. Es waren verschiedene Steine von verschiedenem Werte und verschiedener Groesse. Edelsteine, die durch ihren Stoff einen hohen Wort nach unsern heutigen Begriffen haben, wie Saphire, Rubine, waren nicht dabei; doch aber mindere, die wohl als Schmuck getragen werden koennen, und, wie ich mich jetzt deutlich erinnerte, von unserer Mutter auch bei Gelegenheiten getragen wurden. Es war ein Onyx da, auf welchem eine Gruppe in der gewoehnlichen halb erhabenen Arbeit geschnitten war. Ein Mann sass in einem altertuemlichen Stuhle. Er hatte nur geringe Bekleidung. Seine Arme ruhten sehr schlicht an seiner Seite und sein feines Angesicht war nur ein wenig gehoben. Er war noch ein sehr junger Mann. Frauen, Maedchen, Juenglinge standen seitwaerts in leichterer Arbeit und weniger kraeftig hervorgehoben, eine Goettin hielt einen Kranz oberhalb des Hauptes des sitzenden Mannes. Mein Vater sagte, das sei sein bester wie groesster Stein und der sitzende Mann duerfte Augustus sein. Wenigstens stimme sein Halbangesicht, wie es auf dem Steine sei, mit jenen Halbangesichtern Augustus' zusammen, die man auf den gut erhaltenen Muenzen dieses Mannes sehe. Die Gestalt, die Gliederung, die Haltung dieses Mannes, die Gestalten der Maedchen, Frauen und Juenglinge, ihre Bekleidung, ihre Stellungen in Ruhe und Einfachheit, die deutliche und naturgemaesse Ausfuehrung der kleinen Teile in den Gliedern und Gewaendern machten auf mich wieder jene ernste, tiefe, fremde, zauberartige Wirkung, welche die Gestalt auf der Treppe in dem Hause meines Gastfreundes in mir hervorgebracht hatte, da ich im vergangenen Sommer waehrend des Gewitters zu ihr empor gestiegen war. Auf den andern Steinen befanden sich Maenner in Helmen, entweder schoene junge Angesichter oder alte mit ehrwuerdigen Baerten. Solche, die in mittleren Mannesjahren standen, waren gar nicht vorhanden. Auch Frauenkoepfe waren auf einigen Steinen zu sehen. Auf mehreren zeigten sich ganze Gestalten, ein Hermes mit den Fluegeln an den Fuessen, ein schreitender Juengling oder einer, der mit dem Arme zum Wurfe mit einem Steine ausholt. Diese Gestalten waren so genau und richtig, dass sie das Vergroesserungsglas ertrugen. Steine mit andern Dingen als menschliche Gestalten hatte mein Vater gar nicht. Ich erinnerte mich, dass ich irgendwo - des Ortes, konnte ich mich nicht mehr entsinnen - Kaefer auf Steine geschnitten gesehen hatte. "Ich habe die Steine mit menschlichen Gestalten vorgezogen", sagte mein Vater, als ich in dieser Hinsicht eine Bemerkung machte, "weil sie mir doch dasjenige schienen, was zu dem Menschen in der naechsten Beziehung steht. Ich bin nicht reich genug, eine grosse Sammlung von geschnittenen Steinen anlegen zu koennen, in welcher alle Gattungen enthalten sind, so fern man ueberhaupt Gelegenheit hat, sie zu kaufen, und weil ich das nicht konnte, so habe ich mich lediglich auf menschliche Gestalten beschraenkt und unter diesen wieder auf jene, deren Erwerb mir ohne Einfluss auf mein Hauswesen moeglich war; denn es gibt da Kunstwerke in diesem Fache, welche ein ganzes Vermoegen in Anspruch nehmen, von dessen Rente manche kleine Familie, deren Ansprueche nicht zu bedeutend sind, leben koennte." Die Maenner in den Helmen trugen diese Kopfbedeckung in der gewoehnlichen Art, wie man sie auf den alten Muenzen sieht und wie ich sie schon auf Abbildungen von Kunstwerken in halberhabener Arbeit gesehen habe, die sich auf griechischen oder roemischen Bauten befanden. Die einfache Art, den Helm zu tragen, wenn er auch eine noch so kostbare Arbeit ist, habe ich an Abbildungen aus spaeteren Zeiten, namentlich aus dem Mittelalter, nicht mehr gefunden. Die Angesichter hatten Zuege, die etwas Fremdes wiesen, das jetzt nicht mehr vorkoemmt und auf eine entlegene Zeit zurueckdeutet. Die Zuege waren meistens einfach, ja sogar oft unbegreiflich einfach, und doch waren sie schoen, schoener und menschlich richtiger - so schien es mir wenigstens - als sie jetzt vorkommen. Die Stirnen, die Nasen, die Lippen waren strenger, ungekuenstelter und schienen der Urspruenglichkeit der menschlichen Gestalt naeher. Dies war selbst bei den Abbildungen der Greise der Fall und sogar da, wo man vermuten durfte, das abgebildete Haupt sei das Bildnis eines Menschen, der wirklich gelebt hat. Es konnte diese Gestaltung nicht Eingebung des Kuenstlers sein, da offenbar die Steine verschiedenen Zeiten und verschiedenen Meistern angehoerten; sie musste also Eigentum jener Vergangenheit gewesen sein. Die Koepfe der Frauen waren auch schoen, oft ueberraschend schoen; sie hatten aber auch etwas Eigentuemliches, das sich von unsern gewohnten Vorstellungen entfernte, sei es in der Art, das Haupthaar aufzustecken und es zu tragen, sei es, wie sich Stirne und Nase zeigten, sei es im Nacken, im Halse, im Beginne der Brust oder der Arme, wenn diese Teile noch auf dem Bilde waren, sei es in dem uns fernliegenden Ganzen. Allgemein aber waren diese Koepfe kraeftiger und erinnerten mehr an die Maennlichkeit als die unserer heutigen Frauen. Sie erschienen dadurch reizender und ehrfurchterweckender. Die Ausfuehrung dieser Abbildungen zeigte sich so rein, so entwickelt und folgerichtig, dass man nirgends, auch nicht im Kleinsten, versucht wurde, zu denken, dass etwas fehle, ja dass man im Gegenteile die Gebilde wie Naturnotwendigkeiten ansah und dass einem in der Erinnerung an spaetere Werke war, diese seien kindliche Anfaenge und Versuche. Die Kuenstler haben also grosse und einfache Schoenheitsbegriffe gehabt, sie haben sich diese aus der Schoenheit ihrer Umgebung genommen und diese Schoenheit der Umgebung durch ihre Schoenheitsbegriffe wieder verschoenert. So sehr mir die Bilder des Vaters gefielen, so sehr mir die Bilder meines Gastfreundes gefallen hatten, so sehr wurde ich, wie ich durch die Marmorgestalt meines Gastfreundes ernster und hoeher gestimmt worden war als durch seine Bilder, auch durch die geschnittenen Steine meines Vaters ernster und hoeher gestimmt als durch seine Bilder. Er musste das fuehlen. Er sagte nach einer Weile, da wir die Steine angeschaut hatten, da ich mich in dieselben vertieft und manchen mehrere Male in meine Haende genommen hatte: "Das, was die Griechen in der Bildnerei geschaffen haben, ist das Schoenste, welches auf der Welt besteht, nichts kann ihm in andern Kuensten und in spaeteren Zeiten an Einfachheit, Groesse und Richtigkeit an die Seite gesetzt werden, es waere denn in der Musik, in der wir in der Tat einzelne Satzstuecke und vielleicht ganze Werke haben, die der antiken Schlichtheit und Groesse verglichen werden koennen. Das haben aber Menschen hervorgebracht, deren Lebensbildung auch einfach und antik gewesen ist, ich will nur Bach, Haendel, Haydn, Mozart nennen. Es ist sehr schade, dass von der griechischen Malerei nichts uebrig geblieben ist als Teile von dem, was in dieser Kunst immer als ein untergeordneter Zweig betrachtet worden ist, von der Wandmalerei und Gebaeudeverzierung. Da die griechische Dichtkunst das Hoechste ist, was in dieser Kunstabteilung besteht, da ihre Baukunst als Muster einfacher Schoenheit, besonders fuer die Gestaltung ihres Landes, gilt, da ihre Geschichtschreiber und Redner kaum ihresgleichen haben, so ist anzunehmen, dass ihre Malerei auch diesen Dingen gleichgeartet gewesen sein muesse. Sie sprechen in Schriften, die bis auf unsere Tage gekommen sind, von ihren Bauwerken, von ihrer Weltweisheit, Geschichtschreibung, Dichtkunst und Bildnerkunst nicht hoeher als von ihrer Malerei, ja nicht selten scheint es, als zoegen sie diese noch vor, also muss auch sie vom hoechsten Belange gewesen sein; denn es ist nicht anzunehmen, dass Schriftsteller, die doch endlich der Ausdruck, wenn auch der gehobenen ihrer Zeit und ihres Volkes sind, so feine Kenntnisse und so feines Gefuehl in andern Kuensten gehabt haben und fuer Fehler der Malerei blind gewesen waeren. Wahrscheinlich wuerden wir uns an Strenge und Rundung in ihrer Malerei ergoetzen und sie bewundern, wie wir es mit ihren Bildsaeulen tun. Ob wir an ihnen fuer unsere Malerei etwas lernen koennten, weiss ich nicht, so wie ich nicht weiss, wie viel es ist, was wir an ihrer Bildhauerei gelernt haben. Diese Steine sind durch viele Jahre mein Vergnuegen gewesen. Oft in trueben Stunden, wenn Sorgen und Zweifel das Leben seines Duftes beraubten und es duerr vor mich hinzubreiten schienen, bin ich zu dieser Sammlung gegangen, habe diese Gestalten angeschaut, bin in eine andere Zeit und in eine andere Welt versetzt worden und bin ein anderer Mensch geworden." Ich sah meinen Vater an. Hatte ich frueher schon oft Gelegenheit gehabt, ihn hoch zu achten, und hatte ich zu verschiedenen Zeiten entdeckt, dass er bedeutendere Eigenschaften besitze, als ich geahnt hatte, so war ich doch nie in der Lage, ihn beurteilen zu koennen, wie ich ihn jetzt beurteilte. In Geschaefte der eintoenigsten Art gezwungen oder vielleicht selber und freiwillig in diese Geschaefte gegangen - denn er fuehrte sie mit einer Ordnung, mit einer Rechtlichkeit, mit einer Ausdauer, mit einer Anhaenglichkeit an sie, dass man staunen musste -, hatte er, der unscheinbar seinen buergerlichen Obliegenheiten nachkam und von dem Viele nur glauben mochten, dass er in seinem Hause einige Spielereien von alten Geraeten, Bildern und Buechern habe, vielleicht einen tieferen und einsameren Kreis um sich gezogen, als ich jetzt noch erkennen konnte, und hatte ohne Anspruch an diesem Kreise fort gebaut. Ich empfand Ehrfurcht vor ihm und fragte ihn, ob er die Schriftsteller, von denen er spreche, griechisch gelesen habe. "Wie koennte ich sie denn anders gelesen haben und noch lesen, wenn ich sie lieben soll", antwortete er, "die alte vorchristliche Welt hat so ganz andere Vorstellungen als die unsere, die Voelkerwanderung hat so sehr einen Abschnitt in der Geschichte gemacht, dass die Werke der vorher gewesenen Voelker gar nicht uebersetzt werden koennen, weil unsere Sprachen in ihrem Koerper und in ihrem Geiste auf die alten Vorstellungen nicht passen. Im Lesen in ihrer Sprache und in ihren Dichtungen und Geschichten wird man nach und nach einer von ihnen und lernt ihre Art beurteilen, was man sonst nie mehr kann. In unsern Schulen lernen wir ja roemisch und griechisch, und wenn man in der Zeit nach der Schule noch etwas nachhilft und fleissig in den alten Schriften liest, so fuegt sich die Sache ohne Muehe und gelingt leichter, als man etwa das Franzoesische, Italienische oder Englische lernt, wie es ja jetzt die meisten Leute tun." "Du hast ja aber auch diese Sprachen gelernt", sagte ich. "Wie sie auch andere lernen", antwortete er, "und wie es mein Stand forderte." "Ich habe es bis heute nicht gewusst, dass du in den alten Sprachen Buecher liesest", sagte ich, "und was noch mehr ist, dass du dich in die Dichtkunst, in die Geschichte und Weltweisheit der Voelker, deren Schriften du liesest, vertiefest. Du weisst, dass wir uns nie anmassten, die Buecher zu untersuchen, in denen du liesest." "Es war keine Ursache vorhanden, dir zu erzaehlen, was ich lese", antwortete er, "ich dachte, es wird sich schon geben. Deine Mutter wusste es wohl." Die Hochachtung fuer den Vater, der ohne Aufheben mehr war, als der Sohn geahnt hatte, und der geduldig auf den Sohn gewartet hatte, ob er auf dem Wege zu ihm stossen werde, war nicht die einzige Frucht dieses Tages. Ich empfand recht wohl, dass der Vater auch mich hoeher achtete und dass er eine grosse Freude habe, dass der Sohn nun auch in Kunstdingen sich ihm naehere. Dass wir in einigen wissenschaftlichen Sachen zusammen trafen, wusste ich wohl, da wir ueber Gegenstaende der Geschichte, der Dichtungen und ueber andere in juengster Zeit manchmal gesprochen hatten. Ich wusste aber nie, in wie ferne und auf welchen Wegen der Vater zu diesen Dingen gekommen war. Heute hatte ich einen grossem Einblick getan, und ich wusste nun auch gar nicht, welch eine geregelte wissenschaftliche Bildung der Vater aus seinen frueheren Jahren hinter sich habe und ob es nicht etwa gar aus dieser wissenschaftlichen Bildung herzuschreiben sei, dass er mich gerade meinen Weg habe gehen lassen, der mir selber zuweilen abenteuerlich vorgekommen war. Ich musste jetzt doppelt wuenschen, dass mein Vater einmal mit meinem Gastfreunde zusammen kaeme, um mit ihm ueber aehnliche Gegenstaende zu sprechen, wie er heute zu mir gesprochen hatte. Ich konnte doch nicht hinreichend eingehen und wusste auch nicht, in wie ferne er in seinen Urteilen ueber altgriechische Bildnerkunst, Dichtkunst, Malerei und ueber die neuere Musik Recht habe. Allein der Vater arbeitete so ruhig in seinem Berufsgeschaefte weiter, er war in alle Einzelheiten desselben so vertieft und sorgte fuer den regelmaessigen Fortgang desselben, dass es nicht leicht zu erwarten war, dass er sich zu einer Reise entschliessen wuerde. Gegen das Ende unseres Gespraeches kam auch die Mutter und Klotilde herein. Das Angesicht der Mutter wurde sehr heiter, als sie uns bei den Steinen stehen sah, als sie sah, dass der Vater sie mir zeigte und erklaerte, und als sie auch erkennen mochte, dass in dem Wesen des Vaters eine Freude sei, und dass die Annaeherung, die sie geahnt habe, wirklich eingetreten sei. Wir gingen noch einige Male bald in das Bilderzimmer, bald in das Altertumszimmer, in welchem noch immer die Lade mit den Steinen auf dem Tische stand, und redeten ueber Verschiedenes. "Diese Kunstwerke", sagte der Vater, da er die Steine wieder verschlossen hatte und da wir uns aus diesem Zimmer entfernten, "koennt ihr in euren Besitz bringen. Wenn ihr Sinn und tiefe Liebe fuer dieselben habet, so werdet ihr sie nach unserem Tode in einer von mir gemachten und, wie ich glaube, gerechten Teilung empfangen. Sterbe ich vor eurer Mutter, so bleiben sie als Denkmal unseres friedlichen Hauses in der Lage, in der sie jetzt sind, und sie werden euch erst eingehaendigt, wenn mir auch die Mutter gefolgt ist. Will Klotilde dir ihren Anteil abtreten, so ist die Summe schon bestimmt, welche du ihr dafuer geben musst, und so auch umgekehrt. Ist bei beiden nach unserm Absterben eine solche Liebe zu diesen Bildern und Steinen nicht vorhanden, dass ihr sie unzersplittert bewahret, so ist schon bestimmt, dass auf eure hierin eingeholte Erklaerung dieselben gegen ein Entgelt, das nicht unbillig ist, an einen Ort uebergehen, an welchem sie beisammen bleiben. Ich glaube aber wohl, dass diese Neigung in unserm Hause fortdauern werde." Wir antworteten auf diese Rede nichts, weil sie einen Gegenstand beruehrte, der, wie entfernt wir ihn uns auch denken mussten, doch schmerzlich auf uns einwirkte. Ich verlegte mich nach dieser gemachten Erfahrung mit noch groesserem Eifer auf die Kenntnis der Werke der bildenden Kunst. Ich lernte mich in die Bilder des Vaters bis in die kleinsten Einzelheiten hinein und war zu diesem Zwecke sehr oft und zuweilen lange in dem Bilderzimmer, ich besuchte alle groesseren zugaenglichen Sammlungen und suchte deren Bilder zu ergruenden, ich besah alle Bildnerwerke, die in unserer Stadt einen Ruf hatten, und strebte nach einer genauen Kenntnis ihrer Beschaffenheiten, ich las endlich namhafte Werke ueber die Kunst und verglich meine Gedanken und Gefuehle mit den in den Buechern gefundenen. Ich sprach viel mit meinem Vater ueber diese Gegenstaende, wir naeherten uns immer mehr, meine Empfindungen wurden stets inniger, und ich versenkte meine Seele in sie. Unsern Erzdom bewunderte ich jetzt in einem hoeheren Masse als in allen frueheren Zeiten, und ich stand manche Stunde vor seinem ungeheuren Baue. Selbst die Gebilde der Mathematik, wenn ich wieder zu Zeiten etwas in ihr zu tun hatte, erschienen mir zuweilen schoen und zierlich, was mir namentlich bei einigen franzoesischen Mathematikern geschah. Das Malen schoener Koepfe setzte ich fort und eben so wurde das Zeichnen und Malen von Landschaften, welches ich im vorigen Jahre mit der Schwester begonnen hatte, nicht bei Seite gesetzt. Ich nahm mit ihr die Zeichnungen vor, welche sie im vergangenen Sommer waehrend meiner Abwesenheit gemacht hatte, und so wie ich von meinem Gastfreunde, von Eustach und von dem Vater ueber die Fehler belehrt worden war, die sich in meinen Landschaftsversuchen befanden, so belehrte ich Klotilden wieder ueber die ihrigen. Seit ich Mathilden kannte, besonders aber jetzt, nachdem ich oefter in ihrer Gesellschaft gewesen war und im Spaetherbste die Reise mir ihr und den andern in das Hochland gemacht hatte, war ich auch auf die Angesichter aeltlicher und alter Frauen aufmerksam geworden. Man tut sehr Unrecht, und ich bin mir bewusst, dass ich es auch getan habe, und gewiss handeln andere Leute in ihrer Jugend ebenfalls so, wenn man die Angesichter von Frauen und Maedchen, sobald sie ein gewisses Alter erreicht haben, sofort beseitigt und sie fuer etwas haelt, das die Betrachtung nicht mehr lohnt. Ich fing jetzt zu denken an, dass es anders sei. Die grosse Schoenheit und Jugend reisst unsere Aufmerksamkeit hin und erregt ein tiefstes Gefallen; warum sollten wir aber mit dem Geiste nicht auch ein Angesicht betrachten, ueber welches Jahre hingegangen sind? Liegt nicht eine Geschichte darin, oft eine unbekannte voll Schmerzen oder Schoenheit, die ihren Widerschein auf die Zuege giesst, dass wir sie mit Ruehrung lesen oder ahnen? Die Jugend weist auf die Zukunft hin, das Alter erzaehlt von einer Vergangenheit. Hat diese kein Recht auf unsern Anteil? Als ich Mathilden das erste Mal sah, fiel mir das Bild der verbluehenden Rose ein, welches mein Gastfreund von ihr gebraucht hatte, es fiel mir ein, weil ich es so treffend fand; und spaeter oft, wenn ich Mathilden betrachtete, gesellte sich das Bild wieder zu meinen Gedanken, es erregten sich neue und es erzeugte sich eine ganze Folge davon. Ich hatte mir einmal gedacht, dass Mathilde aussehe wie ein Bild der Vergebung, und spaeter dachte ich es mir oefter. Ihr Angesicht musste sehr schoen gewesen sein, vielleicht gar so schoen wie jetzt Nataliens, nun ist es ganz anders; aber es spricht leise von einer Vergangenheit, dass wir meinen, wir muessten sie vernehmen koennen, und wir vernaehmen sie auch gerne, weil sie uns so anziehend scheint. Sie muss manche Neigungen gehabt haben, sie muss manche Freuden erlebt und manches Gut verloren haben, sie hat Schmerzen und Kummer ertragen; aber sie hat alles Gott geopfert und hat gesucht, mit sich in das Gleiche zu kommen, sie ist mit den Menschen gut gewesen, und jetzt ist sie in tiefem Gluecke, mit manchem unerfuellten Wunsche und mit mancher kleinern und groessern Sorge, die sie sinnen macht. Als ich einen Mann sagen gehoert hatte, dass die Fuerstin, in deren Abendgesellschaften ich zuweilen sein durfte, so schoene Toene in dem Angesichte habe, dass sie nur Rembrandt zu malen im Stande waere, wurde ich nicht bloss auf die Fuerstin noch mehr aufmerksam, die in ihrem hohen Alter noch so schoen war, sondern ich betrachtete auch Mathilden wieder genauer und lernte die Schoenheit, wenn schon manche Jahre ueber sie gegangen sind, besser kennen. Ich fing nun an, Maenner und Frauen, die in hoeherem Alter sind, zu betrachten und sie um die Bedeutung ihrer Zuege zu erforschen. Dabei fielen mir die Greisenkoepfe auf den Steinen meines Vaters ein. Ich betrachtete die Steine oefter, da mir der Zugang zu denselben erlaubt war, und verglich die Koepfe, die sich auf ihnen befanden, mit denjenigen, die mir in dem jetzt lebenden Geschlechte aufstiessen. Beide Arten waren wirklich nicht mit einander vergleichbar und es zeigten sich in ihnen die Verschiedenheiten menschlicher Geschlechter. Das Antlitz der Fuerstin erschien mir nun um vieles schoener als in der frueheren Zeit, dass ich aber nicht auf den Wunsch geriet, es malen zu wollen, also noch weniger dem Wunsche einen Ausdruck gab, begreift sich. In den Angesichtern der Manchen, welche ich jetzt eifriger betrachtete, fand ich freilich oft etwas, das mir nicht gefiel, sei es Neid, sei es irgend eine Begierlichkeit, sei es blosse Abgelebtheit oder Geistlosigkeit, sei es etwas Anderes, ich stellte bei solchen Gelegenheiten meine Betrachtung bald ein und hegte nicht den Wunsch, das Gesehene zu malen. Seit ich Gustav besser kennen gelernt hatte und naeher mit ihm befreundet worden war, betrachtete ich auch gerne Koepfe von Juenglingen, ob sie nicht Gegenstaende zum Malen abgaeben. Wenn gleich sein Angesicht ebenfalls nicht jenen schoenen und einfachen Angesichtern auf den Steinen meines Vaters glich, die besonders edel und merkwuerdig aus den Helmen heraus sahen, so war es ihnen doch naeher als alle andern, welche ich jetzt zu erblicken Gelegenheit hatte, und war ueberhaupt so schoen, wie es selten einen Kopf eines Knaben geben wird, der eben in das Juenglingsalter uebertritt. Wenn der Ausdruck der Mienen der Juenglinge unserer Stadt oft darauf hinwies, dass ihr Geist verzogen worden sein mag, wenn sie etwas Weichliches oder etwas zu sehr Herausforderndes oder etwas hatten, das schon ueber ihre Jahre hinausging, ohne doch Kraft zu zeigen, so war Gustavs Antlitz so kraeftig, dass es vor Gesundheit zu schwellen schien, es war so einfach, dass es gleichsam keinen Wunsch, keine Sorge, kein Leiden, keine Bewegung aussprach, und doch war es wieder so weich und guetig, dass man, wenn der feurige Blick nicht gewesen waere, in das Angesicht eines Maedchens zu blicken geglaubt haben wuerde. Ich zeichnete und malte meine Koepfe jetzt anders als noch kurz vorher. Wenn ich frueher, vorzueglich bei Beginne dieser meiner Beschaeftigung, nur auf Richtigkeit der aeusseren Linien sah, so weit ich dieselbe darzustellen vermochte, und wenn ich nur die Farben annaeherungsweise zu erringen im Stande war, so glaubte ich, mein Ziel erreicht zu haben: jetzt sah ich aber auf den Ausdruck, gleichsam, wenn ich das Wort gebrauchen darf, auf die Seele, welche durch die Linien und die Farben dargestellt wird. Seit ich die Marmorgestalt in dem Hause meines Gastfreundes so lieben gelernt hatte und in die Bilder mich vertiefte, welche ich in dem Rosenhause getroffen hatte und in dem Hause meines Vaters vorfand, war alles anders als frueher, ich suchte und haschte nach irgend einem Innern, nach irgend etwas, das weit ausser dem Bereiche von Linien und Farben lag, das groesser war als diese Dinge und doch durch sie darzustellen sein musste. Einen Kopf so zu zeichnen oder gar zu malen, wie ich jetzt wollte, war viel schwerer als wie ich frueher anstrebte, es war, ohne einen Vergleich zuzulassen, schwerer; aber es war nicht zu umgehen, wenn man ueberhaupt die Sache machen wollte, es war dichten, wenn ein Dichtungswerk geliefert sein sollte. Ich stellte meine Aufgabe kleiner, ich suchte die Zuege auf einem bescheidenen Raume zu entwerfen und begnuegte mich mit den Andeutungen in Zeichnung und Farben, wenn nur ein Inneres zu sprechen begann, ohne dass ich darauf beharrte, dass aus dem Begonnenen ein ausgefuehrtes Bild werden sollte, was nicht selten, wenn ich es versuchte, das Innere wieder vertilgte und das Gemaelde seelenlos machte. Mein Vater wurde der Richter und war jetzt ein strenger, waehrend er frueher alles einfach hatte gelten lassen, was ich unternahm. Er pflegte zu sagen, das, was ich jetzt vor Augen habe, sei das Kuenstlerische, mein Frueheres sei ein Vergnuegen gewesen. Ich nahm haeufig, wenn ich nicht in das Reine kommen konnte, zu den Bildern meine Zuflucht und suchte zu ergruenden, wie es dieser und jener gemacht habe, um zu dem Ausdrucke zu gelangen, den er darstellte. Mein Vater sagte, das sei der geschichtliche Weg der Kunst, man koenne ihn verfolgen, wenn man grosse Bildersammlungen besuche und wenn die Werke ohne grosse Luecken da sind, um sie vergleichen zu koennen. Das sei auch ausser der genauesten Betrachtung der Natur und der Liebe zu ihr der Weg, auf dem die Kunst wachse und auf dem sie bei den verschiedenen Anfaengen, die sie in verschiedenen Zeiten und Raeumen gehabt habe, gewachsen ist, bis sie wieder versank oder zerstoert wurde, um wieder zu beginnen und zu versuchen, ob sie steigen koenne. Wo der bare Hochmut auftritt, der alles Gewesene verwirft und aus sich schaffen will, dort ist es mit der Kunst wie auch mit andern Dingen in dieser Welt aus, und man wirft sich in das blosse Leere. Ausser dem Zeichnungsunterrichte setzte ich mit der Schwester auch die Uebungen in der spanischen Sprache und im Zitherspiele fort. Sie war ohnehin von Kindheit an geneigt gewesen, alles, was ich tat, ein wenig nachzuahmen, und ich hatte immer die Lust gehabt, ihr Fuehrer zu werden. Dies blieb jetzt zum Teile auch so fort. Der Unterricht, welchen mir mein Freund, der Sohn des Juwelenhaendlers, in der Edelsteinkunde gegeben hatte, wurde wieder aufgenommen und fortgesetzt. Da wir auch ausserdem in manchen Stunden einen freundlichen Umgang mit einander pflegten, so nahm ich mir eines Tages, obwohl es mir stets schwer wird, jemandem ueber seinen ihm eigentuemlichen Beruf etwas zu sagen, doch den Mut, ihn meine Gedanken ueber die Fassung der Edelsteine wissen zu lassen, wie ich nehmlich glaube, dass es nicht richtig sei, wenn die Edelsteine von der Fassung erdrueckt wuerden; dass ich es aber auch fuer nicht richtig halte, wenn sie keine andere Fassung haetten, als die sie brauchten, um an dem Kleidungsstuecke mit dem Halt, den sie benoetigen, befestigt worden zu koennen; und dass daher der Mittelweg sich darbiete, dass die Schoenheit des Steines durch die Schoenheit der Gestaltgebung vergroessert werde, wodurch es sich moeglich mache, dass der an sich so kostbare Stoff das Kostbarste wuerde, nehmlich ein Kunstwerk. Ich wies hiebei auf die Gestaltungen hin, welche die Kunst des Mittelalters hege und aus denen geschoepft und weiter fortgeschritten werden koenne. "Du hast im Grunde vollkommen Recht", erwiderte mein Freund, "wir fuehlen das alle mehr oder minder klar, ausser denen, welchen alles gleichgueltig und unwesentlich ist, was nicht unmittelbar zum Erwerbe fuehrt; darum sind auch allerlei Versuche gemacht worden und werden noch gemacht, die Fassung zu vergeistigen. Sie gelingen insoferne mehr oder weniger, je nachdem es groessere oder kleinere Kuenstler sind, welche die Entwuerfe machen. Hierin liegt aber eine mehrfache Schwierigkeit. Zuerst sind die, welche in Juwelen und Perlen arbeiten, sehr selten Kuenstler, sie koennen es nicht leicht werden, weil die Vorbereitung dazu zu viel Zeit und Kraefte in Anspruch nehmen wuerde; werden sie es aber, so bleiben sie gleich Kuenstler, verfertigen Kunstwerke und arbeiten nicht in Edelsteinen, was ihrem Geiste und ihrem Einkommen abtraeglich waere. Muessen nun Kuenstler um Entwuerfe angegangen werden, so bietet sich zweitens der Uebelstand, dass der Kuenstler die Juwelen zu wenig kennt und die Fassung daher zu wenig auf ihre Natur berechnen kann, wozu sich noch gesellt, dass die grossen Kuenstler schwer zugaenglich sind, Entwuerfe fuer Edelsteinfassungen auszuarbeiten, es muesste denn dies eine besondere Liebhaberei sein; und wenn sie es tun, so koemmt die Fassung sehr teuer. Deshalb muss man zu geringeren Kuenstlern seine Zuflucht nehmen, welche dann auch wieder geringere Entwuerfe liefern. Wir haben die Sache in unserer Handelsstube ganz im Klaren. Wir versuchen auch von Zeit zu Zeit ein wirkliches Kunstwerk in Perlen und edlen Steinen darzustellen und warten, ob ein Kenner komme und es uebernehme; denn der Leute, welche Edelsteine brauchen, sind viel mehr als welche Kunstdinge suchen. Solche Werke in grosser Zahl ausfuehren zu lassen, hindert uns der Mangel an zahlreichen trefflichen Entwuerfen und der Mangel an Kaeufern, da der Juwelenverkauf doch endlich unser Erwerb ist. Da unsere gewoehnlichen Kunden aber doch so viel Geschmack haben, dass sie eine unedle Fassung beleidigen wuerde, so waehlen wir den natuerlichsten Weg, die Fassung im Stoffe edel und in der Gestalt auf das Einfachste zu machen, so dass die Schoenheit der Steine oder der Perlen allein es ist, was herrscht, und der Anker, an dem es haftet, sich verbirgt. Was deinen Gedanken von mittelalterlichen Gestaltungen anbelangt, so ist er nicht neu; man hat schon solche versucht, und der Freiherr von Risach hat bei uns nach beigebrachten Zeichnungen Dinge aehnlicher Art verfertigen lassen." Mir leuchtete die Sache sehr ein, und ich konnte sie nicht weiter bereden. Ich betrachtete von nun an mit noch groesserer Sorgfalt und Genauigkeit die Arbeiten, welche mein Freund in den verschiedenen Werkstaetten der Stadt machen liess. Sie waren meistens sehr schoen, ja ich glaube, schoener, als man sie irgendwo zu sehen gewohnt ist. Desungeachtet musste ich behaupten, dass wenn nur ueberhaupt ein edlerer und hoeherer Sinn fuer Kunst vorhanden waere, diejenigen Leute, welche grosse Summen fuer Schmuck ausgeben, dieselben Summen oder vielleicht noch groessere dahin verwenden wuerden, dass sie gleich wirkliche Kunstwerke in Juwelen bestellten. Dagegen erwiderte mein Freund, dass, wie hoch der Kunstsinn auch stehe und wie weit er sich verbreite, doch die Zahl derer immer groesser bleiben wuerde, welche bloss Schmuck als Schmucksachen kaufe, als derer, welche Kunstwerke in Kleinodien entwerfen und ausfuehren lassen, was er allerdings als die hoechste Spitze seines Berufes ansehen wuerde. Dazu komme noch, dass mancher, der Kunstsinn habe, von der Schoenheit der Steine sich gefangen nehmen lasse und zuletzt nichts begehre als diese einzige Schoenheit. In dem letzten Grunde hatte mein Freund ganz besonders Recht; denn je mehr ich selber die Steine betrachtete, je mehr ich mit ihnen umging, eine desto groessere Macht uebten sie auf mich, dass ich begriff, dass es Menschen gibt, welche bloss eine Edelsteinsammlung ohne Fassung anlegen und sich daran ergoetzen. Es liegt etwas Zauberhaftes in dem feinen sammtartigen Glanze der Farbe der Edelsteine. Ich zog die farbigen vor, und so sehr die Diamanten funkelten, so ergriff mich doch mehr das einfache, reiche, tiefe Gluehen der farbigen. Meinen Beruf, den ich im Sommer bei Seite gesetzt hatte, nahm ich wieder auf. Ich machte mir gleichsam Vorwuerfe, dass ich ihn so verlassen und mich einem planlosen Leben hatte hingeben koennen. Ich tat das, wozu der Winter gewoehnlich ausersehen war, und setzte die Arbeiten der vorigen Zeiten fort. Das Regelmaessige der Beschaeftigung uebte bald seine sanfte Wirkung auf mich; denn was ich trotz der freudigen Stimmung, in welcher ich aus meinen Erringungen in der Kunst und in der Wissenschaft war, doch Schmerzliches in mir hatte, das wich zurueck und musste erblassen vor der festen, ernsten, strengen Beschaeftigung, die der Tag forderte und die ihn in seine Zeiten zerlegte. Ich besuchte auch, wie im vergangenen Winter, meine Kreise, dann Musik- und Kunstanstalten. Dass das alles vereinigt werden konnte, musste eine genaue Zeiteinteilung gemacht werden, und ich musste die Zeit richtig verwenden. Dazu war ich wohl von Kindheit an gewoehnt worden, ich stand sehr frueh auf und hatte Manches fuer den Tag schon an der Lampe fertig gemacht, wenn die allgemeine Fruehstunde in unserm Hause heran rueckte und man sich zu dem Fruehmahle versammelte. Dazu brauchte ich nicht viel Schlaf und konnte manche Stunde von der beginnenden Nacht nehmen. Die Taetigkeit staerkte, und wenn ein Schwung und eine Erhebung in meinem Wesen war, so wurde der Schwung und die Erhebung durch die Taetigkeit noch klarer und fester. Einer meiner ersten Gaenge war nach meiner Zurueckkunft zu der Fuerstin, um mich ihr vorzustellen. Sie war selber erst vor wenigen Tagen von ihrem Lieblingslandsitze in die Stadt zurueckgekehrt und noch nicht recht heimisch. Sie empfing mich sehr freundlich wie immer und fragte mich um meine Beschaeftigungen waehrend des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel sagen und erzaehlte ihr ausser den Messungen, die ich am Lautersee vorgenommen hatte, von meinen Kunstbestrebungen, meiner Kunstneigung und meiner Liebe zu den Dichtungen. Von den besonderen Verhaeltnissen zu meinem Gastfreunde erwaehnte ich nur das Allgemeine, weil ich es fuer anmassend gehalten haette, einer alten, wuerdigen Frau, deren Beziehungen ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefordert Einzelheiten von meinem Leben mitzuteilen. Sie ging auch nicht naeher darauf ein, dafuer verweilte sie desto eifriger bei der Kunst und bei den Dichtern. Sie fragte mich, was ich gelesen haette, wie ich es aufgefasst haette und was ich darueber daechte. Sie zeigte sich hierbei mit allen den Werken bekannt, welche ich ihr nannte, nur hatte sie das Griechische, von dem ich ihr erzaehlte, bloss in der Uebersetzung gelesen. Sie ging im Allgemeinen auf die Gegenstaende ein und verweilte bei manchem Einzelnen ganz besonders. Unsere Ansichten trafen oft zusammen, oft gingen sie auch auseinander, und sie suchte ihre Meinung zu begruenden, was mir zum mindesten immer manche neue Gesichtspunkte gab. In Bezug auf die Kunst verlangte sie, dass ich ihr einige Zeichnungen und Malereien zeigen moechte, deren Wahl ich selber vornehmen koenne, wenn ich schon nicht alle vor ihre Augen bringen wollte. Ich sagte, dass alle wohl zu viel waeren, namentlich, da ich in erster Zeit so viele bloss naturwissenschaftliche Zeichnungen gemacht habe, und dass ich selber die Grenze nicht angeben koenne, wo die naturwissenschaftlichen Zeichnungen in die kuenstlerisch angelegten uebergingen. Ich wuerde aus allen Zeitabschnitten etwas auswaehlen und es ihr bringen. Es wurde ein Tag bestimmt, an welchem ich zur Mittagszeit zu ihr kommen sollte. Ich kam an dem Tage, es war niemand als die Vorleserin zugegen, und es wurde der Befehl gegeben, niemanden vorzulassen; denn ihr allein haette ich ja die Zeichnungen gebracht, nicht jedem fremden Auge, das dazu kaeme. Sie sah alle Blaetter an und billigte alle, besonders erregten naturwissenschaftliche Pflanzenzeichnungen ihre Aufmerksamkeit, weil sie sich viel mit Pflanzenkunde beschaeftigt hatte, noch jetzt Anteil an dieser Wissenschaft nahm und sie besonders bei ihren Landaufenthalten pflegte. Sie freute sich an der Genauigkeit der Abbildungen und sagte mir ganz richtig, welche den Urbildern am meisten entspraechen. Nach diesen Pflanzenzeichnungen sagten ihr am meisten die der Koepfe zu. An den landschaftlichen Versuchen mochte ihr die Einseitigkeit aufgefallen sein, da sie gewiss eine Kennerin landschaftlicher Bildungen war, weil sie sehr gerne im Sommer einige Wochen an irgend einer der schoensten Stellen unseres Landes verweilte. Sie aeusserte sich aber in dieser Richtung nicht. Von den Koepfen sagte sie, dass man auf diese Weise eine ganze Sammlung merkwuerdiger Menschen anlegen koennte. Ich erwiderte, darauf sei ich nicht ausgegangen, ich koennte auch nicht so leicht beurteilen, wer ein merkwuerdiger Mensch sei. Es habe mir nur, da ich lange Zeit Gegenstaende der Natur gezeichnet hatte, eingeleuchtet, dass das menschliche Antlitz der wuerdigste Gegenstand fuer Zeichnungen sei, und da habe ich die Versuche begonnen, es in solchen auszudruecken. Ich habe anfangs dabei unwissend fast immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt, bis sich mir etwas Hoeheres zeigte, dessen Darstellung darueber hinausgeht, das uns erst die Zuege und Mienen recht menschlich macht und dessen Vergegenwaertigung ich nun anstrebe, in Ungewissheit, ob es gelingen werde oder nicht. Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wissenschaftlichen Bestrebungen, die ich im Zusammenhange aufgeschrieben habe, und liess den Wunsch blicken, etwas Zusammengehoeriges zu erfahren. Die Geschichte, wie unsere Erde entstanden sei und wie sie sich bis auf die heutigen Tage entwickelt habe, musste den groessten Anteil erwecken. Ich entgegnete, dass wir nicht so weit seien und dass ich am wenigsten zu denen gehoere, welche einen ergiebigen Stoff zu neuen Schluessen geliefert haben, so sehr ich mich auch bestrebe, fuer mich, und wenn es angeht, auch fuer Andere so viel zu foerdern, als mir nur immer moeglich ist. Wenn sie davon und auch von dem, was Andere getan haben, Mitteilungen zu empfangen wuensche, ohne sich eben in die vorhandenen wissenschaftlichen Werke vertiefen und den Gegenstand als eigenen Zweck vornehmen zu wollen, so werde sich wohl Zeit und Gelegenheit finden. Sie zeigte sich zufrieden und entliess mich mit jener Guete und Anmut, die ihr so eigen war. Seit dieser Zeit verwandelte sich mein Verhaeltnis zu ihr in ein anderes. Da ich nun einmal unter Tags in ihrer Wohnung gewesen war, geschah dies oefter, entweder, wenn wir Werke oder Abbildungen anzuschauen hatten, wozu das Licht der abendlichen Lampen nicht ausreichend gewesen waere, oder wenn sie mich zu Gespraechen einladen liess, die dann gewoehnlich zwischen ihr, ihrer Gesellschafterin und mir vorfielen - selten geschah es, dass einer ihrer Soehne gelegentlich anwesend war oder eine Enkelin oder jemand von ihren naeheren Anverwandten - und bei denen meistens die Geschichte der Erde oder etwas in die Naturlehre Einschlaegiges der Gegenstand war. Oefter machte ich auch selber einen kurzen Besuch, um mich um den Zustand ihrer Gesundheit zu erkundigen. Auch die Abende kamen in Bezug auf mich in eine andere Gestalt. Da wir einmal von Dichtungen geredet hatten, mit denen ich mich in der letzten Zeit beschaeftigte und da gerade diese Dichtungen aus einer vergangenen Zeit stammten, die nichts mit den Tageserzeugnissen gemein hatte, da die Fuerstin sich in ihren jetzigen Jahren mit diesen Dingen nicht beschaeftigte und die Zeit schon ziemlich weit hinter ihr lag, in der sie Kenntnis von solchen Werken genommen hatte, so wurde beschlossen, wieder das eine oder das andere vorzunehmen und es gemeinschaftlich zu geniessen. Das geschah an Abenden, und ich musste oft die Pflicht des Vorlesers uebernehmen, besonders wenn die Gesellschaft nicht zahlreich war, was sich gerne an Abenden ereignete, in denen Dichtungen vorgenommen wurden. In diese Pflicht geriet ich bei Gelegenheit der Vornahme einiger spanischen Romanzen. Die Fuerstin, die Gesellschafterin, ich und noch ein Mann, welcher zugegen war, verstanden schlecht spanisch; doch war beschlossen worden, die Romanzen in spanischer Sprache zu lesen. Das Vorlesen wurde mir aufgetragen, und wie schlecht oder gut es ging, wir verstanden doch mit eingemischten Erklaerungen und mit gelegentlichen Gespraechen in unserer Muttersprache zuletzt die Romanzen. Nach diesem Vorgange musste ich nun auch oefter in deutscher Sprache vorlesen, und es geschah nicht selten, dass ich um meine Meinung ueber Teile des Gelesenen befragt wurde und dass man eine Erklaerung verlangte. Dies wurde um so mehr der Fall, als wir uns auch ueber Abteilungen aus Cervantes und Calderon wagten. In andern Sprachen, besonders im Italienischen des Dante und Tasso, las sehr gerne die Gesellschafterin der Fuerstin. Das Alte aus dem Griechischen - es wurde nur die Ilias und Odysseus, dann einiges aus Aeschylos vorgenommen - musste ich ganz allein in deutscher Uebersetzung vorlesen. Es wurde da auch sehr viel ueber das uralte gesellschaftliche Leben der Griechen, ueber ihre haeuslichen Einrichtungen, ueber ihren Staat, ihre Kunst und ueber die Gestalt und Beschaffenheit ihres Landes und ihrer Meere gesprochen. Ich wurde zu diesen Beschaeftigungen in diesem Winter weit oefter zu der Fuerstin eingeladen, als es frueher der Fall gewesen war. Der Fruehling und die Zeit, in welcher man wieder den Landaufenthalt zu suchen pflegt, kam uns zu frueh, wir verabredeten noch, was wir in dem naechsten Winter vorzunehmen gedaechten, und die Fuerstin beurlaubte mich mit vieler und sehr gewinnender Freundlichkeit. Die Beschaeftigungen im Kreise unserer Familie bestanden jetzt in sehr haeufigen Gespraechen zwischen dem Vater und mir ueber die Kunst und ueber Buecher. Er erzaehlte mir, wie er dazu gekommen waere, Bilder lieb zu gewinnen und sich Bilder zu sammeln. Er kam hiebei auf seine Jugend, und da er in einer freudigeren und erregteren Stimmung war, als sonst, so erzaehlte er mir ausfuehrlich, wie er dieselbe verlebt habe. Er stellte mir dar, wie er sich die Mittel, um etwas lernen zu koennen, selber habe verschaffen muessen, und wie ihm sein aelterer Bruder, der ein sehr begabter Mensch gewesen waere, hierin zwar ein wenig, aber in der Tat sehr wenig habe beistehen koennen, weil er sich selbst alles habe herbei schaffen muessen und nur um wenige Jahre aelter gewesen sei. Nach Anweisung vernuenftiger Menschen habe er zu lesen begonnen, und manchen freien Tag in seiner Lehrzeit habe er in seiner Kammer bei den Buechern zugebracht. Er habe, da er frei wurde und teils in unserer Stadt, teils in den ersten Handelsplaetzen Europas Dienste tat, die Bekanntschaft von Kuenstlern gemacht, habe sie in ihren Arbeitsstuben besucht, habe ueber die Art zu malen sich Kenntnisse gesammelt und sei mit diesen Kenntnissen in die beruehmtesten Bildersammlungen der groessten Staedte gegangen. Hiebei sei es ihm widerfahren, dass er zweimal im Lernen habe von vorne anfangen muessen. So sei es ihm in Rom, wohin er sich von Triest aus begeben hatte, um dort ein halbes Jahr fuer sich selber zu leben, klar geworden, dass er gar nichts wisse. Er habe wieder unverdrossen angefangen, und von Rom schreibe sich seine Liebe fuer alte Bilder her. Sein Bruder habe den Weg durch die Staatsschulen gemacht, und da er ihn sehr liebte, habe er von ihm auch die Liebe zu den alten Sprachen angenommen. In seinen Diensten habe er mehr freie Zeit gehabt als da er noch lernte, und diese Zeit habe er zu seinen Lieblingsneigungen angewendet. Mit einem alten Abte, der die Verwaltung seines Klosters abgegeben hatte und seine wuerdevolle Musse, wie er sich ausdrueckte, im Winter in unserer Stadt genoss, habe er alte Dichter und Geschichtschreiber gelesen. Der Abt sei ein grosser Freund der alten Schriften gewesen, habe bei ihm Neigung zu diesen Dingen entdeckt und sei ihm mit seinen Kenntnissen beigestanden. Er habe sehr oft im Zimmer des Abtes laut aus den sogenannten Classikern lesen muessen. Die Bekanntschaft desselben habe er bei seinem Dienstherrn in unserer Stadt gemacht, in dessen Hause dem Abte, der einst Lehrer dieses Dienstherrn gewesen sei, jaehrlich ein oder zwei Male ein Fest gegeben wurde. Der Dienstherr, der letzte, bei dem sich mein Vater befunden, sei ein Ehrenmann gewesen, der seinen Leuten nicht nur Gelegenheit verschafft habe, etwas lernen zu koennen, indem er sie zu den vorkommenden Reisen benuetzte, auf denen sie Geschaeftsfreunde, Handelsverbindungen, Verkehrswege und dergleichen kennen lernten, sondern der ihnen auch Zeit goennte, selber, wenn sie nicht die Mittel zu grossen Geschaeftsanlagen besassen, mit kleinen Anfaengen zu groesseren Unternehmungen und zu endlicher Selbststaendigkeit schreiten zu koennen. So habe auch der Vater mit kleinen Ersparnissen begonnen, habe sich ausgedehnt und sei endlich, da die Anfaenge unter den Fluegeln seines Herrn geschehen seien, mit dessen Unterstuetzung ein selbststaendiger Kaufmann geworden. Was er zu Vergnuegungen haette verwenden koennen, habe er bei Seite gelegt und habe sich entweder ein Buch oder ein Kunstwerk gekauft oder habe eine Reise zu seiner Belehrung gemacht. Da sich seine Verbindungen mehrten und stets ergiebiger zu werden versprachen, habe er meine Mutter kennen gelernt und ihre Hand gewonnen. Sie habe eine nicht unbetraechtliche Mitgift in das Haus gebracht, und so sei gemeinschaftlich der Grund gelegt worden, dass wir Kinder nun nicht nur frei und unabhaengig bei unsern Eltern in ihrem eigenen Hause leben koennen, sondern auch fuer die Zukunft einen Notpfennig zu erwarten haetten, und dass er selber sich mit Manchem habe umringen koennen, was ihm die sanfte Neigung seines Herzens geboten habe und was ihm als Erheiterung und nach der Liebe seiner Gattin und der Wohlgeratenheit seiner Kinder auch als Lohn seines Alters dienen werde. Der betagte Abt habe ihn als seinen letzten Schueler noch getraut und sei bald darauf gestorben. Mit der jungen Frau habe er dreimal seine alten Eltern, welche ferne in einem waldigen Lande von einer wenig ergiebigen Feldwirtschaft lebten, besucht, sie seien dann kurz darauf eins nach dem andern gestorben. Sein Dienstherr habe uns noch aus der Taufe gehoben, sei dann von den Geschaeften zurueck getreten, habe bei seinem einzigen Kinde, einer Tochter, die an einen angesehenen Gueterbesitzer verheiratet war, gelebt und sei bei ihr auch endlich gestorben. So haben sich alle Verhaeltnisse geaendert. Das heimatliche Waldhaus mit der geringen Feldwirtschaft haben er und sein Bruder einer Schwester geschenkt, diese sei ohne Kinder gestorben, und da weder er noch der Bruder das Haus bewirtschaften konnten, so haben sie eingewilligt, dass es an einen entfernten Verwandten falle. Der Bruder sei waehrend unserer Unmuendigkeit gestorben, eben so die Grosseltern von muetterlicher Seite und endlich ein Grossoheim von eben dieser Seite, der uns Kinder zu Erben eingesetzt, und da die Mutter keine Geschwister gehabt habe, so seien wir nun allein und so sei keine Verwandtschaft weder von vaeterlicher noch von muetterlicher Seite uebrig. Er habe die Liebe, welche ihm durch den Tod seiner Angehoerigen, denen er, besonders dem Bruder, eine treue Erinnerung weihe, anheimgefallen sei, an die Mutter und uns uebertragen, sein Haus sei nun sein Alles, und wir zwei, die Schwester und ich, sollten verbunden bleiben und sollten in Neigung nicht von einander lassen, besonders wenn auch wir allein sein und er und die Mutter im Kirchhofe schlummern wuerden. Diese Ermahnung zur Liebe war nicht noetig; denn dass wir, die Schwester und ich, uns mehr lieben koennten, als wir taten, schien uns nicht moeglich, nur die Eltern liebten wir beide noch mehr, und wenn eine Anspielung darauf gemacht wurde, dass sie uns einst verlassen sollten, so betruebte uns das ausserordentlich, und wohin wir die Liebe, die uns dann zurueckfallen sollte, wenden wuerden, wussten wir sehr wohl, wir wuerden sie an gar nichts wenden, sie wuerde von selber ueber die Grabhuegel hinaus gegen die verstorbenen Eltern bis an unser Lebensende fortdauern. Die andern Vorkommnisse, die zwar auch in unserer Familie, aber nicht in ihr allein, sondern zugleich in Gesellschaft von geladenen Menschen vorfielen, waren mir nicht so angenehm als in frueheren Zeiten, ja sie waren mir eher widerwaertig und duenkten mir Zeitverlust. Sie bestanden beinahe gleichmaessig wie in frueheren Jahren aus abendlichen Kreisen, in denen gesprochen wurde, oder aus Gesellschaften, in denen etwas Musik oder gar Tanz vorkam. An dem letzteren nahm ich gar keinen Teil, und die Schwester, welche, wie ich schon seit laenger wahrnahm, schier alle meine Neigungen teilte, tat es sehr wenig und fluechtete an solchen Abenden sehr gerne zu mir. Ich hatte die Leute, darunter aber vorzueglich die jungen, welche bei solchen Gelegenheiten zu uns kamen, schon genau kennen gelernt, und wenn ich in frueherer Zeit eine Scheu, ja sogar eine gewisse Gattung von Ehrfurcht vor ihnen gehabt hatte, so war dies jetzt nicht mehr der Fall; ich hatte durch Nachdenken und durch Erfahrungen im Umgange mit andern Menschen einsehen gelernt, dass das, wovor ich besonders eine Scheu hatte, nehmlich ihre Sicherheit und Vornehmheit, nur ein Ding ist welches man lernt, wenn man sehr viel in solchen Gesellschaften ist, wie sie bei uns waren, und wenn man in diesen Gesellschaften viel spricht und in den Vordergrund tritt. Und dass dieses Ding nicht schwer zu erlernen ist, sah ich daraus, dass es solche inne hatten, deren Geisteskraefte hoch zu achten ich nicht veranlasst war. Meine Erfahrungen an Menschen hatte ich aber nicht bloss in hohen Staenden gemacht, sondern auch in niedern, und in diesen zwar nicht in der Stadt, sondern bei Gebirgsbewohnern und Landbebauern. In hohen Staenden sah ich junge Leute, namentlich bei der Fuerstin war das der Fall, welche jenes Benehmen, das mir sonst so hoch ueber mir schien, nicht hatten, sondern sich einfach und wenig vortretend gaben, hoeflich und nicht linkisch waren, und an das Wort, das ich oefter in meiner Jugend gehoert, aber falsch verstanden hatte, "ein junger Mann von guter Erziehung" erinnerten. In den untern Staenden habe ich manchen Mann kennen gelernt, der, wenn er vor solchen stand, die er fuer hoeher erachtete als sich selbst, nicht die Muehe uebernahm, auch hoeher in seinem Benehmen sein zu wollen, sondern der ruhig so sprach, wie er die Sache verstand, und ruhig die Rede anhoerte, die ihm ein Anderer erwiderte. Dieser Mann schien mir auch von hoeherer Erziehung als die, welche viele Arten des Benehmens wissen und ersichtlich machen. Ein gueltiges Beispiel gab mein Gastfreund, der noch einfacher war als jene Maenner, von denen ich sagte, dass ich sie bei der Fuerstin gesehen habe, und dessen Rede und Tun so klare Achtung erzeugten. Selbst sein Anzug, der Anfangs auffiel, stimmte zu Allem. Auch Eustach, Gustav aber ganz gewiss, standen im entschiedenen Vorzuge vor meinen Gesellschaftsleuten. Weil ich nun diese Menschen sehr gut kannte und weil sie mir keine hohe Ruecksichtnahme mehr einfloessten, war es mir unerspriesslich, mit ihnen zu sein, und es erschien mir, dass ich die Zeit besser wuerde benuetzen koennen. Aber auch die Erfahrungen in dieser Hinsicht mochte mein Vater fuer nuetzlich gehalten haben. Ich machte sie nur an jungen Maennern. Ueber Maedchen konnte ich ein Urteil gar nicht sagen, weil ich sehr wenig mit ihnen sprach und weil mich natuerlich keine in meiner Zurueckgezogenheit aufsuchen konnte. Wie aelteren Leuten, Maennern wie Frauen, kam mir oft jemand entgegen, dem ich Achtung zollen musste; aber auch zu alten Leuten wie zu Maedchen konnte ich mich nicht draengen. Unter denen, welchen ich mehr zugetan war, stand der Sohn des Juwelenhaendlers oben an, ich war ihm wirklich in der eigentlichen Bedeutung ein Freund. Wir brachten ausser unseren Kleinodienlehrstunden manche Zeit mit einander zu, wir besprachen verschiedene Dinge und lasen auch mitunter kleine Abschnitte von Schriften mit einander, die wir gemeinschaftlich achteten. Seine Eltern waren sehr liebenswuerdig und fein. Der junge Preborn war mir auch nicht unangenehm. Er sprach noch oefter von der schoenen Tarona und bedauerte sehr, dass sie auf weite Reisen gegangen und daher gar nicht in die Stadt gekommen sei, weswegen er mir sie nie habe zeigen koennen. An den eigentlichen Vergnuegungen, die junge Maenner unter sich anstellten, nahm ich nur ungemein selten Teil. Dass ich aber auch ueberhaupt viel weniger mit Maennern meines Alters umging und nicht, wie es bei vielen jungen Leuten in unserer Stadt der Gebrauch ist, Tage mit ihnen zubrachte und dies oefter wiederholte, ruehrte daher, dass ich viele Beschaeftigungen hatte und dass mir daher zu wenig Zeit uebrig blieb, sie auf Anderes zu verwenden. Am liebsten war es mir, wenn ich mit meinen Angehoerigen allein war. Ich ging nach dem Winter ziemlich spaet im Fruehlinge auf das Land. So erfreulich der letzte Sommer fuer mich gewesen war, so sehr er mein Herz gehoben hatte, so war doch etwas Unliebes in dem Grunde meines Innern zurueck geblieben, was nichts anders schien als das Bewusstsein, dass ich in meinem Berufe nicht weiter gearbeitet habe und einer planlosen Beschaeftigung anheim gegeben gewesen sei. Ich wollte das nun einbringen und den groessten Teil des Sommers einer festen und angestrengten Taetigkeit weihen. Ich nahm alle Geraete und Werke mit, welche ich zur Fortsetzung meiner Arbeiten brauchte. Freie Stunden, die nach genauer Zeiteinteilung uebrig blieben, wollte ich dann meinen Lieblingsdingen widmen. Ich kam in das Ahornwirtshaus und bestellte mir da hin auch die Leute, die ich verwenden wollte, wenn sie sich nehmlich bereit erklaerten, mir in entferntere Teile der Gebirge zu folgen, wohin mich heuer meine Arbeiten fuehren wuerden. Der alte Kaspar wollte mitgehen, zwei andere auch, und so hatte ich genug. Ich erkundigte mich nach meinem Zitherspiellehrer, er war fort und so gut wie verschollen. Kein Mensch wusste etwas von ihm. Ich ging in das Rothmoor, um nachzusehen, wie weit die Marmorarbeiten gediehen waren. Sie wurden heuer fertig, und ich konnte sie im Herbste nach Hause bringen lassen. Da das geschehen war, verliess ich fuer diesen Sommer das Ahornwirtshaus, in welchem ich nun so lange gewohnt hatte, um mich in die Bergabteilung zu begeben, die ich durchforschen wollte. Ich ging mit einem wehmuetigen Gefuehle von dem Hause fort. An einer Stelle, wo das Gebirge weit verzweigt und wild verflochten, aber dessohngeachtet bei Weitem nicht so schoen war wie das, welches ich verlassen hatte, setzte ich mich wie in einem Mittelpunkte meiner Bestrebungen fest. Ich vermisste das heitere, fensterschimmernde Ahornhaus, ich vermisste das ganze Tal, in dem ich beinahe heimisch geworden war. In einem Hause, das an der Oeffnung dreier Taeler lag und mir daher den geeignetsten Platz abgab, mietete ich mich ein. Schwarzer Tannenwald sah auf meine Fenster, schritt an den Baechen, welche aus den drei Taelern kamen, neben feuchten Wiesen und andern offenen Stellen in die Talgruende hinein und zog sich auf die Berge. Die hoeheren Kuppen oder gar die Schneeberge konnte man wegen der Enge des Tales ueber den finstern Tannen nicht sehen. Das mochte auch die Ursache sein, dass das Haus und die mehreren in den Waldlehnen zerstreuten und an den Baechen hingehenden Huetten die Tann hiessen. Mauern, mit gruenem Moose bewachsen, bildeten mein Haus und grenzten an ein zerfallenes Gaertchen, in welchem wenig mehr als Schnittlauch wuchs. Auf der Gasse war der Boden schwarz, und dieselbe Schwaerze zog sich in das Gras hinein; denn das Einzige, welches haeufig an diesem Wirtshause ankam und da hielt, damit sich Menschen und Tiere erquickten, waren Kohlenfuhren. In dem ganzen, bei naeherer Besichtigung sich als ungeheuer zeigenden Waldgebiete waren die Kohlenbrennereien zerstreut, und ganze Zuege von den schwarzen Fuhrwerken und den schwarzen Fuhrmaennern zogen die duestere Strasse hinaus, um die Kohlen gegen die Ebenen zu bringen, von wo sie sogar bis in unsere Stadt befoerdert wurden. Nur ein einziges Zimmer mit kleinen Fenstern und eisernen Kreuzen daran konnte ich haben. In demselben war ein Tisch, zwei Stuehle, ein Bett und eine bemalte Truhe, in die ich Kleider und andere Dinge legen konnte. Fuer meine groesseren Kisten wurde mir ein Verschlag in einem Schuppen eingeraeumt. Kaspar und die andern schliefen, wenn wir uns in dem Hause befanden, in der Scheuer im Heu. Ich liess mein Gepaecke groesstenteils in meinen Koffern, hing nur das Noetige an Naegel, die in dem Zimmer waren, legte meine Schreibgeraete, meine wissenschaftlichen Buecher und meine Dichter auf den Tisch, fuellte das Bettgestelle mit meinen von Hause mitgebrachten Bettstuecken, stellte meine Bergstoecke in eine Ecke und war eingerichtet. Die Sonne, welche am spaeten Vormittage bei einem Fenster meines Zimmers hereinkam, streifte am Nachmittage das andere, um bald die Spitzen der Tannen zu vergolden und zu verschwinden. Ich war in manchen aehnlichen Herbergen schon gewesen, war daran gewoehnt, fuegte mich und wurde mit dem Wirte, der Wirtin und einer ruehrigen Tochter, einfachen, gutmuetigen Leuten, die einen kleinen Gedankenkreis hatten, bald bekannt. Sonst kam noch manches Mal ein Gebirgsjaeger, ein seltener Wandersmann oder ein Hausierer in das Tannwirtshaus. Die groesste Zahl der Gaeste bestand ausser den Kohlenfuehrern in Holzknechten, welche in den grossen Waeldern zerstreut waren und welche gerne an Samstagen oder an Tagen vor grossen Festen heraus kamen, um zu den Ihrigen zu gehen. Da verweilten sie denn nun nicht selten gerne ein wenig in dem Tannwirtshause, um sich ein Gutes zu tun. Die Hauptbeschaeftigung aller Bewohner der Tann war die Holzarbeit und ihr Hauptreichtum waren Kuehe und Ziegen, welche taeglich in die Waelder gingen und von welchen die juengeren den ganzen Sommer hindurch auf der Hoehe der Waldungen und der Holzschlaege blieben. Von diesem Hause aus fingen wir nun an, unsere Beschaeftigungen zu betreiben. Durch die langen und weithingestreckten Waldungen ging unser Hammer, und die Leute trugen die Zeugen der verschiedenen Bodenbeschaffenheiten, auf denen die ausgedehnten Waldbestaende wuchsen, in der Gestalt der mannigfaltigen Gesteine in die Tann. Wenn auch von unserem Gasthause aus die Felsenberge oder gar das Eis nicht zu erblicken waren, so waren sie darum nicht weniger vorhanden. Weil hier Alles grossartiger war. Da wir uns tiefer im Gebirge und naeher seinem Urstocke befanden, so dehnten sich auch die Waelder in maechtigeren Anschwellungen aus, und wenn man durch eine Reihe von Stunden in dem dunkeln Schatten der feuchten Tannen und Fichten gegangen war, so wurden endlich ihre Reihen lichter, ihr Bestand minderte sich, erstorbene Staemme oder solche, die durch Unfaelle zerstoert worden waren, wurden haeufiger, das trockene Gestein mehrte sich, und wenn nun freie Plaetze mit kurzem Grase oder Sandgriess oder Knieholz folgten, so sah man daemmerige Waende in riesigen Abmessungen vor den Augen stehen, und blitzende Schneefelder waren in ihnen, oder zwischen auseinanderschreitenden Felsen schaute ein ganz in Weiss gehuellter Berg hervor. Die Gesteinwelt folgte nun in noch groesseren Ausdehnungen auf die Waldwelt. Uns fuehrte unsere Absicht oft aus der Umschliessung der Waelder in das Freie der Berge hinaus. Wenn die Bestandteile eines ganzen Gesteinzuges ergruendet waren, wenn alle Waesser, die der Gesteinzug in die Taeler sendet, untersucht waren, um jedes Geschiebe, das der Bach fuehrt, zu betrachten und zu verzeichnen, wenn nun nichts Neues nach mehrfacher und genauer Untersuchung sich mehr ergab, so wurde versucht, sich des Zuges selbst zu bemaechtigen und seine Glieder, so weit es die Macht und Gewalt der Natur zuliess, zu begehen. In die wildesten und abgelegensten Gruende fuehrte uns so unser Plan, auf die schroffsten Grate kamen wir, wo ein scheuer Geier oder irgend ein unbekanntes Ding vor uns aufflog und ein einsamer Holzarm hervor wuchs, den in Jahrhunderten kein menschliches Auge gesehen hatte; auf lichte Hoehen gelangten wir, welche die ungeheure Wucht der Waelder, in denen unser Wirtshaus lag, und die angebauteren Gefilde draussen, in denen die Menschen wohnten, wie ein kleines Bild zu unsern Fuessen legten. Meine Leute wurden immer eifriger. Wie ueberhaupt der Mensch einen Trieb hat, die Natur zu besiegen und sich zu ihrem Herrn zu machen, was schon die Kinder durch kleines Bauen und Zusammenfuegen, noch mehr aber durch Zerstoeren zeigen und was die Erwachsenen dadurch dartun, dass sie die Erde nicht nur zur nahrungsprossenden machen, wie der Dichter des Achilleus so oft sagt, sondern sie auch vielfach zu ihrem Vergnuegen umgestalten, so sucht auch der Bergbewohner seine Berge, die er lieb hat, zu zaehmen, er sucht sie zu besteigen, zu ueberwinden und sucht selbst dort hinan zu klettern, wohin ihn ein weiterer, wichtigerer Zweck gar nicht treibt. Die Erzaehlung solcher bestandener Zuege bildet einen Teil der Wuerze des Lebens der Bergbewohner. Meine Leute waren in einer gesteigerten Freude und Empfindung, wenn wir mit dem Hammer und Meissel teils Stufen in die glatten Waende schlugen, teils Loecher machten, unsere vorraetigen Eisen eintrieben, auf solche Weise Leitern verfertigten und auf einen Standort gelangten, auf den zu gelangen eine Unmoeglichkeit schien. Wir kamen oft eine Reihe von Tagen nicht in unser Tannwirtshaus hinab. Ich suchte auch gerne auf die Gipfel hoher Berge zu gelangen, wenn mich selbst eben meine Beschaeftigung nicht dahin fuehrte. Ich stand auf dem Felsen, der das Eis und den Schnee ueberragte, an dessen Fuss sich der Firnschrund befand, den man hatte ueberspringen muessen oder zu dessen Ueberwindung wir nicht selten Leitern verfertigten und ueber das Eis trugen, ich stand auf der zuweilen ganz kleinen Flaeche des letzten Steines, oberhalb dessen keiner mehr war, und sah auf das Gewimmel der Berge um mich und unter mir, die entweder noch hoeher mit den weissen Hoernern in den Himmel ragten und mich besiegten oder die meinen Stand in anderen Luftebenen fortsetzten oder die einschrumpften und hinab sanken und kleine Zeichnungen zeigten, ich sah die Taeler wie rauchige Falten durch die Gebilde ziehen und manchen See wie ein kleines Taefelchen unten stehen, ich sah die Laender wie eine schwache Mappe vor mir liegen, ich sah in die Gegend, wo gleichsam wie in einen staubigen Nebel getaucht die Stadt sein musste, in der alle lebten, die mir teuer waren, Vater, Mutter und Schwester, ich sah nach den Hoehen, die von hier aus wie blauliche Laemmerwolken erschienen, auf denen das Asperhaus sein musste und der Sternenhof, wo mein lieber Gastfreund hauste, wo die gute, klare Mathilde wohnte, wo Eustach war, wo der froehliche, feurige Gustav sich befand und wo Nataliens Augen blickten. Alles schwieg unter mir, als waere die Welt ausgestorben, als waere das, dass sich Alles von Leben rege und ruehre, ein Traum gewesen. Nicht einmal ein Rauch war auf die Hoehe hinauf zu sehen, und da wir zu solchen Besteigungen stets schoene Tage waehlten, so war auch meistens der Himmel heiter und in der dunkelblauen Finsternis hin eine endlosere Wueste, als er in der Tiefe und in den mit kleinen Gegenstaenden angefuellten Laendern erscheint. Wenn wir hinab stiegen, wenn Kaspar hinter uns die Eisen aus den Steinen zog und in den Sack tat, den er an einem Stricke um die Schultern haengen hatte, wenn wir nun die Leiter ueber den Firnschrund zurueckzogen oder im Falle, dass wir keine Leiter gebraucht hatten, ueber den Spalt gesprungen waren, so zeigte sich in dem Ernste von Kaspars harten Zuegen oder in den Angesichtern der Andern, die uns begleiteten, eine gewisse Veraenderung, so dass ich schloss, dass der Stand, auf dem wir gestanden waren, einen Eindruck auf sie gemacht haben musste. Die Stunden oder Tage, die ich mir von meiner Arbeit abdingen konnte, weil ich Ruhe brauchte oder das Wetter mich hinderte, wendete ich zur Entwerfung leichter Landschaftsgebilde an, und die Tiefe der Nacht wurde, ehe sich die Augen schlossen, durch die grossen Worte eines, der schon laengst gestorben war und der sie uns in einem Buche hinterlassen hatte, erhellt, und wenn die Kerze ausgeloescht war, wurden die Worte in jenes Reich mit hinueber genommen, das uns so raetselhaft ist und das einen Zustand vorbildet, der uns noch unergruendlicher erscheint. Wie in der juengstvergangenen Zeit konnte ich auch jetzt nicht mehr mit der blossen Sammlung des Stoffes meiner Wissenschaft mich begnuegen, ich konnte nicht mehr das Vorgefundene bloss einzeichnen, dass ein Bild entstehe, wie Alles ueber einander und neben einander gelagert ist - ich tat dieses zwar jetzt auch sehr genau -, sondern ich musste mich stets um die Ursache fragen, warum etwas sei, um die Art, wie es seinen Anfang genommen habe. Ich baute in diesen Gedanken fort und schrieb, was durch meine Seele ging, auf. Vielleicht wird einmal in irgend einer Zukunft etwas daraus. Zur Zeit der Rosenbluete machte ich einen Abschnitt in meinem Beginnen, ich wollte mir eine Unterbrechung goennen und den Asperhof besuchen. Ich lohnte meine Leute ab, gab ihnen das Versprechen, dass ich sie in Zukunft wieder verwenden werde, legte zu ihrem Lohne noch ein kleines Heimreisegeld und entliess sie. In dem Tannhause verpackte ich Alles wohl, was mein Eigentum war, berichtigte das, was ich schuldig geworden, sagte, dass ich wiederkommen werde, dass man mir das Dagelassene unterdessen gut bewahren moege und fuhr in einem einspaennigen Gebirgswaeglein durch den tiefen Weg, der von dem rauschenden Bache des Tannwirtshauses waldaufwaerts fuehrt, davon. Als ich die Heerstrasse erreicht hatte, sendete ich meinen Fuhrmann zurueck und waehlte fuer die weitere Fahrt einen Platz im Postwagen. Die Strecke von der letzten Post zu meinem Freunde legte ich zu Fusse zurueck. Fuer Nachsendung meines Gepaeckes trug ich Sorge. Ich war spaeter gekommen, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. In der tiefen Abgeschiedenheit und in der hohen kuehlen Lage der Tann hatte ich mich ueber das, was draussen geschah, getaeuscht. In dem freieren Lande war ein warmer Fruehling und ein sehr warmer Fruehsommer gewesen, was ich in den Bergen nicht so genau hatte ermessen koennen. Darum bluehten schon die Rosen mit freudiger Fuelle in allen Gaerten, an denen ich vorueber kam. In schoener Vollkommenheit schauten die untadeligen Laubkronen meines Gastfreundes ueber das dunkle Dach des Hauses und standen an den beiden Fluegeln des Gartengitters, als ich den Huegel hinan stieg. Die Fenstervorhaenge, welche teils ein wenig geoeffnet, teils der Hitze willen geschlossen waren, luden mich gastlich ein, und der Schmelz des Gesanges der Voegel und mancher lautere vereinzelte Ruf gruesste mich wie einen, der hier schon lange bekannt ist. Da ich die Einrichtung des Gittertores kannte, drueckte ich an der Vorrichtung, der Fluegel oeffnete sich und ich trat in den Garten. Mein Gastfreund war bei den Bienen. Ich erfuhr das von dem Gaertner, welcher der erste war, den ich zu sehen bekam. Er ordnete etwas an einem Geranienbeete in der Naehe des Einganges. Ich schlug den Weg zu den Bienen ein. Mein Gastfreund stand vor der Huette und erwartete das Erscheinen einer jungen Familie, die schwaermen wollte. Er sagte mir dieses, als ich hinzutrat, ihn zu begruessen. Der Empfang war beinahe bewegt, wie zwischen einem Vater und einem Sohne, so sehr war meine Liebe zu ihm schon gewachsen, und eben so mochte auch er schon eine Zuneigung zu mir gewonnen haben. Da er doch wohl von seinem Vorhaben nicht weggehen konnte, sagte ich, ich wolle die andern auch begruessen, und er billigte es. Er hatte mir erzaehlt, dass Mathilde und Natalie in dem Asperhofe seien. Ich ging gegen das Haus. Gustav hatte es schon erfahren, dass ich da sei, er flog die Treppe herunter und auf mich zu. Gruss, Gegengruss, Fragen, Antworten, Vorwuerfe, dass ich so spaet gekommen sei und dass ich in dem Fruehlinge doch nicht einige Tage benuetzt habe, um in den Asperhof zu gehen. Er sagte, dass er mir sehr viel zu erzaehlen habe, dass er mir alles erzaehlen wolle und dass ich recht lange, lange da bleiben muesse. Er fuehrte mich nun zu seiner Mutter. Diese sass an einem Tische im Gebuesche und las. Sie stand auf, da sie mich nahen sah, und ging mir entgegen. Sie reichte mir die Hand, die ich, wie es in unserer Stadt Sitte war, kuessen wollte. Sie liess es nicht zu. Ich hatte wohl schon frueher bemerkt, dass sie nicht zugab, dass ihr die Hand gekuesst werde; aber ich hatte in dem Augenblicke nicht daran gedacht. Sie sagte, dass ich ihr sehr willkommen sei, dass sie mich schon frueher erwartet habe und dass ich nun eine nicht zu kurze Zeit meinen hiesigen Freunden schenken muesse. Wir gingen unter diesen Worten wieder zu dem Tische zurueck, auf den sie ihr Buch gelegt hatte, und sie hiess mich an ihm Platz nehmen. Ich setzte mich auf einen der dastehenden Stuehle. Gustav blieb neben uns stehen. Ihr Angesicht war so heiter und freundlich, dass ich meinte, es nie so gesehen zu haben. Oder es war wohl immer so, nur in meiner Erinnerung war es ein wenig zurueck getreten. Wirklich, so oft ich Mathilden nach laengerer Trennung sah, erschien sie mir, obwohl sie eine alternde Frau war, immer lieblicher und immer anmutiger. Zwischen den Faeltchen des Alters und auf den Zuegen, welche auf eine Reihe von Jahren wiesen, wohnte eine Schoenheit, welche ruehrte und Zutrauen erweckte. Und mehr als diese Schoenheit war es, wie ich wohl jetzt erkannte, da ich so viele Angesichter so genau betrachtet hatte, um sie nachzubilden, die Seele, welche guetig und abgeschlossen sich darstellte und auf die Menschen, die ihr naheten, wirkte. Um die reine Stirne zog sich das Weiss der Haubenkrause, und aehnliche weisse Streifen waren um die feinen Haende. Auf dem Tische stand ein Blumentopf mit einer dunkeln, fast veilchenblauen Rose. Sie lehnte sich in dem Rohrstuhle, auf dem sie sass, zurueck, faltete die Haende auf ihrem Schoosse und sagte: "Wir werden in dem Sternenhofe ein kleines Fest feiern. Ihr wisst, dass wir begonnen haben, die Tuenche, womit die grossen Steinflaechen, die die Mauern unsers Hauses bekleiden, in frueheren Jahren ueberstrichen worden sind, wegzunehmen, weil unser Freund meinte, dass dieselbe das Haus entstelle und dass es sich weit schoener zeigen wuerde, wenn sie weggenommen und der blosse Stein sichtbar waere. Heuer ist nun die ganze vordere Flaeche des Hauses fertig geworden, die Gerueste werden eben abgebrochen, und da werden, wenn die Spuren auch auf dem Boden vor dem Hause vertilgt sind, wenn der Sand geebnet ist, wenn der Rasen gereinigt und gewaschen ist, dass er keine Kalkflecke, sondern das reine Gruen zeigt, wir alle hinausfahren, um die Sache zu betrachten und ein Urteil abzugeben, ob das Haus den Gewinn gemacht habe, der sich uns versprochen hat. Es werden auch andere Menschen kommen, es werden wahrscheinlich sich einige Nachbarn einfinden, und da ihr zu unsern Freunden aus dem Asperhofe gehoert, und da wir alle euer Urteil in Anschlag bringen moechten, so seid ihr gebeten, auch dabei zu sein und die Gesellschaft zu vermehren." "Mein Urteil ist wohl sehr geringe", antwortete ich, "und wenn es nicht ganz verwerflich ist, und wenn ich mir einige Kenntnisse und eine bestimmte Empfindung des Schoenen erworben habe, so danke ich Alles dem Besitzer dieses Hauses, der mich so guetig aufgenommen und Manches in mir hervor gezogen hat, das wohl sonst nie zu irgend einer Bedeutung gekommen waere. Ich werde also kaum zur Feststellung der Sache auf dem Sternenhofe etwas beitragen koennen, und meine Ansicht wird gewiss die meines Gastfreundes und Eustachs sein; aber da ihr mich so freundlich einladet und da es mir eine Freude macht, in eurem Hause sein zu koennen, so nehme ich die Einladung gerne an, vorausgesetzt, dass die Zeit nicht zu spaet bestimmt ist, da ich doch wohl noch in diesem Sommer in den Ort meiner jetzigen Taetigkeit zurueckkehren und Einiges vor mich bringen moechte." "Die Zeit ist sehr nahe", erwiderte sie, "es ist ohnehin schon seit laenger her gebraeuchlich, dass nach der Rosenbluete, zu welcher ich immer in diesem Hause eingeladen bin, unsere hiesigen Freunde auf eine Weile in den Sternenhof hinueber fahren. Das wird auch heuer so sein. Waehrend hier die feinen Blaetter dieser Blumen sich vollkommen entwickeln und endlich welken und abfallen, wird unser Hausverwalter in dem Sternenhofe Alles in Ordnung bringen, dass keine Verwirrung mehr zu sehr sichtbar ist, er wird uns hierueber einen Brief schreiben und wir werden den Tag der Zusammenkunft bestimmen. Von dem Urteile, wenn irgend eines mit einem ueberwiegenden Gewichte zu Stande koemmt, wird es abhaengen, ob auch die Kosten zu der Reinigung der andern Teile des Hauses verwendet werden oder ob der jetzige Zustand, dass eine Seite von der Tuenche befreit ist, die uebrigen aber damit behaftet sind, der gewiss weniger schoen ist, als wenn Alles uebertuencht geblieben waere, fortbestehen oder ob gar das Befreite wieder uebertuencht werden solle. Dass ihr uebrigens eure Ansichten geringe achtet, daran tut ihr Unrecht. Wenn in der Naehe unsers Freundes Einiges an euch frueher zur Bluete kam, so ist dies wohl sehr natuerlich; es ist ja Alles an uns Menschen so, dass es wieder von andern Menschen gross gezogen wird, und es ist das glueckliche Vorrecht bedeutender Menschen, dass sie in andern auch das Bedeutende, das wohl sonst spaeter zum Vorscheine gekommen waere, frueher entwickeln. Wie sicher in euch die Anlage zu dem Hoeheren und Groesseren vorhanden war, zeigt schon die Wahl, mit der ihr aus eigenem Antriebe auf eine wissenschaftliche Beschaeftigung gekommen seid, die sonst unsere jungen Leute in den Jahren, in denen ihr euch entschieden habt, nicht zu ergreifen pflegen, und dass euer Herz dem Schoenen zugewendet war, geht daraus hervor, dass ihr schon bald begannet, die Gegenstaende eurer Wissenschaft abzubilden, worauf der, dem der bildende Sinn mangelt, nicht so leicht verfaellt, er macht sich eher schriftliche Verzeichnisse, und endlich habt ihr ja in Kurzem die Abbildung anderer Dinge, menschlicher Koepfe, Landschaften, versucht und habt euch auf die Dichter gewendet. Dass es aber auch nicht ein ungluecklicher Tag war, an welchem ihr ueber diesen Huegel herauf ginget, zeigt sich in einer Tatsache: ihr liebt den Besitzer dieses Hauses, und einen Menschen lieben koennen ist fuer den, der das Gefuehl hat, ein grosser Gewinn." Gustav hatte waehrend dieser Rede die Mutter stets freundlich angesehen. Ich aber sagte: "Er ist ein ungewoehnlicher, ein ganz ausserordentlicher Mensch." Sie erwiderte auf diese Worte nichts, sondern schwieg eine Weile. Spaeter fing sie wieder an: "Ich habe mir diese Rosenpflanze auf den Tisch gestellt, gewissermassen als die Gesellschafterin meines Lesens - gefaellt euch die Blume?" "Sie gefaellt mir sehr", antwortete ich, "wie mir ueberhaupt alle Rosen gefallen, die in diesem Hause gezogen werden." "Sie ist eine neue Art", sagte sie, "ich habe aus England einen Brief bekommen, in welchem eine Freundin mit Auszeichnung von einer Rose sprach, die sie in Kew gesehen habe und deren Namen sie hinzu fuegte. Da ich in dem Verzeichnisse unserer Rosen den Namen nicht fand, dachte ich, dass dies eine Art sein duerfte, welche unser Freund nicht hat. Ich schrieb an die Freundin, ob sie mir eine solche Rosenpflanze verschaffen koenne. Mit Hilfe eines Mannes, der uns beide kennt, erhielt sie die Pflanze, und in diesem Fruehlinge wurde sie mir in einem Topfe, sehr wohl und sinnreich verpackt, aus England geschickt. Ich pflegte sie, und da die Blumen sich entwickeln wollten, brachte ich sie unserm Freunde. Die Rosen oeffneten sich hier vollends, und wir sahen - besonders er, der alle Merkmale genau kennt -, dass diese Blume sich in der Sammlung dieses Hauses noch nicht befindet. Eustach bildete sie ab, dass wir sie festhalten und ob die, welche in Zukunft kommen werden, ihr gleichen. Mein Freund schrieb nach England um Pfropfreiser fuer den naechsten Fruehling, diese Pflanze bleibt indessen in dem Topfe und wird hier besorgt werden." Waehrend sie so sprach, regten sich die Zweige neben einem schmalen Pfade, der aus dem Gebuesche auf den Platz fuehrte, und Natalie trat auf dem Pfade hervor. Sie war erhitzt und trug einen Strauss von Feldblumen in der Hand. Sie musste nicht gewusst haben, dass ein Fremder bei der Mutter sei; denn sie erschrak sehr, und mir schien, als ginge durch das Rot des erwaermten Angesichtes eine Blaesse, die wieder mit einem noch staerkeren Rot wechselte. Ich war ebenfalls beinahe erschrocken und stand auf. Sie war an der Ecke des Gebuesches stehen geblieben, und ich sagte die Worte: "Mich freut es sehr, mein Fraeulein, euch so wohl zu sehen." "Mich freut es auch, dass ihr wohl seid", erwiderte sie. "Mein Kind, du bist sehr erhitzt", sagte die Mutter, "du musst weit gewesen sein, es koemmt schon die Mittagsstunde, und in derselben solltest du nicht so weit gehen. Setze dich ein wenig auf einen dieser Sessel, aber setze dich in die Sonne, damit du nicht zu schnell abkuehlest." Natalie blieb noch ein ganz kleines Weilchen stehen, dann rueckte sie folgsam einen von den herumstehenden Sesseln so, dass er ganz von der Sonne beschienen wurde, und setzte sich auf ihn. Sie hatte den runden Hut mit dem nicht gar grossen Schirme, wie ihn Mathilde und sie sehr gerne auf Spaziergaengen in der Naehe des Rosenhauses und des Sternenhofes trugen, als sie aus dem Gebuesche getreten war, in der Hand gehabt, jetzt, da die Sonne auf ihren Scheitel schien, setzte sie ihn auf. Sie legte den Strauss von Feldblumen, den sie gebracht hatte, auf den Tisch und fing an, die einzelnen Gewaechse heraus zu suchen und gleichsam zu einem neuen Strausse zu ordnen. "Wo bist du denn gewesen?" fragte die Mutter. "Ich bin zu mehreren Rosenstellen in dem Garten gegangen", antwortete Natalie, "ich bin zwischen den Gebueschen neben den Zwergobstbaeumen und unter den grossen Baeumen, dann zu dem Kirschbaume empor und von da in das Freie hinaus gegangen. Dort standen die Saaten und es bluehten Blumen zwischen den Halmen und in dem Grase. Ich ging auf dem schmalen Wege zwischen den Getreiden fort, ich kam zur Felderrast, sass dort ein wenig, ging dann auf dem Getreidehuegel auf mehreren Rainen ohne Weg zwischen den Feldern herum, pflueckte diese Blumen und ging dann wieder in den Garten zurueck." "Und hast du dich denn lange auf dem Berge aufgehalten, und hast du alle Zeit zu dem Aufsuchen und Pfluecken dieser Blumen verwendet?" fragte Mathilde. "Ich weiss nicht, wie lange ich mich auf dem Berge aufgehalten habe; aber ich meine, es wird nicht lange gewesen sein", antwortete Natalie, "ich habe nicht bloss diese Blumen gepflueckt, sondern auch auf die Gebirge geschaut, ich habe auf den Himmel gesehen und auf die Gegend, auf diesen Garten und auf dieses Haus geblickt." "Mein Kind", sagte Mathilde, "es ist kein Uebel, wenn du in den Umgebungen dieses Hauses herum gehst; aber es ist nicht gut, wenn du in der heissen Sonne, die gegen Mittag zwar nicht am heissesten ist, aber immerhin schon heiss genug, auf dem Huegel herum gehst, welcher ihr ganz ausgesetzt ist, welcher keinen Baum - ausser bei der Felderrast - und keinen Strauch hat, der Schatten bieten koennte. Und du weisst auch nicht, wie lange du in der Hitze verweilest, wenn du dich in das Herumsehen vertiefest oder wenn du Blumen pflueckest und in dieser Beschaeftigung die Zeit nicht beachtest." "Ich habe mich in das Blumenpfluecken nicht vertieft", erwiderte Natalie, "ich habe die Blumen nur so gelegentlich gelesen, wie sie mir in meinem Dahingehen aufstiessen. Die Sonne tut mir nicht so weh, liebe Mutter, wie du meinst, ich empfinde mich in ihr sehr wohl und sehr frei, ich werde nicht muede, und die Waerme des Koerpers staerkt mich eher, als dass sie mich drueckt." "Du hast auch dein Hut an dem Arme getragen", sagte die Mutter. "Ja, das habe ich getan", antwortete Natalie, "aber du weisst, dass ich dichte Haare habe, auf dieselben legt sich die Sonnenwaerme wohltaetig, wohltaetiger als wenn ich den Hut auf dem Haupte trage, der so heiss macht, und die freie Luft geht angenehm, wenn man das Haupt entbloesst hat, an der Stirne und an den Haaren dahin." Ich betrachtete Natalie, da sie so sprach. Ich erkannte erst jetzt, warum sie mir immer so merkwuerdig gewesen ist, ich erkannte es, seit ich die geschnittenen Steine meines Vaters gesehen hatte. Mir erschien es, Natalie sehe einem der Angesichter aehnlich, welche ich auf den Steinen erblickt hatte, oder vielmehr in ihren Zuegen war das Nehmliche, was in den Zuegen auf den Angesichtern der geschnittenen Steine ist. Die Stirne, die Nase, der Mund, die Augen, die Wangen hatten genau etwas, was die Frauen dieser Steine hatten, das Freie, das Hohe, das Einfache, das Zarte und doch das Kraeftige, welches auf einen vollstaendig gebildeten Koerper hinweist, aber auch auf einen eigentuemlichen Willen und eine eigentuemliche Seele. Ich blickte auf Gustav, der noch immer neben dem Tische stand, ob ich auch an ihm etwas Aehnliches entdecken koennte. Er war noch nicht so entwickelt, dass sich an ihm schon das Wesen der Gestalt aussprechen konnte, die Zuege waren noch zu rund und zu weich; aber es daeuchte mir, dass er in wenigen Jahren so aussehen wuerde, wie die Juenglingsangesichter unter den Helmen auf den Steinen aussehen, und dass er dann Natalien noch mehr gleichen wuerde. Ich blickte auch Mathilden an; aber ihre Zuege waren wieder in das Sanftere des Alters uebergegangen; ich glaubte dessohngeachtet, vor nicht langer Zeit muesste auch sie ausgesehen haben, wie die aelteren Frauen auf den Steinen aussehen. Natalie stammte also gleichsam aus einem Geschlechte, das vergangen war und das anders und selbstaendiger war als das jetzige. Ich sah lange auf die Gestalt, welche beim Sprechen bald die Augen zu uns aufschlug, bald sie wieder auf ihre Blumen nieder senkte. Dass ihr Haupt so antik erschien, wie der Vater mit einem altroemischen Beiworte von seinen Steinen sagte, mochte zum Teile auch daher kommen - wenigstens gewann ihre Erscheinung dadurch -, dass es mit einem richtig gebildeten Halse aus einem ganz einfachen, schmucklosen Kleide hervor sah. Keine ueberfluessige Zutat von Stoffen und keine Kette oder sonst ein Schmuck umgab den Hals - dieses macht nur die bloss anmutigen Angesichter noch anmutiger -, sondern das Kleid mit einer nicht auffallenden Farbe und mit einem nicht auffallenden Schnitte schloss den reinen Hals und ging an der uebrigen Gestalt hernieder. Die Mutter sah Natalien freundlich an, da sie sprach, und sagte dann: "Der Jugend ist alles gut, der Jugend schlaegt alles zum Gedeihen aus, sie wird wohl auch empfinden, was ihr not tut, wie das Alter empfindet, was es bedarf - Ruhe und Stille -, und unser Freund sagt ja auch, man soll der Natur ihr Wort reden lassen; darum magst du gehen, wie du fuehlest, dass du es bedarfst, Natalie, du wirst kein Unrecht begehen, wie du es ja nie tust, du wirst keine Massregel ausser Acht lassen, die wir dir gesagt haben, und du wirst dich in deine Gedanken nicht so vertiefen, dass du deinen Koerper vergaessest." "Das werde ich nicht tun, Mutter", entgegnete Natalie, "aber lasse mich gehen, es ist ein Wunsch in mir, so zu verfahren. Ich werde ihn maessigen, wie ich kann; ich tue es um deinetwillen, Mutter, dass du dich nicht beunruhigest. Ich moechte auf dem Felderhuegel herum gehen, dann auch in dem Tale und in dem Walde, ich moechte auch in dem Lande gehen und Alles darin beschauen und betrachten. Und die Ruhe schliesst dann so schoen das Gemuet und den Willen ab." Dass Natalie doch durch das Wandeln in der heissen Sonne unmittelbar vor der Mittagszeit sich erhitzt habe, zeigte ihr Angesicht. Dasselbe behielt die Roete, welche es nach dem ersten Erblassen erhalten hatte, und verlor sie nur in geringem Masse, waehrend sie an dem Tische sass, was doch eine geraume Zeit dauerte. Es bluehte dieses Rot wie ein sanftes Licht auf ihren Wangen und verschoenerte sie gleichsam wie ein klarer Schimmer. Sie fuhr in ihrem Geschaefte mit den Blumen fort, sie legte eine nach der andern von dem groesseren Strausse zu dem kleineren, bis der kleinere Strauss der groessere wurde, der groessere aber sich immer verkleinerte. Sie schied keine einzige Blume aus, sie warf nicht einmal einen Grashalm weg, der sich eingefunden hatte; es erschien also, dass sie weniger eine Auslese der Blumen machen, als dem alten Strausse eine neue, schoenere Gestalt geben wollte. So war es auch, denn der alte Strauss war endlich verschwunden und der neue lag allein auf dem Tische. Mathilde hatte ihr Buch immer vor sich auf dem Tische liegen und sah nicht wieder hinein. Sie frug mich um meinen letzten Aufenthalt und um meine letzten Arbeiten. Ich setzte ihr beides auseinander. Gustav hatte sich indessen auch auf einen Sessel, ganz nahe an mir, gesetzt, und hoerte aufmerksam zu. Als die Sonne im Mittage angekommen war und nachgerade unsern ganzen Tisch erfuellt hatte, erschien Arabella, um uns zum Mittagessen zu rufen. Ein Mann, der in dem Garten arbeitete, musste den Blumentopf in das Haus tragen. Mathilde nahm das Buch und ein Arbeitskoerbchen, das neben ihr auf dem Tische gestanden war, Natalie nahm ihren Blumenstrauss, hing ihren Hut wieder an ihren Arm, und so gingen wir in das Haus. Die Frauen wandelten vor uns, Gustav und ich gingen hinter ihnen. Dass ich mich gegen meinen Gastfreund, gegen Eustach, gegen Gustav und selbst gegen die Leute des Hauses verteidigen musste, weil ich heuer so spaet gekommen sei, nahm mich nicht Wunder, da ich immer so freundlich hier aufgenommen worden war, und da man sich beinahe daran gewoehnt hatte, dass ich alle Sommer in das Rosenhaus komme, wie ja auch mir diese Besuche zur Gewohnheit geworden waren. Mein Gastfreund und ich sprachen von den Dingen, welche ich im Laufe des heurigen Sommers unternommen hatte, so wie er mir auch in den ersten Tagen alles zeigte, was in dem Rosenhause geschah und was sich in meiner Abwesenheit veraendert hatte. Ich sah, dass die Zeit der Rosenbluete nicht so lange dauern werde, weil ich ja auch nicht zu ihrem ersten Anfange, sondern etwas spaeter gekommen war. Die Bilder gaben mir wieder eine suesse Empfindung, und die hohe Gestalt auf der Treppe trat mir immer naeher, seit ich die geschnittenen Steine gesehen hatte und seit ich wusste, dass etwas unter den Lebenden wandle, das aehnlich sei. Ich ging mit Gustav oder allein oefter in der Gegend herum. Eines Nachmittages waren wir in dem Rosenzimmer. Mathilde sprach recht freundlich von verschiedenen Gegenstaenden des Lebens, von den Erscheinungen desselben, wie man sie aufnehmen muesse und wie sie in dem Laufe der Jahre sich abloesen. Mein Gastfreund antwortete ihr. Bei dieser Gelegenheit sah ich erst, wie zart und schoen fuer das Zimmer gesorgt worden war; denn die vier an Groesse wie an Rahmen gleichen Gemaelde, die in demselben hingen, waren trotz ihrer Kleinheit bei Weitem das Herrlichste und Ausserordentlichste, was es an Gemaelden im Rosenhause gab. Ich hatte mein Urteil doch schon so weit gebildet, um bei dem grossen Unterschiede, der da waltete, das einsehen zu koennen. Doch leitete ich auch meinen Gastfreund auf den Gegenstand, und er gab meine Wahrnehmung, freilich in sehr bescheidenen Ausdruecken, weil Mathilde zugegen war, zu. Wir besahen, nachdem das Gespraech eine Wendung genommen hatte, die Bilder und machten uns auf das Zarte, Liebliche und Hohe derselben aufmerksam. Besuche, wie gewoehnlich zur Rosenzeit, kamen auch heuer; aber ich mischte mich weniger als etwa in frueheren Jahren unter die Leute. Natalie ging wirklich, wie ich jetzt selber wahrnahm, in diesem Sommer mehr als in vergangenen im Garten und in der Gegend herum, sie ging viel weiter und ging auch oefter allein. Sie ging nicht bloss bei dem grossen Kirschbaume oefter in das Freie und ging dort zwischen den Saaten herum, sondern sie ging auch geradewegs ueber den Huegel hinab zu der Strasse, oder sie ging in den Meierhof oder laengs der Huegel dahin, oder sie ging ein Stueck auf dem Wege nach dem Inghofe. Wenn sie zurueckgekehrt war, sass sie in ihrem Lehnstuhle und blickte auf das, was vor ihr oder in ihrer Umgebung geschah. Eines Tages, da ich selber einen weiten Weg gemacht hatte und gegen Abend in das Rosenhaus zurueck kehrte, sah ich, da ich von dem Erlenbache hinauf eine kuerzere Richtung eingeschlagen hatte, auf blossem Rasen zwischen den Feldern gegangen, auf der Hoehe angekommen war und nun gegen die Felderrast zuging, auf dem Baenklein, das unter der Esche derselben steht, eine Gestalt sitzen. Ich kuemmerte mich nicht viel um sie und ging meines Weges, welcher gerade auf den Baum zufuehrte, weiter. Ich konnte, wie nahe ich auch kam, die Gestalt nicht erkennen; denn sie hatte nicht nur den Ruecken gegen mich gekehrt, sondern war auch durch den groessten Teil des Baumstammes gedeckt. Ihr Angesicht blickte nach Sueden. Sie regte sich nicht und wendete sich nicht. So kam ich fast dicht gegen sie heran. Sie musste nun meinen Tritt im Grase oder mein Anstreifen an das Getreide gehoert haben; denn sie erhob sich ploetzlich, wendete sich um, damit sie mich saehe, und ich stand vor Natalien. Kaum zwei Schritte waren wir von einander entfernt. Das Baenklein stand zwischen uns. Der Baumstamm war jetzt etwas seitwaerts. Wir erschraken beide. Ich hatte nehmlich nicht - auch nicht im Entferntesten - daran gedacht, dass Natalie auf dem Baenklein sitzen koenne, und sie musste erschrocken sein, weil sie ploetzlich Schritte hinter sich gehoert hatte, wo doch kein Weg ging, und weil sie, da sie sich umwendete, einen Mann vor sich stehen gesehen hatte. Ich musste annehmen, dass sie nicht gleich erkannt habe, dass ich es sei. Ein Weilchen standen wir stumm gegenueber, dann sagte ich: "Seid ihr es, Fraeulein, ich hatte nicht gedacht, dass ich euch unter dem Eschenbaume sitzend finden wuerde." "Ich war ermuedet", antwortete sie, "und setzte mich auf die Bank, um zu ruhen. Auch duerfte es wohl an der Zeit spaeter geworden sein, als man gewohnt ist, mich nach Hause kommen zu sehen." "Wenn ihr ermuedet seid", sagte ich, "so will ich nicht Ursache sein, dass ihr steht, ich bitte, setzet euch, ich will, so schnell ich kann, durch die Felder und den Garten eilen und euch Gustav herauf senden, dass er euch nach Hause begleite." "Das wird nicht noetig sein", erwiderte sie, "es ist ja noch nicht Abend, und selbst wenn es Abend waere, so droht wohl nirgends ringsherum eine Gefahr. Ich bin schon viel weiter allein gegangen, ich bin allein nach Hause zurueckgekehrt, meine Mutter und unser Gastfreund haben deshalb keine Besorgnisse gehabt. Heute bin ich bis auf dem Raitbuehel bei dem roten Kreuze gewesen und bin von dort zu der Bank hieher zurueck gegangen." "Das ist ja fast ueber eine Stunde Weges", sagte ich. "Ich weiss nicht, wie lange ich gegangen bin", antwortete sie, "ich ging zwischen den Feldern hin, auf denen die ungeheure Menge des Getreides steht, ich ging an manchem Strauche hin, den der Rain enthaelt, ich ging an manchem Baume vorbei, der in dem Getreide steht, und kam zu dem roten Kreuze, das aus den Saaten empor ragt." "Wenn ich sehr gut gehe", sagte ich, "so brauche ich von hier bis zu dem roten Kreuze eine Stunde." "Ich habe, wie ich sagte, die Zeit nicht gezaehlt", entgegnete sie, "ich bin von hier zu dem Kreuze gegangen, und bin von dem Kreuze wieder hieher zurueck gekehrt." Waehrend dieser Worte war ich aus der ungefuegen Stellung im Grase hinter dem Baenklein auf den freien Raum herueber getreten, der sich vor dem Baume ausbreitet, Natalie hatte eine leichte Bewegung gemacht und sich wieder auf das Baenkchen gesetzt. "Nach einem solchen Gange beduerft ihr freilich der Ruhe", sprach ich. "Es ist auch nicht gerade deswillen", antwortete sie, "weshalb ich diese Bank suchte. So ermuedet ich bin, so koennte ich wohl noch recht gut den Weg durch die Felder und den Garten nach Hause, ja noch einen viel weiteren machen; aber es gesellte sich zu dem koerperlichen Wunsche noch ein anderer." "Nun?" "Auf diesem Platze ist es schoen, das Auge kann sich ergehen, ich bin bei meinen Gedanken, ich brauche diese Gedanken nicht zu unterbrechen, was ich doch tun muss, wenn ich zu den Meinigen zurueck kehre." "Und darum ruhet ihr hier?" "Darum ruhe ich hier." "Seid ihr von eurer Kindheit an gerne allein in den Feldern gegangen?" "Ich erinnere mich des Wunsches nicht", antwortete sie, "wie es denn ueberhaupt einige Zeitabschnitte in meiner Kindheit gibt, an welche ich mich nicht genau erinnern kann, und da der Wunsch in meinem Gedaechtnisse nicht gegenwaertig ist, so wird auch die Tatsache nicht gewesen sein, obwohl es wahr ist, dass ich als Kind lebhafte Bewegungen sehr geliebt habe." "Und jetzt fuehrt euch eure Neigung oefter in das Freie?" fragte ich. "Ich gehe gerne herum, wo ich nicht beengt bin", antwortete sie, "ich gehe zwischen den Feldern und den wallenden Saaten, ich steige auf die sanften Huegel empor, ich wandere an den blaetterreichen Baeumen vorueber und gehe so fort, bis mich eine fremde Gegend ansieht, der Himmel ueber derselben gleichsam ein anderer ist und andere Wolken hegt. Im Gehen sinne und denke ich dann. Der Himmel, die Wolken darin, das Getreide, die Baeume, die Gestraeuche, das Gras, die Blumen stoeren mich nicht. Wenn ich recht ermuedet bin und auf einem Baenklein wie hier oder auf einem Sessel in unserem Garten oder selbst auf einem Sitze in unserem Zimmer ausruhen kann, so denke ich, ich werde nun nicht wieder so weit gehen. - Und wo seid denn ihr gewesen?" fragte sie, nachdem sie sich unterbrochen und ein Weilchen geschwiegen hatte. "Ich bin nach dein Essen von dem Erlenbache zu dem Teiche hinauf gegangen", antwortete ich, "dann durch das Gehoelze auf den Balkhuegel empor, von dem man die Gegend von Landegg sieht und den Turm seiner Pfarrkirche erblicken kann. Von dem Balkhuegel bin ich dann noch auf den Hoehen fortgegangen, bis ich zu den Rohrhaeusern gekommen bin. Da ich dort schon zwei starke Wegstunden von dem Asperhofe entfernt war, schlug ich den Rueckweg ein. Ich hatte im Hingehen viele Zeit verbraucht, weil ich haeufig stehen geblieben war und verschiedene Dinge angesehen hatte, deshalb waehlte ich nun einen kuerzeren Rueckgang. Ich ging auf Feldpfaden und mannigfaltigen Kirchenwegen durch die Felder, bis ich zwischen Dernhof und Ambach wieder zu dem Seewalde und zu dem Erlenbache herabkam. Von dort aus waren mir Raine bekannt, die am kuerzesten auf die Felderrast herueber fuehrten. Obwohl auf ihnen kein Weg fuehrt, ging ich doch auf ihrem Grase fort und kam so gegen euch herzu." "Da muesst ihr ja recht muede sein", sagte sie und machte eine Bewegung auf dem Baenklein, um mir Platz neben sich zu verschaffen. Ich wusste nicht recht, wie ich tun sollte, setzte mich aber doch an ihrer Seite nieder. "Habt ihr etwa ein Buch mit euch genommen, um auf dieser Bank zu lesen", fragte ich, "oder habt ihr nicht Blumen gepflueckt?" "Ich habe kein Buch mitgenommen und habe keine Blumen gepflueckt", antwortete sie, "ich kann nicht lesen, wenn ich gehe, und kann auch nicht lesen, wenn ich im freien Felde auf einer Bank oder auf einem Steine sitze." Wirklich sah ich auch gar nichts neben ihr, sie hatte kein Koerbchen oder sonst irgend etwas, das Frauen gerne mit sich zu tragen pflegen, um Gegenstaende hinein legen zu koennen; sie sass muessig auf dem Baenklein, und ihr Strohhut, den sie von dem Haupte genommen hatte, lag neben ihr in dem Grase. "Die Blumen pfluecke ich", fuhr sie nach einem Weilchen fort, "wenn sie bei Gelegenheit an dem Wege stehen. Hier herum ist meistens der Mohn, der aber wenig zu Straeussen passt, weil er gerne die Blaetter fallen laesst, dann sind die Kornblumen, die Wegnelken, die Glocken und andere. Oft pfluecke ich auch keine Blumen, wenn sie noch so reichlich vor mir stehen." Mir war es seltsam, dass ich mit Natalien allein unter der Esche der Felderrast sitze. Ihre Fussspitzen ragten in den Staub der vor uns befindlichen offenen Stelle hinaus, und der Saum ihrer Kleider beruehrte denselben Staub. In der Krone der Esche ruehrte sich kein Blaettchen; denn die Luft war still. Weit vor uns hinabgehend und weit zu unserer Rechten und Linken hin sowie rueckwaerts war das gruene, der Reife entgegen harrende Getreide. Aus dem Saume desselben, der uns am naechsten war, sahen uns der rote Mohn und die blauen Kornblumen an. Die Sonne ging dem Untergange zu und der Himmel glaenzte an der Stelle, gegen die sie ging, fast weissgluehend ueber die Saatfelder herueber, keine Wolke war und das Hochgebirge stand rein und scharf geschnitten an dem suedlichen Himmel. "Und habt ihr bei dem roten Kreuze auch ein wenig geruht?" fragte ich nach einer Weile. "Bei dem roten Kreuze habe ich nicht geruht", antwortete sie, "man kann dort nicht ruhen, es steht fast unter lauter Halmen des Getreides, ich lehnte mich mit einem Arme an seinen Stamm und sah auf die Gegend hinaus, auf die Felder, auf die Obstbaeume und auf die Haeuser der Menschen, dann wendete ich mich wieder um und schlug den Rueckweg zu diesem Baenklein ein." "Wenn heiterer Himmel ist und die Sonne scheint, dann ist es in der Weite schoen", sagte ich. "Es ist wohl schoen", erwiderte sie, "die Berge gehen wie eine Kette mit silbernen Spitzen dahin, die Waelder sind ausgebreitet, die Felder tragen den Segen fuer die Menschen, und unter all den Dingen liegt das Haus, in welchem die Mutter und der Bruder und der vaeterliche Freund sind; aber ich gehe auch an bewoelkten Tagen auf den Huegel oder an solchen, an denen man nichts deutlich sehen kann. Als Bestes bringt der Gang, dass man allein ist, ganz allein, sich selber hingegeben. Tut ihr bei euren Wanderungen nicht auch so, und wie erscheint denn euch die Welt, die ihr zu erforschen trachtet?" "Es war zu verschiedenen Zeiten verschieden", antwortete ich; "einmal war die Welt so klar als schoen, ich suchte Manches zu erkennen, zeichnete Manches und schrieb mir Manches auf. Dann wurden alle Dinge schwieriger, die wissenschaftlichen Aufgaben waren nicht so leicht zu loesen, sie verwickelten sich und wiesen immer wieder auf neue Fragen ein. Dann kam eine andre Zeit; es war mir, als sei die Wissenschaft nicht mehr das Letzte, es liege nichts daran, ob man ein Einzelnes wisse oder nicht, die Welt erglaenzte wie von einer innern Schoenheit, die man auf ein Mal fassen soll, nicht zerstueckt, ich bewunderte sie, ich liebte sie, ich suchte sie an mich zu ziehen und sehnte mich nach etwas Unbekanntem und Grossem, das da sein muesse." Sie sagte nach diesen Worten eine Zeit hindurch nichts; dann aber fragte sie: "Und ihr werdet in diesem Sommer noch einmal in euren Aufenthaltsort zurueck kehren, den ihr euch jetzt zu eurer Arbeit auserkoren habt?" "Ich werde in denselben zurueck kehren", antwortete ich. "Und den Winter bringt ihr bei euren lieben Angehoerigen zu?" fragte sie weiter. "Ich werde ihn wie alle bisherigen in dem Hause meiner Eltern verleben", sagte ich. "Und seid ihr in dem Winter im Sternenhofe?" fragte ich nach einiger Zeit. "Wir haben ihn frueher zuweilen in der Stadt zugebracht", antwortete sie, "jetzt sind wir schon einige Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal haben wir eine Reise gemacht." "Habt ihr ausser Klotilden keine andere Schwester?" fragte sie, nachdem wir wieder ein Weilchen geschwiegen hatten. "Ich habe keine andere", erwiderte ich, "wir sind nur zwei Kinder, und das Glueck, einen Bruder zu besitzen, habe ich gar nie kennen gelernt." "Und mir ist wieder das Glueck, eine Schwester zu haben, nie zu Teil geworden", antwortete sie. Die Sonne war schon untergegangen, die Daemmerung trat ein, und wir waren immer sitzen geblieben. Endlich stand sie auf und langte nach ihrem Hute, der in dem Grase lag. Ich hob denselben auf und reichte ihn ihr dar. Sie setzte ihn auf und schickte sich zum Fortgehen an. Ich bot ihr meinen Arm. Sie legte ihren Arm in den meinigen, aber so leicht, dass ich ihn kaum empfand. Wir schlugen nicht den Weg auf den Anhoehen hin zu dem Gartenpfoertchen ein, das in der Naehe des Kirschbaumes ist, sondern wir gingen auf dem Pfade, der von der Felderrast zwischen dem Getreide abwaerts laeuft, gegen den Meierhof hinab. Wir sprachen nun gar nicht mehr. Ihr Kleid fuehlte ich sich neben mir regen, ihren Tritt fuehlte ich im Gehen. Ein Waesserlein, das unter Tags nicht zu vernehmen war, hoerte man rauschen, und der Abendhimmel, der immer goldener wurde, flammte ueber uns und ueber den Huegeln der Getreide und um manchen Baum, der beinahe schwarz da stand. Wir gingen bis zu dem Meierhofe. Von demselben gingen wir ueber die Wiese, die zu dem Hause meines Gastfreundes fuehrt, und schlugen den Pfad zu dem Gartenpfoertchen ein, das in jener Richtung in der Gegend der Bienenhuette angebracht ist. Wir gingen durch das Pfoertchen in den Garten, gingen an der Bienenhuette hin, gingen zwischen Blumen, die da standen, zwischen Gestraeuch, das den Weg saeumte, und endlich unter Baeumen dahin und kamen in das Haus. Wir gingen in den Speisesaal, in welchem die Andern schon versammelt waren. Natalie zog hier ihren Arm aus dem meinigen. Man fragte uns nicht, woher wir gekommen waeren und wie wir uns getroffen haetten. Man ging bald zu dem Abendessen, da die Zeit desselben schon heran gekommen war. Waehrend des Essens sprachen Natalie und ich fast nichts. Als wir uns im Speisesaale getrennt hatten und als jedes in sein Zimmer gegangen war, loeschte ich die Lichter in dem meinigen sogleich aus, setzte mich in einen der gepolsterten Lehnstuehle und sah auf die Lichttafeln, welche der inzwischen heraufgekommene Mond auf die Fussboeden meiner Zimmer legte. Ich ging sehr spaet schlafen, las aber nicht mehr, wie ich es sonst in jeder Nacht gewohnt war, sondern blieb auf meinem Lager liegen und konnte sehr lange den Schlummer nicht finden. In den Tagen, die auf jenen Abend folgten, schien es mir, als weiche mir Natalie aus. Die Zithern hoerte ich wieder in ein paar Naechten, sie wurden sehr gut gespielt, was ich jetzt mehr empfinden und beurteilen konnte als frueher. Ich sprach aber nichts darueber, und noch weniger sagte ich etwas davon, dass ich selber in diesem Spiele nicht mehr so unerfahren sei. Meine Zither hatte ich nie in das Rosenhaus mitgenommen. Endlich nahte die Zeit, in welcher man in den Sternenhof gehen sollte. Mathilde und Natalie reisten in Begleitung ihrer Dienerin frueher dahin, um Vorkehrungen zu treffen und die Gaeste zu empfangen. Wir sollten spaeter folgen. In der Zeit zwischen der Abreise Mathildens und der unsrigen tat mein Gastfreund eine Bitte an mich. Sie bestand darin, dass ich ihm in dem kommenden Winter eine genaue Zeichnung von den Vertaeflungen anfertigen moechte, welche ich meinem Vater aus dem Lauterthale gebracht hatte und welche von ihm in die Pfeiler des Glashaeuschens eingesetzt worden waren. Die Zeichnung moechte ich ihm dann im naechsten Sommer mitbringen. Ich fuehlte mich sehr vergnuegt darueber, dass ich dem Manne, zu welchem mich eine solche Neigung zog und dem ich so viel verdankte, einen Dienst erweisen konnte und versprach, dass ich die Zeichnung so genau und so gut machen werde, als es meine Kraefte gestatten. An einem der folgenden Tage fuhren mein Gastfreund, Eustach, Roland, Gustav und ich in den Sternenhof ab. Das Fest Ein Fest in dem Sinne, wie man das Wort gewoehnlich nimmt, war es nicht, was in dem Sternenhofe vorkommen sollte, sondern es waren mehrere Menschen zu einem gemeinschaftlichen Besuche eingeladen worden, und diese Einladungen hatte man auch nicht eigens und feierlich, sondern nur gelegentlich gemacht. Uebrigens stand es in Hinsicht des Sternenhofes so wie des Asperhofes jedem Freunde und jedem Bekannten frei, zu was immer fuer einer Zeit einen Besuch machen und eine Weile zu bleiben. Als wir am zweiten Tage nach unserer Abreise von dem Asperhofe - wir hatten einen kleinen Umweg gemacht - in dem Sternenhofe eintrafen, waren schon mehrere Menschen versammelt. Fremde Diener, zuweilen seltsam gekleidet, gingen, wie sich das allemal findet, wenn mehrere Familien zusammen kommen, in der Naehe des Schlosses herum oder auf dem Wege zwischen dem Meierhofe und dem Schlosse hin und her. Man hatte einen Teil der Waegen und Pferde in dem Meierhofe untergebracht. Wir fuhren bei dem Tore hinein, und unser Wagen hielt im Hofe. Ich hatte schon, da wir den Huegel hinan fuhren und uns dem Schlosse naeherten, einen Blick auf dessen vorderste Mauer geworfen, an der jetzt die blossen Steine ohne Tuenche sichtbar waren, und hatte mein Urteil schnell gefasst. Mir gefiel die neue Gestalt um Ausserordentliches besser als die fruehere, an welche ich jetzt kaum zurueck denken mochte. Meine Begleiter aeusserten sich waehrend des Hinzufahrens nicht, ich sagte natuerlich auch nichts. Im Hofe naeherten sich Diener, welche unser Gepaecke in Empfang nehmen und Wagen und Pferde unterbringen sollten. Der Hausverwalter fuehrte uns die grosse Treppe hinan und geleitete uns in das Gesellschaftszimmer. Dasselbe war eines von jenen Zimmern, die in einer Reihe fortlaufen und mit den neuen, im Asperhofe verfertigten Geraeten versehen sind. Die Tueren aller dieser Zimmer standen offen. Mathilde sass an einem Tische und eine aeltliche Frau neben ihr. Mehrere andere Frauen und Maedchen so wie aeltere und juengere Maenner sassen an verschiedenen Stellen umher. Auf dem unscheinbarsten Platze sass Natalie. Mathilde so wie Natalie waren gekleidet, wie die Frauen und Maedchen von den besseren Staenden gekleidet zu sein pflegten; aber ich konnte doch nicht umhin, zu bemerken, dass ihre Kleider weit einfacher gemacht und verziert waren als die der anderen Frauen, dass sie aber viel besser zusammen stimmten und ein edleres Gepraege trugen, als man dies sonst findet. Mir war, als saehe ich den Geist meines Gastfreundes daraus hervorblicken, und wenn ich an hoehere Kreise unserer Stadt, zu denen ich Zutritt hatte, dachte, so schien es mir auch, dass gerade dieser Anzug derjenige vornehme sei, nach welchem die Andern strebten. Mathilde stand auf und verbeugte sich freundlich gegen uns. Das taten die Andern auch, und wir taten es gegen Mathilde und gegen die Andern. Hierauf setzte man sich wieder, und der Hausverwalter und zwei Diener sorgten, dass wir Sitze bekamen. Ich setzte mich an eine Stelle, welche sehr wenig auffaellig war. Die Sitte des gegenseitigen Vorstellens der Personen, wie sie fast ueberall vorkoemmt, scheint in dem Rosenhause und in dem Sternenhofe nicht strenge gebraeuchlich sein; denn ich wusste schon mehrere Faelle, in denen es unterblieben war; besonders wenn sich mehrere Menschen zusammen gefunden hatten. Bei der gegenwaertigen Gelegenheit unterblieb es auch. Man ueberliess es eher den Bemuehungen des Einzelnen, sich die Kenntnis ueber eine Person zu verschaffen, an der ihm gelegen war, oder man ueberliess es eher dem Zufalle, miteinander bekannt zu werden, als dass man bei jedem neuen Ankoemmlinge das Verzeichnis der Anwesenden gegen ihn wiederholt haette. Zudem schienen sich hier die meisten Personen zu kennen. Mich wollte man wahrscheinlich aus dem Spiele lassen, weil ich nie, wenn fremde Menschen in den Asperhof gekommen waren, gefragt hatte, wer sie seien. Gustav benahm sich hier auch beinahe wie ein Fremder. Nachdem er sich gegen seine Mutter sehr artig verbeugt, in die allgemeine Verbeugung gegen die Andern eingestimmt und Natalien zugelaechelt hatte, setzte er sich bescheiden auf einen abgelegenen Platz und hoerte aufmerksam zu. Mein Gastfreund und Eustach so wie auch Roland waren in den gebraeuchlichen Besuchkleidern, ich ebenfalls. Mir kamen diese Maenner in ihren schwarzen Kleidern fremder und fast geringer vor als in ihrem gewoehnlichen Hausanzuge. Mein Gastfreund war bald mit verschiedenen Anwesenden im Gespraeche. Allgemein wurde von allgemeinen und gewoehnlichen Dingen geredet, und das Gespraech ging bald zwischen einzelnen, bald zwischen mehreren Personen hin und wider. Ich sprach wenig und fast ausschliesslich nur, wenn ich angeredet und gefragt wurde. Ich sah auf die Versammlung vor mir oder auf manchen Einzelnen oder auf Natalien. Roland rueckte einmal seinen Stuhl zu mir und knuepfte ein Gespraech ueber Dinge an, die uns beiden nahe lagen. Wahrscheinlich tat er es, weil er sich ebenso vereinsamt unter den Menschen empfand wie ich. Nachdem man den Nachmittagstee, bei dem man eigentlich versammelt war, verzehrt und sich schon zum groessten Teile erhoben hatte und in Gruppen zusammen getreten war, wurde der Vorschlag gemacht, sich in den Garten zu begeben und dort einen Spaziergang zu machen. Der Vorschlag fand Beifall. Mathilde erhob sich und mit ihr die aelteren Frauen. Die juengeren waren ohnehin schon gestanden. Ein schoener alter Herr, wahrscheinlich der Gatte der aeltlichen Frau, welche neben Mathilden gesessen war, bot der Hausfrau den Arm, um sie ueber die Treppe hinab zu geleiten, dasselbe tat mein Gastfreund mit der aeltlichen Frau. Einige Paare entstanden noch auf diese Weise, das Andere ging gemischt. Ich blieb stehen und liess die Leute an mir vorueber gehen, um mich nicht vorzudraengen. Natalie ging mit einem schoenen Maedchen an mir vorueber und sprach mit demselben, als sie an mir vorbei ging. Ich war, mit Roland und Gustav, der letzte, welcher ueber die Treppe hinab ging. Im Garten war es so, wie es bei einer groesseren Anzahl von Gaesten in aehnlichen Faellen immer zu sein pflegt. Man bewegte sich langsam vorwaerts, man blieb bald hier, bald da stehen, betrachtete dieses oder jenes, besprach sich, ging wieder weiter, loeste sich in Teile und vereinigte sich wieder. Ich achtete auf alles, was gesprochen wurde, gar nicht. Natalie sah ich mit demselben Maedchen gehen, mit dem sie an mir in dem Gesellschaftszimmer vorueber gegangen war, dann gesellten sich noch ein paar hinzu. Ich sah sie mit ihrem lichtbraunen Seidenkleide zwischen andere hervorschimmern, dann sah ich sie wieder nicht, dann sah ich sie abermals wieder. Gebuesche deckten sie dann ganz. Die jungen Maenner, welche ich in der Gesellschaft getroffen hatte, gingen bald mit dem aelteren Teile, bald mit dem juengeren. Roland und Gustav gesellten sich zu mir, und wenn Gustav fragte, wie es dort aussehe, wo ich jetzt gearbeitet habe, ob hohe Berge sind, weite Taeler, und ob es so freundlich ist wie am Lautersee, und ob ich noch weiter vordringen wolle, und in welche Berge ich dann komme: so sprach Roland wieder von den Anwesenden und nannte mir manchen und erzaehlte mir von ihren Verhaeltnissen. Durch seine Reisen in dem Lande, durch seinen Aufenthalt in Kirchen, Kapellen, verfallenen Schloessern und allen bedeutenderen Orten erfuhr er mehr, als irgend ein Anderer erfahren konnte, und durch sein lebhaftes Wesen und sein gutes Gedaechtnis wurde er zur Erforschung angeleitet und war im Stande, das Erforschte zu bewahren. Die aeltliche Frau, welche wir bei unserem Eintritte in das Gesellschaftszimmer neben Mathilden sitzen gesehen hatten, war die Besitzerin einem grossen Anwesens, etwa eine halbe Tagereise von dem Sternenhofe entfernt. Ihr Name war Tillburg, wie auch ihr Schloss hiess. Sie hatte sich mit allen Annehmlichkeiten und mit allem, was praechtig war, umringt. Ihre Gewaechshaeuser waren die schoensten im Lande, ihr Garten enthielt alles, was in der Zeit als vorzueglich auftauchte und wurde von zwei Gaertnern und einem Obergaertner nebst vielen Gehilfen besorgt, ihre Zimmer wiesen Geraete und Stoffe von allen Hauptstaedten der Welt auf, und ihre Waegen waren das Bequemste und Zierlichste, was man in dieser Art hatte. Gemaelde, Buecher, Zeitschriften, kleine Spielereien waren in ihren Wohnzimmern zerstreut. Sie machte Besuche in der Umgegend und empfing auch solche gerne. Im Winter ist sie selten in ihrem Schlosse und immer nur auf kurze Zeit, sie macht gerne Reisen und haelt sich besonders oft in suedlichen Gegenden auf, von denen sie Merkwuerdigkeiten zurueckbringt. Sie war die einzige Tochter und Erbin ihrer Eltern, ein Bruder, den sie hatte, war in der zartesten Jugend gestorben. Der Mann mit dem freundlichen Angesichte, welcher Mathilden aus dem Saale gefuehrt hatte, war ihr Gatte. Er war ebenfalls das einzige Kind reicher Eltern, die Verbindung hatte sich ergeben, und so waren zwei grosse Vermoegen in eins zusammen gekommen. Er teilte nicht gerade die Liebhabereien seiner Gattin, war ihnen aber auch nicht entgegen. Er hatte keine Leidenschaften, war einfach, machte seiner Gattin, die er sehr liebte, gerne eine Freude und fand in den Reisen derselben, auf denen er sie begleitete, halb sein eigenes Vergnuegen, halb eines, weil er das ihrige teilte. Er verwaltete aber von jeher die Besitzungen sehr einsichtig. Die Tillburg stammt von ihm. Einer von den jungen Maennern, die im Gesellschaftszimmer waren, der schlanke Mann mit den lebhaften dunkeln Augen ist der Sohn, und zwar das einzige Kind dieser Eheleute, er ist gut erzogen worden, und man kann nicht wissen, ob von Tillburg her nicht zartere Beziehungen zu dem Sternenhofe gewuenscht werden. Gustav machte bei diesen Worten eine leichte Seitenbewegung gegen Roland, sah ihn an, sagte aber nichts. Ich erinnerte mich der Tillburg, die ich sehr gut kannte, aber nie betreten hatte. Ich war oefter in ihrer Naehe vorueber gekommen und hatte die vier runden Tuerme an ihren vier Ecken, denen man in der neueren Zeit eine lichte Farbe gegeben hatte, eine Tuenche, wie man sie gerade jetzt von dem Sternenhofe wieder weg haben will, nicht angenehm empfunden, wie sie sich so scharf von dem Gruen der nahen Baeume und dem Blau der fernen Berge und des Himmels abhoben, welchen letzteren sie beinahe finster machten. "Der kleinere Mann mit den weissen Haaren, der in der Naehe des mittleren Fensters gesessen und oefter aufgestanden war", fuhr Roland fort, "ist der Besitzer von Hassberg. Sein Vater hatte die Besitzung erst gekauft und sie urspruenglich fuer einen juengeren Sohn bestimmt, da der aeltere das Stammgut Weissbach erben sollte; allein der juengere Sohn und der Vater starben, und so hatte der aeltere Weissbach und Hassberg. Er uebergab nach einiger Zeit seinem Sohne das Stammgut und zog sich nach Hassberg zurueck. Er ist einer jener Maenner, die immer erfinden und bauen muessen. In Weissbach hat er schon mehrere Bauten aufgefuehrt. In Hassberg richtete er eine Musterwirtschaft ein, er verbesserte die Felder und Wiesen und friedigte sie mit schoenen Hecken ein, er errichtete einen auserlesenen Viehstand und fuehrte in geschuetzten Lagen den Hopfenbau ein, der sich unter seine Nachbarn verbreitete und eine Quelle des Wohlstandes eroeffnete. Er daemmte dem Ritflusse Wiesen ab, er mauerte die Ufer des Muehlbaches heraus, er baute eine Flachsroestanstalt, baute neue Staelle, Scheuern. Trockenhaeuser, Bruecken, Stege, Gartenhaeuser, und aendert im Innern des Schlosses bestaendig um. Er ist im Laufe des ganzen Tages mit Nachschauen und Anordnen beschaeftigt, zeichnet und entwirft in der Nacht, und wenn irgendwo im Lande ueber Fuehrung einer Strasse oder Anlegung eines Bewirtschaftungsplanes oder Errichtung eines Gebaeudes Rat gepflogen wird, so wird er gerufen, und er macht bereitwillig die Reisen auf seine eigenen Kosten. Selbst bei der Regierung des Landes ist sein Wort nicht ohne Bedeutung. Die Frau mit dem aschgrauen Kleide ist seine Gattin, und die zwei Maedchen, welche vor Kurzem mit Natalie gegen die Eichen zugingen, sind seine Toechter. Frau und Toechter reden ihm zu, er solle sich mehr Ruhe goennen, da er schon alt wird, er sagt immer: >Das ist das Letzte, was ich baue<; allein ich glaube, den letzten Plan zu einem Baue wird er auf seinem Totenbette machen. Unser Freund haelt in diesen Dingen grosse Stuecke auf ihn." Da wir um die Ecke eines Gebuesches bogen und gegen die Eichen, welche an der Eppichwand stehen, zugingen, sahen wir wieder eine Menschengruppe vor uns. Roland, der einmal im Zuge war, sagte: "Der Mann in dem feinen schwarzen Anzuge, vor dem seine Gattin in dem nelkenbraunen Seidenkleide geht, ist der Freiherr von Wachten, dessen Sohn hier ebenfalls zugegen ist, ein Mann von mittelgrosser Gestalt, der im Gesellschaftszimmer so lange am Eckfenster gestanden war, ein junger Mann von vielen angenehmen Eigenschaften, der aber zu oft in den Sternenhof koemmt, als dass es sich durch blossen Zufall erklaeren liesse. Der Freiherr verwaltet seine Besitzungen gut, er hat keine besondere Vorliebe, haelt alles und jedes in der ihm zugehoerigen Ordnung und wird immer reicher. Da er nur den einzigen Sohn und keine Tochter hat, so wird die kuenftige Gattin seines Sohnes eine sehr ansehnliche und sehr reiche Frau. Die Familie lebt im Winter haeufig in der Stadt. Die Gueter liegen etwas zerstreut. Thondorf mit den schoenen Wiesen und dem grossen Waldgarten muesst ihr ja kennen." "Ich kenne es", antwortete ich. "Auf dem Randek hat er ein zerfallendes Schloss", fuhr Roland fort, "in welchem wunderschoene Tueren sind, die aus dem sechzehnten Jahrhunderte stammen duerften. Der Verwalter raet ihm, die Tueren nicht herzugeben, und so zerfallen sie nach und nach. Sie sind in unsern Zeichnungsbuechern enthalten und wuerden Gemaecher, im Stile jener Zeit gebaut und eingerichtet, sehr zieren. Sogar zu Tischen oder anderen Dingen, falls man sie als Tueren nicht verwenden koennte, wuerden sie sehr brauchbar sein. Ich habe auch in der sehr zerfallenen Kapelle von Randek ausserordentlich schoene Tragsteine gezeichnet. Meistens wohnt der Freiherr im Sommer in Wahlstein, schon ziemlich tief in den Bergen, wo die Elm hervorstroemt." "Ich kenne den Sitz", antwortete ich, "und kenne auch die Familie im Allgemeinen." "Der Mann mit den schneeweissen Haaren", sprach Roland weiter, "heisst Sandung, er veredelt die Schafzucht, und der eine von den zwei neben ihm gehenden Maennern ist der Besitzer des sogenannten Berghofes, ein allgemein geachteter Mann, und der andere ist der Oberamtmann von Landegg. Es fehlen noch die vom Inghof, dann sind mehrere Vertreter der hier herum wohnenden Leute vorhanden. Ich teile sie, wenn ich in meiner Liebhaberei im Lande herum reise, nach ihren Liebhabereien in Gruppen ein, und man koennte eine Landmappe so nach diesen Liebhabereien mit Farben zeichnen, wie ihr die Gebirge mit Farben zeichnet, um das Vorkommen der verschiedenen Gesteine anzuzeigen." Da wir wieder eine Wendung machten, ganz nahe an der rechten Seite der Eppichwand, ging Mathilde mit der Frau von Tillburg auf einem Nebenwege gegen uns hervor. Sie blieb vor uns stehen und sagte zu mir: "Ihr habt meiner Brunnennymphe nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt als ihr solltet; ihr zieht die Gestalt auf der Treppe unsers Freundes zu sehr vor. Sie verdient es wohl; allein ihr muesst doch die hiesige auch ein wenig genauer ansehen und sie mir ein wenig schoen heissen." "Ich habe sie schoen geheissen", erwiderte ich, "und wenn meine ganz unbedeutende Meinung etwas gilt, so soll ihr die Anerkennung gewiss nicht entgehen." "Wir besuchen nun ohnehin alle die Grotte", entgegnete sie. Nach diesen Worten ging sie mit ihrer Begleiterin auf dem Hauptwege gegen die Eppichwand vor, wir folgten. Die Anderen kamen in verschiedenen Richtungen herzu, und man ging zu der Marmorgestalt in der Brunnenhalle. Einige gingen hinein, Andere blieben mehr am Eingange stehen, und man redete ueber die Gestalt. Diese ruhte indessen in ihrer Lage, und die Quelle rann sanft und stetig fort. Es waren nur allgemeine Dinge, welche ueber das Bildwerk gesprochen wurden. Mir kam es fremd vor, die geputzten Menschen in den verschiedenfarbigen Kleidern vor dem reinen, weissen, weichen Marmor stehen zu sehen. Roland und ich sprachen nichts. Man entfernte sich wieder von dem Marmor, ging langsam an der Eppichwand hin und stieg die Stufen zu der Aussicht empor. Auf dieser verteilte man eine Zeit und ging dann gegen die Linden zurueck. Nach Betrachtung der Linden und des schoenen Platzes unter ihnen begab sich der Zug wieder auf den Rueckweg in das Schloss. Eustach hatte ich beinahe die ganze Zeit nicht gesehen. Zugleich mit uns kamen im Schlosse Waegen an, in denen die von Ingheim und noch einige Gaeste sassen. Nachdem man sich bewillkommt hatte und nachdem die Angekommenen sich von den ueberfluessigen Reisekleidern befreit hatten, teilte sich, wie es bei aehnlichen Gelegenheiten stets vorkoemmt, die Gesellschaft in Gruppen, von denen einige vor dem Hause standen und plauderten, andere auf den Sandwegen im Rasen herumgingen, wieder andere gegen den Meierhof wandelten. Als die Abendroete hinter den Baeumen erschien, die in schoenen Zeilen im Westen des Schlosses die Felder saeumten, und als ihr Gluehen immer blaesser wurde und dem Gelb des Spaetabends Platz machte, sammelten sich die Leute wieder. Die einen kehrten von ihrem Spaziergange, die anderen von ihrem Gespraeche, die dritten von ihrer Betrachtung verschiedener Gegenstaende zurueck, und man begab sich in das Speisezimmer. In demselben begann nun ein Abend, wie sie auf dem Lande, wo man von dem Umgange mit Seinesgleichen viel ausgeschlossener ist, zu den vergnuegtesten gehoeren. Ich habe diese Betrachtung, da ich im Sommer immer ferne von der Stadt war, oefter machen koennen. Da man Menschen, mit denen man gleiche Gesinnungen und gleiche Meinungen hat, auf dem Lande viel seltener sieht als in der Stadt, da man mit dem Raume nicht so kargen muss wie in der Stadt, wo jede Familie nur das mit vielen Kosten erschwingt, was sie fuer sich und naechste Angehoerige braucht, da die Lebensmittel auf dem Lande gewoehnlich aus der ersten und unmittelbaren Quelle bei der Hand sind, auch strenge Anforderungen hierin nicht gemacht werden: so ist man auf dem Lande viel gastfreundlicher als in der Stadt, und Gelegenheiten, wo man sich in einem Zimmer und um einen Tisch versammelt, werden da viel froehlicher, ungezwungener und auch herzliches begangen, weil man sich freut, sich wieder zu sehen, weil man um alles fragen will, was sich an den verschiedenen Stellen, woher die Ankoemmlinge gekommen sind, zugetragen hat, weil man die eigenen Erlebnisse mitteilen und weil man seine Ansichten austauschen will. Der Tisch war schon gedeckt, der Hausverwalter wies allen ihre Plaetze an, die zur Vermeidung von dennoch moeglichen Verwirrungen noch ueberdies durch von seiner Hand geschriebene Zettel bezeichnet waren, und man setzte sich. Der Mann hatte gesorgt, dass solche, die sich gut kannten, nahe zusammen kamen. Dessohngeachtet schritt man mit der Freimuetigkeit des Landes und alter Bekannter dazu, die Zettel noch zu verwechseln und sich gegen die Anordnungen des Mannes zusammen zu setzen. Von der Decke des Zimmers hing eine sanft brennende Lampe hernieder, und ausser ihr wurde die Tafel noch durch verteilte strahlende Kerzen erhellt. Mathilde nahm den Mittelsitz ein und richtete ihre Freundlichkeit und ihr ruhiges Wesen gegen alle, die in ihrem Bereiche waren, und selbst gegen die entferntesten Plaetze suchte sie ihre Aufmerksamkeit zu erstrecken. Die bekannteren und aelteren Gaeste sassen ihr zunaechst, die juengeren entfernter. Julie, die Tochter Ingheims mit den heiteren braunen Augen, sass mir fast gegenueber, ihre Schwester, die blauaeugige Apollonia, etwas weiter unten. Sie hatten sehr geschmackvolle Kleider an, das Geschmeide, das sie trugen, haette, wie ich meinte, etwas weniger sein sollen. Neben beiden sassen die jungen Maenner Tillburg und Wachten. Natalie sass zwischen Eustach und Roland. Ob es so angeordnet, ob es ihre eigene Wahl war, wusste ich nicht. Man trug ein einfaches Mahl auf, und froehliche Gespraeche belebten es. Man sprach von den Begebnissen der Gegend, man neckte sich mit kleinen Erlebnissen, man teilte sich Erfahrungen mit, die man in seinem Kreise gemacht hatte, man sprach von Buechern, die in der Gegend neu waren, und beurteilte sie, man erzaehlte, was man im Bereiche seiner Liebhaberei Neues erworben, was man fuer Reisen gemacht und was man fuer fernere vorhabe. Auch auf die Geschichte des Landes kam es, auf seine Verwaltung, auf Verbesserungen, die zu machen waeren, und auf Schaetze, die noch ungehoben liegen. Selbst Wissenschaft und Kunst war nicht ausgeschlossen. Mancher Scherz erheiterte die Anwesenden, und man schien sehr vergnuegt, sich so in einen Kreis versammelt zu haben, wo sich Neues ergab und wo man Altes wieder beleben konnte. Nach ein paar schnell vergangenen Stunden stand man auf, die Lichter zu dem Gange in die verschiedenen Schlafgemaecher wurden angezuendet, und man begab sich allmaehlich zur Ruhe. Am andern Morgen nach dem Fruehmahle, da die hoeher gestiegene Sonne die Graeser bereits getrocknet hatte, begab man sich in das Freie, um das Urteil ueber die Arbeiten an der Vorderseite des Hauses zu faellen. Alle gingen mit. Selbst Dienerschaft stand seitwaerts in der Naehe, als ob sie wuesste, was geschehe - und sie wusste es wohl auch - und als ob sie sich dabei beteiligen sollte. Man ging einige hundert Schritte von der Vorderseite des Hauses weg, wendete sich dann um, blieb im Grase stehen und betrachtete die von der Tuenche befreite Wand. Hierauf umging man in einem weiten Bogen eine Ecke des Hauses, um auch eine Wand zu sehen, auf welcher sich noch die Tuenche befand. Nachdem man Beides wohl angeschaut hatte, nahm man einen Stand ein, der beide Ansichten gestattete. Nach und nach wurden Meinungen laut. Man fragte zuerst die aelteren und ansehnlicheren Gaeste. Diese gaben fast alle ihr Urteil unbestimmt und mit Vorsicht ab. Beide Einrichtungen haetten ihr Gutes, an beiden wird etwas auszustellen sein, und es komme auf Geschmack und Vorliebe an. Da das Gespraech allgemeiner wurde, traten schon manche Meinungen abgeschlossener hervor. Einige sagten, es sei etwas Besonderes und nicht ueberall Vorkommendes, die nackten Steine aus einer Wand stehen zu lassen. Wenn die Kosten nicht zu scheuen sind, moege man es an dem ganzen Schlosse so machen, und man habe dann etwas sehr Eigenes. Andere meinten, es sei doch ueberall Sitte, die Waende selbst gegen Aussen mit einer Tuenche zu bekleiden, ein licht getuenchtes Haus sei sehr freundlich, darum haetten auch die Vorbesitzer des Hauses so getan, um sein Ansehen dem neuen Geschmacke naeher zu bringen. Darauf sagten wieder Andere, die Gedanken der Menschen seien wechselvoll, einmal habe man die grossen viereckigen Steine, aus denen das Aeussere dieser Waende bestehe, nackt hervor sehen lassen, spaeter habe man sie ueberstrichen, jetzt sei eine Zeit gekommen, wo man wieder auf das Alte zurueck gehe und es verehre, man koenne also die Steine wieder nacktlegen. Mein Gastfreund vernahm die Meinungen, und antwortete in unbestimmten und nicht auf eine einzelne Ansicht gestellten Worten, da alles, was gesagt wurde, sich ungefaehr in demselben Kreise bewegte. Mathilde sprach nur Unbedeutendes, und Eustach und Roland schwiegen ganz. Von der feurigen Natur des letzten wunderte es mich am meisten. Ich schloss aus dieser Tatsache, dass meine Freunde ihre Meinung entweder schon gefasst hatten oder dass sie dieselbe erst fuer sich fassen wollten. Diese eben abgehaltene Beschau erschien mir also etwas Allgemeines, Unwesentliches, als eine nachbarliche Artigkeit, als eine Gelegenheit, zusammen zu kommen, um sich gemeinschaftlich zu sehen und zu sprechen, wie man es bei andern Anlaessen auch tut. Mir erschien die Blosslegung der Steine unbedingt als das Natuerlichste. Wie ich wohl schon erkennen gelernt hatte, ist bei Denkmaelern - und je groesser und wuerdiger sie sein sollen, um desto mehr ist dies der Fall - der Stoff nicht gleichgueltig, und dann darf er aber nicht mit Fremdartigem vermengt werden. Ein Siegesbogen, selbst wenn er unter Dach steht, darf von Marmor sein, weniger schon von Ziegeln oder Holz, ganz und gar nicht von gegossenem Eisen oder festgeklebtem Papier. Eine Bildsaeule kann von Marmor, Metall oder Holz sein, weniger von groben Steinen, ganz und gar nicht von allerlei zusammengefuegten Bestandteilen. Unsere neuen Haeuser, die nur bestimmt sind, Menschen aufzunehmen, um ihnen Obdach zu geben, haben nichts Denkmalartiges, sei es ein Denkmal fuer den Glanz einer Familie, sei es ein Denkmal der abgeschlossenen und wohlgenossenen Wohnlichkeit fuer irgend ein Geschlecht. Darum werden sie fachartig aus Ziegeln gebaut und mit einer Schicht ueberstrichen, wie man auch lackiertes Geraete macht oder kuenstliches Gestein malt. Schon die aus blossem Holze zur Wohnung eines Geschlechtes in unseren Gebirgslaendern (nicht zur Spielerei in Gaerten) erbauten Haeuser haben Denkmalartiges, noch mehr die Schloesser, die aus festen Steinen gefuegt sind, die Torbogen, die Pfeiler, die Bruecken und noch mehr die aus Stein gebauten Kirchen. Daraus ergab sich mir von selber, dass diejenigen, die dieses Schloss so bauten, dass die Aussenseiten der Waende fest gefuegte viereckige, unbestrichene Steine sind, Recht gehabt haben, und dass die, welche die Steine bestrichen, im Unrechte waren, und dass die, welche sie wieder bloss legen, abermals im Rechte sind. Ich sah, dass man an saemtlichen Steinen, weil sonst die Kalktuenche nicht zu vertilgen gewesen waere, die Oberflaeche mit scharfen Haemmern erneuert hatte. Dies gab wohl den Steinen etwas, das ein lichteres Grau ist, als die alten Simse und Tragsteine hatten, die nicht getuencht waren; allein durch Zeit und Wetter werden sich auch die erneuerten Steinoberflaechen wieder dunkler faerben. Man ging, da man eine Weile gesprochen hatte, obwohl ein eigentliches Urteil nicht gefaellt worden war, wieder in das Haus zurueck, und auch die Dienerschaft, welche zugeschaut hatte, ging auseinander, gleichsam als ob die Sache jetzt aus waere. In dem Hause zerstreuten sich die Gaeste, manche begaben sich in Zimmer, manche gingen in das Freie. Ich nahm in meinem Schlafgemache, wozu mir das nehmliche Zimmer, welches ich frueher bewohnt hatte, angewiesen worden war, einen leichteren Hut und einen bequemeren Rock und ging dann auch in den Garten. Ich ging ganz allein in einem dunkeln Gange zwischen Gebueschen hin, und es war mir wohl, dass ich allein war. Ich schlug die abgelegenen, wenig gangbaren und auch weniger im Stande gehaltenen Wege ein, damit ich niemanden begegne und damit sich niemand zu mir geselle. Es war auch wirklich kein Mensch in den Gaengen, und ich sah nur kleine Voegel, welche ungescheut in ihnen liefen und Futter von der Erde pickten. Ich umging den Lindenplatz und kam hinter ihm aus dem Gebuesche heraus. Von da ging ich in einem grossen Umwege der Eppichwand zu und hatte vor, in die Nymphengrotte zu treten, wenn niemand in ihr waere. Als ich schon nahe an der Grotte war und schief in dieselbe blicken konnte, sah ich, dass Natalie auf dem Marmorbaenklein sitze, welches sich seitwaerts von der Nymphengestalt befand. Sie sass an dem innersten Ende des Baenkleins. Ihr blassgraues Seidenkleid schimmerte aus der dunkeln Hoehlung heraus. Einen Arm liess sie an ihrer Gestalt ruhen, den andern hatte sie auf die Lehne des Baenkleins gestuetzt und barg die Stirn in ihrer Hand. Ich blieb stehen und wusste nicht, was ich tun sollte. Dass ich nicht in die Grotte gehen wolle, war mir klar; allein die kleinste Wendung, die ich machte, konnte ein Geraeusch erregen und sie stoeren. Aber ohne dass ich ein Geraeusch machte, sah sie auf und sah mich stehen. Sie erhob sich, ging aus der Grotte, ging mit beeilten Schritten an der Eppichwand hin und entfernte sich in das Gebuesch. In Kurzem sah ich den Schimmer ihres Kleides verschwinden. Eine ganz kleine Zeit blieb ich stehen, dann ging ich in die Grotte hinein. Ich setzte mich auf dieselbe Marmorbank, auf der sie gesessen war und sah in das Rinnen des Wassers, sah auf die einsame Alabasterschale, die neben dem Becken stand, und sah auf den ruhigen, glaenzenden Marmor. Ich sass sehr lange. Da sich Stimmen naeherten und da ich vermuten musste, dass man die Brunnengestalt besuchen wuerde, stand ich auf, ging aus der Grotte, ging in das Gebuesch und begab mich auf denselben Wegen, auf denen ich gekommen war, in das Schloss zurueck. Der Mittag vereinigte noch einmal alle Gaeste bei dem Mahle. Mehrere von ihnen hatten beschlossen, gleich nach demselben fort zu fahren, um noch vor der Nacht ihre Heimat zu erreichen. Man brachte einen froehlichen Trinkspruch aus auf die schoene Gestaltung des Schlosses und einen Dank fuer die herzliche Bewirtung. Der Spruch wurde mit einem Wunsche fuer das Wohl der Gesellschaft und fuer baldiges Wiedersehen erwidert. Die heitere Sommersonne verklaerte das Zimmer, und die Blumen des Gartens schmueckten es. Nach dem Mahle fuhren mehrere der Gaeste fort, und im Laufe des Nachmittages entfernten sich alle. Wir, die nach dem Asperhofe mussten, hatten beschlossen, morgen frueh abzufahren. Bei dem Abendessen kam das Gespraech auf das Unternehmen an dem Hause. Ich sah, dass die Uebriggebliebenen schon einig waren. Es sprach nun mein Gastfreund, es sprachen Eustach und Roland. Sie hatten alle meine Ansicht. Ich wurde aufgefordert, auch meine Meinung zu sagen. Ich sprach sie nach meiner innern Empfindung aus. Alle mochten sie wohl so erwartet haben. Ueber den Aufwand zur Deckung der kuenftigen Kosten sprach mein Gastfreund mit Mathilden besonders. Durch das Abschlagen der Steine mit scharfen Haemmern hatten sich die Auslagen groesser gezeigt, als man Anfangs vermuten konnte. Mein Gastfreund riet daher, dass man die Arbeit auf laengere Fristen ausdehnen solle, wodurch die Kosten weniger empfindlich wuerden und, da doch das Schaffen des Schoenen das Vergnuegen bilde, dieses Vergnuegen sich verlaengere. Man billigte den Vorschlag und freute sich auf das Wachsen des Edleren und freute sich auf den Augenblick, wenn das Haus in einem wuerdigen Gewande da stehen wuerde und man die Beruhigung haette, es so dem kuenftigen Besitzer uebergeben zu koennen. Mit dem Anbruche des naechsten Tages fuhren mein Gastfreund, Eustach, Roland, Gustav und ich auf dem Wege nach dem Rosenhause dahin. Als ich in Hinsicht der eben zugebrachten Tage etwas ueber das Landleben sagte und die Annehmlichkeiten desselben beruehrte, und als wir eine Zeit ueber diesen Gegenstand gesprochen hatten, sagte mein Gastfreund: "Das gesellschaftliche Leben in den Staedten, wenn man es in dem Sinne nimmt, dass man immer mit fremden Personen zusammen ist, bei denen man entweder mit andern zum Besuche ist, oder die mit andern bei uns sind, ist nicht erspriesslich. Es ist das nehmliche Einerlei wie das Leben in Orten, die den grossen Staedten nahe sind. Man sehnt sich, ein anderes Einerlei aufzusuchen; denn wohl ist jedes Leben und jede Aeusserung einer Gegend ein Einerlei, und es gewaehrt einen Abschluss, von dem einen Einerlei in ein anderes ueber zu gehen. Aber es gibt auch ein Einerlei, welches so erhaben ist, dass es als Fuelle die ganze Seele ergreift und als Einfachheit das All umschliesst. Es sind erwaehlte Menschen, die zu diesem kommen und es zur Fassung ihres Lebens machen koennen." "In der Weltgeschichte koemmt wohl Aehnliches vor", sagte ich. "In der Weltgeschichte koemmt es vor", antwortete er, "wo ein Mensch durch eine grosse Tat, die sein Leben erfuellt, diesem Leben eine einfache Gestalt geben kann, abgeloest von allem Kleinlichen - in der Wissenschaft, wo ein grossartiges Feld hoechsten Erringens vor dem Menschen liegt - oder in der Klarheit und Ruhe der Lebensanschauungen, die endlich Alles auf einige ausgedehnte, aber einfaeltige Grundlinien zurueck fuehrt. Jedoch sind auch hier Masse und Abstufungen wie in allen andern Dingen des Lebens." "Von den zwei Hauptzeitraeumen, welche das menschliche Geschlecht betroffen haben", erwiderte ich, "von dem sogenannten antiken und dem heutigen, duerfte wohl der griechisch-roemische das Meiste von dem Gesagten aufzuweisen haben." "Wir wissen zuletzt gar nicht, welche Zeitraeume es in der Geschichte gegeben hat", antwortete er. "Die Griechen und Roemer sind unserer Zeit am naechsten, wir sind aus ihnen hervor gegangen und wissen von ihnen auch das Meiste. Wer weiss, wie viele Voelkerabschnitte es gegeben hat und wie viele unbekannte Geschichtsquellen noch verborgen sind. Wenn einmal ganze Reihen solcher Voelkerzustaende wie Griechen- und Roemertum vorliegen, dann laesst sich eher ueber unsere Frage etwas sagen. Oder sind etwa solche Reihen nur dagewesen und vergessen worden, und werden ueberhaupt die hintersten Stuecke der Weltgeschichte vergessen, wenn sich vorne neue ansetzen und ihrer Entwicklung entgegen eilen? Wer wird dann nach zehntausend Jahren noch von Hellenen oder von uns reden? Ganz andere Vorstellungen werden kommen, die Menschen werden ganz andere Worte haben, mit ihnen in ganz anderen Saetzen reden, und wir wuerden sie gar nicht verstehen, wie wir nicht verstehen wuerden, wenn etwas zehntausend Jahre vor uns gesagt worden waere und uns vorlaege, selbst wenn wir der Sprache maechtig waeren. Was ist dann jeder Ruhm? Aber kehren wir zu unserem Gegenstande zurueck und sehen wir von Aegyptern, Assyrern, Indern, Medern, Hebraeern, Persern, von denen Kunde zu uns herueber gekommen ist, ab und vergleichen wir uns nur allein mit der griechisch-roemischen Welt, so duerfte in ihr wirklich mehr einfache Lebensgroesse gelegen sein als in der unsern liegt. Ich verwundere mich oft, wenn ich in der Lage bin, zu entscheiden, welchen von beiden ich den Preis geben soll, Caesars Taten oder Caesars Schriften, wie sehr ich im Schwanken begriffen bin und wie wenig ich es weiss. Beides ist so klar, so stark, so unbeirrt, dass wir wenig desgleichen haben duerften." "Jene alten Verhaeltnisse des Handelns und Denkens waren aber, wie ich glaube, auch weniger verwickelt als die unsrigen", sagte ich. "Sie hatten einen nicht so ausgedehnten Schauplatz wie wir", erwiderte er, "obwohl auch der Platz der Taten zu Caesars Zeit - Britannien, Gallien, Italien, Asien, Afrika -, oder zu Alexanders Zeit - Griechenland und Orient - nicht ganz klein war. Ihre Verhaeltnisse nach Aussen gestalteten sich daher leichter; aber im Innern duerften sie bei der grossen Zahl der mithandelnden Personen, von denen die meisten Stimme und Gewalt in Staatsdingen hatten, nicht so leicht gewesen sein, und die Macht, diese Gemueter durch Wort, Erscheinung und Handlung zu gewinnen und zu leiten, duerfte schwierig zu erwerben gewesen sein und duerfte eben dem Wesen eines Mannes die feste Gestalt aufgedrueckt haben, die wir so oft an ihm bewundern. Unsere Zeit ist eine ganz verschiedene. Sie ist auf den Zusammensturz jener gefolgt und erscheint mir als eine Uebergangszeit, nach welcher eine kommen wird, von der das griechische und roemische Altertum weit wird uebertroffen werden. Wir arbeiten an einem besondern Gewichte der Weltuhr, das den Alten, deren Sinn vorzueglich auf Staatsdinge, auf das Recht und mitunter auf die Kunst ging, noch ziemlich unbekannt war, an den Naturwissenschaften. Wir koennen jetzt noch nicht ahnen, was die Pflege dieses Gewichtes fuer einen Einfluss haben wird auf die Umgestaltung der Welt und des Lebens. Wir haben zum Teile die Saetze dieser Wissenschaften noch als totes Eigentum in den Buechern oder Lehrzimmern, zum Teile haben wir sie erst auf die Gewerbe, auf den Handel, auf den Bau von Strassen und aehnlichen Dingen verwendet, wir stehen noch zu sehr in dem Brausen dieses Anfanges, um die Ergebnisse beurteilen zu koennen, ja wir stehen erst ganz am Anfange des Anfanges. Wie wird es sein, wenn wir mit der Schnelligkeit des Blitzes Nachrichten ueber die ganze Erde werden verbreiten koennen, wenn wir selber mit grosser Geschwindigkeit und in kurzer Zeit an die verschiedensten Stellen der Erde werden gelangen, und wenn wir mit gleicher Schnelligkeit grosse Lasten werden befoerdern koennen? Werden die Gueter der Erde da nicht durch die Moeglichkeit des leichten Austauschens gemeinsam werden, dass Allen Alles zugaenglich ist? Jetzt kann sich eine kleine Landstadt und ihre Umgebung mit dem, was sie hat, was sie ist und was sie weiss, absperren: bald wird es aber nicht mehr so sein, sie wird in den allgemeinen Verkehr gerissen werden. Dann wird, um der Allberuehrung genuegen zu koennen, das, was der Geringste wissen und koennen muss, um Vieles groesser sein als jetzt. Die Staaten, die durch Entwicklung des Verstandes und durch Bildung sich dieses Wissen zuerst erwerben, werden an Reichtum, an Macht und Glanz vorausschreiten und die andern sogar in Frage stellen koennen. Welche Umgestaltungen wird aber erst auch der Geist in seinem ganzen Wesen erlangen? Diese Wirkung ist bei Weitem die wichtigste. Der Kampf in dieser Richtung wird sich fortkaempfen, er ist entstanden, weil neue menschliche Verhaeltnisse eintraten, das Brausen, von welchem ich sprach, wird noch staerker werden, wie lange es dauern wird, welche Uebel entstehen werden, vermag ich nicht zu sagen; aber es wird eine Abklaerung folgen, die Uebermacht des Stoffes wird vor dem Geiste, der endlich doch siegen wird, eine blosse Macht werden, die er gebraucht, und weil er einen neuen menschlichen Gewinn gemacht hat, wird eine Zeit der Groesse kommen, die in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Ich glaube, dass so Stufen nach Stufen in Jahrtausenden erstiegen werden. Wie weit das geht, wie es werden, wie es enden wird, vermag ein irdischer Verstand nicht zu ergruenden. Nur das scheint mir sicher, andere Zeiten und andere Fassungen des Lebens werden kommen, wie sehr auch das, was dem Geiste und Koerper des Menschen als letzter Grund inne wohnt, beharren mag." Wir gingen nun in manches Einzelne dieses Stoffes ein, behandelten es im Fahren und suchten die moeglichen Folgen anzugeben. Besonders wurden Zweige der Naturwissenschaften genannt, welche vorzugsweise vorgeschritten waren und Einfluss zu gewinnen schienen, wie die Chemie und andere. Roland war entschieden fuer Neuerung, wenn sie auch Alles umstuerzte, mein Gastfreund und Eustach hegten den Wunsch, dass jenes Neue, welches bleiben soll, weil es gut ist - denn wie vieles Neue ist nicht gut -, nur allgemach Platz finden und ohne zu grosse Stoerung sich einbuergern moechte. So ist der Uebergang ein laengerer, aber er ist ein ruhigerer und seine Folgen sind dauernder. Nach dem Mittagsessen kam das Gespraech auf die Brunnennymphe im Sternenhofe, und mein Gastfreund erzaehlte mir, wie sie erworben worden war. Ein Mann, der entfernt mit Mathilden verwandt war, hatte zu seinem grossen Vermoegen noch Erbschaften gemacht. Er verlegte sich auf Sammlungen. Er hatte Muenzen, er hatte Siegel, er hatte keltische und roemische Altertuemer, Musikgeraete, Tulpen und Georginen, Buecher, Gemaelde und Bildsaeulen. Er baute in seinem Garten an sein Haus, welches etwas erhoeht stand, eine grosse Flaeche, die er mit Steinen pflasterte und von welcher kuenstliche steinerne Stufen in mehreren Richtungen nach dem Garten hinab gingen. Auf die Bruestungen dieser Flaeche und auf die Einfassungen der Treppen wurden Bildsaeulen gesetzt. Es gehoerte zu den groessten Vergnuegungen des Mannes, auf der Flaeche hin und her zu gehen. Das tat er auch oft, wenn die heisseste Sonne am Himmel stand und das Pflaster in die Sohlen brannte. Ausserdem hatte er auch noch Bildsaeulen auf den Treppen des Hauses und in den Zimmern. Die Nymphe, welche jetzt Mathilde besitzt, hatte er in einem Brunnentempel im Garten. Er hatte sie von seinem Grossoheime geerbt. Sie soll zu den Jugendzeiten desselben von einem italienischen Bildhauer fuer einen Fuersten verfertigt worden sein, dessen schneller Todfall das Uebergehen an ihre Bestimmung vereitelte. So kam sie nach mehreren Zufaellen an den Grossoheim, der Verbindungen mit dem Kuenstler hatte. Man sagt, diese Bildsaeule sei der Anfang zu der Bildsaeulenliebhaberei des Vetters Mathildens gewesen. Als dieser Mann starb, fand sich ein letzter Wille geschrieben vor, dass alle Kunstwerke an Kunstkenner oder Kunstliebhaber, nicht aber an Haendler verkauft werden und dass das Geld dafuer und die anderen Dinge, die er hinterlassen, und zwar letztere nach einem Schaetzungswerte, unter seine entfernten Verwandten verteilt werden sollten; denn Kinder oder naehere Verwandte hatte er nicht. Da nun die Nymphe weitaus das schoenste Kunstwerk war, welches er besass, da Mathilde es immer bewundert hatte, da sie schon im Besitze des Sternenhofes war und in demselben schon schoene Gemaelde untergebracht hatte: so war es ihr nicht schwer, sich als eine Kunstliebhaberin auszuweisen und das Bildwerk anzukaufen. Man goennte es ihr mehr als einem Fremden, weil auf diese Weise das Kunstwerk gewissermassen in der Familie blieb und sie ueberdies auch mehr in die gemeinschaftliche Erbschaft zahlte, als ein Fremder getan haben wuerde. Sie brachte das ihr so liebe Werk in den Sternenhof und stellte es dort in einem Saale auf. Erst lange darnach wurde durch Eustachs und meines Gastfreundes Bemuehungen zwischen den Eichen, die schon standen, die Eppichwand und die Quellengrotte gebaut und so der Gestalt ein wuerdiger und wirkungsvollerer Aufenthaltsort gegeben, da sie fuer den Saal doch immer zu gross und ihre Stellung und ihre Beschaeftigung unpassend gewesen war. Den Krug, aus welchem das Wasser rann, hatte sie schon, das Becken und die Bank sind neu gemacht worden, die Alabasterschale hat Mathilde aus ihrem Besitztume dazu gegeben. Wir kamen am Abende im Rosenhause an. Am andern Tage bat ich meinen Gastfreund, er moege erlauben, dass ich eine Nachzeichnung von der Zeichnung des Kerberger Altares, die er besitze, mache, und diese Zeichnung meinem Vater zum Geschenke bringe. Er erlaubte es sehr gerne. Die Zeichnung war nach dem Vorschlage, welcher auf der Reise in das Hochland gemacht worden war, von Roland verbessert worden, und so wurde sie mir uebergeben. Ich schloss mich in mein Zimmer ein und arbeitete mehrere Tage fleissig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, bis ich mit der Zeichnung fertig war. Ich verpackte sie nun sehr wohl und gab meinem Gastfreunde die Urzeichnung zurueck. Nun hielt ich mich nicht mehr laenger in dem Asperhofe auf und eilte in die Tann. Ich stieg dort auf Berge, ich arbeitete sehr angestrengt, ich spielte sehr viel auf meiner Zither und las in meinen Buechern. Eines Tages gegen den Spaetsommer hin hoerte ich mit Allem auf. Ich packte meine Kisten, tat die Werkzeuge und die Schriften, die sich auf meine Arbeiten bezogen, in ihre Faecher und Koffer, entliess fast alle Leute, versah die Kisten mit Aufschriften, verordnete ihre Versendung und ging dann in das Lauterthal. Dort nahm ich nur den alten Kaspar und von den jungen Maennern einen, der mir besonders lieb geworden war, und beschloss, die Messung des Lautersees zu Ende zu bringen. Ich mietete mich in dem Seewirtshause ein, richtete alle Geraete, welche mir zu meinem Vorhaben noetig waren, zurecht, liess diejenigen neu verfertigen, welche ich nicht hatte, und ging ans Werk. Ich arbeitete recht fleissig. So lange das Licht des Tages leuchtete, waren wir auf dem Wasser. Nachts - ausser einigen Stunden Schlafes - war ich an dem Papiere teils mit Rechnungen, teils mit Schreiben, teils sogar mit Zeichnen beschaeftigt. Ich wiederholte einige Messungen, welche ich in frueheren Zeiten vorgenommen hatte, um mich von der Bestaendigkeit oder Wandelbarkeit des Wasserstandes oder des Seegrundes zu ueberzeugen. Da ein durchaus gleicher Wasserstand nicht zu denken ist, so bezog ich meine Messungen auf einen mittleren Stand und stellte immer die Frage, wie tief unter diesem Stande die bestimmten Stellen des Seegrundes liegen. Dieser mittlere Stand, der nach demjenigen genommen wurde, welcher in der meisten Zeit des Jahres herrscht, war in meiner Abbildung auch der Wasserspiegel. Ihn nahm ich bei den Nachmessungen zur Richtschnur. In groesseren Entfernungen von dem Ufer hatte sich der Seegrund seit dem Beginne meiner Messungen nicht geaendert, oder wenn er sich geaendert hatte, war es so wenig, dass es durch unsere Messwerkzeuge nicht wahrzunehmen war. An jenen Ufern oder in der Naehe derselben, wo grosse Tiefen herrschten und steile, ruhige Waende standen, an denen bei Regenguessen hoechstens schmale Baender oder seichte Wasserflaechen niederrieseln, war ebenfalls keine Veraenderung. Aber an seichten Stellen bei flacheren Ufern, wo der Regen Geroelle und andere Dinge einfuehrt, fanden sich schon Veraenderungen vor. Am meisten aber waren die Wandlungen und am groessten, wo eine Schlucht sich gegen das Wasser oeffnete, aus welcher ein Bergbach hervorstroemte, der, je nachdem er weiter her floss oder bei Guessen heftiger anschwoll, auch groessere Berge von Geroelle in den See schob und dort liegen liess. Nach der Wiederholung dieser alten Messungen wurde zu neuen geschritten, die zur Vollendung der mir zum Ziele gesetzten Kenntnisse notwendig waren. Ebenso wurden die Zeichnungen der Gebilde, welche sich ausserhalb des Wassers als Ufer befanden, fleissig fortgesetzt. Zweimal wurde die Arbeit unterbrochen. Ich ging in das Rothmoor, um nachzusehen, wie weit die Dinge, die aus meinen Marmoren verfertigt werden sollten, gediehen waeren und wie gut sie ausgefuehrt wuerden. Die Fortschritte waren zu loben. Man sagte - und ich selber sah die Moeglichkeit ein -, dass in diesem Sommer noch alles fertig worden wuerde. Aber in Hinsicht der Guete hatte ich Ausstellungen zu machen. Ich ordnete mit Bitten, Vorstellungen und Versprechen an, dass man das, was ich angab, so genau und so rein mache, wie ich es wollte. Wenn Regenzeit war, so dass die Wolken an den Bergen herum hingen und weder diese noch die Gestalt des Sees richtig zu ueberblicken waren, so blieb ich zu Hause und zeichnete und malte dasjenige in mein Hauptblatt, was ich im Freien auf viele Nebenblaetter aufgenommen hatte. So rueckte das Unternehmen der Vollendung immer naeher. Endlich waren die Arbeiten im Freien beendigt, und es eruebrigte nur noch, die vielen Angaben, welche in meinen Papieren zerstreut waren und welche ich bisher nicht hatte bewaeltigen koennen, in die Zeichnung einzutragen und die Gestalten, welche ich auf einzelnen Blaettern hatte, teils mit der Hauptzeichnung wegen der Richtigkeit zu vergleichen, teils diese, wo es nottat, zu ergaenzen. Auch Farben mussten auf verschiedene Stellen aufgetragen werden. Nach langer Arbeit und nach vielen Schwierigkeiten, die ich zur Erzielung einer grossen Genauigkeit zu ueberwinden hatte, war das Werk eines Tages fertig, und der ganze Entwurf lag in schwermuetiger Duesterheit und in einer Schoenheit vor meinen Augen, die ich selber nicht erwartet hatte. Ich betrachtete allein die Abbildung eine Weile, da niemand war, der das Anschauen mit mir geteilt haette, rollte dann das Blatt auf eine Walze, verpackte es sehr gut in einen Koffer, nahm von dem See und von allen Bewohnern des Seewirtshauses Abschied und begab mich auf den Weg in das Ahornhaus des Lauterthales. Dort siedelte ich mich an. Ich ging nun taeglich in das Rothmoor, blieb den ganzen Tag dort und kehrte Abends zurueck, so dass ich in der Daemmerung im Ahornhause ankam. Ich sah im Rothmoore den Arbeiten an meinen Marmoren zu, dem Schneiden, Feilen, Reiben, Schleifen und Glaetten. Ich gab auch an, wie Manches zu behandeln sei und wie es einer groesseren Vollendung, namentlich aber einer groessern Genauigkeit entgegen gefuehrt werden koennte. Das Wasserbecken meines Vaters wurde nach und nach fertig und die kleineren Dinge, welche gemacht werden sollten, waren ebenfalls vollendet. Die Sonne schien in die Bauhuette, und das Becken erglaenzte recht rein und schoen in derselben. Ich liess von starken Balken Behaeltnisse zimmern. In diese wurden die Teile des Beckens mit Winden, Hebeln und Stricken gepackt und zur Versendung bereitet. Die Waegen mussten eigens vorgerichtet werden, damit die Behaeltnisse an den Strom gebracht werden koennten. Diese Vorrichtung war endlich fertig. Das Aufladen wurde bewerkstelligt, und die Waegen gingen ab. Ich ging mit ihnen bis an den Strom und verliess sie keinen Augenblick, um wo moeglich jeden Unfall zu verhueten. Am Strome wurden die Behaeltnisse auf ein Schiff verladen und weiter befoerdert. Von dem Landungsplatze vor unserer Stadt wurden sie endlich wieder durch starke Waegen in unsern Garten gebracht. Es wurde nun daran geschritten, das Wasserwerk in diesem Herbste noch fertig zu machen. Der Vater hatte auf Briefe von mir und auf gesendete Masse den Dingen bereits vorarbeiten lassen. Es wurden nun noch mehrere Arbeiter gedungen und ein Wasserbaukundiger genommen, welcher die Arbeiten zu leiten hatte. Ich war den ganzen Tag bei dem Werke zugegen und half mit. Der Vater kargte sich ebenfalls alle moegliche Zeit ab, um zugegen sein und zuschauen zu koennen. Die Roehren wurden gelegt, die Steigroehre verzapft, der Stengel ueber sie gebaut, mit den noetigen Eisen gestaerkt und verloetet, und an demselben wurde das Blatt befestigt. Der Pfropfen, welcher den in das Blatt muendenden Stengel geschlossen gehalten hatte, wurde gelueftet, und der reine Strahl fiel auf die im Blatte liegende Einbeere hinunter, fuellte das Becken und glitt von demselben, als es gefuellt war, auf den sanften gelb marmornen Fussboden nieder und rieselte in dessen Rinne weiter. Die Farben stimmten sehr gut zusammen, das Dunkel des Stengels hob sich von dem Rosenrot des Blattes ab, und das Gelb des Fussbodens gab dem Rosenrot eine schoenere Farbe und einen feineren Glanz. Es waren mehrere Gaeste zur Eroeffnung des Werkes geladen worden, und diese sowie Vater, Mutter und Schwester freuten sich des Gelingens. Der Vater reichte mir als Gegengeschenk, sehr schoen gebunden und auf den Deckeln mit halberhabener Arbeit versehen, das Nibelungenlied. Ich dankte ihm sehr dafuer. Es wurde beschlossen, fuer den Winter ein Bretterhaeuschen ueber das Wasserwerk machen zu lassen und dasselbe gut zu verwahren, dass keine Kaelte eindringen koenne. Fuer den Fruehling wurden Plaene entworfen, wie man die Gartenumgebungen des Beckens einrichten solle, dass der ganze Anblick ein desto wuerdigerer und schoenerer sei. Man hoffte, bis zum Eintritte der besseren Jahreszeit mit den Entwuerfen im Reinen zu sein und beginnen zu koennen. Ich uebergab ausser dem Becken auch die andern Marmorgegenstaende, welche in dem Rothmoore waren verfertiget worden. Darunter befanden sich Saeulen und Simse, welche an einer Stelle verwendet werden sollten, die am Ende des Gartens lag, eine Aussicht auf die Berge und auf die Umgebung bot und auf welcher der Vater etwas zu errichten vorhatte, das der Aussicht wuerdig waere und sie besser geniessen lasse. Ich meinte, es duerfte eine schoene Fassung anzulegen sein, die den Platz begrenzt, die breite Flaechen hat, dass man sich auf dieselben lehnen und Dinge auf sie legen koenne und an der sich Sitze befaenden, auf welchen man ausruhen koenne. Wenn in der Naehe dieser Fassung ein Tisch waere, wuerde es noch besser sein. Ausserdem hatte ich Schalen zu beliebigem Gebrauche gebracht, Ringe, die einen Vorhang fassen, Tischplatten, Pfeilerverzierungen, Steine von verschiedener Farbe, die im Vierecke geschliffen waren und die man der Reihe nach auf Papier oder Aehnliches legen konnte, und noch mehrere Dinge dieser Art. Dem Vater zeigte ich die Zeichnung von dem Kerberger Altare und sagte, dass ich sie eigens fuer ihn gemacht habe und sie ihm hiemit uebergebe. Er war sehr erfreut darueber und dankte mir dafuer. Der Altar war ihm zwar nicht neu, er hatte ihn in frueherer Zeit, ehe er wieder hergestellt worden war, gesehen, und die Zeichnung des wiederhergestellten Altares war unter den von meinem Gastfreunde dem Vater im vorigen Jahre gesendeten Zeichnungen gewesen. Dessohngeachtet war es ihm sehr angenehm, die Zeichnung zu besitzen und sie oefter und nach Musse betrachten zu koennen. Er machte mich auf mehrere Dinge aufmerksam, die er nach wiederholter Betrachtung entdeckt hatte. Zuerst sah er, dass der Altar viel reicher und mannigfaltiger sei, als da er ihn in noch unverbessertem Zustande vor vielen Jahren in Wirklichkeit gesehen hatte; dann machte er mich darauf aufmerksam, dass dieses Werk schon die Rundlinie habe, dass die Tuermchen durch gewundene Staebe in Gestalten von Pyramiden gebildet und dass die menschlichen Gestalten schon sehr durchgearbeitet seien, was alles darauf hindeuten dass das Werk nicht mehr der Zeit der strengen gothischen Bauart angehoere, sondern derjenigen, wo diese Art sich schon zu verwandeln begonnen hatte. Auch zeigte er mir, dass Teile der Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte gestellt worden seien als an die sie gehoeren, dass die Buesten sich nicht an dem rechten Platze befinden und dass menschliche Gestalten verloren gegangen sein muessen. Er holte Buecher aus seinem Buecherschreine herbei, in denen Abbildungen waren und aus denen er mir die Wahrheit dessen bewies, was er behauptete. Ich sagte ihm, dass mein Gastfreund und Eustach der nehmlichen Meinung sind, dass aber die Wiederherstellungen, welche man an dem Altare gemacht hat, im strengen Wortverstande nicht Wiederherstellungen gewesen seien, sondern dass man sich zuerst nur zum Zwecke gesetzt habe, den Stoff zu erhalten und weitere Umaenderungen oder groessere Ergaenzungen einer ferneren Zeit aufzubewahren, wenn sich ueberhaupt die Mittel und Wege dazu faenden. Nur solche Ergaenzungen sind gemacht worden, bei denen die Gestalt des Gegenstandes unzweifelhaft gegeben war. Die Buecher des Vaters machten mich auf die Sache, die sie behandelten, mehr aufmerksam, ich bat ihn, dass er sie mir in meine Wohnung leihe, und begann sie durchzugehen. Sie fuehrten mich dahin, dass ich die Baukunst und ihre Geschichte vom Anfange an genauer kennen zu lernen wuenschte und mir alle Buecher, die hiezu noetig wagen, nach dem Rate meines Vaters und Anderer ankaufte. Der Bund Der Winter verging wie gewoehnlich. Ich richtete meine mitgebrachten Dinge in Ordnung und holte an Schreibgeschaeften nach, was im Sommer wegen der Taetigkeit im Freien und der anderweitig verlorenen Zeit im Rueckstande geblieben war. Der Umgang mit den Meinigen in dem engsten Kreise des Hauses war mir das Liebste, er war mein groesstes Vergnuegen, er war meine hoechste Freude. Der Vater bezeigte mir von Tag zu Tag mehr Achtung. Liebe konnte er mir nicht in groesserem Masse bezeigen, denn diese hatte er mir immer hoechstmoeglich bewiesen; aber so wie er frueher bei der zaertlichsten Sorgfalt fuer mein Wohl und bei der Herbeischaffung alles dessen, was zu meinem Unterhalte und meiner Ausbildung notwendig gewesen ist, mich meine Wege gehen liess, immer freundlich und liebevoll war und nicht begehrte, dass ich mich in andere Richtungen begebe, die ihm etwa bequemer sein mochten: so war er zwar dies jetzt alles auch; aber er fragte mich doch haeufiger um meine Bestrebungen und liess sich die Dinge, welche darauf Bezug hatten, auseinandersetzen, er holte meinen Rat und meine Meinung in Angelegenheiten seiner Sammlungen oder in denen des Hauses ein und handelte darnach, er sprach ueber Werke der Dichter, der Geschichtschreiber, der Kunst mit mir, und tat dies oefter, als es in frueheren Zeiten der Fall gewesen war. Er brachte in meiner Gesellschaft manche Zeit bei seinen Bildern, bei seinen Buechern und bei seinen andern Dingen zu und versammelte uns gerne in dem Glashaeuschen, das eine erwaermte Luft durchwehte, die sich traulich um die alten Waffen, die alten Schnitzwerke und die Pfeilerverkleidungen ergoss. Er sprach von verschiedenen Dingen und schien sich wohl zu fuehlen, den Abend in dem engsten Kreise seiner Familie zubringen zu koennen. Mir schien es, dass er zu der jetzigen Zeit nicht nur frueher aus seiner Schreibstube nach Hause komme als sonst, sondern dass er sich auch mehr innerhalb der Mauern desselben aufhalte als in frueheren Jahren. Die Mutter war sehr freudig ueber die Heiterkeit dem Vaters, sie ging gerne in seine Plaene ein und befoerderte alles, was sie in ihrem Kreise zu der Erfuellung derselben tun konnte. Sie schien uns Kinder mehr zu lieben als in jeder vergangenen Zeit. Klotilde wendete sich immer mehr und mehr zu mir, sie war gleichsam mein Bruder, ich war ihr Freund, ihr Ratgeber, ihr Gesellschafter. Sie schien gar keine andere Empfindung als fuer unser Haus zu haben. Wir setzten unsere Uebungen im Spanischen, im Zitherspielen, im Zeichnen und Malen fort. Trotz dieser Dinge war sie auch im Hauswesen eifrig, um der Mutter Folge zu leisten und ihren Beifall zu gewinnen. Wenn etwas in dieser Art, das eine groessere Sorgfalt und Geschicklichkeit erheischte, besonders gelang und dies erkannt wurde, so war ihre Befriedigung groesser, als wenn sie bei einer ernsten und wichtigen Bewerbung vor einer ansehnlichen Versammlung den Preis davon getragen haette. In den Gesellschaften, die in kleineren oder groesseren Kreisen, nur seltener als in frueheren Jahren, in unserem Hause statt fanden, wurden jetzt auch mehr Gespraeche gefuehrt als da wir auch juenger waren. Es wurden ernsthafte Dinge in Untersuchung gezogen, Angelegenheiten des Staates, allgemeine oeffentliche Unternehmungen oder Erscheinungen, die von sich reden machten. Man sprach auch von seinen Beschaeftigungen, von seinen Liebhabereien oder von dem gewoehnlichen Tagesstoffe, wie etwa das Theater ist oder wie Begebenheiten sind, die sich in den naechsten Umgebungen zutragen. Im Uebrigen wurde auch zu den bekannten Vergnuegungen gegriffen, Musik, Tanz, Liedersingen. Manche juengere Leute lernten sich da neu kennen, aeltere setzten die frueher bestandene Bekanntschaft fort. Ich besuchte meine Freunde. besprach mich mit ihnen und erzaehlte ihnen im Allgemeinen, womit ich mich eben beschaeftige. Sie teilten mir aus dem Kreise ihrer Erlebnisse mit und machten mich auf manche Persoenlichkeiten aufmerksam. Ich setzte meine Malerei fort, ich betrieb die Edelsteinkunde und besuchte manches Theater. Das Lesen der Buecher ueber Baukunst vergnuegte mich sehr, und es eroeffnete sich mir da ein neues Feld, das manches Erspriessliche und manche Foerderung versprach. Die Abende bei der Fuerstin erschienen mir immer wichtiger. Es hatte sich nach und nach eine Gesellschaft zusammen gefunden, deren Mitglieder sich haeufig und gerne in dem Zimmer der Fuerstin versammelten. Es wurden die anziehendsten Stoffe verhandelt, und man schrak nicht zurueck, wenn jemand die Fragen der allerneuesten Weltweisheit auf die Bahn brachte. Man legte sich die Dinge zurecht, wie man konnte, man kleidete die eigentuemliche Redeweise der sogenannten Fachmaenner in die gewoehnliche Sprache und wendete den gewoehnlichen Verstand darauf an. Was durch diese Mittel und durch die der Gesellschaft herausgebracht werden konnte, das besass man, und wenn es von der Gesellschaft als ein Gewinn betrachtet wurde, so behielt man es als einen Gewinn. Wenn aber nur Worte da zu sein schienen, von denen man eine greifbare Bedeutung nicht ermitteln konnte, so liess man die Sache dahin gestellt sein, ohne ihr eine Folge zu geben und ohne ueber sie aburteilen zu wollen. Die Dichter und das Spanische wurden lebhaft fortgesetzt. Wenn sehr klare Tage waren und eine heitere Sonne ein erhellendes Licht in den Zimmern vermittelte, so war ich in dem Glashaeuschen und arbeitete an den Abbildungen der Pfeilerverkleidungen fuer meinen Gastfreund. Ich wollte sie so gut machen, als es mir nur moeglich waere, um dem Manne, dem ich so viel verdankte und den ich so hoch achtete, Zufriedenheit abzugewinnen oder ihm gar etwa ein Vergnuegen zu bereiten. Ich wollte zuerst Zeichnungen von den Verkleidungen entwerfen und nach ihnen Bilder in Oelfarben ausfuehren. Ich machte die Zeichnungen auf lichtbraunes Papier, tiefte die Schatten in Schwarz ab, erhoehte die Lichter in einem helleren Braun und setzte die hoechsten Glanzstellen mit Weiss auf. Als ich die Zeichnungen in dieser Art fertig hatte und durch vielfache Vergleichungen und Abmessungen ueberzeugt war, dass sie in allen Verhaeltnissen richtig seien, setzte ich noch den Massstab hinzu, nach dem sie ausgefuehrt waren. Ich schritt nun zur Verfertigung der Bilder. Sie wurden etwas kleiner als die Entwuerfe gemacht, aber im genauen Verhaeltnisse zu denselben. Ich benutzte zum Malen immer die nehmlichen Vormittagsstunden, um die Glanzpunkte, die Lichter und die Schatten in ihrer vollen Richtigkeit zu erfassen und auch der Farbe im Allgemeinen ihre Treue geben zu koennen. Es zeigte sich mir da eine Erfahrung in den Farben wieder bestaetigt, die ich schon frueher gemacht hatte. Auf die mit schwachem Firnisse ueberzogenen Holzschnitzwerke nahmen die umgebenden Gegenstaende einen solchen Einfluss, dass sich Schwerter, Morgensterne, dunkelrotes Faltenwerk, die Fuehrung der Waende, des Fussbodens, die Fenstervorhaenge und die Zimmerdecke in unbestimmten Ausdehnungen und unklaren Umrissen in ihnen spiegelten. Ich merkte bald, dass, wenn alle diese Dinge in die Farbe der Abbildungen aufgenommen werden sollten, die dargestellten Gegenstaende wohl an Reichtum und Reiz gewinnen, aber an Verstaendlichkeit verlieren wuerden, so lange man nicht das Zimmer mit allem, was es enthaelt, mit malt, und dadurch die Begruendung aufzeigt. Da ich dies nicht konnte und mein Zweck es auch nicht erheischte, so entfernte ich alles Zufaellige und stark Einwirkende aus dem Zimmer und malte dann die Schnitzereien, wie sie sich sammt den uebergebliebenen Einwirkungen mir zeigten, um einerseits wahr zu sein und um andererseits, wenn ich jede Einwirkung der Umgebung weg liesse, nicht etwas geradezu Unmoegliches an ihre Stelle zu setzen und den Gegenstand seines Lebens zu berauben, weil er dadurch aus jeder Umgebung gerueckt wuerde, keinen Platz seines Daseins und also ueberhaupt kein Dasein haette. Was die wirkliche Ortsfarbe der Schnitzereien sei, wuerde sich aus dem Ganzen schon ergeben und muesste aus ihm erkannt worden. Ich wendete bei der Arbeit sehr viele Muehe auf und suchte sie so genau, als es meiner Kraft und meinen Kenntnissen moeglich war, zu verrichten. Ich erhoehte und vertiefte die Farben so lange und suchte nach dem richtigen Tone und dem erforderlichen Feuer so lange, bis das Bild, neben die Gegenstaende gestellt, aus der Ferne von ihnen nicht zu unterscheiden war. Die Zeichnung des Bildes musste richtig sein, weil sie vollkommen genau nach dem urspruenglichen Entwurfe gemacht worden war, den ich nach mathematischen Weisungen zusammen gestellt hatte. Als die Sache nach meiner Meinung fertig war, zeigte ich sie dem Vater, welcher sie auch mit Ausnahme von kleinen Anstaenden, die er erhob, billigte. Die Anstaende beseitigte ich zu seiner Zufriedenheit. Hierauf wurde alles in taugliche Faecher gebracht und zur Vorfuehrung bereit gehalten. Es waren fast die Tage des Vorfruehlings herangekommen, ehe ich mit diesem Werke fertig war. Dies hatte seinen Grund auch vorzueglich darin, dass ich die spaeteren hellen Wintertage mehr als die frueheren trueben hatte benuetzen koennen. Im Fruehlinge trat ich meine Reise wieder an. Ich machte zuerst einen Besuch bei meinem Gastfreunde, brachte ihm die Faecher, in denen die Abbildungen der Pfeilerverkleidungen enthalten waren, und haendigte ihm sowohl den Entwurf als auch das Farbenbild der Schnitzereien ein. Er berief Eustach in seine Stube, in welcher die Dinge ausgepackt wurden, herueber. Beide sprachen sich sehr guenstig ueber die Arbeit aus, und zwar guenstiger als ueber jede fruehere, die ich ihnen vorgelegt hatte. Ich war darueber sehr erfreut. Eustach sagte, dass man sehr gut die Ortsfarben und die, welche durch fremde Einwirkungen entstanden waren, unterscheiden koenne, und dass man aus den letzten die Beschaffenheit der Umgebungen zu ahnen vermoege. Sie stellten das Bild in die noetige Entfernung und betrachteten es mit Gefallen. Besonders anerkennend sprach Eustach ueber die Richtigkeit und Brauchbarkeit des unfarbigen Entwurfes. Ich reiste nach dem kurzen Besuche in dem Rosenhause in die Gegend der Tann, blieb auch dort nur kurz und drang tiefer in das Gebirge ein, um eine Mittelstelle zu finden, von der aus ich meine neuen Arbeiten unternehmen koennte. Als ich eine solche gefunden hatte, ging ich in das Lauterthal und dort in das Ahornwirtshaus, um meinen Kaspar und die Andern, welche mir im vorigen Jahre geholfen hatten, auch fuer das heutige zu dingen. Als dies, wie ich glaube zu gegenseitiger Zufriedenheit, abgetan war, blieb ich noch einige Tage in dem Ahornhause, teils damit sich meine Leute zu der Abreise ruesten konnten, teils um das mir liebgewordene Haus, das liebgewordene Tal und die Umgebung wieder ein wenig zu geniessen. Ich ging bei dieser Gelegenheit mehrere Male in das Rothmoor, um dort nachzusehen, was man eben fuer Gegenstaende aus Marmor mache. Mir schien es, als waere die Anstalt seit einem Jahre sehr gediehen. Ich besprach mich auch dort ueber Arbeiten, die fuer mich auszufuehren waeren, falls ich den hiezu noetigen Marmor faende. Erkundigungen, um auf Spuren der Ergaenzungen der Pfeilerverkleidungen meines Vaters, die ich in dieser Gegend gekauft hatte, zu kommen, waren auch heuer wie in frueherer Zeit fruchtlos. Ein Ereignis trat in dem Lauterthale ein, das mich sehr erheiterte. Mein Zitherspiellehrer, der einige Zeit gleichsam verschollen war, war wieder da. Er zeigte viele Freude, mich zu sehen, und sagte, er wolle mir in das Kargrat folgen, welches jetzt der Mittelpunkt meiner Arbeiten war, ein Doerfchen auf grasigen, baum- und buschlosen Anhoehen, ganz nahe dem ewigen Eise, mit armen Bewohnern und einem vielleicht noch aermeren, genuegsamen Pfarrer. Er sagte, er wolle diejenigen Arbeiten, die ich ihm auftragen werde, gegen Lohn verrichten, und in freier Zeit wollen wir auf der Zither spielen. Er habe noch keinen Schueler gehabt, mit dem ihm die Uebungen auf der Zither so viele Freude gemacht haetten. Ich beschloss, einen Versuch zu wagen, und wir wurden ueber die gegenseitigem Bedingungen einig. Als alles in Bereitschaft war, gingen wir aus dem Ahornhause in das Kargrat ab. Ich ging mit den Leuten auf abgelegenen und schneller zum Ziele fuehrenden Gebirgspfaden. Nur einmal hatten wir eine Strecke gebahnter Strasse, auf welcher ich zwei leichte Waegen mietete. Im Kargrat fand ich ein kleines Zimmerchen. Fuer meine Leute wurde eine Scheune zurecht gerichtet, und zur Aufbewahrung meiner Gegenstaende wurde aus Brettern ein ganz kleines Haeuschen eigens erbaut. Wir waren nun in der Naehe der hoechsten Hoehen. In mein winziges Fenster sahen die drei Schneehaeupter der Leiterkoepfe, hinter denen die steile, ziemlich schlanke, blendend weisse Nadel der Karspitze hervorragte, und neben denen die edelsteinglaenzenden Baenke der Stimmen oder des Simmieises sich dehnten. Um den sehr spitzen Kirchturm des Doerfchens wehte die scharfe, fast harte Gebirgsluft und senkte sich auf unsere Haeupter und Angesichter nieder. Weit ab gegen die Tiefe zu lagen die anderen Berge und die dichter bewohnten und bevoelkerten Laender. Ueber das Zitherspiel meines wiedergefundenen Lehrers war ich wirklich sehr erfreut. Ich hatte in der Zeit, waehrend welcher ich ihn nicht gesehen hatte, schon beinahe vergessen, wie vortrefflich er spiele. Alles, was ich seit dem gehoert hatte, erblasste zur Unbedeutenheit gegen sein Spiel, von dem ich den Ausdruck "hoechste Herrlichkeit" gebrauchen muss. Er scheint von diesem seinem Musikgeraete auch ergriffen und beherrscht zu sein; wenn er spielt, ist er ein anderer Mensch und greift in seine und in die Tiefen anderer Menschen, und zwar in gute. Auf diesen Berghoehen war das schoene Spiel fast noch schoener, noch ruehrender und einsamer. Wie uns im vorigen Jahre Waelder und Waende eingeschlossen hatten und nur wenige Stellen uns freien Umblick verschafften, so waren wir heuer fast immer auf freien Hoehen, und nur ausnahmsweise umschlossen uns Waende oder Waelder. Der haeufigste Begleiter unserer Bestrebungen war das Eis. Als die Kalendertage sagten, dass die Rosenbluete schon beinahe vorueber sein muesse, beschloss ich, meine Freunde zu besuchen. Ich ordnete im Kargrat alles fuer meine Abwesenheit und Wiederkunft an und begab mich auf den Weg. Als ich in dem Asperhofe ankam, sagten mir der Gaertner und die Dienstleute, dass Mathilde, Natalie, mein Gastfreund, Eustach, Roland und Gustav in den Sternenhof fort seien. Die Rosen waren schon verblueht, und man hatte mich nicht mehr erwartet. Mein Gastfreund hatte gesagt, dass ich, weil ich ihm im Fruehlinge mitgeteilt hatte, dass ich heuer ganz nahe an dem Simmieise wohnen werde, wahrscheinlich im Sommer von dorther den weiten Weg nicht werde haben machen wollen, und dass zu vermuten sei, dass ich im Herbst meine Arbeit abkuerzen und auf eine Zeit bei meinen Freunden einsprechen werde. Sollte ich aber dennoch kommen, so hatten die Leute den Auftrag, zu sagen, dass man mich bitte, in den Sternenhof nachzukommen. Ich mietete also des andern Tages auf der Post einen leichten Wagen und schlug die Richtung nach dem Sternenhofe ein. Als ich in der Umgebung desselben angekommen war, sah ich an Zaeunen und in Gaerten noch manche Rose frisch bluehen, obwohl im Asperhofe weder auf dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken gewesen war, ausser mancher welken und gerunzelten Blume, die man abzunehmen vergessen hatte. Auch auf der Anhoehe, die zu dem Schlosse empor leitete, waren an Rosenbueschen, die gelegentlich den Rasen saeumten, weil man im Sternenhofe die Rosen nicht eigens pflegte, sondern sie nur wie gewoehnlich als schoenen Gartenschmuck zog, noch Knospen, die ihres Aufbrechens harrten. Diese Tatsache mag daher kommen, weil der Sternenhof naeher an den Gebirgen und hoeher liegt als das Rosenhaus meines Freundes. In dem Hofe des Hauses nahmen die Leute mein Gepaeck und die Pferde in Empfang und wiesen mich die grosse Treppe hinan. Da ich gemeldet worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer gefuehrt und fand sie in demselben allein. Sie ging mir fast bis zu der Tuer entgegen und empfing mich mit derselben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ihr immer eigen war. Sie fuehrte mich zu dem Tische, der an einem mit Blumen geschmueckten Fenster stand, wo sie gerne sass, und wies mir ihr gegenueber einen Stuhl an dem Tische an. Als wir uns gesetzt hatten, sagte sie: "Es freut mich sehr, dass ihr noch gekommen seid, wir haben geglaubt, dass ihr heuer den weiten Weg nicht machen wuerdet." "Wo man mich so freundlich aufnimmt", antwortete ich, "und wo man mich so guetig behandelt, dahin mache ich gerne einen Weg, ich mache ihn jedes Jahr, wenn er auch weit ist, und wenn ich auch meine Beschaeftigung unterbrechen muss." "Und jetzt findet ihr mich und Natalien nur allein in diesem Hause", erwiderte sie, "die Maenner, da sie sahen, dass ihr nach dem Abbluehen der Rosen noch nicht gekommen waret, meinten, ihr wuerdet im Sommer nun gar nicht mehr kommen, und haben eine kleine Reise angetreten, die auch Gustav mitmacht, weil er das Reisen so liebt. Sie besuchen eine kleine Kirche in einem abgelegenen Gebirgstale, deren Zeichnung Roland gebracht hat. Die Kirche wurde in der Zeichnung sehr schoen befunden, und zu ihr sind sie nun unter Rolands Fuehrung auf dem Wege. Wo sie nach der Besichtigung derselben hinfahren werden, weiss ich nicht; aber das weiss ich, dass sie nur einige Tage ausbleiben und in den Sternenhof zurueckkehren werden. Ihr muesst sie hier erwarten, sie werden eine Freude haben, euch zu sehen, und ich werde mich bemuehen, alles Erforderliche einzuleiten, dass ihr indessen hier die beste Bequemlichkeit haben koennet." "Der Bequemlichkeit", erwiderte ich, "bin ich weder gewohnt, noch schlage ich sie hoch an. Ich moechte nur nicht eine Stoerung in euer jetziges einsames Hauswesen bringen. Das Hoechste, was mir zu Teil werden kann, habe ich empfangen, eine freundliche Aufnahme." "Wenn auch gewiss eine freundliche Aufnahme das Hoechste ist, und wenn ihr auch eine Bequemlichkeit nicht begehret", antwortete sie, "so ist die Freundlichkeit in den Mienen bei der Aufnahme eines Gastes nicht das Einzige, so schaetzenswert sie dort ist, sondern sie muss sich auch in der Tat aeussern, und es muss uns erlaubt sein, unsere Pflicht, die uns lieb ist, zu erfuellen, und dem Gaste eine so gute Wohnlichkeit zu bereiten, als es die Umstaende erlauben, er mag sie nun benutzen oder nicht." "Was ihr fuer eine Pflicht haltet, will ich nicht bestreiten", antwortete ich, "ich will es nicht beirren, nur wuenschen muss ich, dass es mit so wenig eigener Aufopferung als moeglich verbunden ist." "Diese wird nicht gross sein", sagte sie, "auf einige Aufmerksamkeit in Hinsicht der Genauigkeit und Willigkeit der Leute koemmt es an, und diese muesset ihr mir schon erlauben." Sie zog mit diesen Worten an einer Glockenschnur und bedeutete den hereinkommenden Diener, dass er ihr den Hausverwalter rufe. Da dieser erschienen war, sagte sie ihm mit sehr einfachen und kurzen Worten, dass fuer einen laengeren Aufenthalt fuer mich in dem Hause auf das Beste gesorgt werden moege. Als er sich entfernen wollte, trug sie ihm noch auf, vorerst dem Fraeulein zu sagen, wer gekommen sei, sie wuerde es spaeter auch selber melden, und zum Abendessen wuerden wir in dem Speisezimmer zusammen kommen. Der Hausverwalter entfernte sich, und Mathilde sagte, jetzt waere das Hauptsaechlichste getan, und es eruebrige spaeter nur noch, sich einen Bericht ueber die Mittel und die Art der Ausfuehrung geben zu lassen. Wir gingen nun auf andere Gespraeche ueber. Mathilde fragte mich um mein Befinden und um das Allgemeine meiner Beschaeftigungen, denen ich mich in diesem Sommer hingegeben habe. Ich antwortete ihr, dass mein koerperliches Befinden immer gleich wohl geblieben sei. Man habe mich von Kindheit an zu einem einfachen Leben angeleitet, und dieses, verbunden mit viel Aufenthalt im Freien, habe mir eine dauernde und heitere Gesundheit gegeben. Mein geistiges Befinden haenge von meinen Beschaeftigungen ab. Ich suche dieselben nach meiner Einsicht zu regeln, und wenn sie geordnet und nach meiner Meinung mit Aussicht auf einen Erfolg vor sich gehen, so geben sie mir Ruhe und Haltung. Sie sind aber in den letzten Jahren, was meine Hauptrichtung anbelangt, fast immer dieselben geblieben, nur der Schauplatz habe sich geaendert. Die Nebenrichtungen sind freilich andere geworden, und dies werde wohl fortdauern, so lange das Leben daure. Hierauf fragte ich nach dem Wohlbefinden aller unserer Freunde. Mathilde antwortete, man koenne hierueber sehr befriedigt sein. Mein Gastfreund fahre in seinem einfachen Leben fort, er bestrebe sich, dass sein kleiner Fleck Landes seine Schuldigkeit, die jedem Landbesitze zum Zwecke des Bestehenden obliege, bestmoeglich erfuelle, er tue seinen Nachbarn und andern Leuten viel Gutes, er tue es ohne Gepraenge und suche hauptsaechlich, dass es in ganzer Stille geschehe, er schmuecke sich sein Leben mit der Kunst, mit der Wissenschaft und mit andern Dingen, die halb in dieses Gebiet, halb beinahe in das der Liebhabereien schlagen, und er suche endlich sein Dasein mit jener Ruhe der Anbetung der hoechsten Macht zu erfuellen, die alles Bestehende ordnet. Was zuletzt auch noch zum Gluecke gehoert, das Wohlwollen der Menschen, komme ihm von selber entgegen. Eustach und der ziemlich selbstaendige Roland haben sich zum Teile an dieses Gewebe von Taetigkeiten angeschlossen, zum Teile folgen sie eigenen Antrieben und Verhaeltnissen. Gustav strebe erst auf der Leiter seiner Jugend empor, und sie glaube, er strebe nicht unrichtig. Wenn dieses sei, so werde dann die letzte Sprosse an jede Hoehe dieses Lebens anzulegen sein, auf der ihm einmal zu wandeln bestimmt sein duerfte. Was endlich sie selber und Natalie betreffe, so sei das Leben der Frauen immer ein abhaengiges und ergaenzendes, und darin fuehle es sich beruhigt und befestigt. Sie beide haetten den Halt von Verwandten und nahen Angehoerigen, dem sie zur Festigung von Natur aus zugewiesen waeren, verloren, sie leben unsicher auf ihrem Besitztume, sie muessten Manches aus sich schoepfen wie ein Mann und geniessen der weiblichen Rechte nur in dem Widerscheine des Lebens ihrer Freunde, mit dem der Lauf der Jahre sie verbunden habe. Das sei die Lage, sie daure ihrer Natur nach so fort und gebe ihrer Entwicklung entgegen. Mich hatte diese Darstellung Mathildens beinahe ernst gemacht. Die Stimmung milderte sich wieder, da wir auf die Erzaehlung von Dingen kamen, die sich in diesem Sommer zugetragen hatten. Mathilde berichtete mir ueber die Rosenbluete, ueber die Besuche in derselben, ueber ihr Leben auf dem Sternenhofe und ueber das Gedeihen alles dessen, was der Jahresernte entgegen sehe. Ich beschrieb ihr ein wenig meinen jetzigen Aufenthaltsort, erklaerte ihr, was ich anstrebe, und erzaehlte ihr, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln wir es auszufuehren versuchen. Nachdem das Gespraech auf diese Art eine Zeit gedauert hatte, empfahl ich mich und begab mich in mein Zimmer. Es war mir dieselbe Wohnung eingeraeumt und hergerichtet worden, welche ich jedes Mal, so oft ich in dem Sternenhofe gewesen war, inne gehabt hatte. Ein Diener hatte mich von dem Vorzimmer Mathildens in dieselbe gefuehrt. Sie hatte beinahe genau dasselbe Ansehen wie frueher, wenn ich ein Bewohner dieses Hauses gewesen war. Sogar die Buecher, welche der Hausverwalter jedes Mal zu meiner Beschaeftigung herbeigeschafft hatte, waren nicht vergessen worden. Nachdem ich mich eine Weile allein befunden hatte, trat dieser Hausverwalter herein und fragte mich, ob alles in der Wohnung in gehoeriger Ordnung sei oder ob ich einen Wunsch habe. Als ich ihm die Versicherung gegeben hatte, dass alles ueber meine Beduerfnisse trefflich sei, und nachdem ich ihm fuer seine Muehe und Sorgfalt gedankt hatte, entfernte er sich wieder. Ich ueberliess mich eine Zeit der Ruhe, dann ging ich in den Raeumen herum, sah bald bei dem einen, bald bei dem andern Fenster auf die bekannten Gegenstaende, auf die nahen Felder und auf die entfernten Gebirge hinaus und kleidete mich dann zu dem Abendessen anders an. Zu diesem Abendessen wurde ich bald, da ich spaet am Tage in dem Schlosse angekommen war, gerufen. Ich begab mich in den Speisesaal und fand dort bereits Mathilden und Natalien. Mathilde hatte sich anders angekleidet, als ich sie bei meiner Ankunft in ihrem Zimmer getroffen hatte. Von Natalien wusste ich dies nicht; aber da sie ein aehnliches Kleid anhatte wie Mathilde, so vermutete ich es und musste ueberzeugt sein, dass man ihr meine Ankunft gemeldet habe. Wir begruessten uns sehr einfach und setzten uns zu dem Tische. Mir war es aeusserst seltsam und befremdend, dass ich mit Mathilden und Natalien allein in ihrem Hause bei dem Abendtische sitze. Die Gespraeche bewegten sich um gewoehnliche Dinge. Nach dem Speisen entfernte ich mich bald, um die Frauen nicht zu belaestigen, und zog mich in meine Wohnung zurueck. Dort beschaeftigte ich mich eine Zeit mit Papieren und Buechern, die ich aus meinem Koffer hervorgesucht hatte, geriet dann in Sinnen und Denken und begab mich endlich zur Ruhe. Der folgende Tag wurde zu einem einsamen Morgenspaziergange benuetzt, dann fruehstueckten wir mit einander, dann gingen wir in den Garten, dann beschaeftigte ich mich bei den Bildern in den Zimmern. Der Nachmittag wurde zu einem Gange in Teile des Meierhofes und auf die Felder verwendet, und der Abend war wie der vorhergegangene. Mit Natalien war ich, da sie jetzt mit ihrer Mutter allein in dem Schlosse wohnte, beinahe fremder als ich es sonst unter vielen Leuten gewesen war. Wir hatten an diesem Tage nicht viel mit einander gesprochen und nur die allergewoehnlichsten Dinge. Der zweite Tag verging wie der erste. Ich hatte die Bilder wieder angesehen, ich war in den Zimmern mit den altertuemlichen Geraeten gewesen und hatte den Gaengen, Gemaechern und Abbildungen des oberen Stockwerkes einen Besuch gemacht. Am dritten Tage meines Aufenthaltes in dem Sternenhofe, nachmittags, da ich eine Weile in die Zeilen des alten Homer geblickt hatte, wollte ich meine Wohnung, in der ich mich befand, verlassen und in den Garten gehen. Ich legte die Worte Homers auf den Tisch, begab mich in das Vorzimmer, schloss die Tuer meiner Wohnung hinter mir ab und ging ueber die kleinere Treppe im hinteren Teile des Hauses in den Garten. Es war ein sehr schoener Tag, keine einzige Wolke stand an dem Himmel, die Sonne schien warm auf die Blumen, daher es stille von Arbeiten und selbst vom Gesange der Voegel war. Nur das einfache Scharren und leise Haemmern der Arbeiter hoerte ich, welche mit der Hinwegschaffung der Tuenche des Hauses in der Naehe meines Ausganges auf Geruesten beschaeftigt waren. Ich ging neben Gebueschen und verspaeteten Blumen einem Schatten zu, welcher sich mir auf einem Sandwege bot, der mit ziemlich hohen Hecken gesaeumt war. Der Sandweg fuehrte mich zu den Linden, und von diesen ging ich durch eine Ueberlaubung der Eppichwand zu. Ich ging an ihr entlang und trat in die Grotte des Brunnens. Ich war von der linken Seite der Wand gekommen, von welcher man beim Herannahen den schoeneren Anblick der Quellennymphe hat, dafuer aber das Baenkchen nicht gewahr wird, welches in der Grotte der Nymphe gegenueber angebracht ist. Als ich eingetreten war, sah ich Natalien auf dem Baenklein sitzen. Sie war sehr erschrocken und stand auf. Ich war auch erschrocken; dennoch sah ich in ihr Angesicht. In demselben war ein Schwanken zwischen Rot und Blass, und ihre Augen waren auf mich gerichtet. Ich sagte: "Mein Fraeulein, ihr werdet mir es glauben, wenn ich euch sage, dass ich von dem Laubgange an der linken Seite dieser Wand gegen die Grotte gekommen bin und euch habe nicht sehen koennen, sonst waere ich nicht eingetreten und haette euch nicht gestoert." Sie antwortete nichts und sah mich noch immer an. Ich sagte wieder: "Da ich euch nun einmal beunruhigt habe, wenn auch gegen meinen Willen, so werdet ihr mir es wohl guetig verzeihen, und ich werde mich sogleich entfernen." "Ach nein, nein", sagte sie. Da ich schwankte und die Bedeutung der Worte nicht erkannte, fragte ich: "Zuernet ihr mir, Natalie?" "Nein, ich zuerne euch nicht", antwortete sie, und richtete die Augen, die sie eben niedergeschlagen hatte, wieder auf mich. "Ihr seid auf diesen Platz gegangen, um allein zu sein", sagte ich, "also muss ich euch verlassen." "Wenn ihr mich nicht aus Absicht meidet, so ist es nicht ein Muessen, dass ihr mich verlasset", antwortete sie. "Wenn es nicht eine Pflicht ist, euch zu verlassen", erwiderte ich, "so muesst ihr euren Platz wieder einnehmen, von dem ich euch verscheucht habe. Tut es, Natalie, setzt euch auf eure fruehere Stelle nieder." Sie liess sich auf das Baenkchen nieder, ganz vorn gegen den Ausgang, und stuetzte sich auf die Marmorlehne. Ich kam nun auf diese Weise zwischen sie und die Gestalt zu stehen. Da ich dieses fuer unschicklich hielt, so trat ich ein wenig gegen den Hintergrund. Allein jetzt stand ich wieder aufrecht vor dem leeren Teile der Bank in der nicht sehr hohen Halle, und da mir auch dieses eher unziemend als ziemend erschien, so setzte ich mich auf den andern Teil der Bank und sagte: "Liebt ihr wohl diesen Platz mehr als andere?" "Ich liebe ihn", antwortete sie, "weil er abgeschlossen ist und weil die Gestalt schoen ist. Liebt ihr ihn nicht auch?" "Ich habe die Gestalt immer mehr lieben gelernt, je laenger ich sie kannte", antwortete ich. "Ihr ginget frueher oefter her?" fragte sie. "Als ich durch die Guete eurer Mutter manche Geraete in dem Sternenhofe zeichnete und fast allein in demselben wohnte, habe ich oft diese Halle besucht", erwiderte ich. "Und spaeter auch, wenn ich durch freundliche Einladung hieher kam, habe ich nie versaeumt, an diese Stelle zu gehen." "Ich habe euch hier gesehen", sagte sie. "Die Anlage ist gemacht, dass sie das Gemuet und den Verstand erfuellet", antwortete ich, "die gruene Wand des Eppichs schliesst ruhig ab, die zwei Eichen stehen wie Waechter und das Weiss des Steins geht sanft von dem Dunkel der Blaetter und des Gartens weg." "Es ist alles nach und nach entstanden, wie die Mutter erzaehlt", erwiderte sie, "der Eppich ist erzogen worden, die Wand vergroessert, erweitert und bis an die Eichen gefuehrt. Selbst in der Halle war es einmal anders. Die Bank war nicht da. Aber da der Marmor so oft betrachtet wurde, da die Menschen vor ihm standen oder selbst in der Halle neben ihm, da die Mutter ebenfalls die Gestalt gerne betrachtete und lange betrachtete: so liess sie aus dem gleichen Stoffe, aus dem die Nymphe gearbeitet ist, diese Bank machen, und liess dieselbe mit der kunstreichen, vorchristlich ausgefuehrten Lehne versehen, damit sie einerseits zu dem vorhandenen Werke stimme und damit andererseits das Werk mit Ruhe und Erquickung angesehen werden koenne. Mit der Zeit ist auch die Alabasterschale hieher gekommen." "Die Menschen werden von solchen Werken gezogen", antwortete ich, "und die Lust des Schauens findet sich." "Ich habe diese Gestalt von meiner Kindheit an gesehen und habe mich an sie gewoehnt", sagte sie, "haltet ihr nicht auch den blossen Stein schon fuer sehr schoen?" "Ich halte ihn fuer ganz besonders schoen", erwiderte ich. "Mir ist immer, wenn ich ihn lange betrachte", sagte sie, "als haette er eine sehr grosse Tiefe, als sollte man in ihn eindringen koennen und als waere er durchsichtig, was er nicht ist. Er haelt eine reine Flaeche den Augen entgegen, die so zart ist, dass sie kaum Widerstand leistet und in der man als Anhaltspunkte nur die vielen feinen Splitter funkeln sieht." "Der Stein ist auch durchsichtig", antwortete ich, "nur muss man eine duenne Schichte haben, durch die man sehen will. Dann scheint die Welt fast goldartig, wenn man sie durch ihn ansieht. Wenn mehrere Schichten uebereinander liegen, so werden sie in ihrem Anblicke von Aussen weiss, wie der Schnee, der auch aus lauter durchsichtigen kleinen Eisnadeln besteht, weiss wird, wenn Millionen solcher Nadeln auf einander liegen." "So habe ich nicht unrecht empfunden", sagte sie. "Nein", erwiderte ich, "ihr habt recht geahnt." "Wenn die Edelsteine nicht nach dem geachtet werden, was sie kosten", sagte sie, "sondern nach dem, wie sie edel sind, so gehoert der Marmor gewiss unter die Edelsteine." "Er gehoert unter dieselben, er gehoert gewisslich unter dieselben", erwiderte ich. "Wenn er auch als blosser Stoff nicht so hoch im Preise steht wie die gesuchten Steine, die nur in kleinen Stuecken vorkommen, so ist er doch so auserlesen und so wunderbar, dass er nicht bloss in der weissen, sondern auch in jeder andern Farbe begehrt wird, dass man die verschiedensten Dinge aus ihm macht, und dass das Hoechste, was menschliche bildende Kunst darzustellen vermag, in der Reinheit des weissen Marmors ausgefuehrt wird." "Das ist es, was mich auch immer sehr ergriff, wenn ich hier sass und betrachtete", sagte sie, "dass in dem harten Steine das Weiche und Runde der Gestaltung ausgedrueckt ist, und dass man zu der Darstellung des Schoensten in der Welt den Stoff nimmt, der keine Makel hat. Dies sehe ich sogar immer an der Gestalt auf der Treppe unsers Freundes, welche noch schoener und ehrfurchterweckender als dieses Bildwerk hier ist, wenngleich ihr Stoff in der Laenge der vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt worden war." "Es ist gewiss nicht ohne Bedeutung", entgegnete ich, "dass die Menschen in den edelsten und selbst hie und da aeltesten Voelkern zu diesem Stoffe griffen, wenn sie hohes Goettliches oder Menschliches bilden wollten, waehrend sie Ausschmueckungen in Laubwerk, Simsen, Saeulen, Tiergestalten und selbst untergeordnete Menschen- und Goetterbilder aus farbigem Marmor, aus Sandstein, aus Holz, Ton, Gold oder Silber verfertigten. Es waere zugaenglicherer, behandelbarerer Stoff gewesen: Holz, Erde, weicher Stein, manche Metalle; sie aber gruben weissen Marmor aus der Erde und bildeten aus ihm. Aber auch die andern Edelsteine, aus denen man verschiedene Dinge macht, geschnittene Steine, allerlei Gestalten, Blumen- und Zierwerk, so wie endlich diejenigen, die man besonders Edelsteine nennt und zum Schmucke der menschlichen Gestalt und hoher Dinge anwendet, haben in ihrem Stoffe etwas, das anzieht und den menschlichen Geist zu sich leitet, es ist nicht bloss die Seltenheit oder das Schimmern, das sie wertvoll macht." "Habt ihr auch die Edelsteine kennen zu lernen gesucht?" fragte sie. "Ein Freund hat mir Vieles von ihnen gezeigt und erklaert", antwortete ich. "Sie sind freilich fuer die Menschen sehr merkwuerdig", sagte sie. "Es ist etwas Tiefes und Ergreifendes in ihnen", antwortete ich, "gleichsam ein Geist in ihrem Wesen, der zu uns spricht, wie zum Beispiele in der Ruhe des Smaragdes, dessen Schimmerpunkten kein Gruen der Natur gleicht, es muesste nur auf Vogelgefiedern, wie das des Colibri, oder auf den Fluegeldecken von Kaefern sein - wie in der Fuelle des Rubins, der mit dem rosensammtnen Lichtblicke gleichsam als der vornehmste unter den gefaerbten Steinen zu uns aufsieht - wie in dem Raetsel des Opals, der unergruendlich ist - und wie in der Kraft des Diamantes, der wegen seines grossen Lichtbrechungsvermoegens in einer Schnelligkeit wie der Blitz den Wechsel des Feuers und der Farben gibt, den kaum die Schneesterne noch der Spruehregen des Wasserfalles haben. Alles, was den edlen Steinen nachgemacht wird, ist der Koerper ohne diesen Geist, es ist der inhaltleere, sproede, harte Glanz statt der reichen Tiefe und Milde." "Ihr habt von der Perle nicht gesprochen." "Sie ist kein Edelstein, gesellt sich aber im Gebrauche gerne zu ihm. In ihrem aeussern Ansehen ist sie wohl das Bescheidenste; aber nichts schmueckt mit dem so sanft umflorten Seidenglanze die menschliche Schoenheit schoener als die Perle. Selbst an dem Kleide eines Mannes, wo sie etwas haelt, wie die Schleife des Halstuches oder wie die Falte des Brustlinnens, duenkt sie mich das Wuerdigste und Ernsteste." "Und liebt ihr die Edelsteine als Schmuck?" fragte sie. "Wenn die schoensten Steine ihrer Art ausgewaehlt werden", antwortete ich, "wenn sie in einer Fassung sind, welche richtigen Kunstgesetzen entspricht, und wenn diese Fassung an der Stelle, wo sie ist, einen Zweck erfuellt, also notwendig erscheint: dann ist wohl kein Schmuck des menschlichen Koerpers feierlicher als der der Edelsteine." Wir schwiegen nach diesen Worten, und ich konnte Natalien jetzt erst ein wenig betrachten. Sie hatte ein mattes hellgraues Seidenkleid an, wie sie es ueberhaupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr immer der Fall war, bis zum Halse und bis zu den Knoecheln der Hand. Von Schmuck hatte sie gar nichts an sich, nicht das Geringste, waehrend ihr Koerper doch so stimmend zu Edelsteinen gewesen waere. Ohrgehaenge, welche damals alle Frauen und Maedchen trugen, hatte weder Mathilde je, seit ich sie kannte, getragen, noch trug sie Natalie. In unserem Schweigen sahen wir gleichsam wie durch Verabredung gegen das rieselnde Wasser. Endlich sagte sie: "Wir haben von dem Angenehmen dieses Ortes gesprochen und sind von dem edlen Steine des Marmors auf die Edelsteine gekommen; aber eines Dinges waere noch Erwaehnung zu tun, das diesen Ort ganz besonders auszeichnet." "Welches Dinges?" "Des Wassers. Nicht bloss, dass dieses Wasser vor vielen, die ich kenne, gut zur Erquickung gegen den Durst ist, so hat sein Spielen und sein Fliessen gerade an dieser Stelle und durch diese Vorrichtungen etwas Besaenftigendes und etwas Beachtungswertes." "Ich fuehle wie ihr", antwortete ich, "und wie oft habe ich dem schoenen Glaenzen und dem schattenden Dunkel dieses lebendigen fluechtigen Koerpers an dieser Stelle zugesehen, eines Koerpers, der wie die Luft wohl viel bewunderungswuerdiger waere als es die Menschen zu erkennen scheinen." "Ich halte auch das Wasser und die Luft fuer bewunderungswuerdig", entgegnete sie, "die Menschen achten nur so wenig auf Beides, weil sie ueberall von ihnen umgeben sind. Das Wasser erscheint mir als das bewegte Leben des Erdkoerpers, wie die Luft sein ungeheurer Odem ist." "Wie richtig sprecht ihr", sagte ich, "und es sind auch Menschen gewesen, die das Wasser sehr geachtet haben; wie hoch haben die Griechen ihr Meer gehalten, und wie riesenhafte Werke haben die Roemer aufgefuehrt, um sich das Labsal eines guten Wassers zuzuleiten. Sie haben freilich nur auf den Koerper Ruecksicht genommen und haben nicht, wie die Griechen die Schoenheit ihres Meeres betrachteten, die Schoenheit des Wassers vor Augen gehabt; sondern sie haben sich nur dieses Kleinod der Gesundheit in bester Art verschaffen wollen. Und ist wohl etwas ausser der Luft, das mit groesserem Adel in unser Wesen eingeht als das Wasser? Soll nicht nur das reinste und edelste sich mit uns vereinigen? Sollte dies nicht gerade in den gesundheitverderbenden Staedten sein, wo sie aber nur Vertiefungen machen und das Wasser trinken, das aus ihnen koemmt? Ich bin in den Bergen gewesen, in Taelern, in Ebenen, in der grossen Stadt und habe in der Hitze, im Durste, in der Bewegung den kostbaren Kristall des Wassers und seine Unterschiede kennen gelernt. Wie erquickt der Quell in den Bergen und selbst in den Huegeln, vorzueglich wenn er am reinsten aus dem reinen Granit fliesst, und, Natalie, wie schoen ist ausserdem der Quell!" Hatte nun Natalie schon frueher einen Durst empfunden und hatte derselbe ihr Gespraech auf das Wasser gelenkt, oder war durch das Gespraech ein leichter Durst in ihr hervorgerufen worden: sie stand nun auf, nahm die Alabasterschale in die Hand, liess sie sich in dem sanften Strahle fuellen, setzte sie an ihre schoenen Lippen, trank einen Teil des Wassers, liess das uebrige in das tiefere Becken fliessen, stellte die leere Schale an ihren Platz und setzte sich wieder zu mir auf die Bank. Mir war das Herz ein wenig gedrueckt, und ich sagte: "Wenn wir beide das Schoene dieses Ortes betrachtet und wenn wir von ihm und von andern Dingen, auf die er uns fuehrte, gerne gesprochen haben, so ist doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt." "Was kann euch denn an diesem Orte Schmerz erregen?" fragte sie. "Natalie", antwortete ich, "es ist jetzt ein Jahr, dass ihr mich an dieser Halle absichtlich gemieden habt. Ihr sasset auf derselben Bank, auf welcher ihr jetzt sitzet, ich stand im Garten, ihr tratet heraus und ginget von mir mit beeiligten Schritten in das Gebuesch." Sie wendete ihr Angesicht gegen mich, sah mich mit den dunklen Augen an und sagte: "Dessen erinnert euch, und das macht euch Schmerz?" "Es macht mir jetzt im Rueckblicke Schmerz und hat ihn mir damals gemacht", antwortete ich. "Ihr habt mich ja aber auch gemieden", sagte sie. "Ich hielt mich ferne, um nicht den Schein zu haben, als draenge ich mich zu euch", entgegnete ich. "War ich euch denn von einer Bedeutung?" fragte sie. "Natalie", antwortete ich, "ich habe eine Schwester, die ich im hoechsten Masse liebe, ich habe viele Maedchen in unserer Stadt und in dem Lande kennen gelernt; aber keines, selbst nicht meine Schwester, achte ich so hoch wie euch, keines ist mir stets so gegenwaertig und erfuellt mein ganzes Wesen wie ihr." Bei diesen Worten traten die Traenen aus ihren Augen und flossen ueber ihre Wangen herab. Ich erstaunte, ich blickte sie an und sagte: "Wenn diese schoenen Tropfen sprechen, Natalie, sagen sie, dass ihr mir auch ein wenig gut seid?" "Wie meinem Leben", antwortete sie. Ich erstaunte noch mehr und sprach: "Wie kann es denn sein, ich habe es nicht geglaubt." "Ich habe es auch von euch nicht geglaubt", erwiderte sie. "Ihr konntet es leicht wissen", sagte ich. "Ihr seid so gut, so rein, so einfach. So seid ihr vor mir gewandelt, ihr waret mir begreiflich wie das Blau des Himmels, und eure Seele erschien mir so tief wie das Blau des Himmels tief ist. Ich habe euch mehrere Jahre gekannt, ihr waret stets bedeutend vor der herrlichen Gestalt eurer Mutter und der eures ehrwuerdigen Freundes, ihr waret heute, wie ihr gestern gewesen waret und morgen wie heute, und so habe ich euch in meine Seele genommen zu denen, die ich dort liebe, zu Vater, Mutter, Schwester - nein, Natalie, noch tiefer, tiefer -" Sie sah mich bei diesen Worten sehr freundlich an, ihre Traenen flossen noch haeufiger, und sie reichte mir ihre Hand herueber. Ich fasste ihre Hand, ich konnte nichts sagen und blickte sie nur an. Nach mehreren Augenblicken liess ich ihre Hand los und sagte: "Natalie, es ist mir nicht begreiflich, wie ist es denn moeglich, dass ihr mir gut seid, mir, der gar nichts ist und nichts bedeutet?" "Ihr wisst nicht, wer ihr seid", antwortete sie. "Es ist gekommen, wie es kommen musste. Wir haben viele Zeit in der Stadt zugebracht, wir sind oft den ganzen Winter in derselben gewesen, wir haben Reisen gemacht, haben verschiedene Laender und Staedte gesehen, wir sind in London, Paris und Rom gewesen. Ich habe viele junge Maenner kennen gelernt. Darunter sind wichtige und bedeutende gewesen. Ich habe gesehen, dass mancher Anteil an mir nahm; aber es hat mich eingeschuechtert, und wenn einer durch sprechende Blicke oder durch andere Merkmale es mir naeher legte, so entstand eine Angst in mir, und ich musste mich nur noch ferner halten. Wir gingen wieder in die Heimat zurueck. Da kamet ihr eines Sommers in den Asperhof, und ich sah euch. Ihr kamet im naechsten Sommer wieder. Ihr waret ohne Anspruch, ich sah, wie ihr die Dinge dieser Erde liebtet, wie ihr ihnen nach ginget und wie ihr sie in eurer Wissenschaft hegtet - ich sah, wie ihr meine Mutter verehrtet, unsern Freund hochachtetet, den Knaben Gustav beinahe liebtet, von eurem Vater, eurer Mutter und eurer Schwester nur mit Ehrerbietung sprachet, und da - - da -" "Da, Natalie?" "Da liebte ich euch, weil ihr so einfach, so gut und doch so ernst seid." "Und ich liebte euch mehr, als ich je irgend ein Ding dieser Erde zu lieben vermochte." "Ich habe manchen Schmerz um euch empfunden, wenn ich in den Feldern herumging." "Ich habe es ja nicht gewusst, Natalie, und weil ich es nicht wusste, so musste ich mein Inneres verbergen und gegen jedermann schweigen, gegen den Vater, gegen die Mutter, gegen die Schwester und sogar gegen mich. Ich bin fortgefahren, das zu tun, was ich fuer meine Pflicht erachtete, ich bin in die Berge gegangen, habe mir ihre Zusammensetzung aufgeschrieben, habe Gesteine gesammelt und Seen gemessen, ich bin auf den Rat eures Freundes einen Sommer beschaeftigungslos in dem Asperhofe gewesen, bin dann wieder in die Wildnis gegangen und zu der Grenze des Eises emporgestiegen. Ich konnte nur eure Mutter, euren Freund und euren Bruder immer waermer lieben: aber, Natalie, wenn ich auf den Hoehen der Berge war, habe ich euer Bild in dem heitern Himmel gesehen, der ueber mir ausgespannt war, wenn ich auf die festen, starren Felsen blickte, so erblickte ich es auch in dem Dufte, der vor denselben webte, wenn ich auf die Laender der Menschen hinausschaute, so war es in der Stille, die ueber der Welt gelagert war, und wenn ich zu Hause in die Zuege der Meinigen blickte, so schwebte es auch in denen." "Und nun hat sich alles recht geloeset." "Es hat sich wohl geloeset, meine liebe, liebe Natalie." "Mein teurer Freund!" Wir reichten uns bei diesen Worten die Haende wieder und sassen schweigend da. Wie hatte seit einigen Augenblicken alles sich um mich veraendert, und wie hatten die Dinge eine Gestalt gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Nataliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne, gesehen hatte. Das unermuedlich fliessende Wasser, die Alabasterschale, der Marmor waren verjuengt; die weissen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im Schatten bluehenden Lichter waren anders; die Fluessigkeit rann, plaetscherte oder pippte oder toente im einzelnen Falle anders; das sonnenglaenzende Gruen von draussen sah als ein neues freundlich herein, und selbst das Haemmern, mit welchem man die Tuenche von den Mauern des Hauses herabschlug, toente jetzt als ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das ich gehoert hatte, als ich aus dem Hause gegangen war. Nach einer geraumen Weile sagte Natalie: "Und von dem Abende im Hoftheater habt ihr auch nie etwas gesprochen." "Von welchem Abende, Natalie?" "Als Koenig Lear aufgefuehrt wurde." "Ihr seid doch nicht das Maedchen in der Loge gewesen?" "Ich bin es gewesen." "Nein, ihr seid so bluehend wie eine Rose, und jenes Maedchen war blass wie eine weisse Lilie." "Es musste mich der Schmerz entfaerbt haben. Ich war kindisch, und es hat mir damals wohlgetan, in euren Augen allein unter allen denen, die die Loge umgaben, ein Mitgefuehl mit meiner Empfindung zu lesen. Diese Empfindung wurde durch euer Mitgefuehl zwar noch staerker, so dass sie beinahe zu maechtig wurde; aber es war gut. Ich habe nie einer Vorstellung beigewohnt, die so ergreifend gewesen waere. Ich sah es als einen guenstigen Zufall an, dass mir eure Augen, die bei dem Leiden des alten Koenigs uebergeflossen waren, bei dem Fortgehen aus dem Schauspielhause so nahe kamen. Ich glaubte ihnen mit meinen Blicken dafuer danken zu muessen, dass sie mir beigestimmt hatten, wo ich sonst vereinsamt gewesen waere. Habt ihr das nicht erkannt?" "Ich habe es erkannt und habe gedacht, dass der Blick des Maedchens wohlwollend sei, und dass er ein Einverstaendnis ueber unsere gemeinschaftliche Empfindung bei der Vorstellung bedeuten koenne." "Und ihr habt mich also nicht wieder erkannt?" "Nein, Natalie." "Ich habe euch gleich erkannt, als ich euch in dem Asperhofe sah." "Es ist mir lieb, dass es eure Augen gewesen sind, die mir den Dank gesagt haben; der Dank ist tief in mein Gemuet gedrungen. Aber wie konnte es auch anders sein, da eure Augen das Liebste und Holdeste sind, was fuer mich die Erde hat." "Ich habe euch schon damals in meinem Herzen hoeher gestellt als die andern, obwohl ihr ein Fremder waret und obwohl ich denken konnte, dass ihr mir in meinem ganzen Leben fremd bleiben werdet." "Natalie, was mir heute begegnet ist, bildet eine Wendung in meinem Leben, und ein so tiefes Ereignis, dass ich es kaum denken kann. Ich muss suchen, alles zurecht zu legen und mich an den Gedanken der Zukunft zu gewoehnen." "Es ist ein Glueck, das uns ohne Verdienst vom Himmel gefallen, weil es groesser ist als jedes Verdienst." "Drum lasset uns es dankbar aufnehmen." "Und ewig bewahren." "Wie war es gut, Natalie, dass ich die Worte Homers, die ich heute nachmittag las, nicht in mein Herz aufnehmen konnte, dass ich das Buch weglegte, in den Garten ging und dass das Schicksal meine Schritte zu dem Marmor des Brunnens lenkte." "Wenn unsere Wesen zu einander neigten, obgleich wir es nicht gegenseitig wussten, so wuerden sie sich doch zugefuehrt worden sein, wann und wo es immer geschehen waere, das weiss ich nun mit Sicherheit." "Aber sagt, warum habt ihr mich denn gemieden, Natalie?" "Ich habe euch nicht gemieden, ich konnte mit euch nicht sprechen, wie es mir in meinem Innern war, und ich konnte auch nicht so sein, als ob ihr ein Fremder waeret. Doch war mir eure Gegenwart sehr lieb. Aber warum habt denn auch ihr euch ferne von mir gehalten?" "Mir war wie euch. Da ihr so weit von mir waret, konnte ich mich nicht nahen. Eure Gegenwart verherrlichte mir Alles, was uns umgab, aber das dunkle kuenftige Glueck schien mir unerreichbar." "Nun ist doch erfuellet, was sich vorbereitete." "Ja, es ist erfuellt." Nach einem kleinen Schweigen fuhr ich fort: "Ihr habt gesagt, Natalie, dass wir das Glueck, das uns vom Himmel gefallen ist, ewig aufbewahren sollen. Wir sollen es auch ewig aufbewahren. Schliessen wir den Bund, dass wir uns lieben wollen, so lange das Leben waehrt, und dass wir treu sein wollen, was auch immer komme und was die Zukunft bringe, ob es uns aufbewahrt ist, dass wir in Vereinigung die Sonne und den Himmel geniessen, oder ob jedes allein zu beiden emporblickt und nur des andern mit Schmerzen gedenken kann." "Ja, mein Freund, Liebe, unveraenderliche Liebe, so lange das Leben waehrt, und Treue, was auch die Zukunft von Gunst oder Ungunst bringen mag." "O Natalie, wie wallt mein Herz in Freude! Ich habe es nicht geahnt, dass es so entzueckend ist, euch zu besitzen,- die mir unerreichbar schien." "Ich habe auch nicht gedacht, dass ihr euer Herz von den grossen Dingen, denen ihr ergeben waret, wegkehren und mir zuwenden werdet." "O meine geliebte, meine teure, ewig mir gehoerende Natalie!" "Mein einziger, mein unvergesslicher Freund!" Ich war von Empfindung ueberwaeltigt, ich zog sie naeher an mich und neigte mein Angesicht zu ihrem. Sie wendete ihr Haupt herueber und gab mit Guete ihre schoenen Lippen meinem Munde, um den Kuss zu empfangen, den ich bot. "Ewig fuer dich allein", sagte ich. "Ewig fuer dich allein", sagte sie leise. Schon als ich die suessen Lippen an meinen fuehlte, war mir, als sei ein Zittern in ihr und als fliessen ihre Traenen wieder. Da ich mein Haupt wegwendete und in ihr Angesicht schaute, sah ich die Traenen in ihren Augen. Ich fuehlte die Tropfen auch in den meinen hervorquellen, die ich nicht mehr zurueckhalten konnte. Ich zog Natalien wieder naeher an mich, legte ihr Angesicht an meine Brust, neigte meine Wange auf ihre schoenen Haare, legte die eine Hand auf ihr Haupt und hielt sie so sanft umfasst und an mein Herz gedrueckt. Sie regte sich nicht, und ich fuehlte ihr Weinen. Da diese Stellung sich wieder loeste, da sie mir in das Angesicht schaute, drueckte ich noch einmal einen heissen Kuss auf ihre Lippen zum Zeichen der ewigen Vereinigung und der unbegrenzten Liebe. Sie schlang auch ihre Arme um meinen Hals und erwiderte den Kuss zu gleichem Zeichen der Einheit und der Liebe. Mir war in diesem Augenblicke, dass Natalie nun meiner Treue und Guete hingegeben, dass sie ein Leben eins mit meinem Leben sei. Ich schwor mir, mit allem, was gross, gut, schoen und stark in mir ist, zu streben, ihre Zukunft zu schmuecken und sie so gluecklich zu machen, als es nur in meiner Macht ist und erreicht werden kann. Wir sassen nun schweigend neben einander, wir konnten nicht sprechen und drueckten uns nur die Haende als Bestaetigung des geschlossnen Bundes und des innigsten Verstaendnisses. Da eine Zeit vergangen war, sagte endlich Natalie: "Mein Freund, wir haben uns der Fortdauer und der Unaufhoerlichkeit unserer Neigung versichert, und diese Neigung wird auch dauern; aber was nun geschehen und wie sich alles Andere gestalten wird, das haengt von unsern Angehoerigen ab, von meiner Mutter, und von euren Eltern." "Sie werden unser Glueck mit Wohlwollen ansehen." "Ich hoffe es auch; aber wenn ich das vollste Recht haette, meine Handlungen selber zu bestimmen, so wurde ich nie auch nicht ein Teilchen meines Lebens so einrichten, dass es meiner Mutter nicht gefiele; es waere kein Glueck fuer mich. Ich werde so handeln, so lange wir beisammen auf der Erde sind. Ihr tut wohl auch so?" "Ich tue es; weil ich meine Eltern liebe und weil mir eine Freude nur als solche gilt, wenn sie auch die ihre ist." "Und noch jemand muss gefragt werden." "Wer?" "Unser edler Freund. Er ist so gut, so weise, so uneigennuetzig. Er hat unserm Leben einen Halt gegeben, als wir ratlos waren, er ist uns beigestanden, als wir es bedurften, und jetzt ist er der zweite Vater Gustavs geworden." "Ja, Natalie, er soll und muss gefragt werden; aber sprecht, wenn eins von diesen nein sagt?" "Wenn eines nein sagt, und wir es nicht ueberzeugen koennen, so wird es Recht haben, und wir werden uns dann lieben, so lange wir leben, wir werden einander treu sein in dieser und jener Welt; aber wir duerften uns dann nicht mehr sehen." "Wenn wir ihnen die Entscheidung ueber uns anheim gegeben haben, so musste es wohl so sein; aber es wird gewiss nicht, gewiss nicht geschehen." "Ich glaube mit Zuversicht, dass es nicht geschehen wird." "Mein Vater wird sich freuen, wenn ich ihm sage, wie ihr seid, er wird euch lieben, wenn er euch sieht, die Mutter wird euch eine zweite Mutter sein und Klotilde wird sich euch mit ganzer Seele zuwenden." "Ich verehre eure Eltern und liebe Klotilde schon so lange, als ich euch von ihnen reden und erzaehlen hoerte. Mit meiner Mutter werde ich noch heute sprechen, ich koennte die Nacht nicht ueber das Geheimnis herauf gehen lassen. Wenn ihr zu euren Eltern reiset, sagt ihnen, was geschehen ist, und sendet bald Nachricht hieher." "Ja, Natalie." "Geht ihr von hier wieder in die Berge?" "Ich wollte es; nun aber hat sich Wichtigeres ereignet, und ich muss gleich zu meinen Eltern. Nur auf Kurzes will ich, so schnell es geht, in meinen jetzigen Standort reisen, um die Arbeiten abzubestellen, die Leute zu entlassen und Alles in Ordnung zu bringen." "Das muss wohl so sein." "Die Antwort meiner Eltern bringt dann nicht eine Nachricht, sondern ich selber." "Das ist noch erfreulicher. Mit unserm Freunde wird wohl hier geredet werden." "Natalie, dann habt ihr eine Schwester an Klotilden und ich einen Bruder an Gustav." "Ihr habt ihn ja immer sehr geliebt. Alles ist so schoen dass es fast zu schoen ist." Dann sprachen wir von der Zurueckkunft der Maenner, was sie sagen wuerden und wie unser Gastfreund die schnelle Wendung der Dinge aufnehmen werde. Zuletzt, als die Gemueter zu einer sanfteren Ruhe zurueckgekehrt waren, erhoben wir uns, um in das Haus zu gehen. Ich bot Natalien meinen Arm, den sie annahm. Ich fuehrte sie der Eppichwand entlang, ich fuehrte sie durch einen schoenen Gang des Gartens, und wir gelangten dann in offnere, freie Stellen, in denen wir eine Umsicht hatten. Als wir da eine Strecke vorwaerts gekommen waren, sahen wir Mathilden ausserhalb des Gartens gegen den Meierhof gehen. Das Pfoertchen, welches von dem Garten gegen den Meierhof fuehrt, war in der Naehe und stand offen. "Ich werde meiner Mutter folgen und werde gleich jetzt mit ihr sprechen", sagte Natalie. "Wenn ihr es fuer gut haltet, so tut es", erwiderte ich. "Ja, ich tue es, mein Freund. Lebt wohl." "Lebt wohl." Sie zog ihren Arm aus dem meinigen, wir reichten uns die Haende, drueckten sie uns, und Natalie schlug den Weg zu dem Pfoertchen ein. Ich sah ihr nach, sie blickte noch einmal gegen mich um, ging dann durch das Pfoertchen, und das graue Seidenkleid verschwand unter den gruenen Hecken des Grundes. Ich ging in das Haus und begab mich in meine Wohnung. Da lag das Buch, in welchem die Worte Homers waren, die heute die Gewalt ueber mein Herz verloren hatten - es lag, wie ich es auf den Tisch gelegt hatte. Was war indessen geschehen! Die schoenste Jungfrau dieser Erde hatte ich an mein Herz gedrueckt. Aber was will das sagen? Das edelste, waermste, herrlichste Gemuet ist mein, es ist mir in Liebe und Neigung zugetan. Wie habe ich das verdient, wie kann ich es verdienen?! Ich setzte mich nieder und sah gegen die Ruhe der heitern Luft hinaus. Ich verliess an diesem Tage gar nicht mehr das Haus. Gegen Abend ging ich in den Gang, der im Norden des Hauses hinlaeuft, und sah auf den Garten hinaus. Auf einer freien Stelle, in welcher ein weisser Pfad durch Wiesengruen hingeht, sah ich Mathilden mit Natalien wandeln. Ich ging wieder in mein Zimmer zurueck. Als es dunkelte, wurde ich zu dem Abendessen gerufen. Da Mathilde und Natalie in den Speisesaal getreten waren, lud mich Mathilde mit einem sanften Laecheln und mit der Freundlichkeit, die ihr immer eigen war, ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Die Entfaltung Wir waren in dem nehmlichen Zimmer zum Speisen zusammen gekommen, in dem wir die Zeit her, die ich im Schlosse gewesen war, unser Mahl am Morgen, Mittag und Abend, wie es die Tageszeit brachte, eingenommen hatten, der Tisch war mit dem klaren, weissen, feinen Linnen gedeckt, in das schoenere und altertuemlichere Blumen als jetzt gebraeuchlich sind, gleichsam wie Silber in Silber eingewebt waren, der Diener stand mit den weissen Handschuhen hinter uns, der Hausverwalter ging in dem Zimmer hin und her, und es war an der Wand der Schrein mit den Faecherabteilungen, in denen die mannigfaltigen Dinge sich befanden, die in einem Speisezimmer stets noetig sind: aber heute war mir alles wie feenhaft, Mathilde hatte ein veilchenblaues Seidenkleid mit dunkleren Streifen an, und um die Schultern war ein Gewebe von schwarzen Spitzen. Sie kleidete sich jedes Mal, wenn ein Gast da war, zum Speisen neu an, hatte es bisher meinetwillen auch getan und hatte es an diesem Abende nicht unterlassen. Mit dem feinen, lieben und freundlichen Angesichte, das durch die dunkle Seide fast noch feiner und schoener wurde, liess sie sich in ihren Armstuhl zwischen uns nieder. Natalie war rechts und ich links. Natalie hatte nicht Zeit gefunden, ihr Kleid zu wechseln, sie hatte dasselbe lichtgraue Seidenkleid an, das sie am Nachmittage getragen hatte und das mir so lieb geworden war. Ich getraute mir fast nicht, sie anzusehen, und auch sie hatte die grossen, schoenen, unbeschreiblich edlen Augen groesstenteils auf die Mutter gerichtet. So vergingen einige Augenblicke. Es wurde das Gebet gesprochen, das Mathilde immer in ihrem Armstuhle sitzend stille mit gefalteten Haenden verrichtete und das daher die Anderen ebenfalls sitzend und stille vollbrachten. Als dieses geschehen war, wurden, wie es der Gebrauch in diesem Hause eingefuehrt hatte, die Fluegeltueren geoeffnet, ein Diener trat mit einem Topfe herein, setzte ihn auf den Tisch, der Hausverwalter nahm den Deckel desselben ab und sagte, wie er immer tat: "Ich wuensche sehr wohl zu speisen." Mathilde streckte den Arm mit dem dunkeln Seidenkleide aus, nahm den grossen silbernen Loeffel und schoepfte, wie sie es sich nie nehmen liess zu tun, Suppe fuer uns auf die Teller, welche der Diener darreichte. Der Hausverwalter hatte, da er alles in Ordnung sah, das Zimmer nach seiner Gepflogenheit verlassen. Das Abendessen war nun wie alle Tage. Mathilde sprach freundlich und heiter von verschiedenen Gegenstaenden, die sich eben darboten, und vergass nicht, der abwesenden Freunde zu erwaehnen und des Vergnuegens zu gedenken, das ihre Rueckkunft veranlassen werde. Sie sprach von der Ernte, von dem Segen, der heuer ueberall so reichlich verbreitet sei, und wie sich alles, was sich auf der Erde befinde, doch zuletzt immer wieder in das Rechte wende. Als die Zeit des Abendessens vorueber war, erhob sie sich, und es wurden die Anstalten gemacht, dass sich jedes in seine Wohnung begebe. Mit derselben sanften Guete, mit der sie mich vor dem Abendessen begruesst hatte, verabschiedete sie sich nun, wir wuenschten uns wechselseitig eine glueckliche Ruhe und trennten uns. Als ich in meinem Zimmer angekommen war, trat ich in der Nacht dieses Tages, der fuer mich in meinem bisherigen Leben am merkwuerdigsten geworden war, an das Fenster und blickte gegen den Himmel. Es stand kein Mond an demselben und keine Wolke, aber in der milden Nacht brannten so viele Sterne, als waere der Himmel mit ihnen angefuellt und als beruehrten sie sich gleichsam mit ihren Spitzen. Die Feierlichkeit traf mich erhebender, und die Pracht des Himmels war mir eindringender als sonst, wenn ich sie auch mit grosser Aufmerksamkeit betrachtet hatte. Ich musste mich in der neuen Welt erst zurecht finden. Ich sah lange mit einem sehr tiefen Gefuehle zu dem sternbedeckten Gewoelbe hinauf. Mein Gemuet war so ernst, wie es nie in meinem ganzen Leben gewesen war. Es lag ein fernes, unbekanntes Land vor mir. Ich ging zu dem Lichte, das auf meinem Tische brannte und stellte meinen undurchsichtigen Schirm vor dasselbe, dass seine Helle nur in die hinteren Teile des Zimmers falle und mir den Schein des Sternenhimmels nicht beirre. Dann ging ich wieder zu dem Fenster und blieb vor demselben. Die Zeit verfloss, und die Nachtfeier ging indessen fort. Wie es sonderbar ist, dachte ich, dass in der Zeit, in der die kleinen, wenn auch vieltausendfaeltigen Schoenheiten der Erde verschwinden und sich erst die unermessliche Schoenheit des Weltraums in der fernen, stillen Lichtpracht auftut, der Mensch und die groesste Zahl der andern Geschoepfe zum Schlummer bestimmt ist! Ruehrt es daher, dass wir nur auf kurze Augenblicke und nur in der raetselhaften Zeit der Traumwelt zu jenen Groessen hinan sehen duerfen, von denen wir eine Ahnung haben, und die wir vielleicht einmal immer naeher und naeher werden schauen duerfen? Sollen wir hienieden nie mehr als eine Ahnung haben? Oder ist es der grossen Zahl der Menschen nur darum bloss in kurzen schlummerlosen Augenblicken gestattet, zu dem Sternenhimmel zu schauen, damit die Herrlichkeit desselben uns nicht gewoehnlich werde und die Groesse sich nicht dadurch verliere? Aber ich bin ja wiederholt in ganzen Naechten allein gefahren, die Sternbilder haben sich an dem Himmel sachte bewegt, ich habe meine Augen auf sie gerichtet gehalten, sie sind dunkelschwarzen, gestaltlosen Waeldern oder Erdraendern zugesunken, andere sind im Osten aufgestiegen, so hat es fortgedauert, die Stellungen haben sich sanft geaendert und das Leuchten hat fortgelaechelt, bis der Himmel von der nahenden Sonne lichter wurde, das Morgenrot im Osten erschien und die Sterne wie ein ausgebranntes Feuerwerksgerueste erloschen waren. Haben da meine vom Nachtwachen brennenden Augen die verschwundene stille Groesse nicht fuer hoeher erkannt als den klaren Tag, der alles deutlich macht? Wer kann wissen, wie dies ist. Wie wird es jenen Geschoepfen sein, denen nur die Nacht zugewiesen ist, die den Tag nicht kennen? Jenen grossen, wunderbaren Blumen ferner Laender, die ihr Auge oeffnen, wenn die Sonne untergegangen ist, und die ihr meistens weisses Kleid schlaff und verblueht herabhaengen lassen, wenn die Sonne wieder aufgeht? Oder den Tieren, denen die Nacht ihr Tag ist? Es war eine Weihe und eine Verehrung des Unendlichen in mir. Traeumend, ehe ich entschlief, begab ich mich auf mein Lager, nachdem ich vorher das Licht ausgeloescht und die Vorhaenge der Fenster absichtlich nicht zugezogen hatte, damit ich die Sterne hereinscheinen saehe. Des anderen Morgens sammelte ich mich, um mir bewusst zu werden, was geschehen ist und welche tiefe Pflichten ich eingegangen war. Ich kleidete mich an, um in das Freie zu gehen und mein Angesicht und meinen Koerper der kuehlen Morgenluft zu geben. Als ich mein Zimmer verlassen hatte, suchte ich einen Gang zu gewinnen, der im suedlichen Teile des Schlosses in der Laenge desselben dahin laeuft. Seine Fenster muenden in den Hof und von ihm gehen Tueren in die, gegen Mittag liegenden Zimmer Mathildens und Nataliens. Diese Tueren, einst vielleicht zum Gebrauche fuer Gaeste bestimmt, waren jetzt meistens geschlossen, weil die Verbindung im Innern der Zimmer hergestellt war. Ich hatte den Gang darum aufgesucht, weil er an der Westseite des Schlosses zu einer kleinen Treppe fuehrt, die abwaerts geht und in ein Pfoertchen endet, das gewoehnlich des Morgens geoeffnet wurde und durch das man unmittelbar in die Felder auf breite, trockene Wege gelangen konnte, die den Wanderer unbemerkter ins Weite fuehren, als es durch den Hauptausgang des Schlosses moeglich gewesen waere. Die Bewohnerinnen der Zimmer, die an den Gang stiessen, glaubte ich darum nicht stoeren zu koennen, weil das Steinpflaster des Ganges seiner ganzen Laenge nach mit einem weichen Teppiche belegt war, der keine Tritte hoeren liess. Ausserdem hatte die Sonne auch bereits einen so hohen Morgenbogen zurueckgelegt, dass zu vermuten war, dass alle im Schlosse schon laengst aufgestanden sein wuerden. Da ich gegen das Ende des Ganges und in die Naehe der Treppe gekommen war, sah ich eine Tuer offen stehen, von der ich vermutete, dass sie zu den Zimmern der Frauen fuehren muesse. War die Tuer offen, weil man fortgehen wollte oder weil man eben gekommen war? Oder hatte eine Dienerin in der Eile offen gelassen, oder war irgend ein anderer Grund? Ich zauderte, ob ich vorbeigehen sollte; allein, da ich wusste, dass die Tuer doch nur in einen Vorsaal ging und da die Treppe schon so nahe war, die mich ins Freie fuehren sollte, so beschloss ich, vorbei zu gehen und meine Schritte zu beschleunigen. Ich schritt auf dem weichen Teppiche fort und trat nur behutsamer auf. Da ich an der Tuer angekommen war, sah ich hinein. Was ich vermutet hatte, bestaetigte sich, die Tuer ging in einen Vorsaal. Derselbe war nur klein und mit gewoehnlichen Geraeten versehen. Aber nicht bloss in den Vorsaal konnte ich blicken, sondern auch in ein weiteres Zimmer, das mit einer grossen Glastuer an den Vorsaal stiess, welche Glastuer noch ueberdies halb geoeffnet war. In diesem Zimmer aber stand Natalie. An den Waenden hinter ihr erhoben sich edle mittelalterliche Schreine. Sie stand fast mitten in dem Gemache vor einem Tische, auf welchem zwei Zithern lagen und von welchem ein sehr reicher altertuemlicher Teppich nieder hing. Sie war vollstaendig, gleichsam wie zum Ausgehen gekleidet, nur hatte sie keinen Hut auf dem Haupte. Ihre schoenen Locken waren auf dem Hinterhaupte geordnet und wurden von einem Bande oder etwas Aehnlichem getragen. Das Kleid reichte wie gewoehnlich bis zu dem Halse und schloss dort ohne irgend einer fremden Zutat. Es war wieder von lichtem, grauem Seidenstoffe, hatte aber sehr feine, stark rote Streifen. Es schloss die Hueften sehr genau und ging dann in reichen Falten bis auf den Fussboden nieder. Die Aermel waren enge, reichten bis zum Handgelenke und hatten an diesem wie am Oberarme dunkle Querstreifen, die wie ein Armband schlossen. Natalie stand ganz aufrecht, ja der Oberkoerper war sogar ein wenig zurueckgebogen. Der linke Arm war ausgestreckt und stuetzte sich mittelst eines aufrecht stehenden Buches, auf das sie die Hand legte, auf das Tischchen. Die rechte Hand lag leicht auf dem linken Unterarm. Das unbeschreiblich schoene Angesicht war in Ruhe, als haetten die Augen, die jetzt von den Lidern bedeckt waren, sich gesenkt und sie daechte nach. Eine solche reine, feine Geistigkeit war in ihren Zuegen, wie ich sie an ihr, die immer die tiefste Seele aussprach, doch nie gesehen hatte. Ich verstand auch, was die Gestalt sprach, ich hoerte gleichsam ihre inneren Worte: "Es ist nun eingetreten!" Sie hatte mich nicht kommen gehoert, weil der Teppich den Fussboden des Ganges bedeckte und sie konnte mich nicht sehen, weil ihr Angesicht gegen Sueden gerichtet war. Ich beobachtete nur zwei Augenblicke ihre sinnende Stellung und ging dann leise vorueber und die Treppe hinunter. Es erfuellte mich gleichsam mit einem Meere von Wonne, Natalien von der nehmlichen Empfindung beseelt zu sehen, die ich hatte, von der Empfindung, sich das errungene, kaum gehoffte und so hoch gehaltene Gut geistig zu sichern, sich klar zu machen, was man erhalten hat und in welche neue, unermesslich wichtige Wendung des Lebens man eingetreten sei. Ich konnte es kaum fassen, dass ich es sei, um den eine Gestalt, die das Schoenste ausdrueckt, was mir bis jetzt bekannt geworden ist, eine Gestalt, die man wohl auch stolz geheissen, die sich bisher von jeder Neigung abgewendet hatte, in diese tiefe sinnende Empfindung gesunken sei. Ich dachte mir, dass ich, so lange ich lebe, und sollte mein Leben bis an die aeusserste Grenze des menschlichen Alters oder darueber hinaus gehen, mit jedem Tropfen meines Blutes, mit jeder Faser meines Herzens sie lieben werde, sie moege leben oder tot sein, und dass ich sie fort und fort durch alle Zeiten in der tiefsten Seele meiner Seele tragen werde. Es erschien mir als das suesseste Gefuehl, sie nicht nur in diesem Leben, sondern in tausend Leben, die nach tausend Toden folgen moegen, immer lieben zu koennen. Wie viel hatte ich in der Welt gesehen, wie viel hatte mich erfreut, an wie Vielem hatte ich Wohlgefallen gehabt: und wie ist jetzt alles nichts, und wie ist es das hoechste Glueck, eine reine, tiefe, schoene menschliche Seele ganz sein eigen nennen zu koennen, ganz sein eigen! Ich ging durch das Pfoertchen hinaus, das ich nur angelehnt fand, und ging auf dem Wege fort, der an dieser Seite vor dem Schlosse vorbei fuehrt und dann in die Felder hinaus geht. Er ist breit, mit feinem Sande belegt und eignet sich daher seiner Trockenheit willen ganz besonders zu Morgenspaziergaengen. Er ist von dem vorigen Besitzer des Schlosses angelegt und von Mathilden verbessert worden. Er geht von dem Pfoertchen nach beiden Richtungen, nach Norden und nach Sueden, ziemlich weit fort und bildet auf diese Weise zu dem Schlosse eine Beruehrungslinie. Roland hatte ihn scherzweise auch immer den Beruehrweg genannt. Die Obstbaeume, die ihn jetzt haeufig saeumen, hat Mathilde meistens schon erwachsen an ihn versetzt. Frueher war der ganze Weg eine Allee von Pappeln gewesen; allein, da er ganz gerade durch die Gegend geht und mit den geraden Baeumen bepflanzt war, so erschien er sehr unschoen und fuer einen Lustweg, was er sein sollte, wenig geeignet. Nach Beratungen mit ihren Freunden hatte Mathilde die Pappeln, welche ausserdem auch den Feldern sehr schaedlich waren, nach und nach beseitigt. Sie waren gefaellt und ihre Wurzeln ausgegraben worden. Da man die Obstbaeume an ihre Stelle setzte, vermied man es absichtlich, an allen Plaetzen, an welchen Pappeln gestanden waren, Obstbaeume zu pflanzen, damit nicht wieder statt der Pappelallee eine Obstbaumallee wuerde, was zwar minder unschoen als frueher gewesen waere, aber doch immer noch nicht schoen. Durch diese Unterbrechung der Baumpflanzung erhielt der Weg, dessen gerade Richtung schwer zu beseitigen gewesen waere und die doch sonst zu eigentuemlich war, als dass man sie haette abaendern sollen, wenn man nicht Alles nach ganz neuen Gedanken einrichten wollte, die noetige Abwechslung. Mitternachtwaerts von dem Schlosse fuehrt er durch Wiesen und Felder an Gebueschen hin, steigt dann zu einem Walde hinan, in welchen er eine Strecke eindringt. Suedwaerts geht er durch Felder, hat dort besonders schoene Apfelbaeume an seinen Seiten, woelbt sich sanft ueber einen Ackerruecken und gewaehrt von ihm eine schoene Aussicht in die Gebirge. Ich schlug die Richtung nach Sueden ein, wie ich ueberhaupt sehr gerne bei dem Beginne eines Spazierganges so gehe, dass ich leicht nach Mittag sehe, das Licht vor mir habe und in den schoeneren Glanz und die lieblichere Faerbung der Wolken blicken kann. Der Himmel war wie gestern ganz heiter, die Sonne stand in seinem oestlichen Teile und begann die Tropfen, welche an allen Graesern und an dem Laube der Baeume hingen, aufzusaugen. Die Morgenkuehle war noch nicht vergangen, obwohl der Einfluss der Sonne immer mehr und mehr bemerkbar wurde. Ich sah mit neuen Augen auf alle Dinge um mich, es schien, als haetten sie sich verjuengt und als muesste ich mich wieder allmaehlich an ihren Anblick gewoehnen. Ich kam auf die Anhoehe und sah auf den langen Zug der Gebirge. Die blauen Spitzen blickten auf mich herueber, und die vielen Schneefelder zeigten mir ihren feinen Glanz. Ich sah auch die Berghaeupter an dem Kargrat, wo ich zuletzt gearbeitet hatte. Mir war, als waere es schon viele Jahre, seit ich in jenen Eisfeldern und Schneegruenden gewesen war. Ich liess, waehrend ich so dastand, die milde Luft, den Glanz der Sonne und das Prangen der Dinge auf mich wirken. Sonst hatte ich immer irgend ein Buch in meine Tasche gesteckt, wenn ich in der Gegend herum gehen wollte; heute hatte ich es nicht getan. Mir war jetzt nicht, als sollte ich irgend ein Buch lesen. Ich ging nach einer Weile wieder an den Baeumen dahin, an denen schon die mannigfaltigen Aepfel hingen, die jeder nach seiner Art brachte und die schon hie und da ihre eigentuemliche Farbe zu erhalten begannen. Ich ging so lange auf der Anhoehe des Felderrueckens fort, bis sie sich leicht zu senken anfing, ueber welche Senkung der Weg noch hinabgeht, um in dem Tale an der Grenze eines fremden Gutes zu enden oder vielmehr in einen anderen Weg ueberzugehen, der die Eigenschaften aller jener Fusswege hat, die in unzaehligen Richtungen unser Land durchziehen und auf deren taugliche Beschaffenheit, Verbesserung oder Verschoenerung niemand denkt. Ich ging auf der Senkung des Weges nicht mehr hinunter, weil ich nicht talwaerts kommen wollte, wo die Blicke beengt sind. Ich wendete mich um und hatte den Anblick des Schlosses vor mir, welches jetzt von solcher Bedeutung fuer mich geworden war. Die Fenster schimmerten in dem Glanze der Sonne, das Grau der von der Tuenche befreiten suedlichen Mauer schaute sanft zu mir herueber, das dunkle Dach hob sich von der Blaeue der noerdlichen Luft ab, und ein leichter Rauch stieg von einigen seiner Schornsteine auf. Ich ging langsam auf dem Ruecken des Feldes an den Obstbaeumen vorueber meines Weges zurueck, bis er sachte gegen das Schloss abwaerts zu gehen begann. An dieser Stelle sah ich jetzt, dass mir eine Gestalt, welche mir frueher durch Baumkronen verdeckt gewesen sein mochte, entgegen kam, welche die Gestalt Nataliens war. Wir gingen beide schneller, als wir uns erblickten, um uns frueher zu erreichen. Da wir nun zusammen trafen, blickte mich Natalie mit ihren grossen dunkeln Augen freundlich an und reichte mir die Hand. Ich empfing sie, drueckte sie herzlich und sagte einen innigen Gruss. "Es ist recht schoen", sprach sie, "dass wir gleichzeitig einen Weg gehen, den ich heute schon einmal gehen wollte, und den ich jetzt wirklich gehe." "Wie habt ihr denn die Nacht zugebracht, Natalie?" fragte ich. "Ich habe sehr lange den Schlummer nicht gefunden", antwortete sie, "dann kam er doch in sehr leichter, fluechtiger Gestalt. Ich erwachte bald und stand auf. Am Morgen wollte ich auf diesen Weg heraus gehen und ihn bis ueber die Felderanhoehe fortsetzen; aber ich hatte ein Kleid angezogen, welches zu einem Gange ausser dem Hause nicht tauglich war. Ich musste mich daher spaeter umkleiden und ging jetzt heraus, um die Morgenluft zu geniessen." Ich sah wirklich, dass sie das lichte graue Kleid mit den feinen tiefroten Streifen nicht mehr an habe, sondern ein einfacheres, kuerzeres, mattbraunes trage. Jenes Kleid waere freilich zu einem Morgenspaziergange nicht tauglich gewesen, weil es in reichen Falten fast bis auf den Fussboden nieder ging. Sie hatte jetzt einen leichten Strohhut auf dem Haupte, welchen sie immer bei ihren Wanderungen durch die Felder trug. Ich fragte sie, ob sie glaube, dass noch so viel Zeit vor dem Fruehmahle sei, dass sie ueber die Felderanhoehe hinaus und wieder in das Schloss zurueckkommen koenne. "Wohl ist noch so viel Zeit", erwiderte sie, "ich waere ja sonst nicht fortgegangen, weil ich eine Stoerung in der Hausordnung nicht verursachen moechte." "Dann erlaubt ihr wohl, dass ich euch begleite?" sagte ich. "Es wird mir sehr lieb sein", antwortete sie. Ich begab mich an ihre Seite, und wir wandelten den Weg, den ich gekommen war, zurueck. Ich haette ihr sehr gerne meinen Arm angeboten; aber ich hatte nicht den Mut dazu, Wir gingen langsam auf dem feinen Sandwege dahin, an einem Baumstamme nach dem andern vorueber, und die Schatten, welche die Baeume auf den Weg warfen, und die Lichter, welche die Sonne dazwischen legte, wichen hinter uns zurueck. Anfangs sprachen wir gar nicht, dann aber sagte Natalie: "Und habt ihr die Nacht in Ruhe und Wohlsein zugebracht?" "Ich habe sehr wenig Schlaf gefunden; aber ich habe es nicht unangenehm empfunden", entgegnete ich, "die Fenster meiner Wohnung, welche mir eure Mutter so freundlich hatte einrichten lassen, gehen in das Freie, ein grosser Teil des Sternenhimmels sah zu mir herein. Ich habe sehr lange die Sterne betrachtet. Am Morgen stand ich fruehe auf, und da ich glaubte, dass ich niemand in dem Schlosse mehr stoeren wuerde, ging ich in das Freie, um die milde Luft zu geniessen." "Es ist ein eigenes erquickendes Labsal, die reine Luft des heiteren Sommers zu atmen", erwiderte sie. "Es ist die erhebendste Nahrung, die uns der Himmel gegeben hat", antwortete ich. "Das weiss ich, wenn ich auf einem hohen Berge stehe und die Luft in ihrer Weite wie ein unausmessbares Meer um mich herum ist. Aber nicht bloss die Luft des Sommers ist erquickend, auch die des Winters ist es, jede ist es, welche rein ist und in welcher sich nicht Teile finden, die unserm Wesen widerstreben." "Ich gehe oft mit der Mutter an stillen Wintertagen gerade diesen Weg, auf dem wir jetzt wandeln. Er ist wohl und breit ausgefahren, weil die Bewohner von Erltal und die der umliegenden Haeuser im Winter von ihrem tief gelegenen Fahrwege eine kleine Abbeugung ueber die Felder machen und dann unseren Spazierweg seiner ganzen Laenge nach befahren. Da ist es oft recht schoen, wenn die Zweige der Baeume voll von Kristallen haengen oder wenn sie bereift sind und ein feines Gitterwerk ueber ihren Staemmen und Aesten tragen. Oft ist es sogar, als wenn sich der Reif in der Luft befaende und sie mit ihm erfuellt waere. Ein feiner Duft schwebt in ihr, dass man die naechsten Dinge nur wie in einen Rauch gehuellt sehen kann. Ein anderes Mal ist der Himmel wieder so klar, dass man alles deutlich erblickt. Er spannt sich dunkelblau ueber die Gefilde, die in der Sonne glaenzen, und wenn wir auf die Hoehe der Felder kommen, koennen wir von ihr den ganzen Zug der Gebirge sehen. Im Winter ist die Landschaft sehr still, weil die Menschen sich in ihren Haeusern halten, so viel sie koennen, weil die Singvoegel Abschied genommen haben, weil das Wild in die tieferen Waelder zurueck gegangen ist, und weil selbst ein Gespann nicht den toenenden Rufschlag und das Rollen der Raeder hoeren laesst, sondern nur der einfache Klang der Pferdeglocke, die man hier hat, anzeigt, dass irgend wo jemand durch die Stille des Winters faehrt. Wir gehen auf der klaren Bahn dahin, die Mutter leitet die Gespraeche auf verschiedene Dinge, und das Ziel unserer Wanderung ist gewoehnlich die Stelle, wo der Weg in das Tal hinabzugehen anfaengt. In der Stadt habt ihr die schoenen Winterspaziergaenge nicht, welche uns das Land gewaehrt." "Nein, Natalie, die haben wir nicht. Wir haben von der dem Winter als Winter eigentuemlichen Wesenheit nichts als die Kaelte; denn der Schnee wird auch aus der Stadt fortgeschafft", erwiderte ich, "und nicht bloss im Winter, auch im Sommer hat die Stadt nichts, was sich nur entfernt mit der Freiheit und Weite des offenen Landes vergleichen liesse. Eine erweiterte Pflege der Kunst und der Wissenschaft, eine erhoehte Geselligkeit und die Regierung des menschlichen Geschlechts sind in der Stadt, und diese Dinge begreifen auch das, was man in der Stadt sucht. Einen Teil von Wissenschaft und Kunst aber kann man wohl auch auf dem Lande hegen, und ob groessere Zweige der allgemeinen Leitung der Menschen auch auf das Land gelegt werden koennten, als jetzt geschieht, weiss ich nicht, da ich hierin zu wenig Kenntnisse habe. Ich trage schon lange den Gedanken in mir, einmal auch im Winter in das Hochgebirge zu gehen und dort eine Zeit zuzubringen, um Erfahrungen zu sammeln. Es ist seltsam und reizt zur Nachahmung, was uns die Buecher melden, die von Leuten verfasst wurden, welche im Winter hochgelegene Gegenden besucht oder gar die Spitzen bedeutender Berge erstiegen haben." "Wenn es fuer Leben und Gesundheit keine Gefahr hat, solltet ihr es tun", antwortete sie. "Es ist wohl ein Vorrecht der Maenner, das Groessere wagen und erfahren zu koennen. Wenn wir zuweilen im Winter in grossen Staedten gewesen sind und dort das Leben der verschiedenen Menschen gesehen haben, dann sind wir gerne in den Sternenhof zurueckgegangen. Wir haben hier in manchen groesseren Zeitraeumen alle Jahreszeiten genossen und haben jeden Wechsel derselben im Freien kennen gelernt. Wir sind mit Freunden verbunden, deren Umgang uns veredelt, erhebt, und zu denen wir kleine Reisen machen. Wir haben einige Ergebnisse der Kunst und in einem gewissen Masse auch der Wissenschaft, so weit es sich fuer Frauen ziemt, in unsere Einsamkeit gezogen." "Der Sternenhof ist ein edler und ein wuerdevoller Sitz", entgegnete ich, "er hat sich ein schoenes Teil des Menschlichen gesammelt und muss nicht das Widerwaertige desselben hinnehmen. Aber es mussten auch viele Umstaende zusammentreffen, da es somit werden konnte, wie es ward." "Das sagt die Mutter auch", erwiderte sie, "und sie sagt, sie muesse der Vorsehung sehr danken, dass sie ihre Bestrebungen so unterstuetzt und geleitet habe, weil wohl sonst das Wenigste zu Stande gekommen waere." Wir hatten in der Zeit dieses Gespraeches nach und nach die hoechste Stelle des Weges erreicht. Vor uns ging es wieder abwaerts. Wir blieben eine Weile stehen. "Sagt mir doch", begann Natalie wieder, "wo liegt denn das Kargrat, in welchem ihr euch in diesem Teile des Sommers aufgehalten habt? Man muss es ja von hier aus sehen koennen." "Freilich kann man es sehen", antwortete ich, "es liegt fast im aeussersten Westen des Teiles der Kette, der von hier aus sichtbar ist. Wenn ihr von jenen Schneefeldern, die rechts von der sanftblauen Kuppe, welche gerade ueber der Grenzeiche eures Weizenfeldes sichtbar ist, liegen, und die fast wie zwei gleiche, mit der Spitze nach aufwaerts gerichtete Dreiecke aussehen, wieder nach rechts geht, so werdet ihr lichte, fast wagrecht gehende Stellen in dem greulichen Daemmer des Gebirges sehen, das sind die Eisfelder des Kargrats." "Ich sehe sie sehr deutlich", erwiderte sie, "ich sehe auch die Spitzen, die ueber das Eis empor ragen. Und auf diesem Eise seid ihr gewesen?" "An seinen Grenzen, die es in allen Richtungen umgeben", antwortete ich, "und auf ihm selber". "Da muesst ihr ja auch deutlich hieher gesehen haben", sagte sie. "Die Berggestaltungen des Kargrates, die wir hier sehen", erwiderte ich, "sind so gross, dass wir seine Teile wohl von hier aus unterscheiden koennen; aber die Abteilungen der hiesigen Gegend sind so klein, dass ihre Gliederungen von dort aus nicht erblickt werden koennen. Das Land liegt wie eine mit Duft ueberschwebte einfache Flaeche unten. Mit dem Fernrohre konnte ich mir einzelne bekannte Stellen suchen, und ich habe mir die Bildungen der Huegel und Waelder des Sternenhofes gesucht." "Ach nennt mir doch einige von den Spitzen, die wir von hier aus sehen koennen", sagte sie. "Das ist die Kargratspitze, die ihr ueber dem Eise als hoechste seht", erwiderte ich, "und rechts ist die Glommspitze und dann der Ethern und das Krummhorn. Links sind nur zwei, der Aschkogel und die Sente." "Ich sehe sie", sagte sie, "ich sehe sie." "Und dann sind noch geringere Erhoehungen", fuhr ich fort, "die sich gegen die weiteren Berghaenge senken, die keinen Namen haben und die man hier nicht sieht." Da wir noch eine Weile gestanden waren, die Berge betrachtet und gesprochen hatten, wendeten wir uns um und wandelten dem Schlosse zu. "Es ist doch sonderbar", sagte Natalie, "dass diese Berge keinen weissen Marmor hervorbringen, da sie doch so viel verschiedenfarbigen haben." "Da tut ihr unseren Bergen ein kleines Unrecht", antwortete ich, "sie haben schon Lager von weissem Marmor, aus denen man bereits Stuecke zu mannigfaltigen Zwecken bricht, und gewiss werden sie in ihren Verzweigungen noch Stellen bergen, wo vielleicht der feinste und ungetruebteste weisse Marmor ist." "Ich wuerde es lieben, mir Dinge aus solchem Marmor machen zu lassen", sagte sie. "Das koennt ihr ja tun", erwiderte ich, "kein Stoff ist geeigneter dazu." "Ich koennte aber nach meinen Kraeften nur kleine Gegenstaende anfertigen lassen, Verzierungen und dergleichen", sagte sie, "wenn ich die rechten Stuecke bekommen koennte, und wenn meine Freunde mir mit ihrem Rate beistanden." "Ihr koennt sie bekommen", antwortete ich, "und ich selber koennte euch hierin helfen, wenn ihr es wuenscht." "Es wird mir sehr lieb sein", erwiderte sie, "unser Freund hat edle Werke aus farbigem Marmor in seinem Hause ausfuehren lassen, und ihr habt ja auch schoene Dinge aus solchem fuer eure Eltern veranlasst." "Ja, und ich suche noch immer schoene Stuecke Marmor zu erwerben, um sie gelegentlich zu kuenftigen Werken zu verwenden", antwortete ich. "Meine Vorliebe fuer den weissen Marmor habe ich wohl aus den reichen, schoenen und grossartigen Dingen gezogen", entgegnete sie, "die ich in Italien aus ihm ausgefuehrt gesehen habe. Besonders wird mir Florenz und Rom unvergesslich sein. Das sind Dinge, die unsere hoechste Bewunderung erregen, und doch, habe ich immer gedacht, ist es menschlicher Sinn und menschlicher Geist, der sie entworfen und ausgefuehrt hat. Euch werden auch Gegenstaende bei eurem Aufenthalte im Freien erschienen sein, die das Gemuet maechtig in Anspruch nehmen." "Die Kunstgebilde leiten die Augen auf sich, und mit Recht", antwortete ich, "sie erfuellen mit Bewunderung und Liebe. Die natuerlichen Dinge sind das Werk einer anderen Hand, und wenn sie auf dem rechten Wege betrachtet werden, regen sie auch das hoechste Erstaunen an." "So habe ich wohl immer gefuehlt", sagte sie. "Ich habe auf meinem Lebenswege durch viele Jahre Werke der Schoepfung betrachtet", erwiderte ich, "und dann auch, so weit es mir moeglich war, Werke der Kunst kennen gelernt, und beide entzueckten meine Seele." Mit diesen Gespraechen waren wir allmaehlich dem Schlosse naeher gekommen und waren jetzt bei dem Pfoertchen. An demselben blieb Natalie stehen und sagte die Worte: "Ich habe gestern sehr lange mit der Mutter gesprochen, sie hat von ihrer Seite eine Einwendung gegen unseren Bund nicht zu machen." Ihre feinen Zuege ueberzog ein sanftes Rot, als sie diese Worte zu mir sprach. Sie wollte nun sogleich durch das Pfoertchen hinein gehen, ich hielt sie aber zurueck und sagte: "Fraeulein, ich hielte es nicht fuer Recht, wenn ich euch etwas verhehlte. Ich habe euch heute schon einmal gesehen, ehe wir zusammentrafen. Als ich am Morgen ueber den Gang hinter euren Zimmern ins Freie gehen wollte, standen die Tueren in einen Vorsaal und in ein Zimmer offen, und ich sah euch in diesem letztern an einem mit einem altertuemlichen Teppiche behaengten Tischchen, die Hand auf ein Buch gestuetzt, stehen." "Ich dachte an mein neues Schicksal", sagte sie. "Ich wusste es, ich wusste es", antwortete ich, "und moegen die himmlischen Maechte es so guenstig gestalten, als es der Wille derer ist, die euch wohlwollen." Ich reichte ihr beide Haende, sie fasste sie, und wir drueckten uns dieselben. Darauf ging sie in das Pfoertchen ein und ueber die Treppe empor. Ich wartete noch ein wenig. Da sie oben war und die Tuer hinter sich geschlossen hatte, stieg ich auch die Treppe empor. Das ganze Wesen Nataliens schien mir an diesem Morgen glaenzender, als es die ganze Zeit her gewesen war, und ich ging mit einem tief, tief geschwellten Herzen in mein Zimmer. Dort kleidete ich mich insoweit um, als es noetig war, die Spuren des Morgenspazierganges zu beseitigen und anstaendig zu erscheinen, dann ging ich, da die Stunde des Fruehmahles schon heran nahte, in das Speisezimmer. Ich war in demselben allein. Der Tisch war schon gedeckt und Alles zum Morgenmahle in Bereitschaft gesetzt. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, kam Mathilde mit Natalie zugleich in das Zimmer. Natalie hatte sich umgekleidet, sie hatte jetzt ein festlicheres Kleid an als sie beim Morgenspaziergange getragen hatte, weil sie gleich Mathilden bei Tische einen Gast durch ein besseres Kleid ehrte. Mit der gewoehnlichen Ruhe und Heiterkeit, aber mit einer fast noch groesseren Freundlichkeit als sonst begruesste mich Mathilde und wies mir meinen Platz an. Wir setzten uns. Wir waren nun bei dem Fruehmahle, wie wir es die mehreren Tage her gewohnt waren. Dieselben Gegenstaende befanden sich auf dem Tische und derselbe Vorgang wurde befolgt wie immer. Obgleich nur ein Dienstmaedchen ab und zu ging und wir in den Zwischenzeiten allein waren, indem Mathilde nach ihrer Gepflogenheit manche Handlungen, die bei einem solchen Fruehmahle noetig sind, an dem Tische selbst verrichtete, so wurde doch ueber unsere besonderen Angelegenheiten auch jetzt nicht gesprochen. Gewoehnliche Dinge, wie sie sich an gewoehnlichen Tagen darbieten, bildeten den Inhalt der Gespraeche. Teils Kunst, teils die schoenen Tage der Jahreszeit, die eben war, und teils ein Abschnitt des Aufenthaltes waehrend der Rosenzeit im Asperhofe wurden abgehandelt. Dann standen wir auf und trennten uns. Und so wurde auch am ganzen Tage von dem Verhaeltnisse, in welches ich zu Natalien getreten war, nichts gesprochen. Wir fanden uns noch im Laufe des Vormittags im Garten zusammen. Mathilde zeigte mir einige Veraenderungen, welche sie vorgenommen hatte. Mehrere zu sehr in geraden Linien gezogene geschorne Hecken, die sich noch in einem abgelegenen Teile des Gartens befunden hatten, waren beseitigt worden und hatten einer leichteren und gefaelligeren Anlage Platz gemacht. Blumenbeete waren gezogen worden und mehrere Pflanzen, welche man erst kennen gelernt hatte, welche mein Gastfreund sehr liebte und unter denen sich ausserordentlich schoene befanden, waren in eine Gruppe gestellt worden. Mathilde nannte ihre Namen, Natalie hoerte aufmerksam zu. Am Nachmittage wurde ein Spaziergang gemacht. Zuerst besuchten wir die Arbeiter, welche mit der Hinwegschaffung der Tuenche von der Steinbekleidung des Hauses beschaeftigt waren, und sahen eine Zeit hindurch zu. Mathilde tat mehrere Fragen und liess sich in Eroerterungen ueber Dinge ein, die diese Angelegenheit betrafen. Dann gingen wir in einem grossen Bogen laengs des Rueckens der Anhoehen herum, die zu einem Teile das Tal beherrschen, in dem das Schloss liegt. Wir kamen an dem Saume eines Waeldchens vorueber, von dem man das Schloss, den Garten und die Wirtschaftsgebaeude sehen konnte, und gingen endlich durch den noerdlichen Arm desselben Spazierweges in das Schloss zurueck, in dessen suedlichem Teile ich heute Morgens mit Natalien gewandelt war. Gegen Abend kam der Wagen mit den Wanderern an. Mein Gastfreund stieg zuerst heraus, dann folgten fast gleichzeitig die uebrigen, juengeren Maenner. Ich wurde von allen gegruesst und von allen getadelt, dass ich so spaet gekommen sei. Man begab sich in das gemeinschaftliche Gesellschaftszimmer und besprach sich dort eine Weile, ehe man sich in die Gemaecher verfuegen wollte, die fuer einen jeden bestimmt waren. Mein Gastfreund fragte mich, wo ich mich heuer aufgehalten und welche Teile des Gebirges ich durchstreift habe. Ich antwortete ihm, dass ich ihm schon im Allgemeinen gesagt habe, dass ich an den Simmigletscher gehen werde, dass ich aber meinen besonderen Wohnort im Kargrat aufgeschlagen habe, in dem mit dem Gebirgsstocke gleichnamigen kleinen Doerflein. Von da aus habe ich meine Streifereien gemacht. Ich nannte ihm die einzelnen Richtungen, weil er besonders in der Gegend der Simmen sehr bekannt war. Eustach sprach ueber die schoenen Naturbilder, die in jenen Gestaltungen vorkommen. Roland sagte, ich moechte doch auch einmal die Klamkirche, in der sie gewesen seien, besuchen; die Zeichnungen werde mir Eustach schon zeigen, damit ich einen vorlaeufigen Ueberblick davon zu erlangen vermoege. Gustav gruesste mich einfach mit seiner Liebe und Freundschaft, wie er es immer getan hatte. Auf die gelegentliche Frage meines Gastfreundes, ob ich nun lange in der Gesellschaft meiner Freunde zu bleiben gesonnen sei, antwortete ich, dass mich eine wichtige Angelegenheit vielleicht schon in sehr kurzer Zeit fortfuehren koennte. Nach diesen allgemeinen Gespraechen begaben sich die Reisenden in ihre Zimmer, um die Spuren der Reise zu beseitigen, staubige Kleider abzulegen, sich sonst zu erfrischen oder Mitgebrachtes in eine Ordnung zu richten. Wir sahen uns erst bei dem Abendessen wieder. Dasselbe war so heiter und freundlich, wie es immer gewesen war. Am anderen Morgen nach dem Fruehmahle ging mein Gastfreund eine Zeit mit Mathilden im Garten spazieren, dann kam er in mein Zimmer und sagte zu mir: "Ihr habt Recht, und es ist sehr gut von euch, dass ihr das, was euren hiesigen Freunden lieb und angenehm ist, euren Eltern und euren Angehoerigen sagen wollt." Ich erwiderte nichts, erroetete und verneigte mich sehr ehrerbietig. Ich erklaerte im Laufe des Vormittages, dass ich, sobald es nur immer moeglich waere, abreisen muesste. Man stellte mir Pferde bis zur naechsten Post zur Verfuegung, und nachdem ich mein kleines Gepaeck geordnet hatte, beschloss ich, noch vor dem Mittage die Reise anzutreten. Man liess es zu. Ich nahm Abschied. Die klaren, heiteren Augen meines Gastfreundes begleiteten mich, als ich von ihm hinwegging. Mathilde war sanft und guetig, Natalie stand in der Vertiefung eines Fensters, ich ging zu ihr hin und sagte leise: "Liebe, liebe Natalie, lebet wohl." "Mein lieber, teurer Freund, lebet wohl", antwortete sie ebenfalls leise, und wir reichten uns die Haende. Nach einem Augenblicke verabschiedete ich mich auch von den anderen, die, da sie wussten, dass ich abreisen werde, in das Gesellschaftszimmer gekommen waren. Ich schuettelte Eustach und Roland die Haende und empfing Gustavs Kuss, welche innigere Art des Bewillkommens und Scheidens schon seit laengerer Zeit zwischen uns ueblich geworden war und welche mir heute so besonders wichtig wurde. Hierauf ging ich die Treppe hinab und bestieg den Wagen. Mathildens Pferde brachten mich auf die naechste Post. Dort sendete ich sie zurueck und nahm andere in der Richtung nach dem Kargrat. Ich goennte mir wenig Ruhe. Als ich dort angekommen war, erklaerte ich meinen Leuten, dass Umstaende eingetreten waeren, welche die Fortsetzung der heurigen Arbeiten nicht erlaubten. Ich entliess sie also, haendigte ihnen aber den Lohn ein, den sie bekommen haetten, wenn sie mir in der ganzen vertragsmaessigen Zeit gedient haetten. Sie waren hierueber zufrieden. Der Jaeger und Zitherspieler war frueher, ehe ich gekommen war, fortgegangen. Wohin er sich begeben habe, wussten die Leute selber nicht. Das Verhaeltnis mit meinen Arbeitern zu ordnen, war mir das Wichtigste auf meinem Arbeitsplatze gewesen; deshalb war ich hingereist. Ich hatte ihnen vor meinem Besuche im Asperhofe gesagt, dass ich bald wieder kommen werde, hatte ihnen waehrend meiner Abwesenheit Arbeit aufgetragen und hatte ihnen Arbeit nach meiner Wiederkunft in Aussicht gestellt. Dieses musste nun umgeaendert werden. Da es geschehen war, gab ich meine Sachen im Kargrat so in Verwahrung, dass sie gesichert waren, und reiste sogleich wieder ab. Ich hatte die Pferde, die ich von dem letzten groesseren Orte in das Kargrat mitgenommen hatte, bei mir behalten und fuhr jetzt mit ihnen wieder fort. Auf dem ersten Postamte verlangte ich eigene Postpferde und schlug die Richtung zu meinen Eltern ein. Als ich dort angekommen war, machte mein unvermutetes Erscheinen beinahe den Eindruck des Erstaunens. Alle Ereignisse waren so schnell gekommen, dass, da einmal meine Abreise zu meinen Eltern festgesetzt war, ein Brief, der sie von meiner Ankunft benachrichtigt haette, wahrscheinlich nicht frueher zu ihnen gekommen waere als ich selbst. Sie konnten sich daher nicht erklaeren, warum ich ohne vorhergegangene Benachrichtigung nun im Sommer statt im Herbste komme. Ich sagte ihnen auf ihre Frage, dass allerdings ein Grund zu meiner jetzigen Heimreise vorhanden sei, aber keineswegs ein unangenehmer, dass ich in Ungeduld so schnell abgereist sei und dass ich ihnen eine fruehere Nachricht von meiner Ankunft nicht habe zugeben lassen koennen. Hierauf waren sie beruhigt und, wie es ihre Art war, fragten sie mich nun nicht nach meinem Grunde. Am andern Morgen, ehe der Vater in die Stadt ging, begab ich mich zu ihm in das Buecherzimmer und sagte ihm, dass ich zu Natalien, der Tochter der Freundin meines Gastfreundes, schon seit langer Zeit her eine Zuneigung gefasst habe, dass diese Neigung in mir verborgen geblieben und dass es mein Vorsatz gewesen sei, sie, wenn sie ohne Aussicht waere, zu unterdruecken, ohne dass ich je zu irgend jemandem ein Wort darueber sagte. Nun habe aber Natalie auch mich ihres Anteils nicht fuer unwert gehalten, ich habe davon nichts gewusst, bis ein Zufall, da wir von anderen, weit entlegenen Dingen sprachen, die gegenseitig unbekannte Stimmung zu Tage brachte. Da haben wir nun einen Bund geschlossen, dass wir uns unsere Neigung bewahren wollen, so lange wir leben, und dass wir sie in dieser Art nie einem anderen Wesen schenken wuerden. Natalie habe verlangt, und mein Sinn stimmte diesem Verlangen vollkommen bei, dass wir unseren Angehoerigen diese Tatsache mitteilen sollten, damit wir uns unseres Gutes durch ihre Zustimmung erfreuen oder, wenn von einem Teile die Billigung versagt wuerde, die Neigung zwar unveraendert erhalten, aber den persoenlichen Umgang aufheben. Da nun Nataliens Angehoerige nichts eingewendet haben, so sei ich hier, um die Sache meinen Eltern zu sagen, und ihm sage ich sie zuerst, der Mutter wuerde ich sie spaeter mitteilen. "Mein Sohn", antwortete er, "du bist muendig, du hast das Recht, Vertraege abzuschliessen und hast einen sehr wichtigen abgeschlossen. Da ich dich genau kenne, da ich dich seit einiger Zeit noch viel genauer kennen zu lernen Gelegenheit hatte als ich dich frueher kannte, so weiss ich, dass deine Wahl einen Gegenstand getroffen hat, der, wenn ihm auch gewiss wie allen Menschen Fehler eigen sind, an Wert und Guete entsprechen wird. Wahrscheinlich hat er beide Dinge in einem hoeheren Masse als die Menschen, wie sie in groesserer Menge jetzt ueberall sind. In dieser Meinung bestaerken mich noch mehrere Umstaende. Eure Neigung ist nicht schnell entstanden, sondern hat sich vorbereitet, du hast sie ueberwinden wollen, du hast nichts gesagt, du hast uns von Natalien wenig erzaehlt, also ist es kein hastiges, fortreissendes Verlangen, welches dich erfasst hat, sondern eine auf dem Grunde der Hochachtung beruhende Zuneigung. Bei Natalien ist es wahrscheinlich auch so, weil, wie du gesagt hast, ihre Gegenneigung vorhanden war, ehe du sie erkennen konntest. Ferner hat bei deinem Gastfreunde die Gesammtheit deines Wesens eine so entschiedene Foerderung erhalten, du hast nach manchem Besuche bei ihm auch so hervorragende Einzelheiten zurueckgebracht, dass ihm eine grosse Guete und Bildung eigen sein muss, die auf seine Umgebung uebergeht. Ich habe nichts einzuwenden." Obgleich ich mir vorgestellt hatte, dass mein Vater dem geschlossenen Bunde kein Hindernis entgegenstellen werde, so war ich doch bei dieser Unterredung beklommen und ernst gewesen, so wie in der Haltung meines Vaters eine tiefe Ergriffenheit nicht zu verkennen gewesen war. Jetzt, da er geredet hatte, kam in mein Herz eine Freudigkeit, die sich auch in meinen Augen und in meinen Mienen ausgedrueckt haben musste. Mein Vater blickte mich guetig und freundlich an und sagte: "Du wirst mit der Mutter von diesem Gegenstande nicht so leicht sprechen, ich werde deine Stelle vertreten und ihr von dem geschlossenen Bunde erzaehlen, dass du schneller ueber die Mitteilung hinwegkoemmst. Lasse den Vormittag vergehen, nach dem Mittagessen werde ich die Mutter in dieses Zimmer bitten. Klotilde wird dann gelegentlich auch Kenntnis von deinem Schritte erhalten." Wir verliessen nun das Buecherzimmer. Mein Vater ruestete sich, in seine Geschaeftsstube in die Stadt zu gehen, wie er sich jeden Morgen geruestet hatte. Als er fertig war, nahm er von der Mutter Abschied und ging fort. Der Vormittag verfloss, wie gewoehnlich die Zeit nach meiner Ankunft verflossen war. Die Mutter und Klotilde fragten nicht nach dem Grunde meines ungewoehnlichen Zurueckkommens und gingen ihren Geschaeften nach. Als das Mittagmahl vorueber war, nahm der Vater die Mutter in das Buecherzimmer und blieb eine Weile mit ihr dort. Als sie wieder zu mir und Klotilden herauskamen, blickte sie mich freundlich an, sagte aber nichts. Sie setzten sich wieder zu uns, und wir blieben noch eine Zeit an dem Tische sitzen. Als wir aufgestanden waren, gingen wir in den Garten, welchen ich jetzt durch eine Reihe von Jahren nicht im Sommer gesehen hatte. Die Rosen, welche hie und da zerstreut waren, glichen nicht denen meines Gastfreundes, waren aber auch nicht schlechter als die, welche sich in dem Sternenhofe befanden. Der Garten, welcher mir in meiner Kindheit immer so lieb und traulich gewesen war, erschien mir jetzt klein und unbedeutend, obwohl seine Blumen, die gerade in dieser Sommerzeit noch bluehten, seine Obstbaeume, seine Gemuese, Weinreben und Pfirsichgitter nicht zu den geringsten der Stadt gehoerten. Es zeigte sich nur eben der Unterschied eines Stadtgartens und des Gartens eines reichen Landbesitzers. Man wies mir alles, was man fuer wichtig erachtete, und machte mich auf alle Veraenderungen aufmerksam. Man schien sich gleichsam zu freuen, dass man mich doch einmal zu Anfang der heisseren Jahreszeit hier habe, waehrend ich sonst nur immer am Beginne der kaelteren gekommen war, wenn die Blaetter abfielen und der Garten sich seines Schmuckes entaeusserte. Gegen den Abend ging der Vater wieder in die Stadt. Wir blieben in dem Garten. Da sich in einem Augenblicke die Schwester mit dem Aufbinden eines Rebenzweiges beschaeftigte und ich mit der Mutter allein an dem Marmorbrunnen der Einbeere stand, in welchen das koestliche helle Wasser nieder rieselte, sagte sie zu mir: "Ich wuensche, dass jedes Glueck und jeder Segen vom Himmel dich auf dem sehr wichtigen Schritte begleiten moege, den du getan hast, mein Sohn. Wenn du auch sorgsam gewaehlt hast, und wenn auch alle Bedingungen zum Gedeihen vorhanden sind, so bleibt der Schritt doch ein schwerer und wichtiger, noch steht das Zusammenfinden und das Einleben in einander bevor." "Moege es uns Gott so gewaehren, wie wir glauben, es erwarten zu duerfen", antwortete ich, "ich wollte auch kein Glueck gruenden, ohne dass ich meine Eltern darum fragte und ohne dass ihr Wille mit dem meinigen uebereinstimmte. Zuerst musste wohl Gewissheit gesucht werden, ob sich die Neigungen zusammen gefunden haetten. Als dieses erkannt war, musste der Sinn und die Zustimmung der Angehoerigen erforscht werden, und deshalb bin ich hier." "Der Vater sagt", erwiderte sie, "dass alles recht ist, dass der Weg sich ebnen wird und dass jene Dinge, die in jeder Verbindung und also auch in dieser im Anfange ungefuegig sind, hier eher ihre Gleichung finden werden als irgendwo. Wenn er es aber auch nicht gesagt haette, so wuesste ich es doch. Du bist unter so vortrefflichen Leuten gewesen, du wuerdest auch ohne dem nicht unwuerdig gewaehlt haben, und hast du gewaehlt, so ist dein Herz gut und wird sich in Kuerze in ein Frauenherz finden, wie auch sie ihr Leben in dem deinigen finden wird. Es sind nicht alle, es sind nicht viele Verbindungen dieser Art gluecklich; ich kenne einen grossen Teil der Stadt und habe auch einen nicht zu kleinen Teil des Lebens beobachtet. Du hast im Grunde nur unsere Ehe gesehen: moege die deinige so gluecklich sein, als es die meine mit deinem ehrwuerdigen Vater ist." Ich antwortete nicht, es wurden mir die Augen nass. "Klotilde wird jetzt einsam sein", fuhr die Mutter fort, "sie hat keine andere Neigung als unser Haus, als Vater und Mutter und als dich." "Mutter", antwortete ich, "wenn du Natalien sehen wirst, wenn du erfahren wirst, wie sie einfach und gerecht ist, wie ihr Sinn nach dem Gueltigen und Hohen strebt, wie sie schlicht vor uns allen wandelt und wie sie viel, viel besser ist als ich, so wirst du nicht mehr von einer Vereinsamung sprechen, sondern von einer Verbindung, Klotilde wird um eines mehr haben als jetzt, und du und der Vater werdet um eines mehr haben. Aber auch Mathilde, mein Gastfreund und der Kreis jener trefflichen Menschen wird in eure Verbindung gezogen werden, ihr werdet zu ihnen hingezogen werden, und was bis jetzt getrennt war, wird Einigung sein." "Ich habe mir es so gedacht, mein Sohn", antwortete die Mutter, "und ich glaube wohl, dass es so kommen wird; aber Klotilde wird die Art ihrer Neigung zu dir umwandeln muessen, und moege das alles mit gelindem Kelche voruebergehen." Zu dem Ende dieser Worte war auch Klotilde herzu gekommen. Sie brachte mir eine Rose und sagte mit heiteren Mienen, dass sie mir dieselbe bloss darum gebe, um mir einen kleinen Ersatz fuer alle die Rosen zu bieten, welche ich heuer im Asperhofe durch meine Hieherreise versaeumt habe. Mir fiel es bei diesen Worten erst auf, dass im vaeterlichen Garten die Rosen bluehten, waehrend sie doch in dem hoeher gelegenen und einer rauheren Luft ausgesetzten Asperhofe schon verblueht waren. Ich sprach davon. Man fand den Grund bald heraus. Die Asperhofrosen waren den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt, mochten auch besser gepflegt werden und einen besseren Boden haben, waehrend hier teils durch Baeume, die man des kleineren Raumes wegen enger setzen musste, teils durch die Mauern naeherer und entfernterer Haeuser vielfaeltig Schatten entstand. Ich nahm die Rose und sagte, Klotilde wuerde meinem Gastfreunde einen schlechten Dienst tun, wenn sie in seinem Garten eine Rose pflueckte. "Dort wuerde ich nicht den Mut dazu haben", antwortete sie. Wir blieben nun eine Weile bei dem Marmorwasserwerke stehen. Klotilde zeigte mir, was der Vater im Fruehlinge habe machen lassen, zum Teile, um den Wasserzug noch mehr zu sichern, zum Teile, um Verschoenerungen anzubringen. Ich sah, wie trefflich und zweckmaessig er die Dinge hatte zubereiten lassen und wie sehr ich von ihm lernen koenne. Ich freute mich schon auf die Zeit, die nicht mehr ferne sein konnte, in welcher der Vater mit meinem Gastfreunde zusammen kommen wuerde. Als wir von dem Wasserwerke weg gingen, fuehrte mich Klotilde nun zu dem Platze, von welchem eine Aussicht in die Gegend geboten ist und den man mit einer Brustwehr zu versehen beschlossen hatte. Die Brustwehr war schon zum Teile fertig. Sie war aufgemauert, war mit den von mir gebrachten Marmorplatten belegt und war seitwaerts mit Marmor bekleidet, den sich der Vater verschafft hatte. Auch meine Simse und Tragsteine waren verwendet. Ich sah aber, dass noch Vieles an Marmor fehlte und versprach, dass ich suchen werde, zu Stande zu bringen, dass die ganze Brustwehr aus gleichartigen Stuecken und in gleicher Weise koenne hergestellt werden. "Du siehst, dass wir auch in der Ferne deiner denken und dir etwas Angenehmes zu bereiten streben", sagte Klotilde. "Ich habe ja nie daran gezweifelt", antwortete ich, "und denke auch eurer, wie meine Briefe beweisen." "Du solltest doch wieder einmal einen ganzen Sommer hier bleiben", sagte sie. "Wer weiss, was geschieht", erwiderte ich. Als die Dunkelheit bereits mit ihrer vollen Macht hereinzubrechen anfing, kam der Vater wieder aus der Stadt, und wir nahmen unser Abendessen in dem Waffenhaeuschen. Da sehr lange Tage waren und da es nach dem Eintreten der voelligen Finsternis schon ziemlich spaet war, so konnten wir nach dem Speisen nicht mehr so lange in dem Haeuschen mit den glaesernen Waenden beim Brennen der traulichen Lichter sitzen bleiben, wie in dem Herbste, wenn ich nach einer langen Sommerarbeit wieder zu den Meinigen zurueckgekehrt war. Auch hatte man heute in dem lauen Abende mehrere der Glasabteilungen geoeffnet, der Eppich fluesterte in einem gelegentlichen Luftzuge, und die Flamme im Innern der Lampe wankte unerfreulich. Wir trennten uns und suchten unsere Ruhe. Am anderen Tage am fruehesten Morgen kam Klotilde zu mir. Als ich auf ihr Pochen geoeffnet hatte und sie eingetreten war, verkuendigte ihr Angesicht, dass die Mutter ueber meine Angelegenheit mit ihr gesprochen habe. Sie sah mich an, ging naeher, fiel mir um den Hals und brach in einen Strom von Traenen aus. Ich liess ihr ein Weilchen freien Lauf und sagte dann sanft: "Klotilde, wie ist dir denn?" "Wohl und wehe", antwortete sie, indem sie sich von mir zu einem Sitze fuehren liess, auf den ich mich neben ihr niederliess. "Du weisst nun also alles?" "Ich weiss alles. Warum hast du mir es denn nicht frueher gesagt?" "Ich musste doch vorher mit den Eltern sprechen, und dann, Klotilde, hatte ich gegen dich gerade den wenigsten Mut." "Und warum hast du nicht in frueheren Sommern etwas gesagt?" "Weil nichts zu sagen war. Es ist erst jetzt zu gegenseitiger Kenntnis gekommen, und da bin ich hergeeilt, mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefuehl nur das meine war und die Zukunft sich noch verhuellte, durfte ich nicht reden, weil es mir nicht maennlich schien und weil die Empfindung, die vielleicht in Kurzem gaenzlich weggetan werden musste, durch Worte nicht gesteigert werden durfte." "Ich habe es immer geahnt", sagte Klotilde, "und habe dir immer das hoechste und groesste Glueck gewuenscht. Sie muss sehr gut, sehr lieb, sehr treu sein. Ich habe nur das Verlangen, dass sie dich so liebt wie ich." "Klotilde", antwortete ich, "du wirst sie sehen, du wirst sie kennen lernen, du wirst sie lieben; und wenn sie mich dann auch nicht mit der in der Geburt gegruendeten schwesterlichen Liebe liebt, so liebt sie mich mit einer anderen, die auch mein Glueck, dein Glueck, das Glueck der Eltern vermehren wird." "Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzaehltest, wie wenig du auch sagtest, und gerade, weil du wenig sagtest", fuhr sie fort, "dass sich etwa da ein Band entwickeln koennte, dass es sehr zu wuenschen waere, dass du ihre Neigung gewaennest und dass daraus eine bessere Einigung entstehen koennte als durch die Verbindung mit einem Maedchen unserer Stadt oder mit einem anderen." "Und nun ist es so", erwiderte ich. "Warum hast du denn nie ein Bild von ihr gemalt?" fragte sie. "Weil ich sie eben so wenig oder noch weniger darum bitten konnte als dich oder die Mutter oder den Vater. Ich hatte nicht das Herz dazu", antwortete ich. "Nun sei recht gluecklich, sei zufrieden bis in dein hoechstes Alter, und bereue nie, auch nicht im geringsten den Schritt, den du getan hast", sagte sie. "Ich glaube, dass ich ihn nie bereuen werde, und ich danke dir innig fuer deine Wuensche, meine teure, meine geliebte Klotilde", erwiderte ich. Sie trocknete ihre Traenen mit dem Tuche, ordnete gleichsam ihr ganzes Wesen und sah mich freundlich an. "Wer wird jetzt mit mir zeichnen, spanische Buecher lesen, Zither spielen, wem werde ich alles sagen, was mir in das Herz koemmt?" sprach sie nach einer Weile. "Mir, Klotilde", erwiderte ich, "alles, was ich frueher war, werde ich dir bleiben. Lesen, Zeichnen, Zitherspielen wirst du mit Natalien; auch mitteilen wirst du dich ihr, und mit ihr wirst du das alles vollfuehren, was du bisher mit mir vollfuehrt hast. Lerne sie nur erst kennen, und du wirst begreifen, dass es wahr ist, was ich sage." "Ich moechte sie gerne sehr bald sehen", sagte sie. "Du wirst sie bald sehen", antwortete ich, "es muss sich jetzt eine Verbindung unserer Familie mit jenen Menschen, bei denen ich bisher so haeufig gewesen bin, anknuepfen; ich wuensche selber, dass du sie bald, sehr bald sehest." "Bis dahin aber musst du mir sehr viel von ihr erzaehlen, und wenn es moeglich ist, musst du mir ein Bild von ihr bringen", sagte sie. "Ich werde dir erzaehlen", antwortete ich, "jetzt, da wir einmal von der Sache gesprochen haben, werde ich dir sehr gerne erzaehlen, ich werde mit dir leichter von dem Bunde reden als mit ihr selber. Ob ich dir ein Bild werde bringen oder schicken koennen, weiss ich nicht; wenn es moeglich ist, werde ich es tun. Aber es wird nur in dem Falle sein koennen, wenn ein Bild von ihr da ist und man es mir, oder eine Abbildung davon ueberlaesst. Behalte es dann, bis du mit ihr selber zusammen koemmst und wir in freundlicher Verbindung mit einander leben. Endlich aber, Klotilde..." "Endlich?" "Endlich wird doch auch die Zeit kommen, in welcher du von uns ausscheiden wirst, zwar nicht mit deinem Geiste, wohl aber mit einem Teile deiner Beziehungen, wenn nehmlich auch du eine tiefere Verbindung eingehst." "Nie, nie werde ich das tun", rief sie beinahe heftig, "nein, ich koennte ihm zuernen, ihm, der mein Herz hier wegfuehren wuerde. Ich liebe nur den Vater, die Mutter und dich. Ich liebe dieses stille Haus und alle, die berechtigt in demselben aus und ein gehen, ich liebe das, was es enthaelt, und die Dinge, die sich in ihm allmaehlich gestalten, ich werde Natalien und ihre Angehoerigen lieben, aber nie einen Fremden, der mich von euch ziehen wollte." "Er wird dich aber von uns ziehen, Klotilde", sagte ich, "und du wirst doch da bleiben, er wird berechtigt sein, hier aus und ein zu gehen, er wird ein Ding sein, das sich in dem Hause allmaehlich gestaltet, und du wirst vielleicht nicht von Vater und Mutter gehen duerfen, gewiss aber wird kein Zwang sein, dass du sie oder mich weniger lieben muessest." "Nein, nein, rede mir nicht von diesen Dingen", erwiderte sie, "es peinigt mich und zerstoert mir das Herz, das ich dir mit grosser Teilnahme in der Morgenstunde habe bringen wollen." "Nun, so reden wir nicht mehr davon, Klotilde", sagte ich, "sei nur beruhigt und bleibe bei mir." "Ich bleibe ja bei dir", antwortete sie, "und sprich freundlich zu mir." Sie hatte die letzte Spur der Traenen von ihrem Angesichte vertilgt, sie setzte sich auf dem Sitze neben mir noch mehr zurecht, und ich musste mit ihr sprechen. Sie fragte mich von neuem um Natalien, wie sie aussehe, was sie tue, wie sie sich zu ihrer Mutter, ihrem Bruder und zu meinem Gastfreunde verhalte. Ich musste ihr erzaehlen, wann ich sie zum ersten Male gesehen habe, wann ich in dem Sternenhofe gewesen sei, wann sie den Asperhof besucht habe, wann ein Ahnungsgefuehl in mein Herz gekommen, wie es dort gewachsen sei, wie ich mit mir gekaempft habe, was dann gekommen sei und wie es sich gefuegt habe, dass wir endlich die Worte zu einander gefunden haben. Ich erzaehlte ihr gerne, ich erzaehlte ihr immer leichter, und je mehr sich die Worte von dem Herzen loeseten, desto suesser wurde mein Gefuehl. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich von diesem meinem innersten Wesen zu irgend jemandem sprechen koennte; aber Klotildens Seele war der einzige liebe Schrein, in welchem ich das Teure niederlegen konnte. Wir blieben sehr lange sitzen, immer fragte mich Klotilde wieder um Neues und wieder um Altes. Da kam die Mutter in meine Stube. Da sie uns in vertraulichem Gespraeche sitzen fand, setzte sie sich auch zu dem Tische, der vor mir und Klotilden stand, und sagte nach einer kurzen Weile, dass sie gekommen sei, uns zum Fruehmahle zu holen. Sie haette Klotilden nirgends gesehen und haette gemeint, dass sie an diesem Morgen bei mir sein muesse. "Meine geliebten Kinder", fuhr sie fort, "bewahrt euch eure Liebe, entfremdet euch nie eure Herzen und bleibt euch in allen Lagen zugewandt, wie ihr euch jetzt und wie ihr den Eltern zugewandt seid; dann werdet ihr einen Schatz haben, der einer der schoensten im Leben ist, und der so oft verkannt wird. Ihr werdet in eurer Vereinigung sittlich stark sein, ihr werdet die Freude eures Vaters bilden, und mir werdet ihr das Glueck meines Alters sein." Wir antworteten nichts auf diese Rede, weil uns ihr Inhalt so natuerlich war, und folgten der Mutter aus dem Zimmer. Der Vater harrte schon unser in dem Speisegemache, und da jetzt die Ursache meiner unvermuteten Nachhausekunft allen bekannt war und keines sich dagegen erklaerte, so sprachen wir nun unverhohlen gemeinschaftlich von der Angelegenheit. Die Eltern hegten die besten Erwartungen von dem neuen Bunde und freuten sich der Uebereinstimmung zwischen mir und der Schwester. Ich musste ihnen nun, wie ich es schon gegen Klotilde getan hatte, noch Mehreres von Natalien erzaehlen, wie sie sei, was sie tue, wohin sich ihre Bildung neige und wie sie ihre Jugend koenne zugebracht haben. Auch von Mathilden und dem Sternenhofe so wie von dem Asperhofe und meinem Gastfreunde musste ich noch Manches nachholen, was das Bild ergaenzen sollte, welches sich die Meinigen von den dortigen Verhaeltnissen machten. Ich sagte ihnen auch, dass ein guenstiges Geschick hier walte, da gerade Natalie jenes Maedchen gewesen sei, welches einmal bei der Auffuehrung des Koenig Lear in einer Loge neben mir so ergriffen gewesen sei, welches mir grossen Anteil eingefloesst, und mich, der ich den Schmerz im Trauerspiele geteilt haette, im Herausgehen gleichsam zum Danke freundlich angeblickt habe. Erst in letzter Zeit sei das aufgeklaert worden. Der Vater sagte, dass die Familien, die durch laengere Zeit gleichsam durch ein unsichtbares Band verbunden gewesen waren, durch das Band der geistigen Entwicklung seines Sohnes und des Verkehrs desselben mit beiden Teilen, auch in der Wirklichkeit sich naehern, sich kennen lernen und in eine Verbindung treten werden. Die Mutter entgegnete, das sei jetzt die dringendste Veranlassung, ja es sei nicht nur eine gesellschaftliche, sondern sogar eine Familienpflicht, dass der Vater, welcher, je aelter er werde, mit einer desto waermeren Ausdauer, welche unbegreiflich ist, sich an seine Arbeitsstube kette, nun endlich einmal sich den Geschaeften entreisse, eine Reise mache und sich in derselben nur mit heiteren und schoenen Dingen beschaeftige. "Nicht nur ich werde eine Reise machen", antwortete er, "sondern auch du und Klotilde. Wir werden die Menschen dort, welche meinen Sohn so freundlich aufgenommen haben, besuchen. Aber auch sie werden eine Reise machen; denn auch sie werden zu uns in die Stadt kommen und in diesen Zimmern verweilen. Wann aber diese Reisen stattfinden werden, laesst sich jetzt noch gar nicht beurteilen. Jedenfalls muss unser Sohn zuerst allein wieder hinreisen und muss die Einwilligung seiner Familie ueberbringen. Seinem Ermessen und hauptsaechlich den Ratschlaegen seines aelteren Freundes wird es dann anheimgegeben sein, wie die Sachen im weiteren Verlaufe sich entwickeln sollen. Die Reise unseres Sohnes muss aber sogleich geschehen; denn so fordert es die neue Pflicht, die er eingegangen ist. Wir werden abwarten, welche Nachrichten er uns von seiner Ankunft im Sternenhofe zusenden oder welche Meinung er uns selber ueberbringen wird." "Die Reise, mein Vater", entgegnete ich, "wuensche ich, so bald es nur moeglich ist, anzutreten, am liebsten sogleich morgen oder wenn ein Aufschub sein muss, doch uebermorgen." "Es wird nicht verspaetet sein, wenn du uebermorgen reisest, da sich noch Einiges zum Besprechen ergeben kann", antwortete er. Klotilde aeusserte ihre Freude, dass einmal alle eine Reise antreten wuerden. "Und fuer den guten Vater koennte nun oefter der Anlass gegeben sein", sagte die Mutter, "dass er in das Freiere und Weitere komme, dass er reine Luft atme und Berg und Wald und Feld betrachte." "Ich werde doch einmal, meine liebe Therese, mein Buch abschliessen", erwiderte der Vater, "und es wird fuer mich der Stillstand der Geschaefte eintreten. Sie moegen in andere Haende uebergehen oder sich ganz aufloesen. Dann wird es Zeit sein, im Anblicke von Berg, Wald und Feld ein Haus zu mieten oder zu bauen, dass wir im Sommer dort und im Winter hier wohnen, wenn wir nicht gar lieber auch manchen Winter draussen bleiben wollen." "So hast du oft gesagt", antwortete die Mutter, "aber es ist nicht geschehen." "Wenn Zeit und Ort darnach angetan sind, wird es geschehen", erwiderte er. "Wenn dann noch deine Gesundheit und dein geistiges Wesen davon den gewuenschten Nutzen ziehen", sagte die Mutter, "werde ich jeden Winter preisen, welchen wir mitten in irgend einem Lande zubringen." "Es wird sich Vieles ereignen, woran wir jetzt nicht denken", antwortete der Vater. Wir standen von dem Fruehmahle auf, und jedes ging an seine Geschaefte. Im Laufe des Vormittages liess mich die Mutter wieder zu sich bitten und fragte mich, wie ich es denn zu halten gedenke, wo ich mit Natalien wohnen wolle. Es sei in dem Hause Platz genug, nur muesste alles gerichtet werden. Auch seien viele andere Dinge zu ordnen, besonders meine Kleider, in denen ich doch nun anders sein muesse. Sie wuensche meine Meinung zu hoeren, damit man zu rechter Zeit beginnen koenne, um noch fertig zu werden. Ich sagte, dass ich in der Tat auf diese Angelegenheit nicht gedacht habe, dass ihre Erwaegung wohl noch Zeit habe, und dass wir vor Allem den Vater um Rat fragen sollten. Sie war damit einverstanden. Als wir nach dem Mittagsessen den Vater fragten, war er meiner Meinung, dass es noch zu fruehe sei, an diese Dinge zu denken. Es wuerde schon zu rechter Zeit geschehen, dass alles, was not tue, in Ordnung gesetzt werden koenne. Jetzt seien andere Dinge zu besprechen und zu bedenken. Wenn es an der Zeit sei, werde es die Mutter erfahren, dass sie alle ihre Massregeln ausreichend treffen koenne. Sie war damit zufrieden. Nachmittags fragte ich in der Stadt im Hause der Fuerstin an und erfuhr, dass dieselbe zufaellig auf mehrere Tage anwesend sei. Sie habe die Absicht, nach Riva zu gehen, um dort einige Wochen an den Ufern des blauen Gardasees zu verleben. Sie sei jetzt eben damit beschaeftigt, die Vorbereitungen zu dieser Reise zu machen. Ich liess anfragen, wann ich sie sprechen koennte, und wurde auf den naechsten Tag um zwoelf Uhr bestellt. Ich nahm zu dieser Zeit eine Mappe mit einigen meiner Arbeiten zu mir und verfuegte mich in ihre Wohnung. Nach den freundlichen Empfangsworten drueckte sie ihre Verwunderung aus, mich jetzt hier zu finden. Ich gab die Verwunderung fuer ihre Person zurueck. Sie fuehrte mir als Grund ihre beabsichtigte Reise an, und ich sagte, dass ploetzlich gekommene Angelegenheiten meinen Sommeraufenthalt unterbrochen und mich in die Stadt geleitet haetten. Sie fragte mich um meine Arbeiten waehrend der Zeit meiner Abwesenheit. Ich erklaerte ihr dieselben. Als ich von dem Simmigletscher sprach, nahm sie besonderen Anteil, weil ihr dieses Gebirge aus frueherer Zeit her bekannt war. Ich musste ihr genau beschreiben und zeigen, wo wir gewesen und was wir getan haben. Ich zog die Zeichnungen, die ich in Farben von den Eisfeldern, ihren Einraenderungen, ihrer Einbuchtung, ihrer Abgleitung und ihrem oberen Ursprunge gemacht hatte und in meiner Mappe mit mir trug, hervor und breitete sie vor ihr aus. Sie liess sich jedes, auch das Kleinste an diesen Zeichnungen beschreiben und erklaeren. Ich musste ihr auch versprechen, bei naechster guenstiger Gelegenheit meine Zeichnung von dem Grunde des Lautersees ihr vorzulegen und auf das Genaueste zu eroertern. Es sei ihr dies doppelt wuenschenswert, weil sie jetzt selber zu einem See reise, der einer der merkwuerdigsten des suedlichen Alpenabhanges sei. Hierauf befragte sie mich um meine anderen Bestrebungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst, worauf ich erwiderte, dass ich heuer ausser den Gletscherzeichnungen, die doch wieder fast nur wissenschaftlicher Natur seien, nichts hatte machen koennen, weder in Landschaften noch in Abbildung menschlicher Koepfe. "Wenn ihr ein sehr schoenes jugendliches Angesicht abbilden wollt", sagte sie, "so muesset ihr suchen, das Angesicht der jenen Tarona abbilden zu duerfen. Ich bin alt, habe viel erfahren, habe sehr viele Menschen gesehen und betrachtet, aber es ist mir wenig vorgekommen, das edler, einnehmender und liebenswuerdiger gewesen waere als die Zuege der Tarona." Ich erroetete sehr tief bei diesen Worten. Sie richtete die klaren, lieben Augen auf mich, laechelte sehr fein und sagte: "Haltet ihr etwa schon Jemanden fuer das Schoenste?" Ich antwortete nicht, und sie schien auch eine Antwort nicht zu erwarten. Von Natalien konnte ich ihr nichts sagen, da die Sache nicht so weit gediehen war, um sie Andern verkuendigen zu koennen. Wir brachen ab, ich verabschiedete mich bald, sie reichte mir guetig die Hand, welche ich kuesste, und lud mich ein, ja im kuenftigen Winter sehr bald von dem Gebirge zurueck zu kommen, da auch sie sehr bald in der Stadt einzutreffen gedenke. Ich antwortete, dass ich ueber jenen Zeitpunkt jetzt durchaus nicht zu verfuegen im Stande sei. Am zweiten Tage Morgens stand ich reisefertig in meinem Zimmer. Der Wagen war vor das Haus bestellt worden. Ich hatte mir es nicht versagen koennen, in einem besonderen Wagen so schnell als moeglich in den Sternenhof zu fahren. Vater, Mutter und Schwester waren in dem Speisezimmer, um von mir Abschied zu nehmen. Ich begab mich auch in dasselbe, und wir nahmen ein kleines Fruehmahl ein. Nach demselben sagte ich Lebewohl. "Gott segne dich, mein Sohn", sprach die Mutter, "Gott segne dich auf deinem Wege, er ist der entscheidende, du bist nie einen so wichtigen gegangen. Wenn mein Gebet und meine Wuensche etwas vermoegen, wirst du ihn nicht bereuen." Sie kuesste mich auf den Mund und machte mir das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn. Der Vater sagte: "Du hast von deiner fruehen Jugend an erfahren, dass ich mich nicht in deine Angelegenheiten menge; handle selbststaendig und trage die Folgen. Wenn du mich fraegst, wie du jetzt getan hast, so werde ich dir immer beistehen, in so weit es meine groessere Erfahrung vermag. Aber einen Rat moechte ich dir doch in dieser wichtigen Angelegenheit geben oder vielmehr nicht einen Rat geben, sondern deine Aufmerksamkeit moechte ich auf einen Umstand leiten, auf den du vielleicht in der Befangenheit dieser Tage nicht gedacht hast. Ehe du das ernste Band schliessest, ist noch Manches fuer dich notwendig, deinen Geist und dein Gemuet zu staerken und zu festigen. Eine Reise in die wichtigsten Staedte Europas und zu den bedeutendsten Voelkern ist ein sehr gutes Mittel dazu. Du kannst es, deine Vermoegenslage hat sich sehr gebessert, und ich lege wohl auch etwas dazu, wie ich ueberhaupt mit dir Abrechnung halten muss." Ich war sehr bewegt und konnte nicht sprechen. Ich nahm den Vater nur bei der Hand und dankte ihm stumm. Klotilde nahm mit Traenen Abschied und sagte leise, als ich sie an mich drueckte: "Gehe mit Gott, es wird Alles recht sein, was du tust, weil du gut bist und weil du auch klug bist." Ich sprach die Hoffnung aus, dass ich bald wieder kommen werde, und ging die Treppe hinab. Meine Reise war sehr schnell, weil ueberall die Pferde schon bestellt waren, weil ich nirgends schlief und zum Essen nur die kuerzeste Zeit verwendete. Als ich im Sternenhofe in das Zimmer Mathildens trat, kam sie mir entgegen und sagte: "Seid willkommen, es ist Alles, wie ich gedacht habe; denn sonst waeret ihr nicht zu mir, sondern zu unserem Freunde gekommen." "Meine Angehoerigen ehren euch, ehren unseren Freund und glauben an unser Glueck und an unsere Zukunft", erwiderte ich. "Seid willkommen, Natalie", sagte ich, als diese gerufen worden und in das Zimmer getreten war, "ich bringe freundliche Gruesse von den Meinigen." "Seid willkommen", antwortete sie, "ich habe immer gehofft, dass es so geschehen und dass eure Abwesenheit so kurz sein wird." "Meine Hoffnung war wohl auch dieselbe", erwiderte ich, "aber jetzt ist alles klar, und jetzt ist voellige Beruhigung vorhanden." Wir blieben bei Mathilden und sprachen einige Zeit miteinander. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft reiste ich zu meinem Gastfreunde. Mathilde hatte mir einen Wagen und Pferde mit gegeben. Als ich in das Schreinerhaus gekommen war, in welchem sich mein Gastfreund bei meiner Ankunft befand, reichte er mir die Hand und sagte: "Ich bin von eurer Rueckkunft bereits benachrichtigt; man hat mir von dem Sternenhofe gleich nach eurem Eintreffen in demselben geschrieben." Eustach sah mich seltsam an, so dass ich vermutete, er wisse auch bereits von der Sache. Wir gingen nun in das Haus, und man oeffnete mir meine gewoehnliche Wohnung. Gustav kam nach einer Weile zu mir herauf und konnte seiner Freude beinahe kein Ende machen, dass alles sei, wie es ist. Mein Gastfreund hatte ihm die Tatsache erst heute eroeffnet. Er sprach ohne Rueckhalt aus, dass ihm die Sache so weit, weit lieber sei, als wenn Tillburg seine Schwester aus dem Hause gefuehrt haette, dessen Wille wohl immer dahin gerichtet gewesen waere. Das Vertrauen Ich blieb einige Zeit bei meinem Gastfreunde, teils, weil er es selber verlangte, teils, um jene Ruhe zu gewinnen, die ich sonst immer hatte und die ich brauchte, um in meinen Bestrebungen klar zu sehen und sie nach gemachter Einsicht zu ordnen. Die Leute blickten mich fragend oder verwundert an. Vermutlich hatte es sich ausgebreitet, in welche Beziehung ich zu Personen getreten bin, welche Freunde des Hauses sind und welche oft in dasselbe als Besuchende kommen. Nirgends aber trat mir der Anschein entgegen, als ob man mir das Verhaeltnis missgoennte oder es mit unguenstigen Augen ansaehe. Im Gegenteile, die Leute waren fast freundlicher und dienstwilliger als vorher. Ich kam in das Gartenhaus. Der Gaertner Simon trat mir mit einer Art Ehrerbietung entgegen und rief seine Gattin Clara herbei, um ihr zu sagen, dass ich da sei, und um sie zu veranlassen, dass sie mir ihre Verbeugung mache. Er hatte dies sonst nie getan. Als diese Art von Vorstellung vorueber war, fuehrte er mich erst in den Garten, wie er mit kurzem Ausdrucke bloss seine Gewaechshaeuser nannte. Er zeigte mir wieder seine Pflanzen, erklaerte mir, was neu erworben worden war, was sich besonders schoen entwickelt habe und was in gutem Stande geblieben sei; er erzaehlte mir auch, welche Verluste man erlitten habe, wie die Pflanzen im schoensten Gedeihen gewesen seien, die man verloren habe und welchen besonderen Ursachen man ihren Verlust zuschreiben muesse. Er bedachte hiebei nicht, dass etwa meine Gedanken anderswo sein koennten, wie er bei einer frueheren Gelegenheit auch nicht geahnt hatte, dass mein Gemuet abwesend sei, da er mir ebenfalls mit vieler Lust und grosser Umsicht seine Gewaechse erklaert hatte. Besonders eifrig war er in der Darlegung der Vorzuege und Schoenheiten der Rose, welche die Frau des Sternenhofes fuer den Herrn des Hauses aus England verschrieben habe. Er fuehrte mich zu ihr und zeigte mir alle Vortrefflichkeiten derselben. Dann musste ich auch mit ihm in das Cactushaus gehen, wo er mir sogleich den Cereus Peruvianus wies, der durch meine Guete, wie er sich ausdrueckte, in den Asperhof gekommen sei. Er wachse bereits steilrecht in seinem Glasfache empor, was durch viele Muehe und Kunst bewirkt worden sei. Die gelbliche Farbe vom Inghofe sei in die dunkelblau-gruene, gleichsam mit einem Dufte ueberflogene uebergegangen, welche die voellige Gesundheit der Pflanze beweise. Wenn es so fortgehe, so koenne auch noch die Freude der fabelhaften weissen Blumen der lebendigen Saeule in dieses Haus kommen. Er fuehrte mich dann zu einigen Cactusgestalten, die eben im Bluehen begriffen waren. Es lag eine ziemlich grosse Sammellinse in der Naehe, um die Blumen und nebstbei auch die Waffen und die Gestaltungen der Pflanzenkoerper unter dem Einflusse des vollen Sonnenlichtes betrachten zu koennen. Er bat mich, die Linse zu gebrauchen. Es war eine farblos zeigende und zugleich eine, bei welcher die Abweichung wegen der Kugelgestalt auf ein Kleinstes gebracht war. Ueberhaupt wies sie sich als vortrefflich aus. Er erzaehlte mir, dass der Herr das Vergroesserungsglas eigens zum Betrachten der Cacteen habe machen, es in das schoene Elfenbein fassen und in das reine Sammetfach habe legen lassen. Heute erst sei er noch in dem Cactushause gewesen und habe mit dem Glase die Blueten und viele Stacheln angeschaut. Ich bediente mich des Glases und sah in den von den seidenartigen Blumenblaettern umstandenen gelben, weissen oder rosenfarbigen Kelch hinein, wie sie eben vorhanden waren. Dass der Glanz dieser Blumenfarben besonders schoen, weit schoener als die feinste Seide und als der der meisten Blumen sei, wusste ich ohnehin, musste es mir aber doch von dem Gaertner Simon zeigen lassen, so wie er auch der schoenen, gruen oder rosig oder dunkelrotbraun daemmernden Tiefe des Kelches erwaehnte, aus der die Wucht der schlanken Staubfaeden aufsteige, die keine Bluete so zierlich habe. Ueberhaupt seien die Cactusblumen die schoensten auf der Welt, wenn man etwa einige Schmarotzergewaechse und ganz wenige andere, vereinzelte Blumen ausnehme. Er machte mich auch auf einen Umstand aufmerksam, den ich nicht wusste, oder den ich nicht beobachtet hatte, dass nehmlich bei einigen Kugelcactus sich die Blumen stets aus neuen Stachelaugen, meistens mit ganz kurzem Stengel, entwickeln, waehrend sie bei andern auf einem mehr oder minder hohen Stiele aus vorjaehrigen oder noch aelteren Stachelaugen sich erheben. Er sagte, das werde gewiss einmal einen Grund zu einer neuen Einteilung dieser Cactusgestalt geben. Er zeigte mir an vorhandenen Gewaechsen den Unterschied, und ich musste ihn erkennen. Er sagte, dass dies nicht zufaellig sei und dass er die Tatsache schon dreissig Jahre beobachte. Damals, als er jung gewesen, seien kaum einige dieser Gestaltungen bekannt gewesen, jetzt vermehre sich die Kenntnis derselben bedeutend, seit die Menschen zur Einsicht ihrer Schoenheit gekommen sind und Reisende Pflanzen aus Amerika senden, wie jener Reisende, der von deutschen Landen aus fast in der ganzen Welt gewesen sei. Es koenne nur Unverstand oder Oberflaechlichkeit oder Kurzsichtigkeit diese Pflanzengattung ungestaltig nennen, da doch nichts regelmaessiger und mannigfaltiger und dabei reizender sei als eben sie. Nur eine erste genaue Betrachtung und Vergleichung derselben sei noetig, und nur ein sehr kurzes Fortsetzen dieser Betrachtung, damit die Gegner dieser Pflanzen in warme Verehrer derselben uebergehen - es muesste nur ein Mensch ueberhaupt kein Freund der Pflanzen sein, welche Gattung es vielleicht in der Welt nicht gibt. Als ich das Pflanzenhaus verliess, begleitete er mich bis an die Grenze der Gewaechshaeuser, und auch seine Gattin trat aus der Tuer ihrer Wohnung, um sich von mir zu verabschieden. In dem Blumengarten und in der Abteilung der Gemuese blieben die Arbeitsleute vor mir stehen, nahmen den Hut ab und gruessten mich artig. Eustach war mild und freundlich wie gewoehnlich; aber er war noch weit inniger, als er es in frueheren Zeiten gewesen war. Mich freute die Billigung gerade von diesem Menschen ungemein. Er zeigte mir alles, was in der Arbeit war und was sich an wirklichen Dingen, was an Zeichnungen, was an Nachrichten in der juengsten Zeit zu dem bereits Vorhandenen hinzugefunden hatte. Er sagte, dass mein Gastfreund in Kurzem eine ziemlich weit entfernte Kirche besuchen werde, in welcher man auf seine Kosten Wiederherstellungen mache, und dass er mich zu dieser Reise einladen wolle. Ich sah unter allen vorhandenen Dingen und Stoffen den sehr schoenen Marmor nicht, den ich meinem Gastfreunde zum Geschenke gemacht hatte, und war auch nie in Kenntnis gekommen, dass daraus etwas verfertigt worden sei. Es sprach niemand davon, und ich fragte auch nicht. In mancher Stunde sah ich den Arbeiten zu, welche in dem Schreinerhause ausgefuehrt wurden. Roland war wie gewoehnlich im Sommer nicht in dem Asperhofe anwesend. Mit Eustach besuchte ich auch die Bilder meines Gastfreundes, seine Kupferstiche, seine Schnitzereien und seine Geraete. Wir sprachen ueber die Dinge, und ich suchte mir ihren Wort und ihre Bedeutung immer mehr eigen zu machen. Auch in das Buecherzimmer, den Marmorsaal und das Treppenhaus meines Gastfreundes ging ich. Wie war die Gestalt auf der Treppe erhaben, edel und rein gegen die Nymphe in der Grotte des Gartens im Sternenhofe, die mir in der letzten Zeit so lieb geworden war. Durch meine Bitte liess sich mein Freund bewegen, mir die Zimmer aufzuschliessen, in denen Mathilde und Natalie waehrend ihres Aufenthaltes in dem Asperhofe wohnen. Ich blieb laenger als in den anderen in dem letzten kleinen Gemache mit der Tapetentuer, welches ich die Rose genannt hatte. Mich umwehte die Ruhe und Klarheit, die in dem ganzen Wesen Mathildens ausgepraegt ist, die in den Farben und Gestalten des Zimmers sich zeigte und die in den unvergleichlichen Bildern lag, die hier aufgehaengt waren. Wir gingen auch in den Meierhof. Die Leute begegneten mir achtungsvoll, sie zeigten mir alle Raeume und wiesen, was sich in ihnen befinde, was dort gearbeitet werde, wozu sie dienen und was sich in neuerer Zeit geaendert habe. Der Meier hatte seine besondere Freude an der neuen, von ihm selbst verbesserten Zucht der Fuellen und an dem Volke aller von meinem Gastfreunde eingefuehrten Gattungen von Huehnern. Als wir uns von dem Meierhofe entfernten und uns der vielstimmige Gesang der Voegel aus dem Garten des Hauses entgegen schallte, sah ich im Rueckblicke, dass sich unter dem Torwege eine Gruppe von Maegden mit ihren blauen Schuerzen und weissen Hemdaermeln gesammelt habe und uns nachschaue. Wenn ich auch erkannte, dass ich der Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden war, so entschluepfte doch Niemandem ein Wort, welches einen Grund dieser Aufmerksamkeit angedeutet haette. Gustav, welcher wohl Anfangs seine Freude gegen mich ausgesprochen hatte, dass es sei, wie es ist, und dass keiner von denen, die es gewollt hatten, seine Schwester fortgefuehrt, sprach nun von dem Gegenstande nicht mehr und schloss sich nur noch herzlicher, wenn dieses moeglich war, an mich an. Mein Gastfreund sagte mir endlich auch von der Reise nach der Kirche, von welcher Eustach gesprochen hatte, und lud mich zu derselben ein. Ich nahm die Einladung an. Wir fuhren eines Morgens von dem Asperhofe fort, mein Gastfreund, Eustach, Gustav und ich. Gustav wird, wie mir mein Gastfreund sagte, auf jede kleinere Reise von ihm mitgenommen. Wenn dies bei ausgedehnteren Reisen nicht der Fall sein kann, so wird er zu seiner Mutter in den Sternenhof gebracht. Wir kamen erst am zweiten Tage bei der Kirche an. Roland, welcher von unserer Ankunft unterrichtet gewesen war, erwartete uns dort. Die Kirche war ein Gebaeude im altdeutschen Sinn. Sie stammte, wie meine Freunde versicherten, aus dem vierzehnten Jahrhunderte her. Die Gemeinde war nicht gross und nicht besonders wohlhabend. Die letztvergangenen Jahrhunderte hatten an dieser Kirche viel verschuldet. Man hatte Fenster zumauern lassen, entweder ganz oder zum Teile, man hatte aus den Nischen der Saeulen die Steinbilder entfernt und hatte hoelzerne, die vergoldet und gemalt waren, an ihre Stelle gebracht. Weil aber diese groesser waren als ihre Vorgaenger, so hat man die Stellen, an die sie kommen sollten, haeufig ausgebrochen, und die frueheren Ueberdaecher mit ihren Verzierungen weggeschlagen. Auch ist das Innere der ganzen Kirche mit bunten Farben bemalt worden. Als dieses in dem Laufe der Jahre auch wieder schadhaft wurde und sich Ausbesserungsarbeiten an der Kirche als dringlich notwendig erwiesen, gab sich auch kund, dass die Mittel dazu schwer aufzubringen sein wuerden. Die Gemeinde geriet beinahe ueber den Umfang der Arbeiten, die vorzunehmen waeren, in grossen Hader. Offenbar waren in frueheren Zeiten reiche und maechtige Wohltaeter gewesen, welche die Kirche hervorgerufen und erhalten hatten. In der Naehe stehen noch die Truemmer der Schloesser, in denen jene wohlhabenden Geschlechter gehaust hatten. Jetzt steht die Kirche allein als erhaltenes Denkmal jener Zeit auf dem Huegel, einige in neuerer Zeit erbaute Haeuser stehen um sie herum, und rings liegt die Gemeinde in den in dem Huegellande zerstreuten Gehoeften. Die Besitzer der Schlossrainen wohnen in weit entfernten Gegenden und haben, da sie ganz anderen Geschlechtern angehoeren, entweder nie eine Liebe zu der einsamen Kirche gehabt oder haben sie verloren. Der Pfarrer, ein schlichter, frommer Mann, der zwar keine tiefen Kenntnisse der Kunst hatte, aber seit Jahren an den Anblick seiner Kirche gewoehnt war und sie, da sie zu verfallen begann, wieder gerne in einem so guten Zustande gesehen haette, als nur moeglich ist, schlug alle Wege ein, zu seinem Ziele zu gelangen, die ihm nur immer in den Sinn kamen. Er sammelte auch Gaben. Auf letztem Wege kam er zu meinem Gastfreunde. Dieser nahm Anteil an der Kirche, die er unter seinen Zeichnungen hatte, reiste selber hin und besah sie. Er versprach, dass er, wenn man seinen Plan zur Wiederherstellung der Kirche billige und annehme, alle Kosten der Arbeit, die ueber den bereits vorhandenen Vorrat hinausreichen, tragen und die Arbeit in einer gewissen Zahl von Jahren beendigen werde. Der Plan wurde ausgearbeitet und von allen, welche in der Angelegenheit etwas zu sprechen hatten, genehmigt, nachdem der Pfarrer schon vorher, ohne ihn gesehen zu haben, sehr fuer ihn gedankt und sich ueberall eifrig fuer seine Annahme verwendet hatte. Es wurde dann zur Ausfuehrung geschritten, und in dieser Ausfuehrung war mein Gastfreund begriffen. Die Fuellmauern in den Fenstern wurden vorsichtig weggebrochen, dass man keine der Verzierungen, welche in Moertel und Ziegeln begraben waren, beschaedige, und dann wurden Glasscheiben in der Art der noch erhaltenen in die ausgebrochenen Fenster eingesetzt. Die hoelzernen Bilder von Heiligen wurden aus der Kirche entfernt, die Nischen wurden in ihrer urspruenglichen Gestalt wieder hergestellt. Wo man unter dem Dache der Kirche oder in anderen Raeumen die alten schlanken Gestalten der Heiligenbilder wieder finden konnte, wurden sie, wenn sie beschaedigt waren, ergaenzt, und an ihre mutmasslichen Stellen gesetzt. Fuer welche Nischen man keine Standbilder auffinden konnte, die wurden leer gelassen. Man hielt es fuer besser, dass sie in diesem Zustande verharren, als dass man eins der hoelzernen Bilder, welche zu der Bauart der Kirche nicht passten, in ihnen zurueckgelassen haette. Freilich waere die Verfertigung von neuen Standbildern das Zweckmaessigste gewesen; allein das war nicht in den Plan der Wiederherstellung aufgenommen worden, weil es ueber die zu diesem Werke verfuegbaren Kraefte meines Gastfreundes ging. Alle Nischen aber, auch die leeren, wurden, wenn Beschaedigungen an ihnen vorkamen, in guten Stand gesetzt. Die Ueberdaecher ueber ihnen wurden mit ihren Verzierungen wieder hergestellt. Zu der Uebertuenchung des Innern der Kirche war ein Plan entworfen worden, nach welchem die Farbe jener Teile, die nicht Stein waren, so unbestimmt gehalten werden sollte, dass ihr Anblick dem eines blossen Stoffes am aehnlichsten waere. Die Gewoelberippen, deren Stein nicht mit Farbe bestrichen war, so wie alles Andere von Stein wurde unberuehrt gelassen, und sollte mit seiner bloss stofflichen Oberflaeche wirken. Die Gerueste zu der Uebertuenchung waren bereits dort geschlagen, wo man mit Leitern nicht auslangen konnte. Freilich waere in der Kirche noch vieles Andere zu verbessern gewesen. Man hatte den alten Chor verkleidet und ganz neue Mauern zu einer Emporkirche aufgefuehrt, man hatte ein Seitenkapellchen im neuesten Sinne hinzugefuegt, und es war ein Teil der Wand des Nebenschiffes ausgenommen worden, um eine Vertiefung zu mauern, in welche ein neuer Seitenaltar zu stehen kam. Alle diese Fehler konnten wegen Unzulaenglichkeit der Mittel nicht verbessert werden. Der Hauptaltar in altdeutscher Art war geblieben. Roland sagte, es sei ein Glueck gewesen, dass man im vorigen Jahrhunderte nicht mehr so viel Geld gehabt habe als zur Zeit der Erbauung der Kirche, denn sonst haette man gewiss den urspruenglichen Altar weggenommen und haette einen in dem abscheulichen Sinne des vergangenen Jahrhunderts an seine Stelle gesetzt. Mein Gastfreund besah alles, was da gearbeitet wurde, und es ward ein Rat mit Eustach und Roland gehalten, dem auch ich beigezogen wurde, um zu eroertern, ob alles dem gefassten Plane getreu gehalten werde, und ob man nicht Manches mit Aufwendung einer maessigen Summe noch zu dem urspruenglich Beabsichtigten hinzu tun koennte, was der Kirche not taete und was ihr zur Zierde gereichte. Die Ansichten vereinigten sich sehr bald, da die Maenner nach der nehmlichen Richtung hin strebten und da ihre Bildungen in dieser Hinsicht sich wechselweise zu dem gleichen Ergebnisse durchdrungen hatten. Ich konnte sehr wenig mitreden, obgleich ich gefragt wurde, weil ich einerseits zu wenig mit den vorhandenen Grundlagen vertraut war und weil andererseits meine Kenntnisse in dem Einzelnen der Kunst, um welche es sich hier handelte, mit denen meiner Freunde nicht Schritt halten konnten. Der Pfarrer hatte uns sehr freundlich aufgenommen und wollte uns saemmtlich in seinem kleinen Hause beherbergen. Mein Gastfreund lehnte es ab, und wir richteten uns, so gut es ging, in dem Gasthofe ein. Der Ehrerbietung und des Dankes aber konnte der bescheidene Pfarrer gegen meinen Gastfreund kein Ende finden. Auch kam eine Abordnung mehrerer Gemeindeglieder, um, wie sie sagten, ihre Aufwartung zu machen und ihren Dank darzubringen. Wirklich, wenn man die schlanken, edlen Gestaltungen der Kirche ansah, welche da einsam auf ihrem Huegel in einem abgelegenen Teile des Landes stand, in dem man sie gar nicht gesucht haette, und die schon geschehenen Verbesserungen betrachtete, welche ihre feinen Glieder wieder zu Ansehen und Geltung brachten, so konnte man nicht umhin, sich zu freuen, dass die reinen blauen Luefte wieder den reinen, einfachen Bau umfaechelten, wie sie ihn umfaechelt hatten, als er nach dem Haupte des laengst verstorbenen Meisters aus den Haenden der Arbeitsleute hervor gegangen war. Und wirklich musste man sich auch zum Danke verpflichtet fuehlen, dass es einen Mann gab, wie mein Gastfreund war, der aus Liebe zu schoenen Dingen, und ich muss wohl auch hinzufuegen, aus Liebe zur Menschheit, einen Teil seines Einkommens, seiner Zeit und seiner Einsicht opferte, um manch Edles dem Verfalle zu entreissen und vor die Augen der Menschen wohlgebildete und hohe Gestaltungen zu bringen, dass sie sich daran, wenn sie dessen faehig sind und den Willen haben, erheben und erbauen koennen. Das alles wussten aber die Gemeindeglieder nicht, sie dankten nur, weil sie meinten, dass es ihre Schuldigkeit sei. Nachdem mein Gastfreund den Bau gut befunden und mit Eustach, dem eigentlichen Werkmeister, das Naehere angeordnet hatte, und nachdem auch Roland die Zusicherung gegeben hatte, dass er dem Wunsche meines Gastfreundes gemaess oefter nachsehen und Bericht erstatten werde, ruesteten wir uns, unsere verschiedenen Wege zu gehen. Roland wollte wieder in das nahe liegende Gebirge zurueckkehren, von dem er zu der Kirche heraus gekommen war, und wir wollten den Weg nach dem Asperhofe antreten. Roland entfernte sich zuerst. Wir besuchten noch den Inhaber eines Glaswerkes in der Naehe, der von grossem Einflusse war, und begaben uns dann auf den Weg nach dem Hause meines Freundes. Auf dem Rueckwege kamen wir ueber die Bildung des Schoenen zu sprechen, wie es gut sei, dass Menschen aufstehen, die es darstellen, dass ueber ihre Mitbrueder auch dieses sanfte Licht sich verbreite und sie immer zu hellerer Klarheit fort fuehre; dass es aber auch gut sei, dass Menschen bestehen, welche geeignet sind, das Schoene in sich aufzunehmen und es durch Umgang auf Andere zu uebertragen, besonders, wenn sie noch, wie mein Gastfreund, das Schoene ueberall aufsuchen, es erhalten und es durch Muehe und Kraft wieder herzustellen suchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es sei ein ganz eigenes Ding um die Befaehigung und den Drang hiezu. "Wir haben schon einmal ueber Aehnliches gesprochen", sagte mein Gastfreund, "meine Erfahrungen in der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, dass es ganz bestimmte Anlagen zu ganz bestimmten Dingen gibt, mit denen die Menschen geboren werden. Nur in der Groesse unterscheiden sich diese Anlagen, in der Moeglichkeit, sich auszusprechen, und in der Gelegenheit, kraeftig zur Wirksamkeit kommen zu koennen. Dadurch scheint Gott die Mannigfaltigkeit der Taten mit ihrem nachdruecklichsten Erfolge, wie es auf der Erde notwendig ist, vermitteln zu wollen. Es erschien mir immer merkwuerdig, wo ich Gelegenheit hatte, es zu beobachten, wie bei Menschen, die bestimmt sind, ganz Ungewoehnliches in einer Richtung zu leisten, sich ihre Anlage bis in die feinsten Faeden ihres Gegenstandes ausspricht und zu ihm hindraengt, waehrend sie in Anderm bis zum Kindlichen unwissend bleiben koennen. Einer, der ueber Kunstdinge trotz aller Belehrung, trotz alles Umganges, trotz langjaehriger taeglicher Beruehrung mit auserlesenen Kunstwerken nie Anderes als Ungereimtes sagen konnte, war ein Staatsmann, der die feinsten Abschattungen seines Gegenstandes durchdrang, der die Gedanken der Voelker und die Absichten der Menschen und Regierungen, mit denen er verkehrte, erriet und es verstand, alle Dinge seinen Zwecken dienstbar machen zu koennen, so dass das Anderen wie ein Zauberwerk eines Geistes erschien, was gleichsam ein Naturgesetz war. In meiner Jugend kannte ich einen Mann, der mit einem Verstande, ueber den wir uns vor Bewunderung kaum zu fassen wussten, in die Tiefen eines Kunstwesens, das er besprechen wollte, einging, und Gedanken zu Tage brachte, von denen wir nicht begriffen, wie sie in das Herz eines Menschen haben kommen koennen; waehrend er die Meinungen und Absichten ganz gewoehnlicher Menschen und gerade solcher, die tief unter ihm standen, nicht durchschaute und den notwendigen Gang der Staaten nicht sah, weil ihm das Auge dafuer versagt war oder weil er im Drange seiner Gegenstaende darauf nicht achtete. Ich koennte noch mehrere Beispiele anfuehren: den zum Feldherrn Geborenen im Richtersaale um Mein und Dein, oder den, der wissenschaftliche Stoffe foerdert, in der Bildung eines Heeres. So hat Gott es auch Manchen gegeben, dass sie dem Schoenen nachgehen muessen und sich zu ihm wie zu einer Sonne wenden, von der sie nicht lassen koennen. Es ist aber immer nur eine bestimmte Zahl von solchen, deren einzelne Anlage zu einer besonderen grossen Wirksamkeit ausgepraegt ist. Ihrer koennen nicht viele sein, und neben ihnen werden die geboren, bei denen sich eine gewisse Richtung nicht ausspricht, die das Alltaegliche tun und deren eigentuemliche Anlage darin besteht, dass sie gerade keine hervorragende Anlage zu einem hervorragenden Gegenstande haben. Sie muessen in grosser Menge sein, dass die Welt in ihren Angeln bleibt, dass das Stoffliche gefoerdert werde und alle Wege im Betriebe sind. Sehr haeufig aber koemmt es nun leider auf den Umstand an, dass der rechten Anlage der rechte Gegenstand zugefuehrt wird, was so oft nicht der Fall ist." "Koennte denn nicht die Anlage den Gegenstand suchen, und sucht sie ihn nicht auch oft?" fragte Eustach. "Wenn sie in grosser Macht und Fuelle vorhanden ist, sucht sie ihn", entgegnete mein Gastfreund, "zuweilen aber geht sie in dem Suchen zu Grunde." "Das ist ja traurig, und dann wird ihr Zweck verfehlt", antwortete Eustach. "Ich glaube nicht, dass ihr Zweck deshalb ganz verfehlt wird", sagte mein Gastfreund, "das Suchen und das, was sie in diesem Suchen foerdert und in sich und Anderen erzeugt, war ihr Zweck. Es muessen eben verschiedene, und zwar verschieden hohe und verschieden geartete Stufen erstiegen werden. Wenn jede Anlage mit voelliger Blindheit ihrem Gegenstande zugefuehrt wuerde und ihn ergreifen und erschoepfen muesste, so waere eine viel schoenere und reichere Blume dahin, die Freiheit der Seele, die ihre Anlage einem Gegenstande zuwenden kann oder sich von ihm fern halten, die ihr Paradies sehen, sich von ihm abwenden und dann trauern kann, dass sie sich von ihm abgewendet hat, oder die endlich in das Paradies eingeht und sich gluecklich fuehlt, dass sie eingegangen ist." "Oft habe ich schon gedacht", sagte ich, "da die Kunst so sehr auf die Menschen wirkt, wie ich an mir selber, wenn auch nur erst kurze Zeit, zu beobachten Gelegenheit hatte, ob denn der Kuenstler bei der Anlage seines Werkes seine Mitmenschen vor Augen habe und dahin rechne, wie er es einrichten muesse, dass auf sie die Wirkung gemacht werde, die er beabsichtiget." "Ich hege keine Zweifel, dass es nicht so ist", erwiderte mein Gastfreund, "wenn der Mensch ueberhaupt seine ihm angeborne Anlage nicht kennt, selbst wenn sie eine sehr bedeutende sein sollte und wenn er mannigfaltige Handlungen vornehmen muss, ehe seine Umgebung ihn oder er sich selber inne wird, ja wenn er zuletzt sich seiner Freiheit gemaess seiner Anlage hingeben oder sich von ihr abwenden kann: so wird er wohl im Wirken dieser Anlage nicht so zu rechnen im Stande sein, dass sie an einem gewissen Punkte anlanden muesse; sondern je groesser die Kraft ist, um so mehr, glaube ich, wirkt sie nach den ihr eigentuemlichen Gesetzen, und das dem Menschen inwohnende Grosse strebt, unbewusst der Aeusserlichkeiten, seinem Ziele zu und erreicht desto Wirkungsvolleres, je tiefer und unbeirrter es strebt. Das Goettliche scheint immer nur von dem Himmel zu fallen. Es hat wohl Menschen gegeben, welche berechnet haben, wie ein Erzeugnis auf die Mitmenschen wirken soll, die Wirkung ist auch gekommen, sie ist oft eine grosse gewesen, aber keine kuenstlerische und keine tiefe; sie haben etwas Anderes erreicht, das ein Zufaelliges und Aeusseres war, das die, welche nach ihnen kamen, nicht teilten und von dem sie nicht begriffen, wie es auf die Vorgaenger hatte wirken koennen. Diese Menschen bauten vergaengliche Werke und waren nicht Kuenstler, waehrend das durch die wirkliche Macht der Kunst Geschaffene, weil es die reine Bluete der Menschheit ist, nach allen Zeiten wirkt und entzueckt, so lange die Menschen nicht ihr Koestlichstes, die Menschheit, weggeworfen haben." "Es ist einmal in der Stadt die Frage gestellt worden", sagte ich, "ob ein Kuenstler, wenn er wuesste, dass sein Werk, das er beabsichtigt, zwar ein unuebertroffenes Meisterwerk sein wird, dass es aber die Mitwelt nicht versteht und dass es auch keine Nachwelt verstehen wird, es doch schaffen muesse oder nicht. Einige meinten, es sei gross, wenn er es taete, er tue es fuer sich, er sei seine Mit- und Nachwelt. Andere sagten, wenn er etwas schaffe, von dem er wisse, dass es die Mitwelt nicht verstehe, so sei er schon toericht und vollends, wenn er es schaffe und weiss, dass auch keine Nachwelt es begreifen wird." "Dieser Fall wird wohl kaum sein", antwortete mein Gastfreund, "der Kuenstler macht sein Werk, wie die Blume blueht, sie blueht, wenn sie auch in der Wueste ist und nie ein Auge auf sie faellt. Der wahre Kuenstler stellt sich die Frage gar nicht, ob sein Werk verstanden werden wird oder nicht. Ihm ist klar und schoen vor Augen, was er bildet, wie sollte er meinen, dass reine, unbeschaedigte Augen es nicht sehen? Was rot ist, ist es nicht allen rot? Was selbst der gemeine Mann fuer schoen haelt, glaubt er das nicht fuer alle schoen? Und sollte der Kuenstler das wirklich Schoene nicht fuer die Geweihten schoen halten? Woher kaeme denn sonst die Erscheinung, dass einer ein herrliches Werk macht, das seine Mitwelt nicht ergreift? Er wundert sich, weil er eines andern Glaubens war. Es sind dies die Groessten, welche ihrem Volke voran gehen und auf einer Hoehe der Gefuehle und Gedanken stehen, zu der sie ihre Welt erst durch ihre Werke fuehren muessen. Nach Jahrzehnten denkt und fuehlt man wie jene Kuenstler, und man begreift nicht, wie sie konnten missverstanden werden. Aber man hat durch diese Kuenstler erst so denken und fuehlen gelernt. Daher die Erscheinung, dass gerade die groessten Menschen die naivsten sind. Wenn nun der frueher angegebene Fall moeglich waere, wenn es einen wahren Kuenstler gaebe, der zugleich wuesste, dass sein beabsichtigtes Werk nie verstanden werden wuerde, so wuerde er es doch machen, und wenn er es unterlaesst, so ist er schon gar kein Kuenstler mehr, sondern ein Mensch, der an Dingen haengt, die ausser der Kunst liegen. Hieher gehoert auch jene ruehrende Erscheinung, die von manchen Menschen so bitter getadelt wird, dass einer, dem recht leicht gangbare Wege zur Verfuegung staenden, sich reichlich und angenehm zu naehren, ja zu Wohlstand zu gelangen, lieber in Armut, Not, Entbehrung, Hunger und Elend lebt und immer Kunstbestrebungen macht, die ihm keinen aeusseren Erfolg bringen und oft auch wirklich kein Erzeugnis von nur einigem Kunstwerte sind. Er stirbt dann im Armenhause oder als Bettler oder in einem Hause, wo er aus Gnaden gehalten wurde." Wir waren unseres Freundes Meinung. Eustach ohnehin schon, weil er die Kunstdinge als das Hoechste dem irdischen Lebens ansah und ein Kunststreben als blosses Bestreben schon fuer hoch hielt, wie er auch zu sagen pflegte, das Gute sei gut, weil es gut sei. Ich stimmte bei, weil mich das, was mein Gastfreund sagte, ueberzeugte, und Gustav mochte es geglaubt haben - Erfahrungen hatte er nicht -, weil ihm alles Wahrheit war, was sein Pflegevater sagte. Von einem Streben, das gewissermassen sein eigener Zweck sei, vom Vertiefen der Menschen in einen Gegenstand, dem scheinbar kein aeusserer Erfolg entspricht und dem der damit Behaftete doch alles Andere opfert, kamen wir ueberhaupt auf Verschiedenes, an das der Mensch sein Herz haengt, das ihn erfuellt und das sein Dasein oder Teile seines Daseins umschreibt. Nachdem wir wirklich eine groessere Zahl von Dingen durchsprochen hatten, die zu dem Menschen in das von uns angefuehrte Verhaeltnis treten koennen, als ich je vermutet haette, machte mein Gastfreund folgenden Ausspruch: "Wenn wir hier alle die Dinge ausschliessen, die nur den Koerper oder das Tierische des Menschen betreffen und befriedigen und deren andauerndes Begehren mit Hinwegsetzung alles Andern wir mit dem Namen Leidenschaft bezeichnen, weshalb es denn nichts Falscheres geben kann, als wenn man von edlen Leidenschaften spricht, und wenn wir als Gegenstaende hoechsten Strebens nur das Edelste des Menschen nennen: so duerfte alles Draengen nach solchen Gegenstaenden vielleicht nicht mit Unrecht nur mit einem Namen zu benennen sein, mit Liebe. Lieben als unbedingte Werthaltung mit unbedingter Hinneigung kann man nur das Goettliche oder eigentlich nur Gott; aber da uns Gott fuer irdisches Fuehlen zu unerreichbar ist, kann Liebe zu ihm nur Anbetung sein, und er gab uns fuer die Liebe auf Erden Teile des Goettlichen in verschiedenen Gestalten, denen wir uns zuneigen koennen: so ist die Liebe der Eltern zu den Kindern, die Liebe des Vaters zur Mutter, der Mutter zum Vater, die Liebe der Geschwister, die Liebe des Braeutigams zur Braut, der Braut zum Braeutigam, die Liebe des Freundes zum Freunde, die Liebe zum Vaterlande, zur Kunst, zur Wissenschaft, zur Natur, und endlich gleichsam kleine Rinnsale, die sich von dem grossen Strome abzweigen, Beschaeftigungen mit einzelnen, gleichsam kleinlichen Gegenstaenden, denen sich oft der Mensch am Abende seines Lebens wie kindlichen Notbehelfen hingibt, Blumenpflege, Zucht einer einzigen Gewaechsart, einer Tierart und so weiter, was wir mit dem Namen Liebhaberei belegen. Wen die groesseren Gegenstaende der Liebe verlassen haben, oder wer sie nie gehabt hat, und wer endlich auch gar keine Liebhaberei besitzt, der lebt kaum und betet auch kaum Gott an, er ist nur da. So fasst es sich, glaube ich, zusammen, was wir mit der Richtung grosser Kraefte nach grossen Zielen bezeichnen, und so findet es seine Berechtigung." "Jene Zeit", sagte er nach einer Weile, "in welcher die Kirchen gebaut worden sind, wie wir eben eine besucht haben, war in dieser Hinsicht weit groesser als die unsrige, ihr Streben war ein hoeheres, es war die Verherrlichung Gottes in seinen Tempeln, waehrend wir jetzt hauptsaechlich auf den stofflichen Verkehr sehen, auf die Hervorbringung des Stoffes und auf die Verwendung des Stoffes, was nicht einmal ein an sich gueltiges Streben ist, sondern nur beziehungsweise, in so fern ihm ein hoeherer Gedanke zu Grunde gelegt werden kann. Das Streben unserer aelteren Vorgaenger war auch insbesondere darum ein hoeheres, weil ihm immer Erfolge zur Seite standen, die Hervorbringung eines wahrhaft Schoenen. Jene Tempel waren die Bewunderung ihrer Zeit, Jahrhunderte bauten daran, sie liebten sie also, und jene Tempel sind auch jetzt in ihrer Unvollendung oder in ihren Truemmern die Bewunderung einer wieder erwachenden Zeit, die ihre Verduesterung abgeschuettelt hat, aber zum allseitigen Handeln noch nicht durchgedrungen ist. Sogar das Streben unserer unmittelbaren Vorgaenger, welche sehr viele Kirchen nach ihrer Schoenheitsvorstellung gebaut, noch mehr Kirchen aber durch zahllose Zubauten, durch Aufstellung von Altaeren, durch Umaenderungen entstellt und uns eine sehr grosse Zahl solcher Denkmale hinterlassen haben, ist in so ferne noch hoeher als das unsere, indem es auch auf Erbauung von Gotteshaeusern ausging, auf Darstellung eines Schoenen und Kirchlichen, wenn es sich auch in dem Wesen des Schoenen von den Vorbildern der frueheren Jahrhunderte entfernt hat. Wenn unsere Zeit von dem Stofflichen wieder in das Hoehere uebergeht, wie es den Anschein hat, werden wir in Baugegenstaenden nicht auch gleich das Schoene verwirklichen koennen. Wir werden Anfangs in der blossen Nachahmung des als schoen Erkannten aus aelteren Zeiten befangen sein, dann wird durch den Eigenwillen der unmittelbar Betrauten manches Ungereimte entstehen, bis nach und nach die Zahl der heller Blickenden groesser wird, bis man nach einer allgemeineren und begruendeteren Einsicht vorgeht und aus den alten Bauarten neue, der Zeit eigentuemlich zugehoerige, entspriessen." "In der Kirche, welche wir eben gesehen haben", sagte ich, "liegt nach meiner Meinung eine eigentuemliche Schoenheit, dass es nicht begreiflich ist, wie eine Zeit gekommen ist, in welcher man es verkennen und so Manches hinzufuegen konnte, was vielleicht schon an sich unschoen ist, gewiss aber nicht passt." "Es waren rauhe Zeiten ueber unser Vaterland gekommen", erwiderte er, "welche nur in Streit und Verwuestung die Kraefte uebten und die tieferen Richtungen der menschlichen Seele ausrotteten. Als diese Zeiten vorueber waren, hatte man die Vorstellung des Schoenen verloren, an seine Stelle trat die blosse Zeitrichtung, die nichts als schoen erkannte als sich selber und daher auch sich selber ueberall hinstellte, es mochte passen oder nicht. So kam es, dass roemische oder korinthische Simse zwischen altdeutsche Saeulen gefuegt wurden." "Aber auch unter den altdeutschen Kirchen ist diese, welche wir verlassen haben, wenn ich nach den Kirchen, die ich gesehen habe, urteilen darf, eine der schoensten und edelsten", sagte ich. "Sie ist klein", erwiderte mein Gastfreund, "aber sie uebertrifft manche grosse. Sie strebt schlank empor wie Halme, die sich wiegen, und gleicht auch den Halmen darin, dass ihre Boegen so natuerlich und leicht aufspringen wie Halme, die da nicken. Die Rosen in den Fensterboegen, die Verzierungen an den Saeulenknaeufen, an den Bogenrippen, so wie die Rose der Turmspitze sind so leicht wie die verschiedenen Gewaechse, die in dem Halmenfelde sich entwickeln." "Darum ueberkam mich auch wieder ein Gedanke", antwortete ich, "den ich schon oefter hatte, dass man nehmlich die Fassung von Edelsteinen im Sinne altdeutscher Baudenkmale einrichten sollte, und dass man dadurch zu schoeneren Gestaltungen kaeme." "Wenn ihr den Gedanken so nehmet", erwiderte er, "dass sich die, welche Edelsteine fassen, im Sinne der alten Baumeister bilden sollen, welche Wuerdiges und Schoenes auf einfache und erhebende Art darstellten, so duerftet ihr, glaube ich, recht haben. Wenn ihr aber meint, dass Gestaltungen, welche an mittelalterlichen Gebaeuden vorkommen, im verkleinerten Massstabe sofort als Schmuckdinge zu gebrauchen seien, so duerftet ihr euch irren." "So habe ich es gemeint", sagte ich. "Wir haben schon einmal ueber diesen Gegenstand gesprochen", erwiderte er, "und ich habe damals selber auf die altertuemliche Kunst als die Grundlage von Schmuck hingewiesen; aber ich habe damit nicht bloss die Baukunst gemeint, sondern jede Kunst, auch die der Geraete, der Kirchenstoffe, der weltlichen Stoffe, die Malerkunst, die Bildhauerkunst, die Holzschneidekunst und Aehnliches. Auch habe ich nicht die unmittelbare Nachahmung der Gestaltungen gemeint, sondern die Erkennung des Geistes, der in diesen Gestaltungen wohnt, das Erfuellen des Gemuetes mit diesem Geiste, und dann das Schaffen in dieser Erkenntnis und in diesem Erfuelltsein. Es steht der Uebertragung der baulichen Gestaltungen auf Schmuck auch ein stoffliches Hindernis entgegen. Die Gebaeude, an denen der Schoenheitssinn besonders zur Auspraegung kam, waren immer mehr oder weniger ernste Gegenstaende: Kirchen, Pallaeste, Bruecken und im Altertume Saeulen und Boegen. Im Mittelalter sind die Kirchen weit das Ueberwiegende; bleiben wir also bei ihnen. Um den Ernst und die Wuerde der Kirche darzustellen, ist der Stoff nicht gleichgueltig, aus dem man sie verfertiget. Man waehlte den Stein als den Stoff, aus dem das Grossartigste und Gewaltigste von dem, was sich erhebt, besteht, die Gebirge. Er leiht ihnen dort, wo er nicht von Wald oder Rasen ueberkleidet ist, sondern nackt zu Tage steht, das erhabenste Ansehen. Daher gibt er auch der Kirche die Gewalt ihres Eindruckes. Er muss dabei mit seiner einfachen Oberflaeche wirken und darf nicht bemalt oder getuencht sein. Das Naechste unter dem Emporstrebenden, was sich an das Gebirge anschliesst, ist der Wald. Ein Baum uebt nach dem Felsen die groesste Macht. Daher ist die Kirche in Wuerde und kuenstlerischem Ansehen auch noch von Holz denkbar, sobald es nicht bemalt und nicht bestrichen ist. Eine eiserne Kirche oder gar eine von Silber koennte nicht anders als widrig wirken, sie wuerde nur wie roher Prunk aussehen, und von einer Kirche aus Papier, gesetzt, man koennte den Waenden auf die Dauer Widerstand gegen Wetter und den Verzierungen durch Pressen oder dergleichen die schoensten Gestalten geben, wendet sich das Herz mit Widerwillen und Verachtung ab. Mit dem Stoffe haengt die Gestaltung zusammen. Der Stein ist ernst, er strebt auf und laesst sich nicht in die weichsten, feinsten und gewundensten Erscheinungen biegen. Ich rede von dem Bausteine, nicht von dem Marmor. Daher hat man die Gestalten der Kirche aus ihm emporstrebend, einfach und stark gemacht, und wo Biegungen vorkommen, sind sie mit Mass und mit einem gewissen Adel ausgefuehrt und ueberladen nicht die Waende und die andern Bildungen. In der Zeit, als sie das Uebergewicht zu bekommen anfingen, hoerte auch die strenge Schoenheit der Kirchen auf und die Niedlichkeit begann. Zu den Fassungen unseres Schmuckes nehmen wir Metall, und zwar meistens Gold. Das Metall aber hat wesentlich andere Merkmale als der Stein. Es ist schwerer; darf also, ohne uns zu druecken, nicht in groesseren Stuecken angewendet worden, sondern muss in zarte Gestaltungen auseinander laufen. Dabei hat es unter allen Stoffen die groesste Biegsamkeit und Dehnbarkeit, wir glauben ihm daher die kuehnsten Windungen und Verschlingungen und fordern sie von ihm. Die Bildungen, besonders Zieraten aus Gold, koennen daher nicht genau dieselben sein wie die aus Stein, wenn beide schoen sein sollen. Aber aus dem inneren Geiste des einen, glaube ich, kann man recht gut und soll man den innern Geist des andern kennen, und es duerfte Treffliches heraus kommen." Ich vermochte gegen diese Ansicht nichts Wesentliches einzuwenden. Eustach fuehrte sie noch genauer durch Beispiele aus, die er von bekannten Steingestaltungen an Kirchen hernahm. Er zeigte, wie eine gelaeufige, leichte, kirchliche Steinbildung, wenn man sie etwa aus Gold machen lasse, sogleich schwer, traeg und unbeholfen werde, und er zeigte auch, wie man nach und nach die Steingestaltung umwandeln muesse, dass sie zu einer fuer Gold tauge, und da lebendig und eigentuemlich werde. Er versprach mir, dass er mir ueber diese Angelegenheit, wenn wir nach Hause gekommen sein wuerden, Zeichnungen zeigen wuerde. Ich sah hieraus, wie sehr meine Freunde ueber diesen Gegenstand nachgedacht haben und wie sie tatsaechlich in ihn eingegangen seien. "Es sind aber nicht bloss die Aeusserlichkeiten an unserer Kirche sehr schoen", fuhr mein Gastfreund fort, "sondern die Gestalten der Heiligen auf dem Altare und in den Nischen sind schoener, als man sie sonst meistens aus dem Zeitalter, aus welchem die Kirche stammt, zu sehen gewohnt ist. Wenn ich sagte, dass die griechischen Bildergestalten eine groessere sinnliche Schoenheit haben als die aus dem Mittelalter, so ist dieses nicht ausnahmslos so. Es gibt auch hoechst liebliche Gestalten aus dem Mittelalter, und wo keine Verzeichnung ist und wo sich Sinnlichkeit zeigt, sind sie meistens waermer als die griechischen. In der kleinen Kirche ist Aehnliches vorhanden, deshalb habe ich so gerne ihre Wiederherstellung uebernommen, deshalb bedaure ich, dass meine Mittel nicht so gross sind, die gaenzliche Vollendung herbeifuehren zu koennen, und deshalb habe ich so sehr nach den Gestalten, die in den Nischen fehlen, suchen lassen, um so viel als moeglich die Kirche zu bevoelkern, wenn auch der Gedanke Raum hatte, dass vielleicht nicht einmal alle Gestalten fertig geworden und alle Plaetze besetzt gewesen seien. Vielleicht steht einmal eine hoehere und allgemeinere Kraft auf, die diese und noch wichtigere Kirchen wieder in ihrer Reinheit darstellt." Wir kamen am zweiten Tage in dem Asperhofe an, und ich sagte, dass ich nun nicht mehr lange da verweilen koenne. Mein Gastfreund erwiderte, dass er in einigen Tagen in den Sternenhof fahren werde, dass er mich einlade, ihn zu begleiten und dass ich bis dahin noch bei ihm bleiben moege. Ich erklaerte, dass bei mir wohl einige Tage keinen wesentlichen Unterschied machten, dass ich aber doch wuensche, bald zu meinen Eltern zurueckkehren zu koennen. So war der Abend vor der Abreise in den Sternenhof gekommen, und mein Gastfreund sagte an demselben in einem gelegenen Augenblicke zu mir: "Ihr tretet nun zu jemandem, der mir nahe ist, in ein inniges Verhaeltnis; es ist billig, dass ihr alles wisset, wie es in dem Sternenhofe ist und in welchen Beziehungen ich zu demselben stehe. Ich werde euch alles darlegen. Damit ihr aber in noch viel groesserer Ruhe seid und mit Klarheit das Mitgeteilte aufnehmen koennet, so werde ich es euch erzaehlen, wenn ihr wieder in den Asperhof kommt. Ihr werdet jetzt zu euren Eltern gehen, wie ihr sagt, um ihnen zu berichten, wie ihr aufgenommen worden seid und wie die Angelegenheit steht. Wenn ihr dann nach eurem beliebigen Willen wieder zu mir kommt, sei es zu was immer fuer einer Zeit, so werdet ihr willkommen sein und bereitwilligen Empfang finden." Am anderen Morgen sass ich nebst Gustav mit ihm in dem Wagen, und wir fuhren dem Sternenhofe zu. Wir wurden dort so freundlich und heiter aufgenommen wie immer, ja noch freundlicher und heiterer als sonst. Die Zimmer, welche wir immer bewohnt hatten, standen fuer uns, wie fuer Personen, welche zu der Familie gehoerten, in Bereitschaft. Natalie stand mit lieblichen Mienen neben ihrer Mutter und sah ihren aelteren Freund und mich an. Ich gruesste mit Ehrerbietung die Mutter und fast mit gleicher Ehrerbietung die Tochter. Gustav war etwas schuechterner als sonst und blickte bald mich, bald Natalien an. Wir sprachen die gewoehnlichen Bewillkommungsworte und andere unbedeutende Dinge. Dann verfuegten wir uns in unsere Zimmer. Noch an demselben Tage und am naechsten besah mein Gastfreund verschiedene Dinge, welche zur Bewirtschaftung des Gutes gehoerten, besprach sich mit Mathilden darueber, besuchte selbst ziemlich entfernte Stellen und ordnete im Namen Mathildens an. Auch die Arbeiten in der Hinwegschaffung der Tuenche von der Aussenseite des Schlosses besah er. Er stieg selber auf die Gerueste, untersuchte die Genauigkeit der Hinwegschaffung der aufgetragenen Kruste und die Reinheit der Steine. Er pruefte die Groesse der in einer gewoehnlichen Zeit vollbrachten Arbeit und gab Auftraege fuer die Zukunft. Wir waren bei den meisten dieser Beschaeftigungen gemeinschaftlich zugegen. Man behandelte mich auf eine ausgezeichnete Art. Mathilde war so sanft, so gelassen und milde wie immer. Wer nicht genauer geblickt haette, wuerde keinen Unterschied zwischen sonst und jetzt gewahr geworden sein. Sie war immer guetig und konnte daher nicht guetiger sein. Ich empfand aber doch einen Unterschied. Sie richtete das Wort so offen an mich wie frueher; aber es war doch jetzt anders. Sie fragte mich oft, wenn es sich um Dinge des Schlosses, des Gartens, der Felder, der Wirtschaft handelte, um meine Meinung, wie einen, der ein Recht habe und der fast wie ein Eigentuemer sei. Sie fragte gewiss nicht, um meine Meinung so gruendlich zu wissen; denn mein Gastfreund gab die besten Urteile ueber alle diese Gegenstaende ab, sondern sie fragte so, weil ich einer der ihrigen war. Sie hob aber diese Fragen nicht hervor und betonte sie nicht, wie jemand getan haette, bei dem sie Absicht gewesen waeren, sondern sie empfand das Zusammengehoerige unseres Wesens und gab es so. Mir ging diese Behandlung ungemein lieb in die Seele. Mein Gastfreund war wohl beinahe gar nicht anders; denn sein Wesen war immer ein ganzes und geschlossenes; aber auch er schien herzlicher als sonst. Gustav verlor sein anfaengliches schuechternes Wesen. Obwohl er auch jetzt noch kein Wort sagte, welches auf unser Verhaeltnis anspielte - das taten auch die anderen nicht, und er hatte eine zu gute Erziehung erhalten, um, obgleich er noch so jung war, hierin eine Ausnahme zu machen -, so ging er doch zuweilen ploetzlich an meine Seite, nahm mich bei einem Arme, drueckte ihn oder nahm mich bei der Hand und drueckte sie mit der seinen. Nur mit Natalie war es ganz anders. Wir waren beinahe scheuer und fremder, als wir es vor jenem Hervorleuchten des Gefuehles in der Grotte der Brunnennymphe gewesen waren. Ich durfte sie am Arme fuehren, wir durften mit einander sprechen; aber wenn dies geschah, so redeten wir von gleichgueltigen Dingen, welche weit entfernt von unseren jetzigen Beziehungen lagen. Und dennoch fuehlte ich ein Glueck, wenn ich an ihrer Seite ging, dass ich es kaum mit Worten haette sagen koennen. Alles, die Wolken, die Sterne, die Baeume, die Felder schwebten in einem Glanze, und selbst die Personen ihrer Mutter und ihres alten Freundes waren verklaerter. Dass in Natalien Aehnliches war, wusste ich, ohne dass sie es sagte. Wenn wir an dem Scheunentore des Meierhofes vorbeigingen oder an einer anderen Tuer oder an einem Felde oder sonst an einem Platze, auf welchem gearbeitet wurde, so traten die Menschen zusammen, blickten uns nach und sahen uns mit denselben bedeutungsvollen Augen an, mit denen man mich in dem Asperhofe angeschaut hatte. Es war mir also klar, dass man auch hier wusste, in welchen Beziehungen ich zu der Tochter des Hauses stehe. Ich haette es auch aus der groesseren Ehrerbietung der Diener heraus lesen koennen, wenn es mir nicht schon sonst deutlich gewesen waere. Aber auch hier wie in dem Asperhofe bemerkte ich, dass es etwas Freundliches war, etwas, das wie Freude aussah, was sich in den Mienen der Leute spiegelte. Sie mussten also auch hier mit dem, was sich vorbereitete, zufrieden sein. Ich war darueber tief vergnuegt; denn auf welchem Stande der Entwickelung die Leute immer stehen moegen, so ist es doch gewiss, wie ich aus dem Umgange mit vielen Menschen reichlich erfahren habe, dass Geringere die Hoeheren oft sehr richtig beurteilen und namentlich, wenn Verbindungen geschlossen werden, seien es Freundschaften, seien es Ehen, mit richtiger Kraft erkennen, was zusammen gehoert und was nicht. Dass sie mich also zu Natalien gehoerig ansahen, erfuellte mich mit nachhaltender inniger Freude. Wie Natalie ueber diese Kundgebungen der Leute dachte, konnte ich nicht erkennen. Nachdem so drei Tage vergangen waren, nachdem wir die verschiedensten Stellen des Schlosses, des Gartens, der Felder und der Waelder gemeinschaftlich besucht hatten, nachdem wir auch manchen Augenblick in den Gemaeldezimmern und in denen mit den altertuemlichen Geraeten zugebracht und an Verschiedenem uns erfreut hatten, nachdem endlich auch alles, was in Angelegenheiten des Gutes zu besprechen und zu ordnen war, zwischen Mathilden und meinem Gastfreunde besprochen und geordnet worden war, wurde auf den naechsten Tag die Abreise beschlossen. Wir verabschiedeten uns auf eine aehnliche Weise, wie wir uns bewillkommt hatten, der Wagen war vorgefahren, und wir schlugen die Richtung zurueck ein, in der wir vor vier Tagen gekommen waren. Ich fuhr mit meinem Gastfreunde nur bis an die Poststrasse und auf derselben bis zur ersten Post. Dort trennten wir uns. Er fuhr auf Nebenwegen dem Asperhofe zu, weil er mir zu lieb einen Umweg gemacht hatte, ich aber schlug mit Postpferden die Richtung gegen das Kargrat ein. Ich war entschlossen, im Kargrat fuer jetzt ganz abzubrechen und also die Gegenstaende, die ich noch dort hatte, fortschaffen zu lassen. Als ich in dem kleinen Orte eingetroffen war, richtete ich meine Verhaeltnisse zurecht, liess meine Dinge einpacken und schickte sie fort. Ich nahm von dem Pfarrer, welchen ich kennen gelernt hatte, Abschied, verabschiedete mich auch von meinen Wirtsleuten und von den anderen Menschen, die mir bekannt geworden waren, sagte, dass ich nicht weiss, wann ich in das Kargrat zurueckkehren werde, um meine Arbeiten, welche ich wegen eines schnell eingetretenen Umstandes hatte abbrechen muessen, fortzusetzen, und reiste wieder ab. Ich ging jetzt in das Lauterthal, um es zu besuchen. Es war in der Richtung nach meiner Heimat ein geringer Umweg, und ich wollte das Tal, das mir lieb geworden war, wieder sehen. Besonders aber fuehrte mich ein Zweck dahin. Obwohl ich wenig Hoffnung hatte, dass mein Auftrag, den ich in dem Tale gegeben hatte, zu forschen, ob sich nicht doch noch die Ergaenzungen zu den Vertaeflungen meines Vaters faenden, einen Erfolg haben werde, so wollte ich doch nicht nach Hause reisen, ohne in dieser Hinsicht Nachfrage gehalten zu haben. Die gewuenschten Ergaenzungen hatten sie zwar nicht gefunden, auch keine Spur zu denselben war entdeckt worden; aber manche Leute hatte ich gesehen, denen ich in frueheren Tagen geneigt worden war, Gegenstaende hatte ich erblickt, von denen ich in vergangenen Jahren zu meinem Vergnuegen umringt gewesen war. Ich ging auch in das Rothmoor. Dort fand ich die Arbeiten noch in einem hoeheren Masse entwickelt und im Gange, als sie es bei meiner letzten Anwesenheit gewesen waren. Von mehreren Orten hatte man Bestellungen eingesendet, selbst von unserer Stadt, wo das Becken der Einbeere bekannt geworden war und manchen Beifall gefunden hatte, waren Briefe geschickt worden. Fremde kamen zu Zeiten in diese abgelegene Gegend, machten Kaeufe und hinterliessen Auftraege. Ich sah also, dass sich Manches hier gebessert habe, betrachtete die Arbeiten und bestellte auch wieder einige neue, weil ich teils noch Stuecke schoenen Marmors hatte, aus denen irgend etwas gemacht werden konnte und weil anderen Teils in dem Garten des Vaters zur Bruestung oder zu anderen Stellen noch Gegenstaende fehlten. Die Leute hatten mich recht freundlich und zuvorkommend empfangen, sie zeigten mir, was im Gange war, welche Verbesserungen sie eingefuehrt hatten und welche sie noch beabsichtigen. Sie liessen hiebei nicht unerwaehnt, dass ich der kleinen Anstalt immer zugetan gewesen sei und dass ich zu den Verbesserungen manchen Anlass und manchen Fingerzeig gegeben habe. Ich drueckte meine Freude ueber alles das aus und versprach, dass ich, wenn ich in die Naehe kaeme, jederzeit recht gerne einen kurzen Besuch in dem Rothmoor machen wuerde. Nach diesem unbedeutenden Aufenthalte im Lauterthale und im Rothmoor setzte ich meine Reise zu meinen Eltern ohne weitere Verzoegerung fort. Die Mitteilung Zu Hause hatten sie mich noch nicht erwartet, weil ich ihnen durch meinen Brief angezeigt hatte, dass ich mit meinem Gastfreunde eine kleine Reise zu einer altertuemlichen Kirche machen wuerde. Auch hatten sie sich vorgestellt, dass ich noch einmal in meinen Aufenthaltsort in das Hochgebirge gehen und mich auf der Rueckreise eine Zeit in dem Sternenhofe aufhalten werde. Sie irrten aber; denn obwohl ich in beiden Orten war, war ich doch nicht lange dort, und es draengte mein Herz, den Meinigen zu eroeffnen, wie meine Angelegenheiten stehen. Als ich dieses getan hatte, waren sie bei Weitem weniger ergriffen, als ich erwartet hatte. Sie freuten sich, aber sie sagten, sie haetten gewusst, dass es so sein werde, ja sie haetten seit Jahren die jetzige Entwicklung schon geahnt. Im Rosenhause und im Sternenhofe, meinten sie, wuerde man mich nicht so freundschaftlich und guetig behandelt haben, wenn man mich nicht lieb gehabt und wenn man nicht selbst das, was sich jetzt ereignet hat, als etwas Angenehmes betrachtet haette, dessen Spuren man ja doch habe entstehen sehen muessen. So lieb mir diese Ansicht war, weil sie die Gesinnungen meiner Angehoerigen gegen mich ausdrueckte, so konnte ich doch nicht umhin, zu denken, dass nur die Meinigen die Sache so betrachten, weil sie eben die Meinigen sind, und dass sie mich auch darum des Empfangenen fuer wuerdig erachteten. Ich aber wusste es anders, weil ich Natalien und ihre Umgebung kannte und ihren Wert zu ahnen vermochte. Ich konnte das, was mir begegnete, nur als ein Glueck ansehen, welches mir ein guenstiges Schicksal entgegen gefuehrt hatte und dessen immer wuerdiger zu werden ich mich bestreben muesse. Mein Vater sagte, es sei alles gut, die Mutter liess in wehmuetiger und freudiger Stimmung immer wieder die Worte fallen, dass denn so gar nichts fuer ein so wichtiges Verhaeltnis vorbereitet sei; die Schwester sah mich oefter sinnend und betrachtend an. Ich sprach die Bitte aus, dass die Eltern mir nun beistehen muessten, das, was in den gegenwaertigen Verhaeltnissen zu tun sei, auf das Schicklichste zu tun, und ich legte auch den Wunsch dar, dass ich nach des Vaters Ansicht eine groessere Reise unternehmen moechte. "Es sind mehrere Dinge noetig", sagte der Vater. "Zuerst, glaube ich, erwartet man von deinen Eltern eine Annaeherung an sie; denn die Angehoerigen der Braut koennen sich nicht schicklich zuerst den Angehoerigen des Braeutigams vorstellen. Ausserdem hat mir dein Gastfreund Liebes erwiesen, was ich ihm noch nicht habe vergelten koennen. Ferner hat dir dein Gastfreund Mitteilungen zu machen, die er fuer notwendig haelt; und endlich solltest du wirklich, wie du auch selber wuenschest, eine groessere Reise machen, um wenigstens im Allgemeinen Menschen und Welt naeher kennen zu lernen. Was deine Gegenleute tun werden, ist ihre Sache, und wir muessen es erwarten. Unsere Angelegenheit ist jetzt, das, was uns obliegt, auf solche Weise zu tun, dass wir uns weder vordraengen noch dass etwas geschehe, was wie geringere Achtung dessen aussaehe, was uns durch diese Verbindung geboten wird. Ich glaube, die natuerlichste Ordnung waere folgende. Du musst zuerst die Mitteilungen deines Freundes anhoeren, weil sie dir zuerst ohne Bedingung angetragen worden sind. Dann werde ich mit deiner Mutter eine Reise zur Mutter deiner Braut machen und bei dieser Gelegenheit deinen Gastfreund besuchen. Endlich magst du den Vorschlag tun, dass du eine Reise zu hoeherer Ausbildung zu unternehmen wuenschest. Weil aber dein Gastfreund selber gesagt hat, dass du, ehe er dir seine Mitteilungen macht, zu groesserer Ruhe kommen sollst, und weil es andererseits unziemend waere, zu sehr zu draengen, so kannst du nicht jetzt sogleich zu ihm gehen und ihn um seine Eroeffnungen bitten, sondern du musst eine Zeit verfliessen lassen und ihn spaeter, vielleicht im Winter, besuchen. Dadurch sieht er auch, dass du einerseits nicht zudringlich bist und dass du andererseits, da du in ungewohnter Jahreszeit zu ihm koemmst, doch die Sehnsucht zu erkennen gibst, deine Sache zu foerdern. Und damit du gewisser zu der erforderlichen Ruhe gelangest, schlage ich dir vor, mich auf einer kleinen Reise in meine Geburtsgegend zu begleiten, die wir in Kuerze antreten koennen. Wenn du dann im Winter zu deinem Gastfreunde koemmst, so kannst du ihm unsere Gruesse bringen und ihm sagen, dass wir mit Beginn der schoeneren Jahreszeit kommen und fuer dich um die Hand der Tochter seiner Freundin werben werden." Alle waren mit diesem Vorschlage vollkommen einverstanden. Besonders freute sich die Mutter, als sie hoerte, dass der Vater von freien Stuecken auf einen Reiseplan gekommen sei, dessen Richtung sie gar nicht erraten haette. "Ich muss mich ja ueben", erwiderte er, "wenn ich im Fruehlinge eine Reise in das Oberland bis in die Naehe der Gebirge antreten soll, die uns auch in den Rosenhof bringt und weiss Gott wie weit noch fuehren kann; denn wenn Leute, die immer zu Hause sind, einmal von der Wanderungslust ergriffen werden, dann koennen sie auch ihres Reisens kein Ende finden und besuchen Gegend um Gegend." Ich aber sagte hierauf: "Weil Klotilde nie die Gebirge gesehen hat, weil sie in dieser ganzen Angelegenheit am weitesten zurueckgesetzt ist, weil ich ihr immer versprochen habe, sie in die Berge zu fuehren, und weil die Erfuellung dieses Versprechens durch meine groessere Reise wieder hinaus geschoben werden koennte: so mache ich ihr den Vorschlag, mit mir, wenn ich mit dem Vater von unserer kleinen Reise zurueckgekommen bin, einen Teil des Herbstes in dem Hochgebirge zuzubringen. Die Tage des Herbstes, selbst die des Spaetherbstes, sind in den Gebirgen meistens sehr schoen, und wir koennen in den klaren Lueften weiter herum sehen, als es oft in dem schwuelen und gewitterreichen Dunstkreise der Monate Juni oder Juli moeglich ist." Klotilde nahm diesen Vorschlag mit Freude an, und ich versprach ihr, in den Tagen, die noch bis zu meiner Abreise mit dem Vater verfliessen werden, alles anzugeben, was sie an Kleidern und sonstigen Dingen zu der Gebirgsreise beduerfe, welche Gegenstaende sie dann waehrend meiner Abreise vorrichten lassen koenne. "Wenn ich zu den Mitteilungen meines Freundes an Ruhe gewinnen muss", setzte ich hinzu, "so koennten diese Reisen das beste Mittel dazu abgeben." Der Vater und die Mutter waren mit meinem Vorschlage sehr zufrieden. Die Mutter sagte nur, sie werde an den Vorbereitungen Klotildens mitarbeiten und besonders darauf sehen, dass alles vorhanden sei, was zu dem Schutze der Gesundheit gehoere. Ich erwiderte, dass das sehr gut sei und dass ich auch bei der Reise selber alle Massregeln ergreifen werde, dass Klotildens Gesundheit keinen Schaden leide. Wir fingen wirklich am andern Tage an, die Dinge zu bereden, welche Klotilde zur Reise brauche. Sie ging ruestig an die Anschaffung. Ich entwarf ein Verzeichnis der Notwendigkeiten, welches ich nach und nach ergaenzte. Als einige Zeit verflossen war, glaubte ich es so vervollstaendigt zu haben, dass nun nicht leicht mehr etwas Wesentliches vergessen werden konnte. Indessen rueckte auch der Tag heran, an welchem ich mit dem Vater abreisen sollte. Am fruehen Morgen desselben setzten wir uns in den leichten Reisewagen, dessen sich der Vater immer bedient hatte, wenn er groessere Entfernungen zuruecklegen musste. Jetzt war er lange nicht mehr aus dem Wagenbehaeltnis gekommen. Auf Anordnung der Mutter wurde er einige Tage vorher von Sachkundigen genau untersucht, ob er nicht heimliche Gebrechen habe, welche uns in Schaden bringen koennten. Als dies einstimmig verneint worden war, gab sie sich zufrieden. Wir hatten Postpferde, wechselten dieselben an gehoerigen Orten und hielten uns in ihnen so lange auf, als es uns beliebte. Gegen jeden Abend liess der Vater noch bei Tageslicht halten, es wurde das Nachtlager bestellt und wir machten vor dem Abendessen einen Spaziergang. In diesen Tagen, an denen ich mehr Stunden hintereinander ununterbrochen mit dem Vater zubrachte, als dies je vorher der Fall gewesen war, sprach ich auch mehr mit ihm als je zu einer anderen Zeit. Wir sprachen von Kunstdingen: er erzaehlte mir von seinen Bildern, sagte mir Manches ueber ihre Erwerbung, was ich noch nicht wusste, und verbreitete sich in guter Rede ueber ihren Kunstwert, er kam auf seine Steine und erklaerte mir Manches; wir ergingen uns in Buechern, die uns beiden gelaeufig waren, setzten ihren Wert, wenn er dichterisch oder wissenschaftlich war, auseinander und erinnerten uns gegenseitig an Teile des Inhaltes; wir sprachen auch von Zeitereignissen und von der Lage unsers Staates. Er erzaehlte mir endlich von seinem kaufmaennischen Geschaefte und machte mich mit dessen Grundlagen und Stellungen bekannt. Er zeigte mir Teile der Gegend, durch die wir fuhren, und unterrichtete mich von dem Schicksale mancher Familie, die in diesem oder jenem Abschnitte der Landschaft wohnte. Unter diesen Verhaeltnissen kamen wir am vierten Tage an dem Orte unserer Bestimmung an. Die Gegend war mir voellig unbekannt, weil mich meine Wanderungen nie hieher getragen hatten. Am Saume des Waldes, der den Norden unseres Landes begrenzt, ging ein Tal hin, das einst Wald gewesen war und das jetzt zerstreute Haeuser, einzelne Felder, Wiesen, Felsen, Schluchten und rinnende Wasser in seinem Bereiche hegte. Eines der Haeuser, halb aus Holz gezimmert und halb gemauert, war das Geburtshaus meines Vaters. Es stand am Rande eines Waeldchens, das von dem grossen Walde herstammte, der einst diese ganzen Gegenden bedeckt hatte. Es war gegen West durch eine Gruppe sehr grosser und dicht stehender Buchen gedeckt. dass ihm die Winde von dorther wenig anhaben konnten, hatte gegen Ost den Schutz eines Felsens, im Norden den des grossen Waldbandes und schaute gegen Sueden auf seine nicht unbetraechtlichen Wiesen und Felder, deren Ergiebigkeit in Getreide gering, in Futterkraeutern ausserordentlich war, weshalb der groessere Reichtum auch in Herden bestand. Wir fuhren in das Gasthaus des Tales, liessen unsere Reisedinge abpacken, bestellten uns auf einige Tage Wohnung und besuchten dann die sehr entfernten Verwandten, welche jetzt des Vaters Stammhaus bewohnten. Es war gegen Mittag. Sie nahmen uns, da wir uns entdeckt hatten, sehr freundlich auf und verlangten, dass wir unser Gepaecke holen lassen und bei ihnen wohnen sollten. Nur auf die dringenden Vorstellungen des Vaters, dass wir ihnen die Bequemlichkeit naehmen und selber keine gewaennen, gaben sie nach und verlangten nur noch, dass wir zum bevorstehenden Mittagessen bei ihnen bleiben sollten, was wir annahmen. Da wir nun in der grossen Wohnstube sassen, zeigte mir der Vater den geraeumigen Ahorntisch, bei dem er und seine Geschwister ihre Nahrung eingenommen hatten. Der Tisch war alt geworden, aber der Vater sagte, dass er noch in derselben Ecke stehe, von den zwei Fenstern beglaenzt und von der hereinscheinenden Sonne beleuchtet wie einst. Er zeigte mir seine gewesene, neben der Stube befindliche Schlafkammer. Dann gingen wir hinaus, er wies mir die Treppe, die auf den hoelzernen Gang fuehrte, welcher rings um den Hof lief, und den Quell, der sich noch immer mit hellem Wasser in den Granittrog ergoss, welchen schon sein Urgrossvater hatte hauen lassen, er wies mir den Stall, die Scheune und hinter ihr den Waldweg, auf dem er, noch ein halbes Kind, mit einem Stabe in der Hand die Heimat verlassen habe, um in der Fremde sein Glueck zu suchen. Wir gingen sogar in das Freie und dort herum. Der Vater blieb haeufig stehen und erinnerte sich noch der Fruchtgattungen, welche auf verschiedenen Stellen gestanden waren, als er mit einem Taefelchen, darauf sich rote und schwarze Buchstaben befanden, in das eine Viertelstunde entlegene hoelzerne Haus ging, das an der Strasse stand, von Buchen umgeben war und die Schule fuer alle Kinder des Tales vorstellte. Er sagte, es sei alles noch wie zur Zeit seiner Kindheit, die nehmlichen Begrenzungen, die nehmlichen kleinen Feldwege und dieselben Wassergraeben und Quellrinnsale. Er sagte, es sei ihm, als staenden sogar dieselben Arnicablumen auf der Wiese, die er als Knabe angeschaut habe, und da er mich zu dem Steinbuehl gefuehrt hatte, der am Rande der Felder lag, so ragten die Himbeerzweige empor, rankten sich die dornenreichen Brombeerreben um die Steine und wucherten die Erdbeerblaetter, gerade wie die, von denen er als Knabe gepflueckt hatte. Vom Steinbuehl gingen wir zu dem einfachen Essen, das wir mit unsern Verwandten verzehrten. Nach demselben besuchten wir mit dem jetzigen Eigentuemer alle Besitzungen. Der Vater sagte, dort habe sein Vater gepfluegt, geeggt, gegraben, hier habe seine Mutter mit der Schwester, der Magd und den Tageloehnern Heu gemacht, dort seien die Kuehe und Ziegen gegen den Wald hinan gegangen wie sie jetzt gehen, und die Seinigen haben ausgesehen wie die Leute jetzt aussehen. Als wir zurueckgekehrt waren, verabschiedeten wir uns, der Vater dankte fuer die Bewirtung und sagte, dass er gegen den Abend noch einmal in das Haus kommen werde. Da wir uns in dem Zimmer unseres Gasthofes befanden, oeffnete der Vater seinen Koffer und nahm allerlei Dinge aus demselben hervor, welche zu Geschenken fuer die Bewohner des Hauses bestimmt waren, in dem wir gespeist hatten. Ich war von ihm nie in die Kenntnis gesetzt worden, welche Bewohner wir in seinem Vaterhause treffen wuerden, er musste sie wohl auch selber nicht genau gekannt haben. Ich war also nicht mit Geschenken versehen. Der Vater hatte aber auch fuer diesen Fall gesorgt, er gab mir mehrere Dinge, besonders Stoffe, kleine Schmucksachen und Aehnliches, um es bei unserem Abendbesuche in dem Hause auszuteilen. Er hatte nicht gleich bei seiner Ankunft die Geschenke mitnehmen wollen, weil er es, obwohl die Leute nur die gewoehnlichen Talbewohner dieser Gegend waren, fuer unschicklich hielt, mit Gaben belastet das Haus zu betreten und ihnen gleichsam sagen zu wollen: >Ich glaube, dass ihr das fuer das Wichtigste haltet.< Jetzt aber war er ihnen etwas schuldig geworden und konnte den Dank fuer die gute Aufnahme abstatten. Als wir die Geschenke in dem Hause verteilt und dafuer die Freude und den Dank der Empfaenger geerntet hatten, die in zwei Eheleuten mittlerer Jahre, in deren zwei Soehnen, einer Tochter und in einer alten Grossmutter bestanden - den Knecht und die zwei Maegde nicht gerechnet -, war es mittlerweile Nacht geworden, und wir kehrten wieder in unsere Herberge zurueck. Wir blieben noch vier Tage in der Gegend. Der Vater besuchte in meiner Begleitung viele Stellen, die ihm einst lieb gewesen waren, einen kleinen See, einen Felsblock, von dem eine schoene Aussicht war, eine Gartenanlage in einem nicht sehr entfernten schlossaehnlichen Gebaeude, die hoelzerne Schule und vor allem die eine und eine halbe Wegestunde entfernte Kirche, welche das Gotteshaus des Tales war und um welche der Kirchhof bog, in welchem sein Vater und seine Mutter ruhten. Eine weisse Marmortafel, die er und sein Bruder hatten setzen lassen, ehrte ihr Angedenken. Sonst ging der Vater auch fast in allen Zeiten des Tages auf den Wegen der Felder und des Waldes herum. Am fuenften Tage traten wir die Rueckreise zu den Unsrigen an. Wir waren am fruehen Morgen noch zu unsern Verwandten gegangen. Sie waren, wie es bei Landleuten in solchen Faellen gebraeuchlich ist, schoener angekleidet als sonst und erwarteten uns. Wir nahmen in herzlicher Weise Abschied. Ich versprach, da ich ohnehin das Wandern gewohnt sei und viele Gegenden besuche, auch hieher wieder zu kommen und noch oefter in dem kleinen Hause vorzusprechen. Der Vater sagte, es koenne sein, dass er wieder komme oder auch nicht, wie es sich eben beim Alter fuege. Man muesse erwarten, was Gott gewaehre. Die Leute begleiteten uns in das Gasthaus und blieben da, bis wir den Wagen bestiegen hatten. Aus den Worten ihres Abschiedes und ihrer Danksagungen erkannte ich, dass der Vater ihnen auch eine Summe Geldes gegeben haben muesse. Sie sahen uns sehr lange nach. Im Fortfahren war der Vater anfangs ernst und wortkarg, es mochte ihm das Herz schwer gewesen sein. Spaeter entwickelte sich bei uns wieder ein Verkehr der Rede, wie er auf der Herreise gewesen war. Am Abende des dritten Tages nach unserer Abfahrt waren wir wieder in dem Hause in der Vaterstadt. Die Mutter war sehr erfreut, dass der Aufenthalt von elf Tagen in der freien Luft fuer den Vater von so wohltaetigen Folgen gewesen sei. Seine Wangen haben sich nicht nur schoen rot gefaerbt, sie seien auch voller geworden, und das Auge sei weit klarer, als wenn es immer auf das Papier seiner Schreibstube geblickt haette. "Das ist nur die Wirkung des Anfangs und eine Folge des Reizes des Wechsels auf die koerperlichen Gebilde", sagte der Vater, "im Verlaufe der Zeit gewoehnt sich Blut, Muskel und Nerv an die freie Luft und Bewegung und das erste roetet sich nicht mehr so, und die letzten schwellen. Allerdings aber wirkt viel Aufenthalt in freier Luft und gehoerige Bewegung, in welche sich keine Sorgen mischen, weit guenstiger auf die Gesundheit, als ein stetiges Sitzen in Stuben und ein Hingeben an Gedanken fuer die Zukunft. Wir werden schon einmal, und wer weiss wie nahe die Zeit ist, auch dieses Glueck geniessen und uns recht darueber freuen." "Wir werden uns freuen, wenn du es geniessest", erwiderte die Mutter, "du entbehrst es am meisten und dir ist es am noetigsten. Wir Andern koennen in unsern Garten und in die Umgebung der Stadt gehen, du suchst immer die duestere Stube. Weil du es aber schon so oft gesagt hast, so wird es doch einmal wahr werden." "Es wird wahr werden, Mutter", antwortete der Vater, "es wird wahr werden." Sie wendete sich an uns, wir sollen bestaetigen, dass der Vater nie so gesund und so heiter ausgesehen habe als nach dieser kurzen Reise. Wir gaben es zu. Nun musste aber auch noch auf eine andere Reise gedacht werden, weil heuer einmal der Sommer der Reisen war, und wir mussten dieselbe ins Werk setzen, meine und Klotildens Fahrt ins Gebirge. Der Herbst war schon da, wie ich an den Buchenblaettern um das Geburtshaus meines Vaters hatte wahrnehmen koennen, die bereits im Begriffe waren, die rote Farbe vor ihrem Abfallen zu gewinnen. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Fuer Klotilden waren die Vorbereitungen fertig, ich brauchte keine, weil ich immer in Bereitschaft war, und so konnten wir ungesaeumt unsere verabredete Fahrt beginnen. Die Mutter legte mir das Wohl der Schwester sehr an das Herz, der Vater sagte, wir sollen die Musse nach unserer besten Einsicht geniessen, und so fuhren wir bei dem Aufgange einer klaren Herbstsonne aus dem Tore unseres Hauses. Ich wollte die Schwester, welche ihre erste groessere Reise machte, nicht der Beruehrung mit anderen Menschen in einem gemeinschaftlichen Wagen aussetzen, da man deren Wesen und Benehmen nicht voraus wissen konnte; deshalb zog ich es vor, mit Postpferden so lange zu fahren, als es mir gut erscheinen werde, und dann die Art unsers Weiterkommens im Gebirge je nach der Sachlage zu bestimmen. Es hatte diese Art zu reisen noch den Vorteil, dass ich anhalten konnte, wo ich wollte, und dass ich der Schwester Manches erklaeren durfte, ohne dabei auf jemand Ruecksicht nehmen zu muessen, der als Zeuge gegenwaertig waere. Auch konnten wir uns in unseren geschwisterlichen Gespraechen ueber unsere Angehoerigen, unser Haus und andere Dinge nach der freien Stimmung unserer Seele bewegen. Auf diese Art fuhren wir zwei Tage. Ich goennte ihr oefter Ruhe, da sie ein fortwaehrendes Fahren nicht gewohnt war, und endete immer noch lange vor Abend unsere Tagreise. Wir sahen die Berge schon immer in der Naehe von einigen Meilen mit unserem Wege gleich laufen; aber ihre Teile waren hier weniger wichtig. Es war mir aeusserst lieblich, die Gestalt der Schwester neben mir in dem Wagen zu wissen, ihr schoenes Angesicht zu sehen und ihren Atem zu empfinden. Ihre schwesterliche Rede und die frische Weise, alles, was ihr neu war, in die vollkommen klare Seele aufzunehmen, war mir unaussprechlich wohltaetig. Am Vormittage des dritten Tages liess ich sie ruhen. Fuer den Nachmittag mietete ich einen Wagen, und wir fuhren von der Poststrasse weg gerade dem Gebirge zu. Unsere Fahrt war von angenehmer und heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns in mannigfaltigen Gespraechen. Als die blauen Berge in der klaren Luft, die einen milchig gruenlichen Schimmer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge immer freundlicher und ihre Mienen waren teilnehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt. Gleich wie bei dem Vater roeteten sich nach dieser dreitaegigen Reise auch ihre zarten Wangen, und ihre Augen wurden glaenzender. So kamen wir endlich an dem Orte an, den ich fuer unsere Nachtruhe bestimmt hatte. An demselben rauschte die gruene Afel mit ihren Gebirgswaessern vorueber, welches Rauschen durch ein schief ueber das Flussbett gezogenes Wehr noch vermehrt wurde. Waldhaenge in langen Ruecken begannen schon sich zu erheben, und oberhalb des dunkeln Randes eines bedeutend hohen Buchenwaldes blickte bereits das rote Haupt eines im Abende gluehenden Berges herein, auf welchem schon einzelne Strecken von Schnee lagen. Des andern Tages mietete ich ein Gebirgswaegelchen, wie sie zum Fortkommen auf Wegen, die nicht Poststrassen sind, in den Gebirgen am besten dienen und deren Pferde an die Gegenstaende des Gebirges und an die Beschaffenheit seiner Wege gewoehnt und daher am zuverlaessigsten sind. Wir brachten unsere Sachen in demselben, so gut es ging, unter und fuhren der glaenzenden Afel entgegen, immer tiefer in die Berge hinein. Ich nannte jeden Namen eines vorzueglichen Berges, machte auf die Bildungen aufmerksam und suchte die Farben, die Lichter und die Schatten zu eroertern. Ueberall begannen schon die Laubwaelder die roetliche und gelbliche Faerbung anzunehmen, was den Hauch ueber all den Gestaltungen noch lieblicher machte. Da ich in eine gewisse Tiefe des Gebirges gekommen war, aenderte ich die Richtung und fuhr nun nach der Laenge desselben hin. Als zwei Tage vergangen waren und der dritte auch schon dem Nachmittag zuneigte, blickte uns aus der Tiefe des Tales das Gewaesser des Lautersees entgegen. Wir kamen um den Ruecken eines breiten Waldberges herum, und die Glanzstellen entwickelten sich immer mehr. Endlich lag der groesste Teil des Spiegels unter dem Gezweige der Tannen, der Buchen und der Ahorne zu unsern Fuessen. Wir sanken mit unserem Waeglein auf dem schmalen Wege immer tiefer und tiefer, bis wir nach etwa zwei Stunden an dem Ufer des Sees anlangten und die Steinchen in seinen seichten Buchten haetten zaehlen koennen. Wir fuhren an dem Ufer dahin, umfuhren eine kleine Strecke des Sees und kamen in dem Seewirtshause an. Dort lohnte ich unsern Fuhrmann ab und mietete uns fuer mehrere Tage ein. Klotilde musste dasselbe Zimmer bekommen, welches ich waehrend der Zeiten meiner Vermessungen des Lautersees innegehabt hatte. Ich begnuegte mich mit einem kleineren Stuebchen in ihrer Naehe. Man staunte das schoene, und wie man sich ausdrueckte, vornehme Maedchen an, und ich gewann sichtbar an Ansehen, da ich eine solche Schwester hatte. Alle, die ein Ruder fuehren konnten oder die geuebt waren, Steigeisen anzulegen und einen Alpenstock zu gebrauchen, kamen herzu und boten ihre Dienste an. Ich sagte, dass ich sie rufen werde, wenn wir sie beduerfen und dass wir uns dann ihrer Gesellschaft sehr erfreuen wuerden. Zuerst machte ich Klotilden ein wenig in ihrem Zimmerchen wohnhaft. Ich zeigte ihr bedeutsam Stellen, die sie aus ihren Fenstern sehen konnte, und nannte ihr dieselben. Ich zeigte ihr, wie ich in verschiedenen Richtungen auf dem See gefahren war, um seine Tiefe zu messen, und wie wir uns bald auf dieser, bald auf jener Stelle des Wassers festsetzen mussten. Sie richtete sich Farben und Zeichnungsgeraete zurechte, um zu versuchen, ob sie nicht auch nach der unmittelbaren Anschauung von den Raeumen ihres Zimmerchens aus etwas von den Gestaltungen, die sie hier sehen konnte, auf das Papier zu uebertragen vermoechte. Die folgenden Tage brachten wir damit zu, in den Umgebungen des Seehauses Spaziergaenge zu machen, damit Klotilde sich ein wenig in diese Bildungen einlebe. Das vorausgesagte schoene Wetter war eingetroffen, es dauerte fort, und so konnten wir uns der Freude und dem Vergnuegen, welche diese Gaenge uns gewaehrten, um so ungestoerter hingeben, als auch der Stand unserer Gesundheit ein vortrefflicher war und die Befuerchtungen, welche die Mutter und zum Teile auch ich in Hinsicht Klotildens gehegt hatten, nicht in Erfuellung gingen. Wir schickten von hier aus Briefe nach Hause. In der Folge der Tage fuehrte ich sie auf den See hinaus. Ich fuehrte sie auf die verschiedenen Teile, die entweder an sich schoen und bedeutend waren oder von denen man schoene und merkwuerdige Anblicke gewinnen konnte. Ich unterstuetzte sie mit allen meinen Erfahrungen, die ich mir durch meine mehrfaeltigen Aufenthalte in dem Gebirge gesammelt hatte. Sie nahm alles mit einer tiefen Seele auf, und durch meine Hilfe waren ihr manche Umwege erspart, welche diejenigen, die zum ersten Male die Berge besuchen, machen muessen, ehe es ihnen gelingt, sich die Groesse und Erhabenheit der Gebirge aufschliessen zu koennen. Auf den Seefahrten unterstuetzten uns zwei junge Schiffer, die meine steten Begleiter bei meinen Messungen gewesen waren. Wir gingen auch bergan. Ich hatte Klotilden Fussbekleidungen machen lassen, welche nach Innen weich, nach Aussen aber hart und dem rauhen Geroelle Widerstand leistend waren. Auf dem Haupte trug sie einen bequemen Schirmhut und in der Hand einen eigens fuer sie gemachten Alpenstock. Wenn wir auf die Hoehen kamen, wurde mit Freude die Aussicht genossen. Klotilde versuchte auch nach der Anschauung etwas zu zeichnen und zu malen; aber die Ergebnisse waren noch weit mangelhafter als bei mir, da sie einen geringeren Vorrat von Erfahrung zu dem Versuche brachte. Nachdem ueber eine Woche vergangen war, fuehrte ich Klotilden mittelst eines gleichen Fuhrwerkes, wie wir sie bisher im Gebirge gehabt hatten, in das Lauterthal und in das Ahornhaus. Dort fanden wir ein besseres Unterkommen als in dem Seehause, und wir erhielten zwei nebeneinander befindliche geraeumige und freundliche Zimmer, deren Fenster auf die Ahorne vor dem Hause hinausgingen und durch die gelben Blaetter derselben auf die blauduftigen Hoehen sahen, die vom Hause gegen den Sueden standen. Ich zeigte meine Schwester der Wirtin, ich zeigte sie dem alten Kaspar, der auf die Kunde meiner Ankunft sogleich herbei gekommen war, und ich zeigte sie den andern, welche sich gleichfalls reichlich eingefunden hatten. Es war hier ein noch groesserer Jubel als in dem Seehause, es freute sie, dass eine solche Jungfrau in die Berge gekommen und dass sie meine Schwester sei. Sie boten ihre Dienste an und naeherten sich mit einiger Scheu. Klotilde betrachtete alle diese Menschen, die ich ihr als meine Begleiter und Gehilfen bei meinen Arbeiten vorstellte, mit Vergnuegen, sie sprach mit ihnen und liess sich wieder erzaehlen. Sie lernte sich immer mehr in die Art dieser Leute ein. Ich fragte um meinen Zitherspiellehrer, weil ich Klotilden diesen Mann zeigen wollte und weil ich auch wuenschte, dass sie sein ausserordentliches Spiel mit eigenen Ohren hoeren moechte. Wir hatten zu diesem Zwecke unsere beiden Zithern in unserm Gepaecke mitgenommen. Man sagte mir aber, dass seit der Zeit, als ich ihnen erzaehlt habe, dass er von meinen Arbeiten fortgegangen sei, kein Mensch, weder in den naehern noch in den ferneren Taelern, etwas von ihm gehoert habe. Ich sagte also Klotilden, dass sie keinen andern als die gewoehnlichen einheimischen Zitherspieler werde hoeren koennen, wie sie dieselben auch bereits gehoert habe und wie sie ihr anziehender erschienen seien als die Kunstspieler in der Stadt und als ich, der ich wahrscheinlich ein Zwitter zwischen einem Kunstspieler und einem Spieler des Gebirges sei. Wir richteten uns in unserem Zimmer ein und begannen ungefaehr so zu leben, wie wir in der Umgebung des Seehauses gelebt hatten. Ich fuehrte Klotilden in das Echertal zu dem Meister, welcher unsere Zithern verfertiget hatte. Er besass noch immer die dritte Zither, welche mit meiner und Klotildens ganz gleich war. Er sagte, es seien zwar Kaeufer von Zithern gekommen, die diese gepriesen haetten; aber das seien Gebirgsleute gewesen, die nicht so viel Geld haben, sich eine solche Zither kaufen zu koennen. Die Andern, welche die Mittel besaessen, vorzueglich Reisende, ziehen Zithern vor, welche eine schoene Ausschmueckung haben, wenn sie auch teurer sind, und lassen die stehen, deren Tugenden sie nicht zu schaetzen wissen. Er spielte ein wenig auf ihr, er spielte mit einer grossen Fertigkeit; aber in jener wilden und weichen Weise, mit welcher mein schweifender Jaegersmann spielte und welche gerade diesem Musikgeraete so zusagte, vermochte weder er zu spielen noch hatte ich jemanden so spielen gehoert. Ich sagte dem alten Manne, dass das Maedchen meine Schwester sei und dass sie auch eine von den drei Zithern besitze, von denen er sage, dass sie die besten seien, die er in seinem Leben gemacht habe. Er hatte seine Freude darueber, gab Klotilden ein Buendel Saiten und sagte: "Es sind meine besten Zithern und werden wohl auch meine besten bleiben." Wir besuchten die Taeler und einige Berge um das Ahornhaus, und Kaspar oder ein Anderer waren zuweilen unsere Begleiter und Traeger. Ich fuehrte Klotilden auch in das Haeuschen, in welchem ich die Pfeilerverkleidungen fuer den Vater gekauft hatte, ich fuehrte sie in das steinerne Schloss, in welchen sie urspruenglich gewesen sein mochten, und ich fuehrte sie auch in das Rothmoor, wo sie das Arbeiten in Marmor betrachten konnte. Wir blieben laenger in dem Ahornhause, als wir im Seehause gewesen waren, und alle Menschen waren hier noch freundlicher, zutraulicher und hilfreicher als dort. Die Wirtin war unermuedet in Dienstanerbietungen gegen meine Schwester. Zu Ende unseres Aufenthaltes traten hier kuehle und regnerische Tage ein. Wir verbrachten sie still in der heitern Wohnlichkeit des Hauses. Aber aus der Beschaffenheit des Laubes an den Baeumen und dem Aussehen der Herbstpflanzen auf den Matten, aus dem Verhalten der Tiere und aus der Beschaffenheit des Pelzes derselben erkannte ich, dass die dauernde kalte und unfreundliche Zeit noch nicht gekommen sei und dass noch warme und klare Tage eintreten muessen. Als daher das Wetter sich wieder aufheiterte, verliess ich mit Klotilden das Ahornhaus und schlug den Weg in das Kargrat ein. Ich hatte mich in meinen Voraussetzungen nicht getaeuscht. Nachdem zwei halb heitere und kuehle Tage gewesen waren, die wir mit Fahren zugebracht hatten, zog wieder ein ganz heiterer, zwar am Morgen kalter, in seinem Verlaufe aber sich schnell erwaermender Tag ueber die beschneiten Gipfel herauf, dem eine Reihe schoener und warmer Tage folgte, die den Schnee auf den Hoehen und den, welcher das Eis der Gletscher bedeckt hatte, wieder weg nahmen und das letztere so weit sichtbar machten, als es in diesem Sommer ueberhaupt sichtbar gewesen war. Wir hatten am zweiten dieser schoenen Tage das Kargrat erreicht. Die Reise war darum von so langer Dauer gewesen, weil wir kleine Tagefahrten gemacht hatten und weil wir die Berge hinan und hinab recht langsam gefahren waren. Wir zogen in die Aermlichkeit unserer Wohnung, die durch die Groesse und Oede der Gegend, von welcher sie umgeben war, noch mehr herabgedrueckt wurde, ein. Am zweiten Tage nach unserer Ankunft, da alles vorbereitet worden war, folgte mir Klotilde auf das Simmieis. Es waren Fuehrer, Traeger von Lebensmitteln und von Allem, was auf einer solchen Wanderung notwendig oder nuetzlich sein konnte, und endlich auch solche, die eine Saenfte hatten, mitgegangen. Wir waren am ersten Tage bis zur Karzuflucht gekommen. Dort waren wir in dem aus Holzbloecken fuer die Besteiger der Karspitze gezimmerten Haeuschen ueber Nacht geblieben, hatten aus mitgebrachtem Holze Feuer gemacht und uns unser Abendessen bereitet. Mit Anbruch des naechsten Tages gingen wir weiter und kamen im Glanze des Vormittages auf die Woelbung des Gletschers. Dass an eine Besteigung der Karspitze nicht gedacht werden konnte, war natuerlich. Wir betrachteten hier nun, was zu betrachten war, und als sich Kaelte in den Gliedern einstellen wollte, traten wir den Rueckweg an. In der Zuflucht wurden wieder Speisen bereitet, und dann gingen wir vollends hinab. Als wir zurueckgekehrt waren, sank mir Klotilde fast erschoepft an das Herz. Ich legte am andern Tage Klotilden mehrere Zeichnungen, die ich von Gletschern, ihren Einfassungen, Woelbungen, Spaltungen, Zusammenschiebungen und dergleichen gemacht hatte, vor, damit sie in der frischen Erinnerung das Gesehene mit dem Abgebildeten vergleichen konnte. Ich machte auf Vieles aufmerksam, fuehrte Manches in ihr Gedaechtnis zurueck und erwaehnte hier auch als an der geeignetsten Stelle, wie sehr die Abbildung hinter der Wirklichkeit zurueck bleibe. In den naechsten zwei Tagen besuchten wir noch verschiedene Stellen, von denen wir das Eis und die Schneegestaltungen dieser Berge betrachten konnten. Auch einen Wassersturz von einer steilrechten Wand zeigte ich Klotilden. Hierauf aber begann ich auf unsere Rueckreise zu den Eltern zu denken. Die Zeit war nach und nach so vorgerueckt, dass ein Aufenthalt in diesen hochgelegenen Raeumen, besonders fuer ein der Stadt gewohntes Maedchen, nicht mehr erspriesslich war. Ich schlug daher Klotilden vor, nun auf dem naechsten Wege durch das ebenere Land unsere Heimat zu gewinnen zu suchen. Sie war damit einverstanden. Von dem naechsten groesseren Orte her wurde ein Fuhrwerk bestellt, welches uns auf die erste Post bringen sollte. Wir nahmen von unserer Wirtin und ihrem Manne so wie von unsern Traegern und Fuehrern, die noch zum Empfange eines kleinen Geschenkes herbei gekommen waren, Abschied; wir verabschiedeten uns von dem Pfarrer, der uns zuweilen besucht und uns auf Schoenheiten, von seinem kleinen Gesichtskreise aus, aufmerksam gemacht hatte, und fuhren auf unserem Karren, der nur mit einem Pferde bespannt war, auf dem schmalen Wege von dem Kargrat hinab. Das Letzte, was wir von dem kleinen Oertchen sahen, war die mit Schindeln bedeckte Wand des Pfarrhofes und die gleichfalls mit Schindeln bedeckte Wand der schmalen Seite der Kirche. Ich sagte Klotilden, dass diese Bedeckungen notwendig seien, um die in diesen Hoehen stark wirkende Gewalt des Regens und des Schnees von dem Mauerwerke abzuhalten. Wir konnten nur noch einen Blick auf die zwei Gebaeude tun, dann trat eine Hoehe zwischen unsere Augen und sie. Wir glitten mit unserem Fuhrwerke sehr schnell abwaerts, wilde Gruende umgaben uns, und endlich empfing uns der Wald, der die Niederungen suchte, in ihnen dahin zog und schon wohnlicher und waermer war. Wir kamen unter Wiegen und Aechzen unseres Waegleins immer tiefer und tiefer, Fahrgeleise von Holzwegen, die den Wald durchstrichen, muendeten in unsere Strasse, diese wurde fester und breiter, und wir fuhren zuweilen schon eben und behaglich dahin. Als wir den Ort erreicht hatten, an welchem sich die naechste Post befand, lohnte ich den Fuehrer meines Waegleins ab, sendete ihn zurueck und nahm Postpferde. Wir fuhren in gerader Richtung auf dem kuerzesten Wege aus dem Gebirge gegen das flachere Land, um die Heerstrasse zu gewinnen, die nach unserer Heimat fuehrte. Immer mehr und mehr sanken die Berge hinter uns zurueck, die milde Herbstsonne, die sie beschien, faerbte sie immer blauer und blauer, die Hoehen, die uns jetzt begegneten, wurden stets kleiner und kleiner, bis wir in das Land hinaus kamen, dessen Gefilde mit lauter dem Menschen nutzbarem Grunde bedeckt waren. Dort trafen wir auf die grosse Strasse. Bisher waren wir gegen Norden gefahren, jetzt aenderten wir die Richtung und fuhren dem Osten zu. Wir hatten auch bessere Waegen. Da wir einen Tag auf dieser Strasse gefahren waren, liess ich an einem Orte halten und beschloss, einen Tag an demselben zu bleiben; den Abend und die Nacht brachten wir in Ruhe zu. Am andern Tage gegen Mittag fuehrte ich die Schwester auf einen maessig hoben Huegel. Der Tag war ein sehr schoener Herbsttag, der Schleier, welcher im Vormittage so Huegel als Gruende zart umwebt hatte, war einer voelligen Klarheit gewichen. Ich befestigte mittelst Schrauben mein Fernrohr an dem Stamme einer Eiche und richtete es. Dann hiess ich Klotilden durchsehen und fragte sie, was sie saehe. "Ein hohes, dunkles Dach", sagte sie, "aus welchem mehrere breite und maechtige Rauchfaenge empor ragen. Unter dem Dache ist ein Gemaeuer von ebenfalls dunkler Farbe, in welchem grosse Fenster in gemaessen Entfernungen stehen. Das Gebaeude scheint ein Viereck zu sein." "Und was siehst du weiter, Klotilde, wenn du das Rohr in die Umgebungen des Gebaeudes richtest?" fragte ich. "Baeume, die hinter dem Hause stehen, gleichsam wie ein Garten", antwortete sie. "Die Mauern des Gebaeudes sind dort licht wie die unserer Haeuser. Dann sehe ich Felder, in ihnen wieder Baeume, hie und da ein Haus und endlich wolkenartige Spitzen, die wie das Hochgebirge sind, das wir verlassen haben." "Es ist das Hochgebirge", antwortete ich. "Ist das etwa - -?" fragte sie, den Kopf von dem Fernrohre wegwendend und mich ansehend. "Ja, Klotilde, das Gebaeude ist der Sternenhof", antwortete ich. "Wo Natalie wohnt?" fragte sie. "Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde verweilt, wo so treffliche Menschen ein und aus gehen, wohin meine Gedanken sich mit Empfindung wenden, wo sanfte Gegenstaende der Kunst thronen und wo ein liebes Land um all die Mauern herum liegt", antwortete ich. "Das ist der Sternenhof!" sagte Klotilde, blickte wieder in das Fernrohr und sah lange durch dasselbe. "Ich habe dich mit Freude auf diesen Huegel gefuehrt, Klotilde", sagte ich, "um dir diesen Ort zu zeigen, in dem mein warmes Herz schlaegt und ein tiefer Teil von meinem Wesen wohnt." "Ach lieber, teurer Bruder", antwortete sie, "wie oft gehen meine Gedanken an den Ort und wie oft weilt mein Gemuet in seinen mir noch unbekannten Mauern!" "Du begreifst aber", sagte ich, "dass wir jetzt nicht hingehen koennen und dass die Angelegenheit ihre naturgemaesse Entwickelung haben muss." "Ich begreife es", antwortete sie. "Du wirst sie sehen, an deinem Herzen halten und sie lieben", sagte ich. Klotilde sah wieder in das Rohr, sie sah sehr lange in dasselbe und betrachtete alles genau. Ich lenkte ihren Blick auf die Teile, die mir wichtig schienen, erklaerte ihr alles und erzaehlte von dem Schlosse und von denen, die in demselben sind. Es war indessen der Mittag gekommen, wir loesten das Fernrohr ab und gingen langsam unserer Wohnung zu. "Kann man hier nicht auch das Rosenhaus deines Freundes sehen?" fragte sie im Heimgehen. "Hier nicht", erwiderte ich, "hier ist nicht einmal der hoechste Teil der Rosenhausgegend zu erblicken, weil der Kronwald, den du gegen Norden siehst, sie deckt. Im Weiterfahren werden wir auf einen Huegel kommen, von dem aus ich dir die Anhoehe zeigen kann, auf welcher das Haus liegt und von dem aus du mit dem Fernrohre das Haus sehen kannst." Wir gingen in unsere Wohnung, und am naechsten Tage fuhren wir weiter. Als wir an die Stelle gekommen waren, von welcher man die Hoehe des Asperhofes sehen konnte, liess ich halten, wir stiegen aus, ich zeigte Klotilden den Huegel, auf welchem das Haus meines Gastfreundes liegt, richtete das Fernrohr und liess sie durch dasselbe das Haus erblicken. Wir waren aber hier so weit von dem Asperhofe entfernt, dass man selbst durch das Fernrohr das Haus nur als ein weisses Sternchen sehen konnte. Nach dessen Betrachtung fuhren wir wieder weiter. Als nach diesem Tage der dritte vergangen war, fuhren wir gegen Abend durch den Torweg des Vorstadthauses unserer Eltern ein. "Mutter", rief ich, da uns diese und der Vater, der unsere Ankunft gewusst hatte und daher zu Hause geblieben war, entgegen kamen, "ich bringe sie dir gesund und bluehend zurueck." Wirklich war Klotilde, wie es dem Vater auf seiner kleinen Reise ergangen war, durch die Luft und die Bewegung kraeftiger, heiterer und in ihrem Angesichte reicher an Farbe geworden, als sie es je in der Stadt gewesen war. Sie sprang von dem Wagen in die Arme der Mutter und begruesste diese und dann auch den Vater freudenvoll; denn es war das erste Mal gewesen, dass sie die Eltern verlassen hatte und auf laengere Zeit in ziemlicher Entfernung von ihnen gewesen war. Man fuehrte sie die Treppe hinan und dann in ihr Zimmer. Dort musste sie erzaehlen, erzaehlte gerne und unterbrach sich oefter, indem sie das inzwischen heraufgebrachte Gepaeck aufschloss und die mannigfaltigen Dinge heraus nahm, die sie in den verschiedenen Ortschaften zu Geschenken und Erinnerungen gekauft oder an mancherlei Wanderstellen gesammelt hatte. Ich war ebenfalls mit in ihr Zimmer gegangen, und als wir geraume Weile bei ihr gewesen waren, entfernten wir uns und ueberliessen sie einer notwendigen Ruhe. Nun folgte fuer Klotilden fast eine Zeit der Betaeubung, sie beschrieb, sie erzaehlte wieder, sie setzte sich vor Zeichnungen hin, blaetterte in ihnen oder zeichnete selber und suchte in der Erinnerung Gesehenes nachzubilden. Aber auch fuer mich war diese Reise nicht ohne Erfolg gewesen. Was ich halb im Scherze, halb im Ernste gesagt hatte, dass ich durch diese Reise zu einer groesseren Ruhe kommen werde, ist in Wirklichkeit eingetroffen. Klotilde, welche alle die Gegenstaende, die mir laengst bekannt waren, mit neuen Augen angeschaut, welche alles so frisch, so klar und so tief in ihr Gemuet aufgenommen hatte, hatte meine Gedanken auf sich gelenkt, hatte mir selber etwas Frisches und Urspruengliches gegeben und mir Freude ueber ihre Freude mitgeteilt, so dass ich gleichsam gestaerkter und befestigter ueber meine Beziehungen nachdenken und sie mir gewissermassen vor mir selber zurecht legen konnte. Ich hatte mit Natalien keinen Briefwechsel verabredet, ich hatte nicht daran gedacht, sie wahrscheinlich auch nicht. Unser Verhaeltnis erschien mir so hoch, dass es mir kleiner vorgekommen waere, wenn wir uns gegenseitig Briefe geschickt haetten. Wir mussten in der Festigkeit der Ueberzeugung der Liebe des Andern ruhen, durften uns nicht durch Ungeduld vermindern und mussten warten, wie sich alles entwickeln werde. So konnte ich mit dem Gefuehle von Seligkeit von Natalien fern sein, konnte mich freuen, dass alles so ist, wie es ist, und konnte dessen harren, was meine Eltern und Nataliens Angehoerige beginnen werden. Klotilden, welche ihren Bergen, Lueften, Seen und Waeldern die Farbe geben wollte, die sie gesehen hatte, suchte ich beizustehen und zeigte ihr, worin sie fehle und wie sie es immer besser machen koenne. Wir wussten es jetzt, dass man die zarte Kraft, wie sie uns in der Wesenheit der Hochgebirge entgegen tritt, nicht darstellen koenne und die Kunst des grossen Meisters nur in der besten Annaeherung bestehe. Auch in ihrem Bestreben, die Art, wie sie im Gebirge die Zither spielen gehoert hatte und die eigentuemlichen Toene, die ihr dort vorgekommen waren, nachzuahmen, suchte ich ihr zu helfen. Wir konnten wohl beide unsere Vorbilder nicht voellig erreichen, freuten uns aber doch unserer Versuche. Bei einigen Freunden machte ich gelegentlich zwei oder drei Besuche. So war der Winter gekommen. Ich fasste, weil ich schon nach dem Rate des Vaters beschlossen hatte, im Winter meinen Gastfreund zu besuchen, zugleich auch den Entschluss, einmal im Winter in das Hochgebirge zu gehen und, wenn dies moeglich sein sollte, einen hohen Berg zu besteigen und auf dem Eise eines Gletschers zu verweilen. Ich bestimmte hierzu den Januar als den bestaendigsten und meistens auch klarsten Monat des Winters. Gleich nach seinem Beginne fuhr ich von dem Hause meiner Eltern ab und fuhr in dem flimmernden Schnee und in der blendenden Huelle, die alle Fluren deckte, im Schlitten der Gegend zu, in welcher meine Freunde lebten. Das Wetter war schon durch zehn Tage bestaendig und maessig kalt gewesen, der Schnee war reichlich, und auf der Bahn glitten die Fahrzeuge wie in den Lueften dahin. Wie ich sonst nie anders als im offenen Wagen fuhr, so fuhr ich auch jetzt, mit guten Pelzen versehen, im offenen Schlitten und freute mich der weichen Huelle, die um meinen Koerper war, und auch der, die ueberall und allueberall lag, freute mich der schweigenden bereiften Waelder, der ruhenden Obstbaeume, die ihre weissen Gitter ausstreckten, der Haeuser, von denen der wohnliche Rauch aufstieg, und der Unzahl der Sterne, die Nachts in dem kalten und finsteren Himmel feuriger funkelten als je sonst im Sommer. Ich hatte vor, zuerst die Gebirge und dann meinen Gastfreund zu besuchen. Ich fuhr bis in die Naehe des Lauterthales. Da ich die Strasse verlassen sollte, mietete ich einen einspaennigen Schlitten, weil in den Seitenwegen, auf denen man immer im Winter nur mit einem Pferde faehrt, die Bahn zu enge ist, als dass zwei Pferde sicher neben einander gehen koennten, und fuhr in das Tal und in das Ahornwirtshaus. Die Ahorne streckten ungeheure, abenteuerlich gestaltete, entblaetterte und mit feinen Zweigen wie mit Baerten versehene Arme der winterlichen Luft entgegen, das fensterreiche Wirtshaus war in seiner braunen Farbe gegen die Schneedecke auf seinem Dache und gegen den Schnee, der ueberall ringsum lag, noch brauner als sonst, und die Fichtentische vor dem Hause waren abgebrochen und in Aufbewahrung getan worden. Die Wirtin empfing mich mit Erstaunen und mit Freude, dass ich in einer solchen Jahreszeit komme, und gab mir das beste Versprechen, dass meine Stube so warm und heimlich sein solle, als wehe kein einziges Lueftchen hinein, und so licht, als schiene die Sonne, wenn sie ueberhaupt scheint, sonst nirgends hin als auf meine Fenster. Ich liess meine Geraetschaften in die Stube bringen, und bald loderte auch ein lustiges Feuer in dem Ofen derselben, der ausnahmsweise, wie es sonst in den Gebirgen fast gar nicht vorkoemmt, von Innen zu heizen war. Die Wirtin hatte es so einrichten lassen, weil von Aussen der Zugang zu dem Ofen so schwer gewesen war. Als ich mich ein wenig erwaermt und meine Hauptsachen in Ordnung gebracht hatte, ging ich in die allgemeine Gaststube hinunter. In ihr waren verschiedene Leute anwesend, die der Weg vorbei fuehrte oder die eine kleine Erquickung und ein Gespraech suchten. Bei den vielen und sehr nahe stehenden Fenstern drang ein reichliches Licht herein, so dass die Sonnenstrahlen des Wintertages um die Tische spielten, was um so wohltaetiger war, da auch eine behagliche Waerme von den in dem grossen Ofen brennenden Kloetzen das Zimmer erfuellte. Ich fragte wieder um meinen Zitherspiellehrer, es hatte niemand etwas von ihm gehoert. Ich fragte um den alten Kaspar, er war gesund, und es wurde auf meine Bitte um ihn gesendet. Ich sagte, dass ich im Sinne haette, von dem Lautersee in die Eisfelder der Echern hinaufzusteigen. Ich haette Anfangs Lust gehabt, das Simmieis an der Karspitze zu besuchen; aber der Zugang ins Kargrat sei mir im Winter sehr unangenehm, und wenn die Echern auch etwas tiefer liegen als die Simmen, so seien sie doch schoener und von unvergleichlich wohlgebildeten Felsen eingefasst. Alle rieten mir von meinem Unternehmen ab, es sei im Winter nicht durchzudringen, und die Kaelte sei auf den Bergen so gross, dass sie kein Mensch zu ertragen vermoege. Ich widerlegte die Einwuerfe vorerst dadurch, dass ich sagte, es sei eben im Winter niemand auf den Echern gewesen, wie sie selber berichten, und dass man daher nichts Sicheres wissen koenne. "Aber man kann es sich denken", erwiderten viele. "Erfahrung ist noch besser", sagte ich. Indessen kam der alte Kaspar. Die Sache wurde ihm gleich von den Anwesenden erzaehlt, und er riet auch entschieden von dem Unternehmen ab. Ich sagte, dass viele Forscher in Naturdingen im Winter schon auf hohen Bergen gewesen seien, auf hoeheren als den Echern, dass sie dort Naechte und zuweilen auch eine Reihe von Tagen und Naechten zugebracht haben. Man wendete immer ein, das seien andere Berge gewesen, und in den hiesigen gehe es durchaus nicht. Der alte Kaspar verstand sich endlich ganz allein dazu, mich, wenn ich durchaus wolle, zu begleiten. Aber das Wetter, meinte er, muessten wir uns sorgsam dazu auslesen. Ich erwiderte ihm, dass ich Geraete bei mir haette, die mir anzeigen, wenn eine schoene Zeit bevorstehe, dass ich mich auch ein wenig auf die Zeichen an dem Himmel verstehe und dass ich selber auf den Hoehen nicht gar gerne in einen Schneesturm oder in einen langedauernden Nebel geraten moechte. Alle andern Leute, welche mir sonst gerne bei meinen Bergarbeiten geholfen hatten und welche ich ebenfalls ins Wirtshaus hatte rufen lassen, lehnten es durchaus ab, mich im Winter in die Echern zu begleiten. Dem Kaspar sagte ich, er muesse sich vorbereiten. Ich haette selber verschiedene Dinge bei mir, von denen er sich die aussuchen koenne, von welchen er glaube, dass er sie auf unserer Wanderung mitnehmen moege. Den Tag, an welchem wir zum See hinunter gehen werden, wuerde ich ihm dann schon sagen. Ich ging unter den lebhaftesten Gespraechen der Anwesenden ueber diesen Gegenstand in meine Stube zurueck und brachte den Abend in derselben zu. Ich wusste, dass sie nun tief in die Nacht hinein ueber die Sache sprechen wuerden und dass in den naechsten Tagen fuer das ganze Tal diese Unternehmung den Stoff der Unterredungen bilden wurde. Es meldete sich nun auch wirklich keiner mehr, um mich und Kaspar zu begleiten. Die Zeit bis zum Beginne unsers Unternehmens brachte ich damit zu, dass ich Wanderungen in der Umgegend machte. Ich betrachtete die Waelder, die in Ruhe und Pracht dastanden, ich betrachtete die Hoehen, auf welchen die unermesslichen Schneemengen lagen, ich betrachtete die Echernwand, von der eine Last von Eiszapfen niederhing, deren manche die Dicke von Baeumen hatten, zuweilen losbrachen und mit Krachen und Klingen in den Schnee niederstuerzten, ich ging auf Berge und schaute in die stille, gleichsam verdichtete Winterluft und auf alle die weissen Gebilde, die durch dunkle Waelder, durch Felsen und durch das sanfte Blau der fernen Bergzuege geschnitten waren. Gegen die Mitte des Januars, zu welcher Zeit gewoehnlich das Wetter am ausdauerndsten zu sein pflegt, stellten sich die Zeichen ein, dass laengere Zeit schoene Tage sein werden. Ein etwas weicher Luftzug der vorigen Tage hatte sich verloren, die graue Decke am Himmel war verschwunden und den verwaschenen Federwolken war eine tiefe Blaeue gefolgt. Die Luft zog aus Osten, die Kaelte mehrte sich, der Schnee flimmerte und Abends zeigte sich der feine blauliche Duft in den Gruenden, der heitere Morgen und immer groessere Kaelte versprach. Meine Werkzeuge gaben starken Luftdruck und grosse Trockenheit an. Ich sagte dem alten Kaspar, dass wir nunmehr aufbrechen wuerden. Wir nahmen an Alpenstoecken, Steigeisen, Stricken, Schneereifen, Decken, Kleidern, was wir noetig erachteten, eine Schaufel, eine Axt, Kochgeschirr und Lebensmittel auf mehrere Tage. So bepackt gingen wir zu dem See. Dort teilten wir unsere Dinge in zwei bequeme Lasten, dass jeder mit der seinigen so leicht als moeglich gehen koenne, und erwarteten den naechsten Morgen. Beim Grauen des Lichtes machten wir uns auf den Weg und stiegen mit unseren sehr hohen Stiefeln, die ich eigens zu diesem Zwecke hatte machen lassen, in den tiefen Schnee der Wege, die zu den Hoehen, auf die wir wollten, fuehrten, die aber nur im Sommer betreten wurden, die jetzt keine Spur zeigten und die wir nur fanden, weil wir der Gegend sehr kundig waren. Wir gingen mehrere Stunden in diesem tiefen Schnee, dann kamen Waelder, in denen er niederer lag und durch welche das Fortkommen leichter war. Viele Geroelle und schiefliegende Waende, die nun folgten, zeigten ebenfalls weniger Schnee als die Tiefe, und es war ueber sie im Winter leichter zu gehen, als ich es im Sommer gefunden hatte, da die Unebenheiten und die kleinen scharfen Riffe und Steine mit einer Schneedecke ueberhuellt waren. Als wir die ersten Vorberge ueberwunden hatten und auf die Hochebene der Echern gekommen waren, von der man wieder den blauen See recht tief und dunkel in der weissen Umgebung unten liegen sah, machten wir ein wenig Halt. Die Oberflaeche der Echern oder die Hochebene, wie man sie auch gerne nennt, ist aber nichts weniger als eine Ebene, sie ist es nur im Vergleiche mit den steilen Abhaengen, welche ihre Seitenwaende gegen den See bilden. Sie besteht aus einer grossen Anzahl von Gipfeln, die hinter und neben einander stehen, verschieden an Groesse und Gestalt sind, tiefe Rinnen zwischen sich haben und bald in einer Spitze sich erheben, bald breitgedehnte Flaechen darstellen. Diese sind mit kurzem Grase und hie und da mit Kniefoehren bedeckt, und unzaehlige Felsbloecke ragen aus ihnen empor. Es ist hier am schwersten durchzukommen. Selbst im Sommer ist es schwierig, die rechte Richtung zu behalten, weil die Gestaltungen einander so aehnlich sind und ein ausgetretener Pfad begreiflicher Weise nicht da ist: wie viel mehr im Winter, in welchem die Gestalten durch Schneeverhuellungen ueberdeckt und entstellt sind, und selbst da, wo sie hervorragen, ein ungewohntes und fremdartiges Ansehen haben. Es sind mehrere Alpenhuetten in diesem Gebiete zerstreut, und es befinden sich im Sommer Herden hier oben, die aber, wie zahlreich sie auch sind, in der grossen Ausdehnung verschwinden und sich gegenseitig oft Monate lang nicht sehen. Wir wuenschten noch beim Lichte des Tages ueber diese Erdbildungen hinueber zu kommen und hatten vor, zur Einhaltung der Richtung uns gegenseitig in unserer Kenntnis der Riffe und der Huegelgestaltungen zu unterstuetzen und uns die entscheidenden Bildungen wechselseitig zu nennen und zu beschreiben. Am oberen Ende der Hochebene, wo wieder die groesseren Felsenbildungen beginnen und das Verirren weit weniger moeglich ist, steht im Bereiche grosser Kalksteinbloecke eine Sennhuette, die Ziegenalpe genannt, welche das Ziel unserer heutigen Wanderung war. Am Rande der Bergansteigung und dem Anfange der Hochebene, wo wir jetzt waren, setzten wir uns nieder. Es liegt da ein grosser Stein, der beinahe ganz schwarz ist. Er ist nicht nur dieser Farbe willen an sich merkwuerdig, sondern besonders darum, weil er durch eben diese Farbe, dann durch seine Groesse und seine seltsame Gestalt von Weitem gesehen werden kann und denen, die von der Ziegenalpe durch die Hochebene abwaerts kommen, zum Zeichen, und wenn sie bei ihm angelangt sind, zur Beruhigung des richtig zurueckgelegten Weges dient. Weil Vielen, die auf der Hochebene sind, Sennen, Alpenwanderern, Jaegern, der Stein ein Versammlungsort ist, so findet sich von ihm ab schon ein merkbar ausgetretener Pfad und man kann die Richtung zu dem See hinab nicht mehr leicht verfehlen. Auch ist die gegen Sonnenaufgang ueberhaengende Gestalt des Felsens geeignet, vor Regen und heftigen Westwinden zu schuetzen. Als wir bei ihm angelangt waren, sahen wir freilich keine Spur eines Menschen rings um ihn; denn unberuehrter Schnee lag bis zu seinen Waenden hinzu, und er stand noch einmal so schwarz aus dieser Umgebung hervor. Wir fanden aber auf kleineren Steinen, die unter seinem Ueberdache lagen, und auf die der Schnee nicht hereingefallen war, Raum zum Sitzen und folgten dieser Einladung willig, da sich schon Ermuedung eingestellt hatte. Kaspar schnallte die Umhuellungen der Decken auseinander und holte zwei leichte, aber waermende Pelze und andere Pelzsachen hervor, die ich dazu bestimmt hatte, unsere Koerper und Fuesse, die im Wandern sich sehr erwaermt hatten, in der Ruhe vor Verkuehlung zu schuetzen. Als wir diese Pelzdinge umgetan hatten, schritten wir dazu, uns durch Speise und Trank zu erquicken. Etwas Wein und Brod reichte zu dem Zwecke hin. Ich betrachtete, nachdem unser Mahl vollendet war, den Waermemesser, welchen ich gleich nach unserer Ankunft an einer freien Stelle auf meinen Alpenstock aufgehaengt hatte, und zeigte meinem Begleiter Kaspar, dass die Waerme hier oben groesser sei, als wir sie gestern zu gleicher Tageszeit unten in der Ebene des Sees gehabt hatten. Die Sonne schien sehr kraeftig auf den Schnee, es wehte kein Lueftchen, an dem gruenlich blaulichen Himmel lagerten nur ein paar sehr duenne weissliche Streifen. Auch konnte man von dem Steinvorsprunge, von dem aus der See zu erblicken war, fast deutlich wahrnehmen, dass unten nicht nur die dichtere, sondern auch kaeltere Luft liege. Denn so deutlich und klar der See zu erblicken war, so zog sich doch an den weissen oder weissgesprenkelten Waenden desselben ein feiner blaulich schillernder Dunst hin zum Zeichen, dass dort unsere obere, waermere Luft mit der unteren, schon seit laengerer Zeit ueber dem See stehenden kaelteren zusammengrenze und sich da ein sanfter Beschlag bilde. Ich schaute nur noch auf den Feuchtigkeitsmesser und den des Luftdruckes, dann packte Kaspar unsere Decken und Pelze, ich meine Geraete ein, und wir gingen unsers Weges weiter. Mit grosser Vorsicht suchten wir die Richtung, die uns nottat, zu bestimmen. Auf jeder Stelle, die eine groessere Umsicht gewaehrte, hielten wir etwas an und suchten uns die Gestalt der Umgebung zu vergegenwaertigen und uns des Raumes, auf dem wir standen, zu vergewissern. Ich zog zum Ueberflusse auch noch die Magnetnadel zu Rate. In den Niederungen und Mulden zwischen einzelnen Hoehen mussten wir uns der Schneereife bedienen. Gegen den spaeten Nachmittag stiegen uns die hoeheren und dunkleren Zacken der Echern aus dem Schnee entgegen. Als die Sonne fast nur mehr um ihre eigene Breite von dem Rande des Gesichtskreises entfernt war, kamen wir in der Ziegenalpe an. Hier hatten wir einen eigentuemlichen Anblick. Es ist da eine Stelle, von welcher aus man nicht mehr zu dem See oder zu seiner Umgebung zuruecksehen kann, dafuer oeffnet sich gegen Sonnenuntergang ein weiter Blick in die Lichtung des Lauterthales, besonders aber in das Echertal, in welchem der Mann wohnt, welcher meine und Klotildens Zither gemacht hatte. In diese Ferne wollte ich noch einen Blick tun, ehe wir in die Huette gingen. Aber ich konnte die Taeler nicht sehen. Die Wirkung, welche sich aus dem Aneinandergrenzen der oberen, waermeren Luft und der unteren, kaelteren, wie ich schon am schwarzen Steine bemerkt hatte, ergab, war noch staerker geworden, und ein einfaches, wagrechtes, weisslichgraues Nebelmeer war zu meinen Fuessen ausgespannt. Es schien riesig gross zu sein und ich ueber ihm in der Luft zu schweben. Einzelne schwarze Knollen von Felsen ragten ueber dasselbe empor, dann dehnte es sich weithin, ein truebblauer Strich entfernter Gebirge zog an seinem Rande, und dann war der gesaettigte, goldgelbe, ganz reine Himmel, an dem eine grelle, fast strahlenlose Sonne stand, zu ihrem Untergange bereitet. Das Bild war von unbeschreiblicher Groesse. Kaspar, welcher neben mir stand, sagte: "Verehrter Herr, der Winter ist doch auch recht schoen." "Ja, Kaspar", sagte ich, "er ist schoen, er ist sehr schoen." Wir blieben stehen, bis die Sonne untergegangen war. Die Farbe des Himmels wurde fuer einen Augenblick noch hoeher und flammender, dann begann alles nach und nach zu erbleichen und schmolz zuletzt in ein farbloses Ganzes zusammen. Nur die gewaltigen Erhebungen, die gegen Sueden standen und die das Eis, das wir besuchen wollten, enthielten, glommen noch von einem unsichern Lichte, waehrend mancher Stern ueber ihnen erschien. Wir gingen nun in dem beinahe finster gewordenen und ziemlich unwegsamen Raume zur Huette, um in derselben unsere Vorbereitungen zum Uebernachten zu treffen. Die Huette war, wie es im Winter immer ist, wo sie leer steht, nicht gesperrt. Ein Holzriegel, der sehr leicht zu beseitigen war, schloss die Tuer. Wir traten ein, steckten eine Kerze in unsern Handleuchter und machten Licht. Wir suchten das Gemach der Sennerinnen und liessen uns dort nieder. In den Schlafstellen war etwas Heu, ein grober Brettertisch stand in der Mitte des Gemaches, eine Bank lief an der Wand hin und eine bewegliche stand an dem Tische. Wir hatten vor, hier erst unser eigentliches warmes Tagesmahl zu bereiten. Aber, worauf wir kaum gefasst waren, es zeigte sich nirgends auch nicht der geringste Vorrat von Holz. Ich hatte fuer den Fall Weingeist bei mir, um einige Schnitten Braten in einer flachen Pfanne roesten zu koennen; aber wir zogen es vorzueglich wegen der Erwaermung des Koerpers vor, ein Stueck Bank zu verbrennen und dem Eigentuemer Ersatz zu leisten. Kaspar machte sich mit der Axt an die Arbeit, und bald loderte ein lustiges Feuer auf dem Herde. Ein Abendessen wurde bereitet, wie wir es oft bei unsern Gebirgsarbeiten bereitet hatten, aus dem Heu der Schlafstellen, den Decken und den Pelzen wurden Betten zurecht gemacht, und nachdem ich noch meine Messwerkzeuge, die im Freien vor der Huette aufgehaengt waren, betrachtet hatte, begaben wir uns zur Ruhe. Auch jetzt am spaeten Abende war bei ganz heiterem, sternenvollem Himmel eine viel mindere Kaelte in dieser Hoehe als ich vermutet hatte. Ehe der Tag graute, standen wir auf, machten Licht, kleideten uns vollstaendig an, richteten all unsere Dinge zurecht, bereiteten ein Fruehmahl, verzehrten es und traten unsern Weg an. Die Echernspitze stand fast schwarz im Sueden, wir konnten sie deutlich in die blasse Luft ueber dem Haustein, der uns noch unsere Eisfelder deckte, empor ragen sehen. Der Tag war wieder ganz heiter. Obgleich es noch nicht licht war, durften wir eine Verirrung nicht fuerchten, denn wir mussten geraume Zeit zwischen Felsen empor gehen, die unsere Richtung von beiden Seiten begrenzten und uns nicht abweichen liessen. Wir legten, weil der Schnee in diesen Rinnen sich angehaeuft hatte, unsere Schneereife an und gingen in der ungewissen Daemmerung vorwaerts. Nach etwas mehr als einer Stunde Wanderung kamen wir auf die Hoehe hinaus, wo die Gegend sich wieder oeffnet und gegen Osten weite Felder hinziehen. Diese biegen, nachdem sie sich ziemlich hoch erhoben, gegen Sueden um einen Fels herum und lassen dann den Eisstock erblicken, zu dem wir wollten. Dieser drueckt mit grosser Macht von Sueden gegen Norden herab und hat zu seiner suedlichen Begrenzung die Echernspitze. Auf den erklommenen Feldern war es schon ganz licht; allein die Berge, welche wir am oestlichen Rande derselben unter uns und weit draussen erblicken sollten, waren nicht zu sehen, sondern am Rande der mit Schnee bedeckten Felder setzte sich eine Farbe, die nur ein klein wenig von der Schneefarbe verschieden war, fast ins Unermessliche fort, die des Nebels. Er hatte seit gestern noch mehr ueberhand genommen und begrenzte unsere Hoehe als Insel. Kaspar wollte erschrecken. Ich aber machte ihn aufmerksam, dass der Himmel ueber uns ganz heiter sei, dass dieser Nebel von jenem sehr verschieden sei, der bei dem Beginne des Regen- oder Schneewetters zuerst die Spitzen der Berge in Gestalt von Wolken einhuellt, sich dann immer tiefer, oft bis zur Haelfte der Berge, hinabzieht und den Wanderern so fuerchterlich ist; unser Nebel sei kein Hochnebel, sondern ein Tiefnebel, der die Bergspitzen, auf denen das Verirren so schrecklich sei, freilasse und der beim Hoehersteigen der Sonne verschwinden werde. Im schlimmsten Falle, wenn er auch bliebe, sei er nur eine wagrechte Schichte, die nicht hoeher stehe, als wo der schwarze Stein liegt. Von dort hinab aber ist uns der Weg sehr bekannt, wir muessen unsere eigenen Fussstapfen finden und koennen an ihnen abwaerts gehen. Kaspar, welcher mit dem Gebirgsleben sehr vertraut war, sah meine Gruende ein und war beruhigt. Waehrend wir standen und sprachen, fing sich an einer Stelle der Nebel im Osten zu lichten an, die Schneefelder verfaerbten sich zu einer schoeneren und anmutigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem sie bisher bedeckt gewesen waren, und in der lichten Stelle des Nebels begann ein Punkt zu gluehen, der immer groesser wurde und endlich in der Groesse eines Tellers schweben blieb, zwar truebrot, aber so innig glimmend wie der feurigste Rubin. Die Sonne war es, die die niederen Berge ueberwunden hatte und den Nebel durchbrannte. Immer roetlicher wurde der Schnee, immer deutlicher, fast gruenlich seine Schatten, die hohen Felsen zu unserer Rechten, die im Westen standen, spuerten auch die sich naehernde Leuchte und roeteten sich. Sonst war nichts zu sehen als der ungeheure, dunkle, ganz heitere Himmel ueber uns, und in der einfachen grossen Flaeche, die die Natur hieher gelegt hatte, standen nur die zwei Menschen, die da winzig genug sein mussten. Der Nebel fing endlich an seiner aeussersten Grenze zu leuchten an wie geschmolzenes Metall, der Himmel lichtete sich und die Sonne quoll wie blitzendes Erz aus ihrer Umhuellung empor. Die Lichter schossen ploetzlich ueber den Schnee zu unsern Fuessen und fingen sich an den Felsen. Der freudige Tag war da. Wir banden uns die Stricke um den Leib und liessen ein ziemlich langes Stueck von der Leibbinde des einen zu der des andern gehen, damit, wenn einer, da wir jetzt ueber eine sehr schiefe Flaeche zu gehen hatten, gleiten sollte, er durch den andern gehalten wuerde. Im Sommer war diese Flaeche mit vielen kleinen und scharfen Steinen bedeckt, daher der Uebergang ueber sie viel leichter. Im Winter kannte man den Boden nicht, und der Schnee konnte ins Gleiten geraten. Ohne Hilfe der Schneereife, die hier, weil sie unbehilflich machten, nur gefaehrlich werden konnten, gelangten wir mit angewandter Vorsicht gluecklich hinueber, loesten die Stricke, bogen nach einer darauf erfolgten mehrstuendigen Wanderung um die Felsen und standen an dem Gletscher und auf dem ewigen Schnee. Auf dem Eise, da wir nach uns sehr bekannten Richtungen auf demselben vorschritten, zeigte sich beinahe mit Ruecksicht auf den Sommer gar keine Veraenderung. Da auch im Sommer fast jeder Regen des Tales die Hoehen entweder gar nicht trifft oder auf ihnen Schnee ist, so war es jetzt auf dem Gletscher wie im Sommer, und wir schritten auf bekannten Gebieten vorwaerts. Wo die Eismengen geborsten und zertruemmert waren, hatte sie an ihren Oberflaechen der Schnee bedeckt, mit den Seitenflaechen sahen sie gruenlich oder blaulich schillernd aus dem allgemeinen Weiss hervor, weiter aufwaerts, wo die Gletscherwoelbung rein dalag, war sie mit Schnee bedeckt. Der einzige Unterschied bestand, dass jetzt keine einzige breite oder lange Eisstelle blossgelegt in ihrer gruenlichen Farbe da stand, was doch zuweilen im Sommer geschieht. Wir verweilten einige Zeit auf dem Eise und nahmen auf demselben auch unser Mittagmahl, in Wein und Brod bestehend, ein. Unter uns hatte sich aber indessen eine Veraenderung vorbereitet. Der Nebel war nach und nach geschwunden, ein Teil der fernen oder der naeheren Berge war nach dem andern sichtbar geworden, verschwunden, wieder sichtbar geworden, und endlich stand Alles im Sonnenglanze ohne ein Floeckchen Nebel, der wie ausgetilgt war, in sanfter Blaeue oder wie in goldigem Schimmer oder wie im fernen, matten Silberglanze, in tiefem Schweigen und unbeweglich da. Die Sonne strahlte einsam ohne einer geselligen Wolke an dem Himmel. Die Kaelte war auch hier nicht gross, geringer als ich sie im Tale beobachtet hatte, und nicht viel groesser als sie auch zu Sommerszeiten auf diesen Hoehen ist. Nachdem wir uns eine geraume Weile auf dem Eise aufgehalten hatten, traten wir den Rueckweg an. Wir gelangten leicht an den gewoehnlichen Ausgang des Gletschers, von wo aus man das Hinabgehen ueber die Berge einleitet. Wir fanden unsere Fussstapfen, die in der ungetruebten Oberflaeche des Schnees, da hierauf selten auch Tiere kommen, sehr deutlich erkennbar waren, und gingen nach ihnen fort. Wir kamen gluecklich ueber die schiefe Flaeche und langten gegen Abend in der Ziegenalpe an. Es war hier schon zu dunkel, um noch etwas von der Umgebung sehen zu koennen. Wir hielten in der Huette wieder unser warm zubereitetes Abendmahl, waermten uns am Reste der Bank und erquickten uns durch Schlaf. Der naechste Morgen war abermals klar, in den Taelern lag wieder der Nebel. Da auch die Nacht vollkommen windstill gewesen war, so hatten wir uns jetzt in Hinsicht unsers Rueckweges ueber die Hochebene nicht zu sorgen. Unsere Fussstapfen standen vollkommen unverwischt da, und ihnen konnten wir uns anvertrauen. Selbst da, wo wir ratend gestanden waren und etwa den Alpenstock seitwaerts unseres Standortes in den Schnee gestossen hatten, war die Spur noch voellig sichtbar. Wir kamen frueher als wir gedacht hatten an dem schwarzen Steine an. Dort hielten wir wieder unser Mittagmahl und gingen dann unter dem sich immer mehr und mehr lichtenden Nebel, der uns aber hier kein wesentliches Hindernis mehr machte, die steile Senkung der Berge hinunter. Der an ihrem Fusse beobachtete Waermemesser zeigte wirklich eine groessere Kaelte, als wir auf den Bergen gehabt hatten. Am Nachmittage waren wir wieder in dem Seewirtshause. Am andern Tage gingen wir in das Ahornhaus im Lauterthale. Alles umringte uns und wollte unsere Erlebnisse wissen. Sie wunderten sich, dass die Unternehmung so einfach gewesen sei, besonders aber, dass die Kaelte, die schon im Sommer gegen die Waerme der Taeler so abstehe, im Winter nicht ganz fuerchterlich soll gewesen sein. Kaspar war ein wichtiger Mann geworden. Ich aber war von dem, was ich oben gesehen und gefunden hatte, vollkommen erfuellt. Die tiefe Empfindung, welche jetzt immer in meinem Herzen war und welche mich angetrieben hatte, im Winter die Hoehen der Berge zu suchen, hatte mich nicht getaeuscht. Ein erhabenes Gefuehl war in meine Seele gekommen, fast so erhaben wie meine Liebe zu Natalien. Ja, diese Liebe wurde durch das Gefuehl noch gehoben und veredelt, und mit Andacht gegen Gott, den Herrn, der so viel Schoenes geschaffen und uns so gluecklich gemacht hat, entschlief ich, als ich wieder zum ersten Male in meinem Bette in der wohnlichen Stube des Ahornhauses ruhte. Es hat mich nicht gereut, dass ich noch die Weihe dieser Unternehmung auf mich genommen hatte, ehe ich zu meinem Gastfreunde ging, um ihm meinen Winterbesuch zu machen. Ich hielt mich nur noch so lange in dem Lauterthale auf, um noch die bedeutendsten Stellen desselben im Winterschmucke zu sehen und um die Einleitung zu treffen, dass dem Eigentuemer der Ziegenalpe die Bank, die wir verbrannt hatten, ersetzt wuerde. Dann fuhr ich in einem Schlitten in der Richtung nach dem Asperhofe hinaus. Kaspar hatte recht herzlich von mir Abschied genommen, er war mir durch diese Unternehmung noch mehr befreundet geworden, als er es frueher gewesen war. Die groessere Waerme in den oberen Teilen der Luft, welche nur ein Verbote des beginnenden Suedwindes gewesen war, hatte sich nun voellig geltend gemacht, der Suedwind war in den Hoehen eingetreten, obwohl es in der Tiefe noch kalt war, Wolken hatten die Berge umhuellt, zogen ueber die Laender hinaus und schuettelten Regen herab, der in Gestalt von Eiskoernern unten ankam und mir um das Haupt und die Wangen prasselte, als ich in dem Asperhofe eintraf. Die Pferde und der Schlitten wurden in den Meierhof gebracht, ich ging zu meinem Gastfreunde. Er sass in seinem Arbeitszimmer und ordnete Pergamentblaetter, von denen er einen grossen Stoss vor sich hatte. Ich begruesste ihn, und er empfing mich wie immer gleich freundlich. Ich sagte ihm, dass ich seit meiner letzten Anwesenheit im Asperhofe fast immer gereist sei. Erst haette ich noch das Kargrat besucht, weil ich dort zu ordnen gehabt haette, dann sei ich zu meinen Eltern gegangen, hierauf habe ich mit meinem Vater einen Besuch in seiner Heimat gemacht, dann sei ich mit meiner Schwester auf eine Zeit, um ihr ein Vergnuegen zu bereiten, in das Hochgebirge gefahren, als hierauf der Winter gekommen sei, habe ich die Echerngletscher besucht, und nun sei ich hier. "Ihr seid wie immer herzlich willkommen", sagte er, "bleibt bei uns, so lange es euch gefaellt, und seht unser Haus wie das eurer Eltern an." "Ich danke euch, ich danke euch sehr", erwiderte ich. Er zog an der Klingel zu seinen Fuessen, und die alte Katharina kam herauf. Er befahl ihr, meine Zimmer zu heizen, dass ich sie sehr bald benutzen koenne. "Es ist schon geschehen", antwortete sie. "Als wir den jungen Herrn hereinfahren sahen, liess ich durch Ludmilla gleich heizen, es brennt schon; aber ein wenig gelueftet muss noch werden, neue Ueberzuege muessen kommen, der Staub muss abgewischt werden, ihr muesst euch schon ein wenig gedulden." "Es ist gut und recht", sagte mein Gastfreund, "sorge nur, dass alles wohnlich sei." "Es wird schon werden", antwortete Katharina und verliess das Zimmer. "Ihr koennt, wenn ihr wollt", sagte er dann zu mir, "indessen, bis eure Wohnung in Ordnung ist, mit mir zu Eustach hinueber gehen und sehen, was eben gearbeitet wird. Wir koennen hiebei auch bei Gustav anklopfen und ihm sagen, dass ihr gekommen seid." Ich nahm den Vorschlag an. Er zog eine Art Ueberrock ueber seine Kleider, die beinahe wie im Sommer waren, an, und wir gingen aus dem Zimmer. Wir begaben uns zuerst zu Gustav, und ich begruesste ihn. Er flog an mein Herz, und sein Ziehvater sagte ihm, er duerfe uns in das Schreinerhaus begleiten. Er nahm gar kein Ueberkleid, sondern verwechselte nur seinen Zimmerrock mit einem etwas waermeren und war bereit, uns zu folgen. Wir gingen ueber die gemeinschaftliche Treppe hinab, und als wir unten angekommen waren, sah ich, dass mein Gastfreund auch heute an dem unfreundlichen Wintertage barhaeuptig ging. Gustav hatte eine ganz leichte Kappe auf dem Haupte. Wir gingen ueber den Sandplatz dem Gebuesche zu. Die Eiskoerner, welche eine bereifte, weisse und rauhe Gestalt hatten, mischten sich mit den weissen Haaren meines Freundes und sprangen auf seinem zwar nicht leichten, aber noch nicht fuer eine strenge Winterkaelte eingerichteten Ueberrocke. Die Baeume des Gartens, die uns nahe standen, seufzten in dem Winde, der von den Hoehen immer mehr gegen die Niederungen herab kam und an Heftigkeit mit jeder Stunde wuchs. So gelangten wir gegen das Schreinerhaus. Wie bei meiner ersten Annaeherung stieg auch heute ein leichter Rauch aus demselben empor, aber er ging nicht wie damals in einer geraden luftigen Saeule in die Hoehe, sondern wie er die Mauern des Schornsteins verliess, wurde er von dem Winde genommen, in Flatterzeug verwandelt und nach verschiedenen Richtungen gerissen. Auch waren nicht die gruenen Wipfel da, an denen er damals empor gestiegen war, sondern die nackten Aeste mit den feinen Ruten der Zweige standen empor und neigten sich im Winde ueber das Haus herueber. Auf dem Dache desselben lag der Schnee. Von Toenen konnten wir bei dieser Annaeherung aus dem Innern nichts hoeren, weil aussen das Sausen des Windes um uns war. Da wir eingetreten waren, kam uns Eustach entgegen, und er gruesste mich noch freundlicher und herzlicher, als er es sonst immer getan hatte. Ich bemerkte, dass um zwei Arbeiter mehr als gewoehnlich in dem Hause beschaeftigt waren. Es musste also viele oder dringende Arbeit geben. Die Waerme gegen den Wind draussen empfing uns angenehm und wohnlich im Hause. Eustach geleitete uns durch die Werkstube in sein Gemach. Ich sagte ihm, dass ich gekommen sei, um auch einen kleinen Teil des Winters in dem Asperhofe zu bleiben, den ich in demselben nie gesehen und den ich nur meistens in der Stadt verlebt habe, wo seine Wesenheit durch die vielen Haeuser und durch die vielen Anstalten gegen ihn gebrochen werde. "Bei uns koennt ihr ihn in seiner voelligen Gestalt sehen", sagte Eustach, "und er ist immer schoen, selbst dann noch, wann er seine Art so weit verleugnet, dass er mit warmen Winden, blaugeballten Wolken und Regenguessen ueber die schneelose Gegend daher faehrt. So weit vergisst er sich bei uns nie, dass er in ein Afterbild des Sommers, wie zuweilen in suedlichen Laendern, verfaellt und warme Sommertage und allerlei Gruen zum Vorschein bringt. Dann waere er freilich nicht auszuhalten." Ich erzaehlte ihm von meinem Besuche auf dem Echerngletscher und sagte, dass ich doch auch schon manchen schoenen und stuermischen Wintertag im Freien und ferne von der grossen Stadt zugebracht habe. Hierauf zeigte er mir Zeichnungen, welche zu den frueheren neu hinzu gekommen waren, und zeigte mir Grund- und Aufrisse und andere Plaene zu den Werken, an denen eben gearbeitet werde. Unter den Zeichnungen befanden sich schon einige, die nach Gegenstaenden in der Kirche von Klam genommen worden waren, und unter den Plaenen befanden sich viele, die zu den Ausbesserungen gehoerten, die mein Gastfreund in der Kirche vornehmen liess, welche ich mit ihm besucht hatte. Nach einer Weile gingen wir auch in die Arbeitsstube und besahen die Dinge, die da gemacht wurden. Meistens betrafen sie Gegenstaende, welche fuer die Kirche, fuer die eben gearbeitet wurde, gehoerten. Dann sah ich ein Zimmerungswerk aus feinen Eichen- und Laerchenbohlen, welches wie der Hintergrund zu Schnitzwerken von Vertaeflungen aussah, auch erblickte ich Simse, wie zu Vertaeflungen gehoerend. Von Geraeten war ein Schrein in Arbeit, der aus den verschiedensten Hoelzern, ja mitunter aus seltsamen, die man sonst gar nicht zu Schreinerarbeiten nimmt, bestehen sollte. Er schien mir sehr gross werden zu wollen; aber seinen Zweck und seine Gestalt konnte ich aus den Anfaengen, die zu erblicken waren, nicht erraten. Ich fragte auch nicht darnach, und man berichtete mir nichts darueber. Als wir uns eine Zeit in dem Schreinerhause aufgehalten und auch ueber andere Gegenstaende gesprochen hatten, als sich in demselben befanden oder mit demselben in Beziehung standen, entfernten wir uns wieder, und mein Freund und Gustav geleiteten mich in das Wohnhaus zurueck und dort in meine Zimmer. In ihnen war es bereits warm, ein lebhaftes Feuer musste den Toenen nach, die zu hoeren waren, in dem Ofen brennen, alles war gefegt und gereinigt, weisse Fenstervorhaenge und weisse Ueberzuege glaenzten an dem Bette und an jenen Geraeten, fuer die sie gehoerten, und alle meine Reisesachen, welche ich in dem Schlitten gefuehrt hatte, waren bereits in meiner Wohnung vorhanden. Mein Gastfreund sagte, ich moege mich hier nun zurecht finden und einrichten, und er verliess mich dann mit Gustav. Ich packte nun die Gegenstaende, welche ich in meinen Reisebehaeltnissen hatte, aus und verteilte sie so, dass die beiden Gemaecher, welche mir zur Verfuegung standen, recht winterlich behaglich, wozu die Waerme, die in den Zimmern herrschte, einlud, ausgestattet waren. Ich wollte es so tun, ich mochte mich nun lange oder kurz in diesen Raeumen aufzuhalten haben, was von den Umstaenden abhing, die nicht in meiner Berechnung lagen. Besonders richtete ich mir meine Buecher, meine Schreibdinge und auch Vorbereitungen zu gelegentlichem Zeichnen so her, dass alles dies meinen Wuenschen, so weit ich das jetzt einsah, auf das Beste entsprach. Nachdem ich mit allem fertig war, kleidete ich mich auch um, damit die Reisekleider mit bequemeren und haeuslichen vertauscht waeren. Hierauf machte ich einen Spaziergang. Ich ging in dem Garten meinen gewoehnlichen Weg zu dem grossen Kirschbaume hinauf. Aus dem in dem Schnee wohl ausgetretenen Pfade sah ich, dass hier haeufig gegangen werde und dass der Garten im Winter nicht verwaist ist, wie es bei so vielen Gaerten geschieht und wie es aber auch bei meinen Eltern nicht geduldet wird, denen der Garten auch im Winter ein Freund ist. Selbst die Nebenpfade waren gut ausgetreten, und an manchen Stellen sah ich, dass man nach dauerndem Schneefalle auch die Schaufel angewendet habe. Die zarteren Baeumchen und Gewaechse waren mit Stroh verwahrt, alles, was hinter Glas stehen sollte, war wohl geschlossen und durch Verdaemmungen geschuetzt, und alle Beete und alle Raeume, die in ihrer Schneehuelle dalagen, waren durch die um sie gefuehrten Wege gleichsam eingerahmt und geordnet. Die Zweige der Baeume waren von ihrem Reife befreit, der Schnee, der in kleinen Kuegelchen daher jagte, konnte auf ihnen nicht haften, und sie standen desto dunkler und beinahe schwarz von dem umgebenden Schnee ab. Sie beugten sich im Winde und sausten dort, wo sie in maechtigen Abteilungen einem grossen Baume angehoerten und in ihrer Dichtheit gleichsam eine Menge darstellten. In den entlaubten Aesten konnte ich desto deutlicher und haeufiger die Nestbehaelter sehen, welche auf den Baeumen angebracht waren. Von den gefiederten Bewohnern des Gartens war aber nichts zu sehen und zu hoeren. Waren wenige oder keine da, konnte man sie in dem Sturme nicht bemerken oder haben sie sich in Schlupfwinkel, namentlich in ihre Haeuschen, zurueckgezogen? In den Zweigen des grossen Kirschbaumes herrschte der Wind ganz besonders. Ich stellte mich unter den Baum neben die an seinem Stamme befindliche Bank und sah gegen Sueden. Das dunkle Baumgitter lag unter mir, wie schwarze, regellose Gewebe auf den Schnee gezeichnet, weiter war das Haus mit seinem weissen Dache, und weiter war nichts; denn die fernere Gegend war kaum zu erblicken. Bleiche Stellen oder dunklere Ballen schimmerten durch, je nachdem das Auge sich auf Schneeflaechen oder Waelder richtete, aber nichts war deutlich zu erkennen, und in langen Streifen, gleichsam in nebligen Faeden, aus denen ein Gewebe zu verfertigen ist, hing der fallende Schnee von dem Himmel herunter. Von dem Kirschbaume konnte ich nicht in das Freie hinausgehen; denn das Pfoertchen war geschlossen. Ich wendete mich daher um und ging auf einem anderen Wege wieder in das Haus zurueck. An demselben Tage erfuhr ich auch, dass Roland anwesend sei. Mein Gastfreund holte mich ab, mich zu ihm zu begleiten. Man hatte ihm in dem Wohnhause ein grosses Zimmer zurecht gerichtet. In demselben malte er eben eine Landschaft in Oelfarben. Als wir eintraten, sahen wir ihn vor seiner Staffelei stehen, die zwar nicht mitten in dem Zimmer, doch weiter von dem Fenster entfernt war, als dies sonst gewoehnlich der Fall zu sein pflegt. Das zweite der Fenster war mit einem Vorhange bedeckt. Er hatte ein leinenes Ueberkleid an seinem Oberkoerper an und hielt gerade das Malerbrett und den Stab in der Hand. Er legte beides auf den nahestehenden Tisch, da er uns kommen sah, und ging uns entgegen. Mein Gastfreund sagte, dass er mich zu dem Besuche bei ihm aufgefordert habe und dass Roland wohl nichts dagegen haben werde. "Der Besuch ist mir sehr erfreulich", sagte er, "aber gegen mein Bild wird wohl viel einzuwenden sein." "Wer weiss das?" sagte mein Gastfreund. "Ich wende viel ein", antwortete Roland, "und Andere, die sich des Gegenstandes bemaechtigen, werden auch wohl viel einzuwenden haben." Wir waren waehrend dieser Worte vor das Bild getreten. Ich hatte nie etwas Aehnliches gesehen. Nicht, dass ich gemeint haette, dass das Bild so vortrefflich sei, das konnte man noch nicht beurteilen, da sich Vieles in den ersten Anfaengen befand, auch glaubte ich zu bemerken, dass Manches wohl kaum wuerde gemeistert werden koennen. Aber in der Anlage und in dem Gedanken erschien mir das Bild merkwuerdig. Es war sehr gross, es war groesser als man gewoehnlich landschaftliche Gegenstaende behandelt sieht, und wenn es nicht gerollt wird, so kann es aus dem Zimmer, in welchem es entsteht, gar nicht gebracht werden. Auf diesem wuesten Raume waren nicht Berge oder Wasserfluten oder Ebenen oder Waelder oder die glatte See mit schoenen Schiffen dargestellt, sondern es waren starre Felsen da, die nicht als geordnete Gebilde empor standen, sondern, wie zufaellig, als Bloecke und selbst hie und da schief in der Erde staken, gleichsam als Fremdlinge, die wie jene Normannen auf dem Boden der Insel, die ihnen nicht gehoerte, sich sesshaft gemacht hatten. Aber der Boden war nicht wie der jener Insel oder vielmehr, er war so, wo er nicht von den im Altertume beruehmten Kornfeldern bekleidet oder von den dunkeln, fruchtbringenden Baeumen bedeckt ist, sondern wo er zerrissen und vielgestaltig ohne Baum und Strauch mit den duerren Graesern, den weiss leuchtenden Furchen, in denen ein aus unzaehligen Steinen bestehender Quarz angehaeuft ist und mit dem Geroelle und mit dem Truemmerwerke, das ueberall ausgesaet ist, der doerrenden Sonne entgegenschaut. So war Rolands Boden, so bedeckte er die ungeheure Flaeche, und so war er in sehr grossen und einfachen Abteilungen gehalten, und ueber ihm waren Wolken, welche einzeln und vielzaehlig schimmernd und Schatten werfend in einem Himmel standen, welcher tief und heiss und suedlich war. Wir standen eine Weile vor dem Bilde und betrachteten es. Roland stand hinter uns, und da ich mich einmal wendete, sah ich, dass er die Leinwand mit glaenzenden Augen betrachtete. Wir sprachen wenig oder beinahe nichts. "Er hat sich die Aufgabe eines Gegenstandes gestellt, den er noch nicht gesehen hat", sagte mein Gastfreund, "er haelt sich ihn nur in seiner Einbildungskraft vor Augen. Wir werden sehen, wie weit er gelingt. Ich habe wohl solche Dinge oder vielmehr ihnen Aehnliches weit unten im Sueden gesehen." "Ich bin nicht auf irgend etwas Besonderes ausgegangen", antwortete Roland, "sondern habe nur so Gestaltungen, wie sie sich in dem Gemuete finden, entfaltet. Ich will auch Versuche in Oelfarben machen, welche mich immer mehr gereizt haben als meine Wasserfarben und in denen sich Gewaltiges und Feuriges darstellen lassen muss." Ich bemerkte, als ich seine Geraete naeher betrachtete, dass er Pinsel mit ungewoehnlich langen Stielen habe, dass er also sehr aus der Ferne arbeiten muesse, was bei einer so grossen Leinwandflaeche wohl auch nicht anders sein kann und was ich auch aus der Behandlung ersah. Seine Pinsel waren ziemlich gross, und ich sah auch lange, feine Staebe, an deren Spitzen Zeichnungskohlen angebunden waren, mit welchen er entworfen haben musste. Die Farben waren in starken Mengen auf der Palette vorhanden. "Der Herr dieses Hauses ist so guetig", sagte Roland, "und laesst mich hier wirtschaften, waehrend ich verbunden waere, Zeichnungen zu machen, welche wir eben brauchen, und waehrend ich an Entwuerfen arbeiten sollte, die zu den Dingen notwendig sind, die eben ausgefuehrt werden." "Das wird sich alles finden", antwortete mein Gastfreund, "ihr habt mir schon Entwuerfe gemacht, die mir gefallen. Arbeitet und waehlt nach eurem Gutduenken, euer Geist wird euch schon leiten." Um Roland, der hier vor seinem Werke stand und dessen ganze Umgebung, wie sie in dem Zimmer ausgebreitet war, auf Ausfuehrung dieses Werkes hinzielte, nicht laenger zu stoeren, da die Wintertage ohnehin so kurz waren, entfernten wir uns. Da wir den Gang entlang gingen, sagte mein Gastfreund: "Er sollte reisen." Als es dunkel geworden war, versammelten wir uns in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes bei dem wohlgeheizten Ofen. Es war Eustach, Roland, Gustav und ich zugegen. Es wurde von den verschiedensten Dingen gesprochen, am meisten aber von der Kunst und von den Gegenstaenden, welche eben in der Ausfuehrung begriffen waren. Es mochte wohl Vieles vorkommen, was Gustav nicht verstand, er sprach auch sehr wenig mit; aber es mochte doch das Gespraech ihn mannigfaltig foerdern, und selbst das Unverstandene mochte Ahnungen erregen, die weiter fuehren oder die aufbewahrt werden und in Zukunft geeignet sind, feste Gestaltungen, die sich fuegen wollen, einleiten zu helfen. Ich wusste das sehr wohl aus meiner eigenen Jugend und selbst auch aus der jetzigen Zeit. Da ich in mein Schlafgemach zurueckgekehrt war, fuehlte ich es recht angenehm, dass die Scheite aus dem Buchenwalde meines Gastfreundes, der ein Teil des Alizwaldes war, in dem Ofen brennen. Ich beschaeftigte mich noch eine Zeit mit Lesen und teilweise auch mit Schreiben. Am anderen Morgen war Regen. Er fiel in Stroemen aus blaulich gefaerbten, gleichartigen, ueber den Himmel dahin jagenden Wolken herab. Der Wind hatte zu solcher Heftigkeit zugenommen, dass er um das ganze Haus heulte. Da er aus Suedwesten kam, schlug der Regen an meine Fenster und rann an dem Glase in waesserigen Flaechen nieder. Aber da das Haus sehr gut gebaut war, so hatte Regen und Wind keine anderen Folgen als dass man sich recht geborgen in dem schuetzenden Zimmer fand. Auch ist es nicht zu leugnen, dass der Sturm, wenn er eine gewisse Groesse erreicht, etwas Erhabenes hat und das Gemuet zu staerken im Stande ist. Ich hatte die ersten Morgenstunden bei Licht in Waerme damit hingebracht, dem Vater und der Mutter einen Brief zu schreiben, worin ich ihnen anzeigte, dass ich auf dem Echerneise gewesen sei, dass ich alle Vorsicht beim Hinaufsteigen und Heruntergehen angewendet habe, dass uns nicht der geringste Unfall zugestossen sei und dass ich mich seit gestern bei meinem Freunde im Rosenhause befinde. An Klotilden legte ich ein besonderes Blatt bei, worin ich, auf ihre teilweise Kenntnis des Gebirges, die sie sich auf der mit mir gemachten Reise erworben hatte, bauend, eine kleine Beschreibung des winterlichen Hochgebirgbesuches gab. Als es dann heller geworden und die Stunde zum Fruehmahle gekommen war, ging ich in das Speisezimmer hinunter. Ich erfuhr nun hier, dass es im Winter der Gebrauch sei, dass Eustach und Roland, deren gestrige Anwesenheit bei dem Abendessen ich fuer zufaellig gehalten hatte, mit meinem Gastfreunde und Gustav an einem Tische speisen. Es sollte auch im Sommer so sein; allein da oft in dieser Jahreszeit in dem Schreinerhause lange vor Sonnenaufgang aufgestanden und zu einer Arbeit geschritten wird, so veraendern sich die Stunden, an denen eine Erquickung des Koerpers notwendig wird, und Eustach hat selber gebeten, dass ihm dann die Zeit und Art seines Essens zu eigener Wahl ueberlassen werde. Roland ist ohnehin zu jener Jahreszeit meistens von dem Hause abwesend. Ich war nie so spaet im Winter in dem Rosenhause gewesen, dass ich diese Einrichtung haette kennen lernen koennen. Mein Gastfreund, Eustach, Roland, Gustav und ich sassen also beim Fruehmahltische. Das Gespraech drehte sich hauptsaechlich um das Wetter, welches so stuermisch herein gebrochen war, und es wurde erlaeutert, wie es hatte kommen muessen, wie es sich erklaeren lasse, wie es ganz natuerlich sei, wie jedes Hauswesen sich auf solche Wintertage in der Verfassung halten muesse und wie, wenn das der Fall sei, man dann derlei Ereignisse mit Geduld ertragen, ja darin eine nicht unangenehme Abwechslung finden koenne. Nach dem Fruehmahle begab sich jedes an seine Arbeit. Mein Gastfreund ging in sein Zimmer, um dort im Ordnen der Pergamente, das er angefangen hatte, fortzufahren, Eustach ging in die Schreinerei, Roland, fuer den die Zeit trotz des trueben Tages doch endlich auch hell genug zum Malen geworden war, begab sich zu seinem Bilde, Gustav setzte sein Lernen fort und ich ging wieder in meine Zimmer. Da ich dort eine Zeit mit Lesen und Schreiben zugebracht hatte und da der Sturm, statt sich zu mildern, in den Vormittagstunden nur noch heftiger geworden war, beschloss ich doch, wie es meine Gewohnheit war, auf eine Zeit in das Freie zu gehen. Ich waehlte eine zweckmaessige Fussbekleidung, nahm meinen Wachsmantel, der eine Wachshaube hatte, die man ueber den Kopf ziehen konnte, und ging ueber die gemeinschaftliche Treppe hinab. Ich schlug den Weg durch das Gittertor auf den Sandplatz vor dem Hause ein. Dort konnte der Suedwestwind recht an meine Person fallen, und er trieb mir die Tropfen, welche fuer einen Winterregen bedeutend gross waren, mit Prasseln auf meinen Ueberwurf, in das Angesicht, in die Augen und auf die Haende. Ich blieb auf dem Platze ein wenig stehen und betrachtete die Rosen, welche an der Wand des Hauses gezogen wurden. Manche Staemmchen waren durch Stroh geschuetzt, bei manchen war stellenweise die Erde ueber den Wurzeln mit einer schuetzenden Decke bekleidet, andere waren bloss fest gebunden, bei allen aber sah ich, dass man ausserordentliche Schutzmittel nicht angewendet habe und dass alle nur gegen Verletzungen von aeusserlicher Gewalt gesichert waren. Der Schnee konnte sie ueberhuellen, wie ich noch die Spuren sah, der Regen konnte sie begiessen, wie ich heute erfuhr, aber nirgends konnte der Wind ein Staemmchen oder einen Zweig lostrennen und mit ihm spielen oder ihn zerren. Die ganze Wand des Hauses war auch im Uebrigen unversehrt, und der Regen, der gegen dieselbe anschlug, konnte ihr nichts anhaben. Ich ging von dem Sandplatze ueber den Huegel hinunter. Der Schnee hatte schon die Gewalt des Regens verspuert, welcher ziemlich warm war. Die weiche, sanfte und flaumige Gestalt war verloren gegangen, etwas Glattes und Eisiges hatte sich eingestellt, und hie und da standen gezackte Eistruemmer gleichsam wie zerfressen da. Das Wasser rann in Schneefurchen, die es gewaehlt hatte, nieder, und an offenen Stellen, wo es durch die loecherichte Beschaffenheit des Schnees nicht verschluckt wurde, rieselte es ueber die Graeser hinab. Ich ging, ohne auf einen Weg zu achten, durch den waesserigen Schnee fort. In der Tiefe des Tales lenkte ich gegen Osten. Ich ging eine Strecke fort, ging dort ueber die Wiesen und liess das Schauspiel auf mich wirken. Es war fast herrlich, wie der Wind, welcher den Schnee nicht mehr heben konnte, den Regen auf ihn nieder jagte, wie schon Stellen bloss lagen, wie die grauen Schleier gleichsam baenderweise nieder rollten und wie die trueben Wolken ueber dem bleichen Gefilde unbekuemmert um Menschentun und Menschenwerke dahin zogen. Ich richtete endlich in der Tiefe der Wiesen meinen Weg nordwaerts gegen den Meierhof hinauf. Als ich dort anbelangt war, erfuhr ich, dass der Herr, wie man hier meinen Gastfreund kurzweg nannte, heute auch schon da gewesen, aber bereits wieder fortgegangen sei. Er hatte Mehreres besichtigt und Mehreres angeordnet. Ich fragte, ob er heute auch barhaeuptig gewesen sei, und es wurde bejaht. Da ich den Meierhof besehen hatte und in verschiedenen Raeumen desselben herum gegangen war, sah ich erst recht, was ein wohleingerichtetes Haus sei. Der Regen fiel auf dasselbe nieder wie auf einen Stein, in den er nicht eindringen und von dem er aeusserlich nur in Jahrhunderten etwas herab waschen koenne. Keine Ritze zeigte sich fuer das Einlassen des Wassers bereit, und kein Teilchen der Bekleidung schickte sich zur Losloesung an. Im Innern wurden die Arbeiten getan wie an jedem Tage. Die Knechte reinigten Getreide mit der sogenannten Getreideputzmuehle, schaufelten es seitwaerts und massen es in Saecke, damit es auf den Schuettboden gebracht werde. Der Meier war dabei beschaeftigt, ordnete an und pruefte die Reinheit. Ein Teil der Maegde war in den Staellen beschaeftigt, ein Teil richtete auf der Futtertenne das Futter zurecht, ein Teil spann, und die Frau des Meiers ordnete in der Milchkammer. Ich sprach mit allen, und sie zeigten Freude, dass ich sogar in dieser Jahreszeit einmal gekommen sei. Von dem Meierhofe ging ich ueber den mit Obstbaeumen bepflanzten Raum gegen den Garten hinueber. Das Pfoertchen an dieser Seite war unter Tags selbst im Winter nicht gesperrt. Ich ging durch dasselbe ein und begab mich in die Wohnung des Gaertners. Dort legte ich meinen Wachsmantel, durch dessen Falten das Wasser rann, ab und setzte mich auf die reine, weisse Bank vor dem Ofen. Der alte Mann und seine Frau empfingen mich recht freundlich. In ihrem ganzen Wesen war etwas sehr Aufrichtiges. Seit geraumer Zeit war bei diesen alten Leuten beinahe etwas Elternhaftes gegen mich gewesen. Die Gaertnersfrau Clara sah mich immer wieder gleichsam verstohlen von der Seite an. Wahrscheinlich dachte sie an Natalien. Der alte Simon fragte mich, ob ich denn nicht in die Gewaechshaeuser gehen und die Pflanzen auch im Winter besehen wolle. Das sei ausser dem Besuche, den ich ihm und seiner Gattin machen wollte, meine Nebenabsicht gewesen, erwiderte ich. Er nahm einen anderen Rock um und geleitete mich in die Gewaechshaeuser, welche an seine Wohnung stiessen. Ich nahm wirklich grossen Anteil an den Pflanzen selber, da ich mich ja in frueherer Zeit viel mit Pflanzen beschaeftigt hatte, und nahm Anteil an dem Zustande derselben. Wir gingen in alle Raeume des nicht unbetraechtlich grossen Kalthauses und begaben uns dann in das Warmhaus. Nicht bloss, dass ich die Pflanzen nach meiner Absicht betrachtete, nahm ich mir auch die Zeit, freundlich anzuhoeren, was mein Begleiter ueber die einzelnen sagte, und hoerte zu, wie er sich ueber Lieblinge ziemlich weit verbreitete. Diese Hingabe an seine Rede und die Teilnahme an seinen Pfleglingen, die ich ihm stets bewiesen hatte, mochten nebst dem Anteile, den er mir an der Erwerbung des Cereus peruvianus zuschrieb, Ursache sein, dass er eine gewisse Anhaenglichkeit gegen mich hegte. Als wir an dem Ausgange der Gewaechshaeuser waren, welcher seiner Wohnung entgegengesetzt lag, fragte er mich, ob ich auch in das Cactushaus gehen wolle, er werde zu diesem Behufe, da wir einen freien Raum zu ueberschreiten haetten, meinen Wachsmantel holen. Ich sagte ihm aber, dass dies nicht noetig sei, da er ja auch ohne Schutz herueber gehe, dass mein Gastfreund heute schon barhaeuptig in dem Meierhofe gewesen sei, und dass es mir nicht schaden werde, wenn ich auch einmal eine kurze Strecke im Regen ohne Kopfbedeckung gehe. "Ja der Herr, der ist Alles gewohnt", antwortete er. "Ich bin zwar nicht Alles, aber Vieles gewohnt", erwiderte ich, "und wir gehen schon so hinueber." Er liess sich von seinem Vorhaben endlich abbringen, und wir gingen in das Cactushaus. Er zeigte mir alle Gewaechse dieser Art, besonders den Peruvianus, welcher wirklich eine prachtvolle Pflanze geworden war, er verbreitete sich ueber die Behandlung dieser Gewaechse waehrend des Winters, sagte, dass mancher schon im Hornung blueht, dass nicht alle eine gewisse Kaelte vertragen, sondern in der waermeren Abteilung des Hauses stehen muessen, besonders verlangen dieses viele Cereusarten, und er ging dann auf die Einrichtung des Hauses selbst ueber und hob es als eine Vorzueglichkeit heraus, dass der Herr fuer jene Stellen, an denen die Glaeser ueber einander liegen, ein so treffliches Bindemittel gefunden habe, durch welches das Hereinziehen des Wassers an den uebereinandergelegten Stellen des Glases unmoeglich sei und das diesen Pflanzen so nachteilige Herabfallen von Wassertropfen vermieden werde. Dadurch kann es auch allein geschehen, dass an Regentagen und an Tagen, an welchen Schnee schmilzt, das Haus nicht mit Brettern gedeckt werden muesse, was finster macht und den Pflanzen schaedlich ist. Ich koenne das ja heute sehen, wie bei einem Regen so heftiger Art nicht ein Troepflein herein dringen kann oder vom Winde hereingeschlagen wird. Bretter wuerden ueberhaupt ueber dieses Haus nicht gelegt. Gegen den Hagel sei es durch dickes Glas und den Panzer geschuetzt, und wenn kalte Naechte zu erwarten sind, werde eine Strohdecke angewendet, und der Schnee werde durch Besen entfernt. Mir war wirklich der Umstand merkwuerdig und wichtig, dass hier kein Herabtropfen von dem Glasdache statt finde, was meinem Vater so unangenehm ist. Ich nahm mir vor, meinen Gastfreund um Eroeffnung des Verfahrens zu ersuchen, um dasselbe dem Vater mitzuteilen. Als wir auf dem Rueckwege durch die anderen Gewaechshaeuser gingen, sah ich, dass auch hier kein Herabtropfen vorhanden sei, und mein Begleiter bestaetigte es. Da ich noch ein Weilchen in der Wohnung der Gaertnerleute geblieben war und mit der Gaertnerfrau gesprochen hatte, machte ich Anstalt zum Heimwege. Die Gaertnerfrau hatte meinen Wachsmantel in der Zeit, in der ich mit ihrem Manne in den Gewaechshaeusern gewesen war, an seiner Aussenflaeche von allem Wasser befreit und ihn ueberhaupt handlich und angenehm hergerichtet. Ich dankte ihr, sagte, dass er wohl bald wieder verknittert sein wuerde, empfahl mich freundlich, nahm die anderseitigen freundlichen Empfehlungen in Empfang und ging dann in meine Zimmer. Dort kleidete ich mich sorgfaeltig um und ging dann zu meinem Gastfreunde. Er war eben mit Gustav beschaeftigt, der ihm Rechenschaft von seinen Morgenarbeiten ablegte. Ich fragte, ob es mir erlaubt waere, in das Bildergemach oder in aehnliche zu gehen. "Das Lesezimmer und das Bilderzimmer so wie das mit den Kupferstichen sind ordnungsgemaess geheizt", antwortete mein Gastfreund, "der Buechersaal, der Marmorsaal und die Marmortreppe werden leidlich warm sein. Verschlossen ist keiner der Raeume. Bedient euch derselben, wie ihr es zu Hause tun wuerdet." Ich dankte und entfernte mich. Nach meiner Kenntnis der Tageinteilung wusste ich, dass er seine Beschaeftigung mit Gustav fortsetzte. Ich ging zuerst auf die Marmortreppe. Ich suchte sie von oben zu gewinnen. Als ich von dem gemeinschaftlichen Gange in den oberen Teil des Marmorganges eingetreten war, zog ich, wie es hier vorgeschrieben war, Filzschuhe, welche immer in Bereitschaft standen, an und ging die glatte, schoene Treppe hinunter. Als ich in die Mitte derselben gekommen war, wo sich der breite Absatz befindet, hielt ich an; denn das war das Ziel meiner Wanderung gewesen. Ich wollte die altertuemliche Marmorgestalt betrachten. Selbst heute in dem bleiernen Lichte, das durch die Glaswoelbung, welche noch dazu durch das auf ihr rinnende Wasser getruebt war, gleichsam traege nieder fiel, war die Erscheinung eine gewaltige und erhebende. Die hehre Jungfrau, sonst immer sanft und hoch, stand heute in den fluessigen Schleiern des dumpferen Lichtes zwar trueb, aber mild da, und der Ernst des Tages legte sich auch als Ernst auf ihre unaussprechlich anmutigen Glieder. Ich sah die Gestalt lange an, sie war mir, wie bei jedem erneuerten Anblicke, wieder neu. Wie sehr mir auch die blendend weisse Gestalt der Brunnennymphe im Sternenhofe nach der juengsten Vergangenheit als liebes Bild in die Seele gepraegt worden war, so war sie doch ein Bild aus unserer Zeit und war mit unseren Kraeften zu fassen: hier stand das Altertum in seiner Groesse und Herrlichkeit. Was ist der Mensch, und wie hoch wird er, wenn er in solcher Umgebung, und zwar in solcher Umgebung von groesserer Fuelle weilen darf! Ich ging langsam die Treppe wieder hinan und ging in den Marmorsaal. Seine Groesse, seine Leerheit, der, wenn ein solches Wort erlaubt ist, dunkle Glanz, der von dem dunkeln und mit ungewissen und zweideutigen Lichtern wechselnden Tage auf seinen Waenden lag und wechselte, liess sich nach dem Anblicke der Gestalt des Altertums tragen und ertragen. Ja, der Saal erschien mir in dem finstern Tage noch groesser und ernster als sonst, und ich weilte gerne in ihm, fast so gerne wie an jenem Abende, an welchem ich mit meinem Gastfreunde unter dem sanften Blitzen eines Gewitterhimmels in ihm auf und ab gegangen war. Ich ging auch jetzt wieder in demselben hin und wider und liess den Sturm draussen mit seinen trueben Lichtern, die Waende hier innen mit ihrem matten Glanze und die Erinnerung der eben gesehenen Gestalt in mir wirken. Nach einer Zeit trat ich durch die Tuer, welche in das Bilderzimmer fuehrt. Die Bilder hingen in dem duesteren Glanze des Tages da und konnten selbst dort, wo der Kuenstler die kraftvollsten Mittel des Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur vollen Wirksamkeit gelangen, weil das, was die Bilder erst recht malen hilft, fehlte, die Macht eines sonnigen und heiteren Tages. Selbst als ich zu einigen, die ich besonders liebte, naeher getreten war, selbst als ich vor einem Guido, der auf der Staffelei stand, die nahe an das Fenster und in das beste Licht gerueckt worden war, niedersass, um ihn zu betrachten, konnte die Empfindung, die sonst diese Werke in mir erregten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ursache, welche darin bestand, dass ohnehin eine viel hoehere in meinem Gemuete wartete, welche durch die Gestalt des Altertums in mir hervorgerufen worden war. Die Gemaelde erschienen mir beinahe klein. Ich ging in das Buecherzimmer, nahm mir Odysseus aus seinem Schreine, begab mich in das Lesezimmer, in welchem die gesellige Flamme, die Freundin des Menschen, die ihm in der Finsternis Licht und im Winter des Nordens Waerme gibt, hinter dem feinen Gitter eines Kamines freundlich loderte, und in welchem alles auf das Reinlichste geordnet war, setzte mich in einiger Entfernung von dem Fenster in einen weichen Sitz und begann unter dem Prasseln des Regens an den Fenstern von der ersten Zeile an zu lesen. Die fremden Worte, die als lebendig gesprochen einer fernen Zeit angehoerten, die Gestalten, welche durch diese Worte in unsere Zeit mit all ihrer ihnen einstens angehoerigen Eigentuemlichkeit heraufgefuehrt wurden, schlossen sich an die Jungfrau an, welche ich auf der Treppe hatte stehen gesehen. Als Nausikae kam, war es mir wieder, wie es mir bei der ersten richtigen Betrachtung der Marmorgestalt gewesen war, die Gewaender des harten Stoffes loeseten sich zu leichter Milde, die Glieder bewegten sich, das Angesicht erhielt wandelbares Leben, und die Gestalt trat als Nausikae zu mir. Es war auch die Erinnerung jenes Abends gewesen, die heute meine Hand, als ich von der Treppe in den Marmorsaal und in das Bilderzimmer herauf gekommen war und in diesen keine Befriedigung gefunden hatte, zu den Worten Homers im Odysseus greifen liess. Als die Helden das Mahl in dem Saale genossen hatten, als der Saenger gerufen worden war, als die Worte jenes Liedes vernommen worden waren, dessen Ruhm damals bis zu dem Himmel reichte, als Odysseus das Haupt verhuellt hatte, damit man die Traenen nicht saehe, welche ihm aus den Augen flossen, als endlich Nausikae schlicht und mit tiefem Gefuehle an den Saeulen der Pforte des Saales stand: da gesellte sich auch laechelnd das schoene Bild Nataliens zu mir; sie war die Nausikae von jetzt, so wahr, so einfach, nicht prunkend mit ihrem Gefuehle und es nicht verhehlend. Beide Gestalten verschmolzen in einander, und ich las und dachte zugleich, und bald las ich und bald dachte ich, und als ich endlich sehr lange bloss allein gedacht hatte, nahm ich das Buch, das vor mir auf dem Tische lag, wieder auf, trug es in das Buecherzimmer auf seinen Platz und ging durch den Marmorsaal und den Gang der Gastzimmer in meine Wohnung zurueck. Das Werk des Vormittages war abgetan. Am Mittagtische fanden sich wieder dieselben Personen ein, welche bei dem Fruehmahle versammelt gewesen waren. Nach dem Genusse eines einfachen, aber fuer Gedeihen und Gesundheit sehr wohl zubereiteten Mahles, wie es immer in dem Rosenhause sein musste, nach manchem freundlichen und erheiternden Gespraeche stand man auf, um wieder zu seinen Geschaeften zu gehen, die jedem ernst und wichtig genug waren, mochten sie nun im Erwerben von Kenntnissen bestehen, wie fast ausschliesslich bei Gustav, oder mochten sie im Vorwaertsdringen in der Kunst oder auf wissenschaftlichem Felde oder in einer richtigeren Gestaltung der eigenen Lebenslage enthalten sein. Fuer den heutigen Nachmittag war ein besonderes Geschaeft vorbehalten worden, zu welchem auch Roland kommen und deshalb seine heutige Arbeit an seinem Bilde abbrechen musste. Es war eine Sammlung von Kupferstichen eingelangt, welche zum Kaufe angeboten waren, und deren Besichtigung man auf den heutigen Nachmittag anberaumt hatte. Mein Gastfreund lud mich zu der Sache ein. Die Kupferstiche lagen in zwei Mappen in dem Zimmer meines Gastfreundes. Wir gingen ueber die Treppe, die fuer die Dienerschaft bestimmt war, in sein Zimmer empor und rueckten den Tisch, auf welchem die Mappen lagen, naeher an ein Fenster, damit wir die Blaetter besser betrachten konnten. Die Mappen wurden geoeffnet, und bald sah man, dass der Sammler der in denselben enthaltenen Stuecke kein Mann gewesen sei, der von der Tiefe der Kunst, von ihrem Ernste und von ihrer Bedeutung fuer das menschliche Leben eine Vorstellung gehabt habe. Er war eben ein Sammler gewoehnlicher Art gewesen, der die Menge und die Mannigfaltigkeit der Stuecke vor Augen gehabt hatte. Jetzt lag er im Grabe, und seine Erben mussten weder fuer die Verhaeltnisse der Kunst zum menschlichen Leben noch fuer Sammeln von was immer fuer einer Art einen Sinn gehabt haben, daher sie alle Hefte meinem Gastfreunde, von dem sie gehoert hatten, dass er solche Merkwuerdigkeiten suche, zum Verkaufe anboten. Neben ganz wertlosen Erzeugnissen des Grabstichels nach heutiger unbedeutender Weise, wie sie in Buechern und Bilderwerken zum Behufe des Gelderwerbes vorkommen, neben Steinzeichnungen mit der Feder und der Kreide befanden sich auch bessere Werke von jetzt und besonders einige Stuecke aus aelterer Zeit von grossem Werte. Mein Gastfreund und seine zwei Gehilfen sprachen bei dieser Gelegenheit Manches ueber Kupferstiche, was mir neu war und woran ich die Bedeutung dieses Kunstzweiges mehr kennen lernte, als ich sie frueher kannte. Da er die Uebersetzung der Werke der grossen Meister aller Zeiten vermitteln kann, da er ein Bild, das nur einmal da ist, das fuer viele Menschen an fernen und ihnen nie erreichbaren Orten sich befindet, oder das als Eigentum eines einzelnen Mannes nicht einmal allen denen, die denselben Ort mit ihm bewohnen, zugaenglich ist, vervielfaeltiget und zur Anschauung in viele Orte und in ferne Zeiten bringen kann, so sollte man ihm wohl die groesste Aufmerksamkeit schenken. Wenn er nicht einer gewissen, zu bestimmten Zeiten in Schwung kommenden Art huldigt, sondern strebt, die Seele des Meisters, wie sie sich in dem Bilde darstellt, wieder zu geben, wenn er nicht bloss die Stoffe, wie sie sich in dem Bilde befinden, von der Zartheit des menschlichen Angesichtes und der menschlichen Haende angefangen durch den Glanz der Seide und die Glaette des Metalles bis zu der Rauhigkeit der Felsen und Teppiche herab, sondern auch sogar die Farben, die der Maler angewendet hat, durch verschiedene, aber immer klare, leicht gefuehrte und schoengeschwungene Linien, die niemals unbedeutend, niemals durch Absonderlichkeit auffallend sein, niemals einen blossen Fleck bilden duerfen und die er zur Bemeisterung jedes neuen Gegenstandes neu erfinden kann, darstellt: dann kann er zwar nicht der Malerei in ihren Wirkungen an die Seite gesetzt werden, die sie auf ihre Beschauer geradehin ausuebt, aber er kann ihr an Kunstwirkung ueberhaupt als ebenbuertig erkannt werden, weil er auf eine groessere Zahl von Menschen wirkt und bei denen, welche die nachgeahmten Gemaelde nicht sehen koennen, eine desto tiefere und vollere Kunstwirkung hervorbringt, je tiefer und edler er selber ist. Dies habe ich bei meinem Gastfreunde in der Zeit, als ich mit ihm in Verbindung war, immer mehr kennen gelernt, und dies ist mir wieder besonders klar geworden, als die Kupferstiche durchgesehen wurden und als man ueber ihren Wert und ueber Mittel, Wege und Wirkung der Kupferstecherkunst ueberhaupt sprach. Es wurde, da man die Einzelheiten der guten Blaetter genau untersucht und ihre Vorzuege und ihre Maengel sorglich besprochen hatte, festgesetzt, dass man der guten Stuecke willen die ganze Sammlung kaufen wolle, wenn ihr Preis einen gewissen Betrag, den man anbot und den man gerechter und billiger Weise geben konnte, nicht ueberstiege. Die schlechten Blaetter wollte man dann vernichten, weil sie durch ihr Dasein eine gute Wirkung nicht nur nicht hervorbringen, sondern das Gefuehl dessen, der nichts Besseres sieht, statt es zu heben, in eine rohere und verbildetere Richtung lenken, als es naehme, wenn ihm nichts als die Gegenstaende der Natur geboten wuerden. Den Geist des Menschen, sagten die Maenner, verunreinigte falsche Kunst mehr als die Unberuehrtheit von jeder Kunst. Da es daemmerte, wurden die Kupferstiche in ihre Behaeltnisse getan, der Tisch wurde wieder an seine Stelle gerueckt, und wir trennten uns. Der Sturm hatte eher zu als ab genommen, und der Regen schlug in Stroemen an die Fenster. Abends waren wir wieder in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes vereinigt, nur Gustav fehlte, weil er sich in seinem Zimmer noch mit seiner Tagesaufgabe beschaeftigte. Ehe wir zu dem Abendessen gingen, zeichnete mein Gastfreund noch den Stand der naturwissenschaftlichen Geraete, welche sich auf Luftdruck, Feuchtigkeit, Waerme, Electricitaet und dergleichen bezogen, in seine Buecher, und dann ging er durch das ganze Haus und besah den Verhalt der Dinge in demselben, die gefoerderten Arbeiten der Hausleute, ihr jetziges Tun und den allfaelligen Einfluss des heutigen stuermischen Wetters. Bei dem Abendessen wurde, nachdem man die Nahrungsbeduerfnisse in kurzer Zeit gestillt und heitere Gespraeche gefuehrt hatte, noch aus einem Buche vorgelesen, das damal neu war. Es betraf groesstenteils die Geschichte des Seidenbaues und der Seidenweberei, und besonders wurde der Abschnitt behandelt, wie dieses Gewerbe aus dem fernsten Morgenlande nach Syrien, nach Arabien, Egypten, Byzanz, dem Peloponnes, nach Sicilien, Spanien, Italien und Frankreich gekommen sei. Mein Gastfreund behauptete, dass in der Anfertigung von jenen Prachtstoffen, die aus Seide und Gold oder Silber bestanden, was die Feinheit und Zartheit des Gewebes, was dessen Weichheit, verbunden mit mildem Glanze, gegen den die heutigen Stoffe dieser Art, in ihrer Steifheit und in ihrem harten Schimmer stark abstehen, und was endlich den Schwung, die feine Zierlichkeit und die reiche Einbildungskraft in den Zeichnungen betrifft, die Zeit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts den spaeteren Zeiten und besonders der unsrigen weit vorzuziehen sei. Er habe zu spaet angefangen, diesem Zweige des Altertumes, der beinahe ein Zweig der Kunst sei, seine Aufmerksamkeit zu widmen. Eine Sammlung solcher Stoffe muesste merkwuerdig sein, er koenne aber keine mehr anlegen, da sie Reisen durch ganz Europa, ja durch nicht unbedeutende Teile von Asien und Afrika voraussetze und wahrscheinlich die Kraefte eines einzelnen Mannes ueberschreite. Gesellschaften oder der Staat koennten solche Sammlungen zur Vergleichung, zur Belehrung, ja zur Bereicherung der Geschichte selber zu Stande bringen. In reichen Abteien, in den Kleiderschreinen alter beruehmter Kirchen, in Schatzkammern und andern Behaeltnissen koeniglicher Burgen und groesserer Schloesser duerfte sich Vieles finden, was dort zu entbehren waere und in einer Sammlung Sprache und Bedeutung gewaenne. Wie viel muesste nach den Kreuzzuegen aus dem Morgenlande nach Europa gekommen sein, da selbst einfache Ritter mit dort gewonnener Beute an Gold und kostbaren Stoffen in die Heimat zurueckgekehrt seien und sich Prunk ausser bei kirchlichen Feierlichkeiten, Kroenungen, Aufzuegen, Kampfspielen auch im gewoehnlichen Verkehre mehr eingefunden hatte, als er frueher gewesen war. Wie muesste dieser Zweig auch ein Licht auf die mit seinem Bluehen ganz gleich laufende Zeit werfen, in welcher jene merkwuerdigen Kirchen gebaut wurden, deren erhabene Ueberbleibsel noch heute unsere Bewunderung erregen, wie muesste er auch eine Beziehung eroeffnen zur Verzierungskunst jener Zeit in Steinmetzarbeit, in Elfenbein- und Holzschnitzerei, ja zum Beginne der spaeter bluehenden grossen Malerschulen in dem Norden und Sueden Europas, und wie muesste er sogar auf Gedanken ueber Anschauungsweise der Voelker, ihre Verbindungen und ihre Handelswege leiten. Tun das ja auch Muenzen, tun es Siegel und andere, diesen untergeordnete Dinge. Roland sagte, er wolle nun solche Stoffe zu sammeln suchen. Wir gingen an jenem Abende spaeter auseinander als gewoehnlich. Am anderen Morgen, als ich aufgestanden war und das beginnende Licht einen Ausblick durch die Fenster gestattete, sah ich frischen Schnee ueber alle Gefilde ausgebreitet, und in dichten Flocken, die um das Glas der Fenster spielten, fiel er noch immer von dem Himmel herunter. Der Wind hatte etwas nachgelassen, die Kaelte musste gestiegen sein. Wir machten an diesem Tage alle zusammen einen ziemlich grossen Spaziergang. Im Garten wurde herumgegangen, ob etwas zu richten sei, die Gewaechshaeuser wurden besucht, in dem Meierhofe wurde nachgesehen und Abends wurde in dem Buche, welches von der Seidenweberei handelte, weiter gelesen. Der Schneefall hatte bis in die Daemmerung gedauert, dann kamen heitere Stellen an dem Himmel zum Vorscheine. Wie diese zwei Tage vergangen waren, so vergingen nun mehrere, und mein Gastfreund begann nicht, seine Mitteilungen, welche er versprochen hatte, zu machen. Wir hatten ausser der Zeit, die jeder in seiner Wohnung bei seinen Arbeiten zubrachte, manche Gaenge durch die Gegend gemacht, was um so angenehmer war, als nach den stuermischen Tagen bei meiner Ankunft sich heiteres, stilles und kaltes Wetter eingestellt hatte. Ich war zu mancher Zeit in der Gesellschaft meines Gastfreundes, ich sah ihm zu, wenn er seine Voegel vor dem Fenster fuetterte oder wenn er fuer Ernaehrung der Hasen ausserhalb der Grenze seines Gartens sorgte, was des tiefen Schnees willen, der gefallen war, doppelt notwendig wurde, wir hatten weitere Fahrten in dem Schlitten gemacht, um Nachbarn zu besuchen, Manches zu besprechen oder die freie Luft und die Bewegung zu geniessen, einmal war ich mit meinem Gastfreunde zu einer Bruecke gefahren, die er mit mehreren Maennern beschauen sollte, weil man vorhatte, sie im Fruehlinge neu zu bauen - man hatte meinen Gastfreund nicht verschont und ihn mit Gemeindeaemtern betraut -, mehrere Male waren wir in verschiedenen Teilen der Waelder gewesen, um bei dem Faellen der Hoelzer nachzusehen, welche zum Bauen und zur Verarbeitung in dem Schreinerhause verwendet werden sollten, welche Faellung in dieser Jahreszeit vor sich gehen musste; wir waren auch einmal im Inghofe gewesen und hatten die dortigen Gewaechshaeuser besehen. Der Hausverwalter und der Gaertner hatten uns bereitwillig und freundlich herum gefuehrt. Der Herr des Besitztums war mit seiner Familie in der Stadt. Eines Tages kam mein Gastfreund in meine Wohnung, was er oefter tat, teils um mich zu besuchen, teils um nach zu sehen, ob es mir nicht an etwas Notwendigem gebreche. Nachdem das Gespraech ueber verschiedene Dinge eine Weile gedauert hatte, sagte er: "Ihr werdet wohl wissen, dass ich der Freiherr von Risach bin." "Lange wusste ich es nicht", antwortete ich, "jetzt weiss ich es schon eine geraume Zeit." "Habt ihr nie gefragt?" "Ich habe nach der ersten Nacht, die ich in eurem Hause zugebracht habe, einen Bauersmann gefragt, welcher mir die Antwort gab, ihr seiet der Aspermeier. An demselben Tage forschte ich auch in weiterer Entfernung, ohne etwas Genaues zu erfahren. Spaeter habe ich nie mehr gefragt." "Und warum habt ihr denn nie gefragt?" "Ihr habt euch mir nicht genannt; daraus schloss ich, dass ihr nicht fuer noetig hieltet, mir euren Namen zu sagen, und daraus zog ich fuer mich die Massregel, dass ich euch nicht fragen duerfe, und wenn ich euch nicht fragen durfte, durfte ich es auch einen andern nicht." "Man nennt mich hier in der ganzen Gegend den Asperherrn", antwortete er, "weil es bei uns gebraeuchlich ist, den Besitzer eines Gutes nach dem Gute, nicht nach seiner Familie zu benennen. Jener Name erbt in Hinsicht aller Besitzer bei dem Volke fort, dieser aendert sich bei einer Aenderung des Besitzstandes, und da musste das Volk stets wieder einen neuen Namen erlernen, wozu es viel zu beharrend ist. Einige Landleute nennen mich auch den Aspermeier, wie mein Vorgaenger geheissen hat." "Ich habe einmal zufaellig euren richtigen Namen nennen gehoert", sagte ich. "Ihr werdet dann auch wissen, dass ich in Staatsdiensten gestanden bin", erwiderte er. "Ich weiss es", sagte ich. "Ich war fuer dieselben nicht geeignet", antwortete er. "Dann sagt ihr etwas, dem alle Leute, die ich bisher ueber euch gehoert habe, widersprechen. Sie loben eure Staatslaufbahn insgesammt", erwiderte ich. "Sie sehen vielleicht auf einige einzelne Ergebnisse", antwortete er, "aber sie wissen nicht, mit welchem Ungemache des Entstehens diese aus meinem Herzen gekommen sind. Sie koennen auch nicht wissen, wie die Ergebnisse geworden waeren, wenn ein Anderer von gleicher Begabung, aber von groesserer Gemuetseignung fuer den Staatsdienst, oder wenn gar einer von auch noch groesserer Begabung sie gefoerdert haette." "Das kann man von jedem Dinge sagen", erwiderte ich. "Man kann es", antwortete er, "dann soll man aber das, was nicht gerade misslungen ist, auch nicht sogleich loben. Hoert mich an. Der Staatsdienst oder der Dienst des allgemeinen Wesens ueberhaupt, wie er sich bis heute entwickelt hat, umfasst eine grosse Zahl von Personen. Zu diesem Dienste wird auch von den Gesetzen eine gewisse Ausbildung und ein gewisser Stufengang in Erlangung dieser Ausbildung gefordert und muss gefordert werden. Je nachdem nun die Hoffnung vorhanden ist, dass einer nach Vollendung der geforderten Ausbildung und ihres Stufenganges sogleich im Staatsdienste Beschaeftigung finden und dass er in einer entsprechenden Zeit in jene hoeheren Stellen empor ruecken werde, welche einer Familie einen anstaendigen Unterhalt gewaehren, widmen sich mehr oder wenigere Juenglinge der Staatslaufbahn. Aus der Zahl derer, welche mit gutem Erfolge den vorgeschriebenen Bildungsweg zurueckgelegt haben, waehlt der Staat seine Diener und muss sie im Ganzen daraus waehlen. Es ist wohl kein Zweifel, dass auch ausserhalb dieses Kreises Maenner von Begabung fuer den Staatsdienst sind, von grosser Begabung, ja von ausserordentlicher Begabung; aber der Staat kann sie, jene ungewoehnlichen Faelle abgerechnet, wo ihre Begabung durch besondere Zufaelle zur Erscheinung gelangt und mit dem Staate in Wechselwirkung geraet, nicht waehlen, weil er sie nicht kennt und weil das Waehlen ohne naehere Kenntnis und ohne die vorliegende Gewaehr der erlangten vorgeschriebenen Ausbildung Gefahr drohte und Verwirrung und Missleitung in die Geschaefte bringen koennte. Wie nun diejenigen, welche die Vorbereitungsjahre zurueckgelegt haben, beschaffen sind, so muss sie der Staat nehmen. Oft sind selbst grosse Begabungen in groesserer Zahl darunter, oft sind sie in geringerer, oft ist im Durchschnitte nur Gewoehnlichkeit vorhanden. Auf diese Beschaffenheit seines Personenstoffes musste nun der Staat die Einrichtung seines Dienstes gruenden. Der Sachstoff dieses Dienstes musste eine Fassung bekommen, die es moeglich macht, dass die zur Erreichung des Staatszweckes noetigen Geschaefte fortgehen und keinen Abbruch und keine wesentliche Schwaechung erleiden, wenn bessere oder geringere einzelne Kraefte abwechselnd auf die einzelnen Stellen gelangen, in denen sie taetig sind. Ich koennte ein Beispiel gebrauchen und sagen, jene Uhr waere die vortrefflichste, welche so gebaut waere, dass sie richtig ginge, wenn auch ihre Teile veraendert wuerden, schlechtere an die Stelle besserer, bessere an die Stelle schlechterer kaemen. Aber eine solche Uhr duerfte kaum moeglich sein. Der Staatsdienst musste sich aber so moeglich machen oder sich nach der Entwicklung, die er heute erlangt hat, aufgeben. Es ist nun einleuchtend, dass die Fassung des Dienstes eine strenge sein muss, dass es nicht erlaubt sein koenne, dass ein Einzelner den Dienstesinhalt in einer andern Fassung als in der vorgeschriebenen anstrebe, ja dass sogar mit Ruecksicht auf die Zusammenhaltung des Ganzen ein Einzelnes minder gut verrichtet werden muss, als man es, von seinem Standpunkte allein betrachtet, tun koennte. Die Eignung zum Staatsdienste von Seite des Gemuetes, abgesehen von den andern Faehigkeiten, besteht nun auch in wesentlichen Teilen darin, dass man entweder das Einzelne mit Eifer zu tun im Stande ist, ohne dessen Zusammenhang mit dem grossen Ganzen zu kennen, oder dass man Scharfsinn genug hat, den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen zum Wohle und Zwecke des Allgemeinen einzusehen und dass man dann dieses Einzelne mit Lust und Begeisterung vollfuehrt. Das letztere tut der eigentliche Staatsmann, das erste der sogenannte gute Staatsdiener. Ich war keins von beiden. Ich hatte von Kindheit an, freilich ohne es damals oder in den Jugendjahren zu wissen, zwei Eigenschaften, die dem Gesagten geradezu entgegen standen. Ich war erstens gerne der Herr meiner Handlungen. Ich entwarf gerne das Bild dessen, was ich tun sollte, selbst und vollfuehrte es auch gerne mit meiner alleinigen Kraft. Daraus folgte, dass ich schon als Kind, wie meine Mutter erzaehlte, eine Speise, ein Spielzeug und dergleichen lieber nahm als mir geben liess, dass ich gegen Hilfe widerspenstig war, dass man mich als Knaben und Juengling ungehorsam und eigensinnig nannte, und dass man in meinen Maennerjahren mir Starrsinn vorwarf. Das hinderte aber nicht, dass ich dort, wo mir ein Fremdes durch Gruende und hohe Triebfedern unterstuetzt gegeben wurde, dasselbe als mein Eigenes aufnahm und mit der tiefsten Begeisterung durchfuehrte. Das habe ich einmal in meinem Leben gegen meine staerkste Neigung, die ich hatte, getan, um der Ehre und der Pflicht zu genuegen. Ich werde es euch spaeter erzaehlen. Daraus folgt, dass ich eigensinnig in der Bedeutung des Wortes, wie man es gewoehnlich nimmt, nicht gewesen bin und es auch im Alter, in dem man ueberhaupt immer milder wird, gewiss nicht bin. Eine zweite Eigenschaft von mir war, dass ich sehr gerne die Erfolge meiner Handlungen abgesondert von jedem Fremdartigen vor mir haben wollte, um klar den Zusammenhang des Gewollten und Gewirkten ueberschauen und mein Tun fuer die Zukunft regeln zu koennen. Eine Handlung, die nur gesetzt wird, um einer Vorschrift zu genuegen oder eine Fassung zu vollenden, konnte mir Pein erregen. Daraus folgte, dass ich Taten, deren letzter Zweck ferne lag oder mir nicht deutlich war, nur laessig zu vollfuehren geneigt war, waehrend ich Handlungen, wenn ihr Ziel auch sehr schwer und nur durch viele Mittelglieder zu erreichen war, mit Eifer und Lust zu Ende fuehrte, sobald ich mir nur den Hauptzweck und die Mittelzwecke deutlich machen und mir aneignen konnte. Im ersten Falle vermochte ich es mir nur durch die Vorstellung, dass der Zweck wenn auch dunkel, doch ein hoher sei, abzuringen, dass ich mit aller Kraft an das Werk ging, wobei ich aber immer zum Eilen geneigt war, weshalb man mich auch ungeduldig schalt: im zweiten Falle gingen die Kraefte von selber an das Werk, und es wurde mit der groessten Ausdauer und mit Verwendung aller gegebenen Zeit zu Stande gebracht, weshalb man mich auch wieder hartnaeckig nannte. Ihr werdet in diesem Hause Dinge gesehen haben, aus denen euch klar geworden ist, dass ich Zwecke auch mit grosser Geduld verfolgen kann. Sonderbar ist es ueberhaupt und duerfte von groesserer Bedeutung sein, als man ahnt, dass mit dem zunehmenden Alter die Weitaussichtigkeit der Plaene waechst, man denkt an Dinge, die unabsehliche Strecken jenseits alles Lebenszieles liegen, was man in der Jugend nicht tut, und das Alter setzt mehr Baeume und baut mehr Haeuser als die Jugend. Ihr seht, dass mir zwei Hauptdinge zum Staatsdiener fehlen, das Geschick zum Gehorchen, was eine Grundbedingung jeder Gliederung von Personen und Sachen ist, und das Geschick zu einer taetigen Einreihung in ein Ganzes und kraeftiger Arbeit fuer Zwecke, die ausser dem Gesichtskreise liegen, was nicht minder eine Grundbedingung fuer jede Gliederung ist. Ich wollte immer am Grundsaetzlichen aendern und die Pfeiler verbessern, statt in einem Gegebenen nach Kraeften vorzugehen, ich wollte die Zwecke allein entwerfen und wollte jede Sache so tun, wie sie fuer sich am besten ist, ohne auf das Ganze zu sehen und ohne zu beachten, ob nicht durch mein Vorgehen anderswo eine Luecke gerissen werde, die mehr schadet als mein Erfolg nuetzt. Ich wurde, da ich noch kaum mehr als ein Knabe war, in meine Laufbahn gefuehrt, ohne dass ich sie und mich kannte, und ich ging in derselben fort, so weit ich konnte, weil ich einmal in ihr war und mich schaemte, meine Pflicht nicht zu tun. Wenn einiges Gute durch mich zu Stande kam, so ruehrt es daher, dass ich einerseits in Betrachtung meines Amtes und seiner Gebote meinen Kraeften eine moegliche Taetigkeit abrang und dass andererseits die Zeitereignisse solche Aufgaben herbei fuehrten, bei denen ich die Plaene des Handelns entwerfen und selber durchfuehren konnte. Wie tief aber mein Wesen litt, wenn ich in Arten des Handelns, die seiner Natur entgegengesetzt sind, begriffen war, das kann ich euch jetzt kaum ausdruecken, noch waere ich damals im Stande gewesen, es auszudruecken. Mir fiel in jener Zeit immer und unabweislich die Vergleichung ein, wenn etwas, das Flossen hat, fliegen, und etwas, das Fluegel hat, schwimmen muss. Ich legte deshalb in einem gewissen Lebensalter meine Aemter nieder. Wenn ihr fragt, ob es denn notwendig sei, dass sich in der Gliederung des Staatsdienstes eine so grosse Anzahl von Personen befinde, und ob man nicht einen Teil der allgemeinen Geschaefte, wie sie jetzt sind, zu besonderen Geschaeften machen und sie besonderen Koerperschaften oder Personen, die sie hauptsaechlich angehen, ueberlassen koennte, wodurch eine groessere Uebersicht in den Staatsdienst kaeme und wodurch es moeglich wuerde, dass sich hervorragende Begabungen mehr im Entwerfen und Vollfuehren von Plaenen zu allgemeinem Besten geltend machen koennten: so antworte ich: diese Frage ist allerdings eine wichtige und ihre richtige Beantwortung von der groessten Bedeutung; aber eben die richtige Beantwortung in allen ihren Einzelnheiten duerfte eine der schwersten Aufgaben sein, und ich getraue mir nicht, von mir zu behaupten, dass ich diese richtige Beantwortung zu geben im Stande waere. Auch liegt dieser Gegenstand unserem heutigen Gespraeche zu ferne, und wir koennen ein anderes Mal von ihm reden, so weit wir im Urteile ueber ihn zu kommen vermoegen. Das ist gewiss: wenn auch im gegenwaertigen Staatsdienste Veraenderungen notwendig sein sollten, und wenn die Veraenderungen in dem frueher angefuehrten Sinne vor sich gehen werden, so hat der gegenwaertige Zustand doch in den allgemeinen Umwandlungen, denen der Staat so wie jedes menschliche Ding und die Erde selbst unterworfen ist, sein Recht, er ist ein Glied der Kette und wird seinem Nachfolger so weichen, wie er selber aus seinem Vorlaeufer hervor gegangen ist. Wir haben schon vielmal ueber Lebensberuf gesprochen, und dass es so schwer ist, seine Kraefte zu einer Zeit zu kennen, in welcher man ihnen ihre Richtung vorzeichnen, das heisst, einen Lebensweg waehlen muss. Wir hatten bei unsern Gespraechen hauptsaechlich die Kunst im Auge, aber auch von jeder andern Lebensbeschaeftigung gilt dasselbe. Selten sind die Kraefte so gross, dass sie sich der Betrachtung aufdraengen und die Angehoerigen eines jungen Menschen zur Ergreifung des rechten Gegenstandes fuer ihn fuehren, oder dass sie selber mit grosser Gewalt ihren Gegenstand ergreifen. Ich hatte ausser den Eigenschaften meines Geistes, die ich euch eben darlegte, noch eine besondere, deren Wesenheit ich erst sehr spaet erkannte. Von Kindheit an hatte ich einen Trieb zur Hervorbringung von Dingen, die sinnlich wahrnehmbar sind. Blosse Beziehungen und Verhaeltnisse sowie die Abziehung von Begriffen hatten fuer mich wenig Wert, ich konnte sie in die Versammlung der Wesen meines Hauptes nicht einreihen. Da ich noch klein war, legte ich allerlei Dinge aneinander und gab dem so Entstandenen den Namen einer Ortschaft, den ich etwa zufaellig oefter gehoert hatte, oder ich bog eine Gerte, einen Blumenstengel und dergleichen zu einer Gestalt und gab ihr einen Namen, oder ich machte aus einem Fleckchen Tuch den Vetter, die Muhme; ja sogar jenen abgezogenen Begriffen und Verhaeltnissen, von denen ich sprach, gab ich Gestalten und konnte sie mir merken. So erinnere ich mich noch jetzt, dass ich als Kind oefter das Wort Kriegswerbung hoerte. Wir bekamen damals einen neuen Ahorntisch, dessen Plattenteile durch dunkelfarbige Holzkeile an einander gehalten wurden. Der Querschnitt dieser Keile kam als eine dunkle Gestalt an der Dicke der Platte quer ueber die Fuge zum Vorscheine, und diese Gestalt hiess ich die Kriegswerbung. Diese sinnliche Regung, die wohl alle Kinder haben, wurde bei mir, da ich heran wuchs, immer deutlicher und staerker. Ich hatte Freude an allem, was als Wahrnehmbares hervorgebracht wurde, an dem Keimen des ersten Graesleins, an dem Knospen der Gestraeuche, an dem Bluehen der Gewaechse, an dem ersten Reife, der ersten Schneeflocke, an dem Sausen des Windes, dem Rauschen des Regens, ja an dem Blitze und Donner, obwohl ich beide fuerchtete. Ich ging zusehen, wenn die Zimmerleute Holz aushauten, wenn eine Huette gezimmert, ein Brett angenagelt wurde. Ja, die Worte, die einen Gegenstand sinnlich vorstellbar bezeichneten, waren mir weit lieber als die, welche ihn nur allgemein angaben. So zum Beispiele traf es mich viel maechtiger, wenn jemand sagte: der Graf reitet auf dem Schecken, als: er reitet auf einem Pferde. Ich zeichnete mit einem Rotstifte Hirsche, Reiter, Hunde, Blumen, mit Vorliebe aber Staedte, von denen ich ganz wunderbare Gestalten zusammensetzte. Ich machte aus feuchtem Lehm Pallaeste, aus Holzrinde Altaere und Kirchen. Ich nenne diesen Trieb Schaffungslust. Er ist bei vielen Menschen mehr oder minder vorhanden. Eine noch groessere Zahl aber hat die Bewahrungslust, von der der Geiz eine haessliche Abart ist. Selbst in spaeteren Jahren trat diese Lust nicht zurueck. Da ich einmal an unserem schoenen Strome zu wohnen kam und im ersten Winter zum ersten Male das Treibeis sah, konnte ich mich nicht satt sehen an dem Entstehen desselben und an dem gegenseitigen Anstossen und Abreiben der mehr oder minder runden Kuchen. Selbst in den naechstfolgenden Wintern stand ich oft stundenlange an dem Ufer und sah den Eisbildungen zu, besonders der Entstehung des Standeises. Das, was Vielen so unangenehm ist, das Verlassen einer Wohnung und das Beziehen einer andern, machte mir Lust. Mich freute das Einpacken, das Auspacken und die Instandsetzung der neuen Raeume. In den Juenglingsjahren trat eine weitere Seite dieses Triebes hervor. Ich liebte nicht bloss Gestalten, sondern ich liebte schoene Gestalten. Dies war wohl auch schon in dem Kindertriebe vorhanden. Rote Farben, sternartige oder vielverschlungene Dinge sprachen mich mehr an als andere. Es kam aber diese Eigenschaft damals weniger zum Bewusstsein. Als Juengling begehrte ich die Gestalten wie sie als Koerper aus der Bildhauerei und Baukunst hervor gehen, als Flaechen, Linien und Farben aus der Malerei, als Folge der Gefuehle in der Musik, der menschlich sittlichen und der irdisch merkwuerdigen Zustaende in der Dichtkunst. Ich gab mich diesen Gestalten mit Waerme hin und verlangte Gebilde, die ihnen aehnlich sind im Leben. Felsen, Berge, Wolken, Baeume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegengesetzten verachtete ich. Menschen, menschliche Handlungen und Verhaeltnisse, die ihnen entsprachen, zogen mich an, die andern stiessen mich ab. Es war, ich erkannte es spaet, im Grunde die Wesenheit eines Kuenstlers, die sich in mir offenbarte und ihre Erfuellung heischte. Ob ich ein guter oder ein mittelmaessiger Kuenstler geworden waere, weiss ich nicht. Ein grosser aber wahrscheinlich nicht, weil dann nach allem Vermuten doch die Begabung durchgebrochen waere und ihren Gegenstand ergriffen haette. Vielleicht irre ich mich auch darin, und es war mehr bloss die Anlage des Kunstverstaendnisses, was sich offenbarte, als die der Kunstgestaltung. Wie das aber auch ist: in jedem Falle waren die Kraefte, die sich in mir regten, dem Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als foerderlich. Sie verlangten Gestalten und bewegten sich um Gestalten. So wie aber der Staat selber die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen ist, also nicht eine Gestalt, sondern eine Fassung: so beziehen sich die Ergebnisse der Arbeiten der Staatsmaenner meist auf Beziehungen und Verhaeltnisse der Staatsglieder oder der Staaten, sie liefern daher Fassungen, nicht Gestalten. So wie ich in der Kindheit oft den abgezogenen Begriffen eine Gestalt leihen musste, um sie halten zu koennen, so habe ich oft in gereiften Jahren im Staatsdienste, wenn es sich um Staatsbeziehungen, um Forderungen anderer Staaten an uns oder unseres Staates an andere handelte, mir die Staaten als einen Koerper und eine Gestalt gedacht und ihre Beziehungen dann an ihre Gestalten angeknuepft. Auch habe ich nie vermocht, die blossen eigenen Beziehungen oder den Nutzen unseres Staates allein als das hoechste Gesetz und die Richtschnur meiner Handlungen zu betrachten. Die Ehrfurcht vor den Dingen, wie sie an sich sind, war bei mir so gross, dass ich bei Verwicklungen, streitigen Anspruechen und bei der Notwendigkeit, manche Sachen zu ordnen, nicht auf unsern Nutzen sah, sondern auf das, was die Dinge nur fuer sich forderten und was ihrer Wesenheit gemaess war, damit sie das wieder werden, was sie waren, und das, was ihnen genommen wurde, erhalten, ohne welchem sie nicht sein koennen, was sie sind. Diese meine Eigenschaft hat mir manchen Kummer bereitet, sie hat mir hohen Tadel zugezogen; aber sie hat mir auch Achtung und Anerkennung eingebracht. Wenn meine Meinung angenommen und ins Werk gesetzt worden war, so hatte die neue Ordnung der Dinge, weil sie auf das Wesentliche ihrer Natur gegruendet war, Bestand, sie brachte in so ferne, weil wir vor erneuerten Unordnungen, also vor wiederholter Kraftanstrengung geschuetzt waren, unserem Staate einen groesseren Nutzen, als wenn wir frueher den einseitigen angestrebt haetten, und ich erhielt Ehrenzeichen, Lob und Befoerderung. Wenn ich in jenen Tagen der schweren Arbeit eine Ruhezeit hatte und auf einer kleinen Reise die erhabene Gestalt eines Berges sah oder eine Huegelreihe sich tuermender Wolken oder die blauen Augen eines freundlichen Landmaedchens oder den schlanken Koerper eines Juenglings auf einem schoenen Pferde - oder wenn ich auch nur in meinem Zimmer vor meinen Gemaelden stand, deren ich damals schon manche sammelte, oder vor einer kleinen Bildsaeule, so verbreitete sich eine Ruhe und ein Wohlbehagen ueber mein Inneres, als waere es in seine Ordnung gerueckt worden. Wenn ein kuenstlerisches Gestaltungsvermoegen in mir war, so war es das eines Baumeisters oder eines Bildhauers oder auch noch das eines Malers, gewiss aber nicht das eines Dichters oder gar eines Tonsetzers. Die ersteren Gegenstaende zogen mich immer mehr an, die letzteren standen mir ferner. Wenn es aber mehr eine Kunstliebe war, was sich in mir aeusserte, nicht eine Schoepfungskraft, so war es immerhin auch ein Vermoegen der Gestalten, aber nur eines, die Gestalten aufzunehmen. Wenn diese Art von Eigentuemlichkeit den Besitzer zunaechst beglueckt, wie ja jede Kraft, selbst die Schaffungskraft, zuerst ihres Besitzers willen da ist, so bezieht sie sich doch auch auf andere Menschen, wie in zweiter Hinsicht jede Kraft, selbst die eigenste eines Menschen, nicht in ihm verschlossen bleiben kann, sondern auf andere uebergeht. Es ist eine sehr falsche Behauptung, die man aber oft hoert, dass jedes grosse Kunstwerk auf seine Zeit eine grosse Wirkung hervorbringen muesse, dass ferner das Werk, welches eine grosse Wirkung hervor bringt, auch ein grosses Kunstwerk sei, und dass dort, wo bei einem Werke die Wirkung ausbleibt, von einer Kunst nicht geredet werden kann. Wenn irgend ein Teil der Menschheit, ein Volk, rein und gesund am Leibe und an der Seele ist, wenn seine Kraefte gleichmaessig entwickelt, nicht aber nach einer Seite unverhaeltnismaessig angespannt und taetig sind, so nimmt dieses Volk ein reines und wahres Kunstwerk treu und warm in sein Herz auf, wozu es keiner Gelehrsamkeit, sondern nur seiner schlichten Kraefte bedarf, die das Werk als ein ihnen Gleichartiges aufnehmen und hegen. Wenn aber die Begabungen eines Volkes, und seien sie noch so hoch, nach einer Richtung hin in weiten Raeumen voraus eilen, wenn sie gar auf blosse Sinneslust oder auf Laster gerichtet sind, so muessen die Werke, welche eine grosse Wirkung hervor bringen sollen, auf jene Richtung, in der die Kraefte vorzugsweise taetig sind, hinzielen, oder sie muessen Sinneslust und Laster darstellen. Reine Werke sind einem solchen Volke ein Fremdes, es wendet sich von ihnen. Daher ruehrt die Erscheinung, dass edle Werke der Kunst ein Zeitalter ruehren und begeistern koennen, und dass dann ein Volk koemmt, dem sie nicht mehr sprechen. Sie verhuellen ihr Haupt und harren bis andere Geschlechter an ihnen vorueber wandeln, die wieder reines Sinnes sind und zu ihnen empor blicken. Diesen laecheln sie und von diesen werden sie wieder wie heruebergerettete Heiligtuemer in Tempel gebracht. In entarteten Voelkern blueht zuweilen, aber sehr selten, ein reines Werk wie ein vereinsamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet und wird spaeter von einem Menschenforscher entdeckt, wie jener Gerechte in Sodoma. Damit aber der Dienst der Kunst leichter werde, sind in jedem Zeitalter solche, denen ein tieferer Sinn fuer Kunstwerke gegeben ward, sie sehen mit klarerem Auge in ihre Teile, nehmen sie mit Waerme und Freude in ihr Herz und uebergeben sie so ihren Mitmenschen. Wenn man die Erschaffenden Goetter nennt, so sind jene die Priester dieser Goetter. Sie verzoegern den Schritt des Unheiles, wenn der Kunstdienst zu verfallen beginnt, und sie tragen, wenn es nach der Finsternis wieder hell werden soll, die Leuchte voran. Wenn ich nun ein solcher war, wenn ich bestimmt war, durch Anschauung hoher Gestalten der Kunst und der Schoepfung, die mir ja immer mit freundlichen Augen zugewinkt haben, Freude in mein Herz zu sammeln, und Freude, Erkenntnis und Verehrung der Gestalten auf meine Mitmenschen zu uebertragen, so war mir meine Staatslaufbahn in diesem Berufe wieder sehr hinderlich, und duerftige Spaetblueten koennen den Sommer, dessen kraeftige Luefte und warme Sonne unbenutzt vorueber gingen, nicht ersetzen. Es ist traurig, dass man sich nicht so leicht den Weg, der der vorzueglichste in jedem Leben sein soll, waehlen kann. Ich wiederhole, was wir oft gesagt haben und womit euer ehrwuerdiger Vater auch uebereinstimmt, dass der Mensch seinen Lebensweg seiner selbst willen zur vollstaendigen Erfuellung seiner Kraefte waehlen soll. Dadurch dient er auch dem Ganzen am Besten, wie er nur immer dienen kann. Es waere die schwerste Suende, seinen Weg nur ausschliesslich dazu zu waehlen, wie man sich so oft ausdrueckt, der Menschheit nuetzlich zu werden. Man gaebe sich selber auf und muesste in den meisten Faellen im eigentlichen Sinne sein Pfund vergraben. Aber was ist es mit der Wahl? Unsere gesellschaftlichen Verhaeltnisse sind so geworden, dass zur Befriedigung unserer stofflichen Beduerfniese ein sehr grosser Aufwand gehoert. Daher werden junge Leute, ehe sie sich selber bewusst werden, in Laufbahnen gebracht, die ihnen den Erwerb dessen, was sie zur Befriedigung der angefuehrten Beduerfnisse brauchen, sichern. Von einem Berufe ist da nicht die Rede. Das ist schlimm, sehr schlimm, und die Menschheit wird dadurch immer mehr eine Herde. Wo noch eine Wahl moeglich ist, weil man nicht nach sogenanntem Broderwerbe auszugehen braucht, dort sollte man sich seiner Kraefte sehr klar bewusst werden, ehe man ihnen den Wirkungskreis zuteilt. Aber muss man nicht in der Jugend waehlen, weil es sonst zu spaet ist? Und kann man sich in der Jugend immer seiner Kraft bewusst werden? Es ist schwierig, und moegen, die beteiligt sind, darueber wachen, dass weniger leichtsinnig verfahren werde. Lasset uns ueber diesen Gegenstand abbrechen. Ich wollte euch das, was ich gesagt habe, sagen, ehe ich euch erzaehle, wie ich mit den Angehoerigen eurer kuenftigen Braut zusammenhaenge. Ich sagte es euch, damit ihr ungefaehr den Stand beurteilen koennt, auf dem ich nun stehe. Wir wollen zur Fortsetzung eine andere Zeit bestimmen." Nach diesen Worten ging das Gespraech auf andere Gegenstaende ueber, wir machten dann auch einen Spaziergang, dem sich auch Gustav zugesellte. Der Rueckblick Ohne dass ich eine naehere oder entferntere Aufforderung oder Bitte gemacht haette, fuhr mein Gastfreund nach Verlauf eines Tages in seinen Mitteilungen fort. Er hatte gefragt, ob er eine Zeit in meinem Zimmer zubringen duerfe, und ich hatte es begreiflicher Weise bejaht. Wir sassen an einem angenehmen und stillen Feuer, das von sehr grossen und dichten Buchenkloetzen unterhalten wurde, er lehnte sich in seinem Polsterstuhle zurueck und sagte: "Ich moechte, wenn es euch genehm ist, heute meine Mitteilungen an euch vollenden. Ich habe Sorge getragen, dass wir nicht gestoert werden, ihr duerft nur sagen, ob ihr mich hoeren wollt." "Ihr wisst, dass es mir nicht nur angenehm, sondern auch meine Pflicht ist", antwortete ich. "Zuerst muss ich von mir erzaehlen", begann er, "es duerfte so notwendig sein. Ich bin im Dorfe Dallkreuz in dem sogenannten Hinterwalde geboren worden. Ihr wisst, dass der Name Hinterwald nicht mehr so viel zu bedeuten hat, als er sagt. Einmal war er wie ueber die ganze Gegend, welche von unserem Strome als ein Gebilde von Huegeln nordwaerts geht, auch ueber die Gruende von Dallkreuz verbreitet. Dallkreuz war damals nicht, und sein Entstehen mochte mit dem Aufschlagen von einigen Holzarbeiterhuetten begonnen haben. Jetzt sind Felder, Wiesen und Weiden ueber das ganze Huegelland gebreitet, und einige Reste der alten Waldungen schauen ernst auf diese Gruende herab. Das Haus meines Vaters stand ausserhalb des Ortes in der Naehe einiger anderer, war aber doch frei genug, um auf Wiesen, Felder, Gaerten und im Sueden auf ein sehr schoenes blaues Waldband zu sehen. Als ich ein Knabe von zehn Jahren war, kannte ich alle Baeume und Gestraeuche der Gegend und konnte sie nennen, ich kannte die vorzueglichsten Pflanzen und Gesteine, ich kannte alle Wege, wusste, wohin sie fuehrten und war in allen benachbarten Orten schon gewesen, die sie beruehren. Ich kannte alle Hunde von Dallkreuz, wusste, welche Farben sie hatten, wie sie hiessen und wem sie gehoerten. Ich liebte die Wiesen, die Felder, die Gestraeuche, unser Haus ausserordentlich, und unsere Kirchenglocken daeuchten mir das Lieblichste und Anmutigste, was es nur auf Erden geben kann. Meine Eltern lebten in Frieden und Eintracht, ich hatte noch eine Schwester, welche meine Knabenfahrten mit mir machen musste. Zu unserem Hause, das nur ein Erdgeschoss hatte, welches aber schneeweiss war und weithin in dem Gruen leuchtete, gehoerten Wiesen, Felder und Waeldchen. Der Vater liess aber das durch Knechte verwalten, er selber trieb einen Handel mit Flachs und Linnen, der ihn auf vielfache Reisen fuehrte. Ich wurde, da ich noch ein Kind war, zu dem Erben dieser Dinge bestimmt, sollte aber vorher auf einer Lehranstalt die notwendige Ausbildung bekommen. Der Vater hatte, als dessen Eltern, die ich nur wenig gekannt hatte, gestorben waren, keine Verwandten mehr. Meine Mutter, die der Vater von ferne her geholt hatte, hatte noch einen Bruder, der aber mit ihr, weil sie als von einem wohlhabenden Hause stammend eine Verbindung unter ihrem Stande, wie er sich ausdrueckte, geschlossen hatte, zerfallen war und durch nichts versoehnt werden konnte. Wir wussten nichts von ihm, man vermied es, seiner Erwaehnung zu tun, und oft in einem ganzen Jahre wurde sein Name nicht genannt. Die Zustaende meines Vaters aber bluehten empor, und er war fast der Angesehenste in der Gegend. In dem Jahre, nach dessen Ende ich in die Lehranstalt abgehen sollte, trafen mehrere Ungluecksfaelle ein. Hagelschaden verwuestete die Felder, ein Teil des Gebaeudes brannte ab, und als das alles wieder hergestellt und in das Geleise gebracht worden war, starb der Vater eines ploetzlichen, unvorhergesehenen Todes. Ein laessiger Vormund, hinterlistige Handelsfreunde, welche zweifelhafte Forderungen stellten, und ein ungluecklicher Prozess, der daraus entsprang, brachten fuer die Mutter eine Lage herbei, in welcher sie mit Sorgen fuer unsere Zukunft zu kaempfen hatte. Sie war, da man endlich alles zur Ruhe gebracht hatte, auf das Notduerftigste beschraenkt. Ich musste im Herbste das geliebte Haus, das geliebte Tal und die geliebten Angehoerigen verlassen. Mit aermlicher Ausstattung ging ich an der Hand eines groesseren Schuelers zu Fuss den ziemlich weiten Weg in die Lehranstalt. Dort gehoerte ich zu den Duerftigsten. Aber die Mutter sandte das, was sie senden konnte, so genau und zu rechter Zeit, dass ich nie viel, aber doch das zum Bestehen Noetige hatte. Es war an der Anstalt Sitte, dass die Knaben in den hoeheren Abteilungen denen in den niedreren ausserordentlichen Unterricht erteilten und dafuer ein Entgelt bekamen. Da ich einer der besten Schueler war, so wurden mir in meinem vierten Lehrjahre schon einige Knaben zum Unterrichten zugeteilt, und ich konnte der Mutter die Auslagen fuer mich erleichtern. Nach zwei Jahren erwarb ich mir bereits so viel, dass ich meinen ganzen Unterhalt selbst bestreiten konnte. Jede Jahresferien brachte ich bei der Mutter und Schwester in dem weissen Hause zu. Von dem Antreten des Hauses als Erbschaft war nun keine Rede mehr. Ich dachte, ich werde mir durch meine Kenntnisse eine Stellung verschaffen und das Haus und den Grundbesitz einmal als Notpfennig der Schwester ueberlassen. So war die Zeit heran gekommen, in welcher ich mich fuer einen Lebensberuf entscheiden musste. Die damals uebliche Vorbereitungsschule, die ich eben zurueckgelegt hatte, fuehrte nur zu einigen Lebensstellungen und machte zu andern eher untauglich als tauglich. Ich entschloss mich fuer den Staatsdienst, weil mir die andern Stufen, zu denen ich von meinen jetzigen Kenntnissen emporsteigen konnte, noch weniger zusagten. Meine Mutter konnte mir mit keinem Rate beistehen. Ich hatte mir ein kleines Suemmchen durch ausserordentliche Sparsamkeit zusammengelegt. Mit diesem und tausend Segenswuenschen der Mutter versehen und mit den Abschiedstraenen der geliebten Schwester benetzt begab ich mich auf die Reise in die Stadt. Zu Fusse wanderte ich durch unser Tal hinaus, und suchte durch allerlei Betrachtungen die Traenen zu ersticken, welche mir immer in die Augen steigen wollten. Als unsere Waeldergestalten hinter mir lagen, als die Herbstsonne schon auf ganz andere Felder schien, als ich durch meine Jugend hindurch gesehen hatte, wurde mein Gemuet nach und nach leichter, und ich durfte nicht mehr fuerchten, dass mir jeder, der mir begegnete, ansehen koenne, dass mir das Weinen so nahe sei. Die Entschlossenheit, welche mir eingegeben hatte, in die grosse Stadt zu gehen und dort mein Heil in dem Berufe eines Staatsdieners zu suchen, liess mich immer fester und rascher meinen Weg verfolgen und tausend glaenzende Schloesser in die Luft bauen. Als ich an jenem Rande angekommen war, wo unser hoeheres Land in grossen Absaetzen gegen den Strom hinabgeht und ganz andere Gestaltungen anfangen, sah ich noch einmal um, segnete das Mutterherz, das nun beinahe schon eine Tagereise weit hinter mir lag, streichelte gleichsam mit den Fingern die schoenen, langwimperigen Augenlider der Schwester, die immer etwas blass aussah, segnete unser weisses Haus mit dem roten Dache, segnete all die Felder und Waeldchen, die hinter mir lagen und die ich durchwandelt hatte, und stieg, nun wirklich schwere Traenen in den Augen tragend, in den tiefen Weg hinunter, welcher damals unter hohem Laubdache hingehend einen der Paesse ausmachte, die das rauhere Oberland mit dem tiefen Stromlande verbinden. Ich konnte nun, nachdem ich drei Schritte gemacht hatte, die Gestaltungen meines Geburtslandes nicht mehr sehen, nur sein Rand war alles, was meine Augen erreichen konnten und was mich noch lange begleiten wuerde. Ganz andere Bildungen lagen vor mir. Es war mir, ich muesse umkehren, um nur noch einmal zurueck schauen zu koennen. Ich tat es aber nicht, weil ich mich vor mir selber schaemte, und ich ging beeiligten Schrittes den Weg hinunter und immer tiefer hinunter. Ich durfte auch nichts verzoegern, wenn ich vor Einbruch der Nacht noch zu dem Strome hinunter gelangen wollte, auf dem mich am andern Morgen ein Schiff weiter tragen sollte. Die herbstliche Abendsonne spielte durch die Zweige, manche Kohlmeise liess einen Ruf erschallen, wie ihn die hatten erschallen lassen, welche jetzt noch in meinen heimatlichen Bergwaeldchen verweilten, mancher Fuhrmann, mancher Wanderer begegnete mir, ich ging mit ernstem Herzen weiter, und als die Sonne untergegangen war, hoerte ich das Rauschen des Stromes, der mir nun so wichtig geworden war, und sah sein goldenes abendliches Glaenzen." "Ich vergesse mich", unterbrach sich hier mein Gastfreund, "und erzaehle euch Dinge, die nicht wichtig sind; aber es gibt Erinnerungen, die, wie unbedeutende Gegenstaende sie auch fuer Andere betreffen, doch fuer den Eigentuemer im hoechsten Alter so kraeftig dastehen, als ob sie die groesste Schoenheit der Vergangenheit enthielten." "Ich bitte euch", entgegnete ich, "fahret so fort und entzieht mir nicht die Bilder, die euch aus frueheren Zeiten uebrig sind, sie gehen schoener in das Gemuet und verbinden leichter, was verbunden werden soll, als wenn von dem lebendigen Leben ein flacher Schatten gegeben werden sollte. Auch ist meine Zeit, wenn anders die eurige nicht strenger zugemessen ist, kein Hindernis, dass ihr mir irgend etwas vorenthalten solltet." "Meine Zeit", antwortete er, "ist entweder so gemessen, dass ich nichts Anderes tun sollte, als auf mein Ende sehen, oder dass ich ueber sie verfuegen kann, wie ich will; denn was sollte ein so alter Mann noch Ausschliessliches zu tun haben? Er mag fuer die paar Stunden, die ihm uebrig sind, noch Blumen zurecht legen, wie er will. Ich tue ja eigentlich hier auf dieser Besitzung nichts anders. Auch duerfte das, was ich euch sagen will, fuer euch nicht ganz unwichtig sein, wie sich wohl in der Folge zeigen wird. Ich fahre daher fort, wie sich oben unter den Worten die Erzaehlung gibt." "Die Nacht verbrachte ich in gutem Schlummer, und der erste Morgen sah mich auf einem jener rohen, kleinen Schiffe, wie sie damals mit verschiedenen Guetern beladen unsern Strom abwaerts befuhren, und auch Menschen mit sich nahmen. Mehrere junge Leute, die entweder ganz gleichen oder aehnlichen Beruf mit mir verfolgten, standen auf dem Verdecke und legten sogar manches Mal Hand an die Ruder, da unser Schiff auf dem breiten, rauschenden Strome sich abwaerts bewegte und die kleine Stadt, die uns Nachtherberge gegeben hatte, sich aus den Morgennebeln ringend unsern Augen immer weiter und weiter zurueck trat. Manches Lied, mancher Spruch, der aus der Schar meiner Begleiter hervortrat, machte seine Wirkung auf mich, und ich wurde staerker und entschlossener." "Als am Abende des zweiten Tages unserer Wasserfahrt der hohe schlanke Turm der Stadt, deren Miteinwohner ich nun werden sollte, gleichsam luftig blau unter den Gebueschen der Ufer sichtbar wurde, als man sich rief und das Zeichen sich zeigte, das man nun nach Verlauf von etwas mehr als einer Stunde erreichen werde, wollte mir das Herz im Busen wieder unruhiger pochen. Dieses Merkmal vergangener Menschenalter, dachte ich, welches so viele grosse und gewaltige Schicksale gesehen hatte, wird nun auch auf dein kleines Geschick herabsehen, es mag sich nun gut oder uebel abspinnen, und wird, wenn es laengstens abgelaufen ist, wieder auf Andere schauen. Wir fuhren rascher zu, weil alles hoffnungsvoll die Ruder fuehrte, die Entschlossneren sangen ein Lied, und ehe noch die Stunde um war, legte unser Schiff an der steinernen Einfassung des Flusses im Angesichte sehr grosser Haeuser an. Ein aelterer Schueler, der schon zwei Jahre in der Stadt zugebracht hatte und jetzt von den bei seinen Eltern verlebten Ferien zurueckkehrte, erbot sich, mir einen Gasthof zur Unterkunft zu zeigen und mir morgen zur Auffindung eines Wohnzimmerchens fuer mich behilflich zu sein. Ich nahm es dankbar an. Unter dem Torwege des Gasthofes, in den er mich gefuehrt hatte, nahm er Abschied von mir und versprach, mich morgen mit Tagesanbruch zu besuchen. Er hielt Wort, ehe ich angekleidet war, stand er schon in meinem Zimmer, und ehe die Sonne den Mittag erreichte, waren meine Sachen schon in einem Mietzimmerchen, das wir fuer mich gefunden hatten, untergebracht. Er verabschiedete sich und suchte seine wohlbekannten Kreise auf. Ich habe ihn spaeter selten mehr gesehen, da uns nur die Schiffahrt zusammengebracht hatte und da seine Laufbahn eine ganz andere war als die meine. Als ich von meinem Stuebchen ausging, die Stadt zu betrachten, befiel mich wieder eine sehr grosse Bangigkeit. Diese ungeheure Wildnis von Mauern und Daechern, dieses unermessliche Gewimmel von Menschen, die sich alle fremd sind und an einander voruebereilen, die Unmoeglichkeit, wenn ich einige Gassen weit gegangen war, mich zurecht zu finden, und die Notwendigkeit, wenn ich nach Hause wollte, mich Schritt fuer Schritt durchfragen zu muessen, wirkte sehr niederdrueckend auf mich, der ich bisher immer in einer Familie gelebt hatte und stets an Orten gewesen war, in denen ich alle Haeuser und Menschen kannte. Ich ging zu dem Vorstande der Rechtsschule, um mich fuer die Vorbereitungsjahre zum Staatsdienste einschreiben zu lassen. Er nahm mich meiner trefflichen Zeugnisse willen sehr gut auf und ermahnte mich, durch die grosse Stadt mich von meinem Fleisse nicht abbringen zu lassen. Ach Gott, die grosse Stadt war fuer mich bei meinen so kargen Mitteln nichts als ein Wald, dessen Baeume auf mich keine Beziehung haben, und sie trieb mich durch ihre Fremdartigkeit eher zum Fleisse an, als dass sie mich abgehalten haette. Am Tage der Eroeffnung des Unterrichtes ging ich, der ich nun doch schon einige auf mich bezuegliche Wege wusste, in die hohe Schule. Dort wogte ein grosses Gewimmel durch einander. Alle Faecher wurden hier gelehrt, und fuer alle Faecher fanden sich Schueler. Die meisten sahen sehr begabt, gebildet und behende aus, so dass ich wieder im Glauben an meine nur geringen Kraefte zu zagen anfing, hier gleichen Schritt halten zu koennen. Ich begab mich in den Lehrsaal, in den ich gehoerte, und setzte mich auf einen der mittleren Plaetze. Die Lehrstunde begann und ging vorueber, so wie nun viele nach und nach begannen und vorueber gingen. Sie und die ganze Stadt hatten noch immer etwas Ungewoehnliches fuer mich. Das Liebste war mir, in meinem Stuebchen zu sitzen, an meine Vergangenheit zu denken und sehr lange Briefe an meine Mutter zu schreiben." "Als einige Zeit verflossen war, wuchs mir Mut und Kraft im Herzen. Unser Lehrer, ein wuerdiger Rat in der Rechtsversammlung der Schule, lehrte fragend. Ich schrieb getreulich seine Lehren in meine Hefte. Als schon eine grosse Zahl meiner Mitschueler gefragt worden war, als endlich die Reihe auch mich getroffen hatte, erkannte ich, dass ich Vielen, die mich an Kleidern und aeusserem Benehmen uebertrafen, in unserem Lehrfache nicht nachstehe, sondern einer grossen Zahl vor sei. Dies lehrte mich nach und nach die mir bisher fremd gebliebenen Verhaeltnisse der Stadt wuerdigen, und sie wurden mir immer mehr und mehr vertraut. Einige Schueler hatte ich schon frueher gekannt, da sie vor mir von der nehmlichen Lehranstalt, in der ich bisher gewesen war, hieher uebergetreten waren; andere lernte ich noch kennen. Als meine Barschaft, mit der ich sehr strenge Haus hielt, sich schon sichtlich zu verringern begann, wurde ich von einem meiner Mitschueler, der mein Nachbar auf der Schulbank war und aus meinem Munde gehoert hatte, dass ich frueher Unterricht gegeben habe, aufgefordert, seine zwei kleinen Schwestern zu unterrichten. Wir hatten durch die taegliche Beruehrung eine Art Freundschaft geschlossen und waren einander geneigt. Als er daher zu Hause gehoert hatte, dass man fuer die zwei kleinen Maedchen einen Lehrer suche, schlug er mich vor und erzaehlte mir auch von der Sache. Die Eltern wollten mich sehen, er fuehrte mich zu ihnen und ich wurde angenommen. Auch hatten die Schritte, welche ich selber nach meiner Berechnung der Dinge getan hatte, um durch Erteilung von Unterricht einen Erwerb zu bekommen, Erfolg. Sie hatten zwar keinen bedeutenden, auf einen solchen hatte ich nicht gerechnet, aber sie hatten doch einen. So war das in Erfuellung gegangen, was ich durch meine Umsiedlung in die grosse Stadt angestrebt hatte. Ich lebte jetzt sorgenfrei, hatte in dem Hause meines Freundes, in welches ich oefter geladen wurde, eine Gattung Familienumgang und konnte mit allem Eifer der Erlernung meines Faches mich widmen." "In den ersten Ferien besuchte ich die Mutter und Schwester. Ich hatte die besten Zeugnisse in meinem Koffer und konnte ihnen von meinen sehr guten anderweitigen Erfolgen erzaehlen; denn gegen das Ende des Schuljahres hatten sich diese sehr gebessert. Mit ganz anderem Herzen als vor einem Jahre konnte ich nach dem Ende der Ferien das muetterliche Haus verlassen, und die Reise in die Stadt antreten." "Nach dem zweiten Jahre konnte ich die Meinigen nicht mehr besuchen. Ich war in der Stadt bekannt geworden, die Art, wie ich Kinder unterrichtete, sagte vielen Familien zu, man suchte mich und gab mir auch einen groesseren Lohn. Ich konnte mir dadurch mehr erwerben, legte mir stets etwas als Sparpfennig zurueck und hatte bei der Freudigkeit meines Gemuetes ueber diesen Fortgang Kraft genug, neben meinem Fache auch noch meine Lieblingswissenschaften Mathematik und Naturlehre zu betreiben. Nur das Einzige war stoerend, dass die Familien, bei denen ich Unterricht gab, nicht gerne sahen, dass ich durch eine Reise den Unterricht unterbreche. Es war diese Forderung eine begreifliche, ich blieb mit den Meinigen in einem lebhafteren Briefwechsel als frueher und verabredete mit ihnen, dass ich nicht eher als nach Beendigung meines Lehrganges sie wieder besuchen, dann aber einige Monate bei ihnen bleiben wolle. Hiemit waren auch die, in deren Dienste ich stand, zufrieden." "Die Stadt, welche mir Anfangs so unheimlich gewesen war, wurde mir immer lieber. Ich gewoehnte mich daran, immer fremde Menschen in den Gassen und auf den Plaetzen zu sehen und darunter nur selten einem Bekannten zu begegnen; es erschien mir dieses so weltbuergerlich, und wie es frueher mein Gemuet niedergedrueckt hatte, so staehlte es jetzt dasselbe. Einen schoenen Einfluss uebten auf mich die grossen wissenschaftlichen und Kunsthilfsmittel, welche die Stadt besitzt. Ich besuchte die Buechersammlungen, die der Gemaelde, ich ging gerne in das Schauspiel und hoerte gute Musik. Es lebte von jeher ein grosser Eifer fuer wissenschaftliche Bestrebungen in mir, und ich konnte demselben jetzt bei der Heiterkeit meiner Lage Nahrung geben. Was ich bedurfte und was ich durch meine Mittel mir nicht haette anschaffen koennen, fand ich in den Sammlungen. Da ich den sogenannten Vergnuegungen nicht nachging, sondern in meinen Bestrebungen mein Vergnuegen fand, so hatte ich Zeit genug, und weil ich gesund und stark war, reichte auch meine Kraft aus. In hohem Masse befriedigten mich einige schoene Gebaeude, besonders Kirchen, dann Bildsaeulen und Gemaelde. Ich brachte manchen Tag damit zu, mich in die Betrachtung der kleinsten Teile dieser Dinge zu vertiefen. Auch hatte ich manche Familien kennen gelernt, wurde bei ihnen aufgenommen und bildete nach und nach meinen Umgang mit Menschen etwas mehr heraus." "Da ich in dem zweiten Jahre meiner Lernzeit war, vermaehlte sich meine Schwester. Ich hatte ihren jetzigen Gatten schon frueher gekannt. Er war ein sehr guter Mann, hatte keine Leidenschaften, keine uebeln Gewohnheiten, war haeuslich sogar auch taetig, hatte eine angenehme Koerpererscheinung, war aber sonst nichts mehr. Diese Vermaehlung hatte mir keine Freude und kein Leid gemacht. Da ich meine Schwester so liebte, so war mir stets, dass sie nie einen andern Mann als den allerherrlichsten bekommen solle. Dies war nun wohl nicht der Fall. Die Mutter schrieb mir, dass mein Schwager seine Gattin sehr verehre, dass er lange und treu um sie geworben und endlich ihr Herz gewonnen habe. Sie wohnen in unserem Hause, und von da aus treibe er still und emsig sein kleines Handelsgeschaeft, das sie naehre. Ich schrieb einen Brief entgegen, worin ich den Vermaehlten Glueck und Segen wuenschte und den Schwager bat, seine Gattin sehr zu lieben, zu schonen und zu ehren; denn ich glaube, dass sie es verdiene. Die Antworten versprachen alles, so wie die folgenden Briefe immer den Stempel eines stillen haeuslichen Friedens trugen." "In diesen Verhaeltnissen kam die Zeit heran, da ich mit den letzten Pruefungen meine Vorbereitungsjahre beendigt hatte. Ich richtete eben mein Reisegepaecke zusammen, um der Verabredung gemaess nach langer Trennung die Meinigen wieder zu sehen, als ein Brief von der Hand der Schwester kam, dessen Inneres haeufige Traenenspuren zeigte und der mir sagte, dass unsere Mutter gestorben sei. Sie war vor einiger Zeit krank geworden, man hielt das Uebel nicht fuer gefaehrlich, und da man mich in der Vorbereitung zu meinen letzten Pruefungen wusste, so wollte man mir, um mich nicht zu stoeren, keine Meldung von der Krankheit zukommen lassen. So zog es sich durch zehn Tage hin, von wo es sich rasch verschlimmerte, und ehe man es sich versah, mit dem Tode endigte. Man konnte mir nur mehr diesen melden. Ich raffte sofort alles zusammen, was zu einer Reise noetig schien, schrieb zwei Zeilen an einen Freund, worin ich ihn bat, die Sache meinen Bekannten, die ich ihm bezeichnete, zu melden und mich zu entschuldigen, dass ich ohne Abschied abreise. Hierauf ging ich auf die Post und liess mich einschreiben. Zwei Stunden darnach sass ich schon in dem Wagen, und obwohl wir in der Nacht wie am Tage fuhren, obwohl ich von der letzten Post aus, an der der Weg nach meiner Heimat ablenkte, eigene Pferde nahm und mittelst Wechsels derselben unaufhoerlich fortfuhr, so kam ich doch zu spaet, um die irdische Huelle meiner Mutter noch einmal sehen zu koennen. Sie ruhte bereits im Grabe. Nur in ihren Kleidern, in Geraeten, im Arbeitszeuge, das auf ihrem Tischchen lag, sah ich die Spuren ihres Daseins. Ich warf mich in eine Lehnbank und wollte in Traenen vergehen. Es war der erste grosse Verlust, den ich erlitten hatte. Zur Zeit des Todes des Vaters war ich zu jung gewesen, um ihn recht empfinden zu koennen. Obwohl der erste Schmerz unsaeglich heiss gewesen war und ich geglaubt hatte, ihn nicht ueberleben zu koennen, so verminderte er sich wider meinen Willen von Tag zu Tag immer mehr, bis er zu einem Schatten wurde und ich mir nach Verlauf von einigen Jahren keine Vorstellung mehr von dem Vater machen konnte. Jetzt war es anders. Ich hatte mich daran gewoehnt, die Mutter als das Bild der groessten haeuslichen Reinheit zu betrachten, als das Bild des Duldens, der Sanftmut, des Ordnens und des Bestehens. So war sie ein Mittelpunkt fuer unser Denken geworden, und mir kam fast nicht zu Sinne, dass das je einmal anders werden koenne. Jetzt wusste ich erst, wie sehr wir sie liebten. Sie, die nie gefordert hatte, die nie auf sich irgend eine Beziehung gemacht hatte, die geraeuschlos immer gegeben hatte, die jedes Schicksal als eine Fuegung des Himmels empfangen hatte und die in ruhigem Glauben ihre Kinder der Zukunft anvertraut hatte, war nicht mehr. Unter der Decke der Schollen schlummerte ihr Herz, das dort vielleicht so ergebungsvoll schlummerte, wie es sonst in der Kammer unter der Huelle seiner weissen Decke geschlummert hatte. Die Schwester war wie ein Schatten, sie wollte mich troesten, und ich wusste nicht, ob sie des Trostes nicht noch beduerftiger waere als ich. Der Gatte meiner Schwester war in einer gewissen Ergebung, er war stille und ging an die Beschaeftigungen seines Berufes. Ich liess mir nach einer Zeit das frische Grab der Mutter zeigen, weinte dort meine Seele aus und betete fuer sie zu dem Herrn des Himmels. Da ich in das Haus zurueckgekehrt war, besuchte ich alle Raeume, in denen sie zuletzt geweilt hatte, besonders ihr eigenes Stuebchen, in welchem man alles gelassen hatte, wie es bei ihrer Erkrankung gewesen war. Der Schwager und die Schwester boten mir an und baten mich, eine Zeit bei ihnen zu verweilen. Ich nahm es an. In dem hinteren Teile des Hauses, den ich immer am meisten geliebt hatte, war schon vor der Erkrankung der Mutter ein Zimmer fuer mich, groesstenteils durch ihre Haende, hergerichtet worden. Dieses Zimmer bezog ich und packte darin meinen Koffer aus. Seine zwei Fenster gingen in den Garten, die weissen Fenstervorhaenge hatte noch die Mutter geordnet, und das Linnen des Bettes war durch ihre vorsorglichen Finger gleichgestrichen worden. Ich getraute mir kaum, etwas zu beruehren, um es nicht zu zerstoeren. Ich blieb sehr lange unbeweglich in dem Zimmer sitzen. Dann ging ich wieder durch das ganze Haus. Es schien mir gar nicht, als ob es das waere, in welchem ich die Tage meiner Kindheit verlebt hatte. Es erschien mir so gross und fremd. Die Wohnung, welche sich meine Schwester und ihr Gatte darin eingerichtet hatten, war frueher nicht da gewesen, dafuer war das Gemach fuer Vater und Mutter, das immer, auch nach seinem Tode, noch bestanden war, verschwunden, ebenso fand ich das Zimmer fuer uns Kinder nicht mehr, welches ich in allen Ferien, die ich zu Hause zugebracht hatte, noch in dem Zustande aus unserer frueheren Zeit her gesehen hatte. Es war eben eine neue Haushaltung in dem Gebaeude eingerichtet worden. Unter dem Dache angekommen, sah ich, dass man schadhafte Stellen des Daches ausgebessert hatte, dass man neue Ziegel genommen hatte und dass an den Kanten, wo sich frueher die Rundziegel befunden hatten, die neue Art der Verklebung durch Moertel angewendet worden war. Dies alles tat mir wehe, obwohl es natuerlich war, und obwohl ich es zu einer andern Zeit kaum beachtet haben wuerde. Jetzt aber war mein Gemuet durch den Schmerz erregt, und jetzt schien es mir, als ob man alles Alte, auch die Mutter, aus dem Hause hinaus gedraengt haette." "Ich lebte von jetzt an still in dem Zimmer, las, schrieb, ging taeglich auf das Grab der Mutter, besuchte die Felder und manches Waeldchen, hielt mich aber von den Menschen ferne, weil sie immer von meinem Verluste redeten und mit den Worten in ihm stets wuehlten. Das Haus war auch sehr stille. Die Vermaehlten hatten noch keine Kinder, mein Schwager, dessen Wesen friedlich und einfach war, befand sich groessten teils ausser Hause, die Schwester besorgte mit der einzigen Magd, die sie hatte, die haeuslichen Geschaefte, und wenn die Abenddaemmerung kam, wurde die Tuer, die gegen die Strasse ging, mit den eisernen Stangen von Innen verriegelt, und nur die in den Garten fuehrende blieb offen, bis die Stunde zum Schlafen kam, wo sie dann auch die Schwester mit eigenen Haenden schloss. Das haeusliche Glueck der zwei Ehegatten schien fest gegruendet zu sein, das war eine Linderung fuer meine Wunde, und ich verzieh dem Schwager, dass er nicht ein Mann war, der durch hohe Begabung und den Schwung seiner Seele die Schwester zu einem himmlischen Gluecke emporgefuehrt hatte." "So vergingen mehrere Wochen. Vor meiner Abreise ging ich noch in unser Gerichtsamt, verzichtete dort fuer meine Schwester auf jeden Erbanspruch des von unsern Eltern hinterlassenen Besitztumes und liess meine Rechte auf die Schwester ueberschreiben. So war den beiden Gatten das Dasein, so lange es ihnen der Himmel verlieh, gesichert; ich hatte als Erbteil den Unterricht bekommen und hoffte durch das, was er mir an Kenntnissen eingebracht hatte und was ich mir noch erwerben wollte, den Unterhalt meines Lebens schon zu decken. Hierauf reiste ich, von dem Danke und von den waermsten Wuenschen fuer mein Wohl von der Schwester und dem Schwager begleitet, wieder in die Stadt ab." "In derselben begann ich jetzt ein sehr zurueckgezogenes Leben zu fuehren. Ich hatte mir so viel erspart, dass ich nur einen kleinen Teil meiner Zeit zum Unterrichtgeben verwenden musste. Die uebrige wendete ich fuer mich an und verlegte mich auf Naturwissenschaften, auf Geschichte und Staatswissenschaften. Meinen eigentlichen Beruf liess ich etwas ausser Acht. Die Wissenschaften und die Kunst, deren Vergnuegen ich nie entsagte, fuellten mein Herz aus. Ich suchte jetzt weniger als je die Gesellschaft von Menschen auf. Die Notwendigkeit, die Zeit der Vorbereitung zu meinem Berufe recht zu benutzen und mir ausserdem noch meinen Lebensunterhalt zu erwerben, hatte mich schon in frueheren Jahren fast nur auf mich allein zurueckgewiesen, und ich setzte jetzt dies Leben fort." "Allein es dauerte nicht lange in dieser Art. Schon nach einem halben Jahre, als ich das Grab der Mutter verlassen hatte kam mir von meinem Schwager die Nachricht zu, dass zu den zwei Graebern des Vaters und der Mutter auf unserer Familienbegraebnisstaette ein drittes Grab gekommen sei, das meiner Schwester. Sie hatte sich seit dem Tode der Mutter nicht recht erholt, und eine unversehene Verkuehlung raffte sie dahin. Der Schwager schrieb mir, und wie ich sah, in aufrichtigem Kummer, dass er nun ganz verlassen sei, dass er keine Freude mehr habe, dass er einsam sein Leben zubringen wolle, dass er wohl von der Verewigten zum Erben eingesetzt worden sei, dass er aber gerne mit mir teilen wolle, er habe kein Kind, seine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht mehr viel auf Besitzungen, sein Stueckchen Brod, welches fuer sein einfaches Leben recht klein sein duerfe, werde er fuer die Zeit schon finden, die er noch zubringen muesse, ehe er zu Kornelien gehen koenne. Da der Mann meine Schwester sehr geliebt hatte, da ihre Briefe an mich immer von ihrem Gluecke erzaehlten, goennte ich ihm das kleine Besitztum und schrieb ihm zurueck, dass ich keine Ansprueche erhebe und dass er das Hinterlassene ungeteilt geniessen moege. Er dankte mir, ich sah aber aus seinem Briefe, dass er ueber das Geschenk eben keine sonderliche Freude habe." "Ich zog mich nun noch mehr zurueck, und mein Leben war sehr truebe. Ich zeichnete viel, ich bildete zuweilen auch etwas in Ton und suchte sogar manches in Farben darzustellen. Nach einiger Zeit kam mir von befreundeter Hand der Antrag, dass ich bei einer gebildeten und wohlhabenden Familie wohnen moechte, dass ich einen Teil des Unterrichtes eines Knaben, der in der Familie sei, gegen vorteilhafte Bedingungen uebernehmen moechte, worunter auch die war, dass ich nicht gebunden sei, dass ich oefter abwesend sein und zum Teile sogar kleine Reisen machen koenne. In der Veroedung, in der ich mich befand, hatte die Aussicht auf ein Familienleben eine Art Anziehung fuer mich, und ich nahm den Antrag unter der Bedingung an, dass ich die Freiheit haben muesse, in jedem Augenblicke das Verhaeltnis wieder aufloesen zu koennen. Die Bedingung wurde zugestanden, ich packte meine Sachen, und nach drei Tagen fuhr ich in der Richtung nach dem Landsitze der Familie ab. Dieser Sitz war ein angenehmes Haus in der Naehe grosser Meiereien, die einem Grafen gehoerten. Das Haus war beinahe zwei Tagereisen von der Stadt entfernt. Es war sehr geraeumig, hatte eine sonnige Lage, liebliche Rasenplaetze um sich und hing mit einem grossen Garten zusammen, in dem teils Gemuese, teils Obst, teils Blumen gezogen wurden. Der Besitzer des Hauses war ein Mann, der von reichlichen Renten lebte, sonst aber kein Amt noch irgend eine andere Beschaeftigung zum Gelderwerb hatte. So war er mir geschildert worden, mit dem Beifuegen, dass er ein sehr guter Mann sei, mit dem sich jedermann vertrage, dass er eine treffliche, sorgsame Frau habe und dass ausser dem Knaben nur noch ein halberwachsenes Maedchen da sei. Diese Dinge waren es auch vorzueglich, welche mich zur Annahme bestimmt hatten. Mein Name sei der Familie in einem Hause genannt worden, mit dem sie in sehr inniger Beziehung stand, und ich sei sehr empfohlen worden. Man hatte mir auf die letzte Post einen Wagen entgegen gesandt. Es war ein schoener Nachmittag, als ich in Heinbach, das war der Name des Hauses, einfuhr. Wir hielten unter einem hohen Torwege, zwei Diener kamen die Treppe herab, um meine Sachen in Empfang zu nehmen und mir mein Zimmer zu zeigen. Als ich noch im Wagen mit Herausnehmen von ein paar Buechern und andern Kleinigkeiten beschaeftigt war, kam auch der Herr des Hauses herunter, begruesste mich artig und fuehrte mich selber in meine Wohnung, die aus zwei freundlichen Zimmern bestand. Er sagte, ich moege mich hier zurecht richten, moege hiebei nur meine Bequemlichkeit vor Augen haben, ein Diener sei angewiesen, meine Befehle zu vollziehen, und wenn ich fertig sei und etwa heute noch wuensche, mit seiner Gattin zu sprechen, so moege ich klingeln, der Diener werde mich zu ihr fuehren. Hierauf verliess er mich unter hoeflichem Abschiede. Der Mann gefiel mir sehr wohl. Ich entledigte mich meiner staubigen Kleider, reinigte mich, legte nur das Notwendigste in meinem Zimmer in Ordnung, kleidete mich dann besuchsgemaess an und liess die Frau des Hauses fragen, ob ich bei ihr erscheinen duerfe. Sie sendete eine bejahende Antwort. Ich wurde ueber einen Gang gefuehrt, in welchem allerlei Bilder hingen, wir traten in einen Vorsaal und von dem in das Zimmer der Frau. Es war ein grosses Zimmer mit drei Fenstern, an welches ein niedliches Gemach stiess. In diesem Zimmer waren heitere Geraete, einige Bilder, und die Nachmittagssonne war durch sanfte Vorhaenge gedaempft. Die Frau sass an einem grossen Tische, zu ihren Fuessen spielte ein Knabe, und seitwaerts an einem kleinen Tischchen sass ein Maedchen und hatte ein Buch vor sich. Es schien, es habe vorgelesen. Die Frau stand auf und ging mir entgegen. Sie war sehr schoen, noch ziemlich jung, und was mir am meisten auffiel war, dass sie sehr schoene braune Haare, aber tief dunkle, grosse schwarze Augen hatte. Ich erschrak ein wenig, wusste aber nicht warum. Mit einer Freundlichkeit, die mein Zutrauen gewann, hiess sie mich einen Platz nehmen, und als ich dies getan hatte, nannte sie meinen Vor- und Familiennamen, hiess mich beinahe herzlich willkommen und sagte, dass sie sich schon sehr gesehnt habe, mich unter ihrem Dache zu sehen." ">Alfred<, rief sie, >komm und kuesse diesem Herrn die Hand!<" "Der Knabe, welcher bisher neben ihr gespielt hatte, stand auf, trat vor mich, kuesste mir die Hand und sagte: >Sei willkommen!<" ">Sei auch du willkommen<, erwiderte ich und drueckte ein wenig das Haendchen des Knaben. Er hatte ein sehr rosiges Angesicht, ebenfalls braune Haare wie die Mutter, aber dunkelblaue Augen, wie ich sie an dem Vater gesehen zu haben glaubte." ">Das ist das Kind, dessentwegen ich euch so sehr in unser Haus gewuenscht habe<, sagte sie. >Ihr sollt dasselbe weniger unterrichten, dazu sind Lehrer da, welche das Haus besuchen, sondern wir bitten euch, dass ihr bei uns lebet, dass ihr dem Knaben oefter eure Gesellschaft goennt, dass er ausser dem Umgange mit seinem Vater auch den eines jungen Mannes hat, was auf ihn Einfluss nehmen moege. Erziehung ist wohl nichts als Umgang, ein Knabe, selbst wenn er so klein ist, muss nicht immer mit seiner Mutter oder wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht ist viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur etwas wissen und es mitteilen koennen, zur Erziehung muss man etwas sein. Wenn aber einmal jemand etwas ist, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, dessen Warengewoelbe dem grossen Tore des Erzdomes gegenueber ist, hat mir von euch erzaehlt. Wenn ihr es fuer gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu unterrichten, so ist es eurem Ermessen ueberlassen, wie und wie weit ihr es tut.<" "Ich konnte auf diese Worte nichts antworten; ich war sehr erroetet." ">Mathilde<, sagte die Frau, >begruesse auch diesen Herrn, er wird jetzt bei uns wohnen.<" "Das Maedchen, welches immer bei seinem aufgeschlagenen Buche sitzen geblieben war, stand jetzt auf und naeherte sich mir. Ich erstaunte, dass das Maedchen schon so gross sei, ich hatte es mir kleiner gedacht. Es war auf einem etwas niederen Stuhle gesessen. Da es in meine Naehe gekommen war, stand ich auf, wir verneigten uns gegen einander, Mathilde ging wieder zu ihrem Sitze, und ich nahm auch den meinigen wieder ein. Die Frau hatte wohl diese Begruessung eingeleitet, um mein Erroeten vorueber gehen zu machen. Es war auch zum grossen Teile vorueber gegangen. Sie hatte eine Antwort auf ihre an mich gerichtete Rede auch wahrscheinlich nicht erwartet. Sie fragte mich jetzt um mehrere gleichgueltige Dinge, die ich beantwortete. In meine naeheren Verhaeltnisse oder etwa gar in die meiner Familie ging sie nicht ein. Nachdem die Unterredung eine Weile gedauert hatte, verabschiedete sie mich, sagte, ich moechte von der Reise etwas ausruhen, bei dem Abendessen wuerden wir uns wieder sehen. Der Knabe hatte waehrend der ganzen Zeit meine Hand gehalten, war neben mir stehen geblieben und hatte oefter zu meinem Angesichte heraufgeschaut. Ich loeste jetzt meine Hand aus der seinen, gruesste ihn noch, verneigte mich vor der Mutter und verliess das Zimmer." "Als ich in meiner Wohnung angekommen war, setzte ich mich auf einen der schoenen Stuehle nieder. Jetzt wusste ich, weshalb man mir so gute Bedingungen gestellt hatte und wie schwer meine Aufgabe war. Ich zagte. Das Benehmen der Frau hatte mir sehr gefallen, darum zagte ich noch mehr. Als ich eine Zeit auf meinem Stuhle gesessen war, erhob ich mich wieder, und es fiel mir ein, dass ich ja dem Herrn des Hauses auch einen Besuch zu machen habe. Ich klingelte und verlangte von dem eintretenden Diener, dass er mich zu dem Herrn fuehre. Der Diener antwortete, der Herr sei in den Wald gegangen und werde erst Abends zurueckkehren. Er hatte den Befehl hinterlassen, dass man mir sage, ich moege nur meine Reisesachen auspacken, moege ausruhen und moege mir seinethalben keine Pflichten auflegen, morgen koenne das Weitere besprochen werden. Ich legte daher die Kleider, welche ich zu dem Besuche bei der Frau genommen hatte, wieder ab, zog mich anders an und brachte meine Sachen nun in meiner Wohnung in Ordnung. Bei dieser Beschaeftigung ging mir nach und nach der ganze Rest des noch uebrigen Tages dahin. Als ich fertig war, daemmerte es bereits. Nachdem ich mich gereinigt und zum Abendessen angekleidet hatte, sagte mir mein Diener, dass sich der Herr, der schon nach Hause zurueckgekehrt sei, zum Besuche bei mir melde. Ich sagte zu, der Herr kam und fragte, ob man in meiner Wohnung alles nach Gebuehr vorbereitet habe und ob ich nichts vermisse. Ich antwortete, dass alles meine Erwartung uebertreffe und daher ein weiteres Begehren die groesste Unbescheidenheit waere. Er sagte, dass er nun wuensche, dass mein Eintritt in sein Haus gesegnet sei, dass mein Aufenthalt darin erfreulich sein moege und dass ich es einst nicht mit Reue und Schmerz verlasse. Hierauf lud er mich zum Abendessen ein. Wir gingen in ein sehr heiteres Speisezimmer, in welchem ein einfaches Abendmahl unter einfachen Gespraechen eingenommen wurde. Bei demselben war der Herr, die Frau, die zwei Kinder und ich gegenwaertig." "Am naechsten Vormittage liess ich anfragen, ob ich den Herrn besuchen duerfe. Ich wurde dazu eingeladen, und mein Diener fuehrte mich zu ihm. Ich war in denselben Besuchkleidern wie gestern bei der Frau. Der Herr sass bei Papieren und Schriften, er erhob sich bei meinem Eintritte, ging mir entgegen, gruesste mich auf das Ausgezeichnetste und fuehrte mich zu einem Tische. Er war schon voellig und sehr fein angekleidet. Als wir uns niedergelassen hatten, sagte er: >Seid mir noch einmal in meinem Hause willkommen. Ihr seid uns so empfohlen worden, dass wir uns gluecklich schaetzen, dass ihr zu uns gekommen seid, dass ihr eine Zeit bei uns wohnen wollt und dass ihr erlaubt, dass mein lieber Knabe, dem ich eine glueckselige Zukunft wuensche, eure Gesellschaft geniesse. Ich glaube, ihr werdet vielleicht in einiger Zeit sehen, dass wir eure Freunde sind, und ihr werdet uns etwa auch eure Freundschaft schenken. Richtet eure Beschaeftigungen ein, wie ihr wollt, verlegt euch auf das, was euer kuenftiger Beruf fordert und betrachtet euch in allen Stuecken wie in eurem eigenen Hause. Ihr werdet euch wohl hier an Einfachheit gewoehnen muessen. Wir haben hier und in der Stadt wenig Besuch und machen auch wenig. Mathilde wird von der Frau selber erzogen. Mit Erzieherinnen hatten wir kein Glueck. Wir gaben es daher auf, fuer Mathilden eine Gesellschafterin zu suchen. Sie ist bei der Mutter, zuweilen sieht sie Maedchen ihres Alters, und manches Mal wohnt sie Gespraechen und Spaziergaengen mit zwei aelteren guten und lieben Maedchen bei. Sonst ist sie in ihrer Ausbildung begriffen und bringt ihre Zeit mit Lernen zu. Wie es mit dem Knaben ist, werdet ihr wohl sehen. Man hat uns gesagt, dass ihr in der Stadt sehr zurueckgezogen gelebt habt, deshalb glaubten wir, dass ihr bei uns nicht gar sehr die menschliche Gesellschaft vermissen werdet. Ich beschaeftige mich mit einigen wissenschaftlichen Dingen, und wenn euch ein Gespraech hierin, falls wir in den Gegenstaenden zusammentreffen, nicht unangenehm ist, so betrachtet mich als euren aelteren Bruder, und zwar nicht bloss hierin, sondern auch in allen an. deren Dingen.<" ">Ich bin durch eure Guete sehr beschaemt<, antwortete ich, >und sehe jetzt erst, wie gross die Aufgabe ist, die ich in eurem Hause habe. Ich weiss nicht, ob ich ihr auch nur in einem geringen Masse werde genuegen koennen.<" ">Es wird vielleicht nicht schwer sein, zu genuegen<, erwiderte er." ">Wenn es aber doch nicht geschaehe?< fragte ich." ">Dann waeren wir so offen und sagten es euch, damit man darnach handeln koennte<, antwortete er." ">Das erleichtert mir mein Herz sehr<, erwiderte ich; >denn auf diese Weise wird nie Misstrauen aufkommen koennen. Ich habe bisher nur in zwei Familien gelebt, in der meiner Mutter - denn mein Vater ist in meiner fruehen Jugend gestorben - und in der eines wuerdigen alten Amtmannes, in dessen Hause ich waehrend meiner lateinischen Schulen in Kost und Wohnung war. Die erste Familie ist mir wie jedem Menschen unvergesslich, und die zweite ist es mir auch.<" ">Vielleicht wird es auch die unsere<, sagte er, >jetzt lasst euch das Haus und sein Zugehoer zeigen, dass ihr den Schauplatz kennt, auf dem ihr ein Weilchen leben sollt. Oder wollt ihr etwas anders tun, so tut es. Zu mir steht euch der Zutritt stets offen, lasst euch nicht ansagen und klopft nicht an meine Tuer.<" "Mit diesen Worten war unser Gespraech zu Ende, wir erhoben uns, verabschiedeten uns, er reichte mir freundlich die Hand, und ich verliess das Zimmer." "Ich kleidete mich nun in meine gewoehnlichen Kleider und liess fragen, ob Alfred Zeit habe, mich zu begleiten und mir etwas von dem Hause und dem Garten zu zeigen. Man antwortete, dass Alfred gleich kommen werde und dass er hinlaenglich Zeit habe. Die Mutter fuehrte den Knaben selbst zu mir, und sie brachte auch einen Diener mit, welcher einen Bund Schluessel trug und den Auftrag hatte, mir die Raeume des Hauses zu zeigen. Der Diener war ein alter Mann und schien die Aufsicht ueber die andern Dienstleute zu haben. Die Mutter entfernte sich sogleich wieder. Ich sprach einige freundliche Worte mit dem Knaben, welcher ueber sieben Jahre alt schien, er erwiderte diese Worte unbefangen und, wie ich glaubte, zutraulich. Dann gingen wir, die Raeume des Hauses zu betrachten. Das Haus war nicht alt, es war kein Schloss und mochte in dem siebenzehnten Jahrhunderte gebaut worden sein. Es bestand aus zwei Fluegeln, die einen rechten Winkel bildeten und einen Sandplatz einschlossen. Die Zufahrt war aber von entgegengesetzter Seite, daher der Sandplatz, welcher Blumenbeete hatte, mehr einem Garten und einem Spielplatze fuer die Kinder als einer Anfahrt glich. Es waren auf demselben, und zwar an den Mauern des Hauses, auch Linnendaecher zum Aufspannen gegen die Sonne angebracht. Das Haus hatte ein Erdgeschoss und ein Stockwerk. Durch beide lief der Laenge nach ein breiter Gang, von dem aus man in die Zimmer gelangen konnte. Die Mauern des Ganges waren schneeweiss, hatten Stuckarbeit, schoen vergitterte Fenster und zeigten braune, wohlgebohnte Gemaechertueren. An vielen Stellen der Gaenge hingen Gemaelde. Sie waren durchaus nicht vorzueglich, aber auch bei Weitem nicht so schlecht, als solche Gang- und Treppengemaelde gewoehnlich zu sein pflegen. Die Gegenstaende, welche auf ihnen abgebildet waren, drehten sich in einem kleinen Kreise: Landschaften mit Ansichten der Umgebung oder merkwuerdiger Gebaeude, Tiere - vorzueglich Hunde mit Jagdgeraetschaften -, Kuechengeschirr oder Inneres von Zimmern und anderen Gelassen. Der alte Diener schloss manche Gemaecher auf, die im Gebrauche waren; denn das Haus hatte mehr, als die jetzigen Bewohner benuetzten. Es war ein grosser, mit sehr schoenen Geraeten versehener Saal da, in welchem, wenn es notwendig war, Gesellschaften aufgenommen wurden, dann waren andere Zimmer zu verschiedenem Gebrauche, darunter ein sehr grosses Buecherzimmer und die Zimmer fuer Gaeste. Alles war sehr schoen eingerichtet und rein und ordentlich gehalten. Als wir das Haus gesehen hatten, sagte Alfred, Raimund, der alte Diener, sei nun nicht mehr vonnoeten, den Garten werde er mir schon allein zeigen. Ich war damit einverstanden, verabschiedete den alten Diener und ging mit Alfred ins Freie. Das Erdgeschoss, worin sich die Kueche, die Gesindezimmer und dergleichen befanden, hatten wir nicht besucht. Die Staelle und Wagenbehaelter waren abseits des Hauses in eigenen Gebaeuden. Als wir in das Freie gekommen waren, zeigte sich ein sehr schoener Rasenplatz, der von mannigfaltigen, kuenstlich angelegten Wegen durchkreuzt war. Auf diesem Rasenplatze standen in ziemlichen Entfernungen sehr grosse Baeume. Zu jedem fuehrte ein Weg, und fast unter jedem stand ein Baenkchen oder ein Sitz. Alfred fuehrte mich zu den meisten und nannte mir sie. Mich erfreute dieses Zeichen des Gedaechtnisses und der Aufmerksamkeit. Er erzaehlte mir auch, was sie bald unter diesem, bald unter jenem Baume getan und wie sie gespielt haetten. Die Baeume waren Eichen, Linden, Ulmen und eine Anzahl sehr grosser Birnbaeume. Diese Art von Wald hatte etwas sehr Anmutiges." ">Ich darf allein nicht zu dem Teiche gehen<, sagte Alfred, >weil ich leicht hinein fallen koennte, und ich gehe auch nicht hin; aber weil du heute bei mir bist, so duerfen wir ihn besuchen. Komme mit, ich habe Brot bei mir, um es den Enten und den Fischen zu geben.<" "Er fasste mich bei der Hand, und ich liess mich von ihm fuehren. Er geleitete mich durch ein kleines Gebuesch zu einem maessig grossen Teiche, der das Merkwuerdige hatte, dass auf ihm hoelzerne Huettchen in geringen Entfernungen angebracht waren, die die Bestimmung hatten, dass darin Wildenten nisteten. Das geschah auch reichlich. Es war noch nicht so weit im Sommer, und wir sahen noch manche Mutter mit ihren fast erwachsenen, aber noch nicht flugfaehigen Jungen auf dem Wasser herumschwimmen. An den Ufern waren an verschiedenen Stellen Futterbrettchen angebracht. Im Wasser selber bewegte sich eine grosse Zahl schwerfaelliger Karpfen. Alfred zog ein Weissbrot aus seiner Tasche, zerbrach es in kleine Stueckchen, warf diese einzeln in das Wasser und hatte seine Freude daran, wenn die Enten und auch manch ungeschickter Mund eines Karpfen darnach haschten. Es schien, dass er mich dieses Zweckes halber zu dem Teiche gefuehrt hatte. Als er mit seinem Brote fertig war, gingen wir weiter. Er sagte: >Wenn du auch den Garten sehen willst, so werde ich dich schon hinfuehren.<" ">Ja, wohl will ich ihn sehen<, antwortete ich." "Er fuehrte mich nun aus dem Gebuesche, wir begaben uns auf die entgegengesetzte Seite des Hauses, dort war ein mit einem Gitter umgebener grosser Garten, und wir gingen durch das Tor desselben hinein. Blumen, Gemuese, Zwerg- und Lattenobst empfingen uns. In der Ferne sah ich die groesseren und wahrscheinlich sehr edlen Obstbaeume stehen. Dass mir der Garten um viel mehr gefiel als der Teich, sagte ich Alfred nicht, er mochte es auch nicht wissen. In sehr schoener Art waren hier die Blumen gepflegt, die man gewoehnlich in Gaerten findet. Sie hatten nicht bloss ihre ihnen zusagenden Plaetze, sondern sie waren auch zu einem sehr schoenen Ganzen zusammengestellt. An Gemuesen glaubte ich die besten Arten zu sehen, wie man sie nur immer in den Handlungen der Stadt finden konnte. Zwischen ihnen stand das Zwergobst. Die Gewaechshaeuser enthielten Blumen, aber auch Fruechte. Ein sehr langer Gang, welcher mit Wein ueberwoelbt war, fuehrte uns in den Obstgarten. Die Baeume standen in guten Entfernungen, waren gut gehalten, hatten Grasboden unter sich, und es fuehrten auch hier wieder Wege von einem zum andern. An seiner rechten Seite war dieser Gartenteil von dichtem Haselnussgebuesche begrenzt. Ein Pfad fuehrte uns durch dasselbe hindurch. Wir trafen jenseits einen freien Platz, auf welchem ein ziemlich grosses Gartenhaus stand. Es war gemauert, hatte hohe Fenster, ein Ziegeldach und seine Gestalt war ein Sechseck. Die Aussenseite dieses Hauses war ganz mit Rosen ueberdeckt. Es waren Latten an dem Mauerwerke angebracht und an diese Latten waren die Rosenzweige gebunden. Sie standen in Erde vor dem Hause, hatten verschiedene Groesse und waren so gebunden, dass die ganzen Mauern ueberdeckt waren. Da eben die Zeit der Rosenbluete war und diese Rosen ausserordentlich reich bluehten, so war es nicht anders, als staende ein Tempel von Rosen da und es waeren Fenster in dieselben eingesetzt. Alle Farben, von dem dunkelsten Rot, gleichsam Veilchenblau, durch das Rosenrot und Gelb bis zu dem Weiss, waren vorhanden. Bis in eine grosse Entfernung verbreitete sich der Duft. Ich stand lange vor diesem Hause, und Alfred stand neben mir. Ausser den Rosen an dem Gartenhause waren auf dem ganzen Platze Rosengestraeuche und Rosenbaeumchen in Beeten zerstreut. Sie waren nach einem sinnvollen Plane geordnet, das zeigte sich gleich bei dem ersten Blicke. Alle Staemmchen trugen Taefelchen mit ihrem Namen." ">Das ist der Rosengarten<, sagte Alfred, >da sind viele Rosen, es darf aber keine abgepflueckt werden.<" ">Wer pflanzt denn diese Rosen und wer pflegt sie?< fragte ich." ">Der Vater und die Mutter<, antwortete Alfred, >und der Gaertner muss ihnen helfen.<" "Ich ging zu allen Rosenbeeten, und ging dann um das ganze Haus herum. Als ich alles betrachtet hatte, gingen wir auch in das Haus hinein. Es war mit Marmor gepflastert, auf dem feine Rohrmatten lagen. In der Mitte stand ein Tisch und an den Waenden Baenkchen, deren Sitze von Rohr geflochten waren. Eine angenehme Kuehle wehte in dem Hause; denn die Fenster, durch welche die Sonne herein scheinen konnte, waren durch gegliederte Balken zu schuetzen. Da wir wieder aus dem Innern dieses Gartenhauses getreten waren, besuchten wir noch einmal den Obstgarten und gingen bis an sein Ende. Da wir an das Gartengitter gekommen waren, sagte Alfred: >Hier ist der Garten zu Ende und wir muessen wieder umkehren.<" "Das taten wir auch, wir gingen wieder zu dem Eingangstore zurueck, durchschritten es, begaben uns in das Haus, und ich fuehrte Alfred zu seiner Mutter." "Das war das Haus und der Garten in Heinbach, der Besitzung des Herrn und der Frau Makloden." "Der erste Tag verging sehr gut, so auch ein zweiter, ein dritter und mehrere. Ich wohnte mich in meine zwei Zimmer ein, und die Stille des Landes tat mir in meiner jetzigen Gemuetsverfassung sehr wohl. Fuer den Unterricht Alfreds war in der Art gesorgt, dass der Graf, dessen Meiereien in der Naehe von Heinbach lagen, und ein Herr von Heinbach, wie man Makloden jetzt auch nannte, eine Summe stifteten und dem Lehrer der Gemeinde Heinbach zulegten unter der Bedingung, dass ein in gewissen Faechern gebildeter Mann stets diese Stelle bekleide, welchen sie in Vorschlag zu bringen das Recht hatten und der die Verbindlichkeit uebernahm, die Kinder des Hauses Heinbach und die des Verwalters der Meiereien in ihren Wohnungen zu unterrichten, wofuer er aber besonders bezahlt wurde. Die Schule und die Kirche Heinbach waren eine kleine halbe Wegstunde von dem Herrenhause entfernt. Der Lehrer kam jeden Nachmittag herueber und blieb eine Zeit bei Alfred. Mathilde wurde nur mehr in seltenen Stunden noch von ihm unterrichtet. Fuer Alfred sollte ich die Art der Lehrstunden einrichten, was ich auch im Uebereinkommen mit dem Lehrer, der ein sehr bescheidener und nicht ungebildeter junger Mann war, tat. Den Unterricht in gewissen Dingen, jetzt vor allem den Sprachunterricht, behielt ich mir vor. So kam die Sache in den Gang und so ging sie fort." "Das Leben in Heinbach war wirklich sehr einfach. Man stand mit der Morgensonne auf, versammelte sich in dem Speisezimmer zum Fruehmahle, dem einiges Gespraech folgte, und ging dann an seine Geschaefte. Die Kinder mussten ihre Aufgaben machen, von denen Mathilde besonders von der Mutter manche in einigen Zweigen bekam. Der Vater ging in seine Stube, las, schrieb oder er sah in dem Garten oder in dem kleinen Grundbesitze nach, der zu dem Hause gehoerte. Ich war teils in meiner Wohnung mit meinen Arbeiten, die ich in der Stadt begonnen hatte und hier fortsetzte, beschaeftigt, teils war ich in Alfreds Zimmer und ueberwachte und leitete, was er zu tun hatte. Die Mutter stand mir hierin bei, und sie hielt es fuer ihre Pflicht, noch mehr um Alfred zu sein als ich. Der Mittag versammelte uns wieder in dem Speisezimmer, am Nachmittage waren Lehrstunden und der Rest des Tages wurde zu Gespraechen, zu Spaziergaengen, zum Aufenthalte im Garten oder, besonders wenn Regenwetter war, zum gemeinschaftlichen Lesen eines Buches benutzt. Was man im Freien tun konnte, wurde lieber im Freien als in Zimmern abgemacht. Besonders war hiezu der Aufenthalt unter den Linnendaechern am Hause geeignet, den die Mutter sehr liebte. Stundenlang war sie mit irgend einer weiblichen Arbeit und die Kinder mit ihrem Schreibzeuge oder mit Buechern auf diesem Platze beschaeftigt. Dies war besonders der Fall, wenn die Vormittagssonne die Luft durchwuerzte und doch noch nicht so viel Kraft hatte, die Mauern zu erhitzen und den Aufenthalt an ihnen zu verleiden. Auch wurden die mannigfaltigen Baenkchen auf dem Rasenplatze, vor welche man Tischchen stellte, und das Innere des Rosenhauses benuetzt. Zuweilen wurden groessere Spaziergaenge verabredet. An solchen Tagen waren keine Lehrstunden, man bestimmte die Zeit, in welcher fortgegangen werden sollte, alle mussten geruestet sein, und mit dem betreffenden Glockenschlage wurde aufgebrochen. Wir besuchten zuweilen einen Berg, einen Wald oder gingen durch schoene, ansprechende Gruende. Manches Mal war es auch eine Ortschaft, in welche wir uns begaben. Um das Haus lagen in geringen Entfernungen Besitztuemer von Familien, mit denen die Bewohner von Heinbach Umgang pflegten. Oefter fuhr ein Wagen vor unserem Hause vor, oefter fuhr der unsere in die Nachbarschaft. Die Kinder mischten sich zur Geselligkeit und aeltere traten zusammen. Die Mutter Alfreds sah es gerne, wie sie mir sagte, wenn eine Freundin Mathildens bei ihr durch laengere Zeit verweilte, sie aber konnte sich nie entschliessen, ihre Tochter zu anderen Leuten auf Besuch zu geben. Sie wollte nicht getrennt sein. Auch, meinte sie, wuerde sich Mathilde fern von ihr nicht wohl fuehlen. Von Kuensten wurde bei wechselseitigen Besuchen vorzueglich die Musik geuebt. Es war der Gesang, der gepflegt wurde, das Clavier, und zu vierstimmigen Darstellungen die Geigen. Der Vater Alfreds schien mir ein Meister auf der Geige zu sein. Wir hoerten solchen Vorstellungen zu. Wir Unbeschaeftigten sahen aber auch sehr gerne zu, wenn die Kinder auf dem Rasenplatze huepften und sich in ihren Spielen ergoetzten. Bei alle dem besorgte die Mutter Alfreds aber auch ihr ausgedehntes Hauswesen. Sie gab den Dienern und Maegden hervor, was das Haus brauchte, sorgte fuer die richtige und zweckmaessige Verwendung, leitete die Einkaeufe und ordnete die Arbeiten an. Die Bekleidung des Herrn, der Frau und der Kinder war sehr ausgezeichnet, aber auch sehr einfach und wohlbildend. Nach dem Abendessen sass man oft noch eine geraume Weile in Gespraechen bei dem Tische, und dann suchte jedes sein Zimmer." "So war eine Zeit vergangen, und so kam nach und nach der Herbst. Ich lebte mich immer mehr in das Haus ein und fuehlte mich mit jedem Tage wohler. Man behandelte mich sehr guetig. Was ich bedurfte, war immer da, ehe das Beduerfnis sich noch klar dargestellt hatte. Aber auch nicht bloss das wurde hergestellt, was ich bedurfte, sondern auch das, was zum Schmucke des Lebens geeignet ist. Blumen, die ich liebte, wurden in Toepfen in meine Zimmer gestellt, ein Buch, ein neues Zeichnungsgeraete fand sich von Zeit zu Zeit ein, und da ich einmal auf mehrere Tage abwesend war, sah ich bei meiner Rueckkehr meine Wohnung mit Farben bekleidet, die ich einmal bei einem Besuche in einem Nachbarschlosse sehr gelobt hatte. Bei Spaziergaengen gesellte sich der Vater Alfreds gerne zu mir, wir gingen abgesondert von den Andern und fuehrten Gespraeche, die mir in dem, was er sagte, sehr inhaltreich schienen. Ebenso war die Mutter Alfreds nicht ungeneigt, sich mit mir zu besprechen. Wenn ich in Alfreds Zimmer war, das an das ihrige grenzte, kam sie gerne herein und sprach mit mir, oder sie liess mich in ihr Zimmer treten, wies mir einen Sitz an und redete mit mir. Ich hatte ihr nach und nach alle meine Familienverhaeltnisse erzaehlt, sie hatte teilnehmend zugehoert und hatte manches Wort gesprochen, das hoechst wohltaetig in meine Seele ging. Alfred war mir gleich in den ersten Tagen zugetan, und diese Neigung wuchs. Sein Wesen war nicht verbildet. Er war koerperlich sehr gesund, und dies wirkte auch auf seinen Geist, der nebstdem ueberall von den Seinigen mit Mass und Ruhe umgeben war. Er lernte sehr genau und lernte leicht und gut, er war folgsam und wahrhaftig. Ich wurde ihm bald zugeneigt. Noch ehe der Winter kam, verlangte er, dass er nicht mehr neben der Mutter, sondern neben mir wohnen solle, er sei ja kein so kleiner Knabe mehr, dass er die Mutter immer brauche, und er muesse nun bald neben den Maennern sein. Man willfahrte ihm auf meine Bitte, er bekam ein Zimmer neben mir, und der Diener, der bis jetzt nebst andern meine Auftraege zu besorgen gehabt hatte, wurde uns gemeinschaftlich beigegeben. Sein Koerper entwickelte sich auch ziemlich regsam, er war in dem Sommer gewachsen, sein Haupt war regelmaessiger und sein Blick war staerker geworden." "So endete der Herbst, und als bereits die Reife an jedem Morgen auf den Wiesen lagen, zogen wir in die Stadt. Hier aenderte sich Manches. Alfred und ich wohnten wohl wieder neben einander; aber statt des Himmels und der Berge und der gruenen Baeume sahen Haeuser und Mauern in unsere Fenster herein. Ich war es von frueherem Stadtleben gewohnt, und Alfred achtete wenig darauf. Es wurden mehr Lehrer in mehr Faechern genommen, und die Lehrstunden waren gedraengter als auf dem Lande. Auch kamen wir mit viel mehr Menschen in Beruehrung und die Einwirkungen vervielfaeltigten sich. Aber auch hier wurde ich nicht minder gut behandelt als auf dem Lande. Ich wurde nach und nach zur Familie gerechnet, und alles was ueberhaupt der Familie gemeinschaftlich zukam, wurde auch mir zugeteilt. Die Mutter Alfreds sorgte fuer meine haeuslichen Angelegenheiten, und nur die Anschaffung von Kleidern, Buechern und dergleichen war meine Sache." "Als kaum die ersten Fruehlingsluefte kamen, gingen wir wieder nach Heinbach. Mathilde, Alfred und ich sassen in einem Wagen, der Vater und die Mutter in einem anderen. Alfred wollte nicht von mir getrennt sein, er wollte neben mir sitzen. Man musste es daher so einrichten, dass Mathilde uns gegenueber sass. Sie war, als ich das Haus betreten hatte, noch nicht voellig vierzehn Jahre alt. Jetzt ging sie gegen fuenfzehn. Sie war in dem vergangenen Jahre bedeutend gewachsen, so dass sie wohl so gross war wie ein vollendetes Maedchen. Ihr Koerper war aeusserst schlank, aber sehr gefaellig gebildet. Man kleidete sie gerne in dunkle Stoffe, die ihr wohl standen. Wenn sie in dem tiefen Blau oder in dem Nelkenbraun oder in der Farbe des Veilchens ging und das schoene Weiss das Kleid oben saeumte, so wurde eine Anmut sichtbar, die gleichsam sagte, dass alles sei, wie es sein muss. Ihre Wangen waren sehr frisch, sanft rot und wurden jetzt ein wenig laenglich, ihr Mund war fast rosenrot, die grossen Augen waren sehr glaenzend schwarz, und die reinen braunen Haare gingen von der sanften Stirne zurueck. Die Mutter liebte sie sehr, sie liess sie fast gar nicht von sich, sprach mit ihr, ging mit ihr spazieren, unterrichtete sie auf dem Lande selber und wohnte in der Stadt jeder Unterrichtsstunde bei, die ein fremder Lehrer erteilte. Nur mit mir und Alfred liess sie sie im vergangenen Sommer oft im Garten auf dem Rasenplatze, ja sogar in der Gegend herum gehen. Da ging ich mit beiden Kindern, fragte sie, erzaehlte ihnen, liess mich selber fragen und liess mir erzaehlen. Alfred hielt mich groesstenteils an der Hand oder suchte sich ueberhaupt irgendwie an mich anzuhaengen, sei es selbst mit einem Hakenstaebchen, das er sich von irgend einem Busche geschnitten hatte. Mathilde wandelte neben uns. Ich hatte nur den Auftrag, zu sorgen, dass sie keine heftigen Bewegungen mache, welche an sich fuer ein Maedchen nicht anstaendig sind und ihrer Gesundheit schaden koennten, und dass sie nicht in sumpfige oder unreine Gegenden komme und sich ihre Schuhe oder ihre Kleider beschmutze; denn man hielt sie sehr rein. Ihre Kleider mussten immer ohne Makel sein, ihre Zaehne, ihre Haende mussten sehr rein sein, und ihr Haupt und ihre Haare wurden taeglich so vortrefflich geordnet, dass kein Tadel entstehen konnte. Ich zeigte den Kindern die Berge, die zu sehen waren, und nannte sie, ich lehrte sie die Baeume, die Gestraeuche und selbst manche Wiesenpflanzen kennen, ich las ihnen Steinchen, Schneckenhaeuschen, Muscheln auf und erzaehlte ihnen von dem Haushalte der Tiere, selbst solcher, die gross und maechtig sind und in entfernten Waeldern oder gar in Wuesten wohnen. Alfred liebte das Walten und das Tun der Voegel sehr, besonders ihren Gesang. Er freute sich, aus dem Fluge einen Vogel zu erraten, und wenn die Stimmen in dem Gebuesche oder im Walde ertoenten, konnte er alle die Saenger herzaehlen, von denen sie stroemten. Er lehrte dies ein wenig auch Mathilden und fragte sie bei manchem Laute, woher er ruehre. Ich hatte die Vorschriften der Mutter nie ueberschritten, und Mathilde gewann an Schoenheit des Aussehens und an Gesundheit durch diese Spaziergaenge. So wie die Mutter im Sommer und Herbste sie mit uns hatte herum gehen lassen, so liess sie sie jetzt mit uns fahren. Sie sass zwei Tage uns gegenueber. Es war am Morgen und Abende noch ziemlich kuehl. Ich hatte einen Mantel, und Alfred war in einen warmen Ueberrock geknoepft. Mathilde hatte ueber ihr dunkles Wollkleid, aus dem nicht einmal die Spitzen ihrer Schuhe hervorsahen, ein Maentelchen, das ihren ganzen Oberkoerper bis an das Kinn verhuellte, auf dem Haupte hatte sie einen warmen, wohlgefuetterten Hut, dessen weite Fluegel sich wohl anschmiegten, so dass nichts, als beinahe nur die Wangen, welche in der Maerzluft noch roeter geworden waren, und die glaenzenden Augen hervorsahen. Wir beredeten, was wir in dem naechsten Sommer vornehmen wollten. Der Hauptinhalt unserer Gespraeche aber war, dass alles, was uns auf unserem Wege oder in dessen Naehe begegnete, bemerkt wurde, dass wir es nannten und darueber sprachen. So kamen wir endlich bei heiterem und klarem Maerzwetter in Heinbach an. Die Baeume vor den Fenstern hatten noch kein Laub, der Garten war oede und die Felder waren noch nicht gruen, ausser dort, wo sie die Wintersaaten trugen." "Obwohl es draussen sehr unwirtlich war, wenn man den aeusserst freundlichen blauen Himmel abrechnet, so war es in dem Hause sehr heimisch. Alles war auf das Reinlichste geputzt und zu dem Empfange der Bewohner hergerichtet. Die Zimmer glaenzten, die Fenster spiegelten, durch die Vorhaenge schien eine helle Maerzsonne herein und in den Kaminen brannte ein behagliches Feuer. Meine zwei Gemaecher waren um ein sehr liebliches Eckzimmerchen vermehrt worden, und man hatte mir schoenere und bequemere Geraete in meine Wohnung gestellt. Ich traf jetzt die Veranstaltung, dass die Tuer von meiner Wohnung in Alfreds Zimmer immer offen war, dass beide Wohnungen eine bildeten und dass ich gleichsam neben einem juengeren Bruder lebte. Hatte ich eine Arbeit vor, bei der eine Stoerung hindernd gewesen waere, so ging ich in mein Eckzimmer." "Das Leben in dem Landhause begann jetzt wieder wie in dem vorigen Sommer. Wenn auch noch kein Laub auf den Baeumen war, wenn sich das Gruen der Wiesen noch duerftig zeigte und auf den Feldern fuer die Sommerfrucht noch die nackte Scholle lag, so gingen wir doch schon vielfach spazieren. Alfred und ich gingen taeglich, selbst wenn truebes Wetter war, nur nicht, wenn heftiger Regen von dem Himmel stroemte. Wenn nach einem klaren Morgen, an dem wir noch die Erde und die Daecher weiss gesehen hatten, ein heiterer Tag kam und die Wege trocken waren, ging Mathilde mit uns, und wir fuehrten sie auf Anhoehen oder Felder, wo wir kurz vorher die schoensten Triller der Lerchen gehoert hatten. Diese Saenger waren die einzigen, die mit uns schon die Gegend bevoelkerten." "Nach und nach wurde das Weiss auf Feld und Wiesen seltener, die Sonne schien kraeftiger, das Feuer in den Kaminen war nicht mehr noetig, die Wiesen gewannen Gruen, die Baeume Knospen und an den Zweigen der Lattenpfirsiche im Garten erschienen einzelne Blueten. Die Saenger der Luft erschienen in verschiedenen Gestalten und Farben. Wenn ich irgendwo Veilchen oder andere Fruehlingsblumen fand, welche Mathilde nicht mit uns hatte pfluecken koennen, so brachte ich sie ihr in einem Strausse fuer das Blumenglas ihres Tischchens nach Hause. Als Dank fuer solche Aufmerksamkeiten erhielt ich zu meinem Geburtsfeste, welches in die ersten Tage des Fruehlings fiel, von ihrer Hand gestickt ein rundes Deckchen, worauf ein silberner Handleuchter, den mir Mathildens Mutter gab, zu stehen bestimmt war." "Der Fruehling war endlich mit voller Pracht gekommen. Im vergangenen Jahre hatte ich ihn in dieser Gegend nicht gesehen, weil ich erst spaeter angelangt war. Ueberhaupt hatte ich meines laengern Stadtlebens willen schon lange nicht einen vollkommenen Fruehling in der Tiefe des Landes erblickt. Nur an der Grenze des Landes, das heisst, wo es an die Stadt reicht, hatte ich den einen oder andere Fruehlingstag zugebracht oder irgend einen Sonnenblick erlauscht. Das teilt man aber mit Vielen, die aus der Stadt hinaus kommen, und muss es im Gedraenge und Staube geniessen. In Heinbach war Einsamkeit und Stille, die blaue Luft schien unermesslich, und die Bluetenfuelle wollte die Baeume erdruecken. Jeden Morgen stroemte neue Wuerze durch die geoeffneten Fenster. Man fuehlte in Heinbach, wie sehr mich Ungewohnten dieser Reichtum ueberrasche und freue, und man suchte mir diese Freude auf jede Weise noch fuehlbarer zu machen und sie zu erhoehen. Jeden Tag wurden die Blumen in meiner Wohnung durch neu aufgebluehte aus den Gewaechshaeusern ersetzt. Wenn in dem freien Grunde sich etwas zeigte, sei es ein Gestraeuch, sei es eine Blume, so machte man mich darauf aufmerksam, man brachte den groessten Teil der Zeit im Freien zu, und machte weit oefter und weit laengere Spaziergaenge als sonst. Mathilde erzaehlte mir es, wenn sie den Gesang eines Vogels gehoert hatte, wenn Faltern vorueber geflogen waren, wenn sich ein Becher in einem Gebuesche geoeffnet hatte, ja sie gab mir zuweilen Blumen, um sie in meiner Wohnung aufzubewahren." "So verging der Fruehling, und der Sommer rueckte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre in dieser Familie angenehm gewesen, so war es mir in diesem noch angenehmer. Wir gewoehnten uns immer mehr an einander, und mir war zuweilen, als haette ich wieder eine unzerstoerbare Heimat. Der Herr des Hauses zeichnete mich aus, er besuchte mich oft in meiner Wohnung und sprach lange mit mir, er lud mich zu sich, zeigte mir seine Sammlungen, seine Arbeiten und sprach ueber Gegenstaende, die bewiesen, dass er mich auch achte. Mathildens Mutter war sehr liebreich, freundlich und guetig. Sie sorgte wie frueher fuer mich; aber sie tat es einfacher und fast wie ein Ding, das sich von selber verstehe. Wir waren oft alle in ihrem Zimmer und spielten ein kindisches Spiel oder trieben Musik. Alfred hatte gleich Anfangs schon viel Zutrauen zu mir gezeigt, dieses Zutrauen war immer gewachsen und war dann unbedingt geworden. Er war ein vortrefflicher Knabe, offen, klar, einfach, gutmuetig, lebendig, ohne doch einem heftigen Zorne anheimzufallen, heiter, unschuldig und folgsam. Er war jetzt gegen neun Jahre alt, entwickelte sich stets froehlicher und gewann am Geiste sowie am Koerper. Mathilde wurde immer herrlicher, sie war zuletzt feiner als die Rosen an dem Gartenhause, zu denen wir sehr gerne gingen. Ich liebte beide Kinder unsaeglich. Wenn Alfred Unterrichtsstunde hatte, war ich dabei und leitete und ueberwachte sie, ich ueberwachte sein Lernen und fragte ihn immer um das Gelernte, damit er sich bei dem Lehrer keine Bloesse gebe. Die Gegenstaende, die ich mit ihm vornahm, vermehrte ich ansehnlich, ich suchte sie ihm recht gut beizubringen, und er lernte sie auch besser als frueher bei andern Lehrern. Vater und Mutter waren oft bei dem Unterrichte zugegen und ueberzeugten sich von den Fortschritten. Mathilde nahm ich nicht nur sehr gerne, sondern viel lieber als frueher zu unsern Spaziergaengen mit. Ich sprach mit ihr, ich erzaehlte ihr, ich zeigte ihr Gegenstaende, die an unserm Wege waren, hoerte ihre Fragen, ihre Erzaehlungen und beantwortete sie. Bei rauhen Wegen oder wo Naesse zu befuerchten war, zeigte ich ihr die besseren Stellen oder die Richtungen, auf denen man trockenen Fusses gehen konnte. Zu Hause nahm ich an ihren Bestrebungen Anteil. Ich sah oefter ihre Zeichnungen an und gab ihr einen Rat, den sie sehr gerne verlangte und befolgte. Sie freute sich sehr, wenn das Veraenderte dann viel besser aussah. Ich war dabei, wenn sie auf dem Claviere spielte, und hoerte zu, so lange ihre Finger aus den Saiten die Toene hervor zu locken suchten. Ich schrieb ihr in Hefte sehr zierlich ab, wenn sie irgendwo einen Gesang hoerte und sich denselben aus dem Gedaechtnisse in Musiknoten aufschrieb. Dies war besonders in Hinsicht der Zither der Fall, die sie spielen zu lernen angefangen hatte, die sie sehr liebte und auf der sie bedeutende Fortschritte machte. Oft hoerte die Mutter Mathildens mit Aufmerksamkeit zu, wenn sie anmutige Weisen aus den Metallsaiten hervorbrachte, und ich und Alfred regten uns nicht und lauschten. Ich las ihr und der Mutter aus ihren Buechern vor und bezeichnete schoene Stellen durch eingelegte Zeichen. Auch Blumen, Waldfruechte und dergleichen brachte ich ihr, wenn ich dachte, dass sie ihr Freude machen koennten." "Der Sommer war beinahe vergangen und der Herbst stand bevor. Wir hatten so viel getan, dass uns die Zeit sehr kurz schien. Wir waren uns auch genug, um unsere Stunden zu erfuellen. Wenn fremde Kinder zugegen waren, wenn Spiele veranstaltet waren und alle auf dem heiteren Rasen huepften und sprangen, stand Mathilde seitwaerts und sah teilnahmslos zu. Wir fuhren auch nicht so oft in die Nachbarschaft wie im vergangenen Jahre, und verlangten es auch nicht." "Eines Tages nachmittags standen wir drei an dem Ausgange des langen Laubenweges, der mit Reben bekleidet ist und zu dem Obstgarten fuehrt. Mathilde und ich standen ganz allein an der Muendung des Laubganges, Alfred war unter den Baeumen damit beschaeftigt gewesen, einige Taefelchen, die an den Staemmen hingen und schmutzig geworden waren, zu reinigen, dann las er abgefallenes halbreifes Obst zusammen, legte es in Haeufchen und sonderte das bessere von dem schlechteren ab. Ich sagte zu Mathilden, dass der Sommer nun bald zu Ende sei, dass die Tage mit immer groesserer Schnelligkeit kuerzer werden, dass bald die Abende kuehl sein wuerden, dass dann dieses Laub sich gelb faerben, dass man die Trauben ablesen und endlich in die Stadt zurueckkehren wuerde." "Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die Stadt gehe." "Ich sagte, dass ich nicht gerne gehe, dass es hier gar so schoen sei und dass es mir vorkomme, in der Stadt werde alles anders werden." ">Es ist wirklich sehr schoen<, antwortete sie, >hier sind wir alle viel mehr beisammen, in der Stadt kommen Fremde dazwischen, man wird getrennt und es ist, als waere man in eine andere Ortschaft gereist. Es ist doch das groesste Glueck, Jemanden recht zu lieben.<" ">Ich habe keinen Vater, keine Mutter und keine Geschwister mehr<, erwiderte ich, >und ich weiss daher nicht, wie es ist.<" ">Man liebt den Vater, die Mutter, die Geschwister<, sagte sie, >und andere Leute.<" ">Mathilde, liebst du denn auch mich?< erwiderte ich." "Ich hatte sie nie du genannt, ich wusste auch nicht, wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als waeren sie mir durch eine fremde Macht hineingelegt worden. Kaum hatte ich sie gesagt, so rief sie: >Gustav, Gustav, so ausserordentlich, wie es gar nicht auszusprechen ist.<" "Mir brachen die heftigsten Traenen hervor." "Da flog sie auf mich zu, drueckte die sanften Lippen auf meinen Mund und schlang die jungen Arme um meinen Nacken. Ich umfasste sie auch und drueckte die schlanke Gestalt so heftig an mich, dass ich meinte, sie nicht loslassen zu koennen. Sie zitterte in meinen Armen und seufzte." "Von jetzt an war mir in der ganzen Welt nichts teurer, als dieses suesse Kind." "Als wir uns losgelassen hatten, als sie vor mir stand, ergluehend in unsaeglicher Scham, gestreift von den Lichtern und Schatten des Weinlaubes, und als sich, da sie den suessen Atem zog, ihr Busen hob und senkte, war ich wie bezaubert, kein Kind stand mehr vor mir, sondern eine vollendete Jungfrau, der ich Ehrfurcht schuldig war. Ich fuehlte mich beklommen." "Nach einer Weile sagte ich: >Teure, teure Mathilde.<" ">Mein teurer, teurer Gustav<, antwortete sie." "Ich reichte ihr die Hand und sagte: >Auf immer, Mathilde.<" ">Auf ewig<, antwortete sie, indem sie meine Hand fasste." "In diesem Augenblicke kam Alfred auf uns herzu. Er bemerkte nichts. Wir gingen schweigend neben ihm in dem Gange dahin. Er erzaehlte uns, dass die Namen der Baeume, die auf weisse Blechtaefelchen geschrieben sind, welche Taefelchen an Draht von dem untersten Aste jedes Baumes hernieder haengen, von den Leuten oft sehr verunreinigt wuerden, dass man sie alle putzen solle, und dass der Vater den Befehl erlassen sollte, dass ein jeder, der einen Baum waescht, putzt oder dergleichen oder der sonst eine Arbeit bei ihm verrichtet, sich sehr in Acht zu nehmen habe, dass er das Taefelchen nicht bespritzt oder sonst eine Unreinigkeit darauf bringt. Dann erzaehlte er uns, dass er schoene Borsdorfer Aepfel gefunden habe, welche durch einen Insektenstich zu einer frueheren, beinahe vollkommenen Reife gediehen seien. Er habe sie am Stamme des Baumes zusammengelegt und werde den Vater bitten, sie zu untersuchen, ob man sie nicht doch brauchen koenne. Dann seien viele andere, welche vor der Zeit abfielen, weil die Baeume heuer mit zu viel Obst beladen waeren und ihre Kraft nicht genug ist, alle zur Reife zu bringen. Diese habe er auch zusammengelegt, so viele er in der ersten Baumreihe habe finden koennen. Sie werden wohl zu gar nichts tauglich sein. Er freue sich schon sehr auf den Herbst, wo man alles das herabnehmen werde und wo auch die schoenen roten, blauen und goldgruenen Trauben von diesem Ganggelaender heruntergelesen werden wuerden. Es sei gar nicht mehr lange bis dahin." "Wir sprachen nicht und gingen einige Male in dem Gange mit ihm hin und wider." "Die grosse Erregung hatte sich ein wenig gelegt, und wir gingen in das Haus. Ich ging aber nicht mit Mathilden zu ihrer Mutter, wie ich sonst immer getan hatte, sondern nachdem ich Alfred in sein Zimmer geschickt hatte, schweifte ich durch die Buesche herum und ging immer wieder auf den Platz, von welchem ich die Fenster sehen konnte, innerhalb welcher die teuerste aller Gestalten verweilte. Ich meinte, ich muesse sie durch mein Sehnen zu mir herausziehen koennen. Es war erst ein Augenblick, seit wir uns getrennt hatten, und mir erschien es so lange. Ich glaubte, ohne sie nicht bestehen zu koennen, ich glaubte, jede Zeit sei ein verlornes Gut, in welcher ich das holde, schlanke Maedchen nicht an mein Herz drueckte. Ich hatte frueher nie irgend ein Maedchen bei der Hand gefasst als meine Schwester, ich hatte nie mit einem ein liebes Wort geredet oder einen freundlichen Blick gewechselt. Dieses Gefuehl war jetzt wie ein Sturmwind ueber mich gekommen. Ich glaubte sie durch die Mauern in ihrem Zimmer gehen sehen zu muessen mit dem langen kornblumenblauen Kleide, mit den glanzvollen Augen und dem rosenherrlichen Munde. Es bewegte sich der Fenstervorhang, aber sie war nicht an demselben; es schimmerte an dem Glase wie von einem rosigen Angesichte, aber es war nur ein schiefes Hereinleuchten der beginnenden Abendroete gewesen. Ich ging wieder durch die Buesche, ich ging durch den Weinlaubengang in den Obstgarten, der Weinlaubengang war mir jetzt ein fremdwichtiges Ding, wie ein Pallast aus dem fernsten Morgenlande. Ich ging durch das Haselnussgebuesch zu dem Rosenhause, es war, als bluehten und gluehten alle Rosen um das Haus, obwohl nur die gruenen Blaetter und die Ranken um dasselbe waren. Ich ging wieder zu unserem Wohnhause zurueck und ging auf den Platz, von dem ich Mathildens Fenster sehen musste. Sie beugte sich aus einem heraus und suchte mit den Augen. Als sie mich erblickt hatte, fuhr sie zurueck. Auch mir war es gewesen, da ich die holde Gestalt sah, als haette mich ein Wetterstrahl getroffen. Ich ging wieder in die Buesche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine Strecke Rasen saeumten und in ihrer Mitte eine Bank hatten, um im Schatten ruhen zu koennen. Zu dieser Bank ging ich immer wieder zurueck. Dann ging ich wieder auf ein Fleckchen Rasen und sah gegen die Fenster. Sie beugte sich wieder heraus. Dies taten wir ungezaehlte Male, bis der Flieder in dem Rot der Abendroete schwamm und die Fenster wie Rubinen glaenzten. Es war zauberhaft, ein suesses Geheimnis mit einander zu haben, sich seiner bewusst zu sein und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es entzueckt in meine Wohnung." "Als wir zum Abendessen zusammen kamen, fragte mich Mathildens Mutter: >Warum seid ihr denn heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurueckgekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?<" "Ich vermochte auf diese Frage nicht ein Wort zu antworten; es wurde aber nicht beachtet." "Ich schlief in der ganzen Nacht kaum einige Augenblicke. Ich freute mich schon auf den Morgen, an dem ich sie wieder sehen wuerde. Wir trafen alle in dem Speisesaale zu dem Fruehmahle zusammen. Ein Blick, ein leichtes Erroeten sagte alles, sie sagten, dass wir uns besassen und dass wir es wussten. Den ganzen Morgen brachte ich mit Alfred im eifrigen Lernen zu. Gegen Mittag, als Graeser und Laubblaetter getrocknet waren, gingen wir in den Garten. Mathilde flog mit einem Buche, in dem sie eben gelesen hatte, aus dem Hause, sie eilte auf uns zu, und wir tauschten den Blick der Einigung. Sie sah mich innig an, und ich fuehlte, wie meine Empfindung aus meinen Augen stroemte. Wir gingen durch den Blumengarten und durch den Gemuesegarten auf den Weinlaubengang zu. Es war, als haetten wir uns verabredet, dorthin zu gehn. Mathilde und ich sprachen gewoehnliche Dinge, und in den gewoehnlichen Dingen lag ein Sinn, den wir verstanden. Sie gab mir ein Weinblatt, und ich verbarg das Weinblatt an meinem Herzen. Ich reichte ihr ein Bluemchen, und sie steckte das Bluemchen in ihren Busen. Ich nahm ihr das Papierstreifchen, welches als Merkmal in ihrem Buche steckte, und behielt es bei mir. Sie wollte es wieder haben, ich gab es nicht, und sie laechelte und liess es mir. Wir kamen in das Haselgebuesch, durchstreiften es und traten vor die Rosen des Gartenhauses. Sie nahm einige welke Blaetter ab und reinigte dadurch den Zweig. Ich tat das Nehmliche mit dem Nachbarzweige. Sie gab mir ein gruenes Rosenblatt, ich knickte einen zarten Zweig, was eigentlich nicht erlaubt war, und gab ihr den Zweig. Sie wendete sich einen Augenblick ab, und da sie sich wieder uns zugewandt, hatte sie den Rosenzweig bei sich verborgen. Wir gingen in das Gartenhaus, sie stand an dem Tische und stuetzte sich mit ihrer Hand auf die Platte desselben. Ich legte meine Hand auch auf die Platte, und nach einigen Augenblicken hatten sich unsere Finger beruehrt. Sie stand wie eine feurige Flamme da, und mein ganzes Wesen zitterte. Im vorigen Sommer hatte ich ihr oft die Hand gereicht, um ihr ueber eine schwierige Stelle zu helfen, um sie auf einem schwanken Stege zu stuetzen oder sie auf schmalem Pfade zu geleiten. Jetzt fuerchteten wir, uns die Haende zu geben, und die Beruehrung war von der groessten Wirkung. Es ist nicht zu sagen, woher es kommt, dass vor einem Herzen die Erde, der Himmel, die Sterne, die Sonne, das ganze Weltall verschwindet, und vor dem Herzen eines Wesens, das nur ein Maedchen ist und das Andere noch ein Kind heissen. Aber sie war wie der Stengel einer himmlischen Lilie zaubervoll, anmutsvoll, unbegreiflich." "Wir gingen wieder in das Haus, und wir gingen, ehe wir zu dem Mittagessen gerufen wurden, zu der Mutter. Bei der Mutter waren wir stiller und wortarmer als gewoehnlich. Mathilde suchte sich ein Papierstreifchen und legte es wieder an jener Stelle in das Buch, wo ich ihr das Merkzeichen herausgenommen hatte. Dann setzte sie sich zu dem Claviere und rief einzelne Toene aus den Saiten. Alfred erzaehlte, was wir in dem Garten getan hatten und berichtete der Mutter, dass wir verdorrte und unbrauchbare Blaetter von den Rosenzweigen, die an den Latten des Gartenhauses angebunden sind, herabgenommen haetten. Hierauf wurden wir zu dem Mittagessen gerufen. Nachmittag war kein Spaziergang. Die Eltern gingen nicht, und ich schlug Alfred und Mathilden keinen vor. Ich nahm ein Buch eines Lieblingsdichters, las sehr lange, und feurige Traenen wie heisse Tropfen kamen oefter in meine Augen. Spaeter sass ich auf der Bank in dem Fliedergebuesche und schaute zuweilen durch die Zweige auf die Wohnung Mathildens. Dort stand manches Mal das Maedchen, das so schoen wie ein Engel war, an dem Fenster. Gegen den Abend spielte Mathilde in dem Zimmer der Mutter auf dem Claviere sehr ernst, sehr schoen und sehr ergreifend. Dann nahm sie noch die Zither und spielte auf derselben ebenfalls. Die Saiten mussten sie so ergriffen haben, dass sie nicht aufhoeren konnte. Sie spielte immer fort, und die Toene wurden immer ruehrender und ihre Verbindung immer natuerlicher. Die Mutter lobte sie sehr. Der Vater, welcher in einem Geschaefte in der naechsten kleinen Stadt gewesen war, kam endlich auch zur Mutter, und wir blieben in dem Zimmer derselben, bis wir zu dem Abendessen gerufen wurden. Der Vater nahm Mathilden an den Arm und fuehrte sie zaertlich in den Speisesaal." "Es begann nun eine merkwuerdige Zeit. In meinem und Mathildens Leben war ein Wendepunkt eingetreten. Wir hatten uns nicht verabredet, dass wir unsere Gefuehle geheim halten wollen; dennoch hielten wir sie geheim, wir hielten sie geheim vor dem Vater, vor der Mutter, vor Alfred und vor allen Menschen. Nur in Zeichen, die sich von selber gaben und die wie von selber auf die Lippen kamen, machten sie wir uns gegenseitig kund. Tausend Faeden fanden sich, an denen unsere Seelen zu einander hin und her gehen konnten. Wenn wir in dem Besitze von diesen tausend Faeden waren, so fanden sich wieder tausend und mehrten sich immer. Die Luefte, die Graeser, die spaeten Blumen der Herbstwiese, die Fruechte, der Ruf der Voegel, die Worte eines Buches, der Klang der Saiten, selbst das Schweigen waren unsere Boten. Und je tiefer sich das Gefuehl verbergen musste, desto gewaltiger war es, desto draengender loderte es in dem Innern. Auf Spaziergaenge gingen wir drei, Mathilde, Alfred und ich, jetzt weniger als sonst, es war, als scheuten wir uns vor der Anregung. Die Mutter reichte oft den Sommerhut und munterte auf. Das war dann ein grosses, ein namenloses Glueck. Die ganze Welt schwamm vor den Blicken, wir gingen Seite an Seite, unsere Seelen waren verbunden, der Himmel, die Wolken, die Berge laechelten uns an, unsere Worte konnten wir hoeren, und wenn wir nicht sprachen, so konnten wir unsere Tritte vernehmen, und wenn auch das nicht war, oder wenn wir stille standen, so wussten wir, dass wir uns besassen, der Besitz war ein unermesslicher, und wenn wir nach Hause kamen, war es, als sei er noch um ein Unsaegliches vermehrt worden. Wenn wir in dem Hause waren, so wurde ein Buch gereicht, in dem unsere Gefuehle standen, und das Andere erkannte die Gefuehle, oder es wurden sprechende Musiktoene hervorgesucht, oder es wurden Blumen in den Fenstern zusammengestellt, welche von unserer Vergangenheit redeten, die so kurz und doch so lang war. Wenn wir durch den Garten gingen, wenn Alfred um einen Busch bog, wenn er in dem Gange des Weinlaubes vor uns lief, wenn er frueher aus dem Haselgebuesche war als wir, wenn er uns in dem Innern des Gartenhauses allein liess, konnten wir uns mit den Fingern beruehren, konnten uns die Hand reichen oder konnten gar Herz an Herz fliegen, uns einen Augenblick halten, die heissen Lippen an einander druecken und die Worte stammeln: >Mathilde, dein auf immer und auf ewig, nur dein allein, und nur dein, nur dein allein!<" ">O ewig dein, ewig, ewig, Gustav, dein, nur dein und nur dein allein.<" "Diese Augenblicke waren die allerglueckseligsten." "So war der tiefe Herbst gekommen. Wir hatten in dem Reste des Sommers ein Aeusseres nicht vermisst. Mathilde und Alfred hatten immer weniger verlangt, in die Nachbarschaft zu fahren, und so war es gekommen, dass auch die Eltern weniger fuhren und dass auch Fremde weniger zu uns kamen. Wenn sie aber da waren, wenn auch Alfred an den Spielen und Ergoetzungen der Kinder Teil nahm, so war Mathilde doch teilnahmloser als je. Sie hielt sich ferne, wie eine, die nicht hieher gehoert. Auch in ihrem koerperlichen Wesen war in dieser kurzen Zeit eine grosse Veraenderung vorgegangen. Sie war staerker geworden, ihre Wangen waren purpurner, ihre Augen glaenzender geworden. Alfred liebte mich sehr. Neben seinen Eltern und seiner Schwester liebte er vielleicht nichts so sehr als mich, und ich vergalt es ihm mit ganzer Seele." "Der spaete Herbst war endlich dem Beginne des Winters gewichen. Wie wir sehr frueh von der Stadt auf das Land gingen, so blieben wir auch sehr tief in die sinkende Jahreszeit hinein auf demselben. Alfreds Erwartung war in Erfuellung gegangen. Das Obst und die Trauben waren abgenommen worden. Auf den Zweigen der Baeume war kein Blatt mehr, und der Nebel und der Frost zogen sich durch die Gruende des Tales. Da gingen wir in die Stadt. Dort war Mathilde enger umgrenzt. Lehrer, Erziehungsstunden, Unterricht, Arbeiten draengten sich an sie heran. Ihr ganzes Wesen aber war begeisterter und getragener, und ich erschien mir reich, um Vieles reicher als die Besitzer all der Haeuser, der Pallaeste und des Glanzes der ungeheuren Stadt. Wir konnten uns nur seltener sprechen; aber wenn sie mir auf dem Gange begegnete, wenn sie mir in dem Zimmer der Mutter einige Worte sagen konnte, wenn in der Menge das Geschick uns an einander vorueberfuehrte oder wenn uns ein anderer geistiger Augenblick gegeben war, dann sagten mir ihre schoenen Augen, dann sagten einige Worte, wie sehr wir uns liebten, wie unveraenderlich diese Liebe sei und wie unbegrenzt unsere Seelen einander beherrschten. Sie wurde jetzt auch von andern Leuten bemerkt, und junge Maenner richteten ihre Augen auf sie; aber wenn man ihr entgegen kam, wenn ihr gehuldigt wurde, wenn man sie in einer Familie feierte, so war sie ganz ruhig gegen diese Dinge, setzte ihnen gar keine Aeusserung entgegen, und ihr engelschoenes Wesen sagte mir, es sagte es nur von mir verstanden, dass sie mit ihrer wundervollen Gestalt, mit der Waerme ihrer Seele und dem Glanz ihres Aufbluehens nur mich begluecke, und dass es ihr Wonne mache, mich begluecken zu koennen. Oft, wenn ich von weiten Gaengen in der Stadt zurueckkehrte und zu dem Hause kam, in welchem wir wohnten, blieb ich stehen und betrachtete das Haus. Es war merkwuerdiger, es war gefeit worden vor den Haeusern der Stadt, und mit Ruehrung sah ich auf die Mauern, innerhalb welcher das Wesen wohnte, das von ueberirdischen Raeumen gekommen war, meine Seele zu erfuellen. Mathilde sah die Vergoetterung, welche ich ihr weihte, sie sah dieselbe genau auf den geheimen Wegen, auf denen ich ihre Liebe erkannte, und Freude leuchtete darueber von ihrer Stirne, welche gleichfalls nur von mir gesehen wurde. Die Eltern Mathildens fingen auch an, sie in vorzueglichere Stoffe zu kleiden, als sie bisher getan hatten, und wenn sie mit edlen Gewaendern angetan vor mir stand, kam sie mir ferner und naeher, fremder und angehoeriger vor als sonst." "Eines Tages, als ich ueber die Treppe unsers Hauses, welches nur von unserer Familie allein bewohnt wurde, herabging, um einen Freund zu besuchen, begegnete mir Mathilde. Sie war mit der Mutter an das Haus gefahren, die Mutter war in dem Wagen sitzen geblieben, sie aber sollte hinaufgehen, um irgend etwas zu holen. Sie war in schwarze Seide gekleidet, ein seidenes Maentelchen war um ihre Schultern, und aus dem Hute mit dem gruenen Flore sah das bluehende, durch die Kaelte erfrischte Angesicht hervor. Da wir uns hinter einer Biegung der Treppe begegneten, wurde sie dunkelgluehend. Ich erschrak und sagte aber: >O Mathilde, Mathilde, du himmelvolles Wesen, alle streben sie nach dir, wie wird das werden, o wie wird das werden?!<" ">Gustav, Gustav<, antwortete sie, >du bist der trefflichste von allen, du bist ihr Koenig, du bist der Einzige, alles ist gut und herrlich, und Millionen Kraefte sollen es nicht zerreissen koennen.<" "Ich ergriff ihre Hand, ein gluehender Kuss, nur einen Augenblick gegeben, aber mit fest aneinandergedrueckten Lippen, bekraeftigte die Worte. Ich hoerte ihre Seide die Treppe emporrauschen, ich aber ging die Stufen hinunter. Da ich unten die glaeserne Doppeltuer der Treppe geoeffnet hatte, sah ich den Wagen stehen. Hinter den Fenstern desselben sass freundlich die Mutter Mathildens und sah mich an. Ich gruesste sie ehrerbietig und ging vorueber. Ich ging nun nicht mehr zu dem Freunde, den ich hatte besuchen wollen." "Mit Alfred betrieb ich das, was er zu lernen hatte, immer eifriger, ich war immer sorgsamer, dass er es gut inne habe, und legte, wo ich konnte, wie frueher und in noch groesserem Masse selber Hand an. Auch auf den Gang seiner Entwickelung im Allgemeinen suchte ich so einzuwirken, wie es mir nur moeglich war. Ich sprach sehr viel mit ihm und ging sehr viel mit ihm um. Er schloss sich, da er es wohl wusste, dass ich ihn liebe, immer inniger an mich an, ja er schloss sich auf das Innigste und fast ausschliesslich an mich. Er wohnte wie auf dem Lande so auch in der Stadt neben mir." "Im ersten Fruehlinge fuhren wir wieder wie im vorigen Jahre nach Heinbach. Es war wieder die Veranstaltung getroffen, dass Mathilde, Alfred und ich in einem Wagen fuhren. Alfred sass wieder neben mir und schmiegte sich an mich. Mathilde sass gegenueber. Und so konnten wir uns zwei Tage mit den Augen der Liebe ungehindert ansehen und konnten mit einander sprechen. Und wenn wir auch von gleichgueltigen Dingen redeten, so hoerten wir doch unsere Stimme, und in gewoehnlichen Dingen zitterte das tiefe Herz durch. Jene zwei Tage waren die glueckseligsten meines Lebens." "Auf dem Lande begann nun wieder ein Leben, wie es im vergangenen Jahre gewesen war. Wir waren ungebunden und konnten leichter unsere Seelen tauschen. Wir waren freier in dem Zimmer der Mutter oder in dem des Vaters, wir konnten den Garten besuchen, wir konnten unter den Baeumen des Rasenplatzes wandeln und wir konnten spazieren gehen. Am liebsten wurde uns der Weinlaubengang. Er war ein Heiligtum geworden, seine Zweige sahen uns vertraut an, seine Blaetter wurden unsere Zeugen, und durch seine Verschlingungen bebte manches tiefe Wort und wehte mancher Hauch der unergruendlichsten Glueckseligkeit. Fast ebenso lieb war uns das Gartenhaus. Manchen Flug der Wonne deckte es mit seinen schuetzenden Mauern, und es umgab uns wie ein stiller Tempel, wenn wir alle drei eintraten und zwei Gemueter wallten. Wir gingen oft an diese beiden Orte. Die Verbindungsfaeden wuchsen tausendfach, Mathilde wurde stets noch herrlicher, sie wurde von Andern immer heisser begehrt, aber ihre Seele schloss sich nur fester an die meinige." "Ich machte jetzt oft sehr grosse Wege allein. Wenn ich so weit war, dass ich das Haus nicht mehr sehen konnte und wenn ich so dastand und die weissen Wolken betrachtete, die ueber dem Hause stehen mussten, und wenn ich auf den Wald sah, jenseits dessen das Haus sich befand, so kam eine tiefe Bewegung in mich. Und wenn ich dann nach Hause eilte, ins Innere der Mauern ging, sie da sah und an ihr die Freude des Wiedersehens erkannte, so frohlockte gleichsam springend mir das Herz in dem Busen ueber meinen unendlichen Besitz." "Dennoch war allgemach etwas da, das wie ein Uebel in mein Glueck bohrte. Es nagte der Gedanke an mir, dass wir die Eltern Mathildens taeuschen. Sie ahnten nicht, was bestand, und wir sagten es ihnen nicht. Immer drueckender wurde mir das Gefuehl und immer aengstender lastete es auf meiner Seele. Es war wie das Unheil der Alten, welches immer groesser wird, wenn man es beruehrt." "Eines Tages, da eben die Rosenbluete war, sagte ich zu Mathilden, ich wolle zur Mutter gehen, ihr alles entdecken und sie um ihr guetiges Vorwort bei dem Vater bitten. Mathilde antwortete, das werde gut sein, sie wuensche es, und unser Glueck muesse dadurch sich erst recht klaeren und befestigen." "Ich ging nun zur Mutter Mathildens und sagte ihr alles mit schlichten Worten, aber mit zagender Stimme." ">Ich habe das von euch nicht erwartet und nicht geahnt<, erwiderte sie, >ich kann euch auch einen Bescheid nicht geben. Ich muss erst mit meinem Gatten sprechen. Kommt in einer Stunde in mein Zimmer, und ich werde euch antworten.<" "Ich verbeugte mich, verliess ihr Gemach und begab mich in mein Eckzimmer." "Als die Stunde vorueber war, ging ich in das Besuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwartete mich schon. Sie sass an ihrem Tische, um den wir uns so oft versammelt hatten. Sie bot mir auch einen Stuhl an. Nachdem ich mich gesetzt hatte, sagte sie: >Mein Gatte ist mit mir gleicher Ansicht. Wir haben euch ein Vertrauen geschenkt, das so gross war, dass wir es nicht verantworten koennen. Ihr gabet uns Grund zu diesem Vertrauen. Wir wollen nicht weiter darueber rechten. Aber eins muss gesprochen werden. Die Verbindung, welche ihr beide geschlossen habt, ist ohne Ziel, wenigstens ist jetzt ein Ziel nicht abzusehen. Ihr moegt wohl beide einen gleichen Anteil an der Schliessung dieses Bundes haben. Aber beide durftet ihr vielleicht an seine Folgen nicht gedacht haben, sonst koennten wir euch schwerer entschuldigen. Ihr habt euch nur eurem Gefuehle hingegeben. Ich begreife das. Ich kann mir nur nicht erklaeren, dass ich es nicht schon frueher begriffen habe. Ich habe euch so - so sehr vertraut. Hoert mich aber jetzt an. Mathilde ist noch ein Kind, es muss eine Reihe von Jahren vergehen, in denen sie noch lernen muss, was ihr fuer ihren einstigen Beruf not tut, es muss noch eine Reihe von Jahren vergehen, ehe sie nur begreift, was der Bund ist, den sie eben geschlossen hat. Sie ist lebhaft, sie hat ein Gefuehl von ihrer Seele Besitz nehmen lassen, welches ihr angenehm ist und welches wahrscheinlich diese ihre ganze Seele erfuellt. Sollen wir sie in diesem Gefuehle befangen sein lassen in der ganzen Zeit, in der sie erst die wichtigsten Vorbereitungen zu ihrem kuenftigen Leben treffen muss, oder soll sie ruhiger sein, um diese Vorbereitungen in dem rechten Masse treffen zu koennen? Soll das Gefuehl nun fortdauern, immer fort, bis wir sagen koennen, dass sie Braut sei? Wenn es fortdauert, wird es nicht peinigende Stunden bringen, da es nicht so bald in seinen natuerlichen Abschluss gelangen kann und Zweifel, Ungeduld, Vorwaertstreiben, Unmut und Schmerz in seinem Gefolge fuehren? Wird es da nicht jene schoenen, edlen, heitern, ruhigen Tage wegfressen, die der aufbluehenden Jungfrau bestimmt sind, ehe sie den Brautkranz in ihre Haare flicht? Sind nicht oft fruehzeitige, auf weite Ziele gerichtete Neigungen die Zerstoererinnen des Lebensglueckes geworden? Wenn ihr Mathilden liebt, wenn ihr sie mit wahrhafter Liebe eures Herzens liebt, koennt ihr sie einer solchen Gefahr aussetzen wollen? Graebt nicht tiefes Sehnen und heftiges Fuehlen, durch Jahre fortgesetzt, alle Kraefte des Menschen an? Und wie, wenn die Neigung des einen schwindet und das andere trostlos ist? Oder wenn sie in beiden ermattet und eine Leere hinter sich laesst? Ihr werdet beide sagen, das sei bei euch nicht moeglich. Ich weiss, dass ihr jetzt so fuehlt, ich weiss, dass es bei euch vielleicht auch nicht moeglich ist; allein ich habe oft gesehen, dass Neigungen aufhoerten und sich aenderten, ja dass die staerksten Gefuehle, welche allen Gewalten trotzten, dann, da sie keinen andern Widerstand mehr hatten als die zaehe, immer dauernde, aufreibende Zeit, dieser stillen und unscheinbaren Gewalt unterlegen sind. Soll Mathilde - ich will sagen eure Mathilde - dieser Moeglichkeit anheimgegeben werden? Ist ihr das Leben, in das sie jetzt mit frischer Seele hinein sieht, nicht zu goennen? Es ist groessere Liebe, auf die eigene Seligkeit nicht achten, ja die gegenwaertige Seligkeit des geliebten Gegenstandes auch nicht achten, aber dafuer das ruhige, feste und dauernde Glueck desselben begruenden. Das, glaube ich, ist eure und ist Mathildens Pflicht. Ihr koennt nur nicht einwenden, dass dieses Glueck durch eine Verbindung, die sogleich geschlossen wird, zu begruenden sei. Wenn auch Mathildens Vermoegen so gross waere, dass daraus ein Familienbesitzstand gegruendet werden koennte, wenn ihr es auch ueber euch vermoechtet, von dem Vermoegen eurer Gattin wenigstens eine Zeit hindurch zu leben, was ich bezweifle, so waere damit doch noch nichts gewonnen, da Mathilde, wie ich sagte, die bei weitem groessere Zahl von Eigenschaften noch nicht besitzt, welche eine Gattin und Mutter besitzen muss, da sie ferner nach den Ansichten, die wir ueber das koerperliche Wohl unserer Kinder fuer unsere Pflicht halten, wenigstens vor sechs oder sieben Jahren sich nicht vermaehlen kann, und da also die Unsicherheit und Gefahr, wie ich frueher sprach, auch bei dieser eurer Behauptung fuer sie und euch vorhanden waeren. Da die Kinder in dem Alter Mathildens ihren Eltern ohne Bedingung zu folgen haben, und da gute Kinder, wozu ich Mathilden zaehle, auch wenn es ihrem Herzen Schmerz macht, gerne folgen, weil sie der Liebe und der bessern Einsicht der Eltern vertrauen; so haette ich nur sagen duerfen, mein Gatte und ich erkennen, dass zum Wohle Mathildens das Band, das sie geschlungen hat, nicht fortdauern duerfe und dass sie daher dasselbe abbrechen moege; allein ich habe euch die Gruende unserer Ansicht entwickelt, weil ich euch hochachte und weil ich auch gesehen habe, dass ihr mir zugetan seid, wie ja auch euer Gestaendnis beweist, welches freilich etwas frueher haette gemacht werden sollen. Erlaubt, dass ich nun auch von euch etwas spreche. Ihr seid, wenn auch aelter als Mathilde, doch als Mann noch so jung, dass ihr die Lage in der ihr seid, kaum zu beurteilen faehig sein duerftet. Mein Gatte und ich sind der Ansicht, dass ihr, so weit wir euch kennen, durch euer Gefuehl, das immer edel und warm ist, in die Neigung zu Mathilden, der wir auch als Eltern immerhin einigen Liebreiz zusprechen muessen, gestuerzt worden seid, dass sich euch das Gefuehl als etwas Hohes und Erhabenes angekuendigt hat, das euch noch dazu so beseligte, und dass ihr daher an keinen Widerstand gedacht habt, der euch ja auch als Untreue an Mathilden erscheinen musste. Allein eure Lage, in dieser Art genommen, darf nicht als die gesetzmaessige bezeichnet werden. Ihr seid so jung, ihr habt euch in den Anfang einer Laufbahn begeben. Ihr muesst nun in derselben fortfahren oder, wenn ihr sie missbilligt, eine andere einschlagen. In ganz und gar keiner kann ein Mann von eurer Begabung und eurem inneren Wesen nicht bleiben. Welche lange Zeit liegt nun vor euch, die ihr benuetzen muesst, euch in jene feste Lebenstaetigkeit zu bringen, die euch not tut, und euch jene aeussere Unabhaengigkeit zu erwerben, die ihr braucht, damit ihr Beides zur Errichtung eines dauernden Familienverhaeltnisses anwenden koennt. Welche Unsicherheit in euren Bestrebungen, wenn ihr eine verfruehte Neigung in dieselben hinein nehmt, und welche Gefahren in dieser euch beherrschenden Neigung fuer euer Wesen und euer Herz! Es wird euch beiden jetzt Schmerz machen, das geknuepfte Band zu loesen oder wenigstens aufzuschieben, wir wissen es, wir fuehlen den Schmerz, ihr beide dauert uns, und wir machen uns Vorwuerfe, dass wir die entstandene Sachlage nicht zu verhindern gewusst haben; aber ihr werdet beide ruhiger werden, Mathilde wird ihre Bildung vollenden koennen, ihr werdet in eurem zukuenftigen Stande euch befestigst haben, und dann kann wieder gesprochen werden. Ihr haettet auch ohne diese Neigung nicht lange mehr in eurer gegenwaertigen Stellung bleiben koennen. Wir verdanken euch sehr viel. Unser Alfred und auch Mathilde reiften an euch sehr schoen empor. Aber eben deshalb haetten wir es nicht ueber unser Gewissen bringen koennen, euch laenger zu unserem Vorteile von eurer Zukunft abzuhalten, und mein Gatte hatte sich vorgenommen, mit euch ueber diese Sache zu sprechen. Ueberdenkt, was ich euch sagte. Ich verlange heute keine Antwort; aber gebt sie mir in diesen Tagen. Ich habe noch einen Wunsch, ich kenne euch und ich will ihn euch deshalb anvertrauen. Ihr habt eine sehr grosse Gewalt ueber Mathilden, wie wir wohl immer gesehen haben, wie sie uns in ihrer Groesse aber nicht erschienen ist, wendet, wenn meine Worte bei euch einen Eindruck machten, diese Gewalt auf sie an, um sie von dem zu ueberzeugen, was ich euch gesagt habe, und um das arme Kind zu beruhigen. Wenn es euch gelingt, glaubt mir, so erweiset ihr Mathilden dadurch eine grosse Liebe, ihr erweiset sie euch und auch uns. Geht dann mit dem Eifer, der Begabung und der Ausdauer, wie ihr sie in unserem Hause bewiesen habt, an euren Beruf. Wir waren euch alle sehr zugetan, ihr werdet wieder Neigung und Anhaenglichkeit finden, ihr werdet ruhiger werden und alles wird sich zum Guten wenden.<" "Sie hatte ausgesprochen, legte ihre schoene, freundliche Hand auf den Tisch und sah mich an." ">Ihr seid ja so blass wie eine getuenchte Wand<, sagte sie nach einem Weilchen." "In meine Augen drangen einzelne Traenen, und ich antwortete: >Jetzt bin ich ganz allein. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester sind gestorben.< Mehr konnte ich nicht sagen, meine Lippen bebten vor unsaeglichem Schmerz." "Sie stand auf, legte ihre Hand auf meinen Scheitel und sagte unter Traenen mit ihrer lieblichen Stimme: >Gustav, mein Sohn! Du bist es ja immer gewesen, und ich kann einen besseren nicht wuenschen. Geht jetzt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn dann einst euer gereiftes Wesen dasselbe sagt, was jetzt das wallende Herz sagt, dann kommt beide, wir werden euch segnen. Stoert aber durch Fortspinnen, Steigern und vielleicht Abarten eurer jetzigen heftigen Gefuehle nicht die euch so noetige letzte Entwicklung.<" "Es war das erste Mal gewesen, dass sie mich du genannt hatte." "Sie verliess mich und ging einige Schritte im Zimmer hin und wieder." ">Verehrte Frau<, sagte ich nach einer Weile, >es ist nicht noetig, dass ich euch morgen oder in diesen Tagen antworte; ich kann es jetzt sogleich. Was ihr mir an Gruenden gesagt habt, wird sehr richtig sein, ich glaube, dass es wirklich so ist, wie ihr sagt; allein mein ganzes Innere kaempft dagegen, und wenn das Gesagte noch so wahr ist, so vermag ich es nicht zu fassen. Erlaubt, dass eine Zeit hierueber vergehe und dass ich dann noch einmal durchdenke, was ich jetzt nicht denken kann. Aber eins ist es, was ich fasse. Ein Kind darf seinen Eltern nicht ungehorsam sein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn es nicht die Eltern oder sich selbst verwerfen soll. Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und sie ist selber so gut, dass sie auch sich nicht verwerfen kann. Ihre Eltern verlangen, dass sie jetzt das geschlossene Band aufloesen moege, und sie wird folgen. Ich will es nicht versuchen, durch Bitten das Gebot der Eltern wenden zu wollen. Die Gruende, welche ihr mir gesagt habt und welche in mein Wesen nicht eindringen wollen, werden in dem eurigen fest haften, sonst haettet ihr mir sie nicht so nachdruecklich gesagt, haettet sie mir nicht mit solcher Guete und zuletzt nicht mit Traenen gesagt. Ihr werdet davon nicht lassen koennen. Wir haben uns nicht vorzustellen vermocht, dass das, was fuer uns ein so hohes Glueck war, fuer die Eltern ein Unheil sein wird. Ihr habt es mir mit eurer tiefsten Ueberzeugung gesagt. Selbst wenn ihr irrtet, selbst wenn unsere Bitten euch zu erweichen vermoechten, so wuerde euer freudiger Wille, euer Herz und euer Segen mit dem Bunde nicht sein, und ein Bund ohne der Freude der Eltern, ein Bund mit der Trauer von Vater und Mutter muesste auch ein Bund der Trauer sein, er waere ein ewiger Stachel, und euer ernstes oder bekuemmertes Antlitz wuerde ein unvertilgbarer Vorwurf sein. Darum ist der Bund, und waere er der berechtigteste, aus, er ist aus auf so lange, als die Eltern ihm nicht beistimmen koennen. Eure ungehorsame Tochter wuerde ich nicht so unaussprechlich lieben koennen, wie ich sie jetzt liebe, eure gehorsame werde ich ehren und mit tiefster Seele, wie fern ich auch sein mag, lieben, so lange ich lebe. Wir werden daher das Band loesen, wie schmerzhaft die Loesung auch sein mag. - O Mutter, Mutter! - lasst euch diesen Namen zum ersten und vielleicht auch zum letzten Male geben -, der Schmerz ist so gross, dass ihn keine Zunge aussprechen kann und dass ich mir seine Groesse nie vorzustellen vermocht habe!<" ">Ich bekenne es<, antwortete sie, >und darum ist ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfinden, so gross, dass wir unserem teuren Kinde und euch, den wir auch lieben, die Seelenkraenkung nicht ersparen koennen.<" ">Ich werde morgen Mathilden sagen<, erwiderte ich, >dass sie ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen muesse. Heute erlaubt mir, verehrte Frau, dass ich meine Gedanken etwas ordne - und dass ich auch noch andere Dinge ordne, die not tun.<" "Die Traenen waren mir wieder in die Augen getreten." ">Sammelt euch, lieber Gustav<, sagte sie, >und tut, was ihr fuer gut haltet, sprecht mit Mathilden oder sprecht auch nicht, ich schreibe euch nichts vor. Es wird eine Zeit kommen, in der ihr einsehen werdet, dass ich euch nicht so unrecht tue, als ihr jetzt vielleicht glauben moeget.<" "Ich kuesste ihr die Hand, die sie mir guetig gab, und verliess das Zimmer." "Am andern Tage bat ich Mathilden, mit mir einen Gang in den Garten zu machen. Wir gingen durch den ersten Teil desselben, und wir gingen durch den Weinlaubengang bis zu dem Gartenhause, an dem die Rosen bluehten. Waehrend wir so wandelten, sprachen wir fast kein Wort, ausser dass wir sagten, wie uns hie und da eine Blume gefalle, wie das Weinlaub schoen sei und wie der Tag sich so ausgeheitert habe. Wir waren zu gespannt auf das, was da kommen werde, Mathilde auf das, was ich ihr mitzuteilen habe, und ich auf das, wie sie die Mitteilung aufnehmen werde. In der Naehe des Gartenhauses war eine Bank, auf welche von einem Rosengebuesche Schatten fiel. Ich lud sie ein, mit mir auf der Bank Platz zu nehmen. Sie tat es. Es war das erste Mal, dass wir ganz allein in den Garten gingen und dass wir allein bei einander auf einer Bank sassen. Es war das Vorzeichen, dass uns dies in Zukunft entweder ungestoert werde gestattet sein oder dass es das letzte Mal sei und dass man darum ein unbedingtes Vertrauen in uns setze. Ich sah, dass Mathilde das empfinde; denn in ihrem ganzen Wesen war die hoechste Erwartung ausgepraegt. Dessohngeachtet rief sie mit keinem Worte den Anfang der Mitteilungen hervor. Mein Wesen mochte sie in Angst gesetzt haben; denn obwohl ich mir unzaehlige Male in der Nacht die Worte zusammengestellt hatte, mit denen ich sie anreden wollte, so konnte ich doch jetzt nicht sprechen, und obwohl ich suchte, meine Empfindungen zu bemeistern, so mochte doch der Schmerz in meinem Aeussern zu lesen gewesen sein. Da wir schon eine Weile gesessen, waren, auf unsere Fussspitzen gesehen und, was zu verwundern war, uns nicht an der Hand gefasst hatten, fing ich an, mit zitternder Stimme und mit stockendem Atem zu sagen, was ihre Eltern meinen, und dass sie den Wunsch hegen, dass wir wenigstens fuer die jetzige Zeit unser Band aufloesen moegen. Ich ging auf die Gruende, welche die Mutter angegeben hatte, nicht ein, und legte Mathilden nur dar, dass sie zu gehorchen habe und dass unter Ungehorsam unser Bund nicht bestehen koenne." "Als ich geendet hatte, war sie im hoechsten Masse erstaunt." ">Ich bitte dich, wiederholt mir nur in Kurzem, was du gesprochen hast und was wir tun sollen<, sagte sie." ">Du musst den Willen deiner Eltern tun und das Band mit mir loesen<, antwortete ich." ">Und das schlaegst du vor, und das hast du der Mutter versprochen, bei mir auszuwirken?< fragte sie." ">Mathilde, nicht auszuwirken<, antwortete ich, >wir muessen gehorchen; denn der Wille der Eltern ist das Gesetz der Kinder.<" ">Ich muss gehorchen<, rief sie, indem sie von der Bank aufsprang, >und ich werde auch gehorchen; aber du musst nicht gehorchen, deine Eltern sind sie nicht. Du musstest nicht hieher kommen und den Auftrag uebernehmen, mit mir das Band der Liebe, das wir geschlossen hatten, aufzuloesen. Du musstest sagen: Frau, eure Tochter wird euch gehorsam sein, sagt ihr nur euren Willen; aber ich bin nicht verbunden, eure Vorschriften zu befolgen, ich werde euer Kind lieben, so lange ein Blutstropfen in mir ist, ich werde mit aller Kraft streben, einst in ihren Besitz zu gelangen. Und da sie euch gehorsam ist, so wird sie mit mir nicht mehr sprechen, sie wird mich nicht mehr ansehen, ich werde weit von hier fortgehen; aber lieben werde ich sie doch, so lange dieses Leben waehrt und das kuenftige, ich werde nie einer Andern ein Teilchen von Neigung schenken und werde nie von ihr lassen. So haettest da sprechen sollen, und wenn du von unserm Schlosse fortgegangen waerest, so haette ich gewusst, dass du so gesprochen hast, und tausend Millionen Ketten haetten mich nicht von dir gerissen, und jubelnd haette ich einst in Erfuellung gebracht, was dir dieses stuermische Herz gegeben. Du hast den Bund aufgeloeset, ehe du mit mir hieher gegangen bist, ehe du mich zu dieser Bank gefuehrt hast, die ich dir gutwillig folgte, weil ich nicht wusste, was du getan hast. Wenn jetzt auch der Vater und die Mutter kaemen und sagten: Nehmet euch, besitzet euch in Ewigkeit, so waere doch alles aus. Du hast die Treue gebrochen, die ich fester gewaehnt habe als die Saeulen der Welt und die Sterne an dem Baue des Himmels.<" ">Mathilde<, sagte ich, >was ich jetzt tue, ist unendlich schwerer, als was du verlangtest.<" ">Schwer oder nicht schwer, von dem ist hier nicht die Rede<, antwortete sie, >von dem, was sein muss, ist die Rede, von dem, dessen Gegenteil ich fuer unmoeglich hielt. Gustav, Gustav, Gustav, wie konntest du das tun?<" "Sie ging einige Schritte von mir weg, kniete, gegen die Rosen, die an dem Gartenhause bluehten, gewendet, in das Gras nieder, schlug die beiden Haende zusammen und rief unter stroemenden Traenen: >Hoert es, ihr tausend Blumen, die herabschauten, als er diese Lippen kuesste, hoere es du, Weinlaub, das den fluesternden Schwur der ewigen Treue vernommen hat, ich habe ihn geliebt, wie es mit keiner Zunge in keiner Sprache ausgesprochen werden kann. Dieses Herz ist jung an Jahren, aber es ist reich an Grossmut; alles, was in ihm lebte, habe ich dem Geliebten hingegeben, es war kein Gedanke in mir als er, das ganze kuenftige Leben, das noch viele Jahre umfassen konnte, haette ich wie einen Hauch fuer ihn hingeopfert, jeden Tropfen Blut haette ich langsam aus den Adern fliessen und jede Faser aus dem Leibe ziehen lassen - und ich haette gejauchzt dazu. Ich habe gemeint, dass er das weiss, weil ich gemeint habe, dass er es auch tun wuerde. Und nun fuehrt er mich heraus, um mir zu sagen, was er sagte. Waeren was immer fuer Schmerzen von Aussen gekommen, was immer fuer Kaempfe, Anstrengungen und Erduldungen; ich haette sie ertragen, aber nun er - er -! Er macht es unmoeglich fuer alle Zeiten, dass ich ihm noch angehoeren kann, weil er den Zauber zerstoert hat, der alles band, den Zauber, der ein unzerreissbares Aneinanderhalten in die Jahre der Zukunft und in die Ewigkeit malte.<" "Ich ging zu ihr hinzu, um sie empor zu heben. Ich ergriff ihre Hand. Ihre Hand war wie Glut. Sie stand auf, entzog mir die Hand, und ging gegen das Gartenhaus, an dem die Rosen bluehten." ">Mathilde<, sagte ich, >es handelt sich nicht um den Bruch der Treue, die Treue ist nicht gebrochen worden. Verwechsle die Dinge nicht. Wir haben gegen die Eltern unrecht gehandelt, dass wir ihnen verbargen, was wir getan haben, und dass wir in dem Verbergen beharrend geblieben sind. Sie fuerchten Uebles fuer uns. Nicht die Zerstoerung unserer Gefuehle verlangen sie, nur die Aufhebung des Aeusserlichen unseres Bundes auf eine Zeit.<" ">Kannst du eine Zeit nicht mehr du sein?< erwiderte sie, >kannst du eine Zeit dein Herz nicht schlagen lassen? Aeusseres, Inneres, das ist alles eins, und alles ist die Liebe. Du hast nie geliebt, weil du es nicht weisst.<" ">Mathilde<, antwortete ich, >du warst immer so gut, du warst edel, rein, herrlich, dass ich dich mit allen Kraeften in meine Seele schloss: heute bist du zum ersten Male ungerecht. Meine Liebe ist unendlich, ist unzerstoerbar, und der Schmerz, dass ich dich lassen muss, ist unsaeglich, ich habe nicht gewusst, dass es einen so grossen auf Erden gibt; nur der ist groesser, von dir verkannt zu sein. Ich unterscheide nicht, wer dir das Gebot der Eltern haette sagen sollen, es ist das einerlei, sie sind die Eltern, das Gebot ist das Gebot, und das Heiligste in uns sagt, dass die Eltern geehrt werden muessen, dass das Band zwischen Eltern und Kind nicht zerstoert werden darf, wenn auch das Herz bricht, So fuehlte ich, so handelte ich, und ich wollte dir das Notwendige recht sanft und weich sagen, darum uebernahm ich die Sendung; ich glaubte, es koenne dir niemand das Bittere so sanft und weich sagen wie ich, darum kam ich. Aus Guete, aus Mitleid kam ich. Die Pflicht leitete mich, in der Pflicht bricht mein Herz, und in dem brechenden Herzen bist du.<" ">Ja, ja, das sind die Worte<, sagte sie, indem ihr Schluchzen immer heftiger und fast krampfhaft wurde, >das sind die Worte, denen ich sonst so gerne lauschte, die so suess in meine Seele gingen, die schon suess waren, als du es noch nicht wusstest, denen ich glaubte wie der ewigen Wahrheit. Du haettest es nicht unternehmen muessen, mich zur Zerreissung unserer Liebe bewegen zu wollen, es soll, wenn hundertmal Pflicht, dir nicht moeglich gewesen sein. Darum kann ich dir jetzt nicht mehr glauben, deine Liebe ist nicht die, die ich dachte und die die meinige ist. Ich habe den Vergleichpunkt verloren und weiss nicht, wie alles ist. Wenn du einst gesagt haettest, der Himmel ist nicht der Himmel, die Erde nicht die Erde, ich haette es dir geglaubt. Jetzt weiss ich es nicht, ob ich dir glauben soll, was du sagst. Ich kann nicht anders, ich weiss es nicht, und ich kann nicht machen, dass ich es weiss. O Gott! dass es geworden ist, wie es ward, und dass zerstoerbar ist, was ich fuer ewig hielt! Wie werde ich es ertragen koennen?<" "Sie barg ihr Angesicht in den Rosen vor ihr, und ihre gluehende Wange war auch jetzt noch schoener als die Rosen. Sie drueckte das Angesicht ganz in die Blumen und weinte so, dass ich glaubte, ich fuehle das Zittern ihres Koerpers oder es werde eine Ohnmacht ihren Schmerz erschoepfen. Ich wollte sprechen, ich versuchte es mehrere Male; aber ich konnte nicht, die Brust war mir zerpresst und die Werkzeuge des Sprechens ohne Macht. Ich fasste nach ihrem Koerper, sie zuckte aber weg, wenn sie es empfand. Dann stand ich unbeweglich neben ihr. Ich griff mit der blossen Hand in die Zweige der Rosen, drueckte, dass mir leichter wuerde, die Dornen derselben in die Hand und liess das Blut an ihr nieder rinnen." "Als das eine Zeit gedauert hatte, als sich ihr Weinen etwas gemildert hatte, hob sie das Angesicht empor, trocknete mit dem Tuche, das sie aus der Tasche genommen, die Traenen und sagte: >Es ist alles vorueber. Weshalb wir noch laenger hier bleiben sollen, dazu ist kein Grund, lasse uns wieder in das Haus gehen und das Weitere dieser Handlung verfolgen. Wer uns begegnet, soll nicht sehen, dass ich so sehr geweint habe.<" "Sie trocknete neuerdings mit dem Tuche die Augen, liess neue Traenen nicht mehr hervorquellen, richtete sich empor, strich sich die Haare ein wenig zurecht und sagte: >Gehen wir in das Haus.<" "Sie richtete sich mit diesen Worten zum Gehen gegen den Weinlaubengang, und ich ging neben ihr. Das Blut an meiner Hand konnte sie nicht sehen. Ich unternahm es nicht mehr, sie zu troesten, ich sah, dass ihre Verfassung dafuer nicht empfaenglich war. Auch erkannte ich, dass sie im Zorne gegen mich ihren Schmerz leichter ertrage, als wenn dieser Zorn nicht gewesen waere. Wir gingen schweigend in das Haus. Dort gingen wir in das Zimmer der Mutter. Mathilde warf sich ihrer Mutter an das Herz. Ich kuesste der Frau die Hand und entfernte mich." "Den ganzen uebrigen Teil des Tages verbrachte ich damit, meine Habe zu packen, um morgen dieses Haus verlassen zu koennen. Mathildens Vater besuchte mich einmal und sagte: >Kraenket euch nicht zu sehr, es wird vielleicht noch alles gut.<" "Im Uebrigen waren seine Gruende, die er freundlich und sanft sagte, die nehmlichen wie die seiner Gattin. Auch Mathildens Mutter kam einmal zu mir herueber, laechelte truebsinnig bei meinem Treiben und gab mir die Hand. Meine Hoffnungen waren duesterer, als es die dieser zwei Menschen zu sein schienen. Mathildens Glauben an mich war erschuettert. Da ich meine Absicht, morgen abreisen zu wollen, erklaert hatte, und man nichts mehr dagegen einwendete, was man Anfangs tat, rief ich Alfred und sagte ihm, dass ich nicht etwa eine groessere Reise vor habe, wie er glauben mochte, sondern dass ich auf lange, vielleicht auf immer dieses Haus verlasse. Es seien Umstaende eingetreten, die dies notwendig machten. Er fiel mir mit Schluchzen um den Hals, ich konnte ihn gar nicht besaenftigen, ja ich weinte beinahe selber laut. Er wurde spaeter zu beiden Eltern, die in der Schreibstube des Vaters waren, geholt, damit sie ihn beruhigten. Sein Schlafzimmer war heute unter der Aufsicht eines Dieners ein anderes. Als er in dasselbe gebracht worden war, ging ich zu den Eltern und sagte ihnen den Dank fuer alles Gute, das ich in ihrem Hause genossen habe. Sie dankten mir auch und liessen mich Hoffnungen erblicken. Es ward verabredet, dass ich mit den Pferden des Hauses auf die naechste Post gebracht werden solle. Mathilde erschien nicht zum Abendessen." "Am naechsten Morgen wurde der Wagen bepackt. Ich machte mich reisefertig. Es war mir erlaubt worden, von Mathilden Abschied nehmen zu duerfen. Sie weigerte sich aber, mich zu sehen. Ich ging daher in meine Wohnung, reichte dem alten Raimund die Hand und sagte: >Lebe wohl, Raimund.<" ">Lebt recht wohl, junger Herr<, antwortete er, >und seid recht gluecklich.<" ">Du weisst nicht, Raimund!<" ">Ich weiss, ich weiss, junger Herr - es kann ja werden.<" ">Lebe wohl.<" "Ich ging nun die Treppe hinab, er begleitete mich. Unten bei dem Wagen stand der Herr und die Frau des Hauses und mehrere von den Dienstleuten. Auch vom Meierhofe waren Leute herbei gekommen. Alfred, der spaet entschlummert war, schlief noch; die Besitzer des Hauses nahmen auf eine auszeichnende Weise von mir Abschied, die Umstehenden beurlaubten sich auch, wuenschten mir Glueck und eine froehliche Wiederkehr. Ich bestieg den Wagen und fuhr von Heinbach dahin." "Der Besitzer dieses Hauses hatte mir einmal gesagt: >Vielleicht verlasset ihr einst unser Haus nicht mit Reue und Schmerz.<" "Ich verliess es nicht mit Reue, aber mit Schmerz." "Er hatte auch die Vermutung ausgesprochen, dass mir etwa auch seine Familie unvergesslich bleiben durfte. Sie blieb mir unvergesslich." "Ich verabschiedete auf der Post den Wagen aus Heinbach, das letzte Merkmal aus diesem Orte, und liess mich nach der Stadt einschreiben, wo ich so lange gewesen war, wo ich meine Lernzeit vollendet hatte, von wo ich nach Heinbach gegangen war, und wo sich das Haus von Mathildens Eltern befand. Ich blieb aber nicht in der Stadt." "In der Naehe meiner Heimat ist im Walde eine Felskuppe, von welcher man sehr weit sieht. Sie geht mit ihrem noerdlichen Ruecken sanft ab und traegt auf ihm sehr dunkle Tannen. Gegen Sueden stuerzt sie steil ab, ist hoch und geklueftet und sieht auf einen duennbestandenen Wald, zwischen dessen Staemmen Weidegrund ist. Jenseits des Waldes erblickt man Wiesen und Feld, weiter ein blauliches Moor, dann ein dunkelblaues Waldband und ueber diesem die fernen Hochgebirge. Ich ging von der Stadt in meine Heimat und von der Heimat auf diese Felskuppe. Ich sass auf ihr und weinte bitterlich. Jetzt war ich veroedet, wie ich frueher nie veroedet gewesen war. Ich sah in das dunkle Innere der Schluende und fragte, ob ich mich hinabwerfen solle. Das Bild meiner verstorbenen Mutter mischte sich in diese unklare, schauerliche Vorstellung, und wurde mir ein Liebes, an das ich denken musste. Ich ging taeglich auf diese Kuppe und blieb oft mehrere Stunden auf ihr sitzen. Ich weiss nicht, warum ich sie suchte. In meiner Jugend war ich oft auf ihr, und wir machten uns das Vergnuegen, Steine ziemlicher Groesse von ihr hinab zu werfen, um den Steinstaub aufwirbeln zu sehen, wenn der Geworfene auf Klippen stiess, und um sein Gepolter in den Klippen und sein Rasseln in dem am Fusse des Felsens befindlichen Geroelle zu hoeren. Von dieser Kuppe war kein Einblick in jene Laender, in denen Mathildens Wohnung lag, man sah nicht einmal Gebirgszuege, die an sie grenzten. Ich ging auch nach und nach in anderen Teilen der Umgebung meines Heimatortes herum. Mein Schwager war ein sanfter und stiller Mann, und wir sprachen in meinem Geburtshause oft einen ganzen Tag hindurch nicht mehr als einige Worte." "Als eine geraume Zeit vergangen war, dachte ich auf meine Abreise und auf meine Berufsarbeiten, die ich schon so lange vergessen hatte und auf die ich, in dem Hause in Heinbach befangen, vielleicht noch laenger nicht gedacht haben wuerde." "Ich ging wieder in die Stadt, in der ich meine Habe gelassen hatte, und widmete mich ernstlich der Laufbahn, zu welcher ich eigentlich die Vorbereitungsschulen besucht hatte. Ich meldete mich zum Staatsdienste, wurde eingereiht und arbeitete jetzt sehr fleissig in dem Bereiche der unteren Stellen, in welchen ich war. Ich lebte noch zurueckgezogener als sonst. Mein kleines Gehalt und das Ertraegnis meines Ersparten reichten hin, meine Beduerfnisse zu decken. Ich wohnte in einem Teile der Vorstadt, welcher von dem Hause der Eltern Mathildens sehr weit entfernt war. Im Winter ging ich fast nirgends hin als von meiner Wohnstube in meine Amtsstube, welcher Weg wohl sehr lange war, und von der Amtsstube in meine Wohnstube. Meine Nahrung nahm ich in einem kleinen Gasthause an meinem Wege ein. Freunde und Genossen besuchte ich wenig, mir war alle Verbindung mit Menschen verleidet. Als Erholung diente mir der Betrieb der Geschichte der Staatswissenschaften und der Wissenschaften der Natur. Ein Gang auf dem Walle der aeusseren Stadt oder eine Wanderung in einem einsamen Teil der Umgebungen der Stadt gaben mir Luft und Bewegung. Mathilden sah ich einmal. Sie fuhr mit ihrer Mutter in einem offenen Wagen in einer der breiten Strassen der Vorstaedte, in einer Gegend, in welcher ich sie nicht vermutet hatte. Ich blickte hin, erkannte sie und meinte umsinken zu muessen. Ob sie mich gesehen hat, weiss ich nicht. Ich ging dann in meine Amtsstube zu meinem Schreibtische. In der ersten Zeit wurde ich von meinen Vorgesetzten wenig beachtet. Ich arbeitete mit einem ausserordentlichen Fleisse, er war mir Arznei fuer eine Wunde geworden, und ich fluechtete gern zu dieser Arznei. So lange alle diese Verhaeltnisse, welche in meinen Amtsgeschaeften vorkamen, in meinem Haupte waren, war nichts Anderes darin. Schmerzvoll waren nur die Zwischenraeume. Auch die Wissenschaften leiteten nicht so sicher ab. Mein Fleiss lenkte endlich die Aufmerksamkeit auf sich, man befoerderte mich. Anfangs ging es langsamer, dann schneller. Nach dem Verlaufe von mehreren Jahren war ich in einer der ehrenvolleren Stellungen des Staatsdienstes, welche zu dem Verkehre mit dem gebildeteren Teile der Stadteinwohnerschaft berechtigten, und ich hatte die gegruendete Aussicht, noch weiter zu steigen. In solchen Verhaeltnissen werden gewoehnlich die Ehen mit Maedchen aus ansehnlicheren Haeusern geschlossen, welche dann zu gluecklichem und ehrenvollem Familienleben fuehren. Mathilde musste jetzt ein und zwanzig oder zwei und zwanzig Jahre alt sein. Irgend eine Annaeherung ihrer Eltern an mich hatte nicht statt gefunden, auch konnte ich nicht die geringsten Merkmale auffinden, wie unermuedlich ich auch suchte, dass sie sich nach mir erkundigt haetten. Ich konnte also unmittelbare Schritte zur Annaeherung an sie nicht tun. Ich leitete also solche mittelbar ein, welche sie auf die gewisseste Art von der Unwandelbarkeit meiner Neigung ueberzeugten. Ich erhielt die unzweideutigsten Beweise zurueck, dass mich Mathilde verachte. Zu einer Verehelichung, wozu ihres Reichtums und ihrer unbeschreiblichen Schoenheit willen sich die glaenzendsten Antraege fanden, konnte sie nicht gebracht werden. Mit tiefem, schwerem Ernste breitete ich nun das Bahrtuch der Bestattung ueber die heiligsten Gefuehle meines Lebens." "Ich will euch nicht mit dem behelligen, wie es mir weiter in meiner Staatslaufbahn erging. Es gehoert nicht hieher und ist euch wohl im Wesentlichen bekannt. Die Kriege brachen aus, ich wurde abwechselnd zu verschiedenen Stellen versetzt, grosse, umfassende Arbeiten, Reisen, Berichte, Vorschlaege wurden erfordert, ich wurde zu Sendungen verwendet, kam mit den verschiedensten Menschen in Beruehrung, und der Kaiser wurde, ich kann es wohl sagen, beinahe mein Freund. Als ich in den Freiherrnrang erhoben wurde, kam mein alter Oheim Ferdinand aus der Entfernung zu mir, um, wie er sagte, mir seine Aufwartung zu machen. Obwohl er meine Mutter vernachlaessigt hatte, ja nach dem Tode meines Vaters durch seine Zurueckhaltung beinahe hart gegen sie gewesen war, so nahm ich ihn doch freundlich auf, weil er in meiner Verlassenheit zuletzt der einzige Verwandte war, den ich noch hatte. Wir blieben seit jener Zeit mit einander in Briefwechsel. Es kamen wohl viele Menschen mit mir in Verbindung und ich lernte manche Seiten der Gesellschaft kennen; aber teils waren die Verbindungen Geschaeftsverbindungen, teils draengten sich Menschen an mich, die durch mich zu steigen hofften, teils waren die Begegnungen ganz gleichgueltig. Wie schwer mir aber meine Geschaefte wurden, wie sehr ich im Grunde zu ihnen nicht geeignet war, davon habe ich euch schon gesagt. Ich war nach und nach beinahe ein alter Mann geworden. Da ich viel in der Entfernung lebte, wusste ich manche Beziehungen der Hauptstadt nicht. Mathilde hatte sich in etwas vorgerueckteren Jahren vermaehlt. Der Friede wurde dauernd hergestellt, ich blieb wieder bestaendig in der Hauptstadt, und hier tat ich etwas, das mir ein Vorwurf bis zu meinem Lebensende sein wird, weil es nicht nach den reinen Gesetzen der Natur ist, obwohl es tausend Mal und tausend Mal in der Welt geschieht. Ich heiratete ohne Liebe und Neigung. Es war zwar keine Abneigung vorhanden, aber auch keine Neigung. Die Hochachtung war gegenseitig gross. Man hatte mir viel davon gesagt, dass es meine Pflicht sei, mir einen Familienstand zu gruenden, dass ich im Alter von teuern Angehoerigen umgeben sein muesse, die mich lieben, pflegen und schuetzen und auf die meine Ehren und mein Name uebergehen koennen. Es sei auch Pflicht gegen die Menschheit und den Staat. Auf meine Einwendung, dass ich eine Neigung gegen irgend ein weibliches Wesen nicht habe, sagten sie, Neigungen fuehren oft zu ungluecklichen Verbindungen, Kenntnis der gegenseitigen Beschaffenheit und wechselseitige Hochachtung bauen dauerndes Glueck. Trotz meiner gereifteren Jahre hatte ich in diesen Dingen noch immer sehr wenige Kenntnisse. Meine Jugendneigung, die so heftig und beinahe ausschweifend gewesen war, hatte kein Glueck gebracht. Ich heiratete also ein Maedchen, welches nicht mehr jung war, eine angenehme Bildung hatte, vom reinsten Wandel war und gegen mich tiefe Verehrung empfand. Man sagte, ich haette reich geheiratet, weil mein Hauswesen ein ansehnliches war; allein die Sache verhielt sich nicht so. Meine Gattin hatte mir eine namhafte Mitgift gebracht, aber ich haette eine groessere Gabe hinzulegen koennen. Da ich in meinem maessigen Leben beinahe nichts brauchte, so hatte ich, besonders da ich einmal in hoeherer Stellung war, bedeutende Ersparungen gemacht. Diese legte ich in den damaligen Staatspapieren nieder, und da dieselben nach Beendigung des Krieges ansehnlich stiegen, so war ich beinahe ein reicher Mann. Wir lebten zwei Jahre in dieser Ehe, und in dieser wusste ich, was ich vor der Schliessung derselben nicht gewusst hatte, dass nehmlich keine ohne Neigung eingegangen werden soll. Wir lebten in Eintracht, wir lebten in hoher Verehrung der gegenseitigen guten Eigenschaften, wir lebten in wechselweisem Vertrauen und in wechselweiser Aufmerksamkeit, man nannte unsere Ehe musterhaft; aber wir lebten bloss ohne Unglueck. Zu dem Gluecke gehoert mehr als Verneinendes, es ist der Inbegriff der Holdseligkeit des Wesens eines Andern, zu dem alle unsre Kraefte einzig und froehlich hinziehen. Als Julie nach zwei Jahren gestorben war, betrauerte ich sie redlich; aber Mathildens Bild war unberuehrt in meinem Herzen stehen geblieben. Ich war jetzt wieder allein. Zur Schliessung einer neuen Ehe war ich nicht mehr zu bewegen. Ich wusste jetzt, was ich vorher nicht gewusst hatte. Liebe und Neigung, dachte ich, ist ein Ding, das seinen Zug an meinem Herzen vorueber genommen hatte." "Ein Jahr nach dem Tode Juliens starb mein Oheim und setzte mich zu dem Erben seines betraechtlichen Vermoegens ein." "Meine Geschaefte wurden mir indessen von Tag zu Tag schwerer. So wie ich in frueheren Zeiten schon gedacht hatte, dass der Staatsdienst meiner Eigenheit nicht entspreche und dass ich besser taete, wenn ich ihn verliesse: so wuchs dieser Gedanke bei genauerem Nachdenken und schaerferem Selbstbeobachten zu immer groesserer Gewissheit, und ich beschloss, meine Aemter niederzulegen. Meine Freunde suchten mich daran zu verhindern, und Mancher, den ich als feste Saeule des Staates kennen zu lernen Gelegenheit gehabt und mit dem ich in schwierigen Zeiten manche harte Amtsstunde durchgemacht hatte, sagte eindringlich, dass ich meine Taetigkeit nicht einstellen sollte. Aber ich blieb unerschuettert. Ich zeigte meinen Austritt an. Der Kaiser nahm ihn wohlwollend und mit uebersendeten Ehren an. Ich hatte die Absicht, mir fuer die letzten Tage meines Lebens einen Landsitz zu gruenden und dort einigen wissenschaftlichen Arbeiten, einigem Genusse der Kunst, so weit ich dazu faehig waere, der Bewirtschaftung meiner Felder und Gaerten und hie und da einer gemeinnuetzigen Massregel fuer die Umgebung zu leben. Manches Mal koennte ich in die Stadt gehen, um meine alten Freunde zu besuchen, und zuweilen koennte ich eine Reise in die entfernteren Laender unternehmen. Ich ging in meine Heimat. Dort fand ich meinen Schwager schon seit vier Jahren gestorben, das Haus in fremden Haenden und voellig umgebaut. Ich reiste bald wieder ab. Nach mehreren missglueckten Versuchen fand ich diesen Platz, auf dem ich jetzt lebe, und setzte mich hier fest. Ich kaufte den Asperhof, baute das Haus auf dem Huegel und gab nach und nach der Besitzung die Gestalt, in der ihr sie jetzt sehet. Mir hatte das Land gefallen, mir hatte diese reizende Stelle gefallen, ich kaufte noch mehrere Wiesen, Waelder und Felder hinzu, besuchte alle Teile der Umgebung, gewann meine Beschaeftigung lieb und machte mehrere Reisen in die bedeutendsten Laender Europas. So bleichten sich meine Haare, und Freude und Behagen schien sich bei mir einstellen zu wollen." "Als ich schon ziemlich lange hier gewesen war, meldete man mir eines Tages, dass eine Frau den Huegel herangefahren sei und dass sie jetzt mit einem Knaben vor den Rosen, die sich an den Waenden des Hauses befinden, stehe. Ich ging hinaus, sah den Wagen und sah auch die Frau mit dem Knaben vor den Rosen stehen. Ich ging auf sie zu. Mathilde war es, die einen Knaben an der Hand haltend und von stroemenden Traenen ueberflutet die Rosen ansah. Ihr Angesicht war gealtert und ihre Gestalt war die einer Frau mit zunehmenden Jahren." ">Gustav, Gustav<, rief sie, da sie mich angeblickt hatte, >ich kann dich nicht anders nennen als: du. Ich bin gekommen, dich des schweren Unrechtes willen, das ich dir zugefuegt habe, um Vergebung zu bitten. Nimm mich einen Augenblick in dein Haus auf.<" ">Mathilde<, sagte ich, >sei gegruesst, sei auf diesem Boden, sei tausend Mal gegruesst und halte dieses Haus fuer deines.<" "Ich war mit diesen Worten zu ihr hinzugetreten, hatte ihre Hand gefasst und hatte sie auf den Mund gekuesst." "Sie liess meine Hand nicht los, drueckte sie stark, und ihr Schluchzen wurde so heftig, dass ich meinte, ihre mir noch immer so teuere Brust muesse zerspringen." ">Mathilde<, sagte ich sanft, >erhole dich.<" ">Fuehre mich in das Haus<, sprach sie leise." "Ich rief erst durch mein Gloeckchen, welches ich immer bei mir trage, meinen Hausverwalter herzu und befahl ihm, Wagen und Pferde unterzubringen. Dann fasste ich Mathildens Arm und fuehrte sie in das Haus. Als wir in dem Speisezimmer angelangt waren, sagte ich zu dem Knaben: >Setze dich hier nieder und warte, bis ich mit deiner Mutter gesprochen und die Traenen, die ihr jetzt so weh tun, gemildert habe.<" "Der Knabe sah mich traulich an und gehorchte. Ich fuehrte Mathilde in das Wartezimmer und bot ihr einen Sitz an. Als sie sich in die weichen Kissen niedergelassen hatte, nahm ich ihr gegenueber auf einem Stuhle Platz. Sie weinte fort, aber ihre Traenen wurden nach und nach linder. Ich sprach nichts. Nachdem eine Zeit vergangen war, quollen ihre Tropfen sparsamer und weniger aus den Augen, und endlich trocknete sie die letzten mit ihrem Tuche ab. Wir sassen nun schweigend da und sahen einander an. Sie mochte auf meine weissen Haare schauen, und ich blickte in ihr Angesicht. Dasselbe war schon verblueht; aber auf den Wangen und um den Mund lag der liebe Reiz und die sanfte Schwermut, die an abgebluehten Frauen so ruehrend sind, wenn gleichsam ein Himmel vergangener Schoenheit hinter ihnen liegt, der noch nachgespiegelt wird. Ich erkannte in den Zuegen die einstige prangende Jugend." ">Gustav<, sagte sie, >so sehen wir uns wieder. Ich konnte das Unrecht nicht mehr tragen, das ich dir angetan habe.<" ">Es ist kein Unrecht geschehen, Mathilde<, sagte ich." ">Ja, du bist immer gut gewesen<, antwortete sie, >das wusste ich, darum bin ich gekommen. Du bist auch jetzt gut, das sagt dein liebes Auge, das noch so schoen ist wie einst, da es meine Wonne war. O ich bitte dich, Gustav, verzeihe mir.<" ">O teure Mathilde, ich habe dir nichts zu verzeihen, oder du hast es mir auch<, antwortete ich. >Die Erklaerung liegt darin, dass du nicht zu sehen vermochtest, was zu sehen war, und dass ich dann nicht naeher zu treten vermochte, als ich haette naeher treten sollen. In der Liebe liegt alles. Dein schmerzhaftes Zuernen war die Liebe, und mein schmerzhaftes Zurueckhalten war auch die Liebe. In ihr liegt unser Fehler und in ihr liegt unser Lohn.<" ">Ja, in der Liebe<, erwiderte sie, >die wir nicht ausrotten konnten. Gustav, ich bin dir doch trotz allem treu geblieben und habe nur dich allein geliebt. Viele haben mich begehrt, ich wies sie ab; man hat mir einen Gatten gegeben, der gut, aber fremd neben mir lebte, ich kannte nur dich, die Blume meiner Jugend, die nie verblueht ist. Und du liebst mich auch, das sagen die tausend Rosen vor den Mauern deines Hauses, und es ist ein Strafgericht fuer mich, dass ich gerade zu der Zeit ihrer Bluete gekommen bin.<" ">Rede nicht von Strafgerichten, Mathilde<, erwiderte ich, >und weil alles Andere so ist, so lasse die Vergangenheit und sage, welche deine Lage jetzt ist. Kann ich dir in irgend etwas helfen?<" ">Nein, Gustav<, entgegnete sie, >die groesste Hilfe ist die, dass du da bist. Meine Lage ist sehr einfach. Der Vater und die Mutter sind schon laengst tot, der Gatte ist ebenfalls vor Langem gestorben und Alfred - du hast ihn ja recht geliebt -<" ">Wie ich einen Sohn lieben wuerde<, antwortete ich." ">Er ist auch tot<, sagte sie, >er hat kein Weib, kein Kind hinterlassen, das Haus in Heinbach und das in der Stadt hat er noch bei seinen Lebzeiten verkauft. Ich bin im Besitze des Vermoegens der Familie und lebe mit meinen Kindern einsam. Lieber Gustav, ich habe dir den Knaben gebracht - wie wusstest du denn, dass er mein Sohn sei?<" ">Ich habe deine schwarzen Augen und deine braunen Locken an ihm gesehen<, antwortete ich." ">Ich habe dir den Knaben gebracht<, sagte sie, >dass du saehest, dass er ist wie dein Alfred - fast sein Ebenbild -, aber er hat niemanden, der so lieb mit ihm umgeht, wie du mit Alfred umgegangen bist, der ihn so liebt, wie du Alfred geliebt hast, und den er wieder so lieben koennte, wie Alfred dich geliebt hat.<" ">Wie heisst der Knabe?< fragte ich." ">Gustav, wie du<, antwortete sie." "Ich konnte meine Traenen nicht zurueckhalten." ">Mathilde<, sagte ich, >ich habe nicht Weib, nicht Kind, nicht Anverwandte. Du warst das Einzige, was ich in meinem ganzen Leben besass und behielt. Lasse mir den Knaben, lasse ihn bei mir, ich will ihn lehren, ich will ihn erziehen.<" ">O mein Gustav<, rief sie mit den schmerzlichsten Toenen der Ruehrung, >wie wahr ist mein Gefuehl, das mich an dich, den besten der Menschen, wies, als ich ein Kind war, und das mich nicht verlassen hatte, so lange ich lebte.<" "Sie war aufgestanden, hatte ihr Haupt auf meine Schulter gelegt und weinte auf das Innigste. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, meine Traenen flossen unaufhaltsam, ich schlang meine Arme um sie und drueckte sie an mein Herz. Und ich weiss nicht, ob je der heisse Kuss der Jugendliebe tiefer in die Seele gedrungen und zu groessrer Hoehe erhebend gewesen ist als dieses verspaetete Umfassen der alten Leute, in denen zwei Herzen zitterten, die von der tiefsten Liebe ueberquollen. Was im Menschen rein und herrlich ist, bleibt unverwuestlich und ist ein Kleinod in allen Zeiten." "Als wir uns getrennt hatten, geleitete ich sie zu ihrem Sitze, nahm den meinigen wieder ein, und fragte: >Hast du noch andere Kinder?<" ">Ein Maedchen, welches mehrere Jahre aelter ist als der Knabe<, erwiderte sie, >ich werde dir dasselbe auch bringen, es hat ebenfalls die schwarzen Augen und die braunen Haare wie ich. Das Maedchen behalte ich, den Knaben lasse, weil du so guetig bist, um dich leben, so lange du willst. Er moege werden wie du. O, ich hatte kaum geahnt, wie hier alles werden wird.<" ">Mathilde, beruhige dich jetzt<, sagte ich, >ich werde den Knaben holen, wir werden mit ihm freundlich sprechen.<" "Ich tat es, trat mit dem Knaben an der Hand herein und wir sprachen mit dem Kinde und abwechselnd unter uns noch eine geraume Weile. Ich zeigte Mathilden hierauf das Haus, den Garten, den Meierhof und alles Andere. Gegen Abend fuhr sie wieder fort, um in Rohrberg zu uebernachten. Den Knaben sollte sie der Verabredung gemaess wieder mit sich nehmen, ihn ausruesten und vorbereiten und ihn, wie sie es fuer gelegen halte, bringen. Wir blieben von dem Augenblicke an in Briefwechsel, und als eine Zeit vergangen war, brachte sie mir Gustav, der noch bei mir ist, sie brachte mir auch Natalien, die damals im ersten Aufbluehen begriffen war. Eine groessere Gleichheit als zwischen diesem Kinde und dem Kinde Mathilde kann nicht mehr gedacht werden. Ich erschrak, als ich das Maedchen sah. Ob in den Jahren, in denen jetzt Natalie ist, Mathilde auch ihr gleich gewesen ist, kann ich nicht sagen; denn da war ich von Mathilden schon getrennt." "Es begann nun eine sehr liebliche Zeit. Mathilde kam mit Natalien oefter, um uns zu besuchen. Ich machte ihr in den ersten Tagen den Vorschlag, dass ich die Rosen, wenn sie ihr schmerzliche Erinnerungen weckten, von dem Hause entfernen wolle. Sie liess es aber nicht zu, sie sagte, sie seien ihr das Teuerste geworden und bilden den Schmuck dieses Hauses. Sie hatte sich zu einer solchen Milde und Ruhe gestimmt, wie ihr sie jetzt kennt, und diese Lage ihres Wesens befestigte sich immer mehr, je mehr sich ihre aeusseren Verhaeltnisse einer Gleichmaessigkeit zuneigten und je mehr ihr Inneres, ich darf es wohl sagen, sich beglueckt fuehlte. Ein freundlicher Verkehr hatte sich entwickelt, Gustav hatte sich an mich gewoehnt, ich an ihn, und aus der Gewoehnung war Liebe entstanden. Mathilde gab Rat in meinem Hauswesen, ich in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Nataliens Erziehung wurde oft zwischen uns besprochen und Schritte getan, die wir verabredet hatten. Und in der gegenseitigen Hilfleistung staerkte sich die Neigung, die wir gegen einander hatten, die nie verschwunden war, die sich zu einem edlen, tiefen freundlichen Gefuehle gebildet hatte und die nun offen und rechtmaessig bestehen konnte. Ich hatte wieder Jemanden, den ich zu lieben vermochte, und Mathilde konnte ihr Herz, das mir immer gehoert hatte, unumwunden an mein Wohl und an mein Wesen wenden. Nach einer Zeit wurde der Sternenhof verkaeuflich. Ich schlug Mathilden den Kauf vor. Sie besah das Gut. Seiner Nachbarschaft mit mir willen und schon seiner Linden willen, die sie an die grossen Baeume auf dem Rasenplatze vor dem Hause in Heinbach erinnerten, war sie zu dem Kaufe geneigt. Auch hatte der Sternenhof ueberhaupt grosse Aehnlichkeit mit dem Hause in Heinbach, war an sich eine sehr angenehme Besitzung und gab Mathilden fuer den Rest ihres Lebens einen festen Punkt und einige Abrundung ihrer Verhaeltnisse. Also wurde er erworben. Um dieselbe Zeit liess ich in meinem Hause die Wohnung fuer Mathilden und Natalien herrichten. In dem Sternenhofe war viel Arbeit, bis alles zur gefaelligen Wohnlichkeit geordnet war. Und auch nach dieser Zeit wurde bestaendig geaendert und umgewandelt, bis das Haus so war, wie es jetzt ist. Und selber jetzt, wie ihr wisst, wird dort wie hier gebaut, befestigt, verschoenert, und es wird wohl immer so fortgehen. Die Rosen, dieses Merkmal unserer Trennung und Vereinigung, sollten vorzugsweise auf dem Asperhofe bleiben, weil es Mathilden lieb war, dass sie dieselben dort gefunden hatte. Jede Rosenbluetezeit verlebte sie bei mir, sie liebte diese Blumen ausserordentlich, pflegte sie und konnte sich freuen, wenn sie mir eine Art, die ich noch nicht hatte, zubringen konnte. Dafuer liess ich ihr in ihrem Schlosse die Geraete machen, die ihr so viel Vergnuegen bereiten. Gustav wurde von Tag zu Tage trefflicher und versprach, einmal ein Mann zu werden, woran seines Gleichen Freude haben sollten. Natalie wurde nicht bloss schoen und herrlich, sondern sie wurde auch im Umgange mit ihrer Mutter so rein und edel, wie Wenige sind. Sie hatte das tiefe Gefuehl ihrer Mutter erhalten; aber teils durch ihr Wesen, teils durch eine sehr sorgfaeltige Erziehung ist mehr Ruhe und Stetigkeit in ihr Dasein gekommen. Zwischen Mathilden und mir war ein eigenes Verhaeltnis. Es gibt eine eheliche Liebe, die nach den Tagen der feurigen, gewitterartigen Liebe, die den Mann zu dem Weibe fuehrt, als stille, durchaus aufrichtige suesse Freundschaft auftritt, die ueber alles Lob und ueber allen Tadel erhaben ist, und die vielleicht das Spiegelklarste ist, was menschliche Verhaeltnisse aufzuweisen haben. Diese Liebe trat ein. Sie ist innig, ohne Selbstsucht, freut sich, mit dem Andern zusammen zu sein, sucht seine Tage zu schmuecken und zu verlaengern, ist zart und hat gleichsam keinen irdischen Ursprung an sich. Mathilde nimmt Anteil an meinen Bestrebungen. Sie geht mit in den Raeumen meines Hauses herum, ist mit mir in dem Garten, betrachtet die Blumen oder Gemuese, ist in dem Meierhofe und schaut seine Ertraegnisse an, geht in das Schreinerhaus und betrachtet, was wir machen, und sie beteiligt sich an unserer Kunst und selbst an unsern wissenschaftlichen Bestrebungen. Ich sehe in ihrem Hause nach, betrachte die Dinge im Schlosse, im Meierhofe, auf den Feldern, nehme Teil an ihren Wuenschen und Meinungen und schloss die Erziehung und die Zukunft ihrer Kinder in mein Herz. So leben wir in Glueck und Stetigkeit gleichsam einen Nachsommer ohne vorhergegangenen Sommer. Meine Sammlungen vervollstaendigen sich, die Baulichkeiten runden sich immer mehr, ich habe Menschen an mich gezogen, ich habe hier mehr gelernt als sonst in meinem ganzen Leben, die Spielereien gehen ihren Gang, und etwas Weniges nuetze ich doch auch noch." Er schwieg nach diesen Worten eine Weile, und ich auch. Dann fuhr er wieder fort: "Ich habe das alles mitteilen muessen, damit ihr wisst, wie ich mit der Familie in dem Sternenhofe zusammenhaenge, und damit in dem Kreise, in welchen ihr nun auch tretet, fuer euch Klarheit ist. Die Kinder wissen die Verhaeltnisse im Allgemeinen, ein naeheres Eingehen war fuer sie nicht so noetig wie fuer euch. Ich wuensche nicht, dass ihr gegen eure kuenftige Gattin Geheimnisse habt, ihr koennt Natalien mitteilen, was ich euch sagte, ich konnte es, wie ihr begreifet, nicht. Ueber Nataliens Zukunft sprach ich oft mit Mathilden. Sie sollte einen Gatten bekommen, den sie aus tiefer Neigung nimmt. Es sollte die gegenseitige groesste Hochachtung vorhanden sein. Durch Beides sollte sie das Glueck finden, das ihre Mutter und ihren vaeterlichen Freund gemieden hat. Mathilde hat in Begleitung des alten Raimund, der seitdem gestorben ist, grosse Reisen gemacht. Sie hat auf denselben dauerndere Ruhe gesucht und auch gefunden. Sie hat sie in der Betrachtung der edelsten Kunstwerke des menschlichen Geschlechtes und in der Anschauung mancher Voelker und ihres Treibens gefunden. Natalie ist dadurch befestigt, veredelt und geglaettet worden. Manche junge Maenner hat sie kennen gelernt, aber sie hat nie ein Zeichen einer Neigung gegeben. Sogenannte sehr glaenzende Verbindungen sind auf diese Weise fuer sie verloren gegangen. Ich haette auch grosse Sorge gehabt, wenn ich unter unseren jungen Maennern haette waehlen muessen. Als ihr zum ersten Male an dem Gitter meines Hauses standet und ich euch sah, dachte ich: >Das ist vielleicht der Gatte fuer Natalien.< Warum ich es dachte, weiss ich nicht. Spaeter dachte ich es wieder, wusste aber warum. Natalie sah euch und liebte euch, so wie ihr sie. Wir kannten das Keimen der gegenseitigen Neigung. Bei Natalien trat sie Anfangs in einem hoeheren Schwunge ihres ganzen Wesens, spaeter in einer etwas schmerzlichen Unruhe auf. In euch erschloss sie euer Herz zu einer frueheren Bluete der Kunst und zu einem Eingehen in die tieferen Schaetze der Wissenschaft. Wir warteten auf die Entwicklung. Zu groesserer Sicherheit und zur Erpruefung der Dauer ihrer Gefuehle brachten wir absichtlich Natalien zwei Winter nicht in die Stadt, dass sie von euch getrennt sei, ja sie wurde von ihrer Mutter wieder auf groessere Reisen und in groessere Gesellschaften gebracht. Ihre Gefuehle aber blieben bestaendig und die Entwicklung trat ein. Wir geben euch mit Freuden das Maedchen in eure Liebe und in euren Schutz, ihr werdet sie begluecken und sie euch; denn ihr werdet euch nicht aendern, und sie wird sich auch nicht aendern. Gustav wird einmal den Sternenhof und was dazu gehoert erhalten; denn das Haus ist Mathilden so lieb geworden, dass sie wuenscht, dass es ein Eigentum ihrer Familie bleibe und dass die kommenden Geschlechter das ehren, was die erste Besitzerin darin niedergelegt hat. Gustav wird es tun, das wissen wir schon, und seinen Nachfolgern die gleiche Gesinnung einzupflanzen, wird wohl auch sein Bestreben sein. Natalie erhaelt von mir den Asperhof mit allem, was in ihm ist, nebst meinen Barschaften. Ihr werdet mein Andenken hier nicht verunehren." Mir traten die Traenen in die Augen, da er so sprach, und ich reichte ihm meine Hand hinueber. Er nahm sie und druckte sie herzlich. "Ihr koennt hier auf dem Asperhofe wohnen oder in dem Sternenhofe oder bei euren Eltern. Ueberall wird Platz fuer euch zu machen sein. Ihr koennt auch euern Aufenthalt abwechselnd zwischen uns teilen, und das wird wohl wahrscheinlich der Fall sein, bis sich alle unsere Verhaeltnisse dem neuen Ereignisse gemaess gerichtet haben. Die Schriften bezueglich der Uebertragung meines Vermoegens an Natalien werden ihr nach der Vermaehlung eingehaendigt werden. So lange ich lebe, erhaelt sie einen Teil, den Rest nach meinem Tode. Wie ihr mit dem, was sie jetzt empfaengt, gebaren sollt, darueber wird euer Vater die beste Belehrung geben koennen. Er wird wohl mit mir auch darueber sprechen. Natalie erhaelt auch nach ihrer Vermaehlung den Teil, der ihr aus dem Nachlasse ihres Vaters Tarona gebuehrt." "Ist Nataliens Name Tarona?" fragte ich. "Habt ihr das nicht gewusst?" fragte er seinerseits. "Ich habe Mathilden immer die Frau von Sternenhof nennen gehoert", antwortete ich, "bin mit Mathilden und Natalien nirgends zusammen gewesen als im Sternenhofe, Asperhofe und Inghofe, und da wurden beide stets bei ihrem Vornamen genannt. Weitere Forschungen stellte ich gar nie an." "Mathilde liess geschehen, dass sie nach dem Sternenhofe geheissen wurde, der Name war ihr lieber. So mag es wohl gekommen sein, dass ihr keinen andern gehoert habt. Fuer Gustav wird die Erlaubnis zur Fuehrung dieses Namens nachgesucht werden." "Aber die Tarona, erzaehlte man mir, sei gerade in jenem Winter, an welchem ich Natalien in der Loge gesehen habe, nicht in der Stadt gewesen", sagte ich, und dachte an Preborn, welcher mir diese Tatsache mitgeteilt hatte. "Ganz richtig", erwiderte mein Gastfreund, "wir sind auch nur zur Auffuehrung des Koenig Lear hingefahren. Ich war in der Loge hinter Natalien, habe euch aber nicht gesehen." "Ich euch auch nicht", antwortete ich. "Natalie hat uns von dem jungen Manne erzaehlt, der ihr im Schauspielhause aufgefallen sei", erwiderte er, "aber erst nach langer Zeit konnte sie uns eroeffnen, dass ihr es gewesen seid." "Habe ich euch nicht einmal im Winter in der Stadt nach der Wiedergenesung des Kaisers, mit euren Ehrenzeichen geschmueckt, fahren gesehen?" fragte ich. "Das ist moeglich", antwortete er, "ich war in jener Zeit in der Stadt und an dem Hofe." "Nun mein sehr lieber junger Freund", sagte er nach einer Weile, "ich habe euch von meinem Leben erzaehlt, da ihr einer der unseren werden sollt, ich habe zu euch von meinem tiefsten Herzen geredet, und jetzt enden wir dieses Gespraech." "Ich bin euch Dank schuldig", antwortete ich, "allein all das Gehoerte ist noch zu maechtig und neu in mir, als dass ich jetzt die Worte des Dankes finden koennte. Nur eins beruehrt mich fast wie ein Schmerz, dass ihr mit Mathilden nach eurer Wiedervereinigung nicht in einen naehern Bund getreten seid." Der Greis erroetete bei diesen Worten, er erroetete so tief und zugleich so schoen, wie ich es nie an ihm gesehen hatte. "Die Zeit war vorueber", antwortete er, "das Verhaeltnis waere nicht mehr so schoen gewesen, und Mathilde hat es auch wohl nie gewuenscht." Er war schon frueher aufgestanden, jetzt reichte er mir die Hand, drueckte die meine herzlich und verliess das Zimmer. Ich blieb eine geraume Weile stehen und suchte meine Gedanken zur Sammlung zu bringen. Das waere mir nie zu Sinne gekommen, als ich zum ersten Male zu diesem Hause heraufstieg und des andern Tages seinen Inhalt sah, dass alles so kommen wuerde, wie es kam, und dass das alles zu meinem Eigentume bestimmt sei. Auch begriff ich jetzt, weshalb er meistens, wenn er von seinem Besitze sprach, das Wort "unser" gebrauchte. Er bezog es schon auf Mathilden und ihre Kinder. Nachdem ich noch eine Zeit in meiner Wohnung verweilt hatte, verliess ich sie, um in frischer Luft einen Spaziergang zu machen und noch das Gehoerte in mir ausklingen zu lassen. Der Abschluss Am naechsten Tage ging ich im Laufe des Vormittages zu einer Stunde, an welcher ich meinen Gastfreund weniger beschaeftigt wusste, in gewaehltem Anzuge in seine Stube und dankte ihm innig fuer das Vertrauen, welches er mir geschenkt habe, und fuer die Achtung, welche er mir dadurch erweise, dass er mich wuerdig erachte, Nataliens Gatte zu werden. "Was das Vertrauen anbelangt", erwiderte er, "so ist es natuerlich, dass man nicht jeden, der uns ferne steht, in unsere innersten Angelegenheiten einweiht; aber eben so natuerlich ist es, dass derjenige, der fuer die Zukunft einen Teil, ich moechte sagen unserer Familie ausmachen wird, auch alles wisse, was diese Familie betrifft. Ich habe euch das Wesentlichste gesagt, einzelne kleine Umstaende, die der Vorstellungskraft nicht immer gegenwaertig sind, aendern wohl an der Sachlage nichts. Was die Hochachtung anbelangt, die darin liegt, dass ich euch zu Nataliens Gatten geeignet erachte, so habt ihr vor allen Maennern dieser Erde den unermesslichen Vorzug, dass euch Natalie liebt und euch und keinen andern will; aber auch trotz dieses Vorzuges wuerden Mathilde und ich, dem man hierin ein Recht eingeraeumt hat, nie eingewilligt haben, wenn uns euer Wesen nicht die Zuversicht eingefloesst haette, dass da ein dauernd glueckliches Familienband geknuepft werden koenne. Was die Hochachtung anbelangt, die ich euch, abgesehen von dieser Angelegenheit, schuldig bin, so habe ich meiner Meinung nach euch die Beweise derselben gegeben. Wenn ich auch gedacht habe, ihr duerftet Nataliens kuenftiger Gatte sein, so war der Eintritt dieses Ereignisses so unbestimmt, da es ja auf die Entstehung einer gegenseitigen Neigung ankam, dass der Gedanke daran auf mein Benehmen gegen euch keinen Einfluss haben konnte, ja im Verlaufe der Zeiten war der Gedanke erst der Sohn meiner Meinung von euch." "Ihr habt mir wirklich so viele Beweise eures Wohlwollens und eurer Schonung gegeben", antwortete ich, "dass ich gar nicht weiss, wie ich sie verdiene; denn Vorzuege von was immer fuer einer Art sind gar nicht an mir." "Das Urteil ueber den Grund, woraus Achtung und Neigung oder Missachtung und Abneigung entsteht, muss immer Andern ueberlassen werden; denn wenn man zuletzt auch annaehernd weiss, was man in einem Fache geleistet hat, wenn man sich auch seines guten Willens im Wandel bewusst ist, so kennt man doch alle Abschattungen seines Wesens nicht, in wie ferne sie gegen Andere gerichtet sind, man kennt sie nur in der Richtung gegen sich selbst, und beide Richtungen sind sehr verschieden. Uebrigens, mein lieber Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung ist, dass man in der Gesellschaft der Menschen einen gewissen Anstand und Abstand in Kleidern und sonstigem Benehmen zeigt, so waere es in der eigenen Familie eine Last. Komme also in Zukunft in deinen Alltagsgewaendern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter deiner Braut bin, so betrachte mich als einen solchen, wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird schon alles recht werden, es wird schon alles gut werden." Er hatte bei diesen Worten die Hand auf mein Haupt gelegt, sah mich an, und in seinen Augen standen Traenen. Ich hatte nie im Verkehre mit mir die Augen dieses Greises nass werden gesehen; ich war daher sehr erschuettert und sagte: "So erlaubt mir, dass ich in dieser ernsten Stunde auch meinen Dank fuer das ausspreche, was ich in diesem Hause geworden bin; denn wenn ich irgend etwas bin, so bin ich es hier geworden, und gewaehrt mir in dieser Stunde auch eine Bitte, die mir sehr am Herzen liegt: erlaubt, dass ich eure ehrwuerdige Hand kuesse." "Nun, nur dieses eine Mal", erwiderte er, "oder hoechstens noch einmal, wenn du mit Natalien, die ein Kleinod meines Herzens ist, von dem Altare gehst." Ich fasste seine Hand und drueckte sie an meine Lippen; er legte aber die andere um meinen Nacken und drueckte mich an sein Herz. Ich konnte vor Ruehrung nicht sprechen. "Bleibe noch eine Weile in diesem Hause", sagte er spaeter, "dann gehe zu den Deinigen und leiste ihnen Gesellschaft. Dein Vater bedarf deiner Person auch." "Darf ich den Meinigen eure Mitteilung erzaehlen?" fragte ich. "Ihr muesst es sogar tun", antwortete er, "denn eure Eltern haben ein Recht, zu wissen, in welche Gesellschaft ihr Sohn durch Schliessung eines sehr heiligen Bundes tritt, und sie haben auch ein Recht, zu wuenschen, dass ihr Sohn nicht Geheimnisse vor ihnen habe. Ich werde uebrigens wohl selber mit eurem Vater ueber dieses und viele andere Dinge sprechen." Wir beurlaubten uns hierauf, und ich verliess das Zimmer. Den Rest des Vormittages verbrachte ich mit Abfassung eines Briefes an meine Eltern. Am Nachmittage suchte ich Gustav auf, und er erhielt die Erlaubnis, mit mir einen weiteren Weg in der Gegend zu machen. Wir kamen in der Daemmerung zurueck, und er musste die Zeit, welche er am Tage verloren hatte, bei der Lampe nachholen. Unter Arbeiten in meinen Papieren, in welche ich einige Ordnung zu bringen suchte, im Umgange mit meinem Gastfreunde, der mir leutselig manche Zeit schenkte, unter manchem Besuche im Schreinerhause, wo Eustach sehr beschaeftigt war, oder bei seinem Bruder Roland, der jeden lichten Augenblick des Tages zu seinem Bilde benuetzte, und endlich unter manchem weiten Gange in der Umgebung, da dieser Winter der erste war, den ich so tief im Lande zubrachte, verging noch die Zeit bis gegen die Mitte des Hornung. Ich nahm nun Abschied, sendete meine Sachen auf die Post nach Rohrberg und ging zu Fusse nach, harrte dort der Ankunft des Wagens aus dem Westen, erhielt, da er gekommen war, einen Platz in ihm und fuhr meiner Heimat zu. Ich wurde wie immer sehr freudig von den Meinigen gegruesst und musste ihnen von der Winterreise im Hochgebirge erzaehlen. Ich tat es, und erzaehlte ihnen in den ersten Tagen auch, was mir mein Gastfreund mitgeteilt hatte. Es war ihnen bisher unbekannt gewesen. "Ich habe Risach oft nennen gehoert", sagte mein Vater, "und stets war der Ausdruck der Hochachtung mit der Nennung seines Namens verbunden. Von der Familie, welche Heinbach besass, habe ich nur Alfred fluechtig gekannt. Mit Tarona war ich einmal in einer entfernten Geschaeftsverbindung gestanden." Die Jugendbeziehungen meines Gastfreundes zu Mathilden mussten sehr geheim gehalten worden sein, da weder je der Vater noch irgend jemand aus seiner Bekanntschaft von dieser Sache etwas gehoert hatte, obwohl ueber aehnliche Gegenstaende die Sprechlust am regesten zu sein pflegt. Dass meine Mitteilungen an meine Angehoerigen nach dem Bunde mit Natalien den groessten Eindruck machten, ist begreiflich. Dessohngeachtet hatte ich doch auch dem Vater etwas gebracht, was ihn sehr freute. Ich war in den letzten Tagen meines Aufenthaltes in dem Rosenhause noch bei dem Gaertner gewesen und hatte ihn ersucht, mir die Vorschrift zur Bereitung des Bindemittels an den Glaesern des Gewaechshauses zu verschaffen, wodurch das Hineinziehen des Wassers zwischen die Glaeser und das dadurch bewirkte Herabtropfen verhindert wird. Er hatte die Vorschrift wohl nicht selber, ging aber zu meinem Gastfreunde, und durch diesen erhielt ich sie. Ich erzaehlte meinem Vater von der Sache und uebergab ihm die Anleitung zur Bereitung. "Das wird das fuer die Pflanzen so schaedliche Herabtropfen des Winterwassers in unserem hiesigen Gewaechshause also fuer die Zukunft verhindern", sagte er, "noch mehr freue ich mich aber, es gleich neu in den neuen Gewaechshaeusern anwenden zu koennen, welche neben dem Landhause stehen werden, das ich bauen werde." Die Mutter laechelte. "Bereitet euch einstweilen auf die Reise in den Sternenhof und in das Rosenhaus vor", sagte der Vater, "alles Andere ist geschehen, der Schritt, der nun zu tun ist, liegt uns ob. In den ersten Tagen des Fruehlings worden wir hinreisen, und ich werde fuer meinen Sohn werben. Ihr Weiber bereitet euch gerne auf solche Dinge vor, tut es und beeilt euch, ihr habt nicht lange Zeiten vor euch, zwei Monate und etwas darueber. Was mir bis dahin obliegt, wird nicht auf sich warten lassen." Dass diese Massregel Beifall hatte, ging aus der Sachlage hervor; die Zeit zur Vorbereitung aber wollte man etwas kurz nennen. Der Vater sagte, es duerfe nicht das Geringste zugegeben werden, weil man es sonst der Wichtigkeit des Verhaeltnisses naehme. Das war einleuchtend. Es ging nun an ein Arbeiten und Bestellen, und kein Tag war, dem nicht seine Last zugeteilt wurde. Die Mutter traf auch Vorbereitungen fuer den Fall, dass die neuen Ehegatten in ihrem Hause wohnen wuerden. Der Vater sagte ihr zwar, dass meiner Verbindung noch meine grosse Reise vorangehen werde; allein sie widerlegte ihn mit der Bemerkung, dass es keinen Schaden bringe, wenn Manches frueher fertig sei, als man es eben brauche. Er liess sofort ihrem hausmuetterlichen Sinne seinen Lauf. Zu Ende des Maerzes brachte der Vater einen sehr schoenen Wagen in das Haus. Es war ein Reisewagen fuer vier Personen. Er hatte den Wagen nach seinen eigenen Angaben machen lassen. "Wir muessen unsere Freunde ehren", sagte er, "wir muessen uns selber ehren, und wer kann wissen, ob wir den Wagen nicht noch oefter brauchen werden." Er verlangte, dass man ihn genau besehe und in Hinsicht seiner Bequemlichkeit, besonders fuer Reisegegenstaende von Frauen, pruefe. Es geschah, und man musste die Einrichtung des Wagens loben. Es war Festigkeit mit Leichtigkeit verbunden, und bei einer gefaelligen Gestalt bot er Raeumlichkeit fuer alle noetigen Dinge. "Ich bin nun fertig", sachte er, "sorgt, dass eure Vorbereitungen nicht zu lange dauern." Aber auch die Frauen waren zu der rechten Zeit in Bereitschaft. Der Vater hatte den Beginn der Baumbluete und des Blaetterknospens als Reisezeit bestimmt, und zu dieser Zeit fuhren wir auch fort. Ich fuhr nun einen Weg, den ich so oft allein oder mit Fremden in einem Wagen zurueckgelegt hatte, mit allen meinen Angehoerigen. Wir fuhren mit Pferden, die wir uns auf jeder Post geben liessen; allein wir fuhren zur Bequemlichkeit der Mutter und Klotildens, weshalb wir uns oft laenger an einem Orte aufhielten und kleine Tagereisen machten. Ein sehr schoenes Wetter und eine Fuelle von weissen und rotschimmernden Blueten begleitete uns. Am vierten Tage vormittags fuhren wir in dem Sternenhofe ein. Mathilde war von unserer Ankunft unterrichtet worden. Wir hatten das Wagendach zurueckgelegt, und alle Blicke meiner Angehoerigen hafteten schon von weiter Entfernung her auf dem Bluetenhuegel, auf dem das Schloss stand, sie richteten sich jetzt auf die Gestalt des Bauwerkes, endlich auf das Sternenschild ueber dem Tore, auf die Woelbung des Torweges und zuletzt auf Mathilden und Natalien, die da standen, um uns zu empfangen. Wir stiegen aus. Natalie wechselte die Farben zwischen Blass und Purpurrot. Man wartete nicht weiter mit dem Grusse. Klotilde und Natalie lagen sich an dem Halse und weinten. Meine ehrwuerdige Mutter war von Mathilden umfasst und an das Herz gedrueckt. Dann wurde der Vater von ihr anmutsvoll und herzlich gegruesst, sie reichte ihm beide Haende und sah ihn mit ihren Augen, die noch immer so schoen waren, auf das Innigste an. Natalie hatte indessen die Hand meiner Mutter gefasst und sie gekuesst. Diese gab den Kuss auf die Stirne des schoenen Maedchens zurueck. Der Vater wollte wahrscheinlich etwas Heiteres oder gar Scherzhaftes zu Natalien sagen; aber als er sie naeher anblickte, wurde er sehr ernst und beinahe scheu, er gruesste sie anstaendig und sehr fein. Wahrscheinlich hatte ihn ihre Schoenheit ueberrascht oder er erinnerte sich, wie es auch mir ergangen war, an die Pracht seiner geschnittenen Steine. Klotilde wurde von Mathilden auch an das Herz gedrueckt. Auf mich dachte beinahe niemand. Ob dieser Empfang der strengen Umgangssitte oder irgend einer Rangordnung gemaess war, darnach fragte niemand. Wir gingen unter einander gemischt die Treppe hinan und wurden in Mathildens Gesellschaftszimmer gefuehrt. Dort lieh man den Gruessen erst lebhaftere Worte und einen geregelten Ausdruck. "So lange haben wir uns gekannt und erst jetzt sehen wir uns", sagte Mathilde zu meinen Eltern, als sie dieselben zum Niedersitzen auf ihre Plaetze veranlasst hatte. "Es war ein Wunsch von vielen Jahren", entgegnete mein Vater, "dass wir die Menschen saehen, die gegen meinen Sohn so wohlwollend waren und die sein Wesen so sehr gehoben hatten." "Das ist nun Natalie, meine teure Klotilde", sagte ich, indem ich beide Maedchen einander vorstellte, "das ist Natalie, die ich so sehr liebe, so sehr wie dich selbst." "Nein, mehr als mich, und so ist es auch recht", erwiderte Klotilde. "Sei meine Schwester", sagte Natalie, "ich werde dich lieben wie eine Schwester, ich werde dich lieben, so sehr es nur mein Herz vermag." "Ich nenne dich auch du", erwiderte Klotilde, "ich liebe meinen Bruder wie mein eigenes Herz, und werde dich auch so lieben." Die beiden Maedchen umarmten sich wieder und kuessten sich wieder. Als wir uns um den Tisch gesetzt hatten, sagte ich zu Natalien: "Und mich gruesst ihr beinahe gar nicht." "Ihr wisst es ja doch", erwiderte sie, indem sie mich freundlich ansah. Das Gespraech dauerte nun allgemeiner ueber denselben Gegenstand fort. Die zwei Frauen konnten sich kaum genug betrachten und nahmen sich immer wieder bei den Haenden. Als man endlich auf andere Gegenstaende uebergegangen war und ueber die Reise und ihre Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten gesprochen hatte, sagte mein Vater, dass wir noch saemtlich in Reisekleidern seien, dass wir ans verabschieden muessten, und er fragte, wann er die Ehre haben koennte, sich Mathilden wieder vorstellen zu duerfen. "Nicht Vorstellung", erwiderte sie, "Besuch, wann ihr immer wollt." "Also in zwei Stunden", entgegnete mein Vater. Wir gingen in unsere Zimmer, und mein Vater wies uns an, uns in Festkleider zu kleiden. Nach zwei Stunden ging er allein mit der Mutter, beide wie an einem hohen Festtage geschmueckt, zu Mathilden, welche sie zu sprechen verlangten. Mathilde empfing sie in dem grossen Gesellschaftszimmer, und mein Vater warb um die Hand Nataliens fuer mich. Nach wenigen Augenblicken wurden Natalie, Klotilde und ich hineingerufen, und Mathilde sagte: "Der Herr und die Frau Drendorf haben fuer ihren Sohn Heinrich um deine Hand geworben, Natalie." Natalie, welche in einem so festlichen Kleide da stand, wie ich sie nie gesehen hatte, weshalb sie mir beinahe fremd erschien, blickte mich mit Traenen in den Augen an. Ich ging auf sie zu, fasste sie an der Hand, fuehrte sie vor ihre Mutter, und wir sprachen einige Worte des Dankes. Sie entgegnete sehr freundlich. Dann gingen wir zu meinen Eltern und dankten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich antworteten. Klotilde war in ihrem Festanzuge sehr befangen, was auch fast bei allen Andern der Fall war. Mein Vater loeste die Stimmung, indem er zu einem Tische schritt, auf welchem er ein Kaestchen niedergestellt hatte. Er nahm das Kaestchen, naeherte sich Natalien und sagte: "Liebe Braut und kuenftige Tochter, hier bringe ich ein kleines Geschenk; aber es ist eine Bedingung daran geknuepft. Ihr seht, dass ein Faden um das Schloss liegt und dass der Faden ein Siegel traegt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach eurer Vermaehlung. Den Grund meiner Bitte werdet ihr dann auch sehen. Wollt ihr sie freundlich erfuellen?" "Ich danke fuer eure Guete innig", antwortete Natalie, "und ich werde die Bedingung erfuellen." Sie empfing das Kaestchen aus der Hand des Vaters. Auch die Mutter und Klotilde gaben ihr Geschenke, so wie Mathilde und Natalie Gegenstaende aus den benachbarten Zimmern herbeiholten, um die Mutter, Klotilden und den Vater zu beschenken. Natalie und ich gaben uns nichts. Dann setzten wir uns um einen Tisch nieder, und es begannen herzliche Gespraeche. Am Schlusse sagte Mathilde: "So waere denn der Bund, den die Herzen unserer Kinder geschlossen haben, auch durch die Beistimmung der Eltern bekraeftigt. Der Tag der ewigen Verbindung mag nach ihrem Wunsche und unserer Meinung festgesetzt werden. Wir wollen darueber jetzt nicht sprechen, sondern es der Beratung und Vereinbarung anheimgeben." Nach diesen Worten trennten wir uns und begaben uns in unsere Zimmer. Die festlichen Kleider wurden nun abgelegt, und es begann das Besuchsleben, wie es in aehnlichen Verhaeltnissen und namentlich, wenn man in so nahe Beziehungen getreten ist, der Fall zu sein pflegt. Mathilde fuehrte nach und nach den Vater und die Mutter in alle Teile des Schlosses, des Gartens, des Meierhofes, der Felder, der Wiesen und der Waelder. Sie zeigte ihnen alle Zimmer des Hauses: ihre Wohnzimmer, die Zimmer mit den alten Geraeten, sie zeigte ihnen die Bilder und was sich nur immer in dem Schlosse befand. Sie ging mit ihnen in den Garten: zu den Linden, zu allen Obstbaeumen, zu den Blumenbeeten, in die Grotte mit der Brunnennymphe, auf die Eppichwand und in jede Anlage, die in dem Garten enthalten war. Ebenso wurde alles, was sich auf die Landwirtschaft bezog, auf das Genaueste durchgenommen. Gegen den Abend, wenn die Sonnenstrahlen milde auf die bluehende Erde leuchteten, wurde ein gemeinschaftlicher Gang durch irgend einen Teil der Gegend gemacht. Wiederholt gingen wir die ganze Laenge des Beruehrweges durch, und die Eltern fanden Gefallen an dieser Bahn, die eine freie und ruestige Bewegung in trueben Tagen so wie im Winter auf eine angenehme Weise gestatte. Der Vater konnte ueber alles der Freude und des Lobes kein Ende finden. Mathilde und die Mutter sprachen oft lange und immer sehr freundlich mit einander, sie tauschten wahrscheinlich ihre Ansichten ueber Haeuslichkeit und Verwaltung des Zugehoerigen aus. Natalie und Klotilde waren fast unzertrennlich, sie schlossen sich an einander an, bezeugten sich jede Innigkeit, und oft, wenn wir alle in das Schloss zurueckgekehrt waren, gingen sie noch auf einem einsamen Wege des Gartens oder auf einem Pfade des naechstgelegenen Feldes herum. "Siehst du, Klotilde", sagte ich, "ich konnte dir kein Bild von Natalie bringen, weil keins da war, jetzt hast du sie selber." "Um wie viel lieber als jedes Bild", antwortete sie, "aber ein Bild muss doch ausgefuehrt werden, damit man spaeter wisse, wie sie in diesen Jahren ausgesehen habe." Acht Tage entliess uns Mathilde nicht von dem Sternenhofe, und jeder Tag fand seine freundliche Beschaeftigung. Am neunten wurden die Anstalten gemacht, dass wir alle in das Rosenhaus abreisen konnten. Mathilde und die Eltern fuhren in unserem Reisewagen. Natalie, Klotilde und ich in dem Wagen Mathildens. Als wir den Huegel hinanfuhren, konnte mein Vater seine Neugierde kaum mehr bemeistern. Ich sah ihn oefter in dem Wagen aufstehen und herumblicken. Es war ein wolkig heiterer Tag, Strichregen gingen auf entferntere Waelder nieder, Sonnenblicke schnitten goldne Bilder auf den Huegeln und Ebenen aus, und das Haus meines Gastfreundes schaute sanft von seiner Anhoehe hernieder. Obwohl, da wir von der Stadt abfuhren, dort bereits alles in Bluete stand, war in der Umgebung des Rosenhauses trotz der Zeit, die wir auf der Reise und in dem Hause Mathildens zugebracht hatten, doch noch die Baumbluete nicht vorueber, sondern sie war erst in ihrer vollen Entfaltung. Denn das Land hier lag um ein Bedeutendes hoeher als die Stadt. Ein Teil des Wintergetreides stand auf dem Huegel in ueppigstem Wuchse, ein Teil schickte sich dazu an, das Sommergetreide keimte hie und da, und hie und da war noch die braune Erde zu sehen. Mein Gastfreund hatte durch Mathilden Nachricht von unserer Ankunft erhalten. Als wir bei dem Gitter anfuhren, stand er mit Gustav, Eustach, Roland, mit der Haushaelterin Katharine, mit dem Hausverwalter, mit dem Gaertner und anderen Leuten auf dem Sandplatze vor dem Gitter, um uns zu empfangen. Wir stiegen aus, und da standen sich nun mein Vater und mein Gastfreund gegenueber. Der letztere hatte schneeweisse Haare, mein Vater etwas minder weisse, aber liebe, ehrwuerdige Maenner waren beide. Sie reichten sich die Hand, sahen sich einen Augenblick an und schuettelten sich dann ihre Rechte herzlich. "Seid mir gegruesst, seid mir tausendmal gegruesst an meiner Schwelle", sagte mein Gastfreund, "selten ist hier einer eingegangen, der so willkommen gewesen waere wie ihr, und selten habe ich mich nach jemandem so gesehnt wie nach euch. Wir sind nun so lange in Verbindung und ich habe euch schon so lange in der Liebe eures Sohnes geliebt." "Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes", erwiderte mein Vater, "es ist einer meiner liebsten Tage, der mich unter dieses Dach bringt. Ich komme in das Haus des Mannes, den ich durch meinen Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hochachten muss. Ich komme mit der Schuld des Dankes belastet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es nur im geringsten Masse um euch verdient hatte." "Lasst das jetzt, es machte mir ja selber Freude", entgegnete mein Gastfreund, "aber seht, so begeht man Fehler, wenn man von einer Leidenschaft befangen ist, besonders, wenn zwei alte Altertumsfreunde zusammentreffen. Ich habe versaeumt, eurer verehrtest Gattin meinen ersten Gruss darzubringen, wie es Pflicht gewesen waere. Aber, teure Frau, ihr werdet es, wenn auch nicht ganz entschuldigen, doch als ein geringeres Vergehen ansehen, als eine andere Frau, da ihr euren Gatten und seine Beziehungen zu seinen Schaetzen kennt. Seid mir gegruesst, und wenn ich sage, dass ich euch nicht minder als euren Gatten hieher gewuenscht habe, so sage ich die Wahrheit, und euer eigener Sohn ist gegen euch Zeuge, wenn ihr meine Worte bezweifeln wolltet. Es freut mich, euch in mein Haus fuehren zu koennen, erlaubt, dass ich eure Hand fasse. Mathilde, Natalie, Heinrich, ihr muesset heute etwas Nebensache sein, und dieses Fraeulein, das ich wohl schon als Klotilde kenne, wird erlauben, dass ich sie auch ein wenig liebe und um Gegenneigung bitte. Gustav, fuehre das Fraeulein." "Goennt mir die Gnade, euch fuehren zu duerfen", sagte Gustav zu Klotilden. Sie sah den Juengling sanft an und sagte: "Ich bitte um die Gefaelligkeit." "Ehe wir gehen", sagte mein Gastfreund noch, "sehet noch hier meine zwei ausgezeichneten Kuenstler Eustach und Roland, die mit mir in unserem Besitze leben, den ich Sorgenfrei nennen wuerde, wenn er nicht voll von Sorgen steckte. Sie wollen euch vor dem Hause begruessen. Seht da auch meine Katharine, die das Haus zusammenhaelt, und dann meinen Hausverwalter und Gaertner und Andere, welche die Lust des Empfanges nicht missen wollten." Mein Vater reichte jedem die Hand, und die Mutter und Klotilde verbeugten sich auf das Artigste. Hierauf nahm mein Gastfreund den Arm meiner Mutter, mein Vater den Mathildens, ich Nataliens, Gustav Klotildens, und so gingen wir bei dem Eisengitter in den Garten und in das Haus. Die Waegen fuhren in den Meierhof. In dem Hause wurden wir gleich in unsere Zimmer gefuehrt. Mathilde und Natalie gingen in ihre gewoehnliche Wohnung. Fuer meinen Vater und fuer meine Mutter war ein Aufenthalt von drei Zimmern eigens gerichtet worden. Sie hatten sehr schoene Wandbekleidungen und vorzuegliche Geraete. Fuer alle und jede Bequemlichkeit war gesorgt. Klotilde hatte ein zierliches blassblaues Zimmerchen daneben. Ich ging von der Wohnung meiner Eltern in meine Zimmer, welche die gewoehnlichen waren. Gustav besuchte mich hier in dem ersten Augenblicke, und umschlang mich mit der groessten Freude und Liebe. "Nun ist doch alles sicher und gewiss", sagte er. "Sicher und gewiss", entgegnete ich, "wenn Gott sein Vollbringen gibt. Jetzt bist du mein teurer, vielgeliebter Bruder in der Tat, wenn du es auch der Fassung nach erst in einiger Zeit wirst." "Darf ich auch du sagen?" fragte er. "Von ganzem Herzen", erwiderte ich. "Also du, mein geliebter, mein teurer Bruder", sagte er. "Auf immer, so lange wir leben, was auch, sonst fuer Zwischenfaelle kommen moegen", sagte ich. "Auf immer", antwortete er, "aber jetzt kleide dich schnell um, damit du nicht zu spaet kommst. Man wird in dem Besuchsaale zu ebener Erde noch einmal zu einem Grusse zusammenkommen, ehe man zum Mittagessen geht. Ich muss mich selber zurecht richten." Es war so, wie Gustav gesagt hatte, und es war an alle die Einladung ergangen. Er verliess mich, und ich kleidete mich um. Wir versammelten uns in dem Besuchzimmer zu ebener Erde, in welchem ich, da ich das erste Mal in diesem Hause war, allein gewartet hatte, waehrend mein Gastfreund gegangen war, ein Mittagessen fuer mich zu bestellen. Ich hatte damals den Gesang der Voegel hereingehoert. Der eingelegte Fussboden war heute mit einem sehr schoenen Teppiche ganz ueberspannt. Auch Eustach und Roland waren zu der Versammlung eingeladen worden. Als sich alle eingefunden hatten, stand mein Gastfreund, welcher so festlich angezogen war wie wir, auf und sprach: "Ich richte noch einmal an alle, welche gekomrnen sind, den Empfangsgruss innerhalb der Waende dieses Hauses. Es ist ein schoener Tag. Wenn gleich mancher liebe Freund und gewissermassen Schlachtkamerade, den ich noch besitze, nicht hier ist, so kann eben nicht immer alles, was man liebt, versammelt sein. Das Eigentliche ist hier, ist aus einem lieben Anlasse hier, aus welchem ein noch schoenerer Tag fuer Manche hervorgehen kann. Ihr, sehr hochgeehrte Frau, die Mutter des jungen Mannes, welcher zu verschiedenen Malen unter dem Dache dieses Hauses gewohnt hat, seid dem Hause willkommen. Es hat euren Namen oft gehoert und die Namen eurer Tugenden, und wenn der Schall der Rede oft auch ganz Anderes zu verkuenden schien, so gingen unbewusst eure Eigenschaften daraus hervor, sammelten sich hier und erzeugten Ehrerbietung und, erlaubt einem alten Manne das Wort, Liebe. Ihr, mein edler Freund - goennt mir den Namen auch, den ich euch so gerne gebe -, ein graues Haupt wie ich, aber ehrwuerdiger in der Verehrung seiner Kinder und darum auch in der anderer Leute, ihr habt mit eurer Gattin unsichtbar dieses Haus bewohnt und ehrt es, da es eure Gestalt nun selber in seinen Raeumen sieht. Ihr, Klotilde, wandeltet mit euren Eltern hier und seid gleichfalls in eurem Eigentume. Zu dir, Mathilde, spreche ich erst jetzt, nachdem ich zu den Andern gesprochen habe, die nicht so oft die Schwelle dieses Hauses betreten haben wie du. Du bringst uns heute etwas, das allen lieb sein wird. Sei deshalb nicht mehr gegruesst und willkommen, als du hier immer gegruesst und willkommen gewesen bist. Sei willkommen, Natalie, und seid gegruesst, Heinrich. Eustach, Roland, Gustav sind als Zeugen hier von dem, was da geschieht." Meine Mutter antwortete hierauf: "Ich habe immer gedacht, dass wir in diesem Hause werden herzlich empfangen werden, es ist so, ich danke sehr dafuer." "Ich danke auch, und moege die gute Meinung von uns sich bewaehren", sagte der Vater. Klotilde verneigte sich nur. Mathilde sprach: "Sei bedankt fuer deinen Gruss, Gustav, und wenn du sagst, dass ich etwas bringe, das allen lieb sein wird, so berichte ich, dass Heinrich Drendorf und Natalie vor neun Tagen im Sternenhofe verlobt worden sind. Wir haben den Weg zu dir gemacht, um deine Billigung zu dieser Vornahme zu erwirken. Du hast immer wie ein Vater an Natalien gehandelt. Was sie ist, ist sie groesstenteils durch dich. Daher koennte ein Band sie nie begluecken, das deinen vollen Segen nicht haette." "Natalie ist ein gutes, treffliches Maedchen", erwiderte mein Gastfreund, "sie ist durch ihr innerstes Wesen und durch ihre Erziehung das geworden, was sie ist. Ich mag ein Weniges beigetragen haben, wie alle nicht boesen Menschen, mit denen wir umgehen, zu unserem Wesen etwas Gutes beitragen. Du weisst, dass der geschlossene Bund meine Billigung hat, und dass ich ihm alles Glueck wuensche. Weil du mich aber Vater Nataliens nennst, so musst du erlauben, dass ich auch als Vater handle. Natalie erhaelt als meine Erbin den Asperhof mit allem Zubehoer und allem, was darin ist, sie erhaelt auch, da ich gar keine Verwandten besitze, meine ganze uebrige Habe. Die Ausfolgung geschieht in der Art, dass sie einen Teil des gesammten Vermoegens an ihrem Vermaehlungstage empfaengt nebst den Papieren, welche ihr das Anrecht auf den Rest zusprechen, der ihr an meinem Todestage anheim faellt. Einige Geschenke an Freunde und Diener werden in den Papieren enthalten sein, die sie gerne verabfolgen wird. Weil ich Vater bin, so werde ich auch meine liebe Tochter ausstatten, von ihrer Mutter kann sie nur Geschenke annehmen. Und einen Eigensinn muesst ihr mir gestatten, dessen Bekaempfung von eurer Seite mich sehr schmerzen wuerde. Die Vermaehlung soll auf dem Asperhofe gefeiert werden. Hieher ist der Braeutigam vor mehreren Jahren zuerst gekommen, hier habt ihr ihn kennen gelernt, hier ist vielleicht die Neigung gekeimt und hier endlich wohnt ja der Vater, wie er eben genannt worden ist. Vom Vermaehlungstage an wird im Asperhofe fuer die jungen Eheleute eine Wohnung in Bereitschaft stehen, es wird aber an sie nicht die Forderung gestellt werden, dass sie dieselbe benuetzen. Sie sollen nach ihrer Wahl ihre Wohnung aufschlagen: entweder im Asperhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt oder auch abwechslungsweise, wie es ihnen gefaellt." Mathilde war waehrend dieser ganzen Rede mit Wuerde und Anstand in ihrem Sitze gesessen, wie ueberhaupt in der ganzen Versammlung ein tiefer Ernst herrschte. Mathilde suchte ihre Haltung zu bewahren; allein aus ihren Augen stuerzten Traenen, und ihr Mund zitterte vor starker Bewegung. Sie stand auf und wollte reden; aber sie konnte nicht und reichte nur ihre Hand an Risach. Dieser ging um den Tisch - denn eine Ecke desselben trennte sie -, drueckte Mathilden sanft in ihren Sitz nieder, kuesste sie sachte auf die Stirne und strich einmal mit seiner Hand ueber ihre Haare, die sie glatt gescheitelt ueber der feinen Stirne hatte. Mein Vater nahm hierauf, da Risach wieder an seinem Platze war, das Wort, und sprach: "Es ist noch ein Vater da, welcher auch einige Worte reden und einige Bedingungen stellen moechte. Vor allem, Freiherr von Risach, empfanget den innigsten Dank von mir im Namen meiner Familie, dass ihr ein Mitglied derselben zu einem Mitgliede der eurigen aufzunehmen fuer wuerdig erachtet habt. Unserer Familie ist dadurch eine Ehre erzeigt worden, und mein Sohn Heinrich wird sich sicherlich bestreben, sich alle jene Eigenschaften zu erwerben, welche ihm zur Erfuellung seiner neuen Pflichten und zur Darstellung jener Menschenwuerde ueberhaupt noetig sind, ohne welche man ein Teil der besseren menschlichen Gesellschaft nicht sein kann. Ich hoffe, dass ich hierin fuer meinen Sohn buergen kann, und ihr selber hofft es, da ihr ihn in die Stellung aufgenommen habt, in der er ist. Mein Sohn wird in die neue Haushaltung bringen, was nicht fuer unbillig erachtet worden soll. In meinem Hause in der Stadt wird eine anstaendige Wohnung fuer die Neuvermaehlten immer in Bereitschaft stehen, und wenn ich das Landleben einmal vorziehen sollte, so werden sie auch in meiner neuen Wohnung einen Platz finden. Ihr eigenes staendiges Haus moegen sie nach Belieben aufschlagen. Dass die Vermaehlung in dem Asperhofe sei, ist nach meiner Meinung gerecht, und ich glaube, es wird niemand die Massregel bestreiten. Und nun habe ich noch eine Bitte an euch, Freiherr von Risach, nehmt mich alten Mann und meine alte Gattin nebst unsrer Tochter nicht ungerne in euren Familienkreis auf. Wir sind buergerliche Leute und haben als solche einfach gelebt; aber in jedem Verhaeltnisse unsere Ehre und unsern guten Namen aufrecht zu erhalten gesucht." "Ich kenne euch schon lange", antwortete Risach, "obwohl nicht persoenlich, und habe euch schon lange hoch geachtet. Noch hoeher achtete und liebte ich euch, als ich euren Sohn kennen gelernt hatte. Wie sehr es mich freut, in eine naehere Umgangsverbindung mit euch zu kommen, kann euch euer Sohn sagen und wird euch die Zukunft zeigen. Was die Buergerlichkeit anlangt, so gehoerte ich zu diesem Stande. Vergaengliche Handlungen, die man Verdienste nannte, haben mich auf eine Zeit aus ihm gerueckt, ich kehre durch meine angenommene Tochter wieder zu ihm zurueck, der mir allein gebuehrt. Ehrenvoller, wuerdiger Mann einer stetigen Taetigkeit und eines wohlgegruendeten Familienlebens, wenn ihr mich, der ich Beides nicht habe, fuer wert erachtet, so kommt an mein Herz und lasst uns die letzten Lebenstage freundlich mit einander gehen." Beide Maenner verliessen ihre Plaetze, begegneten sich auf halbem Wege zu einander, schlossen sich in die Arme und hielten sich einen Augenblick fest. Wie erschuetternd das auf alle wirkte, zeigte die Tatsache, dass es totenstill im Zimmer war und dass manche Augen feucht wurden. Meine Mutter war, da Risach Mathilden verlassen hatte, zu ihr gegangen, hatte sich neben sie gesetzt und hatte ihre beiden Haende gefasst. Die Frauen kuessten sich und hielten sich noch immer beinahe umfangen. Ich und Natalie traten jetzt vor Risach und sagten, dass wir ihm fuer alles Liebe und Gute gegen uns aufs Tiefste danken und dass unser einziges Bestreben sein werde, seiner guten Meinung ueber uns immer wuerdiger zu werden. "Ihr seid lieb und freundlich und ehrlich", sagte er, "und alles wird gut werden." Wir gingen wieder an unsere Plaetze, und Eustach, Klotilde, Roland, Gustav und selbst die Eltern wuenschten uns nun alles Glueck und allen Segen. Hierauf nahm das Gespraech eine Wendung auf einfachere und gewoehnlichere Dinge. Man stand auch oefter auf und mischte sich durcheinander. Meine Mutter hatte heute einige der schoensten geschnittenen Steine meines Vaters als Schmuck an ihrem Koerper. Mein Gastfreund hatte oefter darauf hingeblickt; allein jetzt konnten er und Eustach dem Reize nicht mehr widerstehen, sie traten zu meiner Mutter, betrachteten verwundert die Steine und sprachen ueber dieselben. Spaeter kam auch Roland hinzu. Meinem Vater glaenzten die Augen vor Freude. Als das Gespraech noch eine Weile gedauert hatte, trennte man sich und bestellte sich auf einen Spaziergang, der noch vor dem Mittagessen statt finden sollte. Auf dem Sandplatze vor dem Rosengitter an dem Hause wollte man sich versammeln. Wir kleideten uns in andere Kleider und kamen vor dem Hause zusammen. Mein Vater, der wahrscheinlich sehr neugierig war, alles in diesem Hause zu sehen, hatte sich zu Risach gesellt, sie standen vor den Rosengewaechsen, und mein Gastfreund erklaerte dem Vater alles. Mathilde war an der Seite meiner Mutter, Klotilde und Natalie hielten sich an den Armen, und ich und Gustav so wie zu Zeiten auch Eustach und Roland hielten uns in der Naehe der alten Maenner auf. Wir gingen von dem Sandplatze in den Garten, damit die Meinigen zuerst diesen saehen. Mein Gastfreund machte fuer meinen Vater den Fuehrer und zeigte und erklaerte ihm alles. Wo meine Mutter und Klotilde an dem Gesehenen Anteil nahmen, wurde es ihnen von ihren Begleiterinnen erlaeutert. "Da sehe ich ja aber doch Faltern", sagte mein Vater, als wir eine geraume Strecke in dem Garten vorwaerts gekommen waren. "Es waere wohl kaum denkbar und moeglich, dass meine Voegel alle Keime ausrotteten", antwortete mein Gastfreund, "sie hindern nur die unmaessige Verbreitung. Einiges bleibt aber immer uebrig, was fuer das naechste Jahr Nahrung liefert. Zudem kommen auch von der Ferne Faltern hergeflogen. Sie waeren wohl auch die schoenste Zierde eines Gartens, wenn ihre Raupen nicht so oft fuer unsere menschlichen Beduerfnisse so schaedlich waeren." "Bringen denn nicht aber auch die Voegel manchen Baumfruechten Schaden?" fragte mein Vater. "Ja, sie bringen Schaden", entgegnete mein Gastfreund, "er trifft hauptsaechlich die Kirschenarten und andere weichere Obstgattungen; aber im Verhaeltnisse zu dem Nutzen, den mir die Voegel bringen, ist der Schaden sehr geringe, sie sollen von dem Ueberflusse, den sie mir verschaffen, auch einen Teil geniessen, und endlich, da sie neben ihrer natuerlichen Nahrung von mir noch ausserordentliche und mitunter Leckerbissen bekommen, so ist dadurch der Anlass zu Angriffen auf mein Obst geringer." Wir gingen durch den ganzen Garten. Jedes Blumenbeet, jede einzelne merkwuerdigere Blume, jeder Baum, jedes Gemuesebeet, der Lindengang, die Bienenhuette, die Gewaechshaeuser, alles wurde genau betrachtet. Der Tag hatte sich beinahe ganz ausgeheitert, und eine Fuelle von Blueten lastete und duftete ueberall. Wir gingen bis zu dem grossen Kirschbaume empor und sahen von ihm ueber den Garten zurueck. Der Vater fuehlte sich ganz gluecklich, alles das sehen und betrachten zu koennen. Die Mutter mochte wohl ihren Umgebungen nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben wie der Vater, und sie mochte mit Mathilden mehr ueber das Wohl und Wehe und ueber die Zukunft ihrer Kinder gesprochen haben. Auch duerfte der Inhalt der Gespraeche zwischen Klotilden und Natalien nicht vorherrschend der Garten gewesen sein. Sie konnten manche Faeden ueber andere Dinge anzuknuepfen gehabt haben. Von dem grossen Kirschbaume musste wieder in das Haus zurueckgegangen werden, weil die Zeit, welche noch bis zu dem Mittagessen gegeben gewesen war, ihren Ablauf genommen hatte. Man verfuegte sich einen Augenblick in seine Zimmer und versammelte sich dann im Speisesaale. Der Nachmittag war zur Besichtigung des Meierhofes, der Wiesen und Felder bestimmt. Wir gingen von dem grossen Kirschbaume auf dem Getreidehuegel hinaus und auf ihm fort bis zu der Felderrast. Wir gingen genau den Weg, welchen ich an jenem Abende mit meinem Gastfreunde gegangen war, als ich mich zum ersten Male in dem Asperhofe befunden hatte. Wir sahen von der Felderrast ein wenig herum. Die Esche hatte eben ihre ersten kleinen Blaetter angesetzt und suchte sie auszubreiten. Wir konnten uns nicht niedersetzen, weil das Baenkchen dazu viel zu klein war. Von der Felderrast gingen wir in den Meierhof. Wir schlugen den Weg ein, welchen ich einmal mit Natalien allein gewandelt war. Nach der Besichtigung des Meierhofes, in welchem mein Gastfreund meinem Vater das Kleinste und Groesste zeigte, und in welchem er ihm erklaerte, wie alles frueher ausgesehen hatte, was daraus geworden war und was noch werden sollte, gingen wir durch die Meierhofwiesen, durch die Felder am Abhange des Huegels des Rosenhauses, dann den Huegel herum, endlich in das Gehoelze des Teiches und von ihn am dem Erlenbache zurueck, so dass wir wieder zu dem grossen Kirschbaume kamen und von ihm in das Haus zurueckkehrten. Es war mittlerweile Abend geworden. Alles hatte die Bewunderung meines Vaters erregt. Der naechste Tag war dazu bestimmt, das Innere des Hauses, seine Kunstschaetze und alles, was es sonst enthielt, zu besehen. Mein Gastfreund fuehrte meinen Vater zuerst in alle Zimmer des Erdgeschosses, dann ueber den Marmorgang die Treppe hinan zur Marmorgestalt. Wir waren alle mit, ausser Eustach und Roland. Bei der Marmorgestalt hielten wir uns sehr lange auf. Von ihr gingen wir in den Marmorsaal, in welchem mein Gastfreund meinem Vater alle Marmorarten nannte und ihm die Orte ihres Vorkommens bezeichnete. Dann besuchten wir nach und nach die Wohnzimmer meines Gastfreundes, die Zimmer mit den Bildern, Buechern, Kupferstichen, das Lesezimmer, das Eckzimmer mit den Vogelbrettchen und endlich die Gastzimmer und die Wohnung Mathildens. Auch Rolands Gemach wurde besehen, in welchem auf einer Staffelei sein beinahe fertiges Bild stand. Den Beschluss machte der Besuch des Schreinerhauses und die Besichtigung seiner Einrichtung und alles dessen, was da eben gefoerdert wurde. War mein Vater schon gestern voll Bewunderung gewesen, so war er heute beinahe ausser sich. Die Marmorgestalt hatte seinen Beifall so sehr, dass er sagte, er koenne sich von seinen Reisen her nicht auf Vieles erinnern, was von altertuemlichen Werken besser waere als diese Gestalt. Sie wurde von allen Seiten besehen und wieder besehen, dieser Teil und jener Teil und das Ganze wurde besprochen. So etwas, sagte mein Vater, koenne er nicht entfernt aufweisen, nur einige seiner alten geschnittenen Steine koennten neben dieser Gestalt noch besehen werden. Der Marmorsaal gefiel ihm sehr, und der Gedanke, ein solches Gemach zu bauen, erschien ihm als ein aeusserst gluecklicher. Er pries die Geduld meines Gastfreundes im Suchen des Marmors und lobte die, welche die Zusammenstellung entworfen hatten, dass etwas so Reines und Grossartiges zu Stande gekommen sei. Die alten Geraete, die Bilder, die Buecher, die Kupferstiche beschaeftigten meinen Vater auf das Lebhafteste, er sah alles genau an und sprach als Liebhaber und auch als Kenner ueber Vieles. Mein Gastfreund verstaendigte sich leicht mit ihm, ihre Ansichten trafen haeufig zusammen und ergaenzten sich haeufig, in so ferne man ueberhaupt Ansichten in einer Gesellschaft, in welcher man sich kurz fassen musste, aussprechen konnte. Meine Mutter freute sich innig ueber die Freude des Vaters. So war es denn also doch in Erfuellung gegangen, was sie so oft gewuenscht hatte, dass mein Vater das Haus meines Gastfreundes besuchte, und es war auf eine liebe Art in Erfuellung gegangen, die sie sich gewiss einstens nicht gedacht hatte. Rolands Bild betrachtete der Vater sehr aufmerksam, er hielt es fuer hoechst bedeutend, er sprach mit Risach ueber Verschiedenes in demselben und aeusserte sich, dass, nach diesem Werke zu urteilen, Roland eine hoffnungsvolle Zukunft vor sich haben duerfte. Dass es meinen Gastfreund mit Vergnuegen erfuellte, dass seine Schoepfungen mit solcher Anerkennung von einem Manne, aus dessen Worten die Berechtigung zu einem Urteile hervorging, betrachtet werden, ist begreiflich. Die zwei Maenner schlossen sich immer mehr an einander und vergassen zuweilen ein wenig die uebrige Gesellschaft. In dem Schreinerhause, in welchem Eustach den Fuehrer machte, wurden nicht nur alle Zeichnungen und Plaene durchgesehen, sondern die ganze Einrichtung und die Art, wie hier verfahren werde, sammt allen Werkzeugen, wurde einer genauen Beobachtung unterzogen. Der Vater war voll der Billigung darueber. Mit Besichtigung dieser Dinge war der ganze Tag verbraucht worden. Am naechsten Tage fuhr man in den Alizwald, damit mein Gastfreund meinen Eltern den Forst zeigen konnte, welcher zu dem Asperhofe gehoerte. Die folgenden Tage waren fuer die Gesellschaft schon weniger vereinigend. Man zerstreute sich und ging dem nach, was eben die meiste Anziehungskraft ausuebte. Zu mir und Natalien kamen nach und nach alle Bewohner des Rosenhauses und des Meierhofes, um uns Glueck und Segen zu unserer bevorstehenden Vereinigung zu wuenschen. Sie hatten jetzt erst, nach geschehener Verlobung, die Gewissheit davon erhalten, hatten es aber in frueherer Zeit aus den Vorgaengen, die sie sahen, gemutmasst und geschlossen. Mein Vater holte Vieles wieder im Einzelnen nach, was er im Allgemeinen gesehen hatte, er war bald hier, bald dort und war viel mit dem Besitzer des Hauses beschaeftigt. Die Frauen liessen sich das angelegen sein, was Sache des Hauswesens ist, und verkehrten manche Weile mit Katharinen. Wir juengeren Leute gingen viel in dem Garten herum, besuchten manche Stelle und machten Spaziergaenge. Wir waren mehrere Male bei den Gaertnerleuten, sassen einmal lange bei ihrem Tische und besahen einmal ausfuehrlich fuer uns die Gewaechshaeuser und liessen uns das Vorhandene von dem Gaertner erklaeren. Eines Tages waren wir auch alle im Inghofe, und die Bewohner des Inghofes waren eines andern Tages im Asperhofe. Der Pfarrer von Rohrberg und mehrere der angeseheneren Bewohner der Gegend waren von nahe oder von ferne herzugekommen, um zu dem ihnen bekannt gewordenen Ereignisse ihren Glueckwunsch darzubringen. Selbst Bauersleute der Nachbarschaft und Andere, die mich und Natalien kannten, kamen zu demselben Zwecke. Wir mussten zwoelf Tage in dem Asperhofe zubringen, dann aber wurde unser Reisewagen bepackt, und wir traten die Rueckreise in unsere Vaterstadt an. Da wir zu Hause angekommen waren, wurde sogleich daran gegangen, Zimmer in Bereitschaft zu setzen, dass wir den Gegenbesuch, wenn er eintreffen wuerde, anstandsvoll empfangen koennten. Ich ruestete mich indessen auch noch zu etwas Anderem, was noch vor der Verbindung mit Natalien statthaben musste, zu meiner grossen Reise. Ich suchte die Anstalten so zu treffen, dass ich glaubte, nichts Wesentliches ausser Acht gelassen zu haben. Die Notwendigkeit, mir durch diese Reise noch Manches, was mir fehlte, anzueignen und in dieser Hinsicht nicht zu weit hinter Natalien zurueckstehen zu muessen, war mir einleuchtend, und eben so einleuchtend war es mir, dass ich eine groessere Reise allein machen muesse, ehe ich in kuenftiger Zeit mit Natalien eine Reise antreten koennte. Ich hatte auch vor, mich gleich nach der Zeit, in der uns der Gegenbesuch abgestattet sein wuerde, auf die Reise zu begeben. Der Gegenbesuch kam drei Wochen nach dem Tage, an welchem wir in der Stadt angelangt waren. Ein Brief hatte ihn vorher angekuendigt. Mathilde, Risach, Natalie und Gustav trafen in einem schoenen Reisewagen ein. Sie wurden in die fuer sie in Bereitschaft gehaltenen Zimmer gefuehrt. Nachdem sie sich umgekleidet hatten, kamen wir zum Grusse in unserem Besuchzimmer zusammen. Der Empfang in unserem Hause war so herzlich und innig, wie er nur immer in dem Sternenhofe und in dem Hause meines Gastfreundes gewesen war. In allen Mienen war Freude, und alle Worte setzten die begonnene Bekanntschaft und die sich entwickelnde Freundschaft fort. Selbst bis auf die Dienerschaft pflanzte sich das angenehme Gefuehl ueber. Aus einzelnen Worten und aus den heitern Angesichtern entnahm man, wie sehr ihnen die wunderschoene Braut gefalle. Was unser Haus und die Stadt fuer die Gaeste Angenehmes bieten konnte, wurde ihnen zur Verfuegung gestellt. Wie auf den beiden Landsitzen wurde auch hier alles gezeigt, was das Haus enthaelt. Die Gaeste wurden in die Zimmer gefuehrt, besahen Bilder, Buecher, alte Schreine und geschnittene Steine. Sie kamen in das glaeserne Eckhaeuschen und in alle Teile des Gartens. In Hinsicht der Bilder meines Vaters sprach sich mein Gastfreund dahin aus, dass sie als Ganzes durchaus wertvoller seien als seine Sammlung, obwohl er auch einzelne Stuecke besitze, welche dem Besten aus meines Vaters Sammlung an die Seite gestellt werden koennten. Meinen Vater freute dieses Urteil, und er sagte, er haette ungefaehr dasselbe gefaellt. Die geschnittenen Steine, sagte mein Gastfreund, seien auserlesen, und denen haette er nichts Gleiches entgegenzustellen, es muesste nur das Marmorstandbild sein. "Das ist es auch, und das ist das Hoechste, was in beiden Kunstsammlungen besteht", erwiderte mein Vater. Die Schnitzarbeiten im Glashaeuschen waren meinem Gastfreunde aus meinen Abbildungen bekannt. Er beschaeftigte sich aber doch mit ihrer genauen Besichtigung und erteilte ihnen mit Ruecksicht auf die Zeit ihrer Entstehung viel Lob. Mein Einbeerblatt aus Marmor im Garten wurde einer Anerkennung nicht fuer unwuerdig erachtet. Meinen Vater erquickte die Wuerdigung seiner Schaetze von einem Manne, wie Risach war, sehr, und ich glaube, er hatte keine angenehmeren Stunden gehabt, seit er alle diese Dinge zusammen gebracht, als die Zeit, die Risach bei ihm gewesen war. Selbst jenen Augenblick duerfte er kaum vorgezogen haben, da sich zum ersten Male meine Augen fuer den Wert dessen geoeffnet hatten, was er besass. Bei mir war es damals nur Gefuehl gewesen, bei Risach war jetzt es Urteil. Zum Vergnuegen ausser dem Hause geschahen zwei Theaterbesuche, drei gemeinschaftliche Besuche in Kunstsammlungen und einige Fahrten in die Umgebung. Bei dieser Zusammenkunft wurde auch die Vermaehlungszeit besprochen. Ich sollte meine angekuendigte Reise unternehmen und nach der Zurueckkunft sollte kein Aufschub mehr stattfinden. Der Tag werde dann festgestellt werden. Nach dieser Verabredung wurde Abschied genommen. Der Abschied war dieses Mal sehr schwer, weil er auf laenger genommen wurde und weil unglueckliche Zufaelle in der Abwesenheit nicht unmoeglich sein konnten. Aber wir waren standhaft, wir scheuten uns, vor Zeugen, selbst vor so lieben, einen Schmerz zu aeussern, sondern trennten uns und versprachen, uns zu schreiben. Als uns unsere Gaeste verlassen hatten, zeigten wir in Briefen an einige uns sehr befreundete Familien meine Verlobung an. Zur Fuerstin ging ich selbst, um ihr dieses Verhaeltnis zu eroeffnen. Sie laechelte herzlich und sagte, dass sie sehr wohl bemerkt habe, dass ich einmal, da sie des Namens Tarona Erwaehnung getan hatte, aeusserst heftig erroetet sei. Ich erwiderte, dass ich damals nur erroetet sei, weil sie mich auf einer inneren Neigung betroffen habe, den Namen Tarona habe ich in jener Zeit an Natalien noch gar nicht gekannt. Ich sprach auch von meiner Reise, sie lobte diesen Entschluss sehr und erzaehlte mir von den Verhaeltnissen verschiedener Hauptstaedte, in denen sie in frueheren Jahren zeitweilig gewohnt hatte. Sie erwaehnte kurz auch Manches ueber das aeussere Ansehen der Laender, da sie eine grosse Freundin landschaftlicher Schoenheiten war. Sie hatte eben in dem Augenblicke vor, wieder an den Gardasee zu gehen, den sie schon oefter besucht hatte. Das war auch die Ursache, dass sie noch so spaet im Fruehlinge in der Stadt war. Sie ersuchte mich, nach meiner Zurueckkunft wieder bei ihr auf ein Weilchen zu erscheinen. Ich versprach es. Meine Reise wurde nun keinen Augenblick mehr verzoegert. Ich nahm von den Meinigen Abschied und fuhr eines Tages zu dem Tore unserer Stadt hinaus. Ich ging zuerst ueber die Schweiz nach Italien; nach Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Syrakus, Palermo, Malta. Von Malta schiffte ich mich nach Spanien ein, das ich von Sueden nach Norden mit vielfachen Abweichungen durchzog. Ich war in Gibraltar, Granada, Sevilla, Cordoba, Toledo, Madrid und vielen anderen, minderen Staedten. Von Spanien ging ich nach Frankreich, von dort nach England, Irland und Schottland und von dort ueber die Niederlande und Deutschland in meine Heimat zurueck. Ich war um einen und einen halben Monat weniger als zwei Jahre abwesend gewesen. Wieder war es Fruehling, als ich zurueckkehrte, die maechtige Welt der Alpen, der Feuerberge Neapels und Siciliens, der Schneeberge des suedlichen Spaniens, der Pyrenaeen und der Nebelberge Schottlands hatten auf mich gewirkt. Das Meer, vielleicht das Grossartigste, was die Erde besitzt, nahm ich in meine Seele auf. Unendlich viel Anmutiges und Merkwuerdiges umringte mich. Ich sah Voelker und lernte sie in ihrer Heimat begreifen und oft lieben. Ich sah verschiedene Gattungen von Menschen mit ihren Hoffnungen, Wuenschen und Beduerfnissen, ich sah Manches von dem Betriebe des Verkehrs, und in bedeutenden Staedten blieb ich lange und beschaeftigte mich mit ihren Kunstanstalten, Buecherschaetzen, ihrem Verkehre, gesellschaftlichem und wissenschaftlichem Leben und mit lieben Briefen, die aus der Heimat kamen, und mit solchen, die dorthin abgingen. Ich kam auf meiner Rueckreise frueher in die Gegend des Asperhofes und des Sternenhofes als in meine Heimat. Ich sprach daher in beiden ein. Alles war sehr wohl und gesund und fand mich sehr gebraeunt. Hier erfuhr ich auch eine Veraenderung, die mit meinem Vater vorgegangen war und die sie mir in den Briefen verschwiegen hatten, damit ich ueberrascht wuerde. Alle seine Anspielungen, dass er ploetzlich einmal in den Ruhestand treten werde, dass er sich, ehe man sichs versehe, auf dem Lande befinden werde, dass sich Vieles ereignen werde, woran man jetzt nicht denke, dass man nicht wisse, ob man nicht den Reisewagen oefter brauchen koenne, waren in Erfuellung gegangen. Er hatte sein Handelsgeschaeft abgetreten und hatte den auf einer sehr lieblichen Stelle zwischen dem Asperhofe und Sternenhofe gelegenen, verkaeuflich gewordenen Gusterhof gekauft, den er eben fuer sich einrichten lasse. Man freute sich schon darauf, wie er sich in diesem neuen Besitztume haeuslich und wohnlich niederlassen werde. Ich nahm mir nicht Zeit, diesen Hof, den ich von Aussen kannte, zu besuchen, weil ich Natalien, die mir wie ein Gut wieder gegeben worden war, nicht noch unnoetig laenger von meiner Seite entfernt wissen wollte. Nach innigem Empfange und Abschiede reiste ich zu meinen Eltern, und reiste Tag und Nacht, um bald einzutreffen. Sie wussten von meiner Ankunft und empfingen mich freudig. Ich richtete mich sogleich in meiner Wohnung ein. Es war mir seltsam und wohltuend, den Vater jetzt immer zu Hause und ihn stets mit Plaenen, Entwuerfen, Zeichnungen umringt zu sehen. Er war waehrend meiner Abwesenheit fuenf Male in dem Gusterhofe und bei diesen Gelegenheiten oefter bei Mathilde oder Risach als Gast gewesen. Die Mutter und Klotilde hatten ihn zweimal begleitet. Er war in diesen zwei Jahren um ein gut Teil juenger geworden. Auch die Bewohner des Sternen- und Asperhofes hatten sich einmal im Winter bei meinen Eltern als Gaeste eingefunden. Die Bande waren sehr schoen und lieb geflochten. Gleich am ersten Tage meiner Anwesenheit im elterlichen Hause fuehrte mich meine Mutter in die Zimmer, die fuer mich und Natalien als Wohnung hergerichtet worden waren, wenn wir uns in der Stadt aufhalten wollten. Ich hatte gar nicht gedacht, dass in dem Hause so viel Platz sei, so geraeumig war die Wohnung. Sie war zugleich so schoen und edel angeordnet, dass ich meine Freude daran hatte. Ich sprach bei dieser Gelegenheit von dem Vermaehlungstage, und die Mutter antwortete, dass der Vater glaube, es sei nun keine Ursache einer Saeumnis, und von uns, als von der Seite des Braeutigams, muesse die Anregung ausgehen. Ich bat um Beschleunigung, und am folgenden Tage gingen schon unsere Briefe in den Sternenhof und zu Risach ab. In Kurzem kam die Antwort zurueck, und der Tag war nach unsern Vorschlaegen festgesetzt. Der Sammelplatz war der Asperhof. Meinem Versprechen getreu stellte ich mich nun auch bei der Fuerstin. Sie war schon auf ihren Landsitz abgereist. Ich schrieb ihr daher einige Zeilen, dass ich zurueck sei, und zeigte ihr meinen Vermaehlungstag an. In kurzer Zeit kam eine Antwort von ihr nebst einem Paeckchen, welches ein Erinnerungszeichen an meine Vermaehlungsfeier von ihr enthalte. Sie koenne es mir nicht persoenlich uebergeben, weil sie seit einigen Wochen kraenklich sei und sich deshalb so frueh auf das Land habe begeben muessen. Das Erinnerungszeichen liege schon seit laenger in Bereitschaft. Ich oeffnete das Paeckchen. Es enthielt eine einzige, aber sehr grosse und sehr schoene Perle. Die Fassung war fast keine. Nur ein Stengel und ein Goldscheibchen hafteten an der Perle, dass sie eingeknoepft werden konnte. Ich freute mich ausserordentlich ueber die Gesinnung der edlen Fuerstin, ueber die Trefflichkeit des Geschmackes und ueber dessen Sinnigkeit; denn eine Perle ist es ja in meinen Augen, die ich mir als Geschenk an meine Brust zu heften im Begriffe war. Ich schrieb eine innige Dankantwort zurueck. Unsere Vorbereitungen waren bald gemacht, und wir reisten ab. "Wir koennen ja unsere letzten Ruestungen in meinem Landhause machen", sagte der Vater mit heiterem Laecheln. Wir fuhren in den Gusterhof. Eine kleine, aber freundlich bestellte Wohnung, die der Vater vorlaeufig fuer solche Gelegenheiten hatte herrichten lassen, empfing uns. Es war ein liebliches Gefuehl, in unserem eigenen, uns zugehoerigen Landsitze zu sein. Der Vater schien dieses Gefuehl am tiefsten zu hegen, und die Mutter freute sich dessen ungemein. Wir blieben hier so lange und vervollstaendigten unsere Vorbereitungen, dass wir zwei Tage vor der Vermaehlung in dem Asperhofe eintreffen konnten. Mathilde und Natalie waren schon anwesend, da wir ankamen. Wir begruessten uns herzlich. Alles war in einer gewissen Spannung der Vorbereitungen. Ich konnte Natalien oft nur auf einige Augenblicke sehen. Klotilde wurde auch sofort hineingezogen. Botschaften kamen und gingen ab, Gaeste und Trauzeugen trafen ein. Ich selber war in einer Art Beklemmung. Am Nachmittage des ersten Tages fand ich einmal Mathilden, meinen Gastfreund und Gustav im Lindengange auf und ab wandeln. Ich gesellte mich zu ihnen. Gustav verliess uns bald. "Wir sprachen eben davon, dass mein Sohn sich nun bald von hier entfernen und in die Welt gehen muesse", sagte Mathilde, "habt ihr ihn nach eurer Reise nicht auch veraendert gefunden?" "Er ist ein vollkommener Juengling geworden", erwiderte ich, "ich habe auf meinen Reisen keinen gesehen, der ihm gleich waere. Er war ein sehr kraftvoller Knabe und ist auch ein solcher Juengling geworden, aber, wie ich glaube, gemilderter und sanfter. Ja, sogar in seinen Augen, die noch glaenzender geworden sind, erscheint mir etwas, das beinahe wie das Schmachten bei einem Maedchen ist." "Es freut mich, dass ihr das auch bemerkt habt", sagte mein Gastfreund, "es ist so, und es ist sehr gut, wenn auch gefaehrlich, dass es so ist. Gerade bei sehr kraftvollen Juenglingen, deren Herz von keinem boesen Rauche angeweht worden ist, tritt in gewissen Jahren ein Schmachten ein, das noch holder wirkt als bei heranbluehenden Maedchen. Es ist dies nicht Schwaeche, sondern gerade Ueberfuelle von Kraft, die so reizend wirkt, wenn sie aus den meistens dunkeln, sanftschimmernden Augen blickt und gleichsam wie ein Juwel an den unschuldigen Wimpern haengt. Solche Juenglinge dulden aber auch, wenn boese Schicksalstage kommen, mit einem Starkmute, der der Krone eines Maertyrers wert waere, und wenn das Vaterland Opfer heischt, legen sie ihr junges Leben einfach und gut auf den Altar. Sie koennen aber auch zu falscher Begeisterung getrieben und missbraucht werden, und wenn ein solches Juenglingsauge zu rechter Zeit in das rechte Maedchenauge schaut, so flammt die ploetzlichste, heisseste, aber oft auch ungluecklichste Liebe empor, weil der junge, unverfaelschte Mann sie fast unausrottbar in sein Herz nimmt. Wir werden, wenn die jetzige Angelegenheit vorueber ist, weiter von dem sprechen, was etwa not tut." "Ich sehe ja das Gute und die Gefahr", sagte Mathilde. Wir gingen bald in das Haus zurueck. "Er muss in die Haerte der Welt, die wird ihn staehlen", sagte mein Gastfreund auf dem Wege dahin. Endlich war der Vermaehlungstag angebrochen. Die Trauung sollte am Vormittage in der Kirche zu Rohrberg stattfinden, in welche der Asperhof eingepfarrt war. Der Versammlungsort war der Marmorsaal, dessen Fussboden zu diesem Zwecke mit feinem gruenen Tuche ueberspannt worden war. Gleiches Tuch lag auf allen Treppen. Ich kleidete mich in meinen Zimmern an, tat ein Gebet zu Gott und wurde von einem meiner Trauzeugen in den Marmorsaal gefuehrt. Von unsern Angehoerigen waren erst die Maenner dort. Die Zeugen und die meisten Gaeste waren zugegen. Risach war im Staatskleide und mit allen seinen Ehren geschmueckt. Da tat sich die Tuer, die von dem Gange hereinfuehrte, auf und Natalie mit ihrer und meiner Mutter, mit Klotilden und mit noch andern Frauen und Maedchen trat herein. Sie war prachtvoll gekleidet und mit Edelsteinen gleichsam uebersaet; aber sie war sehr blass. Die Edelsteine waren in mittelalterlicher Fassung, das sah ich wohl; aber ich hatte nicht die Stimmung, auch nur einen Augenblick darauf zu achten. Ich ging ihr entgegen und reichte ihr sanft die Hand zum Grusse. Sie zitterte sehr. Mein Gastfreund sagte zu meinen Eltern: "Das Lieblingsgespraech eures Sohnes waren bisher seine Eltern und seine Schwester, wer ein so guter Sohn ist, wird auch ein guter Gatte werden." "Die schoeneren Eigenschaften, die eine Zukunft gewaehren", sagte mein Vater, "hat er von euch gebracht, wir haben es wohl gesehen und haben ihn darum immer mehr geliebt, ihr habt ihn gebildet und veredelt." "Ich muss antworten wie bei Natalien", erwiderte mein Gastfreund, "sein Selbst hat sich entwickelt und aller Umgang, der ihm zu Teil geworden, vorerst der eurige, hat geholfen." Ich wollte etwas sprechen, konnte aber vor Bewegung nicht. Gustav, der in der Naehe der Frauen stand, sah mich an, ich ihn auch. Er war ebenfalls sehr blass. Indessen hatten sich alle nach und nach eingefunden, die bei der Trauung gegenwaertig sein sollten, die Stunde der Abfahrt war da und der Hausverwalter meldete, dass alles in Bereitschaft sei. Mathilde machte Natalien das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne, den Mund und die Brust, und diese beugte sich mit ihren Lippen auf die Hand der Mutter nieder. Dann fassten die Maedchen den Schleier, der wie ein Silbernebel von dem Haupte Nataliens bis zu ihren Fuessen reichte, huellten sie in ihn, und Natalie ging, von ihren Maedchen umringt und von den Frauen geleitet, die Treppe hinunter, auf welcher die Marmorgestalt stand. Wir folgten. Mit mir waren meine Zeugen und Risach und der Vater. Den ersten Teil der Wagenreihe nahmen die Frauen, die Braut und die Maedchen ein, den letzten die Maenner und ich. Wir stiegen ein, der Zug setzte sich in Bewegung. Es war viel Volk gekommen, die Brautfahrt zu sehen. Darunter erblickte ich meinen Zitherspiellehrer, welcher mir mit einem gruenen Hute, auf dem er Federn hatte, winkte. Die Bewohner des Meierhofes und die Diener des Hauses waren groesstenteils vorausgegangen und harrten unser in der Kirche. Einige befanden sich auch in den Waegen. Der Zug fuhr langsam den Huegel hinab. In der Kirche erwartete uns der Pfarrer von Rohrberg, wir traten vor den Altar, und die Trauung ward vollbracht. Zum Zurueckfahren kamen Natalie und ich allein in einen Wagen. Sie sprach nichts, der Schleier blieb zurueckgeschlagen und Tropfen nach Tropfen floss aus ihren Augen. Da wir wieder in dem Marmorsaale waren, wurden auf den langen Tisch, den man heute hier aufgerichtet und mit vielen Stuehlen umgeben hatte, von Risach und von meinem Vater die Papiere niedergelegt, die sich auf unsere Vermaehlung und unser Vermoegen bezogen. Ich aber nahm indessen Natalien an der Hand und fuehrte sie durch das Bilder- und Lesezimmer in das Buecherzimmer, in welchem wir allein waren. Dort stellte ich mich ihr gegenueber und breitete die Arme aus. Sie stuerzte an meine Brust. Wir umschlangen uns fest und weinten beide beinahe laut. "Meine teure, meine einzige Natalie!" sagte ich. "O mein geliebter, mein teurer Gatte", antwortete sie, "dieses Herz gehoert nun ewig dir, habe Nachsicht mit seinen Gebrechen und seiner Schwaeche." "O mein teures Weib", entgegnete ich, "ich werde dich ohne Ende ehren und lieben, wie ich dich heute ehre und liebe. Habe auch du Geduld mit mir." "O Heinrich, du bist ja so gut", antwortete sie. "Natalie, ich werde suchen, jeden Fehler dir zu Liebe abzulegen", erwiderte ich, "und bis dahin werde ich jeden so verhuellen, dass er dich nicht verwunde." "Und ich werde bestrebt sein, dich nie zu kraenken", antwortete sie. "Alles wird gut werden", sagte ich. "Es wird alles gut werden, wie unser zweiter Vater gesagt hat", antwortete sie. Ich fuehrte sie naeher an das Fenster, und da standen wir und hielten uns an den Haenden. Die Fruehlingssonne schien herein, und neben den Diamanten glaenzten die Tropfen, die auf ihr schoenes Kleid gefallen waren. "Natalie, bist du gluecklich?" sagte ich nach einer Weile. "Ich bin es in hohem Masse", antwortete sie, "moegest du es auch sein." "Du bist mein Kleinod und mein hoechstes Gut auf dieser Erde", erwiderte ich, "es ist mir noch wie im Traume, dass ich es errungen habe, und ich will es erhalten, so lange ich lebe." Ich kuesste sie auf den Mund, den sie freundlich bot. In ihre feinen Wangen war das Rot zurueckgekehrt. In diesem Augenblicke hoerten wir Tritte in dem Nebenzimmer, und Mathilde, meine Mutter, Risach, mein Vater und Klotilde, die uns gesucht hatten, traten ein. "Mutter, teure Mutter", sagte ich zu Mathilden, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand fasste und sie zu kuessen strebte. Mathilde hatte sich nie die Hand von irgend jemandem kuessen lassen. Dieses Mal erlaubte sie, dass ich es tue, indem sie sanft sagte: "Nur das eine Mal." Dann kuesste sie mich auf die Stirne und sagte: "Sei so gluecklich, mein Sohn, als du es verdienst und als es die wuenscht, die dir heute ihr halbes Leben gegeben hat." Risach sagte zu mir: "Mein Sohn, ich werde dich jetzt du nennen, und du musst zu mir wie zu deinem ersten Vater auch dies Woertchen sagen - mein Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, ist deine erste Pflicht, ein edles, reines, grundgeordnetes Familienleben zu errichten. Du hast das Vorbild an deinen Eltern vor dir, werde, wie sie sind. Die Familie ist es, die unsern Zeiten not tut, sie tut mehr not als Kunst und Wissenschaft, als Verkehr, Handel, Aufschwung, Fortschritt oder wie alles heisst, was begehrungswert erscheint. Auf der Familie ruht die Kunst, die Wissenschaft, der menschliche Fortschritt, der Staat. Wenn Ehen nicht begluecktes Familienleben werden, so bringst du vergeblich das Hoechste in der Wissenschaft und Kunst hervor, du reichst es einem Geschlechte, das sittlich verkommt, dem deine Gabe endlich nichts mehr nuetzt und das zuletzt unterlaesst, solche Gueter hervor zu bringen. Wenn du auf dem Boden der Familie einmal stehend - viele schliessen keine Ehe und wirken doch Grosses -, wenn du aber auf dem Boden der Familie einmal stehst, so bist du nur Mensch, wenn du ganz und rein auf ihm stehst. Wirke dann auch fuer die Kunst oder fuer die Wissenschaft, und wenn du Ungewoehnliches und Ausgezeichnetes leistest, so wirst du mit Recht gepriesen, nuetze dann auch deinen Nachbarn in gemeinschaftlichen Angelegenheiten und folge dem Rufe des Staates, wenn es not tut. Dann hast du dir gelebt und allen Zeiten. Gehe nur den Weg deines Herzens wie bisher und alles wird sich wohl gestalten." Ich reichte ihm die Hand, er zog mich an sich und kuesste mich auf den Mund. Natalie war indessen in den Armen meiner Mutter, meines Vaters und Klotildens gewesen. "Er wird gewiss bleiben, wie er heute ist", sagte sie, wahrscheinlich auf einen Wunsch fuer die Zukunft antwortend. "Nein, mein teures Kind", sagte meine Mutter, "er wird nicht so bleiben, das weisst du jetzt noch nicht: er wird mehr werden, und du wirst mehr werden. Die Liebe wird eine andere, in vielen Jahren ist sie eine ganz andere; aber in jedem Jahr ist sie eine groessere, und wenn du sagst, jetzt lieben wir uns am meisten, so ist es in Kurzem nicht mehr wahr, und wenn du statt des bluehenden Juenglings einst einen welken Greis vor dir hast, so liebst du ihn anders, als du den Juengling geliebt hast; aber du liebst ihn unsaeglich mehr, du liebst ihn treuer, ernster und unzerreissbarer." Mein Vater wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand ueber die Augen. Meine Mutter kuesste Natalien noch einmal und sagte: "Du liebe, gute, teure Tochter." Natalie gab den Kuss zurueck und schlang die Arme um den Hals meiner Mutter. "Kinder, jetzt muessen wir zu den Andern gehen", sagte Risach. Wir gingen in den Saal. Dort gab Risach Papiere in die Haende Nataliens. Sie legte sie in die meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle Anwesenden wuenschten uns nun Glueck, vor allem Gustav, den ich die letzte Zeit her gar nicht gesehen hatte. Er fiel der Schwester um den Hals und auch mir. In seinen schoenen Augen perlten Traenen. Dann beglueckwuenschten uns Eustach, Roland, die vom Inghofe, der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf unser erstes Zusammentreffen in diesem Hause an jenem Gewitterabende erinnerte, und alle Andern. Risach sagte, dass jetzt jedem zwei Stunden zur Verfuegung gegeben seien, dann muesse sich alles in dem Marmorsaale zu einem kleinen Mahle versammeln. Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in die Gemaecher ihrer Mutter gefuehrt, dass sie dort die Trauungsgewaender ablege. Ich ging in meine Wohnung, kleidete mich um und verschloss die Papiere, ohne sie anzusehen. Nach einer geraumen Zeit ging ich in das Vorzimmer zu Mathildens Wohnung und fragte, ob Natalie schon in Bereitschaft sei, ich liesse bitten, mit mir einen kurzen Gang durch den Garten zu machen. Sie erschien in einem schoenen, aber sehr einfachen Seidenkleide und ging mit mir die Treppe hinab. Sie reichte mir den Arm und wir wandelten eine Zeit unter den grossen Linden und auf anderen Gaengen des Garten herum. Nachdem die zwei Stunden verflossen waren, wurde mit der Glocke das Zeichen zum Mahle gegeben. Alles begab sich in den Saal und erhielt dort seine Sitze angewiesen. Das Mahl war, wie gewoehnlich bei Risach, einfach, aber vortrefflich. Fuer Kenner und Liebhaber standen sehr edle Weine bereit. Es war nie in dem Saale ein Mahl abgehalten worden, und der Ernst des Marmors, bemerkte mein gewesener Gastfreund, duerfe nur in den Ernst des edelsten Weines nieder blicken. Trinksprueche wurden ausgebracht und sogar Reime auf ewiges Wohl hergesagt. "Habe ich es gut gemacht, Natta", sagte mein einstiger Gastfreund, "dass ich dir den rechten Mann ausgesucht habe? Du meintest immer, ich verstaende mich nicht auf diese Dinge, aber ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt. Nicht bloss die Liebe ist so schnell wie die Electricitaet, sondern auch der Geschaeftsblick." "Aber Vater", sagte Natalie erroetend, "wir haben ja ueber diesen Gegenstand nie gestritten, und ich konnte dir die Faehigkeit nicht absprechen." "So hast du dir es gewiss gedacht", erwiderte er, "aber richtig habe ich doch geurteilt: er war immer sehr bescheiden, hat nie vorlaut geforscht und gedraengt und wird gewiss ein sanfter Mann werden." "Und du, Heinrich", sagte er nach einer Weile, "werde darum nicht stolz. Verdankst du mir nicht endlich ganz und gar Alles? Du hast einmal, da du zum ersten Male in diesem Hause warst, in der Schreinerei gesagt, dass der Wege sehr verschiedene sind und dass man nicht wissen koenne, ob der, der dich eines Gewitters wegen zu mir herauf gefuehrt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist, worauf ich antwortete, dass du ein wahres Wort gesprochen habest und dass du es erst recht einsehen werdest, wenn du aelter bist; denn in dem Alter, dachte ich mir damals, uebersieht man erst die Wege, wie ich die meinigen uebersehen habe. Wer haette aber damals geglaubt, dass mein Wort die Bedeutung bekommen werde, die es heute hat? Und alles hing davon ab, dass du hartnaeckig gemeint hast, ein Gewitter werde kommen, und dass du meinen Gegenreden nicht geglaubt hast." "Darum, Vater, war es Fuegung, und die Vorsicht selber hat mich zu meinem Gluecke gefuehrt", sagte ich. "Die alte Frau, die in dem dunkeln Stadthause unsere Wohnungsnachbarin und zuweilen unser Gast war", sagte mein Vater, "hat dir, Heinrich, die Weissagung gemacht, es werde recht viel aus dir werden: und nun bist da bloss, wie du selber sagst, gluecklich geworden." "Das Andere wird kommen", riefen mehrere Stimmen. "Eine gute Eigenschaft habe ich an deiner Gattin zu ihren andern Tugenden entdeckt", fuhr mein Vater fort, "sie ist nicht neugierig; oder hast du, liebe Tochter, das Kaestchen schon eroeffnet, welches ich dir gegeben habe?" "Nein, Vater, ich wartete auf deinen Wink", antwortete Natalie. "So lasse das Kaestchen bringen", entgegnete mein Vater. Es geschah. Der Faden mit dem Siegel wurde entzwei geschnitten, das Kaestchen geoeffnet, und auf weissem Sammt lag ein ausserordentlich schoener Schmuck von Smaragden. Ein allgemeiner Ruf der Verwunderung machte sich hoerbar. Nicht nur waren die Steine an sich, obwohl nicht zu den groessten ihrer Art gehoerend, sehr schoen, sondern die Fassung, die Steine nicht drueckend, war doch so leicht und so schoen, dass das Ganze wie ein zusammengehoeriges, in einander gewachsenes Werk, wie ein wirkliches Kunstwerk, erschien. Selbst Eustach und Roland sprachen ihre Verwunderung aus, und vollends Risach. Sie versicherten, dass sie keine neue Arbeit gesehen haetten, die dieser gliche. "Dein Freund, mein Heinrich, hat diesen Schmuck fertigen lassen", sagte mein Vater, "wir haben Smaragde gewaehlt, weil er eben sehr schoene und in erforderlicher Anzahl hatte, weil Smaragde unter allen farbigen Steinen den Ton des weiblichen Halses und Angesichtes am sanftesten heben, und weil du tief gefaerbte und reine Smaragde so liebst. Und alle hier sind tief und rein. Wir haben gesucht, nach deinen Grundsaetzen die Steine fassen zu lassen. Es sind viele Zeichnungen gemacht, gewaehlt, verworfen und wieder gewaehlt worden. Es duerfte der beste Zeichner unserer Stadt sein, der endlich das Vorliegende zusammen gestellt hat. Es wurde hierauf beinahe Tag und Nacht gearbeitet, um zu rechter Zeit fertig zu sein. Geoeffnet sollte das Kaestchen darum nicht werden, damit meine Tochter nicht etwa bloss mir zu Liebe diesen Schmuck an ihrem Trauungstage nehmen und einen schoeneren und kostbareren, den sie besitze, zu ihrem Leidwesen ruhen lasse." "Sie besitzt keinen schoeneren", erwiderte Risach, "wir haben den, welchen sie heute trug, nach Zeichnungen, die wir aus mittelalterlichen Gegenstaenden frei zusammen trugen, ebenfalls bei Heinrichs Freunde verfertigen lassen. Mathilde, lass doch den Schmuck herbei bringen, dass wir beide vergleichen." Mathilde reichte an Natalien ein Schluesselchen, und diese holte selber das Fach, in welchem der Schmuck lag. Er war eine Zusammensetzung von Diamanten und Rubinen. Er sah so zart, rein und edel aus, wie ein in Farben gesetztes mittelalterliches Kunstwerk. Ein wahrer Zauber lag um diese Innigkeit von Wasserglanz und Rosenroete in die sinnigen Gestalten verteilt, die nur aus den Gedanken unserer Vorfahren so genommen werden koennen. Und dennoch stand nach einstimmigem Urteil der Smaragdschmuck nicht zurueck. Der Kuenstler der Gegenwart kam zu Ehren. "Es ist aber auch keiner in unserer Stadt und vielleicht in weiten Kreisen, der so zeichnen kann", sagte mein Vater, "er huldigt keinem Zeitgeschmacke, sondern nur der Wesenheit der Dinge, und hat ein so tiefes Gemuet, dass der hoechste Ernst und die hoechste Schoenheit daraus hervorblicken. Oft wehte es mich aus seinen Gestalten so an wie aus den Nibelungen oder wie aus der Geschichte der Ottone. Wenn dieser Mann nicht so bescheiden waere und statt den Dingen, womit man ihn ueberhaeuft, lieber grosse Gemaelde machte, er wuerde seines Gleichen jetzt nicht haben und nur mit den groessten Meistern der Vergangenheit zusammengestellt werden koennen." "Ein Schmuck in seinem Fache", sagte eine Stimme, "ist doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch mehr wie ein Rahmen ohne Bild." "Freilich ist es so", entgegnete Risach, "man kann jedes Ding nur an seinem Platze beurteilen, und da mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten ist, so waere es nicht zu verwerfen - Natta, bist du mein liebes Kind?" "Vater, wie gerne!" antwortete diese. Sie stand von ihrem Stuhle auf, entfernte sich und kam so gekleidet wieder, dass man ihr einen kostbaren Schmuck umlegen konnte. Es geschah zuerst mit den Diamanten und Rubinen. Wie herrlich war Natalie, und es bewaehrte sich, dass der Schmuck der Rahmen sei. Am Vormittage, in beklemmenden und tieferen Gefuehlen befangen, konnte ich dem Schmucke keine Aufmerksamkeit schenken. Jetzt sah ich die schoenen Gestaltungen wie von einem sanften Scheine umgeben. Im Mittelpunkte aller Blicke erroetete die junge Frau, und die Rosen ihrer Farbe gaben den Rubinen erst die Seele und empfingen sie von ihnen. Der Ausdruck der Bewunderung war allgemein. Hierauf wurde der Smaragdschmuck umgelegt. Aber auch er war vollendet. Der dunkle, tiefe Stein gab der Oberflaeche von Nataliens Bildungen etwas Ernstes, Feierliches, fremdartig Schoenes. War der Diamantschmuck wie fromm erschienen, so erschien der Smaragdschmuck wie heldenartig. Keiner erhielt den Preis. Risach und der Vater stimmten selber ueberein. Natalie nahm ihn wieder ab, beide Schmuckstuecke wurden in ihre Faecher gelegt, Natalie trug sie fort und erschien nach einer Zeit wieder in ihrem frueheren Anzuge. Bei dem Smaragdschmucke hatte sich etwas Auffaelliges ereignet. Von ihm waren die Ohrgehaenge im Fache zurueckgeblieben. Der Diamantschmuck enthielt keine Ohrgehaenge. Mathilde und Natalie trugen Ohrgehaenge nicht, weil nach ihrer Meinung der Schmuck dem Koerper dienen soll. Wenn aber der Koerper verwundet wird, um Schmuck in die Verletzung zu haengen, werde er Diener des Schmuckes. Als noch immer von den Steinen gesprochen wurde, was ihre Bestimmung sei und wie sie sich auf dem Koerper ganz anders ansehen lassen als in ihrem Fache, sagte Eustach etwas, das mir als sehr wahr erschien: "Was die innere Bestimmung der Edelsteine ist", sprach er, "kann nach meiner Meinung niemand wissen: fuer den Menschen sind sie als Schmuck an seinem Koerper am schoensten, und zwar zuerst an den Teilen, die er entbloesst traegt, dann aber an seinem Gewande und an allem, was sonst mit ihm in Beruehrung kommt, wie Koenigskronen, Waffen. An blossen Geraeten, wie wichtig sie sind, erscheinen die Steine als tot, und an Tieren sind sie entwuerdigt." Man sprach noch laenger ueber diesen Gegenstand und erlaeuterte ihn durch Beispiele. "Da heute unser Wettkampf unentschieden geblieben ist", sagte Risach zu meinem Vater, "so wollen wir nun sehen, wer mit geringerem Aufwande seinen Sitz zu einem groesseren Kunstwerke machen kann, du deinen Drenhof, oder wenn du ihn lieber Gusterhof nennen willst, oder ich meinen Asperhof." "Du bist schon im Vorsprunge", entgegnete mein Vater, "und hast gute Zeichner bei dir: ich fange erst an, und mein Zeichner liefert mir wahrscheinlich keine Zeichnung mehr." "Wenn es uns im Asperhofe an Arbeit fehlt, so worden wir in den Drenhof hinueber geliehen", sagte Eustach. "Auch dann, wenn wir hier Arbeit haben", erwiderte Risach, "ich will dem Feinde Waffen liefern." Der Nachmittag war ziemlich vorgerueckt und es fehlte nicht mehr viel zum Abende. Das Mahl war schon laengst aus und man sass nur mehr, wie es oefter geschieht, im Gespraeche um den Tisch. Mir war schon laenger her das Benehmen des Gaertners Simon aufgefallen; denn er, so wie die vorzueglicheren Diener des Hauses und Meierhofes, war zu Tische geladen worden. Die Andern hatten in dem Meierhofe ein Mahl. Ich hatte ihm am Morgen zur Erinnerung an den heutigen Tag eine silberne Dose mit meinem Namen in dem Deckel gegeben. Diese Dose hatte er bei sich auf dem Tische und sprach ihr unruhig zu. Manches Mal fluesterte er mit seinem Weibe, das an seiner Seite sass, und oefter ging er fort und kam wieder. Eben trat er nach einer solchen Entfernung wieder in den Saal. Er setzte sich nicht und schien mit sich zu kaempfen. Endlich trat er zu mir und sprach: "Alles Gute belohnt sich, und euch erwartet heute noch eine grosse Freude." Ich sah ihn befremdet an. "Ihr habt den Cereus peruvianus vom Untergange gerettet", fuhr er fort, "wenigstens haette er leicht untergehen koennen, und ihr seid Ursache gewesen, dass er in dieses Haus gekommen ist, und heute noch wird er bluehen. Ich habe ihn durch Kaelte zurueck zu halten gesucht, selbst auf die Gefahr hin, dass er die Knospe abwerfe, damit er nicht eher bluehe als heute. Es ist alles gut gegangen. Eine Knospe steht zum Entfalten bereit. In mehreren Minuten kann sie offen sein. Wenn die Gesellschaft dem Gewaechshause die Ehre antun wollte..." "Ja, Simon, ja, wir gehen hin", sagte mein Gastfreund. Sofort erhob man sich von dem Tische und ruestete sich zu dem Gange in die Gewaechshaeuser. Simon hatte alles Andere um die Stelle des Peruvianus, der in ein eigenes Glashaeuschen hinein ragte, entfernt und Platz zum Betrachten der Pflanze gemacht. Die Blume war, da wir hinkamen, bereits offen. Eine grosse, weisse, prachtvolle, fremdartige Blume. Alles war einstimmig im Lobe derselben. "So viele Menschen den Peruvianus haben", sagte Simon, "denn gar selten ist er eben nicht, so maechtig gross sie auch seinen Stamm ziehen, so selten bringen sie ihn zur Bluete. Wenige Menschen in Europa haben diese weisse Blume gesehen. Jetzt oeffnet sie sich, morgen mit Tagesanbruch ist sie hin. Sie ist kostbar mit ihrer Gegenwart. Mir ist es geglueckt, sie bluehen zu machen - und gerade heute. - Es ist ein Glueck, das die wahrste Freude hervorbringen muss." Wir blieben ziemlich lange und erwarteten das voellige Entfalten. "Es kommen auch nicht viele Blumen, wie bei gemeinen Gewaechsen, hervor", sagte Simon wieder, "sondern stets nur eine, spaeter etwa wieder eine." Mein Gastfreund schien wirklich Freude an der Blume zu haben, ebenso auch Mathilde. Natalie und ich dankten Simon besonders fuer seine grosse Aufmerksamkeit und sagten, dass wir ihm diese Ueberraschung nie vergessen werden. Dem alten Manne standen die Traenen in den Augen. Er hatte Lampen um die Blume angebracht, die bei hereinbrechender Daemmerung angezuendet worden sollten, wenn etwa jemand die Blume in der Nacht betrachten wolle. Bei laengerem Anschauen gefiel uns die Blume immer mehr. Es duerften in unsern Gaerten wenige sein, die an Seltsamkeit, Vornehmheit und Schoenheit ihr gleichen. Von den Anwesenden hatte sie nie einer gesehen. Wir gingen endlich fort, und der eine und der andere versprach, im Laufe des Abends noch einmal zu kommen. Da wir auf dem Rueckwege waren und an dem Gebuesche, das sich in der Naehe des Lindenganges befindet, vorbeigingen, ertoente dicht am Wege in den Bueschen ein Zitherklang. Risach, welcher meine Mutter fuehrte, blieb stehen, ebenso mein Vater und Mathilde und dann auch die Andern, die sich eben in unserer Naehe befanden. Ich war mit Natalien mehr gegen den Busch getreten; denn ich erkannte augenblicklich den Klang meines Zitherspiellehrers. Er trug eine ihm eigentuemliche Weise vor, dann hielt er inne, dann spielte er wieder, dann hielt er wieder inne, und so fort. Es waren lauter Weisen, die er selber ersonnen hatte oder die ihm vielleicht eben in dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er spielte mit aller Kraft und Kunst, die ich an ihm so oft bewundert hatte, ja er schien heute noch besser als je zu spielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden liebte als seine Zither. Alles, was sich in der Naehe befand, lauschte unbeweglich, und nicht einmal ein Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde sah einmal auf Natalien hin, und zwar so bedeutsam, als wollte sie sagen: das haben wir nicht gehoert, und das vermoegen wir nicht hervorzubringen. Die Zither war ein lebendiges Wesen, das in einer Sprache sprach, die allen fremd war und die alle verstanden. Als die Toene endlich nicht mehr wieder beginnen zu wollen schienen, trat ich mit Natalien ins Gebuesch, und da sass mein Zitherspiellehrer an einem Tischchen und hatte seine Zither vor sich. Sein Anzug war graues Tuch und sehr abgetragen, sein gruener Hut lag neben der Zither auf dem Tische. "Joseph, bist du wieder in der Gegend?" fragte ich ihn. "So recht nicht", antwortete er, "ich bin gekommen, euch auf der Hochzeit einmal gut aufzuspielen." "Das hast du getan und das kann keiner so", sagte ich, "du sollst dafuer eine Freude haben, und ich weiss dir eine zu verschaffen, welche dir die groesste ist. Bessere Haende koennen das, was ich dir geben will, nicht fassen als die deinen. Das Rechte muss zusammenkommen. Ich bin dir ohnehin auch noch einen Dank schuldig fuer dein eifriges Lehren und fuer deine Begleitung im Gebirge." "Dafuer habt ihr mich bezahlt, und das Heutige tat ich freiwillig", sagte er. "Warte nur einige Tage hier, dann wirst du empfangen, was ich meine", sprach ich. "Ich warte gerne", erwiderte er. "Du sollst gut gehalten sein", sagte ich. Indessen waren alle Andern auch herbeigekommen und ueberschuetteten den Mann mit Lob. Risach lud ihn ein, eine Weile in seinem Hause zu bleiben. Er spielte noch einige Weisen, er vergass beinahe, dass ihm jemand zuhoere, spielte sich hinein und hoerte endlich auf, ohne auf die Umstehenden Ruecksicht zu nehmen, genau so, wie er es immer tat. Wir entfernten uns dann. Ich rief sogleich den Hausverwalter herbei, sagte ihm, er moege mir einen Boten besorgen, welcher auf der Stelle in das Echerthal abzugehen bereit sei. Der Hausverwalter versprach es. Ich schrieb einige Zeilen an den Zithermacher, legte das noetige Geld bei, versprach noch mehr zu senden, wenn es noetig sein sollte, und verlangte, dass er die dritte Zither, welche die gleiche von der meinigen und der meiner Schwester sei, in eine Kiste wohlverpackt dem Boten mitgebe, der den Brief bringt. Der Bote erschien, ich gab ihm das Schreiben und die noetigen Weisungen, und er versprach, die heutige Nacht zu Hilfe zu nehmen und in kuerzester Frist zurueck zu sein. Ich hielt mich nun fuer sicher, dass nicht etwa im letzten Augenblicke die Zither wegkomme, wenn sie ueberhaupt noch da sei. Indessen war es tief Abend geworden. Ich ging mit Natalien und Klotilden noch einmal zu dem Cereus peruvianus, der im Lampenlicht fast noch schoener war. Simon schien bei ihm wachen zu wollen. Immer gingen Leute ab und zu. Joseph hoerten wir auch noch einmal spielen. Er spielte in der grossen unteren Stube, wir traten ein, er hatte guten Wein vor sich, den ihm Risach gesendet hatte. Das ganze Hausvolk war um ihn versammelt. Wir hoerten lange zu, und Klotilde begriff jetzt, warum ich im Gebirge so gestrebt habe, dass sie diesen Mann hoere. Ein Teil der Gaeste hatte noch heute das Haus verlassen, ein anderer wollte es bei Anbruch des naechsten Tages tun und einige wollten noch bleiben. Im Laufe des folgenden Vormittages, da sich die Zahl der Anwesenden schon sehr gelichtet hatte, kamen noch einige Geschenke zum Vorscheine. Risach fuehrte uns in das Vorratshaus, welches neben dem Schreinerhause war. Dort hatte man einen Platz geschafft, auf welchem mehrere mit Tuechern verhuellte Gegenstaende standen. Risach liess den ersten enthuellen, es war ein kunstreich geschnittener Tisch und hatte den Marmor als Platte, welchen ich einst meinem Gastfreunde gebracht hatte, und ueber dessen Schicksal ich spaeter in Ungewissheit war. "Die Platte ist schoener als tausende", sagte Risach, "darum gebe ich das Geschenk meines einstigen Freundes in dieser Gestalt meinem jetzigen Sohne. Keinen Dank, bis alles vorueber ist." Nun wurde ein grosser, hoher Schrein enthuellt. "Ein Scherz von Eustach an dich, mein Sohn", sagte Risach. Der Schrein war von allen Hoelzern, welche unser Land aufzuweisen hat, in eingelegter Arbeit verfertigt. Eustach hatte die Zusammenstellung entworfen. Die Sache sah ausserordentlich reizend aus. Ich hatte bei meinem Winterbesuche im Asperhofe an diesem Schreine arbeiten gesehen. Ich hatte damals die Ansammlung von Hoelzern seltsam gefunden, auch hatte ich den Zweck des Schreines nicht erkannt. Er war in mein Arbeitszimmer fuer meine Mappen bestimmt. Zuletzt wurden mehrere Gegenstaende enthuellt. Es waren die Ergaenzungen zu meines Vaters Vertaeflungen. Das war gleich auf den ersten Blick zu erkennen und erregte Freude; aber ob sie die rechten oder nachgebildete seien, war nicht zu entscheiden. Risach klaerte alles auf. Es waren nachgebildete. Zu diesem Behufe hatte man von mir die Abbildungen der Vertaeflungen des Vaters verlangt. Roland hatte vergeblich nach den echten geforscht. Er hatte Messungen nach den vorhandenen Resten vorgenommen und nach Orten gesucht, auf welche die Messungen passten. In einem abgelegenen Teile der Holzbauten des steinernen Hauses hatte er endlich Bohlen gefunden, welche den Messungen genau entsprachen. Die Bohlen waren teils vermorscht, teils zerrissen und trugen die Verletzungen, wie man die Schnitzereien von ihnen herab gerissen hatte. Es war nun fast gewiss, dass die Ergaenzungen verloren gegangen seien. Man machte daher die Nachbildungen. In demselben Winterbesuche hatte ich auch das Bohlenwerk zu diesen Schnitzereien gesehen. Mein Vater erklaerte die Arbeit fuer ausserordentlich schoen. "Sie hat auch lange gedauert, mein lieber Freund", sagte Risach, "aber wir haben sie fuer dich zu Stande gebracht, und sie wird genau in dein Glashaeuschen passen oder leicht einzupassen sein; ausser du zoegest vor, die Schnitzereien in den Drenhof bringen zu lassen." "So wird es auch geschehen, mein Freund", sagte mein Vater. Nun ging es erst an ein Danksagen und an ein Ausdruecken der Freude. Die Geber lehnten jeden Dank von sich ab. Man beschloss, die Gegenstaende in kurzer Zeit auf ihren Bestimmungsort zu bringen. An diesem Tage und in den folgenden verliessen uns nach und nach alle Fremden, und erst jetzt begann ein liebes Leben unter lauter Angehoerigen. Risach hatte fuer mich und Natalien eine sehr schoene Wohnung herrichten lassen. Sie konnte nicht gross sein, war aber sehr zierlich. In den zwei Jahren meiner Abwesenheit waren ihre Waende bekleidet und waren neue, ausgezeichnete Geraete fuer sie angeschafft worden. Wir beschlossen aber, unsere regelmaessige Wohnung so lange in dem Sternenhofe aufzuschlagen, bis ihn Gustav wuerde uebernehmen koennen, damit Mathilde in der Zwischenzeit nicht zu vereinsamt waere. Dabei wuerde ich oft in den Asperhof kommen, um mit Risach zu beratschlagen oder zu arbeiten, oft wuerden auch die Andern kommen, und oft wuerden wir uns da oder im Gusterhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt besuchen und zeitweilig dort wohnen. Mit Natalien hatte ich eine groessere Reise vor. Fuer den Fall, dass ich in was immer fuer Angelegenheiten abwesend sein sollte, nahm jedes Haus das Recht in Anspruch, Natalien beherbergen zu duerfen. Der Zitherspieler spielte taeglich und oft ziemlich lange vor uns. Am fuenften Tage kam die Zither. Ich ueberreichte sie ihm, und er, da er sie erkannte, wurde fast blass vor Freude. Dieses Geschenk durfte das beste fuer ihn genannt werden; von diesem Geschenke wird er sich nicht trennen, waehrend es von jedem andern zweifelhaft waere, ob er es nicht verschleudere. Als er die Zither gestimmt und auf ihr gespielt hatte, sahen wir erst, wie trefflich sie sei. Er wollte fast gar nicht aufhoeren zu spielen. Risach liess ihm noch ueber ihr Fach ein wasserdichtes Lederbehaeltnis machen. Nach mehreren Tagen nahm er Abschied und verliess uns. Wir machten alle eine kleine Reise in das Ahornwirtshaus, und ich stellte Kaspar und alle Andern, die mit mir in Verbindung gewesen waren, Risach, Mathilden, meinen Eltern und Natalien vor. Wir blieben sechs Tage in dem Ahornhause. Von da gingen wir in den Sternenhof. Die Tuenche war nun ueberall von ihm weggenommen worden, und er stand in seiner reinen, urspruenglichen Gestalt da. Auch hier wurden wir in die Wohnung eingefuehrt, die waehrend meiner Abwesenheit fuer uns hergestellt worden war. Sie konnte in dem weitlaeufigen Gebaeude viel groesser sein als die im Asperhofe. Sie war zu einer vollstaendigen Haushaltung hergerichtet. Von dem Sternenhofe gingen wir in die Stadt. Dort machten wir alle Besuche, welche in den Kreisen meiner Eltern und in denen Mathildens notwendig waren. Risach stellte manchem Freunde seine angenommene und neuvermaehlte Tochter nebst ihrem Gatten und ihrer Mutter vor. Ich erfuhr, dass meine Vermaehlung mit Natalie Tarona Aufsehen errege; ich erfuhr, dass insbesondere einige meiner Freunde - sie hatten sich wenigstens immer so genannt - geaeussert haben, das sei unbegreiflich. Nataliens Neigung zu mir war mir stets ein Geschenk und daher unbegreiflich; da aber nun diese es aussprachen, begriff ich, dass es nicht unbegreiflich sei. Ich besuchte meinen Juwelenfreund, der wirklich ein Freund geblieben war. Er hatte die innigste Freude ueber mein Glueck. Ich fuehrte ihn in unsere Familien ein. Bekannt war er mit allen Teilen schon lange gewesen. Ich dankte ihm sehr fuer die prachtvolle Fassung der Diamanten und Rubinen und des Smaragdschmuckes. Er fuehlte sich ueber Risachs und meines Vaters Urteil sehr beglueckt. "Wenn wir solche Kunden in grosser Zahl haetten, wie diese zwei Maenner sind, teurer Freund", sagte er, "dann wuerde unsere Beschaeftigung bald an die Grenzen der Kunst gelangen, ja sich mit ihr vereinigen. Wir wuerden freudig arbeiten, und die Kaeufer wuerden erkennen, dass die geistige Arbeit auch einen Preis habe wie die Steine und das Gold." Ich nahm bei ihm eine sehr wertvolle und mit Kunst verzierte Uhr als Gegenscherz fuer Eustachs Mappenschrein. Klotilde hatte sie ausgewaehlt. Fuer Roland liess ich einen Rubin in einen Ring fassen, dass er ihn zur Erinnerung an mich trage und meine Dankbarkeit fuer seine Bemuehungen zur Auffindung der Ergaenzungen der Pfeilerverkleidungen anerkenne. "Er ist ohnehin ein Nebenbuhler von mir", sagte ich, "er hat Natalien oft lange und bedeutend angesehen." "Das hat einen sehr unschuldigen Grund", entgegnete mein Gastfreund, "Roland erwarb sich ein Liebchen mit gleichen Augen und Haaren, wie sie Natalie besitzt. Er hat uns das oefter gesagt. Das Maedchen ist die Tochter eines Forstmeisters im Gebirge und ihm aeusserst zugetan. Da nun der Arme ihren Anblick oft lange entbehren muss, so sah er zur Erquickung Natalien an. Es hat Schwierigkeiten mit diesem jungen Manne, ich wuensche sein Wohl. Er kann ein bedeutender Kuenstler werden oder auch ein ungluecklicher Mensch, wenn sich nehmlich sein Feuer, das der Kunst entgegen wallt, von seinem Gegenstande abwendet und sich gegen das Innere des jungen Mannes richtet. Ich hoffe aber, dass ich alles werde ins Gleiche bringen koennen." Da alle notwendigen Dinge in der Stadt abgetan waren, wurde die Rueckreise angetreten, und zwar in den Asperhof. Die Zeit der Rosenbluete war herangerueckt, und heuer sollte sie von den vereinigten Familien als ein Denkzeichen der Vergangenheit und aber auch als eins der Zukunft zum ersten Male in dieser Vereinigung und mit besonderer Festlichkeit begangen werden. Mein Vater sollte sehen, welche Gewalt die Menge und die Mannigfaltigkeit auszuueben im Stande ist, wenn diese Menge und Mannigfaltigkeit auch nur lauter Rosen sind. Nach Verlauf der Rosenbluete sollte alles und jedes, das durch diese Vermaehlung unterbrochen worden war, in das alte Geleise zurueckkehren. Da wir in dem Asperhofe angekommen waren, gelangte ich erst zu einiger Ruhe. Da sah ich auch gelegentlich die Papiere an, die uns Risach und der Vater gegeben hatten, und erstaunte sehr. Beide enthielten fuer uns viel mehr, als wir nur entfernt vermutet hatten. Risach wollte bis zu seinem Tode das Haus in der Art wie bisher fort bewirtschaften, damit, wie er sagte, er seinen Nachsommer bis zum Ende ausgeniessen koenne. Unser Rat und unsere Hilfe in der Bewirtschaftung wird ihm Freude machen. Einen namhaften Teil seiner Barschaft hatte er uns uebergeben. Und weil oefter zwei Familien in dem Asperhofe sein koennen, so lagen den Papieren Plaene bei, dass auf einem schoenen Platze zwischen dem Rosenhause und dem Meierhofe, hart am Getreide, ein neues Haus aufgefuehrt und sogleich zum Baue geschritten werden moege. Aber auch das von dem Vater uns Uebergebene war der gesammten Habe Risachs ebenbuertig und uebertraf weit meine Erwartungen. Als wir unsern Dank abstatteten und ich mein Befremden ausdrueckte, sagte der Vater: "Du kannst darueber ganz ruhig sein; ich tue mir und Klotilden keinen Abbruch. Ich habe auch meine heimlichen Freuden und meine Leidenschaften gehabt. Das geben verachtete buergerliche Gewerbe eben, buergerlich und schlicht betrieben. Was unscheinbar ist, hat auch seinen Stolz und seine Groesse. Jetzt aber will ich der Schreibstubenleidenschaft, die sich nach und nach eingefunden, Lebewohl sagen und nur meinen kleineren Spielereien leben, dass ich auch einen Nachsommer habe wie dein Risach." Als wir einige Zeit in dem Rosenhause verweilt hatten, traten eines Tages Natalie und ich zu unserem neuen Vater und baten ihn, er moege ein Versprechen von uns annehmen, dessen Annahme uns sehr freuen wurde. "Uns was ist das?" fragte er. "Dass wir, wenn du uns dereinst in dieser Welt frueher verlassen solltest als wir dich, keine Veraenderung in allem, wie es sich in dem Hause und in der Besitzung vorfindet, machen wollen, damit dein teures Andenken bestehe und forterbe", sagten wir. "Da tut ihr zu viel", antwortete er, "ihr verspreche etwas, dessen Groesse ihr nicht kennt. Diese Bande darf ich nicht um euren Willen und eure Verhaeltnisse legen, sie koennten von den uebelsten Folgen sein. Wollt ihr mein Gedaechtnis in mannigfachem Bestehenlassen ehren, tut es und pflanzt auch euren Nachkommen diesen Sinn ein, sonst aendert, wir ihr wuenscht und wie es not tut. Wir wollen, so lange ich lebe, selber noch mit einander aendern, verschoenern, bauen; ich will noch eine Freude haben, und mit euch zu aendern und zu wirken ist mir lieber, als wenn ich es allein tue." "Aber der Erlenbach muss als Denkmal der schoenen Geraete bestehen bleiben." "Setzt eine Urkunde auf, dass ihm nichts angetan werde von Geschlecht zu Geschlecht, bis seine Reste vermodern oder ein Wolkenguss ihn von seiner Stelle feget." Er kuesste Natalien, wie er gerne tat, auf die Stirne, mir reichte er die Hand. Als die Rosenzeit wirklich recht innig und zum Staunen meiner Angehoerigen, welche so etwas nie gesehen hatten, vorueber gegangen war, nahmen wir Abschied, die Vereinigung, welche nun so lange bestanden hatte, loeste sich und die Tage kehrten in ihren gewoehnlichen Abfluss zurueck. Meine Eltern gingen mit Klotilden in den Gusterhof, wo sie bis zum Winter bleiben wollten, und ich siedelte mit Natalien in unsere staendige Wohnung in den Sternenhof ueber. Wir sollten nun die eigentliche Familie desselben sein, Mathilde werde bei uns wohnen und mit an unserem Tische speisen. Die Bewirtschaftung des Gutes sollte ebenfalls ich leiten. Ich uebernahm die Pflicht und bat um Mathildens Beihilfe, so ausgedehnt sie dieselbe leisten wolle. Sie sagte es zu. So rueckte nun die Zeit in ihr altes Recht, und ein einfaches, gleichmaessiges Leben ging Woche nach Woche dahin. Nur im Herbste fand eine Abwechslung statt. Die Vettern aus dem Geburtshause des Vaters besuchten meine Eltern in dem Gusterhofe. Wir fuhren zu ihnen hinueber. Der Vater liess sie reichlich beschenkt in einem Wagen in ihre Heimat zurueckfuehren. Mit Beginn des Winters war Rolands Bild fertig. Es war seiner Groesse willen zu rollen, hatte einen grossen Goldrahmen, der zu zerlegen war, und wurde in dem Marmorsaale auf einer Staffelei aufgestellt. Wir reisten alle in den Asperhof. Das Bild wurde vielfach betrachtet und besprochen. Roland war in einer gehobenen, schwebenden Stimmung; denn was auch die Meinung seiner Umgebung war, wie sehr sie auch das Hervorgebrachte lobte und wohl auch Hindeutungen gab, was noch zu verbessern waere: so mochte ihm sein Inneres versprechen, dass er einmal vielleicht noch weit Hoeheres, ja ein ganz Grosses zu Stande zu bringen vermoegen werde. Risach sagte ihm die Mittel zu, reisen zu koennen und ordnete die Zubereitung zu einer baldigen Abreise nach Rom an. Gustav musste noch den Winter im Asperhofe zubringen. Im Fruehlinge sollte er endlich in die Welt gehen. So waren nun mannigfaltige Beziehungen geordnet und geknoepft. Mathilde hatte einmal, da ich sie im Sternenhofe besuchte, zu mir gesagt, das Leben der Frauen sei ein beschraenktes und abhaengiges, sie und Natalie haetten den Halt von Verwandten verloren, sie muessten Manches aus sich schoepfen wie ein Mann und in dem Widerscheine ihrer Freunde leben. Das sei ihre Lage, sie daure ihrer Natur nach fort und gehe ihrer Entwicklung entgegen. Ich hatte mir die Worte gemerkt und hatte sie tief ins Herz genommen. Ein Teil dieser Entwicklung, glaubte ich nun, war gekommen, der zweite wird mit Gustavs Ansiedlung eintreten. An mir hatten die Frauen wieder einen Halt gewonnen, dass sich ein fester Kern ihres Daseins wieder darstelle; ein neues Band war durch mich von ihnen zu den Meinigen geschlungen, und selbst das Verhaeltnis zu Risach hatte an Rundung und Festigkeit gewonnen. Den Abschluss der Familienzusammengehoerigkeit wird dann Gustav bringen. Was mich selber anbelangt, so hatte ich nach der gemeinschaftlichen Reise in die hoeheren Lande die Frage an mich gestellt, ob ein Umgang mit lieben Freunden, ob die Kunst, die Dichtung, die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende oder ob es noch ein Ferneres gaebe, das es umschliesse und es mit weit groesserem Glueck erfuelle. Dieses groessere Glueck, ein Glueck, das unerschoepflich scheint, ist mir nun von einer ganz anderen Seite gekommen als ich damals ahnte. Ob ich es nun in der Wissenschaft, der ich nie abtruennig werden wollte, weit werde bringen koennen, ob mir Gott die Gnade geben wird, unter den Grossen derselben zu sein, das weiss ich nicht; aber eines ist gewiss, das reine Familienleben, wie es Risach verlangt, ist gegruendet, es wird, wie unsre Neigung und unsre Herzen verbuergen, in ungeminderter Fuelle dauern, ich werde meine Habe verwalten, werde sonst noch nutzen, und jedes, selbst das wissenschaftliche Bestreben, hat nun Einfachheit, Halt und Bedeutung. End of the Project Gutenberg EBook of Der Nachsommer, by Adalbert Stifter *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER NACHSOMMER *** This file should be named 7nsom10.txt or 7nsom10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7nsom11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7nsom10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. 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