The Project Gutenberg EBook of Maass fuer Maass (Measure for Measure) by William Shakespeare #31 in our series by William Shakespeare Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Maass fuer Maass (Measure for Measure) oder: Wie einer misst, so wird ihm wieder gemessen. William Shakespeare Ein Lustspiel. Uebersetzt von Christoph Martin Wieland Personen des Lustspiels. Vincentio, Herzog zu Wien. Angelo, Stadthalter in Abwesenheit des Herzogs. Escalus, ein alter Herr von Stande, dem Angelo in Verwaltung der Regierung beygefuegt. Claudio, ein junger Edelmann. Lucio, ein Libertiner. Zwey Edelleute. Varrius, einer von den Hofleuten des Herzogs. Thomas und Peter, zwey Franciscaner-Moenche. Ein Richter. Kerkermeister. Ellbogen, ein Policey-Aufseher in einem Quartier der Stadt. Schaum, ein naerrischer Junker. Harlequin, Diener der Frau Overdone. Abhorson, ein Nachrichter. Bernardin, ein ruchloser Gefangner. Isabella, Claudios Schwester. Mariane, mit Angelo versprochen. Juliette, Claudios Liebste. Francisca, eine Nonne. Frau Overdone, eine Kupplerin. Wache, Stadtbediente, und andre aufwartende Personen. Der Schauplaz ist in Wien. Die Geschichte ist aus Cinthios* Novellen genommen. {ed.-* "Epitia" von Giambattista Giraldi, gen. Cintio (Cinzio), 1504--1573.} Erster Aufzug. Erste Scene. (Des Herzogs Palast.) (Der Herzog, Escalus, und einige Herren vom Hofe.) Herzog. Escalus-- Escalus. Gnaedigster Herr-- Herzog. Es wuerde eine unzeitige Sucht zu reden an mir scheinen, wenn ich euch die Eigenschaften einer klugen Regierungsart entfalten wollte, da mir bekannt ist, dass eure Wissenschaft hierinn alle Erinnerungen, die ich euch geben koennte, ueberfluessig macht; es bleibt mir also nichts uebrig, als euch die Gelegenheit zu geben, diese Geschiklichkeit im Werke zu zeigen. Fleiss und Erfahrung hat euch den Character unsers Volkes, die Geseze unsrer Stadt, und die allgemeinen Regeln der Gerechtigkeit so bekannt gemacht, dass wir niemand kennen, der euch hierinn uebertreffe. Hier ist unser Auftrag, welchem wir puenctlich nachgelebt wissen wollen--Man rufe den Angelo hieher--Wie meynt ihr, dass er unsre Stelle vertreten werde? Denn ihr muesst wissen, dass wir ihn mit besonderer Vollmacht ersehen haben, unsre Abwesenheit zu ersezen; ihm haben wir unsre volle Macht zu strafen und gutes zu thun geliehen; sagt, was denkt ihr hiezu? Escalus. Wenn jemand in Wien eines solchen Vertrauens, und einer so hohen Ehre wuerdig ist, so ist es Angelo. Zweyte Scene. (Angelo zu den Vorigen.) Angelo. Ich komme, Euer Durchlaucht Befehle zu vernehmen. Herzog. Angelo, dein Leben entdekt dem aufmerksamen Beobachter die ganze Gestalt deines Characters. Die Ausuebung jeder Tugend ist durch eine lange Uebung deine Natur geworden. Wir zuenden keine Fakeln an, damit sie sich selbst leuchten; so macht es der Himmel mit uns; wofern unsre Tugenden nicht ausser uns wuerken, so waere es gleich viel, wenn wir sie gar nicht haetten. Geister werden nur zu grossen Endzweken vollkommner von der Natur ausgebildet, und diese sparsame Goettin leyht nicht das kleinste Quintchen von ihrer Vortreflichkeit, ohne die Absicht, Dank und Interesse davon zu ziehen. Doch ich rede dieses zu einem, der mich selbst in dem Amt, das ich ihm auftrage, unterrichten koennte. Sey also in unsrer Abwesenheit der Vertreter unsres voelligen Selbst in dieser Stadt; Leben und Tod, Angelo, hange von deinen Lippen ab; der alte Escalus, ob gleich der erste deiner Raethe, ist nur der zweyte nach dir. Hier ist deine Commission. Angelo. Nein, mein gnaedigster Herr; lasst mein Metall vorher auf irgend eine schaerfere Probe gesezt werden, eh eine so edle und grosse Figur darauf gestempelt wird. Herzog. Kommt, keine Ausfluechte mehr; wir haben euch mit wohlbedachter Wahl hiezu ersehen; uebernehmt also unsre Stelle. Unsre Abreise von hier wird so schleunig seyn, dass wir Sachen von Wichtigkeit unentschieden zurueklassen muessen. Wir werden euch, so viel Zeit und Umstaende zulassen, von unserm Befinden Nachricht geben, und uns erkundigen, wie es hier stehe. Lebet also wohl; ich ueberlasse euch der hoffnungsvollen Ausfuehrung unsrer Auftraege. Angelo. Erlaubet wenigstens, gnaedigster Herr, dass wir euch einige Umstaende-- Herzog. Wir koennen keinen Augenblik laenger verziehen. Auch habt ihr, bey meiner Ehre, nicht noethig euch das mindeste Bedenken zu machen. Euer Werk ist, wie das unsrige, die Geseze so einzurichten und in Wuerksamkeit zu sezen, wie ihr es am besten achtet. Gebt mir eure Hand, ich werde in geheim abreisen. Ich liebe das Volk, aber ich seze mich ihm nicht gern zur Schau aus; ob es gleich wohl thut, so bin ich doch kein Liebhaber ihres lauten Zujauchzens, und habe keine grosse Meynung von der Bescheidenheit derjenigen, die dergleichen Dinge lieben. Noch einmal, lebet wohl. Angelo. Der Himmel befoerdere euer Vorhaben. Escalus. Und bringe euch glueklich zuruek. Herzog. Ich danke euch, lebet wohl. (Er geht ab.) Escalus. Ich muss euch, mein Herr, um Erlaubniss bitten, eine freye Unterredung mit euch zu haben. Es ist mir daran gelegen, mein Amt recht zu kennen. Ich habe eine Gewalt; aber ich bin nicht belehrt, wie weit sie sich erstrekt. Angelo. Es geht mir eben so; wir wollen uns mit einander hinwegbegeben, und durch Vergleichung unsrer Instructionen uns ins Klare sezen. Escalus. Ich werde Euer Gnaden folgen. (Sie gehen ab.) Dritte Scene. (Eine Straasse.) (Lucio und zween Edelleute.) Lucio. Wenn der Herzog, und die uebrigen Herzoge sich mit dem Koenig von Ungarn nicht vergleichen koennen, so werden sich alle Herzoge wider den Koenig vereinigen. 1. Edelmann. Der Himmel geb uns seinen Frieden, aber nicht des Koenigs in Ungarn seinen. 2. Edelmann. Amen! Lucio. Du betest wie jener andaechtiger Seeraeuber, der mit den zehen Gebotten zu Schiffe stieg, aber eines aus der andern Tafel auskrazte. 2. Edelmann. Du sollt nicht stehlen-- Lucio. Eben das. 1. Edelmann. Hatte er nicht Ursache? Das ist ein Gebott, das seine Leute von ihrer Schuldigkeit abgehalten haette; denn sie schiften sich ein, um zu stehlen. Es ist nicht einer unter uns Soldaten, dem in dem Gebet vor dem Essen, die Bitte fuer den Frieden gefiele. 2. Edelmann. Ich habe doch nie keinen Soldaten gehoert, der sie missbilligt haette. Lucio. Das glaub ich dir; du bist vermuthlich nie dabey gewesen, wenn man das Tischgebet gesprochen hat. 2. Edelmann. Nie? wenigstens ein duzendmal. 1. Edelmann. Wie? In Reimen? Lucio. In allen Reim-Arten und in allen Sprachen. 1. Edelmann. Und auch in allen Religionen denk' ich. Lucio. Warum das nicht?--Aber seht, seht, hier kommt Madam Gutherzigkeit. 1. Edelmann. Wahrhaftig, die Krankheiten, die ich unter ihrem Dach aufgelesen habe, kommen mich-- 2. Edelmann. Wie hoch, wenn ich bitten darf? 1. Edelmann. Rathet? 2. Edelmann. Dreytausend Thaler jaehrlich? 1. Edelmann. Ja, und mehr. Lucio. Eine franzoesische Crone mehr. Vierte Scene. (Die Kupplerin, die Vorigen.) 1. Edelmann. Wie gehts, Mutter, auf welcher Seite habt ihr das Hueftweh am nachdrueklichsten? Kupplerin. Gut, gut, dort wird einer ins Gefaengniss gefuehrt, der fuenftausend wie ihr seyd werth ist. 1. Edelmann. Wer ist das, ich bitte dich? Kupplerin. Zum Henker, Junker, es ist Claudio; Signor Claudio. 1. Edelmann. Claudio ins Gefaengniss? das kan nicht seyn. Kupplerin. Ich weiss aber dass es ist; ich sah, wie er angehalten wurde; ich sah ihn wegfuehren, und was noch mehr ist, in den naechsten drey Tagen wird ihm der Kopf abgeschlagen werden. Lucio. Das stuende mir gar nicht an; bist du dessen gewiss? Kupplerin. Nur allzugewiss; und das alles, weil er der Fraeulein Juliette ein Kind gemacht hat. Lucio. Glaubt mir, es kan seyn; er versprach mir, vor zwey Stunden mich hier anzutreffen, und er war immer genau sein Wort zu halten. 1. Edelmann. Und ueberdas stimmt dieser Bericht mit dem oeffentlichen Ausruf ein. Lucio. Kommt, wir wollen sehen, was an der Sache ist. Fuenfte Scene. (Die Kupplerin, Harlequin.) Kupplerin. Was bringst du neues? Harlequin. Seht ihr nicht den Mann dort, den man ins Gefaengniss fuehrt? Kupplerin. Was hat er denn gemacht? Harlequin. Eine Frau. Kupplerin. Ich frage, was ist sein Verbrechen? Harlequin. Dass er in einem fremden Bache Dreuschen gefangen hat. Kupplerin. Wie? geht ein Maedchen mit einem Kind von ihm? Harlequin. Nein, aber ein Weib geht mit einem Maedchen von ihm. Ihr habt den Ausruf nicht gehoert, habt ihr? Kupplerin. Was fuer einen Ausruf, Mann? Harlequin. Alle Haeuser in den Vorstaedten von Wien sollen niedergerissen werden. Kupplerin. Und was soll aus denen in der Stadt werden? Harlequin. Die laesst man zum Saamen stehen; sie haetten auch weg sollen, aber einige weise Buerger haben sich fuer sie ins Mittel geschlagen. Kupplerin. So sollen also alle unsre Schenk- und Spiel-Haeuser in den Vorstaedten niedergerissen werden? Harlequin. Bis auf den Grund, Madam. Kupplerin. Wahrhaftig, es geht eine grosse Veraenderung im gemeinen Wesen vor; was wird aus mir werden? Harlequin. O, dafuer macht euch keine Sorgen: gute Rathgeber haben nie Mangel an Clienten; wenn ihr schon euern Plaz aendert, so braucht ihr desswegen nicht euer Gewerbe zu aendern; ich will immer euer treuer Diener bleiben. Habt nur gut Herz, man wird Mitleiden mit euch haben; ihr, die ihr eure Augen im Dienst des gemeinen Wesens beynahe aufgebraucht habt, ihr werdet in Betrachtung gezogen werden. Kupplerin. Was giebts hier, Thomas, wir wollen uns zuruek ziehen. (Sie gehen ab.) Sechste Scene. (Der Kerkermeister, Claudio, Juliette, und Stadtbediente.) (Lucio, und zwey Edelleute.) Claudio. Guter Freund, warum fuehrst du mich so zur Schau herum? fuehre mich in das Gefaengniss, wohin ich verurtheilet bin. Kerkermeister. Ich thu es nicht aus boesem Willen, sondern auf ausdrueklichen Befehl des Herrn Stadthalters. Claudio. So kan der Halbgott, Authoritaet, uns das volle Gewicht unsrer Uebertretungen bezahlen machen. So sind die Urtheile des Himmels; wem er verzeihen will, dem will er; wem er nicht will, will er nicht, und ist doch immer gerecht. Lucio. Wie, was ist dieses, Claudio? Warum befindet ihr euch in solchen Umstaenden? Was ist euer Verbrechen? Claudio. Nur davon zu reden, wuerde ein neues Verbrechen seyn. Lucio. Wie, ist es eine Mordthat? Claudio. Nein. Lucio. Unzucht? Claudio. Wenn ihr es so nennen wollt. Kerkermeister. Fort, mein Herr, ihr muesst gehen. Claudio. Nur ein Wort, guter Freund Lucio, ein Wort mit euch. Lucio. Hundert, wenn sie euch etwas nuezen koennen; wird Unzucht so hart angesehen? Claudio. Diss ist mein Fall: Auf ein beydseitiges Eheversprechen hin nahm ich Besiz von Juliettens Bette; (ihr kennet sie;) sie ist mein wahres Eheweib, ausser dass uns die Ceremonien mangeln, wodurch unsre Heurath oeffentlich gemacht worden waere. Die einzige Ursache warum wir sie unterliessen, war ein Erbe, das noch in den Kisten ihrer Verwandten ligt, denen wir unsre Liebe noch so lange zu verbergen gedachten, bis die Zeit sie uns guenstiger gemacht haben wuerde. Allein das Ungluek wollte, dass das Geheimniss unsrer Vertraulichkeit vor der Zeit verrathen wuerde--es ist mit zu grossen Buchstaben an Julietten geschrieben. Lucio. Mit einem Kind, vielleicht? Claudio. Leider! und der neue Stadthalter des Herzogs (ob es daher kommt, dass der Staatskoerper ein Pferd ist, welches der Stadthalter zureiten soll, und dem er, das erste mal, die Sporren staerker zu fuehlen giebt, damit es wisse, dass er seiner meister ist; oder ob die Tyranney in dem Plaz oder in demjenigen ist, der ihn einnimmt? kan ich nicht entscheiden:) Kurz, der neue Stadthalter erwekt bey meinem Anlas alle die veralteten Straffen, die gleich einer ungepuzten Ruestung, so lange an der Wand gehangen, bis neunzehn Zodiaci sich umgewaelzt haben, ohne dass sie in einem einzigen gebraucht worden; und um eines Namens willen, wekt er das vergessne tiefeingeschlafne Gesez wider mich auf; in der That, um eines Namens willen. Lucio. Du hast recht, es ist nicht anders; und dein Kopf steht so schwach auf deinen Schultern, dass ihn ein verliebtes Milchmaedchen wegseufzen koennte. Schikt dem Herzog nach, und appellirt an ihn. Claudio. Ich hab es gethan; aber man kan ihn nirgends finden. Ich bitte dich, Lucio, thu mir diesen Liebesdienst; ich hab eine Schwester im Kloster, die an diesem Tag ihre Probzeit enden soll. Gieb ihr Nachricht von der Gefahr worinn ich bin; bitte sie in meinem Namen, dass sie Freunde an den strengen Stadthalter schike; bitte sie, dass sie in eigner Person einen Anfall auf ihn thue; von dem leztern macht' ich mir die meiste Hoffnung. Eine junge Person wie sie, hat eine Art von sprachloser Beredsamkeit, der die Maenner selten widerstehen koennen; und ausserdem, so ist sie auch geschikt genug, wenn sie durch Gruende und Vorstellungen ueberreden will. Lucio. Ich wuensche, dass sie es koenne; sowol zum Trost Aller die sich in aehnlichen Umstaenden befinden, als um deines Lebens willen; es wuerde mich sehr verdriessen, wenn es wegen eines Spiels Trictrak so naerrischer Weise verlohren gehen sollte. Ich will zu ihr. Claudio. Habe Dank, mein guter Freund, Lucio. Lucio. Binnen zwo Stunden-- Claudio. Kommt, Kerkermeister, wir wollen gehen. (Sie gehen ab.) Siebende Scene. (Ein Kloster.) (Der Herzog und Bruder Thomas.) Herzog. Nein, heiliger Vater, lasst diesen Gedanken fahren: Glaubet nicht, dass der schmuzige Pfeil der Liebe einen maennlichen Busen durchdringen koenne. Die Ursache, warum ich euch um eine geheime Beherbergung bitte, ist wichtiger und ernsthafter, als die ausschweiffenden Absichten der gluehenden Jugend. Bruder. Kan Eure Durchlaucht davon reden-- Herzog. Mein ehrwuerdiger Vater, niemand weiss besser als ihr, wie sehr ich immer das abgesonderte Leben geliebt, und wie wenig ich an den Gesellschaften, wo Jugend, Verschwendung, und froeliche Thorheit sich vereinigen, Geschmak gehabt habe. Ich habe dem Freyherrn Angelo, einem Mann von strengen Sitten und geuebter Enthaltsamkeit, meine ganze unumschraenkte Gewalt in Wien uebertragen; und er ist in der Einbildung, dass ich nach Polen gereisst sey; denn so hab' ich unter die Leute streuen lassen, und so ist es angenommen: Nun, mein frommer Herr, werdet ihr mich fragen, warum ich das thue? Bruder. Wenn es erlaubt ist, Gnaedigster Herr. Herzog. Wir haben strenge Geseze, (ein nothwendiges Gebiss fuer unbaendige Unterthanen) die wir diese neunzehn Jahre her haben schlaffen lassen, gleich einem ueberfuellten Loewen, der in seiner Hoele ligen bleibt, und nicht auf Beute ausgeht. Wie es nun zu begegnen pflegt, dass wenn allzu zaertliche Vaeter die Ruthe nicht zum Gebrauch, sondern nur zum Schreken, ihren Kindern vor die Augen steken, sie in kurzer Zeit mehr verlacht als gefuerchtet wird; so ist es unsern Gesezen gegangen: Anstatt den Verbrechern den Tod zu geben, sind sie selbst todt; die ungebundne Freyheit zieht die Gerechtigkeit bey der Nase, der Saeugling schlaegt die Amme, und alle Anstaendigkeit der Sitten geht verlohren. Bruder. Es hieng nur von Euer Durchlaucht ab, diese gefesselte Gerechtigkeit wieder los zu lassen, und es wuerde an Euch furchtbarer geschienen haben, als an Angelo. Herzog. Ich besorge, nur allzu furchtbar. Da es mein Fehler war, dem Volk so viel Freyheit zu lassen, so wuerde es Tyranney gewesen seyn, sie fuer das zu strafen, was ich selbst ihnen zu thun befahl. Denn wir befehlen Boeses zu thun, wenn wir den Uebelthaten statt der Straffe ihren freyen Lauf lassen. Dieses ist der wahre Grund, mein Vater, warum ich dieses Amt dem Angelo aufgetragen habe, der unter dem schuezenden Ansehen meines Namens straffen kan, ohne dass, so lange meine Person nicht gesehen wird, der Tadel auf mich faellt. Um aber selbst ein Augenzeuge von dieser Regierung zu seyn, will ich unter dem Namen eines Bruders von euerm Orden, sowol den Regenten als das Volk besuchen. Ich bitte dich also, schaffe mir einen Habit, und unterrichte mich, damit ich die vollstaendige Person eines aechten Franciscaner-Moenchs spielen koenne. Noch mehr Gruende fuer diese Handlung will ich bey mehrerer Musse eroeffnen; einer davon ist dieser: Angelo ist strenge; steht gegen jeden Tadel auf der Hut, gesteht kaum, dass sein Blut fliesst, oder dass er zu Brot mehr Appetit hat als zu Stein. Wir koennen vielleicht bey dieser Gelegenheit lernen, wie viel man sich auf diese strengen Tugenden verlassen kan. (Sie gehen ab.) Achte Scene. (Ein Frauen-Kloster.) (Isabella, und Francisca.) Isabella. Und habt ihr Kloster-Frauen keine andern Freyheiten? Francisca. Sind diese nicht gross genug? Isabella. Ja, freylich; ich frage nicht, als ob ich mehr wuenschte; sondern weil ich wuenschte, dass die Schwesterschaft der heiligen Clara noch enger eingeschraenkt seyn moechte. (Lucio laesst seine Stimme hinter der Scene hoeren.) Isabella. Was ist das? Wer ruft? Francisca. Es ist eines Mannes Stimme. Meine liebe Isabella, schliesst ihr auf, und fragt ihn was er will; ihr duerft es thun, ich nicht; ihr habt das Geluebde noch nicht gethan; wenn ihr es gethan habt, so duerft ihr mit keiner Mannsperson sprechen, ausser in Gegenwart der Priorin; und auch dann, wenn ihr redet, duerft ihr euer Gesicht nicht zeigen, oder wenn ihr das Gesicht zeigt, duerft ihr nicht reden. Er ruft wieder; ich bitte euch, gebt ihm Antwort. (Francisca geht ab.) Isabella. Wer ruft hier? (Sie macht die Thuere auf.) (Lucio kommt herein.) Lucio. Heil, Jungfrau, wenn ihr seyd, wofuer euch diese Rosenwangen ankuendigen; wollt ihr so gefaellig seyn, und mich vor Isabellen bringen, der schoenen Schwester des unglueklichen Claudio, die sich unter den Probe-Schwestern dieses Hauses befindet. Isabella. Warum des unglueklichen Claudio, lasst mich zuruekfragen, indem ich euch sage, dass ich diese Isabella und seine Schwester bin. Lucio. Holdselige Schoene, euer Bruder gruesset euch; um euch nicht lange aufzuhalten, er ligt im Gefaengniss. Isabella. Weh mir! Und warum? Lucio. Fuer etwas, wofuer er, wenn ich sein Richter waere, Belohnung statt Strafe erhalten sollte; er hat einer guten Freundin ein Kind gemacht. Isabella. Mein Herr, erzaehlt mir nicht eure eigne Geschichte. Lucio. Es ist wie ich sage; wenn es gleich meine Schoosssuende ist, den Kybizen mit den Maedchen zu spielen, und ihnen zum Spass Dinge vorzusagen, wovon mein Herz nichts weiss, so wollte ich doch nicht mit allen Jungfrauen so scherzen. Ich sehe euch fuer ein geheiligtes und dem Himmel geweyhtes Geschoepf an; und, aufrichtig zu reden, euer Stand macht euch in meinen Augen schon zu einem abgeschiednen seligen Geist. Isabella. Ihr laestert das Gute, indem ihr meiner spottet. Lucio. Denket das nicht von mir. In wahrem Ernst, diss ist die Sache: Euer Bruder hat seine Liebste in einen Zustand gesezt, der dasjenige was zwischen ihnen vorgegangen, unleugbar macht. Isabella. Ist eine schwanger von ihm?--Meine Base Juliette? Lucio. Ist sie eure Base? Isabella. Durch Adoption, durch die Liebe, die wir als Kinder fuer einander gehabt. Lucio. Sie ist es. Isabella. O! So kan er sie ja heurathen. Lucio. Das ist eben der Knoten. Der Herzog hat sich auf eine sehr seltsame Art von hier wegbegeben; und manchen Edelmann, worunter ich selbst einer bin, in der Hoffnung, einen Antheil an der Staats Verwaltung zu bekommen, getaeuscht. Allein wenn denjenigen zu glauben ist, welche die wahren Nerven des Staats kennen, so ist die Bestellung die er gemacht, unendlich weit von seiner wuerklichen Absicht entfernt. Indessen herrschet an seinem Plaz, und mit seiner ganzen unumschraenkten Gewalt, der Freyherr Angelo, ein Mann dessen Blut Schneewasser ist; ein Mann der durch die Staerke seiner Seele, durch Studieren und Fasten den Stachel der Natur stumpf gemacht hat; der die Bewegung der Sinne, und den Trieb der unordentlichen Lust nie gefuehlt hat. Dieser, (um den Muthwillen und die Ausgelassenheit, die eine lange Zeit um die drohenden Geseze, wie Maeuse um Loewen, herumgeschwaermt, in Schreken zu sezen) hat ein Gesez hervorgesucht, unter dessen schwerem Inhalt eures Bruders Leben der Todesstraffe verfallen ist; er hat ihn also gefangen gesezt, und will durch Vollziehung der ganzen Strenge des Gesezes, ihn andern zu einem Beyspiel machen. Alle Hoffnung ist hin, wofern ihr nicht das Gluek habt, durch eure schoene Fuerbitte den Angelo zu ruehren; und dieses ist, warum ich euch in euers Bruders Namen bitte. Isabella. Er will ihm das Leben nehmen, sagt ihr? Lucio. Er hat das Urtheil schon gesprochen, und der Kerkermeister hat, wie ich hoere, schon den Befehl wegen der Hinrichtung. Isabella. Ach Himmel! Was kan ich ihm also helfen? Lucio. Versucht die Macht, die ihr habt. Isabella. Meine Macht? Ach! ich zweifle-- Lucio. Unsre Zweifel sind Betrueger, und bringen uns oft um das Gute, das wir gewinnen koennten, durch die blosse Furcht vor dem Versuch. Geht zu dem Stadthalter, und lasst ihn erfahren lernen, was die Bitten, die gebognen Knie und die Thraenen der Schoenheit ueber einen Mann vermoegen. Isabella. Ich will sehen was ich thun kan. Lucio. Aber beschleuniget euch. Isabella. Ich will nicht laenger saeumen, als um der wuerdigen Mutter Nachricht von meinem Geschaefte zu geben. Ich danke euch von Herzen; gruesset meinen Bruder: eh es Nacht ist, will ich ihm von meiner Ausrichtung Nachricht geben. Lucio. Ich beurlaube mich von euch, schoene Schwester-- Isabella. Lebet wohl, mein guetiger Herr. (Sie gehen ab.) Zweyter Aufzug. Erste Scene. (Der Palast.) (Angelo, Escalus, ein Richter, Bediente.) Angelo. Wir muessen kein Schrek-Bild aus dem Gesez machen, das, die Raubvoegel zu verscheuchen, aufgestellt wird; und ihm so lang einerley Gestalt lassen, bis die Gewohnheit macht, das sie sich darauf sezen, anstatt davor zu fliehen. Escalus. Auch ist mein Rath, nur in diesem Fall einige Nachsicht verwalten zu lassen. Ach! der junge Mann den ich retten wollte, hatte einen sehr edeln Vatter. Ich halte Euer Gnaden fuer einen Mann von strenger Tugend; aber moechtet ihr die Ueberlegung machen, ob ihr selbst, wenn Zeit und Gelegenheit euerm Wunsch oder dem Trieb des feurigen Blutes guenstig gewesen waere, ob ihr nicht selbst in gewissen Augenbliken euers Lebens, in eben diesem Punct, wesswegen ihr ihn strafen wollt, gefehlt und das Gesez wider euch gereizt haettet. Angelo. Ein anders ist, versucht werden, Escalus, ein anders, fallen. Ich laeugne nicht, dass unter den zwoelf Geschwornen, die ueber eines Gefangnen Leben sprechen sollen, einer oder zween seyn koennen, die noch groessere Diebe sind, als der den sie verhoeren. Die Gerechtigkeit straft nur die Verbrechen, die ihr bekannt sind. Was weiss das Gesez davon, dass Diebe ueber Diebe urtheilen? Es ist natuerlich, dass wir bey einem Edelstein, den wir finden, still stehen und ihn aufheben, weil wir ihn sehen; aber wenn wir ihn nicht sehen, so treten wir auf ihn und denken nicht daran. Ihr koennt sein Vergehen dadurch nicht verringern, dass ihr voraussezt, ich habe auch solche Fehler machen koennen; aber dann, wenn ich, der ihn bestraft, mich wuerklich so vergehe, dann redet, und lasst mein eignes Urtheil mir den Tod zu erkennen. Mein Herr, er muss sterben! (Der Kerkermeister zu den Vorigen.) Escalus. So sey es, wie eure bessere Einsicht es will. Angelo. Wo ist der Kerkermeister? Kerkermeister. Hier, zu Euer Gnaden Befehl. Angelo. Sorget dafuer, dass Claudio bis morgen um neun Uhr gerichtet werde. Bringt ihm seinen Beichtiger, lasst ihn vorbereitet werden; denn diese Zeit ist alles, was er noch zu leben hat. (Kerkermeister geht ab.) Escalus (vor sich.) Gut, der Himmel verzeihe ihm! und verzeih' uns allen! Einige steigen durch Suende, andre fallen durch Tugend: Einige ueberwaelzen sich in Lastern, und werden nur nicht zur Rede gestellet; andre muessen fuer einen einzigen Fehltritt die Straffe des groesten Verbrechens leiden. Zweyte Scene. (Ellbogen, Schaum, Harlequin und Gerichtsdiener.) Ellbogen. Kommt, fuehrt sie her; wenn das nuezliche Leute im gemeinen Wesen sind, die nichts thun, als das Pflaster treten, und in H** Haeusern herumschwaermen, so versteh ich nichts vom Gesez. Fuehrt sie her. Angelo. Was giebts, mein Herr? Wie heisst ihr? Wovon ist die Rede? Ellbogen. Mit Euer Gnaden Erlaubniss, ich bin des armen Herzogs Policey- Aufseher in diesem Quartier, und mein Name ist Ellbogen. Ich appelliere an die Justiz, und bringe hier vor Euer Gnaden ein paar notorische Beneficanten. Angelo. Beneficanten? Was haben sie denn Gutes gethan? Du willt Maleficanten sagen, vermuthlich. Ellbogen. Euer Gnaden nehmen mir nicht uebel, ich weiss nicht wer sie sind; aber ausgemachte Buben sind es, das weiss ich gewiss, und leer an aller Profanation, welche gute Christen haben sollten. Escalus. Das geht gut; das ist ein weiser Official. Angelo. Zur Sache; von was fuer einer Gattung Leute sind sie? Ellbogen heisst ihr? Warum redst du nicht, Ellbogen? Harlequin. Er kan nicht, Gnaediger Herr; er hat ein Loch im Ellbogen. Angelo. Wer seyd ihr, Monsieur? Ellbogen. Er? Ein Bierzapfer, Gnaediger Herr, ein Schlingel von einem H** Wirth, einer der bey einem uebelberuechtigten Weibsbild in Diensten ist; dessen Haus, Gnaediger Herr, wie die Leute sagen, in den Vorstaedten nieder gerissen worden ist. Izt haelt sie ein Badhaus, welches, denk ich, wohl so gut oder nicht besser seyn wird, als ein H** Haus. Escalus. Woher wisst ihr das? Ellbogen. Mein Weib, Gnaediger Herr, die ich vorm Angesicht des Himmels und Euer Gnaden detestire-- Escalus. Wie? dein Weib? Ellbogen. Ja, Gnaediger Herr, Gott sey Dank, sie ist ein ehrliches Weib-- Escalus. Und darum detestirst du sie? Ellbogen. Ich sage Gnaediger Herr, ich detestire mich selbst sowohl als sie, dass dieses Haus, wenn es nicht ein H** Haus ist, so daurt mich ihr Leben, denn es ist ein schlimmes Haus. Escalus. Und woher weist du es denn? Ellbogen. Sapperment, Gnaediger Herr, von meinem Weib, die, wenn sie ein Weib waere, das den cardinalischen* Luesten nachhienge, in diesem Haus in Hurerey, Ehebruch, und alle Unreinigkeit haette gerathen koennen. {ed.-* Es braucht kaum der Anmerkung, dass Ellbogen den Fehler hat, gerne lateinische Worte einzumengen, die er nicht recht ausspricht; er sagt detestiren fuer attestiren, cardinalisch fuer carnalisch. respectirt fuer suspect, u.s.w.} Escalus. Durch dieser Frauen Vorschub? Ellbogen. Ja, Gnaediger Herr, durch Frau Overdons Vorschub; aber sie spie ihm ins Gesicht, wie er sie-- Harlequin. Mit Euer Gnaden Erlaubniss, es ist nicht so. Ellbogen. Beweis es, beweis es vor diesen Schurken, du Ehrenmann! beweis es. Escalus. Hoert ihr, wie er sich verspricht? Harlequin. Gnaediger Herr, sie gieng mit dem Kind als sie in unser Haus kam, und hatte (mit Respect vor Euer Gnaden zu sagen) einen Gelust nach gebratnen Pflaumen; Gnaediger Herr, wir hatten nur zwey im Hause, und die lagen zu eben derselben Zeit, wie das begegnete, in einem Confect-Teller, einem Teller fuer drey oder vier Groschen; Euer Gnaden haben wol auch solche Teller gesehen, es sind keine Porcellan-Teller, aber sehr gute Teller. Escalus. Weiter, weiter, es ist am Teller nichts gelegen-- Harlequin. Nein, in der That nicht, Gnaediger Herr, in diesem Stuek hat Euer Gnaden recht: Aber zur Sache zu kommen; wie ich sagte, diese Madam Ellbogen gieng mit dem Kind, und hatte, wie ich sagte, schon einen ziemlich grossen Bauch, und geluestete, wie ich sagte, nach Pflaumen, und es waren nur noch zwey auf dem Teller, wie ich sagte; denn dieser Herr von Schaum hier, dieser Junker, der hier steht, hatte die uebrigen gegessen, wie ich sagte, und er bezahlte sie ehrlich, das muss ich sagen; denn, wie ihr wisst, Junker Schaum, ich konnte euch nicht drey Kreuzer herausgeben-- Schaum. Nein, in der That. Harlequin. Das muss wahr seyn; ihr waret eben daran, wenn ihr euch noch erinnert, die Steine von den vorbesagten Pflaumen aufzuknaken. Schaum. Ja, das that ich, in der That. Escalus. Fort, ihr seyd ein langweiliger Narr, zur Sache; was that man denn Ellbogens seinem Weib, dass er Ursach zu klagen hat? Kommt auf das, was man ihr that. Harlequin. Gnaediger Herr, Euer Gnaden kan noch nicht auf das kommen. Escalus. Das ist auch nicht meine Absicht. Harlequin. Aber Euer Gnaden soll darauf kommen, mit Euer Gnaden Erlaubniss; und ich bitte euch, sehet einmal diesen Junker Schaum an, Gnaediger Herr, einen Mann von achtzig Pfund Renten des Jahrs, dessen Vater an aller Heiligen Tag gestorben ist. War es nicht aller Heiligen Tag, Junker Schaum? Schaum. Aller Heiligen Abend. Harlequin. Gut, gut; ich hoffe, das ist ein Mann dem man glauben muss. Er sass eben, Gnaediger Herr, wie ich sagte, in einem niedern Sessel, Gnaediger Herr; es war in der Traube, wo ihr in der That so gerne zu sizen pflegt; nicht wahr? Schaum. Es ist so, weil es eine huebsche offne Stube ist, und gut fuer den Winter. Harlequin. Das heisst gesprochen, wie es sich gehoert; ich hoffe, hier ist ein Mann, der Glauben finden wird. Angelo. Das wird eine Russische Nacht auswaehren, wenn die Naechte am laengsten sind. Ich will mich beurlauben und es euch ueberlassen, die Sache zu untersuchen, in der Hoffnung, ihr werdet gute Ursache finden, ihnen allerseits den Staupbesen geben zu lassen. (Geht ab.) Dritte Scene. (Die Vorigen.) Escalus. Nun, Monsieur, zur Hauptsache; was that man Ellbogens Weib? Harlequin. Was man ihr that, Gnaediger Herr? Nichts, gar nichts, mit Euer Gnaden Erlaubniss. Ellbogen. Ich bitte Euer Gnaden, fragt ihn, was dieser Mann hier meinem Weibe gethan hat? Harlequin. Ich bitte Euer Gnaden, fragt mich. Escalus. Gut, Herr, was that ihr dann dieser Edelmann? Harlequin. Ich bitte Euer Gnaden, schauet diesem Edelmann ins Gesicht; Junker Schaum, sehet den Gnaedigen Herrn an; es geschieht aus keiner boesen Absicht; beobachtet Euer Gnaden seine Physionomie? Escalus. Ja, Herr, sehr wohl. Harlequin. Nun, ich bitte euch, beobachtet es nur wol. Escalus. Das thu ich. Harlequin. Kan Euer Gnaden etwas gefaehrliches darinn entdeken? Escalus. Nein. Harlequin. Nun will ich auf ein Buch schwoeren, dass sein Gesicht das schlimmste Ding an seiner ganzen Person ist; wohlan dann, wenn sein Gesicht das schlimmste an ihm ist, wie konnte Jkr. Schaum des Ellbogens Weib etwas zuleide thun? Das moecht ich von Euer Gnaden hoeren. Escalus. Er hat recht; Herr Commiss, was sagt ihr dazu? Ellbogen. Fuers Erste, so ist das Haus, mit Euer Gnaden Erlaubniss, ein respectirtes Haus; Zweytens, ist das ein respectirter Bursche, und seine Frau ein respectirtes Weib. Harlequin. Bey dieser Hand, Gnaediger Herr, sein Weib ist die respectirteste Person unter uns allen. Ellbogen. Schurke, du luegst; du luegst, du Schurke du; die Zeit soll noch kommen, da sie jemals mit einem Mann, Weib oder Kind respectirt gewesen-- Harlequin. Gnaediger Herr, er war mit ihr respectirt; eh er sie heurathete. Escalus. Ist das wahr, Ellbogen? Ellbogen. O du Galgenschwengel! o du Schurke! du gottloser Hannibal! Ich, respectirt mit ihr, eh ich sie heurathete? Wenn ich jemals mit ihr respectirt war, oder sie mit mir, so soll Euer Gnaden mich nicht fuer des armen Herzogs Beamten halten; beweis es, du verruchter Hannibal, oder ich will eine Injurien-Actie gegen dich anstellen. Was ist Euer Gnaden Befehl, dass ich mit diesem gottlosen Galgenbuben anfangen soll? Escalus. Im Ernst, Herr Commiss, weil er ein und anders angestellt hat, das du gern entdeken moechtest wenn du koenntest, so lass ihn seinen Weg fortgehen, bis du weist was es ist. Ellbogen. Sapperment; ich danke Euer Gnaden davor; da siehst du, du leichtfertiger Schurke, wo es mit dir hinkommt; du darfst nur so fortmachen, du Schurke, du darfst nur so fortmachen-- Escalus (zu Schaum.) Wo seyd ihr gebohren, guter Freund? Schaum. Hier, in Wien. Escalus. Habt ihr achtzig Pfund Renten, Herr? Schaum. Ja, mit Euer Gnaden Erlaubniss. Escalus. So. (Zum Harlequin) was ist eure Profession, Meister-- Harlequin. Ein Bierzapfer, einer armen Wittfrauen Bierzapfer. Escalus. Wie heisst eure Frau? Harlequin. Frau Overdon. Escalus. Hat sie mehr als einen Mann gehabt? Harlequin. Neune, Gnaediger Herr, Overdon war der lezte. Escalus. Neune? tretet naeher her, Junker Schaum; Junker Schaum, ich sehe nicht gerne dass ihr mit Bierzapfern so wohl bekannt seyd; sie zapfen euch euer Geld ab, Junker Schaum, und ihr bringt sie an den Galgen. Gehet euers Weges, und lasst mich nichts mehr von euch hoeren. Schaum. Ich danke Euer Gnaden; ich fuer meinen Theil bin noch nie in keiner Bierschenke gesessen, da ich nicht hineingezogen worden waere. Escalus. Genug, und nichts weiter mehr von dieser Art, Junker Schaum, gehabt euch wohl. -- (Schaum geht ab.) Vierte Scene. Escalus. Kommt zu mir her, Meister Bierzapfer, wie ist euer Name, Meister Bierzapfer? Harlequin. Pompey. Escalus. Meister Pompey, ihr seyd ein Stuek von einem H** Wirth, ob ihr es gleich hinter dem Bierzapfer versteken wollt. Seyd ihr's nicht? Kommt, sagt mir die Wahrheit, es wird euch nicht desto schlimmer gehen. Harlequin. In gutem Ernst, Gnaediger Herr, ich bin ein armer Kerl, der gerne leben moechte. Escalus. Wie wollt ihr leben, Pompey? Von der H** Wirthschaft? Was duenkt euch zu dieser Handthierung? Ist es eine gesezmaessige Begangenschaft? Harlequin. Wenn das Gesez sie gestattet, Gnaediger Herr. Escalus. Aber das Gesez gestattet sie nicht, Pompey; dazu soll es in Wien nimmermehr kommen. Harlequin. Hat Euer Gnaden vielleicht im Sinn, alle jungen Leute in der Stadt verschneiden zu lassen? Escalus. Nein, Pompey. Harlequin. Wahrhaftig, gnaediger Herr, so werden sie nach meiner einfaeltigen Meynung nicht davon abzuhalten seyn; wenn Euer Gnaden den H** und den luederlichen Mannsleuten wehren wird, so habt ihr nicht noethig die Kuppler und Kupplerinnen zu fuerchten. Escalus. Dafuer sind huebsche Anstalten im Werk; es ist nur um Koepfen und Haengen zu thun. Harlequin. Wenn ihr nur zehn Jahre nach einander alle die sich in diesem Stueke verfehlen, koepfen und haengen lassen wollt, so werdet ihr in Zeiten Commission fuer mehr Koepfe geben muessen; wenn dieses Gesez zehen Jahre in Wien gehalten wird, so will ich das schoenste Haus in der Stadt das Stokwerk fuer drey Kreuzer miethen; wenn ihr so lang lebt, das zu erleben, so sagt, Pompey hab es euch vorher gesagt. Escalus. Grossen Dank, Pompey, und, um eure Propheceyung zu erwiedern, so sag ich euch hiemit gleichfalls, lasst mich keine Klage mehr wider euch hoeren, worueber es seyn mag, auch nicht ueber laengern Aufenthalt in dem Hause, wo ihr gewesen seyd; hoer ich das mindeste, Pompey, so will ich euch in euer Lager zuruek schlagen, und ein strenger Caesar gegen euch seyn; aufrichtig zu sprechen, Pompey, ihr haettet verdient, dass ich euch ein wenig abpeitschen liesse; und hiemit, Pompey, gehabt euch fuer dissmal wohl. Harlequin. Ich danke Euer Gnaden fuer den guten Rath; ich werde ihm folgen, wie das Schiksal, und Fleisch und Blut es erlauben werden-- (fuer sich) Sapperment! Ein dapfrer Mann laesst sich nicht sogleich aus seinem Handwerk peitschen. (Geht ab.) Fuenfte Scene. Escalus. Kommt zu mir hieher, Meister Ellbogen; kommt her, Herr Commis; wie lang ist es, dass ihr dieses Amt in euerm Quartier verwaltet? Ellbogen. Sieben und ein halb Jahr, Gnaediger Herr. Escalus. Ich dachte, nach euerer Fertigkeit in diesem Amte zu urtheilen, ihr haettet es schon eine gute Zeit getrieben. Sieben ganze Jahre, sagt ihr? Ellbogen. Und ein halbes, Gnaediger Herr. Escalus. Es wird euch viele Muehe gemacht haben, mein guter Mann; sie meynen es nicht gut mit euch, dass sie euch so oft dazu anstrengen; hat es denn keine Leute in euerm Kirchspiel, die im Stande waeren es zu versehen? Ellbogen. Mein Treu, Gnaediger Herr, nicht viele die den Verstand zu solchen Geschaeften haben; wenn sie gewaehlt werden, so ist es ihnen immer eine Gefaelligkeit, wenn ich den Dienst fuer sie versehe; sie bezahlen mich dafuer, und so trag ich eben das Amt fuer alle. Escalus. Seht ihr, bringt mir die Namen von sechs oder sieben, die die tauglichsten in euerm Kirchspiel sind. Ellbogen. In Euer Gnaden Haus? Escalus. In mein Haus; behuet euch Gott. (Ellbogen geht ab.) (Zum Richter.) Wie viel denkt ihr dass die Gloke ist? Richter. Eilfe, Gnaediger Herr. Escalus. Ich bitte euch, kommt mit mir zum Mittag-Essen. Richter. Ich danke euer Gnaden unterthaenig. Escalus. Ich kraenke mich herzlich ueber Claudios Tod; aber es ist nicht zu helfen. Richter. Der Freyherr Angelo ist streng. Escalus. Es ist nur allzu noethig; Guete hoert auf es zu seyn, wenn sie immer die gleiche Mine macht; und Nachsicht ist allemal die Mutter neuer Verbrechen. Und doch--armer Claudio! Es ist nicht zu helfen!-- Folget mir, mein Herr. (Gehen ab.) Sechste Scene. (Der Kerkermeister, ein Bedienter.) Bedienter. Er giebt nur einer Partey Gehoer; er wird gleich kommen: Ich will ihm sagen, dass ihr hier seyd. Kerkermeister. Ich bitte euch, thut es; ich moechte wissen, was sein Wille ist; vielleicht ihn wieder frey zu lassen--Ach! Er hat kaum mehr als in einem Traum gesuendiget; alle Staende, alle Alter riechen nach diesem Laster--und er soll dafuer sterben. (Angelo zu den Vorigen.) Angelo. Nun, was giebt es, Kerkermeister? Kerkermeister. Ist es Euer Gnaden Wille, dass Claudio morgen sterben solle? Angelo. Sagt' ich dir nicht schon, ja? Hast du nicht Befehl? Wozu brauchst du noch einmal zu fragen? Kerkermeister. Aus Furcht, ich moechte zu rasch seyn. Mit Euer Gnaden Erlaubniss, ich habe den Fall schon erlebt, da der Richter nach der Vollziehung sein Urtheil gerne wiederruffen haette. Angelo. Thu du deine Pflicht, und lass das meine Sorge seyn; thu deine Pflicht, oder gieb dein Amt auf; und es soll dir keine Muehe mehr gemacht werden. Kerkermeister. Ich bitt' unterthaenig um Verzeihung, Gnaediger Herr--Und was soll ich mit der winselnden Juliette anfangen? Sie ist ihrer Entbindung sehr nahe. Angelo. Bringe sie an einen bequemem Ort, und das unverzueglich. Der Bediente. Gnaediger Herr, hier ist die Schwester des verurtheilten Manns, und bittet vor Euer Gnaden gelassen zu werden. Angelo. Hat er eine Schwester? Kerkermeister. Ja, Gnaediger Herr, eine sehr tugendhafte junge Person, die im Begriff ist eine Klosterfrau zu werden, wenn sie es nicht schon ist. Angelo. Gut; lass sie herein kommen. (Bedienter geht ab.) Sorgt ihr davor, dass die Hure in einen andern Ort gebracht werde; lasst ihr bloss die nothduerftige, und keine ueberfluessige Unterhaltung geben; es soll Befehl deshalb ertheilt werden. Siebende Scene. (Lucio und Isabella, zu den Vorigen.) (Kerkermeister will abtreten.) Angelo. Bleibt noch ein wenig-- (Zu Isabella.) Seyd willkommen; was ist euer Begehren? Isabella. Ich bin eine bekuemmerte Person, die eine Bitte an Euer Gnaden thun moechte, wenn es euch gefiele mich anzuhoeren. Angelo. Gut; was ist eure Bitte? Isabella. Es ist ein Laster, das ich von Herzen verabscheue; das ich gestraft zu sehen wuensche, und fuer welches ich keine Fuerbitte thun wuerde, wenn ich nicht muesste. Angelo. Gut, zur Sache. Isabella. Ich habe einen Bruder der zum Tod verurtheilt ist; ich bitte euch, lasst das Urtheil auf sein Verbrechen, und nicht auf meinen Bruder fallen. Kerkermeister (leise.) Der Himmel gebe dir die Gnade, ihn zu ruehren; Angelo. Das Verbrechen verurtheilen, und nicht den Thaeter? Ein jedes Verbrechen ist schon verurtheilt, eh es gethan wird. Was wuerde mein Amt seyn, wenn ich die Verbrechen faende, deren Strafe die Geseze bestimmt haben, und die Thaeter gehen liesse? Isabella. O! allzugerechtes wiewohl strenges Gesez!--Ich habe also keinen Bruder mehr-- (Sie will fortgehen.) Lucio (leise.) Gebt nicht so gleich auf; versucht es noch einmal, bittet ihn, fallt auf die Knie, haengt euch an seinen Rok; ihr seyd zu kalt; wenn ihr eine Steknadel noethig haettet, koenntet ihr sie mit keiner gleichgueltigern Art verlangen. Noch einmal an ihn, sag' ich. Isabella (zu Angelo.) Muss er denn nothwendig sterben? Angelo. Maedchen, dafuer ist kein Mittel. Isabella. Ey ja, ich denke ihr koenntet ihm Gnade widerfahren lassen; weder der Himmel noch die Menschen missbilligen es, wenn man Gnade vor Recht gehen laesst. Angelo. Ich will aber nicht. Isabella. Koenntet ihr, wenn ihr wolltet? Angelo. Seht, was ich nicht will, das kan ich auch nicht. Isabella. Aber koenntet ihr es thun, ohne dass die Welt einen Schaden davon haette, wenn euer Herz das Mitleiden des meinigen gegen ihn fuehlte? Angelo. Sein Urtheil ist gesprochen; es ist zu spaet. Lucio (leise.) Ihr seyd zu kalt. Isabella. Zu spaet? Warum? nein; ich kan ja ein Wort wiederruffen, das ich gesprochen habe: Glaubet nur, den Koenig ziert seine Crone, den Statthalter sein Schwerdt, den Marschall sein Stab, und den Richter sein Rok nicht halb so sehr als Gnade; waeret ihr an seinem Plaze gewesen und er an euerm, ihr wuerdet gestrauchelt haben, wie er; aber er wuerde nicht so strenge gewesen seyn. Angelo. Ich bitte euch, geht. Isabella. Wollte der Himmel, ich haette eure Macht, und ihr waeret Isabella; es sollte nicht so seyn. Lucio. Nur weiter--das ist der rechte Ton-- Angelo. Das Gesez hat euern Bruder verurtheilt; alle eure Worte sind verschwendet. Isabella. Ach! gnaediger Himmel! wie? Alle Seelen hatten einst gesuendigt, und waren vom Gesez verurtheilt. Aber der, der sie mit bestem Fug straffen konnte, fand ein Mittel aus. Wenn er euch richten wollte, wie ihr seyd? O! denkt an das! und Gnade wird, gleich dem neuerschaffnen Menschen, aus euern Lippen athmen. Angelo. Gebt euch zufrieden, schoenes Maedchen; das Gesez verurtheilt euern Bruder, nicht ich. Waer' er mein Verwandter, mein Bruder, mein Sohn, so wuerd' es ihm nicht anders ergehen; morgen stirbt er. Isabella. Morgen? O! das ist zu schnell. Schonet seiner, gebt ihm noch Frist; er ist nicht zum Sterben bereitet. Wir toedten ja das Gefluegel fuer unsre Kueche nicht eher, bis es Zeit ist; sollen wir den Himmel schlechter bedienen, als den groebsten Theil von uns selbst? O! mein guetiger Herr, bedenkt euch: Wenn ist jemals einer fuer diss Vergehen gestorben. Es sind manche, die es begangen haben. Lucio (leise.) Gut, wohl gesprochen! Angelo. Das Gesez ist nicht todt gewesen, ob es gleich geschlaffen hat. Diese (Manche) haetten sich nicht unterstanden zu suendigen, wenn der erste, der das Gesez uebertrat, gestraft worden waere. Izt, ist es aufgewacht, erkundigt sich dessen was gethan wird, und sieht, gleich einem Wahrsager, in einem Spiegel, alle die kuenftigen Verbrechen vor, die durch eine laengere Nachsicht veranlasst wuerden, und auf keine andere Art verhindert werden koennen, als wenn sie vor ihrer Geburt getoedtet werden. Isabella. Lasst wenigstens einiges Mitleiden sehen. Angelo. Ich kan es nicht besser sehen lassen, als wenn ich Gerechtigkeit sehen lasse; denn alsdann hab' ich sogar Mitleiden mit denen, die ich nicht kenne, indem ich verhindere, dass ein ungestraftes Verbrechen sie nicht zur Nachfolge reize; ja mit dem Verbrecher selbst, der wenn er fuer eine boese That buessen muss, nicht lebt um die zweyte zu begehen. Gebt euch zufrieden; euer Bruder stirbt morgen; gebt euch zufrieden. Isabella. So muesst ihr also der erste seyn, der ein solches Urtheil spricht, und er der erste, der dadurch leidet. O! es ist vortrefflich, die Staerke eines Riesen zu haben; aber es ist tyrannisch, sie wie ein Riese zu gebrauchen. Lucio (leise.) Das ist wohl gesprochen. Isabella. Koennten die Grossen der Welt donnern wie Jupiter, so wuerde Jupiter selbst keine Ruhe vor ihnen haben; denn bis auf den kleinsten ledernen Officianten wuerde ein jeder seinen Himmel zum donnern brauchen wollen. Nichts als donnern--Guetiger Himmel! dein scharfer schweflichter Keil zersplittert lieber die harte und knottichte Eiche als die sanfte Myrrthe: O! nur der Mensch, der stolze Mensch, fuer etliche Augenblike in ein wenig Ansehen gekleidet, vergisst was er am gewissesten wissen kan, seiner zerbrechlichen Natur; und spielt, gleich einem erbossen Affen, so phantastische Streiche vor den Augen des Himmels, dass die Engel darueber weinen, die, wenn sie unsre Milz* haetten, sich alle sterblich lachen muessten. {ed.-* Die Alten schrieben ein unmaessiges Gelaechter der Groesse der Milz zu. Warbuerton.} Lucio (leise.) Weiter, weiter, Maedchen--das wird wuerken--es koemmt ihm, ich merk' es. Kerkermeister. Wollte Gott, sie moechte ihn gewinnen! Isabella. Ich darf meinen Bruder nicht gegen euch abwaegen; grosse Herren duerfen mit Heiligen scherzen; an ihnen ist Wiz, was an geringem Gottlosigkeit waere. Lucio. Du hast recht, Maedchen; mehr dergleichen-- Isabella. An dem Hauptmann ist das nur ein hastiges Wort, was an dem gemeinen Soldaten eine platte Laesterung ist. Angelo. Wozu sagt ihr diese Dinge mir? Isabella. Weil das hoechste Ansehn, ob es gleich dem Irrthum eben so sehr unterworffen ist als andre Leute, doch immer eine Art von Arzney bey sich fuehrt, die seine Vergehungen sogleich wieder zuheilt; geht in euch selbst; klopft an euerm Busen an, und fragt euer Herz, was es sich bewusst ist, das meines Bruders Fehler aehnlich ist; und wenn es euch wenigstens die Faehigkeit gesteht, eben so zu suendigen wie er, so erlaubt ihm keinen Gedanken gegen meines Bruders Leben auf eure Zunge zu toenen. Angelo (fuer sich.) Sie spricht mit einem Verstand, der den meinigen ueberwaeltiget-- Lebet wohl-- (Er will weggehen.) Isabella. O! mein Gnaediger Herr, kehret zuruek. Angelo. Ich will mich bedenken; kommt morgen wieder. Isabella. Hoeret doch, wie ich euch bestechen will; mein guetiger Herr, kehret zurueck. Angelo. Wie? Mich bestechen? Isabella. Ja, mit solchen Geschenken, die der Himmel mit euch theilen soll. Lucio (leise.) Gut, sonst haettet ihr alles verdorben. Isabella. Nicht mit Gold oder Steinen, die nur werth sind, was die Einbildung sie gelten laesst, sondern mit unschuldigen Fuerbitten, die zum Himmel aufsteigen, und durch ihn eindringen sollen, eh die Sonne wieder aufgeht; mit Fuerbitten von unbeflekten Seelen, von fastenden Jungfrauen, deren Herzen zu nichts Zeitlichem geweihet sind. Angelo. Gut, kommt morgen wieder. Lucio (leise.) Geht izt, es ist genug--weg. Isabella. Der Himmel erhalte Euer Gnaden gesund. Um welche Zeit soll ich morgen Euer Gnaden aufwarten? Angelo. Vor Mittag, wenn ihr wollt. (Isabella geht ab mit Lucio und Kerkermeister.) Achte Scene. Angelo (allein.) Von dir? Von deiner Tugend selbst? Was ist das? Was ist das? Ist es deine Schuld oder meine? Wer suendiget am meisten, der Versucher, oder der Versuchte? Nicht sie, denn sie denkt nur nicht daran mich versuchen zu wollen; ich bin es, der neben dem Veilchen in der Sonne ligend, gleich einem Aass, nicht wie die Blume, von der holden Fruehlings-Waerme faule. Ists moeglich, dass die Sittsamkeit eines Weibes unsern Sinnen gefaehrlicher seyn soll, als ihre Schluepfrigkeit? Sollen wir, da wir genug unnuezen Boden haben, einen Tempel niederreissen, um unsre Laster hinein zu steken?--O pfui, pfui, pfui! Was thust du, oder was bist du, Angelo? O lass ihren Bruder leben: Diebe haben Entschuldigung fuer ihre Raeubereyen, wenn die Richter selbst stehlen. Wie? lieb ich sie, dass ich so begierig bin, sie wieder zu hoeren, und mich an ihren Augen zu weiden? Was war diss was ich traeumte? O! listiger Teufel, der, um Heilige zu fangen, eine Heilige an deinen Angel stekst! Die gefaehrlichste Versuchung ist, die uns durch die Liebe zur Tugend zur Suende reizt. Nimmermehr koennt ein feiles Weibsbild, mit aller ihrer verdoppelten Staerke, mit allen Reizungen der Natur und Kunst, meine Sinnen nur einen Augenblik aufruehrisch machen; aber dieses tugendhafte Maedchen ueberwaeltiget mich ganz, mich, der bis auf diesen Augenblik, wenn ich von verliebten Mannsleuten hoerte, laechelte, und nicht begreiffen konnte, wie sie es seyn koennten. (Geht ab.) Neunte Scene. (Verwandelt sich in ein Gefaengniss.) (Der Herzog in einem Moenchshabit, und der Kerkermeister, treten auf.) Herzog. Gott gruesse euch, Kerkermeister; denn das seyd ihr, denke ich. Kerkermeister. Ich bin's; was ist euer Wille, mein guter Pater? Herzog. Von Christlicher Liebe getrieben, und nach den Pflichten meines Ordens komm' ich, die betruebten Seelen in diesem Gefaengniss zu besuchen; lasst mich sie sehen, damit ich die Natur ihrer Suenden erkundigen, und nach Befinden mein Amt bey ihnen verrichten koenne. Kerkermeister. Ich wollte noch mehr thun als das, wenn es noethig waere. (Juliette tritt auf.) Kerkermeister. Seht, hier kommt eine von meinen Gefangnen, ein Fraeulein, die in die Flammen ihrer eignen Jugend gefallen ist, und ihren guten Namen darinn versengt hat: Sie ist schwanger, und der Vater ihres Kinds ist zum Tode verurtheilt; ein junger Mann, der bereiter ist, noch eine solche Suende zu begehen, als fuer diese zu sterben. Herzog. Wenn soll er sterben? Kerkermeister. Ich denke, morgen. (Zu Juliette.) Ich habe Vorsehung fuer euch gethan, bleibt eine Weile, und ihr sollt weggefuehrt werden. Herzog. Bereuet ihr, schoenes Kind, die Suende, die ihr begangen habt? Juliette. Ich bereue sie und trage die Schmach gedultig. Herzog. Ich will euch lehren, wie ihr euer Gewissen pruefen koennt, um zu erfahren, ob eure Busse aufrichtig ist oder nicht. Juliette. Ich will es gerne lernen. Herzog. Liebt ihr den Mann, der euch zu Falle gebracht hat? Juliette. Ja, so sehr als ich die Weibsperson liebe, die ihn zu Falle gebracht hat. Herzog. Es scheint also, ihr habt aus beydseitigem Einverstaendniss gesuendiget. Juliette. So ist es. Herzog. Also war eure Suende von einer schwerern Art, als die Seinige. Juliette. Ich bekenn' und bereu' es, mein Vater. Herzog. Es ist billig, meine Tochter; aber bereut ihr eure Suende vielleicht nur darum, weil sie euch in diese Schmach gebracht hat, anstatt aus Betruebniss dass ihr den Himmel beleidiget habt? Eine gewoehnliche Art von Reue, wodurch wir beweisen, dass wir den Himmel nicht suchen weil wir ihn lieben, sondern nur wenn wir seine Strafen fuerchten. Juliette. Es reut mich, in so fern es ein Uebel ist, und ich ertrage die Schmach mit Freuden. Herzog. Bleibet bey dieser Gesinnung. Euer Mitschuldiger muss, wie ich hoere, morgen sterben, und ich gehe izt zu ihm, ihn vorzubereiten. Also geb ich euch meinen Segen. (Er geht ab.) Zehnte Scene. (Der Palast.) (Angelo tritt auf.) Angelo. Wenn ich beten oder mit geistlichen Gedanken mich unterhalten will, so bete ich, und denke an verschiedne Gegenstaende; aber der Himmel hat nur meine leeren Worte, indess mein Gemueth, ohne meine Zunge zu hoeren, auf Isabellen ankert. Der Himmel ist auf meinen Lippen, und der maechtige und schwellende Vorsaz der Suende in meinem Herzen. Der Staat, worinn ich studirte, ist mir wie ein gutes Buch, das man so oft gelesen hat, bis man es ueberdruessig worden ist; ja, diese Ernsthaftigkeit, auf die ich (lass niemand es hoeren) stolz war, koennt ich mit Aufgabe gegen eine leichte Feder vertauschen, die der Wind hin und her treibt. O! Plaz, o aeusserliches Ansehen! Wie oft erzwingst du Ehrfurcht von den Thoren, und hintergehest selbst die weisern Seelen durch deine betruegliche Gestalt! Wir brauchen nur (guter Engel) auf des Teufels Horn zu schreiben, so ists nicht mehr des Teufels Horn-- (Ein Bedienter kommt herein.) Was giebts, wer ist da? Bedienter. Eine gewisse Isabella, eine Nonne, verlangt vor Euer Gnaden gelassen zu werden. Angelo. Fuehre sie herein--O Himmel! wie treibt mein Blut zu meinem Herzen, und entsezt auf einmal alle meine andern Theile ihrer noethigen Staerke--So spielt der alberne Hauffe mit einem der in Ohnmacht sinkt; alle lauffen ihm zu Huelfe, und verstopfen dadurch die Luft, durch die er wieder aufleben koennte: Und so verlassen die Unterthanen, einen geliebten Koenig zu sehen, ihre eignen Geschaefte, und draengen sich in dienstfertiger Zaertlichkeit zu seiner Gegenwart, wo ihre unbescheidene Liebe einer Beleidigung gleich sehen muss-- (Isabella kommt herein.) Wie geht es, schoenes Maedchen? Eilfte Scene. Isabella. Ich komme zu hoeren, was Euer Gnaden beliebt-- Angelo. Dass ihr es wissen moechtet, wuerde mir besser belieben, als dass ihr darnach fragt. Euer Bruder kan nicht bey Leben bleiben. Isabella. Ist es dieses?--Der Himmel erhalte Eu. Gnaden. (Sie will gehen.) Angelo. Und doch moecht' er noch eine Zeitlang leben, und das moechte seyn, so lang als ihr oder ich; aber er muss sterben. Isabella. Durch euer Urtheil? Angelo. Ja. Isabella. Wenn, ich bitte euch? Lasst ihm wenigstens so viel Zeit als er noethig hat, damit seine Seele geheilt werden koenne. Angelo. Ha? Pfui dieser garstigen Laster! Es waere eben so gut denjenigen zu begnadigen, der einen schon gemachten Menschen aus der Natur weggestohlen haette, als solchen Leuten, die das Bild des Himmels auf verbotne Stempel graben, ihre unverschaemte Ueppigkeit zu verzeihen. Isabella. So wird im Himmel geurtheilt, aber nicht auf Erden. Angelo. Sagt ihr das? Nun will ich euch bald zum Stillschweigen bringen. Was wolltet ihr lieber, dass das gerechteste Gesez euerm Bruder das Leben nehme; oder dass ihr, um ihn zu retten, euern Leib eben so behandeln lassen muesstet, wie diejenige, die er beflekt hat? Isabella. Gnaediger Herr, glaubt mir das, ich wollte lieber meinen Leib preiss geben als meine Seele. Angelo. Ich rede nicht von eurer Seele; Suenden, wozu wir genoethiget werden, stehen nicht auf unsrer Rechnung. Isabella. Wie sagt ihr? Angelo. Ich will nicht davor gut stehen; denn ich kan vieles gegen das was ich gesagt habe, einwenden. Antwortet mir nur auf das: Ich, durch dessen Mund nur das Gesez redet, spreche das Todes-Urtheil wider euern Bruder aus: Waere nicht Barmherzigkeit in einer Suende, die ihr nur darum begienget, um euers Bruders Leben zu retten? Isabella. Schenket ihm das Leben, ich will es auf die Gefahr meiner Seele nehmen, dann ist gar keine Suende darinn, sondern blosse Barmherzigkeit. Angelo. Hoert mich nur, ihr versteht mich nicht; entweder seyd ihr unwissend, oder stellt euch so, und das ist nicht gut. Isabella. Lasst mich unwissend seyn, und in nichts gut, als in der demuethigen Erkenntniss, dass ich nicht besser bin. Angelo. So wuenscht die Weisheit nur desto glaenzender zu scheinen, wenn sie sich selbst tadelt; wie diese schwarze Tuecher die eingehuellte Schoenheit zehnmal lauter ankuendigen als die enthuellte Schoenheit selbst thun koennte. Aber hoeret mich, um besser verstanden zu werden, will ich deutlicher reden; euer Bruder muss sterben. Isabella. So. Angelo. Und wegen eines Verbrechens, worauf das Gesez diese Strafe gelegt hat. Isabella. Es ist wahr. Angelo. Gesezt, es waere kein ander Mittel ihm das Leben zu retten (ich sage nicht, dass ich es gelten lassen wuerde, sondern nur um den Fall zu sezen) als dass ihr, seine Schwester, wofern jemand euer begehrte, den sein eigner Plaz oder sein Ansehen bey dem Richter in den Stand sezte, euern Bruder aus den Fesseln des Gesezes zu befreyen, und dass kein andres Mittel ihn zu retten waere, als ihr muesstet entweder diesem vorausgesezten den Genuss eurer Schoenheit ueberlassen, oder euern Bruder leiden sehen, was wuerdet ihr thun?* {ed.-* Die unrichtige Construction dieser Rede ist im Original, und man hat sie beybehalten, weil sie die Verwirrung ausdrukt, worinn sich Angelo in diesem Augenblik befinden musste.} Isabella. Soviel fuer meinen armen Bruder, als fuer mich selbst; das ist, waer ich zum Tode verurtheilt, so wollt ich die Striemen scharfer Geisseln wie Rubinen tragen, und mich auf die Marterbank mit der Sehnsucht eines Kranken wie auf ein Ruhbette werfen, eh ich meinen Leib der Schande preiss geben wollte. Angelo. So muesste euer Bruder sterben. Isabella. Besser, dass ein Bruder einen einzigen Augenblik sterbe, als dass die Schwester, um ihn zu retten, ewig sterbe. Angelo. Waeret ihr in diesem Falle nicht eben so grausam als das Urtheil, das ihr so genennt habt? Isabella. So wie eine schaendliche Ranzion, und eine freye Begnadigung von zweyerley Haeusern sind; so ist auch ganz gewiss nicht die mindeste Verwandtschaft zwischen einer gesezmaessigen Barmherzigkeit, und einer lasterhaften Erloesung. Angelo. Ihr schienet lezthin das Gesez fuer einen Tyrannen, und den Fehltritt euers Bruders eher fuer eine Kurzweil als fuer ein Verbrechen anzusehen. Isabella. Verzeihet mir Gnaediger Herr; um zu erhalten was wir suchen, sind wir oft genoethiget nicht zu sagen, was wir denken. Aus Liebe zu einem unglueklichen Bruder wuenschte ich die That entschuldigen zu koennen, die ich verabscheue. Angelo. Wir sind alle gebrechlich. Isabella. Waer' es nicht so, so moechte mein Bruder immerhin sterben. Angelo. Die Weiber sind auch gebrechlich. Isabella. Ja, wie die Spiegel, worinn sie sich beschauen; die Weiber! Der Himmel stehe ihnen bey! Die Maenner verderben ihre angebohrne Unschuld zum Vortheil ihrer Leidenschaften; ja, nennet uns zehenmal gebrechlich, denn wir sind sanft wie unsre Bildung, und weich genug jeden fremden Eindruk anzunehmen. Angelo. So denke ich auch; und durch das Zeugniss euers eignen Geschlechts lasst mich kuehner werden. Ich halte euch bey euern Worten. Seyd was ihr seyd, ein Weib; wenn ihr mehr seyd, seyd ihr keines. Seyd ihr's, wie diese Gestalt auf eine so reizende Art es bezeuget, so zeiget es izt, indem ihr diese geweyhte Liverey ableget. Isabella. Ich habe nur eine Zunge; ich bitte Euer Gnaden, deutlich zu sprechen. Angelo. Ich liebe euch. Isabella. Mein Bruder liebte die Juliette, und ihr sagt mir, dass er dafuer sterben muesse. Angelo. Er soll nicht sterben, wenn ihr meine Liebe beguenstiget. Isabella. Ich weiss dass eure Tugend die Freyheit hat, ein wenig schlimmer zu scheinen als sie ist, um andre auf die Probe zu sezen. Angelo. Glaubt mir, auf meine Ehre, meine Worte erklaeren meine Absicht. Isabella. Ha! was fuer eine Ehre? und was fuer eine Absicht? O! Schein! Schein! Ich will dich ausruffen, Angelo; siehe zu! Unterzeichne mir diesen Augenblik die Begnadigung meines Bruders, oder ich will so laut als ich schreyen kan, der Welt sagen, was fuer ein Mann du bist. Angelo. Wer wird dir glauben, Isabella? Mein unbeflekter Name, mein strenges Leben, mein Ansehen im Staat, mein blosses Zeugniss wider dich, werden deine Anklage so sehr ueberwiegen, dass du in deiner eignen Aussage erstiken und nach Verlaeumdung stinken wirst. Der erste Schritt ist gethan, und nun will ich meinem sinnlichen Theil den Zuegel lassen. Bereite dich meiner erhizten Begierde nachzugeben, lege alle Sproedigkeit, alle diese verzoegernden Erroethungen ab, die das verbannen warum sie bitten; erloese deinen Bruder, indem du deinen Leib meinem Willen ueberlassest; oder er muss nicht nur den Tod sterben, sondern deine Sproedigkeit soll seinen Tod durch langsame Martern verlaengern. Bringe mir morgen die Antwort, oder, bey der Leidenschaft, die mich izt beherrschst, ich will ein Tyrann gegen ihn werden. Was euch betrift, sagt was ihr koennt; meine Luegen ueberwiegen eure Wahrheiten. (Er geht ab.) Isabella. Gegen wen soll ich mich beklagen? Wuerd' ich diss erzaehlen, wer wuerde mir glauben? Ich will zu meinem Bruder gehen. Ob er gleich durch Antrieb des wallenden Blutes gefallen ist, so hat er doch so viel Empfindung von Ehre, dass wenn er auch zwanzig Haeupter auf zwanzig Bloeke hinzustreken haette, er eher sie alle hingeben wuerde, eh seine Schwester ihren Leib zu einer so schaendlichen Beflekung missbrauchen lassen sollte. Leb' also keusch, Isabella, und stirb du, Bruder; unsre Keuschheit ist mehr als unser Bruder; inzwischen will ich ihm das Zumuthen dieses Angelo kund machen, und ihn sterben lehren, damit seine Seele leben moege. Dritter Aufzug. Erste Scene. (Das Gefaengniss.) (Der Herzog, Claudio und Kerkermeister treten auf.) Herzog. Ihr hofft also Begnadigung von dem Stadthalter Angelo? Claudio. Die Unglueklichen haben keine andre Arzney als Hoffnung: Ich hoffe zu leben, und bin bereitet zum Sterben. Herzog. Stellt euch als gewiss vor, dass ihr sterben muesst; Tod oder Leben wird euch dadurch nur desto suesser werden. Redet so mit dem Leben: Verliehr ich dich, so verliehr ich ein Ding, das nur von Thoren hochgeachtet wird; was bist du als ein Hauch, allen Einfluessen der Elemente unterwuerffig, welche diese Wohnung, worinn du dich aufhaeltst, stuendlich beunruhigen; du bist nichts anders als des Todes Narr,* du arbeitest, ihm durch deine Flucht zu entgehn, und rennst ihm immer entgegen; du bist nicht edel, denn du naehrst dich von den veraechtlichsten Dingen; du bist nicht dapfer, denn du fuerchtest die kleine und schwache Zange eines armen Wurms; dein bester Theil ist der Schlaf, du liebest ihn, und fuerchtest doch den Tod, der nichts mehr ist. Du bist nichts Selbstbestaendiges, denn du bestehst durch viele tausend Koerner, die aus einem Staub hervorkeimen; glueklich bist du nicht, denn immer bestrebst du dich, was du nicht hast zu gewinnen, und zu vergessen was du hast; du bist nicht gewiss, denn dein Zustand wechselt, wie der Mond; wenn du reich bist, bist du doch arm, denn du traegst gleich einem mit Silberstangen beladnen Esel deinen schweren Reichthum nur eine Tagreise, und der Tod ladet dich ab; Freunde hast du keine, denn deine eigene Eingeweide, die dich Vater nennen, fluchen dem Podagra, der Gicht und dem Aussaz, dass sie dir nicht baelder ein Ende machen. Du hast weder Jugend noch Alter; beydes ist nur ein Traum in einem nachmittaeglichen Schlaf; denn kaum ist das Feuer deiner Jugend verrochen, so steht sie ab, und bettelt Almosen von dem gichtbruechigen Alter; und wenn du alt und reich bist, so hast du weder Guete, noch Hize, Trieb und Glieder, deines Reichthums froh zu werden. Was ist denn in diesem allem, das den Namen des Lebens traegt? Und doch ligen in diesem Leben zehentausend Tode verborgen; und wir fuerchten den Tod, der alle diese seltsamen Dinge eben macht? {ed.-* Dieses ist eine Anspielung auf gewisse Schauspiele, die in den barbarischen Zeiten unter dem Namen (Moralitys) in England ueblich waren, worinn die lustige Person und der Tod die Hauptpersonen waren, und die erste alle nur ersinnliche Kunstgriffe anwenden musste, dem lezten, dem sie alle Augenblike in die Haende lief, zu entgehen.} Claudio. Ich danke euch; nun find ich, dass ich, wenn ich zu leben wuensche, zu sterben suche; und wenn ich den Tod suche, das Leben finde: Lass es kommen. (Isabella zu den Vorigen.) Isabella. Wie? Friede sey mit dieser guten Gesellschaft. Kerkermeister. Wer ist da? herein--der Wunsch verdient einen Willkomm. Herzog. Mein lieber Herr, ich werde euch in kurzem wieder besuchen. Claudio. Ich danke euch, heiliger Vater. Isabella. Mein Geschaefte besteht in einem oder zwey Worten mit Claudio. Kerkermeister. Von Herzen willkommen. Sehet, mein Herr, hier ist eure Schwester. Herzog. Kerkermeister, ein Wort mit euch. Kerkermeister. Soviele als euch beliebt. Herzog (leise.) Bringet mich an einen Ort, wo ich sie hoeren kan, ohne dass sie mich sehen. (Herzog und Kerkermeister gehen ab.) Zweyte Scene. Claudio. Nun, Schwester, was fuer einen Trost bringt ihr? Isabella. Wie sie alle zu seyn pflegen; einen sehr guten in der That; der Freyherr Angelo, welcher Geschaefte im Himmel hat, ist entschlossen euch zu seinem Abgesandten dahin zu machen; macht euch also ohne Verzug reisefertig, morgen sollt ihr uebersezen. Claudio. Ist denn kein Mittel? Isabella. Keines als solch ein Mittel, das, um einen Kopf zu retten, ein Herz entzwey brechen wuerde. Claudio. Aber ist denn eines? Isabella. Ja, Bruder, ihr koennt bey Leben bleiben; es ist ein Mittel--Aber eines, dass wenn ihr faehig waeret es zu billigen, eure Ehre sich von diesem Rumpf, den ihr tragt, abstreifen, und euch nakend lassen wuerde. Claudio. Und was ist es denn? Isabella. O, ich fuerchte dich, Claudio, ich fuerchte du moechtest, um ein fieberhaftes Leben zu verlaengern, sechs oder sieben Winter theurer schaezen als eine immerwaehrende Ehre--Hast du den Muth zu sterben? Die Empfindung des Todes ist das fuerchterlichste an ihm; der arme Kaefer, auf den wir treten, leidet so viel als ein sterbender Riese. Claudio. Warum denkst du so schmaehlich von mir? Haltst du mich fuer so schwach, dass ich keiner maennlichen Entschliessung faehig seyn sollte? Wenn ich sterben muss, so will ich der Finsterniss wie einer Braut entgegen gehn, und sie in meine Arme drueken. Isabella. Izt sprach mein Bruder, und eine Stimme stieg aus meines Vaters Grab empor. Ja, du musst sterben; du bist zu edel, ein Leben durch niedertraechtige Gefaelligkeiten zu erkauffen. Dieser, mit Heiligkeit uebertuenchte Stadthalter, dessen gesezte Mine und wohlbedaechtliche Rede der Jugend die Klauen in den Kopf schlaegt, und ihre Thorheiten berupft, wie der Falke die Eule, ist doch nur ein Teufel, dessen Herz einen Abgrund von Unrath, so tief als die Hoelle, in sich hat. Claudio. Der priesterliche Angelo? Isabella. O das ist die betruegerische Liverey der Hoelle, den verdammtesten Koerper in priesterliches Gewand einzuhuellen. Kanst du glauben, Claudio, dass wenn ich ihm meine Jungfrauschaft ueberlassen wollte, du frey werden koenntest? Claudio. O Himmel! das kan nicht seyn. Isabella. So ist es; diese Nacht ist die Zeit, da ich thun soll, was ich zu nennen verabscheue, oder morgen stirbst du. Claudio. Du sollst es nicht thun. Isabella. O! waer' es nur mein Leben, ich wollt es fuer deine Befreyung so willig hinwerfen, als eine Steknadel. Claudio. Ich danke dir, meine theurste Isabella. Isabella. Bereite dich also morgen zu sterben, Claudio. Claudio. Ja. So hat er auch solche Begierden, die das Gesez in die Nase beissen, wenn er es uebertreten will--Gewisslich, es ist keine Suende, oder es ist doch wenigstens von den sieben Todsuenden die lezte. Isabella. Was ist die lezte? Claudio. Wenn es so verdammlich waere, wuerde er, der ein so weiser Mann ist, um die Lust eines Augenbliks ewig verdammt seyn wollen? O Isabella -- Isabella. Was sagt mein Bruder? Claudio. Tod ist ein fuerchterliches Ding. Isabella. Und ein schaendliches Leben ein hassenswuerdiges. Claudio. Ja, aber sterben, und gehn wo man nicht weiss wohin; in kalter Erstarrung da ligen und verfaulen; diese warme gefuehlvolle Bewegung zum starren Kloz werden, indess dass der wollustgewohnte Geist sich in feurigen Fluthen badet, oder in Gegenden von aufgehaeuftem Eyss erstarret, oder in unsichtbare Winde eingekerkert mit rastloser Gewalt rund um die schwebende Welt getrieben wird; oder noch unseliger ist als das unseligste, was zuegellose und schwaermende Gedanken heulend sich vorbilden--Das ist entsezlich! Das armseligste Leben, mit allem Ungemach belastet, was Alter, Krankheit, Duerftigkeit und Gefangenschaft der Natur auflegen koennen, ist ein Paradies gegen das, was wir auf den Tod fuerchten. Isabella. O weh! Claudio. Liebste Schwester, lass mich leben. Wenn das Suende seyn kan, wodurch du deines Bruders Leben erkaufst, so spricht die Natur so nachdrueklich fuer eine solche That, dass sie zur Tugend wird. Isabella. O! du Thier! O! du ehrlose Memme! O! du schaendlicher Elender! Willt du durch mein Verbrechen zum Menschen gemacht werden? Ist es nicht eine Art von Blutschande, dein Leben von deiner eignen Schwester Schaam zu empfangen? Was muss ich denken? Moege der Himmel verhuetet haben, dass meine Mutter meinem Vater untreu gewesen; ein so niedertraechtiges Unkraut konnte nicht aus seinem Blut entstehen. Stirb, vergeh Elender! Koennt ich dich durch einen blassen Kniefall vom Tod erretten, ich wollt es nicht thun. Ich will tausend Gebette fuer deinen Tod sprechen, und nicht ein Wort, dich zu retten. Claudio. Nein, hoere mich, Isabella. Isabella. O Pfui, Pfui, Pfui, deine Suende, izt seh ichs, ist kein Fall, sondern ein Handwerk; Gnade gegen dich wuerde selbst zur Kupplerin werden; das beste ist, du sterbest ungesaeumt. Claudio. O hoere mich, Isabella. Dritte Scene. (Der Herzog und der Kerkermeister zu den Vorigen.) Herzog. Ein Wort mit euch, junge Schwester, nur ein Wort. Isabella. Was ist euer Begehren? Herzog. Wenn eure Zeit es zuliesse, so moecht ich eine kleine Unterredung mit euch haben, deren Inhalt zu euerm eignen Besten abzielt. Isabella. Ich habe keine ueberfluessige Zeit; ich muss mein Verweilen andern Geschaeften stehlen; aber doch will ich noch eine Weile hier bleiben, euch anzuhoeren. Herzog. Sohn, ich habe gehoert was zwischen euch und eurer Schwester vorgegangen ist. Angelo hat nie den Vorsaz gehabt sie zu verfuehren; seine Absicht war nur, ihre Tugend auf die Probe zu stellen, und er ist erfreut dass sie ihn so muthig abgewiesen hat. Ich bin des Angelo Beichtiger, und weiss dass diss wahr ist; bereitet euch also zum Tode. Entkraeftet eure Entschlossenheit nicht durch betruegliche Hoffnungen; morgen muesst ihr sterben; auf eure Knie nieder, und bereitet euch zu! Claudio. Lasst mich meine Schwester um Verzeihung bitten. Die Liebe zum Leben ist mir so vergangen, dass ich froh seyn werde, davon los zu kommen. (Claudio geht ab.) Herzog. Gehabt euch wohl. Kerkermeister, ein Wort mit euch. Kerkermeister. Was ist euer Wille, Vater? Herzog. Dass ihr euch ein wenig entfernen sollt; lasst mich eine Weile bey dieser Schwester; mein Habit und mein Character sind euch Buerge, dass sie von meiner Gesellschaft nichts zu besorgen hat. Kerkermeister. Das kan wohl geschehen. (Geht ab.) Herzog. Das Gluek hat es so gefuegt, dass ich von dem Anfall, den Angelo auf eure Tugend gethan hat, benachrichtiget worden bin; und wenn diese Gebrechlichkeit nicht durch andre Beyspiele begreiflich gemacht wuerde, so wuerde sie mich an Angelo wundern: aber was wollt ihr thun, diesen Statthalter zu befriedigen, und euern Bruder zu retten? Isabella. Ich bin im Begriff ihm meinen Entschluss zu melden; ich will lieber, mein Bruder sterbe durch das Gesez, als mein Sohn werde gegen das Gesez gebohren. Aber, o! wie sehr hat sich der gute Herzog in diesem Angelo betrogen! Wenn er jemals wieder zuruek koemmt, und ich vor ihn kommen kan, so will ich die Sprache verliehren, oder ihm diese schaendliche Regierung entdeken. Herzog. Das wird nicht uebel gethan seyn; aber so wie die Sache izt steht, wird Angelo eure Anklage unkraeftig machen; er wird sagen, er habe euch nur auf die Probe gesezt. Hoeret also meinen Rath; meine Begierde Gutes zu thun, giebt mir ein Mittel ein: Mich daeucht, ihr koenntet auf die unschuldigste Art und zu gleicher Zeit einem armen beleidigten Frauenzimmer einen Dienst leisten den sie verdient, euerm Bruder das Leben retten, und euch dem abwesenden Herzog nicht wenig gefaellig machen, wenn er jemals wiederkommen, und von dieser Sache hoeren sollte. Isabella. Redet weiter; ich habe Muth genug alles zu unternehmen, wovon mein Herz mir nicht sagt, dass es unrecht ist. Herzog. Die Tugend ist herzhaft, und die Guete niemals furchtsam. Habt ihr nicht von einer gewissen Mariana gehoert, einer Schwester des Schiffhauptmann Friedrichs der auf dem Meer verungluekte? Isabella. Ich habe viel Gutes von diesem Frauenzimmer sagen gehoert. Herzog. Sie sollte dieser Angelo geheurathet haben, er hatte sich mit ihr versprochen, und der Hochzeit-Tag war schon angesezt: Allein waehrend der Zwischenzeit hatte Friedrich das Ungluek, in einem Schiffbruch sein Vermoegen, seiner Schwester Erbtheil, und sein Leben zu verliehren. Die arme Fraeulein verlor dadurch einen edeln und angesehnen Bruder der sie zaertlichst liebte, mit ihm ihr Heurathgut, und mit beyden ihren Braeutigam, diesen scheinbaren Angelo. Isabella. Ist das moeglich? Angelo verliess sie? Herzog. Verliess sie in Thraenen, und troknete nicht eine derselben mit seinem Trost ab, brach sein Geluebde unter dem Vorwand einige Fleken an ihrer Ehre entdekt zu haben; kurz, ueberliess sie ihrem Elend, und den Schmerzen die sie um seinetwillen leidet-- Isabella. Wie wohl wuerde der Tod thun, wenn er dieses arme Maedchen aus der Welt naehme! Und wie ungerecht ist dieses Leben, dass es einen solchen Mann leben laesst! Aber wie kan ihr geholfen werden? Herzog. Es ist ein Bruch, den ihr leicht heilen koennet; und die Heilung desselben rettet nicht nur euern Bruder, sondern macht auch dass ihr ihn ohne Verlezung eurer Ehre retten koennet. Isabella. Wie kan das geschehen, mein guter Vater? Herzog. Die vorbenannte Person hegt noch immer ihre erste Leidenschaft; sein ungerechter Kaltsinn, der ihre Liebe billig ausgeloescht haben sollte, hat sie, gleich einem Hinderniss das dem Lauf eines Stroms entgegensieht, nur heftiger und unordentlicher gemacht. Geht ihr zu Angelo, antwortet seinem Begehren durch den Verspruch eines verstellten Gehorsams; gestehet ihm die Hauptsache zu, nur behaltet euch diese Bedingungen vor, dass ihr euch nicht lange bey ihm verweilen muesset, dass die Zeit von Dunkelheit und Stillschweigen begleitet sey, und der Ort die Bequemlichkeiten habe, die ein Geheimniss erfodert. Gesteht er euch dieses zu, so geht alles nach unserm Wunsche; wir unterrichten alsdenn dieses beleidigte Maedchen, sich zur gesezten Stunde an euern Plaz zu stehlen; dieses kan, wenn die Wahrheit sich in der Folg' entdekt, ihn noethigen ihr Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, euer Bruder kommt dadurch in Freyheit, eure Ehre bleibt unbeflekt, die arme Mariana wird versorgt, und dem Stadthalter wird die Larve abgezogen. Ich nehm' es ueber mich, das gute Maedchen dazu vorzubereiten; wenn euch dieser Entwurf sonst gefaellt, so braucht ihr euch kein Bedenken zu machen; das dreyfache Gute das daraus entspringt, macht den Betrug untadelhaft. Was duenkt euch hiezu? Isabella. Die Vorstellung davon beruhigt mich bereits und ich hoffe der Ausgang werde erfreulich seyn. Herzog. Es kommt alles auf euern Beytrag an; eilet unverzueglich zu Angelo; wenn er euch um diese Nacht bittet, so sagt es ihm zu, unter den Bedingungen, die wir abgeredt haben. Ich will indessen zu Marianen gehen; fraget mir bey St. Lucas wieder nach, und macht dass ihr von Angelo bald zuruekkommt. Isabella. Ich danke euch fuer diesen Beystand; lebet wohl indessen, mein guter Vater. (Sie gehen ab.) Vierte Scene. (Die Straasse.) (Der Herzog als ein Moench, Ellbogen, Harlequin, und Stadtbediente.) Ellbogen. Was wird noch aus der Welt werden, wenn man euch das Handwerk nicht legt, Maenner und Weiber wie das liebe Vieh zu verkauffen? Fort, fort, euers Weges--He! Gott gruess euch, guter Pater Bruder. Herzog. Und euch, guter Bruder Vater, was hat dieser Mann begangen, mein Herr? Ellbogen. Beym Sapperment, Herr, er hat wider das Gesez gesuendiget, und, Herr, wir glauben er sey ein Dieb dazu, Herr; denn wir haben einen seltsamen Schluessel-Haken bey ihm gefunden, Herr, den wir dem Stadthalter geschikt haben. Herzog. Pfui, du Schurke, ein H** Wirth, ein schaendlicher H** Wirth! Du lebst von dem Boesen das du verursachst. Hast du auch einmal daran gedacht, was das ist, von einem so unflaetigen Laster den Magen zu fuellen, oder den Rueken zu kleiden? Sage zu dir selbst: Von ihren abscheulichen viehischen Betastungen, ess' ich, trink' ich, kleid' ich mich und lebe. Kanst du das fuer ein Leben halten, das von einem so stinkenden Unterhalt abhaengt? Geh, bessre dich, bessre dich! Harlequin. In der That, es stinkt in gewisser Maasse, Herr; aber doch, Herr, wollt' ich beweisen koennen-- Herzog. Was willt du beweisen? Du bist ein verstokter Bube. Fuehr ihn in den Kerker, Commiss; Zuechtigung und Unterricht muessen zugleich wuerken, um ein so wildes Vieh zahm zu machen. Ellbogen. Er muss vor den Stadthalter, Herr; er ist gewarnet worden; der Stadthalter kan einen H** Wirth nicht leiden. Wenn er ein H** Wirth ist, und kommt vor den Stadthalter, so waer' es ihm eben so gut, er waer' eine halbe Stunde weit von ihm. Harlequin. Hier kommt ein junger Herr von meinen guten Freunden. Fuenfte Scene. (Lucio zu den Vorigen.) Lucio. Wie gehts, edler Pompey? Wie? in Caesars Fesseln? Wirst du im Triumph gefuehrt? Wie? war keine von Pygmalions Statuen, die kuerzlich wieder zu einem Weib gemacht worden*, die man haette dafuer beym Kopf kriegen koennen, dass sie die Hand in eine Tasche gestekt, und eine Faust wieder herausgezogen? He! was sagst du zu dieser neuen Methode? So gieng es nicht unter der lezten Regierung. Ha? Was sagst du, Pflastertreter? wie gefaellt dir diese neue Welt? Du wanderst, daeucht mich, ins Gefaengniss? {ed.-* Das ist: Die aus der Salivations-Cur gekommen. Warbuerton.} Harlequin. Ihr habt's errathen, mein Herr. Lucio. Das laesst sich hoeren, Pompey, Gluek zu; allenfalls kanst du sagen, ich habe dich wegen einer Schuld dahin geschikt; oder warum-- Ellbogen. Weil er ein H** Wirth ist, ein H** Wirth. Lucio. Gut, so sezt ihn immer ein; wenn das die Straffe ist die einem H** Wirth gehoert, so geht die Sache in ihrer Ordnung. Ein H** Wirth ist er, das hat seine Richtigkeit, und das nicht erst von gestern her; er ist ein gebohrner H** Wirth. Guten Abend, Pompey; mein Compliment an das Gefaengniss, Pompey; ihr werdet nun ein braver Hausmann werden, Pompey, ihr werdet huebsch das Haus hueten. Harlequin. Ich hoffe Euer Gnaden werden Buerge fuer mich seyn. Lucio. Nein, wahrhaftig, das werd ich nicht, Pompey; es verlohnt sich der Muehe nicht; ich will um die Verlaengrung eurer Gefangenschaft bitten; schikt ihr euch nicht geduldig drein, desto schlimmer fuer euch; fahr wohl, ehrlicher Pompey. Guten Abend, Bruder! Herzog. Ebenfalls. Lucio. Mahlt sich Brigitte noch immer, Pompey? ha? Ellbogen. Fort euers Weges, Herr, fort. Lucio. Munter, Pompey, es muss schon seyn. Was giebts neues, Frater, was Neues? Ellbogen. Fort, Herr, geht euers Weges. Lucio. Geh, in den Stall, Pompey, geh. (Ellbogen, Harlequin und Bediente geben ab.) Sechste Scene. Lucio. Was giebts neues, Frater, vom Herzog? Herzog. Ich weiss nichts; wisst ihr etwas? Lucio. Einige sagen, er sey bey dem Russischen Kayser; andre, er sey in Rom; aber wo meynt ihr, dass er ist? Herzog. Das weiss ich nicht, aber wo er auch seyn mag, wuensch' ich ihm Gutes. Lucio. Das war ein wunderlicher Einfall von ihm, sich aus dem Staat wegzustehlen, und auf der Betteley herumzuziehen, die seines Handwerks nicht ist. Der Herr Angelo haelt indessen huebsch Haus, er beunruhiget die Uebertretung, dass es nicht auszustehen ist. Herzog. Daran thut er wohl. Lucio. Ein wenig mehr Gelindigkeit gegen die Galanterie moechte nicht schaden; in diesem Stuek ist er ein wenig zu streng, Bruder. Herzog. Ein so verfuehrisches Laster kan nur durch Strenge geheilt werden. Lucio. Frater, so lang essen und trinken nicht abgeschaft werden kan, wird es unmoeglich seyn, es ganz auszurotten. Man sagt, dieser Angelo sey nicht durch den ordentlichen Weg der Natur von einem Mann und einem Weib entstanden; ist es wahr, was daeucht euch? Herzog. Wie soll er denn entstanden seyn? Lucio. Einige erzaehlen, eine Wassernixe habe ihn gebrutet; andre, er sey von zwey Stokfischen gezeugt worden. Soviel ist gewiss, dass wenn er das Wasser abschlaegt, sein Urin gleich zu Eis gefriert; ich weiss dass es wahr ist, und dass er zur Zeugung unfaehig ist, daran ist auch nicht zu zweifeln. Herzog. Ihr scherzet, mein Herr-- Lucio. Zum Henker, was fuer eine Unbarmherzigkeit ist es von ihm, um der Empoerung eines H*s*nlazes willen einem ehrlichen Kerl das Leben zu nehmen? Haette der abwesende Herzog das gethan? Ehe er jemand, und wenn es auch um hundert Bastarte willen gewesen waere, haette haengen lassen, ehe haette er fuer tausend das Kostgeld aus seinem Beutel bezahlt. Er liebte das Spiel selbst ein wenig, und das machte ihn gelinde. Herzog. Ich habe nie gehoert, dass man den abwesenden Herzog mit Weibsleuten im Verdacht gehabt haette; seine Neigung gieng nicht dahin. Lucio. O mein Herr, ihr betruegt euch sehr. Herzog. Es ist nicht moeglich. Lucio. Wie? der Herzog nicht? Das alte Mensch, das fuer euch bettelt, koennte euch davon sagen; er warf ihr nicht umsonst allemal einen Ducaten in ihre Buechse. Der Herzog hat seine Schliche. Er liebte auch den Trunk, das koennt ihr mir glauben. Herzog. Gewisslich, ihr thut ihm unrecht. Lucio. Herr, ich war ein Vertrauter von ihm; ein schlauer Bursche ist der Herzog, und ich glaube ich weiss warum er sich entfernt hat. Herzog. Ich bitte euch, was mag die Ursache seyn? Lucio. Um Vergebung, das ist ein Geheimniss, davon sich nicht reden laesst; aber so viel kan ich euch zu verstehen geben; der groeste Theil seiner Unterthanen hielt den Herzog fuer weise? Herzog. Weise? wie, es ist wohl keine Frage, ob er es war. Lucio. Ein sehr superficieller, unwissender, unbedaechtlicher Geselle. Herzog. Entweder ist es Neid, oder Narrheit oder Irrthum dass ihr so redet. Sein ganzes Leben, und alle seine oeffentlichen Handlungen geben ihm ein besseres Zeugniss; und der Neid selbst muss gestehen, dass er gelehrt, ein Staatsmann und ein Soldat ist. Ihr sprecht also sehr unbesonnen; oder wenn es nicht aus Mangel an Einsicht geschieht, so verrathet ihr viel Bosheit. Lucio. Herr, ich kenn' ihn und ich lieb' ihn. Herzog. Ihr wuerdet ihn besser lieben wenn ihr in kenntet, und ihn besser kennen wenn ihr ihn liebtet. Lucio. Gut, Herr, ich weiss was ich weiss. Herzog. Ich kan es schwerlich glauben, da ihr nicht wisst was ihr redet. Wofern aber der Herzog wieder zuruekkommt, so gestattet dass ich von euch begehre, euch bey ihm zu verantworten. Habt ihr die Wahrheit gesagt, so werdet ihr auch Herz haben, sie zu behaupten; meine Schuldigkeit ist, euch dazu aufzufordern, und ich bitte euch desswegen um euern Namen. Lucio. Herr, mein Name ist Lucio, der Herzog kennt ihn wohl. Herzog. Er wird euch noch besser kennen lernen, wenn ich so lange lebe, ihm Nachricht von euch geben zu koennen. Lucio. Ich fuerchte euch nicht. Herzog. O! ihr hoft, der Herzog werde nicht wieder kommen, oder ihr bildet euch ein ich sey ein Gegner, der euch nicht schaden koenne; und in der That, ich werde euch wenig schaden, denn ihr werdet alles was ihr hier gesagt habt, wieder abschwoeren. Lucio. Erst will ich mich haengen lassen; du kennst mich nicht, Frater. Doch nichts weiter hievon. Kanst du sagen, ob Claudio morgen stirbt oder nicht? Herzog. Warum sollt' er sterben, mein Herr? Lucio. In der That ist es hart, einem darum den Kopf zu nehmen, weil er die Hosen herunter gelassen hat; denn das ist doch zulezt alles, was er gethan hat. Ich wollte, der Herzog von dem wir reden, waere wieder da; dieser unvermoegende Statthalter wird das ganze Land durch Enthaltsamkeit entvoelkern. Er leidet nicht, dass die Sperlinge in seinem Hause nisten, weil sie Liebhaber vom Paaren sind. Der Herzog wuerde Dinge, die im Finstern geschehen, auch im Finstern ausmachen; er wuerde sie gewiss nicht ans Licht ziehen. Ich wollt' er waere wieder da! Leb' wohl, mein guter Frater; ich bitte um dein Gebet. Der Herzog, ich sag dir's noch einmal, macht sich nichts daraus, an einem Freytag von einer Schoepskeule zu essen; seine Zeit ist noch nicht vorbey; ich versichre dich, er wuerde eine Bettlerin schnaebeln, wenn sie gleich nach schwarz Brot und Knoblauch roeche. Sag, ich hab' es gesagt, und gehab dich wohl. (Lucio geht ab.) Herzog. Weder Macht noch Hoheit kan dem Tadel entgehen, und die hinterrueks verwundende Verlaeumdung scheuet sich nicht, die weisseste Tugend anzugeifern. Siebende Scene. (Escalus, Kerkermeister, Kupplerin, und Stadtbediente.) Escalus. Geht, fuehrt sie ins Gefaengniss. Kupplerin. Ach, Gnaediger Herr, schonet meiner; Euer Gnaden wird von jedermann fuer einen so mitleidigen Herrn gehalten! Ach mein guetiger Herr! Escalus. Doppelt, dreyfach gewarnt werden, und doch immer in dem gleichen Verbrechen fortzufahren--das koennte die Gnade selbst zum Tyrannen machen. Kerkermeister. Eine H** Wirthin, die das Handwerk eilf ganzer Jahre hinter einander treibt, mit Euer Gnaden Erlaubniss. Kupplerin. Gnaediger Herr, das geschieht alles auf Anstiften eines gewissen Lucio; Jungfer Kaethchen Legdich wurde schwanger von ihm, in des Herzogs Zeiten; er versprach ihr die Ehe; sein Kind ist auf naechsten Philippi und Jacobi fuenf Virtheil Jahr alt; ich hab es selbst unterhalten, und das ist nun der Dank den er mir davor giebt. Escalus. Dieser Lucio ist ein sehr ausgelassener Bursche; lasst ihn vor uns ruffen. Weg mit ihr ins Gefaengniss; fort, fort, keine Worte mehr. (Sie gehen mit der Kupplerin ab.) Kerkermeister, mein Bruder Angelo laesst sich nicht ueberreden; Claudio muss morgen sterben, versorget ihn mit Geistlichen, und mit allem was er zu seiner Vorbereitung noethig hat. Wenn mein Mitleiden ihm etwas helfen koennte, sollte es nicht so seyn. Kerkermeister. Dieser Franciscaner ist bey ihm gewesen, und hat ihn zum Tod vorbereitet. Escalus. Guten Abend, Vater. Herzog. Heil und Segen sey mit euch! Escalus. Woher seyd ihr? Herzog. Nicht aus diesem Land, ob es mich gleich getroffen hat, eine Zeitlang mich darinn aufzuhalten; ich bin ein Bruder aus einem gesegneten Orden, und vor kurzem mit einem besondern Auftrag von seiner Heiligkeit ueber das Meer gekommen. Escalus. Was giebt es Neues in der Welt? Herzog. Nichts, als eine Neuigkeit die so alt ist als die Welt, und die doch die Neuigkeit jedes Tages ist, dass die Tugend siech und das Laster munter, und dass es leichter ist, das Boese zu strafen als selbst unverwerflich zu seyn. Ich bitte euch, mein Herr, von was fuer einer Denkungsart war der Herzog? Escalus. Von einer, die sich nichts angelegner seyn laesst, als sich selbst zu kennen. Herzog. Was fuer einem Vergnuegen war er ergeben? Escalus. Wenn er sich ueber etwas freute, so war es mehr ueber die Freude andrer Leute, als dass er an irgend etwas, das ihn belustigen wollte, eine sonderliche Lust gehabt haette. Doch wir wollen ihn seinen Geschaeften ueberlassen, und nur bitten, dass sie glueklich seyn moegen; erlaubet mir euch zu fragen, wie findet ihr den Claudio vorbereitet? Ich hoere, dass ihr ihn besucht habt. Herzog. Er bekennt, dass ihm sein Richter nicht zuviel gethan habe, und ergiebt sich mit gelassner Demuth in den Willen der Gerechtigkeit; doch hat er Schwachheit genug gehabt, sich allerley betruegliche Hoffnungen zum Leben zu machen, die ich ihm aber so benommen habe, dass er izt entschlossen ist zu sterben. Escalus. Ihr habt gegen den Himmel und den Gefangnen die Pflichten euers Berufs erfuellt. Ich habe mir fuer den armen Edelmann so viel Muehe gegeben, als es die Bescheidenheit zuliess; allein ich habe meinen Collegen Angelo so strenge gefunden, dass er mich genoethiget hat ihm zu sagen, er sey in der That die Gerechtigkeit selbst. Herzog. Wenn sein eignes Leben mit der Strenge seines Richter-Amts uebereinstimmt, wird es ihm wohl bekommen; wo nicht, so hat er sich selbst das Urtheil gesprochen. Escalus. Ich gehe den Gefangnen zu besuchen; lebet wohl. (Er geht ab.) Achte Scene. (Der Herzog allein.) Herzog. Wer das Schwerdt des Himmels tragen will, soll eben so heilig und unverwerflich seyn als er streng ist. Schaam ueber den, dessen tyrannische Hand die Verbrechen an andern bestraft, die er sich selbst nachsieht; dreyfache Schaam ueber Angelo, der andrer Laster ausreutet, und die seinigen wachsen laesst. O! was fuer Unrath kan in einem Menschen verborgen seyn, wenn er von aussen gleich ein Engel scheint! Wie leicht ist's dem Laster, unter dieser Gestalt, die Welt und die Zeit selbst zu betruegen, und mit schwachen Spinnenfaden die gewichtigsten Dinge, Reichthum, Macht und Ehre, an sich zu ziehen. Ich muss List gegen Laster gebrauchen. Diese Nacht soll seine ehmalige verlassne und verschmaehte Braut bey dem Angelo ligen, um durch einen unschuldigen Betrug die keusche Unschuld zu befreyen, und einen alten Eheverspruch gueltig zu machen. Vierter Aufzug. Erste Scene. (Eine Scheuer.) (Mariane und ein kleiner Knabe treten singend auf. Der Herzog als ein Franciscaner-Moench kommt dazu.) Mariane. Hoer auf zu singen, und begieb dich eilends hinweg. Hier kommt ein Mann des Trostes, dessen Zuspruch schon oft meinen murrenden Kummer gestillet hat-- (Zum Herzog.) Ich bitte euch um Vergebung, mein ehrwuerdiger Herr, und wuenschte, dass ihr mich hier nicht so musicalisch angetroffen haettet; entschuldiget mich und glaubet mir, diese erzwungne Froelichkeit ist nur ein schwaches Lindrungsmittel meines Schmerzens. Herzog. Es ist gut; obgleich die Musik oft eine so zaubrische Kraft hat, dass sie das Boese gut und das Gute boese machen kan. Ich bitte euch, hat niemand hier nach mir gefragt; es wird schon ueber die Zeit seyn, da ich versprochen habe, mit jemand an diesem Orte zusammen zu kommen. Mariane. Es hat niemand bey mir nach euch gefragt, ob ich gleich den ganzen Tag hier gesessen bin. (Isabella kommt.) Herzog. Ich glaube euch in allen Sachen;--Die Zeit ist gekommen, eben izt-- Ich muss euch um ein wenig Geduld bitten; ich werde euch sogleich wieder zuruek rufen, um von einer Sache mit euch zu sprechen, die zu euerm Besten abgezielt ist. Mariane. Ich werde euern Befehl erwarten. (Sie geht ab.) Zweyte Scene. Herzog. Willkommen, Isabella, ihr haltet euer Wort genau; was giebt es Neues von dem ehrlichen Stadthalter? Isabella. Er hat einen Garten, der mit einer Mauer von Ziegelsteinen eingeschlossen ist, und an der West-Seite an einen Weinberg stoesst; hier ist der Schluessel, der das Thor in diesen Weinberg aufschliesst; und hier ein andrer, der eine kleine Thuer oeffnet, die aus dem Weinberg in den Garten fuehrt. Hier habe ich versprochen, in der finstern Mitternacht ihm einen Besuch zu geben. Herzog. Aber seyd ihr auch gewiss, den Weg zu finden? Isabella. Er hat mir denselben mit einer so grossen Sorgfalt zu wiederholten malen gezeigt, dass ich ihn ganz genau angeben kan. Herzog. Sind keine andre Verabredungen zwischen euch genommen worden, die das Frauenzimmer wissen muss, das eure Stelle vertreten wird? Isabella. Keine andre, als dass die Zusammenkunft im Finstern geschehen soll; und dass ich ihm beygebracht, mein Aufenthalt koenne nur sehr kurz seyn, indem ich mit einer Magd kommen werde, die, in der Meynung, dass ich eine heimliche Zusammenkunft mit meinem Bruder habe, auf mich warten solle. Herzog. Das ist wohl ausgesonnen. Aber ich habe Marianen noch kein Wort von der Sache entdekt. Ha! kommt heraus, wenn es euch beliebt! Dritte Scene. (Mariane zu den Vorigen.) Herzog (zu Isabella.) Ich bitte euch, macht Bekanntschaft mit diesem jungen Frauenzimmer; sie kommt, euch Gutes zu thun. Isabella. Ich wuensche, dass es zu ihrem eignen Besten ausschlage. Herzog (zu Mariane.) Seyd ihr ueberzeugt, dass ich euch hoch schaeze? Mariane. Mein guetiger Vater, ich bin vollkommen ueberzeugt, und habe Proben davon. Herzog. So nehmt dann diese eure Freundin bey der Hand, und hoeret die Geschichte, die sie euch zu erzaehlen hat; ich will hier auf eure Zuruekkunft warten; aber beschleuniget euch; die Nacht bricht an. (Mariane und Isabella gehen ab.) Herzog (allein.) * O Macht und Groesse. Millionen falscher Augen sind auf dich geheftet; ganze Baende voll unaechter und widersprechender Nachrichten verfaelschen deine Thaten; und tausend halbkluge Wizlinge machen dich zum Vater ihrer muessigen Traeume, und foltern dich in ihrer Einbildung--Willkommen! Wie versteht ihr euch mit einander? {ed.-* Diese Rede, die augenscheinlicher Weise keinen begreiflichen Zusammenhang mit dem Inhalt dieser Scene hat, gehoert, nach des Dr. Warbuertons Meynung, zum Schluss der Scene zwischen Lucio und dem Herzog in dem vorigen Aufzug; und ist, wie er glaubt, von den Schauspielern, die es nicht so genau zu nehmen pflegen, hieher versezt worden, damit der Herzog in der Abwesenheit der beyden Damen keine lange Weile habe.} Vierte Scene. (Mariane und Isabella kommen zuruek.) Isabella. Sie will die Verrichtung auf sich nehmen, wenn ihr nichts dawider einzuwenden habt, Vater. Herzog. Ich gebe nicht nur meine Einwilligung, sondern ich bitte euch darum. Isabella. Wenn ihr euch wieder wegbegebet, so braucht ihr ihm nichts zu sagen, als mit leiser Stimme: ("Erinnert euch nun meines Bruders.") Mariane. Seyd unbekuemmert-- Herzog. Auch seyd ihr es nicht um euer selbst willen, meine liebe Tochter. Ein gueltiger Eheverspruch macht ihn zu euerm Gemahl, und es ist also keine Suende euch so zusammen zu bringen, indem die Gerechtigkeit euers Anspruchs an ihn den Betrug unschuldig macht. Kommt, lasst uns gehen; wir haben das wichtigste noch vor uns. (Sie gehen ab.) Fuenfte Scene. (Das Gefaengniss.) (Der Kerkermeister und Harlequin.) Kerkermeister. Hieher, Bursche, koennt ihr einem Mann den Kopf abschlagen? Harlequin. Wenn der Mann ein Junggeselle ist, Herr, so kan ich's; wenn er aber ein Ehemann ist, so ist er seines Weibes Haupt; und ich kan unmoeglich einem Weibsbild den Kopf abschlagen.* {ed.-* Der Spass ligt hier in einem Wortspiel, das sich nicht uebersezen laesst.} Kerkermeister. Lasst eure Schaekereyen, Herr, und gebt mir eine gescheidte Antwort. Morgen frueh sollen Claudio und Bernardin sterben; wir haben hier in diesem Gefaengniss einen oeffentlichen Scharfrichter, der einen Gehuelfen noethig hat; wenn ihr euch entschliessen wollt, dieser Gehuelfe zu seyn, so wird es euch von euern Fesseln frey machen; wo nicht, so macht euch gefasst eure volle Zeit im Gefaengniss auszuhalten, und bey eurer Entlassung eine unbarmherzige Tracht Pruegel mit auf den Weg zu bekommen; denn ihr wisst, dass ihr ein stadtkuendiger H** Wirth gewesen seyd. Harlequin. Herr, ich bin ein unehrlicher H** Wirth gewesen; doch, das ist nun vorbey, und man redt nicht gerne davon; ich bin es zufrieden, nun ein ehrlicher Henker zu werden; es wird mir ein Vergnuegen seyn, einigen Unterricht von meinem Herrn Collegen zu erhalten. Kerkermeister. Holla, Abhorson! Wo ist Abhorson? (Abhorson kommt.) Abhorson. Ruft ihr mir, mein Herr? Kerkermeister. Hier ist ein Kerl, der euch morgen bey Hinrichtung der Verurtheilten helfen will; wenn ihr es gut findet, so vergleicht euch mit ihm fuer ein Jahr, und behaltet ihn hier bey euch; wo nicht, so braucht ihn fuer diesesmal, und lasst ihn wieder seines Weges gehen. Er kan sich nicht beschweren, dass er mit euch in die gleiche Linie gestellt wird; er ist ein H** Wirth gewesen. Abhorson. Ein H** Wirth, mein Herr? Pfui, er wird unsre Kunst in einen boesen Ruf bringen. Kerkermeister. Geht, geht, und macht euch keinen Scrupel; ihr waegt gleich viel; eine Feder wuerde die Wagschalen verrueken. (Er geht ab.) Harlequin (zu Abhorson.) Ich bitte euch, mein Herr, mit eurer Erlaubniss, nennt ihr eure Beschaeftigung eine Kunst? Abhorson. Ja, Herr, eine Kunst. Harlequin. Mahlen, Herr, hab ich sagen gehoert, ist eine Kunst, und da eure H**, welche sich sehr gut auf das Mahlen verstehen, Mitglieder meiner Zunft sind, so ist also bewiesen, dass meine Beschaeftigung eine Kunst ist; aber was fuer eine Kunst--im Haengen seyn sollte, wenn ich gehenkt wuerde, kan ich mir nicht vorstellen-- ** (Der Kerkermeister kommt zuruek.) {ed.-** Hier ist, nach Herrn Warbuertons Anmerkung, eine ziemliche Lueke im Original, welche auch die zwey Reden, die noch uebrig sind, ganz unverstaendlich macht. Es verlohnt sich der Muehe nicht, diese Scene ergaenzen zu wollen, da sie selbst nach Warbuertons darauf uebelangewandter Arbeit ein abgeschmaktes Gewebe von albernen Wortspielen bleibt.} Kerkermeister. Seyd ihr mit einander uebereingekommen? Harlequin. Herr, ich bin entschlossen, sein Knecht zu seyn; denn es daeucht mich, ein Henker zu seyn ist ein bussfertigeres Gewerbe als ein H** Wirth zu seyn; er bittet oefter um Verzeihung. Kerkermeister. Macht euern Blok und euer Beil zu rechte, bis morgen um vier Uhr. Abhorson. Komme mit, H**bube, ich will dir zeigen wie du dich zu deinem neuen Handwerk anschiken must; folge mir. Harlequin. Ich bin sehr lehrbegierig, Herr; und ich hoffe, wenn ihr etwann Gelegenheit bekommen solltet, mich fuer euch selbst zu gebrauchen, ihr werdet mich eifrig finden; Eure Gewogenheit fuer mich verdient wahrhaftig keine geringere Dankbarkeit von meiner Seiten. (Sie gehen ab.) Kerkermeister. Ruft Claudio und Bernardin hieher; mit dem einen hab' ich Mitleiden; mit dem andren, der ein Moerder ist, nicht ein Jot, und wenn er mein Bruder waere. Sechste Scene. (Claudio kommt herein.) Kerkermeister. Siehe hier, Claudio, dein Todesurtheil; es ist izt Mitternacht, und bis morgen um acht Uhr must du unsterblich gemacht werden. Wo ist Bernardin? Claudio. So stark vom Schlaf gefesselt als ob er unschuldig waere, und nichts zu befuerchten haette. Er wird nicht aufzuweken seyn. Kerkermeister. Und was wuerd' es ihm auch helfen; er ist ein verhaerteter Bube--Gut, begebt euch wieder weg und bereitet euch. (Claudio geht ab.) Still! was fuer ein Getoese ist das?--der Himmel staerke euch!--Ich komme--Hoffentlich ist es Begnadigung, oder doch einiger Aufschub fuer den wakern Claudio--Willkommen, Vater. (Der Herzog kommt herein.) Herzog. Die besten und heilsamsten Geister der Nacht steigen auf euch herab, wakrer Kerkermeister! Wer klopfte seit einiger Zeit hier an? Kerkermeister. Niemand, seitdem die Nachtgloke gelaeutet worden. Herzog. Nicht Isabella? Kerkermeister. Nein. Herzog. So wird sie doch nicht lange mehr ausbleiben. Kerkermeister. Was fuer Hoffnung haben wir fuer den Claudio? Herzog. Es ist noch nicht alle verlohren. Kerkermeister. Der Statthalter ist ein harter Mann. Herzog. Nicht so, nicht so; sein Leben lauft mit seiner strengen Gerechtigkeit in gleicher Linie: Mit der Enthaltung eines Heiligen bezwingt er den Trieb in ihm selbst, dessen Ausschweiffungen sein Amt an andern strafen muss. Ja, dann wenn er selbst ausuebte, was er an andern straft, dann waer' er tyrannisch; aber so wie er ist, ist er gerecht--Nun kommen sie. (Man hoert an der Thuere klopfen. Der Kerkermeister geht hinaus.) Dieser Kerkermeister ist ein wakrer Mann; es ist etwas seltnes an einem Mann von seinem Beruf, ein Menschenfreund zu seyn. Aber was giebts? Was fuer ein Getoese? Das muss ein hastiger Geist seyn, der so ungestuem an der Thuere pocht. (Der Kerkermeister kommt zuruek.) Kerkermeister. Er kan warten, bis der Waechter wieder kommt, der ihn hineinfuehren soll; er ist abgeruffen worden. Herzog. Habt ihr noch keinen Gegenbefehl wegen des Claudio? Muss er morgen sterben? Kerkermeister. Keinen, ehrwuerdiger Herr, keinen. Herzog. Es faengt schon an zu daemmern, Kerkermeister; ihr werdet, eh es Morgen seyn wird, mehr hoeren. Kerkermeister. Wie glueklich waer's, wenn ihr etwas wisstet; aber ich fuerchte, es kommt kein Gegenbefehl; wir haben kein solch Exempel; und zudem, so hat der Stadthalter, auf dem Thron der Gerechtigkeit selbst, und vor den Ohren des ganzen Volks das Gegentheil versichert. Siebende Scene. (Ein Bote zu den Vorigen.) Herzog. Dieses ist einer von Sr. Gnaden Bedienten. Kerkermeister. Und hier kommt Claudios Begnadigung. Bote. Mein Gnaediger Herr ueberschikt euch diesen schriftlichen Befehl, und durch mich diesen muendlichen Zusaz, dass ihr nicht von dem kleinsten Theil desselben abweichen sollt, weder was die Zeit, noch die andern Umstaende betrift. Guten Morgen, denn ich denke, es ist beynahe Tag. Kerkermeister. Ich werde gehorchen. (Der Bote geht.) Herzog (fuer sich.) Diss ist seine Begnadigung; Angelo findet billig eine Suende zu vergeben die er selbst begeht--Nun, mein Herr, was habt ihr Neues? Kerkermeister. Was ich euch sagte; Angelo, der mich vermuthlich fuer nachlaessig in meinem Dienst ansieht, erwekt mich durch dieses ungewoehnliche Betreiben; ich begreiffe nicht was es zu bedeuten hat; denn er hat es noch niemals so gemacht. Herzog. Ich bitte euch, lasst mich's hoeren. Der Kerkermeister (lisst den Befehl.) "Alles was ihr auch diesem meinem Befehl widersprechendes hoeren moeget, ungeachtet, lasset den Claudio morgen um vier Uhr hinrichten, und des Nachmittags den Bernardin; und zu meiner bessern Versicherung sorget dafuer, dass mir der Kopf des Claudio um fuenf Uhr zugeschikt werde. Lasst dieses gehoerig vollzogen werden, und beobachtet hierinn eine noch groessere Sorgfalt als wir euch anbefohlen. Eure eigne Gefahr soll uns fuer die Ausuebung eurer Pflicht Buerge seyn." Was sagt ihr hiezu, mein Herr? Herzog. Wer ist dieser Bernardin, der Nachmittags hingerichtet werden soll? Kerkermeister. Ein gebohrner Zigeuner, der aber hier zu Lande erzogen worden, und schon neun Jahre gefangen ligt. Herzog. Wie kam es, dass der abwesende Herzog ihn nicht entweder in Freyheit sezte, oder hinrichten liess? Ich hoerte, es sey allezeit sein Gebrauch gewesen, es so zu machen. Kerkermeister. Seine Freunde wuerkten immer einen Aufschub nach dem andern aus; und in der That, kam sein Verbrechen, bis izo in der Regierung des Freyherrn Angelo, zu keinem vollstaendigen Beweis. Herzog. Es ist also nun erwiesen? Kerkermeister. Vollkommen erwiesen, und von ihm selbst nicht gelaeugnet. Herzog. Wie hat er sich im Gefaengniss aufgefuehrt? Scheint er geruehrt zu seyn? Kerkermeister. Er ist ein Mann, der sich nicht mehr vor dem Tod fuerchtet, als vor einem trunknen Schlaf; ohne Reue, ohne Kummer und ohne Furcht vor irgend etwas Vergangnem, Gegenwaertigen oder Zukuenftigen, unempfindlich gegen die Unsterblichkeit, und auf eine viehische Art sterblich. Herzog. Es mangelt ihm an Unterricht. Kerkermeister. Er nimmt keinen an; er hat im Gefaengniss allezeit viel Freyheit gehabt; man koennte ihm erlauben, zu entwischen, ohne dass er es thun wuerde; er ist die meiste Zeit vom Tag, und oft ganze Tage hintereinander betrunken. Wir haben ihn oft aufgewekt, als ob wir ihn zur Hinrichtung fuehren wollten, und ihm alle Zuruestungen dazu gezeigt, ohne dass es ihn im mindesten bewegt hat. Herzog. Hernach ein mehrers von ihm. Kerkermeister, Redlichkeit und Standhaftigkeit sind auf eure Stirne geschrieben; wenn ich nicht recht lese, so betruegt mich eine Kunst, in der ich einige Erfahrenheit habe. Ich will mich selbst auf diese gute Meynung hin wagen. Claudio, zu dessen Hinrichtung ihr hier einen Befehl habt, ist kein groesserer Suender gegen das Gesez als Angelo, der ihn verurtheilt hat. Um euch hievon durch eine augenscheinliche Probe zu ueberzeugen, verlange ich nur vier Tage Zeit; fuer welche ich euch um eine eben so verbindliche als gefaehrliche Gefaelligkeit ersuche. Kerkermeister. Und worinn besteht sie, ich bitte euch. Herzog. Den Tod des Claudio aufzuschieben. Kerkermeister. Aber wie kan ichs, da mir die Stunde vorgeschrieben, und der ausdruekliche Befehl bey angedrohter Straffe gegeben ist, sein Haupt dem Angelo vor Augen zu bringen? Die Ueberschreitung des kleinsten Umstands koennte mir das Schiksal des Claudio zuziehen. Herzog. Bey meinem Ordens-Geluebde, ich steh euch fuer alles, wenn ihr meinem Rath Gehoer geben wollt. Lasst diesen Bernardin morgen hingerichtet werden, und schiket dem Angelo seinen Kopf statt Claudios. Kerkermeister. Angelo hat beyde gesehen, und wird den Betrug entdeken. Herzog. O! besorget das nicht, der Tod ist ein Meister im Verstellen, und ihr koennt ihm noch helfen, die Unkenntlichkeit vollkommen zu machen; scheert ihm den Kopf glatt und den Bart weg, und sagt, der arme Suender hab' es vor seinem Ende so haben wollen; ihr wisst, dass es gewoehnlich ist. Wenn ihr irgend etwas anders davon haben werdet, als Dank und gutes Gluek, so will ich, bey dem Heiligen, von dessen Familie ich bin, es mit meinem Leben von euch abwenden. Kerkermeister. Verzeihet mir, mein guter Vater, es ist wider meinen Eid. Herzog. Habt ihr dem Herzog geschworen, oder seinem Stadthalter? Kerkermeister. Dem Herzog, und allen die seine Stelle vertreten wuerden. Herzog. Wollt ihr glauben, dass ihr euch nicht vergehet, wenn der Herzog diese Handlung billiget? Kerkermeister. Wie kan er das, da er abwesend ist? Herzog. Er kan es, weil er es wuerklich thut; da ich sehe dass ihr so furchtsam seyd, dass weder mein Habit, noch meine Redlichkeit, noch meine Ueberredung euch bewegen koennen, so will ich weiter gehen, als ich im Sinn hatte, um alle Furcht in euch auszureuten. Sehet, mein Herr, hier ist des Herzogs Hand und Sigel; ihr kennt ohne Zweifel seine Hand, und das Signet wird euch auch nicht fremde seyn. Kerkermeister. Ich erkenne beydes. Herzog. Der Inhalt dieses Briefs ist die Wiederkunft des Herzogs. Ihr sollt ihn hernach bey Musse ganz durchlesen, ihr werdet finden, dass er binnen diesen zween Tagen hier seyn wird. Diss ist ein Umstand, den Angelo nicht weiss, denn diesen heutigen Tag erhaelt er Briefe von seltsamem Inhalt; vielleicht von des Herzogs Tod; vielleicht dass er in ein Kloster gegangen sey; aber, zum Gluek, nichts von dem was hier geschrieben ist. Seht, der Morgen bricht schon an. Haenget der Verwundrung nicht nach, wie diese Dinge zugehen; alle Schwierigkeiten sind nur leicht, wenn man sie kennt. Ruft euern Nachrichter, und weg mit Bernardins Kopf; ich will sogleich seine Beichte hoeren, und ihm dann an einen bessern Ort Anweisung geben. Ich sehe dass ihr noch erstaunt seyd, aber dieses hier muss euch schlechterdings zum Entschluss bringen. Kommt mit mir, es ist schon beynahe heitrer Tag. Achte Scene. (Harlequin tritt auf.) Harlequin. Ich bin hier so bekannt als ob ich daheim waere; einer moechte denken, es waere Frau Overdons eignes Haus, soviel von ihren alten Kundsleuten trift man hier an. Fuers erste ist hier der junge Herr Rasch, wegen einer Kleinigkeit von braunem Pfeffer und altem Ingwer, hundert und sieben und neunzig Pfund, aus denen er fuenf Mark baares Geld gemacht hat: Meiner Six, der Ingwer muss damals nicht viel Abgang gefunden haben; die alten Weiber muessen alle todt gewesen seyn. Hernach ist hier ein gewisser Herr Caper, auf Ansuchen Meister Three-Pile, des Kraemers, wegen etlicher Stueke Pfersichbluethfarbnen Atlas, welche Herr Caper umsonst gekauft haben moechte. Ferner der junge Schwindel, der junge Herr Kupfersporn, und Monsieur Hungerdarm der Klopffechter, und der junge Herr Luederlich, der den braven Pudding erschlug, und Hr. Schuezen, der grosse Wanderer, und der wilde Halbkanne, der den Pott' erstochen hat, und ich denke, noch vierzig andre, lauter grosse Maenner in unsrer Profession, die izt hier sind, und sehen moegen, wie sie wieder heraus kommen. (Abhorson kommt herein.) Abhorson. Fort, Kerl, Bring den Bernardin hieher. Harlequin. Monsieur Bernardin, ihr sollt aufwachen und euch haengen lassen; Monsieur Bernardin! Abhorson. Holla, ho, Bernardin. Bernardin (hinter der Scene.) Dass ihr die Kraenke kriegt, ihr Hunde! Was fuer einen Lerm macht ihr da? Wer seyd ihr? Harlequin. Herr, euer guter Freund, der Henker; ihr sollt so gut seyn, Herr, und aufstehen und euch erdrosseln lassen. Bernardin (hinter der Scene.) Geh zum T** du Schurke, geh, sag ich; ich bin schlaefrig. Abhorson. Sag ihm, er muesse aufstehen, und das nur gleich. Harlequin. Ich bitte euch, Monsieur Bernardin, wacht nur auf, bis ihr gehenkt seyd, und schlaft denn wieder so lang ihr wollt. Abhorson. Geh zu ihm hinein, und schaff ihn heraus. Harlequin. Er kommt, Herr, er kommt; ich hoere das Stroh rascheln. (Bernardin zu den Vorigen.) Abhorson. Ligt das Beil auf dem Blok, Kerl? Harlequin. Ja, Herr. Bernardin. Wie gehts, Abhorson? Was habt ihr Neues? Abhorson. In gutem Ernst, Herr, ich wollte ihr wuerdet hurtig euer Gebet verrichten; denn, seht hier, der Befehl fuer eure Execution ist da. Bernardin. Ihr Schurke, ich habe die ganze Nacht durch gesoffen, es ist mir izt ungelegen. Harlequin. O, desto besser, Herr; einer der die ganze Nacht trinkt, und des Morgens bey Zeiten gehenkt wird, kan den ganzen naechsten Tag desto ruhiger schlafen. (Der Herzog zu den Vorigen.) Abhorson. Seht, Herr, hier kommt euer geistlicher Vater; meynt ihr noch, dass es nur Spass sey? Herzog. Mein Herr, da ich gehoert habe, wir schnell ihr die Welt verlassen sollt, so komm ich aus Christlicher Liebe bewogen, euch vorzubereiten, zu troesten, und mit euch zu beten. Bernardin. Frater, ich nicht; Ich habe die ganze Nacht stark getrunken, und ich will mehr Zeit zu meiner Vorbereitung haben, oder sie sollen mir das Hirn mit Knitteln ausschlagen; ich werde mich nimmermehr dazu verstehen, heute zu sterben, das ist ausgemacht. Herzog. O, mein Herr, ihr muesst; und also bitte ich euch, bedenket die Reise wohl, die ihr zu machen habt. Bernardin. Ich schwoer euch aber, dass mich kein Mensch in der Welt ueberreden soll, heute zu sterben. Herzog. Aber ihr hoert ja-- Bernardin. Nicht ein Wort; wenn ihr mir etwas zu sagen habt, so kommt in mein Gefaengniss, denn heute soll mich niemand anders wo hin bringen. (Er geht ab.) Neunte Scene. (Der Kerkermeister zu den Vorigen.) Herzog. Er ist ungeschikt zum Leben und zum Sterben: es aengstiget mein Herz! aber es muss seyn--Geht ihm nach, ihr Leute, und fuehrt ihn zu dem Blok. Kerkermeister. Nun, mein Ehrwuerdiger Herr, wie findet ihr den Gefangnen? Herzog. Unbereitet und untuechtig zum Sterben; ihn in der Gemuethsfassung worinn er ist, in die andre Welt zu schiken, waere verdammlich. Kerkermeister. Diesen Morgen, Vater, starb hier im Gefaengniss an einem hizigen Fieber ein gewisser Ragozin, ein sehr beruechtigter Raeuber, ein Mann von Claudios Jahren; Bart und Haar voellig von der nemlichen Farbe; wie wenn wir diesen Ruchlosen gehen liessen, bis er sich besser anlaesst, und den Statthalter mit Ragozins Haupt befriedigten, der dem Claudio aehnlicher sieht? Herzog. O, diss ist ein Zufall, den uns der Himmel geschikt hat; nur hurtig zur Ausfuehrung geschritten; die von Angelo bestimmte Stunde ruekt heran; sorget davor, dass alles seinem Befehl so gemaess eingerichtet werde, dass er den Tausch nicht merken koenne; indessen dass ich mich bemuehen werde, diesen rohen Ungluekseligen zum Tode willig zu machen. Kerkermeister. Es soll alles sogleich geschehen, mein guter Vater; aber Bernardin muss diesen Nachmittag sterben; und wie sollen wir den Claudio laenger hier behalten, ohne dass ich in Gefahr komme, wenn es bekannt wird dass er noch lebt? Herzog. Bringet Claudio und Bernardin jeden in irgend einen geheimen Enthalt; eh die Sonne zweymal untergegangen seyn wird, sollt ihr von eurer Sicherheit durch den Augenschein ueberzeugt werden. Kerkermeister. Ich gehorche euch mit Vergnuegen. Herzog. Schnell, beschleunigt euch, und schiket dem Angelo den Kopf. (Kerkermeister geht ab.) Nun will ich dem Angelo neue Briefe zufertigen, aus denen er ersehen soll, dass ich nahe bey der Stadt bin, und dass wichtige Ursachen mich verbinden, einen oeffentlichen Einzug zu halten; ich will ihm darinn befehlen, mir eine halbe Stunde weit vor der Stadt bis zum heiligen Brunnen entgegen zu gehen: Von da soll sich dann, nach der geheimen Veranstaltung, die wir machen werden, ein Umstand nach dem andern entfalten; und Angelo, in die Unmoeglichkeit gesezt, sich losszuwinden, soll sich selbst das Urtheil sprechen. (Der Kerkermeister kommt.) Kerkermeister. Hier ist der Kopf; ich will ihn selbst hintragen. Herzog. Es ist das sicherste; beschleunigt eure Ruekkunft, denn ich habe euch Sachen zu eroeffnen, die keine andre Ohren brauchen als die eurigen. Kerkermeister. Ich will so hurtig seyn als ich kan. (Geht ab.) (Isabella ruft hinter der Scene.) Herzog. Das ist der Isabella Stimme--Sie kommt sich zu erkundigen, ob ihres Bruders Begnadigung angelangt sey. Aber ich will ihr das Beste noch verhalten, damit sie desto angenehmer davon ueberraschet werde, wenn sie es am wenigsten erwarten kan. Zehnte Scene. Isabella. Mit eurer Erlaubniss-- Herzog. Guten Morgen, meine schoene und liebenswuerdige Tochter. Isabella. Von einem so heiligen Mann kan dieser Gruss nicht anders als werth seyn. Hat der Stadthalter Befehl fuer meines Bruders Begnadigung geschikt? Herzog. Er hat ihn von der Welt abgeruffen, Isabella; sein Kopf ist abgeschlagen, und dem Angelo zugeschikt. Isabella. Nein, es ist nicht so, will ich hoffen. Herzog. Es ist nicht anders. Gebt durch eure gedultigste Gelassenheit, meine Tochter, eine Probe eurer Weisheit. Isabella. O, ich will zu ihm, und ihm die Augen ausreissen. Herzog. Ihr wuerdet nicht vor ihn gelassen werden. Isabella. Unglueklicher Claudio! Arme Isabella! Ungerechte Welt! Verdammter Angelo! Herzog. Diss schadet ihm nichts, und nuezt euch nicht ein Jot. Geduldet euch also, stellet eure Sache dem Himmel anheim; hoeret was ich euch sage; ihr werdet ganz gewiss erfahren, dass es von Sylbe zu Sylbe eine sichre Wahrheit ist. Morgen kommt der Herzog wieder heim; troknet eure Augen; ein Priester von eurem Orden, der sein Beichtvater ist, hat mir diese Nachricht gegeben: Er hat dieses dem Angelo und Escalus schon zuwissen gethan, welche sich ruesten, ihm vor die Stadt entgegen zu gehen, und ihre Gewalt zu uebergeben. Wenn ihr soviel von euch selbst gewinnen koennet, meinem Rath zu folgen, so werdet ihr durch den Herzog alle Rache die euer Herz wuenschen kan, an diesem Ungluekseligen nehmen, und allgemeinen Ruhm davon tragen. Isabella. Ich ueberlasse mich eurer Fuehrung. Herzog. Uebergebet also dieses Schreiben dem Bruder Peter; es ist eben dasjenige, worinn er mir von des Herzogs Wiederkunft Nachricht giebt. Sagt ihm, es soll das Zeichen seyn, dass ich ihn heute Nachts in Marianens Hause sprechen wolle. Ich will ihm daselbst von eurer und Marianens Sache vollkommne Wissenschaft geben; er soll euch vor den Herzog stellen, und den Angelo ins Angesicht anklagen und ueberweisen. Denn ich selbst bin durch ein geheiligtes Geluebde genoethiget, um diese Zeit abwesend zu seyn. Geht izt mit diesem Briefe: Fasset guten Muth, und befehlet diese aezenden Thraenen aus euern Augen. Bey der Ehre meines heiligen Ordens, eure Sache soll einen guten Ausgang gewinnen. Wer ist hier? Eilfte Scene. (Lucio zu den Vorigen.) Lucio. Guten Abend; Frater, wo ist der Kerkermeister? Herzog. Nicht hier, mein Herr. Lucio. O! meine artige Isabella, ich bin recht von Herzen blass, deine schoene Augen so roth zu sehen; du must geduldig seyn; ich muss mich auch gedulden, statt der Mittags- und Abend-Mahlzeit mit Wasser und Brot vorlieb zu nehmen; ich darf mich fuer meinen Kopf nicht unterstehen, meinen Bauch zu fuellen; eine einzige gute Mahlzeit wuerde mich liefern. Aber sie sagen, der Herzog werde morgen hier seyn. Bey meiner Treu, Isabell, ich liebte deinen Bruder; waere der alte phantastische Herzog anstatt der finstern Winkel, bey Hause gewesen, so lebte er noch. (Isabella geht ab.) Herzog. Mein Herr, der Herzog ist euch fuer eure Discourse von ihm ausserordentlich wenig Dank schuldig; das beste ist indessen, dass sie nicht wahr sind. Lucio. Frater, du kennst den Herzog nicht sowol als ich; er ist ein bessrer Weidmann als du dir einbildest. Herzog. Gut, ihr sollt zu seiner Zeit Red' und Antwort davor geben. Lebet wohl. Lucio. Nein, warte noch, ich will mit dir gehen; ich kan dir artige Histoerchen von dem Herzog erzaehlen. Herzog. Ihr habt mir bereits schon zuviel von ihm erzaehlt, wenn sie wahr sind; und sind sie es nicht, so waeren gar keine schon genug. Lucio. Ich bin einmal vor ihm gewesen, weil ich einem Menschen ein Kind gemacht hatte. Herzog. Thatet ihr das? Lucio. Das denk ich, zum Henker, dass ich es that; aber ich schwur es sauber weg; mein Seel, wenn ichs nicht gethan haette, sie haetten mich an die faule Mispel verheurathet. Herzog. Mein Herr, eure Gesellschaft ist schoener als ehrenhaft: Bleibt ein wenig zuruek oder geht voraus, wenn ich bitten darf. Lucio. Mein Seel, ich gehe mit dir, bis die Gasse zu Ende ist; wenn dir H**jaegers-Discourse aergerlich sind, so wollen wir sparsam damit seyn; mein Seel, Frater, ich bin eine Art von Klette, ich haenge mich an. (Sie gehen ab.) Zwoelfte Scene. (Der Palast.) (Angelo. Escalus.) Escalus. Jeder Brief den er geschrieben hat, widerspricht dem vorhergehenden. Angelo. Seine Handlungen sehen dem Wahnwiz nur allzu gleich. Der Himmel gebe, dass sein Verstand nicht angegriffen seyn moege! Und warum sollen wir ihm vor dem Thor entgegen kommen, und unsre Aemter dort niederlegen? Escalus. Das kan ich nicht errathen. Angelo. Und warum sollen wir eine Stunde vor seinem Einzug ausruffen lassen, dass wofern irgendjemand sich durch einen ungerechten Spruch beschwert zu seyn glaube, er seine Bitte auf der Strasse uebergeben solle? Escalus. Fuer dieses sagt er uns seine Ursache; seine Absicht ist, allen Klagen auf einmal abzuhelfen, und uns fuers kuenftige gegen Beschwerungen sicher zu stellen, die hernach keine Kraft mehr gegen uns haben sollen. Angelo. Gut; ich bitte euch, lasst den Ausruf morgen bey Zeiten geschehen; ich will euch in euerm Hause abholen: Lasset es alle diejenige wissen, denen es zusteht, ihm mit uns entgegen zu gehen. Escalus. Ich werde nicht ermangeln, mein Herr; lebet wohl. Angelo. Gute Nacht. Diese That entmannet mich gaenzlich, macht mich unfaehig zum Denken, und ungeschikt zu allem was ich thun soll? Eine geschaendete Jungfrau! Und von wem? Von demjenigen, der das Gesez wider solche Verbrechen in seiner ganzen Strenge gelten machte. Allein, ausserdem dass ihre zaertliche Schaamhaftigkeit sich nicht wird ueberwinden koennen, den Verlust ihrer jungfraeulichen Ehre selbst auszuruffen, was wuerde ihr Zeugniss gegen mich vermoegen? Was ich auch sagen mag, so kan ich allemal ihrem Nein troz bieten. Mein Ansehen ist zu gross, zu befestigt, als dass irgend eine Beschuldigung von dieser Art an mir haften koennte, und nicht mit Schaam auf denjenigen zurueckfiele, der meinen Ruhm anhauchen wollte-- Ich haette ihn leben lassen, wenn ich nicht besorgt haette, seine hizige Jugend moechte dereinst seine beleidigte Ehre raechen, ohne sich mir fuer ein Leben verbunden zu halten, das er mit einer solchen Schande erkauffen musste. Und doch wuenschte ich, dass er noch lebte! Himmel! Wie unglueklich sind wir, wenn wir nur einmal unsrer Pflicht vergessen haben! Wie schnell reisst uns eine boese That zur andern fort! Und wie wenig bleiben wir Meister ueber das, was wir wollen oder nicht wollen! (Geht ab.) Dreyzehnte Scene. (Eine Gegend vor der Stadt.) (Der Herzog in seiner eignen Kleidung, und Bruder Peter.) Herzog. Vor allen Dingen gebt diese Briefe ab, wohin sie gehoeren. Der Kerkermeister weiss bereits von unserm Vorhaben und von der Veranstaltung desselben. Wenn die Sache einmal anhaengig gemacht ist, so spielet eure Rolle wohl, und haltet euch immer an eure besondere Instruction, ob ihr gleich zuweilen einen kleinen Absprung machen koennt, wenn es die Gelegenheit erfordert: Geht, suchet den Flavius auf, und sagt ihm, wo ich anzutreffen bin; eben diese Nachricht gebt auch dem Valentius, Roland und Crassus, und befehlet ihnen, die Trompeten vor das Thor bringen zu lassen. Aber schiket vorher zu dem Flavius. Peter. Es soll aufs schleunigste geschehen. (Peter geht ab.) (Varrius.) Herzog. Ich danke dir, Varrius; du bist sehr hurtig gewesen; Komm, wir wollen auf und abgehen; Es sind noch andre gute Freunde, die uns hier gruessen werden, mein werther Varrius. (Sie gehen ab.) Vierzehnte Scene. (Isabella und Mariane treten auf.) Isabella. Ich verstehe mich ungern dazu, so viele Umschweife zu gebrauchen; ich moechte die Wahrheit sagen; aber ihn so geradezu anzuklagen, ist eure Rolle; die meinige ist mir so vorgeschrieben; er sagt, dass es zu Erreichung unsrer Absicht noethig sey. Mariane. Ueberlasst es ihm, euch zu sagen, was ihr thun sollt. Isabella. Er sagt mir auch, ich soll' es mir nicht seltsam vorkommen lassen, wenn er allenfalls auch auf die andre Seite, und wider mich reden sollte-- Mariane. Ich wuenschte, der Bruder Peter-- Isabella. Stille, da kommt er ja. (Peter zu den Vorigen.) Peter. Kommt, ich habe einen Ort fuer euch ausfuendig gemacht, wo ihr ganz bequem warten koennet, und wo euch der Herzog nicht entgehen kan. Die Trompeten haben schon zweymal getoent; die angesehensten Buerger haben sich schon bey dem Stadt-Thor versammelt; der Herzog ist im Anzug; wir muessen eilen. (Sie gehen ab.) Fuenfter Aufzug. Erste Scene. (Ein oeffentlicher Plaz nahe bey der Stadt.) (Der Herzog, Varrius, etliche andre Edelleute, Angelo, Escalus, Lucio und einige Buerger, treten auf verschiednen Seiten auf.) Herzog. Mein wuerdiger Vetter, ich danke euch fuer diesen Willkomm; unser alter und getreuer Freund, wir sind erfreut euch zusehen. Angelo und Escalus. Begluekt sey Euer Durchlaucht Wiederkunft! Herzog. Wir danken euch beyden von Herzen. (Zu Angelo.) Wir haben uns nach euch erkundiget, und wir hoeren so viel Gutes von der Gerechtigkeit eurer Staatsverwaltung, dass wir nicht umhin koennen, euch desswegen oeffentlichen Dank zu erstatten, bis wir Gelegenheit haben, es auf eine vollstaendigere Art zu thun. Angelo. Euer Durchlaucht macht meine Verpflichtungen immer groesser. Herzog. O! euer Verdienst redet laut, und ich wuerde ungerecht gegen dasselbe seyn, wenn ich es in den Kerker meines eignen Busens einschliessen wollte; da es wuerdig ist, mit Buchstaben von Erzt gegen den Zahn der Zeit und den Rost der Vergessenheit gesichert zu werden. Gebt mir eure Hand, und lasst die Unterthanen sehen, wie begierig wir sind, unsre innerliche Achtung fuer euch durch aeusserliche Merkmale oeffentlich bekannt zu machen. Kommt, Escalus; ihr sollt auf der andern Seite mit uns gehen, ihr habt euch unsers Zutrauens wuerdig bewiesen. (Der Herzog macht einige Schritte, als ob er weiter gehen wollte.) Zweyte Scene. (Peter und Isabella zu den Vorigen.) Peter (zu Isabella.) Izt ist eure Zeit: Redet laut, und kniet vor ihm. Isabella. Gerechtigkeit, Gnaedigster Herr; werfet euern Blik auf eine ungluekliche, misshandelte--Schier haette ich gesagt, Jungfrau: O, wuerdiger Fuerst, entehret euer Auge nicht, es auf einen andern Gegenstand zu richten, bevor ihr meine gerechten Klagen angehoert, und mir Recht verschaft habt. Herzog. Was fuer Unrecht ist euch dann geschehen, worinn? von wem? macht es kurz; hier ist der Freyherr Angelo, der euch Recht schaffen wird; eroeffnet euch ihm. Isabella. O mein Gnaedigster Herr! Ihr befehlet mir, Erloesung bey dem Teufel zu suchen. Hoeret mich selbst an, denn das was ich zu sagen habe, muss entweder mich straffen, wenn ich keinen Glauben finde, oder euch Rache abnoethigen; o, hoeret mich, hoeret mich. Angelo. Gnaedigster Herr, ich besorge, sie ist nicht recht bey Vernunft; sie hat eine vergebliche Fuerbitte fuer ihren Bruder bey mir eingelegt, der nach dem Lauf der Gerechtigkeit den Kopf verlohren hat. Isabella. Lauf der Gerechtigkeit! Angelo. Und izt wird sie in ihrer Verbitterung seltsame Reden ausstossen. Isabella. Hoechst seltsame; aber nur allzuwahr ist es, was ich sagen werde; dass Angelo ein meyneydiger Mann ist, ist das nicht seltsam? dass Angelo ein Moerder ist, ist das nicht seltsam? dass Angelo ein ehebrechrischer Raeuber, ein Heuchler, ein Jungfrauen-Schaender ist? ist das nicht seltsam, und abermal seltsam? Herzog. In der That, es ist zehenmal seltsam. Isabella. Und doch ist es nicht wahrer, dass er Angelo ist, als dass alles dieses so wahr ist, als es seltsam ist; ja, es ist zehenmal wahrer; denn Wahrheit ist am Schluss allemal Wahrheit. Herzog. Schaft sie hinweg, die arme Seele; sie sagt das in der Verruekung ihres Gehirns. Isabella. O Fuerst ich beschwoehre dich, wenn du anders glaubest dass noch ein andrer Trost ist als diese Welt, verachte mich nicht, in der Meynung, dass ich nicht bey gesunder Vernunft sey. Mache nicht unmoeglich, was nur unbegreiflich scheint; es ist nicht unmoeglich, dass der aergste Bube im Herzen von aussen so sproede, so ernsthaft, so gerecht, so unstraeflich scheinen kan, als Angelo; gleichergestalt kan Angelo, mit allen seinen Masken, Charactern, Titeln und Anscheinungen, doch nur ein Erz-Boesewicht seyn; Glaubet mir, gnaedigster Herr, er ist es; wenn er weniger ist, so ist er gar nichts; aber er ist mehr, wenn ich Namen fuer seine Bossheit haette. Herzog. Bey meiner Ehre, wenn sie unsinnig ist, wie ich nicht anders glaube, so hat doch ihr Unsinn die seltsamste Gestalt von Vernunft; so viel Zusammenhang in allem was sie spricht, als ich jemals in den Reden eines Wahnwizigen gehoert habe. Isabella. Gnaedigster Herr, bleibet doch nicht immer auf dieser Einbildung; verwerfet die Vernunft nicht, weil sie unwahrscheinliche Dinge sagt; sondern bedient euch der eurigen, die Wahrheit ans Licht zu ziehen, wo sie verborgen scheint, anstatt den Irrthum zu verbergen, weil er Wahrheit scheint. Herzog. Manche, die nicht wahnwizig sind, haben, wahrhaftig, weniger Vernunft--Was wollt ihr dann sagen? Isabella. Ich bin die Schwester eines gewissen Claudio, der wegen der Suende der Hurerey verurtheilt wurde, den Kopf zu verliehren; Angelo war es, der ihn verurtheilte: Ich, die im Begriff bin meine Probzeit in einem Kloster zu vollenden, wurde von meinem Bruder zu ihm geschikt; ein gewisser Lucio, von dem ich die Nachricht hatte-- Lucio. Das bin ich, mit Euer Durchlaucht Erlaubniss; Claudio hatte mich zu ihr geschikt, um sie zu bewegen, dass sie versuchen sollte, durch ihre ruehrende Fuerbitte die Begnadigung ihres Bruders auszuwuerken. Isabella. Er ist es, in der That. Herzog (zu Lucio.) Man hat euch nicht befohlen zu reden. Lucio. Nein, Gnaedigster Herr, noch gewuenscht dass ich schweigen moechte. Herzog. Ich wuensch euch's also izt; seyd so gut und merkt euch das; und wenn ihr Gelegenheit bekommt fuer euch selbst zu sprechen, so bittet den Himmel, dass ihr alsdenn nicht verstummen moeget. Lucio. Dafuer steh' ich Euer Gnaden. Herzog. Es wird sich zeigen. Isabella. Dieser Edelmann erzaehlte etwas von meiner Geschichte. Lucio. So ists. Herzog. Es mag so seyn, aber ihr sollt nicht eher reden bis die Reyhe an euch kommt. Weiter! Isabella. Ich gieng also zu diesem verderblichen gottlosen Stadthalter. Herzog. Das ist ein wenig wahnwizig gesprochen. Isabella. Vergebet mir, der Ausdruk ist der Materie gemaess. Herzog. Wieder verbessert--der Materie--Nur weiter. Isabella. Kurz, um die unnoethigen Umstaende zu uebergehen, wie viel Vorstellungen ich ihm gemacht, wie sehr ich gebeten, wie ich ihm zu Fusse gefallen, was er mir entgegengesezt, und wie ich ihm geantwortet, denn dieses daurte sehr lang--ich will den Anfang damit machen, womit dieser Auftritt sich beschloss, wenn ich es anders vor Schmerz und Schaam heraussagen kan. Er beharrte darauf, dass er meinen Bruder unter keiner andern Bedingung losgeben wollte, als wenn ich meinen jungfraeulichen Leib seiner unkeuschen Begierde ueberlassen wuerde; und nach vielem Wortwechsel uebertaeubte endlich das schwesterliche Mitleiden die Stimme der Ehre, und ich gab nach: Aber den folgenden Morgen frueh, nachdem er seinen Zwek erhalten hatte, schikt' er Befehl, dass meinem Bruder der Kopf abgeschlagen werden sollte. Herzog (spoettisch.) Das ist sehr wahrscheinlich! Isabella. O moecht es so scheinbar* seyn, als es wahr ist. {ed.-* Der Sinn dieser Rede besteht in einem Spiel mit dem Wort (like), welches der Herzog fuer wahrscheinlich, und Isabella fuer artig oder anstaendig gebraucht; denn es hat beyde Bedeutungen.} Herzog. Beym Himmel, du wahnwiziger Tropf, du weist nicht was du sprichst, oder du bist durch boshafte Kuenste gegen seine Ehre aufgestiftet worden. Fuers erste, so ist er ein Mann, dessen Tugend ausser Zweifel ist. Zweytens ist es wider alle Vernunft, dass er eine Vergehung, deren er sich selbst schuldig gemacht, so hart an einem andern gestraft haben sollte; haette er sich so vergangen, so wuerde er deinen Bruder nach sich selbst gemessen, und ihm seinen Kopf gelassen haben. Ihr seyd von jemand aufgestiftet worden; Gesteht die Wahrheit, und sagt, auf wessen Anrathen habt ihr diese Anklage hier vorgebracht? Isabella. Und ist das alles? O dann, so verleihet mir Geduld, ihr Heiligen dort oben! und entdeket zu seiner Zeit die Uebelthat, die hier in partheyische Gunst eingehuellet wird! Der Himmel bewahre Euer Durchlaucht so gewiss vor Unfall, als es wahr ist, dass ich das Unrecht erlitten habe, ob ich gleich keinen Glauben finde. Herzog. Das glaube ich, dass ihr gerne davon gehen moechtet. Einen Stadtbedienten, ins Gefaengnis mit ihr. Sollten wir gestatten, dass eine Person die uns so nahe ist, ungestraft so aergerlich angeschmizt werden duerfte? Das muss nothwendig eine angestellte Sache seyn. Wer weiss mit von euerm Vorhaben und Hieherkommen? Isabella. Einer den ich gerne hieher wuenschen moechte, der Pater Ludewig. Herzog. Ein Ordensmann, wie es scheint; wer kennt diesen Ludewig? Lucio. Gnaedigster Herr, ich kenn' ihn; es ist ein Moench, der seine Nase in alles stekt, ich kan ihn nicht leiden; waer er ein Lay gewesen, Gnaedigster Herr, ich wollte ihn wegen einiger Reden, die er wider Euer Durchlaucht, in Dero Abwesenheit ausgestossen hat, abgeschmiert haben, dass er es gefuehlt haette. Herzog. Reden wider mich? Das ist ein feiner Ordensmann, dem Ansehen nach; und dieses ungluekliche Weibsbild wider unsern Stadthalter aufzustiften! Lasst diesen Moenchen aufsuchen. Lucio. Erst noch in verwichner Nacht, traf ich sie und diesen Moench im Gefaengniss bey einander an; eine unverschaemte Kutte, wie gesagt, ein recht boshafter Geselle. Peter. Mit Euer Durchlaucht gnaedigster Erlaubniss, ich stand dabey, und ich hoerte genug um zu sehen, wie sehr euer koenigliches Ohr missbraucht wird. Fuers erste; so hat dieses Weibsbild euern Stadthalter hoechst frefelhafter Weise angeklagt; er ist so rein von einiger Besudlung mit ihr, als sie von einem, der noch nicht gebohren ist. Herzog. Ich glaube auch nichts anders. Kennt ihr diesen Pater Ludewig, von dem sie spricht? Peter. Ich kenn ihn als einen heiligen Mann; nicht boshaft, nicht fuerwizig sich in zeitliche Dinge einzumischen, wie dieser Edelmann gesagt hat; und ein Mann, bey meiner Treue, der niemals, wie er vorgiebt, von Euer Durchlaucht ungebuehrlich gesprochen hat. Lucio. Gnaedigster Herr, auf eine ganz infame Art; glaubet mir. Peter. Gut; er kan noch zeitig genug kommen sich zu rechtfertigen; aber in diesem Augenblik, Gnaedigster Herr, ist er an einem wunderbaren Fieber krank. Bloss auf sein Bitten (da es bekannt wurde, dass hier eine Klage wieder den Freyherrn Angelo angestellt werden sollte) bin ich hieher gekommen, um aus seinem Munde zu sagen, was er von der Sache weiss, und was er, wenn er vorgeladen werden sollte, mit seinem Eyde zu bekraeftigen im Stand ist. Was anforderst dieses Weibsbild betrift, so sollt ihr, zur Rechtfertigung dieses wuerdigen Herrn, der auf eine so oeffentliche und persoenliche Art von ihr beschimpft wird, hoeren wie sie vor euern Augen dergestalt wird ueberwiesen werden, dass sie es selbst wird eingestehen muessen. Herzog. Mein guter Pater; lasst's uns hoeren. Laechelt ihr nicht ueber diese Begebenheiten, Angelo? Himmel! Was fuer eine Unbesonnenheit von diesen unglueklichen Thoren!--Gebt uns Size; kommt, mein Vetter Angelo; ich will an dieser Sache keinen Theil nehmen; seyd ihr Richter in eurer eignen Sache. (Isabella wird mit einer Wache weggefuehrt, und Mariane tritt mit einem Schleyer bedekt auf.) Dritte Scene. Herzog. Ist das der Zeuge, Pater? Sie mag zuerst ihr Gesicht sehen lassen, eh sie spricht. Mariane. Um Vergebung, Gnaedigster Herr; ich lasse mein Gesicht nicht sehen, ausser mein Gemahl befoehl' es mir. Herzog. So seyd ihr verheurathet? Mariane. Nein, Gnaedigster Herr. Herzog. Seyd ihr ein Maedchen? Mariane. Nein, Gnaedigster Herr. Herzog. Eine Wittwe also? Mariane. Auch das nicht, Gnaedigster Herr. Herzog. Wie, seyd ihr denn nichts? Weder Maedchen, noch Frau, noch Wittwe? Lucio. Gnaedigster Herr, sie ist vielleicht eine Pf** Koechin-- Herzog. Macht doch diesen Kerl schweigen; ich wollte, er haette etwas mit sich selbst zu dahlen. Lucio. Gut, Gnaedigster Herr. Mariane. Gnaedigster Herr, ich gesteh's, ich bin nie verheurathet gewesen; ich gesteh auch zugleich, dass ich kein Maedchen bin; ich habe meinen Gemahl gekannt, aber mein Gemahl weiss nicht, dass er mich jemals gekannt hat. Lucio. So war er also betrunken, Gnaedigster Herr, es kan nicht anders seyn. Herzog. Ich wollte du waer'st es auch, so schwiegest du doch wenigstens. Lucio. Gut, Gnaedigster Herr. Herzog. Das ist keine Zeugin fuer den Freyherrn Angelo. Mariane. Ich komme nun dazu, Gnaedigster Herr. Das Frauenzimmer, das ihn beschuldiget, dass er sie entehrt habe, klagt dadurch meinen Gemahl an, indem sie vorgiebt, dass es zu einer Zeit geschehen sey, von der ich behaupte, dass ich ihn mit allen Wuerkungen der Liebe in meinen Armen hatte. Angelo. Beschuldiget sie jemand mehr als mich? Mariane. Nicht dass ich wuesste. Herzog. Nicht? Ihr sagt, euer Gemahl? Mariane. So ist es, Gnaedigster Herr, und der ist Angelo; der sich einbildt, er wisse gewiss, dass er mich nie beruehrt habe, aber gewiss weiss, dass er sich einbildt, es sey Isabella gewesen. Angelo. Das heisst die Bosheit weit getrieben; lass dein Gesicht sehen! Mariane. Mein Gemahl befiehlt es, nun will ichs thun. (Sie nimmt ihren Schleyer ab.) Siehe hier, du grausamer Angelo, siehe das Gesicht, welches einst, wenn deine Schwuere Glauben verdienten, werth war angesehen zu werden; dieses ist die Hand, die durch einen feyerlichen Ehverspruch in die deinige geschlossen wurde; diss ist der Leib, der das Versprechen der Isabella bezahlte, und in deinem Gartenhaus ihre eingebildete Person vorstellte! Herzog (zu Angelo.) Kennt ihr dieses Frauenzimmer? Lucio. Fleischlicher Weise, sagt sie. Herzog. Schlingel, kein Wort mehr. Lucio. Genug, Gnaedigster Herr. Angelo. Gnaedigster Herr, ich muss gestehen, dass ich dieses Frauenzimmer kenne. Vor ungefehr fuenf Jahren wurde eine Verbindung zwischen mir und ihr in Vorschlag gebracht, die sich aber wieder zerschlug, theils weil ihr Vermoegen sich weit geringer befand als man es angegeben hatte; vornemlich aber, weil der Ruf einer unvorsichtigen Auffuehrung ihre Ehre zweifelhaft machte. Seit diesem bezeuge ich bey meiner Ehre und Treue, dass ich sie binnen fuenf Jahren weder gesehen, noch mit ihr gesprochen, noch von ihr gehoert habe. Mariane. Grosser Fuerst, so gewiss als das Licht vom Himmel, und Worte vom Athem kommen; so gewiss als Vernunft in der Wahrheit, und Wahrheit in der Tugend ist; so gewiss bin ich, in Kraft der feyerlichsten Geluebde, dieses Mannes verlobtes Weib: Und nur erst in verwichner Dienstags-Nacht, in seinem Garten-Hause, erkannte er mich wie ein Weib. So wahr als diss ist, moege ich gesund von meinen Knien wieder aufstehen, oder wo nicht, auf ewig hier als ein marmornes Denkbild stehen bleiben. Angelo. Ich laechelte bisher nur; aber nun, Gnaedigster Herr, muss ich Euer Durchlaucht bitten, mir Recht zu schaffen. Meine Geduld geht zu Ende; ich sehe, dass diese armen einfaeltigen Weibsbilder nur die Werkzeuge einer verborgnen und maechtigern Hand sind, die sie in Bewegung sezt. Verstattet mir, Gnaedigster Herr, dass ich mich bemuehe, auf den Grund dieses Complots zu kommen. Herzog. Von Herzen gern, und die Schuldigen so hart als ihr wollt, abzustraffen. Du thoerichter Moench und du boshaftes Weibsbild, denkt ihr, eure Eydschwuere selbst, und wenn sie alle Heiligen persoenlich herabschwoeren wuerden, waeren ein hinlaengliches Zeugniss gegen sein bewaehrtes und so lange festgeseztes Ansehen? Escalus, sezet euch mit meinem Vetter, und leihet ihm eure freundschaftliche Muehe, die Quelle dieser schaendlichen Verlaeumdungen zu entdeken. Es ist noch ein andrer Moench, der sie aufgestiftet hat; lasst ihn herbeyschaffen. Peter. Ich wuenschte, Gnaedigster Herr, er waere hier; denn in der That ist er derjenige, der diese Frauenzimmer aufgemuntert, diese Klagen anhaengig zu machen. Euer Kerkermeister kennt den Ort, wo er sich aufhaelt, und kan ihn holen. Herzog. Geht, thut es augenbliklich; und ihr, mein edler und wuerdiger Vetter, dem am meisten daran ligt, diese Sache genauer zu untersuchen, verfahret nach euerm Gutduenken in Bestrafung der Schuldigen. Ich will euch fuer eine Weile verlassen; aber bleibt ihr so lange zuruek, bis ihr die Bosheit dieser Verlaeumder voellig zu Schanden gemacht habt. (Er geht ab.) Vierte Scene. Escalus. Gnaedigster Herr, wir wollen nichts ermangeln lassen. Herr Lucio, sagtet ihr nicht, ihr kennet diesen Frater Ludewig fuer einen Mann von schlechter Auffuehrung? Lucio. (Cucullus non facit Monachum;) es ist nichts ehrwuerdig an ihm als seine Kutte; er hat auf eine hoechst infame Art von der Person des Herzogs gesprochen. Escalus. Wir ersuchen euch, hier zu bleiben, bis er kommt, und ihn dessen zu ueberweisen; es wird sich finden, dass dieser Moench ein schlimmer Vogel ist. Lucio. Als irgend einer in Wien, auf mein Wort. Escalus. Ruft diese Isabella wieder hieher; ich moechte mit ihr reden; ich bitte euch, Gnaediger Herr, erlaubet mir, sie abzuhoeren; ihr sollt sehen wie ich sie behandeln werde. Lucio (vor sich.) Ich denke nicht besser als er, nach ihrer eignen Aussage. Escalus. Wie beliebt? Lucio. Mein Seel, ich denke mein Herr, wenn ihr sie ohne Zeugen behandeln wuerdet, sie wuerde schneller bekennen; vielleicht schaemt sie sich, es so vor allen Leuten zu thun. (Der Herzog in Moenchshabit, und der Kerkermeister; Isabella wird herbeygefuehrt.) Escalus. Ich will ernstlich mit ihr zu Werke gehen. Ein wenig naeher Madam; Hier ist ein Frauenzimmer, das allem widerspricht, was ihr gesagt habt. Lucio. Gnaediger Herr, hier kommt der Schurke, von dem ich sagte, hier mit dem Kerkermeister. Escalus. Er kommt eben recht; sagt ihr nichts zu ihm, bis wir euch aufruffen. Lucio. Nein!-- Escalus. Kommt, Herr, seyd ihr derjenige, der diese Weibsbilder aufstiftete, den Freyherrn Angelo zu verlaeumden? Sie haben bekennt, dass ihr es seyd. Herzog. Es ist nicht wahr. Escalus. Wie? Wisst ihr auch wo ihr seyd? Herzog. Den Respect vor eurer hohen Wuerde vorbehalten, der Teufel selbst kan manchmal um seines brennenden Throns willen geehrt werden. Wo ist der Herzog? Er soll mich hoeren, wenn ich reden soll. Escalus. Der Herzog ist in uns, und wir wollen euch reden hoeren; sehet zu, dass ihr die Wahrheit sagt. Herzog. Ganz ungescheut. Aber, o ihr armen Seelen, kommt ihr, das Lamm hier von dem Fuchs zu fordern? Gute Nacht eurer Satisfaction! Wenn der Herzog weggegangen ist, so ist eure Sache verlohren. Der Herzog handelt unbillig, eure Appellation an ihn so abzuweisen, und die Untersuchung eurer Sache dem Boesewicht zu ueberlassen, den ihr anzuklagen gekommen seyd. Lucio. Da haben wir den Schurken; es ist der von dem ich sagte. Escalus. Wie, du unehrwuerdiger und unheiliger Moench, ist es dir nicht genug, dass du diese Weibsleute heimlich gewonnen hast, diesen wuerdigen Mann anzuklagen; unterstehst du dich noch, ihn unverschaemter Weise und vor seinen eignen Ohren einen Boesewicht zu nennen? ja von ihm auf den Herzog selbst zu fallen, und ihn der Ungerechtigkeit zu beschuldigen? Fuehrt ihn fort; an die Folter mit ihm; wir wollen dir eher Glied fuer Glied verzetteln, eh du uns dein Vorhaben ablaeugnen sollst. Was? Ungerecht? Herzog. Nicht so hizig; der Herzog hat so wenig das Herz, einen Finger von mir streken zu lassen, als seinen eignen: Ich bin sein Unterthan nicht, ich stehe auch nicht unter der hiesigen Provinz; meine Geschaefte in diesem Staat gaben mir Gelegenheit, auf das was hier in Wien vorgeht Acht zu geben; ich habe gesehen, wie die Verderbniss der Sitten siedet und strudelt, bis der Kessel ueberlauft; Geseze gegen alle Verbrechen; aber Verbrechen, die so vorsichtig begangen werden, dass sie der Geseze spotten. Escalus. Er schmaeht den Staat, weg mit ihm ins Gefaengniss. Angelo. Was habt ihr wider ihn vorzubringen, Herr Lucio? Ist das der Mann, von dem ihr uns erzaehltet? Lucio. Er ists, Gnaediger Herr; kommt naeher, guter Freund Kahlkopf; kennt ihr mich? Herzog. Ich erinnre mich eurer am Ton eurer Stimme; ich traf euch waehrender Abwesenheit des Herzogs im Gefaengniss an. Lucio. So, traft ihr mich an? und erinnert ihr euch noch, was ihr von dem Herzog sagtet? Herzog. Vollkommen, mein Herr. Lucio. Vollkommen, mein Herr? Und war denn der Herzog ein Hurenjaeger, ein Gek, ein Hasenfuss, wie ihr sagtet? Herzog. Ihr muesst erst eure Person mit mir tauschen, eh ihr mich das sagen lassen koennt; ihr sagtet das von ihm, und noch aergers. Lucio. O du verruchter Geselle! Zog ich dich nicht bey der Nase, wie du so redtest? Herzog. Ich versichre, dass ich den Herzog so sehr liebe als mich selbst. Angelo. Hoert ihr, wie der Bube sich wieder heraushalftern moechte, nachdem er so verraethrische Reden ausgestossen hat? Escalus. Mit einem solchen Kerl muss man sich nicht einlassen; weg mit ihm ins Gefaengniss; wo ist der Kerkermeister? weg mit ihm ins Gefaengniss; legt ihm Fesseln an; lasst ihn nicht mehr reden; weg mit diesen Mezen, ins Gefaengniss, und mit den uebrigen Zusammenverschwornen. Herzog. Haltet, mein Herr, haltet noch ein wenig. Angelo. Wie? er widersezt sich? helft ihm, Lucio. Lucio. Kommt, mein Herr; hey da, Herr, kommt, ein wenig hieher, mein Herr; wie? du kahlkoepfichter luegenhafter Schurke; du must um einen Kopf kuerzer gemacht werden; gelt, du must? Zeig dein Schelmengesicht, dass du die Kraenke kriegest; zeig dein bissiges Schaafs-Gesicht, und lass dich in einer Stunde haengen: Willt du nicht fort? (Er reisst die Moenchs-Kutte ab, und entdekt den Herzog.) Herzog. Du bist der erste Spizbube, der jemals einen Herzog gemacht hat. Fuers erste, Kerkermeister, lass mich fuer diese drey wakern Leute Buerge seyn--Schleicht euch nicht hinweg, junger Herr, denn der Frater und ihr haben noch ein Wort mit einander zu sprechen; macht ihn feste. Lucio. Das kan noch aerger werden, als haengen. Herzog (zu Escalus.) Was ihr gesprochen habt, soll vergeben seyn; Sezt euch; wir wollen einen Plaz von diesem Herrn da borgen. (Zu Angelo.) Mit eurer Erlaubniss, mein Herr--Hast du Worte, oder Wiz, oder Unverschaemtheit, die dir noch Dienste thun koennen? Wenn du hast, so stueze dich darauf, bis ich meine Erzaehlung gemacht habe, und halte dann noch aus, wenn du kanst. Angelo. O mein furchtbarer Fuerst, ich muesste schuldiger seyn als meine Schuld, wenn ich hoffen wollte verborgen zu bleiben, da ich merke, dass Euer Durchlaucht, gleich einer unsichtbaren Gottheit, meine Tritte beobachtet hat: Lasset also, Gnaedigster Herr, kein laengeres Gericht ueber meine Schande gehalten werden, mein eignes Bekenntniss macht alle Untersuchung ueberfluessig; ein unmittelbares Urtheil und der Tod, ist alle Gnade, um die ich bitte. Herzog. Kommt hieher, Mariane! Sprich, warst du jemals mit diesem Frauenzimmer verlobt? Angelo. Ich war, Gnaedigster Herr. Herzog. So nimm sie hier, und heurathe sie diesen Augenblik; verrichtet ihr die Ceremonie, Pater; wenn sie vorbey ist, so bringt ihn wieder hieher: Geht mit ihm, Kerkermeister. (Angelo, Mariane, Peter und Kerkermeister gehen ab.) Fuenfte Scene. Escalus. Gnaedigster Herr, ich bin mehr ueber seine Schande bestuerzt, als ueber die Seltsamkeit der Sache. Herzog. Tretet naeher, Isabella; euer Frater ist nun euer Fuerst, ich war in jener Person euer getreuer Freund und Rathgeber, und, ohne mein Herz mit meinem Anzug zu veraendern, werde ich allezeit zu euerm Dienst gewidmet bleiben. Isabella. O! vergebet mir, mein gnaedigster Herr, dass ich, eure Vasallin, eure unerkannte Hoheit beschaeftigt und bemuehet habe. Herzog. Es ist euch vergeben, Isabella; und nun, theures Maedchen, lasset mir das gleiche Recht wiederfahren. Ich weiss es, euers Bruders Tod ligt schwer auf euerm Herzen, und ihr werdet euch wundern, warum ich mich begnuegt, verborgner Weise seine Rettung zu suchen, und nicht lieber meine verkleidete Macht ploezlich zu erkennen gegeben, als ihn so verlohren gehen zu lassen; aber wisset, liebenswuerdigstes Geschoepf, dass nichts als die zuschnelle Vollziehung seines Todesurtheils, von der ich dachte, dass sie spaeter erfolgen wuerde, meinem Vorsaz zuvoreilte; doch Friede sey ueber ihn! Das Leben ist das Beste, das sich vor keinem Tode mehr fuerchten muss; troestet euch damit; euer Bruder ist glueklich. Isabella. Ich thu es, Gnaedigster Herr. Sechste Scene. (Angelo, Mariane, Peter und Kerkermeister zu den Vorigen.) Herzog (zu Isabella.) Was diesen neuvermaehlten Mann, der hier wieder zuruek kommt, betrift, dessen ueppige Einbildungskraft eure wolvertheidigte Ehre beleidigt hat, so vergebt ihm um Marianens willen: Allein in sofern er, der eines doppelten Verbrechens, der verlezten Keuschheit und des gebrochnen Versprechens, sich schuldig wusste, euerm Bruder das Todes-Urtheil sprach, so ruft selbst die Barmherzigkeit des Gesezes mit lauter Stimme, und aus seinem eignen Munde, Angelo fuer Claudio, Tod fuer Tod, Gleiches fuer gleiches, und Maass fuer Maass. (Er wendet sich zum Angelo.) Angelo, deine Verbrechen sind so offenbar, dass du sie nicht laeugnen koenntest, wenn du auch wolltest; wir verurtheilen dich also, auf eben demselben Blok dein Leben zu verliehren, worauf Claudio sich zum Tod buekte, und mit eben solcher Eile. Hinweg mit ihm. Mariane. O! mein Gnaedigster Herr, ich hoffe Euer Durchlaucht hat mir nicht zum Scherz einen Gemahl gegeben. Herzog. Ich hielt eure Vermaehlung nur noethig, um eure Ehre sicher zu stellen, und einen Vorwurf von euch abzuwenden, der euerm kuenftigen Gluek im Wege gestanden waere; was seine Gueter betrift, so sezen wir, ob sie gleich durch Confiscation unser waeren, euch in den Besiz davon, und machen sie zu euerm Witthum, damit ihr einen bessern Gemahl kauffen koennet. Mariane. O Mein theurester Fuerst, ich verlange keinen andern und keinen bessern Mann. Herzog. Bittet nicht fuer ihn, unser Schluss ist gefasst. Mariane. Mein gnaedigster Herr-- Herzog. Ihr verliehrt nur eure Muehe--weg mit ihm zum Tode. (Zu Lucio.) Nun, mein Herr, kommt die Reyhe an euch. Mariane. O! mein gnaedigster Herr! O! theurste Isabella, kommet mir zuhuelfe; lehnt mir eure Knie, und mein ganzes kuenftiges Leben soll zu eurem Dienst gewidmet seyn. Herzog. Was ihr von ihr fordert ist unbillig, und wider die Natur; sollte sie niederknien, um fuer eine solche That Erbarmung zu erflehen, ihres Bruders Geist wuerde sein Grab durchbrechen, und sie in Schreknissen von hinnen reissen. Mariane. Isabella, liebste Isabella, kniet doch mit mir hin; breitet eure Haende aus, redet nichts, ich will alles sagen. Die besten Menschen, sagt man, werden erst durch die Fehler die sie gemacht haben, vollkommen; dieses kan auch meines Mannes Fall seyn. O Isabella, wollt ihr nicht mit mir knien? Herzog. Er stirbt fuer Claudios Tod. Isabella (kniend.) Guetigster Fuerst, sehet, wenn es euch gefaellt, auf diesen verurtheilten Mann, als ob er mein Bruder waere; ich glaube, ich hoffe es, seine Tugend war aufrichtig, bis er mich sah; wenn dieses ist, so lasst ihn nicht sterben. Meinem Bruder ist nichts als Gerechtigkeit widerfahren; er starb fuer eine Suende, die er wuerklich ausgeuebt hatte; Angelo suendigte nur durch einen Vorsaz der nicht zur Vollziehung kam; Gedanken sind dem Gesez nicht unterworffen, und Vorsaeze sind blosse Gedanken. Mariane. Blosse Gedanken, Gnaedigster Herr. Herzog. Eure Fuerbitte ist fruchtlos; stehet auf, sage ich. Ich habe mich indessen eines andern Fehlers erinnert. Kerkermeister, wie kam es, dass Claudio zu einer ungewoehnlichen Stunde enthauptet wurde? Kerkermeister. Es wurde so befohlen. Herzog. Hattet ihr einen Richterlichen Befehl desswegen? Kerkermeister. Nein, Gnaedigster Herr, es geschah auf eine privat-Botschaft. Herzog. Und desswegen entseze ich euch eures Amts; gebt die Schluessel ab. Kerkermeister. Vergebet mir, Gnaedigster Herr; ich dachte gleich, es moechte ein Fehler seyn, doch wusste ichs nicht gewiss; aber es reuete mich, da ich mich besser erkundigt hatte; und der Beweiss hievon ist dieses, dass ich einen gewissen Gefangnen, der kraft eines privat-Befehls sterben sollte, noch habe leben lassen. Herzog. Wer ist er? Kerkermeister. Er nennt sich Bernardin. Herzog. Ich wollte, du haettest dieses beym Claudio gethan; geht, holt ihn hieher, ich will ihn sehen. Escalus. Es ist mir leid, dass ein so gelehrter und weiser Mann, als ihr, Freyherr Angelo, allezeit geschienen habt, beydes durch Hize des Bluts und Mangel einer klugen Ueberlegung, so grosse Fehltritte gemacht habt. Angelo. Mir ist leid, dass ich euch dieses Leid verursache, und ich fuehle mein Verbrechen so sehr, dass ich mit groesserm Verlangen um den Tod flehe als um Gnade: Ich habe ihn verdient, und ich bitte darum. Siebende Scene. (Der Kerkermeister, Bernardin, Claudio und Juliette zu den Vorigen.) Herzog. Welcher ist dieser Bernardin, von dem ihr sprachet? Kerkermeister. Dieser, Gnaedigster Herr. Herzog. Ein gewisser Moench sagte mir von diesem Manne; Kerl, man sagt du habest eine verstokte Seele, die nach dieser Welt nichts fuerchte, und du lebest dieser Denkungsart gemaess; du bist zum Tode verurtheilt; doch will ich dir die Strafe nachlassen, die deine Verbrechen in dieser Welt verdient haben; ich bitte dich, wende diese Gnade dazu an, fuer eine bessere Zukunft besorgt zu seyn; Frater, gebt ihm Anleitung dazu, ich uebergebe ihn in eure Haende. Was fuer ein vermummter Geselle ist das? Kerkermeister. Es ist ein andrer Gefangner, den ich rettete und welcher sterben sollte, als Claudio den Kopf verlohr; er gleicht dem Claudio so sehr als sich selbst. Herzog (zu Isabella.) Wenn er euerm Bruder gleicht, so sey er um euertwillen begnadiget, und um euers liebenswuerdigen Selbst willen, gebt mir eure Hand, und sagt ihr wollt mein seyn, so ist er mein Bruder dazu; doch hievon zu gelegnerer Zeit. Angelo siehet hieraus, dass er nichts mehr zu besorgen hat; mich daeucht ich sehe einen Schimmer von Hoffnung in seinen Augen. Gut, Angelo, ihr habt euer Vergehen abgebuesst; liebet eure Gemahlin, ihr Werth ergaenzt den Eurigen. Ich finde mich heut ungemein aufgelegt zur Nachsicht, und doch ist hier einer, dem ich nicht verzeihen kan. (Zu Lucio.) Ihr, frecher Bursche, der mich fuer einen Geken, eine Memme, einen luederlichen Bruder, einen Esel, einen Wahnwizigen kennet, womit hab ich um euch verdient, dass ihr mich so erhebet? Lucio. Bey meiner Seele, Gnaedigster Herr, ich sagt' es nur, weil es Mode ist, boeses von den Leuten zu sagen; wenn Euer Durchlaucht mich deswegen haengen lassen will, so muss ich es leiden; aber ich wollte lieber, dass es euch gefallen moechte, mir den Staupbesen geben zu lassen. Herzog. Den Staupbesen zuerst, Herr, und hernach den Galgen. Kerkermeister, lasst durch die ganze Stadt ausruffen, wenn irgend ein Weibsbild sey, die sich ueber diesen Gesellen zu beschweren habe, (wie ich ihn dann selbst habe sagen gehoert, es sey eine schwanger von ihm,) so soll sie sich darstellen, und er soll sie heurathen; wenn die Hochzeit vorbey ist, so lasst ihn peitschen und aufhaengen. Lucio. Ich bitte Euer Durchlaucht, mich nicht an eine H** zu verheurathen; Euer Durchlaucht sagte nur erst, ich habe euch zum Herzog gemacht; Mein Gnaedigster Herr, belohnet mich nicht so uebel dafuer, und macht mich zu einem Hahnrey. Herzog. Bey meiner Ehre, du sollst sie heurathen. Deine Schmaehungen und alle deine uebrigen Uebelthaten sollen dir vergeben seyn; fuehrt ihn indessen ins Gefaengniss, und sehet, dass mein Wille hierinn vollzogen werde. Ihr, Claudio, saeumet euch nicht, dem Frauenzimmer, das ihr gekraenkt habt, Genugthueung zu geben. Ich wuensche euch Gluek, Mariane; liebet sie, Angelo, ich habe ihre Beichte gehoert, und kenne ihre Tugend. Habe Dank, mein guter Freund Escalus, fuer deinen guten Willen, du sollt Ursache finden dich dessen zu erfreuen. Habe Dank, Kerkermeister, fuer deine Sorgfalt und Verschwiegenheit; wir werden dich in einem wuerdigern Plaz zu gebrauchen wissen. Vergebt ihm, Angelo, dass er euch Ragozins Kopf statt Claudios gebracht hat; die Beleidigung vergiebt sich von selbst. Und ihr, meine theure Isabella, wenn ihr ein williges Ohr zu der guten Gesinnung neiget, die ich fuer euch trage, so ist was mein ist euer, und was euer ist, mein; und hiemit fuehret uns in unsern Palast, wo wir euch deutlicher entdeken werden, was ihr alle zu wissen noethig habt. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Maass fuer Maass, oder: Wie einer misst, so wird ihm wieder gemessen, von William Shakespeare (Uebersetzt von Christoph Martin Wieland). End of the Project Gutenberg EBook of Maass fuer Maass (Measure for Measure) by William Shakespeare *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MAASS FUER MAASS *** This file should be named 7gs3110.txt or 7gs3110.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7gs3111.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7gs3110a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. 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If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. 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