The Project Gutenberg EBook of Beatrice, by Paul Heyse Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Beatrice Paul Heyse (1867) Wir hatten bis in die tiefe Nacht hinein geplaudert, unser drei, bei einigen Flaschen Astiweins, die wir durch einen gluecklichen Zufall aufgetrieben hatten und nun im kuehlen Gartenhaus auf das Wohl des eben aus Italien heimgekehrten Freundes leerten. Er war der aelteste von uns und schon ein fertiger Mann, als wir ihn vor zwoelf Jahren auf einer Reise im Sueden kennenlernten. Auf den ersten Blick hatte uns seine maennliche Gestalt, der Adel seines Wesens und eine gewisse melancholische Anmut seines Laechelns fuer ihn eingenommen. Sein Gespraech, seine ungewoehnliche Bildung und die Bescheidenheit, mit der er sie geltend machte, gewannen uns vollends, und die drei Wochen, die wir miteinander in Rom zubrachten, befestigten eine so warme Freundschaft, wie sie nur je zwischen Ungleichaltrigen bestanden hat. Dann musste er ploetzlich nach Genf, seiner Heimat, zurueck, wo er an der Spitze eines ansehnlichen Handlungshauses stand. Aber in den folgenden Jahren hatten wir keine Gelegenheit versaeumt, uns wiederzusehen, und auch jetzt war ihm der Umweg ueber unsere Stadt nicht zu weit gewesen, um uns wenigstens auf vierundzwanzig Stunden zu begruessen. Wir fanden ihn in seinem Aussehen unveraendert; er war noch immer ein schoener Mann, das Haar kaum mit dem ersten Grau angesprengt, die hohe Stirn glatt und weiss. Aber er schien uns schweigsamer als bei unserem letzten Begegnen, manchmal so in sich versinkend, dass er unsere Fragen ueberhoerte, waehrend er minutenlang unverwandt die Perlen des Weins im Glase aufquellen sah oder ein Stueck Eis langsam am Kerzenlicht zertauen liess. Wir dachten ihn gespraechig zu machen, wenn wir ihn nach seiner letzten Reise ausfragten. Aber als auch dieses Lieblingsthema nicht sonderlich einschlug, liessen wir ihn gewaehren und sprachen unter uns, froh, dass wir ihn wenigstens leiblich bei uns hatten, und ruhig abwartend, wann er auch geistig zu uns zurueckkehren wuerde. Indessen kramte ich allerlei Gedanken aus, die mich seit kurzem lebhaft beschaeftigt hatten und die, unreif und schroff, wie ich sie hinwarf, den Widerspruch unseres Freundes, der ein scharfer Dialektiker war, zu jeder anderen Zeit gereizt haben wuerden. Der Zustand des Theaters in Italien hatte den Anstoss gegeben. Ich behauptete, es sei durchaus nicht wunderbar, dass es die Italiener, so pathetisch und leidenschaftlich sie sich gebaerdeten, nicht zu einer tragischen Literatur gebracht haetten, die sich neben die griechische, englische und deutsche stellen koennte. Im Grunde sei es bei den Spaniern und Franzosen, trotz ihrer hochberuehmten dramatischen Blueteperioden, nicht viel besser damit bestellt. Denn das Temperament der Romanen, ihre Natur wie ihre Kultur, seien nun einmal so streng an das Konventionelle gebunden, dass die eigentlichsten tragischen Probleme, die alle auf der Selbstherrlichkeit des Individuums beruhten, ihnen kaum verstaendlich wuerden; dazu komme noch, dass sie auch in der Form sich nie zu befreien und die ruecksichtslosen Naturlaute anzuschlagen wagten, die allein den tragischen Schauder in uns erregen koennten? Wie jedes aesthetische Gespraech, das nicht bloss an der Schale herumtastet, fuehrte auch dieses bald in die raetselhaften Tiefen der Menschennatur, und waehrend Amadeus scheinbar teilnahmslos mit seinem silbernen Stift Figuren in den verschuetteten Wein zeichnete, nahm Otto lebhaft Partei fuer das, was ich als Konvention zu verdammen schien, er aber als das strengwaltende Sittengesetz auch in der Dichtung obenan stellte. Mein Satz schien ihm gefaehrlich, dass jeder tragische Fall das Naturrecht der Ausnahme gegen das buergerliche Recht der Regel verherrlichen muesse, dass demnach der Begriff einer tragischen Schuld auf das Verbrechen hinauslaufe, einen Daemon im Busen zu haben, der den einzelnen ueber die engen Schranken der Alltagssatzung hinaushoebe und ihn darin bestaerke, mit nichts sich abzufinden, nichts zu dulden, nichts zu verehren, was dem innersten Gefuehl widerstreite. Damit loesest du, sagte er, die ganze Weltordnung, die doch wohl ihre guten Gruende hat, zu Gunsten eines unbegrenzten Individualismus auf und scheinst nur dem wahren Wert fuer die Poesie zuzuerkennen, was sich ausser das Gesetz stellt.--Ich suchte ihn dabei festzuhalten, dass es sich hier nur um die eigentlich tragischen Kollisionsfaelle handle, und dass grosse und starke, mit einem Wort, heroische Seelen den Streit der Pflichten anders zu loesen pflegten als der aengstliche, von kleinen Gewohnheiten und Ruecksichten eingeengte Mittelschlag der Philister. Geniale Naturen, sagt' ich, die auf sich selbst beruhten, erweitern durch ihre Handlungen, indem sie das Mass ihrer innern Kraft und Groesse als ein Beispiel vorleuchten lassen, ebensosehr die Grenzen des sittlichen Gebiets, wie geniale Kuenstler die hergebrachten Schranken ihrer Kunst durchbrechen und weiter hinausruecken. Und was an Obermass und Uebermut des Selbstgefuehls in jenen heroischen Seelen sich ruehren mag, wird es nicht eben durch den tragischen Untergang gelaeutert und gebuesst? Wenigstens nach der Meinung der Philister, denen das Leben das hoechste Gut ist, die also auch schwerlich von Handlungen und Gesinnungen zu verfuehren sind, auf die nach dem Weltlauf der Tod gesetzt ist. Der Dichter aber und die, die ihn verstehn, wird sich das Recht nicht verkuemmern lassen, sich der hohen Erscheinungen zu erfreuen, fuer welche die ueblichen Zollstoecke der Moral nicht passen wollen. Und wer das unsittlich schilt, was bei unseren traurig mangelhaften buergerlichen Einrichtungen starken und freien Menschen als eine heilige Notwehr uebrig bleibt, fuer den ist Schoenes nie geschaffen worden, und vom Guten kennt er nur das Nuetzliche. Dieses und aehnliches hatt' ich gesagt, als auf einmal Amadeus aus seinem Hinbrueten zu mir aufsah und mir ueber den Tisch hinueber die Hand reichte. Ich danke dir, sagte er; du hast da ein gutes Wort gesprochen, das mir wohltut. Unter uns dreien kann ja auch kein Streit darueber sein, dass die Sitte nicht das Mass der Sittlichkeit ist, und dass die hoechsten Aufgaben der Poesie an den Grenzen der Menschheit liegen. Aber gegen eins muss ich Einsprache erheben: dass du den Mangel eines wahrhaft grossen tragischen Poeten in Italien aus der konventionellen Gebundenheit des Volkscharakters erklaeren willst. Als ob Gemuets- und Geschmacksanlagen, Sittliches und Aesthetisches sich notwendig Hand in Hand entwickelten, nicht oft genug eins das andere ueberholte! Wenn den Italienern das grosse tragische Talent geboren wuerde, das sie in ihrem Alfieri freilich laengst zu besitzen waehnen, --der Genius des Volkes wuerde ihm auf halbem Wege entgegenkommen, und die akademischen Vorurteile des Stils hielten gegen eine echte Naturkraft so wenig stand, wie alle anerzogene konfessionelle Sitte gegen das Recht und die Pflicht eines freigebornen Gemuets. Nein, fuhr er in sichtbarer Erregung fort, und seine Augen schimmerten feucht, das hohle Pathos ihrer Trauerspiele ist nicht der Grundton, auf den die Seele dieser edlen Nation gestimmt ist. Ich wenigstens darf dies nicht anhoeren, ohne Verwahrung einzulegen. Denn wenn es je ein Wesen gab, das in seinem Gefuehl und Handeln auf sich beruhte und seinem Daemon gehorchte, so war es mein Weib, und mein Weib war eine Italienerin. Er schwieg und wir sassen in der wunderbarsten Erregung ihm gegenueber, ebenfalls stumm und atemlos vor Ueberraschung. So gut wir ihn und all seine Verhaeltnisse zu kennen meinten, zum ersten Male hoerten wir heute, dass er verheiratet gewesen sei, mit einer Frau, die er so hoch stellte und die er uns doch verleugnet hatte, wie man eine Verirrung verheimlicht. Nun stand er auf und ging in dem engen, halbdunkeln Raum eine Weile auf und ab, und wir stoerten ihn weder mit Fragen noch mit Blicken. Endlich trat er zwischen uns und sagte mit seiner tiefen, klangvollen Stimme: Ich habe es euch nicht erzaehlt, weil mich die Erinnerung zu sehr uebermannt und manchmal, wenn ich es nur mir selbst so recht gegenwaertig machte, mich ein Fieber befiel, das mich eine Woche lang nicht wieder verliess. Und doch ist es mir wie eine Schuld gegen euch vorgekommen, dass ich auf alle eure Neckereien, warum ich keine Frau genommen, nur immer mit Scherzen antwortete. Ihr koennt glauben, hauptsaechlich um dies endlich zwischen uns ins klare zu bringen, habe ich diesmal, da ich wieder von ihrem Grabe komme, den Heimweg so eingerichtet, dass ich euch treffen musste. Lasst mich also alles heraussagen, wie es mir auf die Zunge kommt. Wir wollen erst noch die Fenster nach dem Garten oeffnen; es ist hier so schwuel, dass man schwer Atem holt. So!--und nun trinkt und raucht, und ich will auf und ab gehen. Ein Vierteljahrhundert ist darueber hingegangen, und doch steht alles wie von gestern neben mir und laesst mich nicht ruhig bleiben. Was er dann berichtete, bis an die Morgendaemmerung--denn auch nachher konnten wir uns nicht so bald trennen--, schrieb ich am folgenden Tage auf, soviel ich konnte mit seinen eigenen Worten. Damals dachte ich nicht, dass es in Wahrheit sein letztes Vermaechtnis sein wuerde. Aber er hatte nicht zu viel gesagt. Die Nacht, in der er es uns erzaehlte, trug ihm ein Fieber ein, das ihn bis nach Hause begleitete. Eine naechtliche Aufregung beim Loeschen eines Hausbrandes trat hinzu. Wenige Wochen, nachdem wir ihn zuletzt gesehen, kam die Nachricht, dass wir ihn verloren hatten. Nun sind mir diese Aufzeichnungen um so wertvoller, und kaum kann ich mich entschliessen, fremde Augen hineinblicken zu lassen. Dann wieder empfinde ich es als eine Pflicht, das wundersame Geschick dieser beiden Menschen nicht im Dunkeln zu lassen. Sollte nicht das, was hohe und edle Menschen erleben, Eigentum der ganzen Menschheit sein? So will ich ihn denn erzaehlen lassen. Ich war eben fuenfundzwanzig Jahre alt geworden, als mein Vater starb; seit ich seinen schmerzlichen Todeskampf mit angesehen, schien ich mir um zehn Jahre aelter. Kurz vorher hatte meine einzige Schwester, die ich sehr liebte, einen jungen Geschaeftsfreund unseres Hauses geheiratet, einen Franzosen, dessen Familie seit lang in Genf angesiedelt war, und der nun seinen Namen unserer Firma hinzufuegte. Wir standen uns so nah wie Brueder, und als er und meine Schwester in mich drangen, einige Monate auf Reisen zu gehen, um meine verstoerten Lebensgeister wieder ins Gleiche zu bringen, liess ich mich hierin wie in allen Dingen gern von ihnen bestimmen, zumal ich wohl fuehlte, dass ich einer Hilfe von aussen sehr beduerftig war. Auch wirkte die Luftveraenderung bald, wie meine Lieben gehofft hatten. Jugend und Lebensmut kehrten mir zurueck; ich hatte wieder offene Augen fuer alle Schoenheiten der Natur, und mein Sinn fuer die Kuenste, der schon auf frueheren Reisen in Deutschland und Frankreich geweckt worden war, fand reiche Nahrung in Mailand und Venedig, wohin ich mich zunaechst wandte, um dann in maessigen Tagesreisen suedlicher zu gehen. Vor allem zog es mich nach Florenz, und die Herrlichkeiten, die ich dort zu finden hoffte, machten mich gegen manches undankbar, was mir auf dem Wege dahin begegnete. So hatt' ich mir auch fuer Bologna nicht mehr als einen einzigen Tag festgesetzt, Kirchen und Galerien hastig durchrannt und mich am Nachmittag in einen Wagen geworfen, um nach dem alten Klosterhuegel San Michele in Bosco hinauszufahren und mit einer Rundschau von da oben herab mein Reisegewissen ueber diese merkwuerdige Stadt zu beruhigen. Es war einer der heissesten Tage jenes Hochsommers, und obwohl ich sonst gegen jede Temperatur ziemlich unempfindlich war, laehmte mich doch heute die Schwuele bis zur Erschoepfung. Die Strasse, die von San Michele nach der Stadt zurueckfuehrt, war voellig oede. Ueber die Mauern der Gaerten ragten die Baeume und Buesche dickverstaubt herueber, die Raeder des Wagens gruben sich in den handhohen gluehenden Staub schwerfaellig ein, mein Kutscher nickte so schlaftrunken auf dem Bock, dass er sich kaum im Gleichgewicht hielt, und sein muedes Tier schlich mit gesenkten Ohren ganz am Rande der Chaussee, um den schmalen Schatten mitzunehmen, den hie und da eine Villa oder Gartenhecke ueber die Strasse warf. Ich hatte mich auf dem Ruecksitz bequem ausgestreckt und mir aus meinem Regenschirm ein Zelt gemacht, unter dem ich in einer Art Halbschlaf hindaemmerte. Ploetzlich wurde ich, nicht eben sanft, aus meiner Ruhe aufgeschreckt durch etwas, das mir gegen das Gesicht fuhr, als haette mich im Vorbeifahren ein herueberhangender Baum gestreift. Als ich hastig aufsprang und mich umsah, fiel mein erster Blick auf einen bluehenden Granatzweig, der auf meinem Schosse lag und offenbar ueber die nahe Mauer mir in den Wagen geworfen war. Die Bewegung, die ich machte, schien dem Gaul ein Zeichen, dass er stillhalten sollte. Der Kutscher schlief ruhig weiter. So hatte ich alle Musse, den Ort zu pruefen, von woher der Wurf gekommen war, und liess es mir um so mehr angelegen sein, als ich hinter der hohen Gartenmauer deutlich ein verstohlenes Kichern hoerte, wie von einem uebermuetigen Maedchen, das heimlich ueber eine gelungene Schelmerei triumphiert. Und richtig, noch hatte ich nicht lange gewartet, aufrecht im Wagen stehend und die Mauer scharf im Auge, als ein Lockenkopf unter einem grossen Florentiner Strohhut ueber dem Mauerrand auftauchte. Zwei dunkle mutwillige Augen unter ernsthaften Augenbrauen richteten sich auf mich und schienen mich wie ein fremdes Wundertier anzustaunen. Als ich aber den Granatzweig erhob, die Blueten an meine Lippen drueckte und sie dann gegen die junge Wegelagerin schwenkte, uebergoss das reizende Gesicht ploetzlich eine dunkle Roete, und im Nu war die Erscheinung wieder hinuntergetaucht, dass ich, ohne den Zweig in meiner Hand, am Ende geglaubt haette, alles sei nur ein Traum gewesen. Ich stieg nachdenklich aus dem Wagen und ging ein paar Schritte laengs der Mauer hin nach dem hohen Gitterportal, das den Garten verschloss. Durch die alten Eisenstaebe von schwerer mittelalterlicher Arbeit konnte ich ein Stueck des Parks uebersehen und das Haus, das mit verschlossenen Jalousien mitten zwischen Ulmen und Akazien stand. Ich ruettelte am Schloss, das nicht zu oeffnen war, und meine Hand fasste schon nach dem Klingelgriff, als mich eine geheime Scheu ueberfiel, das Innere dieses fremden Bezirks zu betreten. Und was haette ich fuer eine Figur gemacht, wenn man mich um den Grund meines Eindringens befragt haette? So begnuegte ich mich, ein Weilchen zu warten, ob die Zweigwerferin sich nicht irgendwo blicken lassen wuerde, und betrachtete indessen das Haus, an dem nichts Merkwuerdiges war, so genau, als ob ich es zeichnen wollte, bis die Sonne mir unertraeglich wurde und mich unter mein Schirmzelt zuruecktrieb. Der Kutscher kam darueber wieder zu sich, tat einen Ruck mit dem Zuegel, und wir schlichen unseres Weges weiter, ich immer noch den Kopf auf dem Ruecken, obwohl nichts Holdes mehr zu sehen war. Als ich in meinen Gasthof "zu den drei Pilgern" zurueckkam, brach ein rascher Gewitterguss ueber diese schwuele Stadt herein, und es war die Nacht darauf erquicklich kuehl und feucht in den Strassen, so dass ich nicht satt wurde, unter den langen Arkaden herumzuschlendern, bald hier in einem Cafe Eiswasser zu trinken, bald dort ein Kirchenportal im fahlen Laternenschein zu studieren. Aber sosehr ich mich mit Stehen und Gehen abmuedete, ich konnte bis an den fruehen Morgen nicht zum Schlafen kommen. Dass es das junge Gesicht von der Gartenmauer sein koennte, was mich wach hielt, glaubte ich selber nicht, obwohl ich es bestaendig vor Augen hatte. Ich hatte es immer fuer eine Fabel gehalten, dass der Funken eines Blickes genuege, ein Herz in Brand zu stecken. Und so schob ich meine Unruhe auf die ueberreizten Nerven. Nur am anderen Morgen, als man mir die schon abends bestellte Rechnung brachte und ich nun mit der Abreise Ernst machen sollte und doch merkte, es lasse mich nicht fort, wurde ich nachdenklich. Ich erinnerte mich, dass ich einen Geschaeftsfreund unseres Hauses hier in Bologna aufzusuchen hatte. Mein Gewissen in diesem Punkt war sonst nicht uebermaessig zart. Jetzt aber schien es mir durchaus noetig, diese Pflicht der Hoeflichkeit zu erfuellen. Auch machte ich mir Vorwuerfe, Raffaels heilige Caecilien nur so fluechtig betrachtet zu haben, anderer Unterlassungssuenden zu geschweigen. Bologna kam mir auf einmal sehr viel sehenswuerdiger vor, und Florenz blieb mir ja aufgehoben. Ich bildete mir zuletzt wirklich ein, die Zweigwerferin habe den geringsten Anteil an meinem veraenderten Entschluss. Seltsam, dass mir die Umrisse des Gesichts, je mehr ich mich zurueckbesann, immer mehr entschwanden, und nur die Augen allgegenwaertig mir vorschwebten. Ich merkte auch ueber Tag, waehrend ich meinen Touristenpflichten nachging, keine besondere Aufregung in mir. Doch als ich, da die groesste Hitze vorueber war, den Weg nach dem Landhause einschlug, als ob es sich von selbst verstuende, war eine wunderliche Bangigkeit in mir, und ich weiss noch genau, welche Lieder ich sang, um mir Mut zu machen. Nun kam ich hinaus und fand alles wie gestern, das Haus im Garten nur weniger oede, da die Jalousien geoeffnet waren und auf dem Balkon ein Huendchen stand, das, wie ich von dem Gitterportal nicht weichen wollte, mich heftig anbellte. Auch jetzt noch fasste ich mir nicht das Herz, anzulaeuten. Es war, als warnte mich etwas, und fast wuenschte ich selbst, das Gesicht nicht wiederzusehen, um dann morgen leichten Herzens abreisen zu koennen. Dennoch umging ich erst einmal die ganze Mauer, die sich ziemlich weit herumzog und drueben im Feld an niedrige Bauernhuetten und Maisfelder grenzte. Auch dort war alles einsam. Als ich an die Stelle kam, wo ein niedriger Heckenzaun an die Mauer stiess, so dass ich bequem hinaufklettern und in den Garten sehen konnte, wagte ich es ohne Bedenken, da kein Mensch in der Naehe war. Eine grosse Steineiche ragte gerade dort von innen ueber die Mauer. Da stieg ich hastig hinauf und ergriff den niedrigen Ast, mich in der Schwebe zu halten. Ich haette es mir nicht besser aussuchen koennen; denn kaum hundert Schritte von mir entfernt sah ich auf einem verbrannten Rasenplatz, der aber jetzt im Schatten lag, zwei junge Maedchen, die Federball spielten und nicht ahnten, dass sie belauscht wurden. Die eine trug ein weisses Kleid und den grossen Strohhut, den ich gestern schon gesehen hatte. Sie war nicht gross, nicht klein, schlank aufgewachsen wie ein Mandelbaeumchen, dabei von einer raschen Anmut wie ein junger Vogel, dass ich aehnliches nie gesehen zu haben meinte. Die schwarzen Haare fielen ihr waehrend des lebhaften Spiels frei um die Schultern, das Gesichtchen war blass, nur Zaehne und Augen leuchteten, und dann und wann lachte sie hell auf, wenn ein ungeschickter Wurf geschehen war; dann klopfte mir jedesmal heftig das Herz, und die Hecke unter meinen Fuessen zitterte. Ihre Gespielin war fast gleich gekleidet, nur minder zierlich, und schien von geringerem Stande. Ich sah sie kaum, da ich genug zu tun hatte, allen Bewegungen der reizenden Gestalt zu folgen. Wie sie den Arm hob, um den Ball zu schlagen, wie sie mit scharfgespannten Augen fest in die Hoehe sah, um den niedersausenden zu erwarten, ihr Jubel, wenn ihr ein Wurf hoch im Bogen geglueckt war, ihr Kopfschuetteln bei einem Fehlschlag--jede Gebaerde ein Bild der reizendsten Jugendkraft und Lebensfuelle! Ich fuehlte deutlich, dass es um mich geschehen war, und gab mich, zum ersten Male in meinem Leben, einem Gefuehle hin, das mich ganz und gar ueberstuerzte und verschlang. Mitten in dieser Hingerissenheit ueberlegte ich eben, wie ich es anfangen sollte, mich ihr zu naehern, ohne sie zu erschrecken, als mir der Zufall--nein, mein guter Stern zu Hilfe kam. Der Federball, den sie hoch in die Luft geschlagen, ueberflog den Wipfel der alten Steineiche, unter dem ich verborgen stand, und fuhr noch weit ins benachbarte Feld hinueber. Sie sah ihm aengstlich nach--ich weiss nicht, ob sie mich sogleich erblickte. Als ich aber eilig herabgesprungen und mit dem gluecklich geretteten wieder ueber die Mauer aufgetaucht war, sah ich ihre schwarzen Augen erstaunt, aber nicht unwillig, nach der Stelle gerichtet, wo ich Posto gefasst hatte. Die andere tat einen leichten Schrei, lief zu ihr hin und sprach hastig allerlei, was ich nicht hoeren konnte. Aber an ihren Gebaerden merkte ich, dass sie ihr zur Flucht ins Haus zuredete. Das schoene Wesen schien nicht auf sie zu hoeren, sondern ruhig abzuwarten, wann es dem Fremden belieben wuerde, den Fund zurueckzuerstatten. Als ich zoegerte, immer im Anschauen versunken, nahmen ihre Augen einen vornehm trotzigen Ausdruck an, sie warf die Locken zurueck und wollte sich eben mit einer kalten Miene von mir abwenden, als ich den Federball in die Hoehe hob und sie mit einer raschen Gebaerde noch zu warten bat. Dann nahm ich ein goldenes Medaillon in Herzform, das Haare meiner Schwester enthielt, mit dem Samtband, an dem ich es trug, vom Hals, befestigte es sorgfaeltig an das buntbefiederte Baellchen und warf es so gluecklich hinueber, dass es unweit von ihren Fuessen auf den hellen Kies des Gartens niederfiel. Sie tat, mit der stolzesten Haltung von der Welt, einige Schritte mir entgegen, hob den Federball auf und warf mir, als sie das Medaillon bemerkte, einen raschen leuchtenden Blick zu, der mir bis ins Mark drang. Ihre Gespielin kam herzu und schien sie etwas zu fragen. Aber sie antwortete nicht, schob den Federball samt dem goldenen Anhaengsel in die Tasche und bewegte darin, mit einer unnachahmlichen Hoheit, die Rakette, die sie in der Hand hatte, gegen mich, wie sich eine Fuerstin fuer eine Huldigung bedankt. Dann wandte sie sich und ging mit langsamen Schritten, ohne noch einmal nach mir umzublicken, dem Hause zu. Ich hatte nun freilich da oben nichts mehr zu suchen, und heute noch einen Versuch zu wagen, schien mir zu kuehn. Was konnt' ich auch fuer jetzt mehr gewinnen? Sie hatte mich offenbar wiedererkannt. Mein neues Auftauchen musste ihr sagen, wie ich es meinte; mein Herz hatte ich ihr zu Fuessen geworfen, sie hatte es aufgehoben und es ruhte jetzt in ihrer Hand. Sollte ich ihr nicht Zeit lassen, sich zu besinnen? Ich war auch in einem Fieberzustand, dass ich irre geredet haette, wenn ich ihr jetzt begegnet waere. Auch diese Nacht schlief ich wenig, aber ich habe nie in groesseren Freuden aufgesessen und die Stunden schlagen hoeren. Als es dann wieder Tag geworden war, ging ich, sobald nur geoeffnet wurde, in die Galerie und setzte mich der heiligen Caecilia gegenueber, wohl zwei Stunden lang. Da pruefte ich mein Inneres wie vor einem reinen Spiegel. Ich empfand, dass mich kein Spuk der Sinne verwirrte, dass der Funken, der mir ins Herz gefallen war, wirklich vom himmlischen Feuer stammte. Dieser Morgen war wundervoll. Alles noch Ahnung und Vorgefuehl, und doch ein ueberschwengliches Entzuecken, als saesse sie dicht neben mir und ich fuehlte ihr Herz an meinem schlagen. Die Heilige mit ihrem stillen Emporblicken konnte den Himmel nicht offener sehen. Wieder liess ich die Zeit der Siesta vergehen, ehe ich meine Wanderung nach der Villa antrat. Aber diesmal begnuegte ich mich nicht, durchs Gitter zu sehen; ich zog herzhaft an der Glocke und erschrak nicht einmal, als sie einen endlosen Laerm machte. Das Huendchen kam zornig auf den Balkon gelaufen, unten im Hause oeffnete sich ein Seitenpfoertchen neben der hohen Glastuere, und ein kleiner Mann, dessen gutmuetiges Gesicht durch einen maechtigen grauen Knebelbart einen laecherlich martialischen Anstrich bekam, schritt in sichtbarer Verwunderung ueber den unerwarteten Besuch auf das Gitter zu. Ich sagte das Spruechlein, das ich mir eingeuebt, ohne Stocken, dass ich ein Fremder sei, ein Reisebuch ueber Italien im Werk habe und auch die Landhaeuser um Bologna mit aufzunehmen denke. Es sei mir darum sehr wichtig, die Erlaubnis zu erhalten, auch hier nur einen raschen Umblick zu tun, da dieses Haus im alten Stil erbaut und in vieler Hinsicht merkwuerdig sei. Der Graubart schien von alledem nicht viel zu verstehen. Es tut mir leid, sagte er, aber ich darf den Herrn durchaus nicht einlassen. Die Villa gehoert dem General Alessandro P., unter dem ich selbst gedient habe, und die Schweiz, wo der Herr herstammt, kenne ich wohl, denn da bin ich selbst durchgekommen unter dem Bonaparte. Hernach, wie alles zu Ende war und ich mit meinen Wunden zu schaffen hatte, kommandierte mich mein General auf diesen Ruheposten, und da er noch einmal heiratete, gab er mir seine Tochter hier aufzuheben, denn der Herr weiss wohl, wie es geht, wenn die junge Tochter schoener ist als die junge Mutter. Nun, da leben wir hier ganz friedlich, und der Signorina fehlt es auch an nichts, denn der Papa schickt ihr fast jede Woche irgend was Huebsches, und Lehrer im Singen und in den Sprachen hat sie auch die besten und an meiner eigenen Tochter eine Gesellschaft, wie sie sie nur wuenschen kann. Nur in die Stadt kommt sie nicht, und die Mutter fragt nichts nach ihr, und das macht ihr auch weiter keinen Kummer, da der Vater doch alle Monat einmal sie besuchen darf. Aber jedesmal, wenn er kommt, schaerft er mir wieder ein, dass ich das Kind hueten soll wie meinen Augapfel, und sonntags, wenn sie in die Messe geht, gehn Nina und ich selbst mit ihr und lassen kein Auge von ihr. Was wollt Ihr auch in dem alten Hause sehn? Ich versichere Euch, es ist wie hundert andere, und auch im Garten waechst nichts Besonderes. Das fehlte noch, dass Ihr in einem Buch von uns erzaehltet; da wuerde es Haendel setzen mit meinem Herrn, und am Ende jagte er mich, so alt ich bin, aus dem Dienst. Ich suchte ihn nach Moeglichkeit zu beruhigen, aber mehr als alle guten Worte wirkte ein Goldstueck, das ich ihm durchs Gitter in die Hand drueckte.--Ich sehe, Ihr seid ein honetter junger Mann, sagte er, und werdet einen alten Soldaten nicht ungluecklich machen. Wenn Ihr so hitzig darauf besteht, so kommt und ich fuehre Euch herum, dass Ihr Eure Neugier buesst. Auch kann ich es um so eher, da die Signorina gerade Singstunde hat; so wird sie also gar nichts davon erfahren, dass ich einen Fremden eingelassen habe. Er schloss mir mit einem schweren Schluessel die Gittertuer auf und fuehrte mich ins Haus. Im Erdgeschoss war ein grosser kuehler Saal, mit Jalousien und schweren Vorhaengen gegen die Sonne verwahrt. Ich bat, meiner Rolle getreu, ein Fenster zu oeffnen, um die Bilder betrachten zu koennen, die an den Waenden hingen. Es waren Familienportraets von geringem Wert, nur eins, ueber dem Kamin, fesselte mich laenger. Das ist die Mutter unserer Signorina, sagte der Alte; ich meine die rechte, die nun schon fuenfzehn Jahr tot ist. Sie war eine schoene Frau, man nannte sie die schoene Heilige; die Tochter gleicht ihr sehr, nur dass sie lustiger ist und wie ein Vogel im Bauer bestaendig auf und ab springt. Sie hat auch eine Vogelkehle, warf ich scheinbar gleichgueltig hin. Ist sie das nicht, die da ueber uns singt? Jawohl, sagte der Alte. Der Kapellmeister von unserem Theater kommt zweimal die Woche. Wenn darin der Papa (il babbo, sagte er) seinen Besuchstag hat--er bleibt dann immer viele Stunden--, singt sie ihm ihre neuen Arien, und dann ist der arme Herr wie im Paradiese. Er hat sonst auch wenig Freude, und ohne das Kind waere ihm wohl besser in einer anderen Welt. Was ist mit ihm? fragte ich. Ist er krank? Wie man's nimmt, lieber Herr, sagte der Alte mit Achselzucken. Ich wenigstens waere lieber tot, als so lebendig. Wer ihn gekannt hat, als er noch bei der Armee war--der Riese des Giovanni da Bologna auf dem Markt sieht nicht vornehmer und ritterlicher in die Welt, als mein General tat. Und jetzt--es ist herzbrechend. Den ganzen Tag sitzt er im Lehnstuhl am Fenster, schneidet Bilderbogen aus oder spielt Domino, und es ist, als hoerte und saehe er nichts, und wenn seine Frau ihm etwas sagt, schielt er sie ganz schuechtern an und nickt ja zu allem. Nur was die Signorina angeht, da ist er noch ganz der alte, da darf ihn niemand hinters Licht fuehren wollen, oder er erfaehrt, dass der alte Loewe Tatzen hat, wenn ihm auch die Klauen beschnitten sind. Und wie ist er in diesen Zustand gekommen? Niemand weiss es, Herr. Es sind Dinge in dem Hause vorgefallen, von denen man nur gemunkelt hat. Ich meine immer, es muss ihm einmal von dem Weibe, will sagen Ihrer Exzellenz der jungen Frau Generalin, ein Schlag aufs Herz geschehen sein, von dem er sich nicht wieder ganz hat erholen koennen. Nun traegt er den Packen, den er sich selbst aufgeladen hat, wie ein alter standhafter Soldat Hunger und Durst ertraegt, wenn er auch darueber zum Schatten einschrumpft. Ja, ja, das sind Geschichten! Indessen stiegen wir die Treppe hinauf und kamen dem Gesang immer naeher. Die Stimme hatte etwas Herbes, Ungeschmeidiges; ein hoher, jugendlicher Sopran, fast knabenhaft, und es schien, als singe sie nur, weil sie etwas auf dem Herzen habe, durchaus unbekuemmert um ihren eigenen Wohllaut. Wie heisst die Signorina? fragte ich, als wir oben waren. Beatrice. Wir im Haus nennen sie Bicetta. O welch ein goldenes Herz! Meine Nina sagt oft: Vater, sagt sie, wenn sie warten soll, bis sie einen Mann findet, der sie wert ist, wird sie eine Jungfer bleiben. Seht, Herr, da ist ihr kleines Zimmer. Da liegen ihre Buecher; sie liest oft die halbe Nacht, sagt Nina, und in allen Sprachen. Da nebenan ist die Kammer, wo sie beide schlafen. Das Bild ueber ihrem Bett stellt meinen armen Herrn vor in der Generalsuniform, wie er uns in die Schlacht fuehrt. Da hinten der Kleine, der die Muskete schwingt, das soll ich sein, sagt die Signorina. Sie hat ihm selbst erst den Schnurrbart gemalt, um es aehnlicher zu machen. Aber kommen Sie nur, hier ist nichts Merkwuerdiges. Die Moebel sind alt, sehen Sie. Der General hat schon einmal neue herausschicken wollen, aber das Kind will es nicht leiden. Denn so sah hier alles aus, als die Selige hier ihren ersten Sommer als junge Frau zubrachte. Da auf dem Balkon sass sie immer in der Abendkuehle und schaukelte die Wiege und sah nach der Stadt hinueber, ob ihr Gemahl noch nicht bald komme, wenn er Geschaefte hatte. Ich trat hinaus und bueckte mich in wundersamer Bewegung, um das Huendchen zu streicheln, das mir wedelnd die Hand leckte. Jedes Wort des braven Alten war ein Tropfen Oel in mein Feuer. Und dann die Stimme nebenan, deren Hauch die Flamme hoch und hoeher anfachte!-Um mich nicht zu verraten, sprach ich allerlei ueber den Stil, in welchem der Park angelegt war, ueber den Mosaiktisch, der mitten in dem grossen Zimmer stand, und das verblichene Freskobild am Plafond. Ich konnte mich nicht entschliessen, wieder auf den Flur hinauszugehen, obwohl mein Fuehrer ungeduldig zu werden schien. Ploetzlich brach nebenan der Gesang ab, im naechsten Augenblick flog die Tuer auf, und sie selbst stand, das Notenblatt in der Hand, an der Schwelle. So nah hatte ich sie noch nicht gesehn. Aber dennoch sah ich sie nicht viel deutlicher als an den vorigen Tagen, denn es schwamm mir vor den Augen. Nur hatte ich gleich auf den ersten Blick erkannt, dass sie mein Medaillon am Halse trug. Der Alte war einen Schritt zurueckgefahren und stammelte jetzt eine linkische Entschuldigung, wobei er mich verstohlen am Rock zupfte. Es tut nichts, Fabio, sagte sie. Fuehre den Herrn nur herum, wenn er das Haus sehen will und den Garten. Geh mit, Nina, wandte sie sich an ihre Freundin, die auf einem niedrigen Sessel neben dem Klavier mit einer Stickerei sass; und hoere, ich will dir noch etwas sagen. Sie fluesterte ihr ein Wort ins Ohr, immer dabei den Blick auf mich geheftet, und verneigte sich dann mit der reizendsten Anmut gegen mich, der ich kein Wort vorbringen konnte. Dabei legte sie wie unwillkuerlich die rechte Hand auf das Medaillon und wandte sich dann wieder zu ihrem Lehrer, der dem ganzen Intermezzo mit neugierigen Augen zugesehen hatte. Auch schien die Stunde ruhig ihren Fortgang zu nehmen, waehrend wir drei, die Tochter des Alten voran, die Treppe hinunterstiegen. Das Maedchen musterte mich nachdenklich bei jeder Wendung der Stufen von neuem, sprach aber kein Wort. Erst als wir im Garten waren, wandte sie sich zu ihrem Vater. Ich soll dem Herrn zwei Orangen pfluecken, hat Bicetta mir aufgetragen. Er werde durstig sein von dem weiten Gang. Wir wollen bei der Fontaene voruebergehen, da stehen die reifsten. Ich folgte den beiden wie im Traum und sah nach dem Hause zurueck, nach dem Fenster, aus dem ihre Stimme noch immer herabklang. Die Jalousie war halb aufgezogen, da konnte ich sie im Halbschatten stehen sehen und glaubte deutlich zu erkennen, dass sie uns nachsah. Nina sah auch hinauf und dann wieder auf mich. Mir war es nicht darum zu tun, mich vor ihr zu verstecken; am liebsten haette ich ihr mein ganzes Herz offenbart. Aber da der Vater dabei war, konnte ich ihr nur zuletzt, als wir am Gitter anlangten und sie mir die Orangen gab, zufluestern: Gruesse sie und sag ihr, sie wuerde von mir hoeren. Und diese eine Frucht gib ihr, und wenn sie sie isst--Da kam der Alte dazwischen, der mich minder freundlich verabschiedete, als er mich eingelassen hatte. Ich wiederholte mein Versprechen, zu schweigen. Aber er schien einen anderen Argwohn zu haben, und sein ehrliches Gesicht blieb verfinstert. Die Nacht brachte ich damit zu, einen langen Brief an sie zu schreiben, in dem ich ihr meinen ganzen Zustand schilderte und mein Wohl und Wehe in ihre Haende gab. Wenn mir dann und wann der Schritt, den ich wagte, mitten in der unsinnigsten Leidenschaft allzu abenteuerlich vorkam, nahm ich die Orange, die neben dem Blatt auf meinem Schreibtisch lag, und drueckte sie gegen die Lippen, schloss dabei die Augen und dachte an sie, wie sie sich auf der Schwelle mit jenem langen holdseligen Blick verneigt und die Hand an das goldene Herz gelegt hatte. Hernach schlief ich sehr ruhig und bis in den hellen Tag hinein, liess aber wieder den Mittag voruebergehen, eh ich als mein eigener Briefbote den entscheidenden Gang antrat. Das Glueck wollte mir wohl. Ich hatte mir eine lange eindringliche Rede ausgedacht, mit der ich den Alten gewinnen wollte, wenn er Anstand naehme, meinen Brief zu besorgen. Aber statt seiner kam, als ich laeutete, Nina ans Gitter; da konnt' ich die vielen Worte sparen. Das kluge Kind schien durchaus nicht ueberrascht, mich wiederzusehen. Auch nahm sie den Brief unbedenklich an. Aber auf meine Frage, ob sie glaube, dass die Signorina mir antworten wuerde, machte sie eine diplomatische Miene und sagte: Wer kann es wissen?--Ich wuerde jedenfalls am anderen Tage wiederkommen, sagt' ich, genau zu derselben Zeit, und baete sie, mich hier am Gitter zu erwarten, dass ich nicht anzulaeuten und ihren Vater ins Geheimnis zu ziehen brauchte. Der Vater? sagte sie und lachte. Den fuerchten wir nicht. Er tut immer, als waere er ein Menschenfresser, und Bicetta braucht ihn nur anzusehn, so ist er um den Finger zu wickeln. Aber kommt morgen lieber eine Stunde spaeter. Wir haben Zeichenstunde und koennen Euretwegen den Professor doch nicht wegschicken. Wollt Ihr? Eine Kutsche rollte auf der Landstrasse heran, ich hatte nur Zeit, der Kleinen noch ein Ja zuzurufen, dann war sie mir schon entschluepft, und ich selbst floh rasch die Mauer entlang, um nicht hier am Gitter betroffen zu werden. Der Wagen hielt richtig am Portal, mein alter graubaertiger Freund, der Hausverwalter, sprang vom Sitz neben dem Kutscher herab und half einem hochgewachsenen schlohweissen alten Herrn aus dem Wagen, in dem ich sogleich, an Augen, Stirn und Nase, Beatrices Vater erkannte. Er ging etwas gebueckt und mit trippelnden Schritten, sich die Haende reibend und ueber das ganze Gesicht lachend. Ein Diener hob einen Korb mit Blumen und allerlei eingewickelten Sachen aus dem Wagen und trug ihn dem Alten nach. Ich hatte mich so an die Mauer gedrueckt, dass keiner mich bemerkte. Ich selbst aber uebersah die ganze Szene. Ehe noch einer gelaeutet hatte, flog die Gitterpforte weit auf, und die schlanke weisse Gestalt der Tochter hing sich an den Hals des alten Herrn, der sie mit einer ruehrenden Heftigkeit in seine Arme schloss und dann halb schwebend hineintrug. Die anderen folgten. Ich sah mit Neid das Tor hinter ihnen ins Schloss fallen. Wie ich die Stunden dieses Tages und der folgenden Nacht hinbrachte, weiss ich selber nicht. Es war ein bestaendiges Zwielicht um mich her, eine suesse Betaeubung, eine Schlaftrunkenheit, die mir die Augen zudrueckte, waehrend es bestaendig in mir sang und klang wie Floeten und Geigen. Denn sonderbar! so wenig zuversichtlich ich von jeher Frauen und Maedchen gegenueber mich gefuehlt hatte, obwohl ich wusste, dass ich fuer einen schmucken jungen Mann galt, so getrost sah ich diesmal meinem Schicksal entgegen, als waere mir das Herz dieses Maedchens so gewiss, wie dass morgen die Sonne aufgehen wuerde. Nur die Zeit, bis ich es von ihren Lippen hoeren sollte, schien unueberwindlich lang und langsam. Noch muss ich hier eine seltsame Begegnung erwaehnen, die ich am anderen Tage in einer Kirche hatte. Ich war absichtslos hineingetreten, bloss um den Ort meiner Ungeduld zu veraendern. Denn weder Bilder noch Saeulen, noch die Menschen, die vor den Altaeren knieten, interessierten mich nur im geringsten. Ich war so zerstreut, dass ich meinen Schritt zu daempfen vergass, da doch eben Messe war. Erst ein unwilliges Gemurmel eines alten Weibes erinnerte mich, dass ich mich unschicklich betrug. Da blieb ich am ersten besten Pfeiler stehen, horchte auf das Gesumme der Orgel und das Klingeln des Gloeckchens und atmete den Weihrauch behaglich ein. Aber wie ich so die Augen mit abwesendem Geist ueber die kniende Menge schweifen lasse--ich selbst als Sohn eines strengen Calvinisten enthielt mich natuerlich dieses andaechtigen Brauches--, bemerke ich in einem Seitenstuhl mir gerade gegenueber zwei dunkelblaue Augen unter einer weissen, von lichtbraunem Haar ueberhangenen Stirn, die sich unbeweglich auf mich heften und auch nicht ihre Richtung aendern, solange die Messe dauerte. Ich gestehe, dass mir zu jeder anderen Zeit diese stumme Anrede eine Erwiderung abgelockt haette. An jenem Morgen blieb ich ganz unempfindlich und waere am liebsten fortgegangen, wenn ich nicht eine neue Stoerung haette vermeiden wollen. Als aber alles sich erhob, sah ich, wie die schoene Frau rasch aufstand, den schwarzen Spitzenschleier ueber den Kopf zog und durch den schmalen Gang gerade auf mich zu kam. Sie war tadellos gewachsen, ein wenig zu voll, aber von einer Leichtigkeit der Bewegungen, die sie noch jugendlich erscheinen liess. In ihrer weissen Hand, die ohne Handschuh den Schleier zusammenhielt, trug sie einen kleinen Faecher mit Perlmuttergriff. Den oeffnete sie halb und bewegte ihn nachlaessig, als sie in meine Naehe kam, und sah mir dabei mit einem ruhigen, aber vielsagenden Blick voll ins Gesicht. Dann, da ich keine Miene machte, als ob ich irgend etwas zu verstehen glaubte, warf sie den Kopf ein wenig zurueck, laechelte vornehm, dass ihre schoenen Zaehne schimmerten, und rauschte an mir vorbei. Im naechsten Augenblick schon hatte ich dies Intermezzo vergessen. Aber meine Freudigkeit war ploetzlich verschwunden. Je naeher der Abend rueckte, je baenger wurde mir der Mut, und in der verabredeten Stunde schleppte ich, wie ein schwerer Verbrecher, der vor seinen Richter treten soll, meine Schritte nach der Villa hinaus. Ich erschrak heftig, als ich statt der Nina, die ich am Gitter zu treffen dachte, ihren Vater am Portal stehen sah. Aber der Alte, obwohl er muerrisch genug aussah, nickte mir doch schon von weitem zu und machte ein Zeichen, dass ich naehertreten sollte. Ihr habt der Signorina einen Brief geschrieben, sagte er, den Kopf schuettelnd. Ei, ei, warum habt Ihr das getan? Wenn ich das von Euch gedacht haette, mit meinem Willen haettet Ihr keinen Fuss in das Haus gesetzt. Und mein armer Herr, und alles, was ich ihm versprochen habe, und was alles noch kommen kann--ich darf gar nicht daran denken! Tapfrer alter Freund, sagt' ich, es sollte nicht hinter Eurem Ruecken geschehen. Waert Ihr gestern zu Haus gewesen, gewiss, ich haette den Brief Euch selbst gegeben und allenfalls haettet Ihr ihn lesen koennen, um zu sehn, dass ich nichts als Ehrenhaftes im Sinn habe. Aber sagt um Gottes willen-Kommt, unterbrach er mich. Wir wollen die Zeit nicht verderben. Ihr seid ein honetter junger Herr, und uebrigens: wie sollt' ich alter Tropf es hindern, wenn ich's auch wollte? Sie ist die Herrin, glaubt es mir, so jung sie ist. Wenn sie sagt: das will ich! so widersteht ihr niemand. Und sie will Euch sehn, sogleich, sie will selbst mit Euch sprechen. Mir taumelten alle Sinne bei diesen Worten. Ich hatte nur auf einen Brief gehofft; nun das! Der Alte schien selbst geruehrt, als ich ihm stuermisch die Hand drueckte, Er fuehrte mich nach dem Hause und wie vorgestern durch die Seitentuer hinein in den Saal des Erdgeschosses. Nur waren heut alle Laeden und Vorhaenge geoeffnet, um das Abendrot einzulassen; zwei Sessel standen dem Kamin gegenueber, und von dem einen erhob sich, als wir eintraten, die geliebte Gestalt des Maedchens und tat einige Schritte mir entgegen. Sie hatte ein Buch in der Hand, in dem ich meinen Brief stecken sah. Ihre reichen Haare waren aufgebunden und mit einem schwarzen Samtband durchzogen. Auf ihrer Brust sah ich wieder mein Medaillon. Fabio, sagte sie, mach die Tuer nach dem Garten auf und bleib auf der Terrasse, fuer den Fall, dass ich dir etwas aufzutragen haette. Der Alte verneigte sich ehrerbietig und tat, was sie ihn geheissen hatte. Waehrenddessen standen wir uns unbeweglich gegenueber, und ich konnte vor Herzklopfen kein Wort hervorbringen. Ihr Blick ruhte mit unerschuetterlichem Ernste, halb fragend, halb staunend, auf meinen Augen. Endlich schien sie sich gefasst zu haben und klar zu wissen, was ihr noch eben raetselhaft gewesen war. Sie reichte mir die Hand, die ich rasch ergriff, aber nicht an meine Lippen zu druecken wagte. Komm, sagte sie, und setz dich. Ich habe dir viel zu sagen. Siehst du das Bild? Das ist meine liebe Mutter, die ist lange tot. Als ich deinen Brief gelesen hatte, hab' ich mich hierher gesetzt und sie gefragt, was ich dir antworten sollte. Dann schien mir's, als ob sie zu nichts ihre Zustimmung geben koennte, als zu der Wahrheit. Und die Wahrheit ist, dass ich, seit ich dich damals im Wagen gesehn, keinen anderen Gedanken gehabt habe als an dich, und dass ich bis an meinen Tod nicht aufhoeren werde, an dich zu denken. Ich wusste nicht, wie mir geschah, als ich diese schlichten Worte hoerte. Ich stuerzte nieder neben ihrem Sessel, ergriff ihre beiden Haende und bedeckte sie mit Kuessen und Traenen. Warum weinst du nun? sagte sie und suchte mich aufzuheben. Bist du nicht gluecklich? Ich bin es. Ich habe schon viel Schmerzen gehabt, aber in diesem Augenblick ist alles ausgeloescht; ich weiss nur, dass du bei mir bist und ich bei dir, und dass ich nun nie mehr ungluecklich werden kann. Sie stand auf und ich riss mich in die Hoehe. Ich wollte sie im Taumel des Gluecks in die Arme schliessen, aber sie trat sanft einen Schritt zurueck. Nein, Amadeo, sagte sie, das darf nicht sein. Du weisst nun, dass ich dein bin und nie eines anderen sein werde. Aber lass uns ruhig bleiben. Ich habe alles bedacht in dieser langen Nacht. Du darfst nun nicht mehr in dies Haus kommen, ich hab' es dem guten Fabio versprochen, dass ich dich heute hier zum ersten und letzten Male sehen wollte. Denn wenn du oefter kaemest, haett' ich bald keinen Willen mehr als deinen, und ich will meinem Vater keine Schande machen. Hoere, du musst zu ihm gehn, du wirst keine Muehe haben, im Hause eingefuehrt zu werden; es gehen ja, fuegte sie mit einem Seufzer hinzu, so viele junge Leute dort ein und aus, auch Fremde genug. Wenn er dich dann ein wenig kennengelernt und Zutrauen zu dir gefasst hat, dann halte um mich an, und du magst ihm auch sagen, dass wir uns kennen und dass ich niemand zum Mann haben will als dich. Das andere ueberlass nur mir, und versprich mir auch, seine Frau nicht ins Vertrauen zu ziehn. Das waere das Allerschlimmste, weil sie mich nicht liebt und es nicht gern saehe, wenn ich gluecklich wuerde. Ach, Amadeo, ist es denn moeglich, dass du mich liebst, ganz so, wie ich dich liebe? War dir's denn auch so an jenem ersten Tage, als wenn der Blitz neben dir einschluege und die Erde bebte und Baeume und Buesche umher stuenden in Feuer? Ich weiss nicht, wie es kam, dass mich der Mutwille trieb, dem Fremden, der unter dem Schirme schlief, den Zweig zuzuwerfen. Ich sah nicht einmal dein Gesicht; es war eine Kinderei, und sie reute mich fast im selben Augenblick. Aber dann zog mich's unwiderstehlich, ich musste noch einmal ueber die Mauer sehen, und da standst du aufrecht im Wagen und gruesstest mich mit den Granatblueten, und da ueberlief es mich heiss und kalt, und seitdem stehst du immer vor mir, was ich auch tue oder lasse! Ich hatte sie wieder zu den Sesseln gefuehrt und hielt bestaendig ihre Hand, waehrend ich ihr erzaehlte, wie mir diese Tage vergangen waren. Sie sah mich dabei nicht an, so dass ich nur das reizende junge Profil vor mir hatte; aber alles war ausdrucksvoll an diesem Gesicht, bis auf die seelenvolle Blaesse und die zarten, braeunlichen Schatten unter den langen Wimpern. Dann schwieg ich auch wieder und fuehlte nur in den feinen Adern ihres Haendchens, das ich in meinen hielt, das rasche Blut klopfen. Der alte Fabio sah einmal bescheidentlich herein und fragte: ob er Fruechte bringen sollte? Hernach! sagte sie. Oder bist du durstig? Nach deinen Lippen, fluesterte ich. Da schuettelte sie wieder den Kopf, und ihre feinen Brauen wurden ernsthaft. Du liebst mich nicht! sagte ich. Viel zu sehr! erwiderte sie mit einem Seufzer. Dann stand sie auf. Wir wollen noch durch den Garten gehen, eh die Sonne ganz hinunter ist. Ich will dir Orangen pfluecken. Diesmal brauch' ich es nicht der Nina aufzutragen. So gingen wir, und sie hielt meine Hand fest und fragte allerlei, nach meiner Heimat, meinen Eltern, und ob das Haar in dem Medaillon mein eigenes sei. Als ich sagte, meine Schwester habe mir's gegeben, musst' ich von der erzaehlen. Ich will sie sehen, sagte sie; sie muss mich lieben, denn ich liebe sie schon jetzt. Dann aber koennen wir dort nicht bleiben, weil es mein Vater nicht ueberlebte, sich von mir zu trennen. Er hat keine Freude ausser mir. Nicht wahr, du kehrst dann wieder mit mir nach Bologna zurueck? Ich versprach, was sie nur verlangte. Was waere mir auch unmoeglich erschienen, seit sich dieses Wunder begeben und das holde Gesicht mich mit Liebesaugen ansah!--Nun wurde sie immer heiterer, wir lachten endlich zusammen wie die Kinder und warfen uns mit den Orangen, die sie von den Baeumen am Glashause gebrochen hatte. Komm, sagte sie, wir wollen Federball spielen. Nina soll mitspielen, obwohl ich fast eifersuechtig werden moechte, denn sie spricht nur von dir. Sieh, wie sie sich beiseite schleicht, weil sie glaubt, sie stoere uns. Was haben wir uns zu sagen, das nicht die ganze Welt und Himmel und Erde hoeren koennten? Sie rief nach ihrer Gespielin, und das gute Kind kam mit gluehendem Gesicht heran, gab mir die Hand und sagte: Ich hoffe, Ihr verdient Euch Euer Glueck. Niemand als Euch haette ich sie gegoennt. Aber wenn Ihr sie nicht gluecklich macht, Herr Amadeo--wehe Euch! Sie begleitete ihre Drohung mit einer so lebhaften tragischen Gebaerde, dass wir beide lachen mussten, und sie selbst lachte mit. Auf dem Rasenplatz, wo ich die Maedchen damals belauscht hatte, liessen wir nun zu dreien den bunten Federball fliegen und waren bald so fortgerissen von unserem Spiel, als haetten wir gar keine wichtigeren Angelegenheiten und nicht vor einer halben Stunde ueber unser Lebensglueck entschieden. Papa Fabio liess sich nicht blicken. Als die Schatten dichter wurden, begleiteten mich die beiden Maedchen ans Gitter. Ich ward ohne einen Kuss des lieblichsten, geliebtesten Mundes hinausgeschoben und haschte nur noch durch die Eisenstaebe ihre Hand, um eine Minute lang meine Lippen darauf ruhen zu lassen. Welch ein Abend und welch eine Nacht! Die Leute in meinem Gasthof mochten denken, dass ich nicht recht gescheit oder ein Englaender sei, was ihnen ziemlich das Gleiche bedeutet. Ich kam mit einem grossen Korbe frischer Blumen nach Hause, den mir die Verkaeuferin nachtrug; die verstreute ich oben in meinem Zimmer, bestellte mir Wein und warf einem Geiger, der auf der Strasse spielte, einen blanken Fuenffrankentaler hinunter. Dann schlief ich bei offenen Fenstern in der gelinden Nachtkuehle und entsinne mich noch deutlich, wie es mir vorkam, als fuehlte ich das Schuettern und Schwingen des Erdballs bei meiner Reise durch den Sternenhimmel in meinem Herzschlag nachzittern. Erst am folgenden Morgen besann ich mich, dass noch manches zu ueberwinden war, bis ich besitzen durfte, was mein war. Wie sollte ich in das Haus ihres Vaters kommen? Und wuerde er ebenso rasch Zutrauen zu mir fassen wie seine Tochter? Indem ich eben unter den Arkaden schlendernd darueber nachsann, kam mir wieder mein Glueck zu Hilfe. Jener Geschaeftsfreund begegnete mir, den ich am zweiten Tage aufgesucht, und staunte nicht wenig, mich noch hier zu finden. Ich schuetzte vor, dass ich Briefe meines Schwagers abwarten muesse. Der Plan sei aufgetaucht, in Italien eine Kommandite unseres Hauses zu gruenden, und es sei dabei zunaechst von Bologna die Rede gewesen. Jedenfalls muesse ich nun meinen Aufenthalt ins Unbestimmte verlaengern und Bekanntschaften machen. Dabei nannte ich neben anderen Namen angesehener Familien das Haus des Generals. Unser Geschaeftsfreund kannte ihn nicht selbst. Aber ein junger Geistlicher, sein Vetter, gehe dort ein und aus und werde mich gern einfuehren. Ich moege mich nur vor den gefaehrlichen Augen der schoenen Frau in acht nehmen; denn obwohl sie nicht in dem Rufe stehe grausam zu sein, so wuerde ich doch gerade jetzt meine Zeit sehr fruchtlos verschwenden, da ein junger Graf ihr erklaerter Galan sei und nicht geneigt scheine, so bald einem neuen Praetendenten Platz zu machen. Ich stimmte in diesen Ton mit ein, so gut ich konnte, und wir verabredeten das Naehere. Schon am Abend dieses Tages traf ich mit dem jungen Geistlichen in einem Cafe zusammen und liess mich nach dem Hause fuehren, das in einer stillen Strasse lag; ein Palazzo, aeusserlich ganz unscheinbar, im Innern mit grossem Luxus ausgestattet. Ueber schwere Teppiche traten wir in das Zimmer, wo man allabendlich einen kleinen Kreis von Habitues empfing, Praelaten von jedem Rang, Militaers, einige alte Patrizier, immer nur Maenner. Mein junger Abbate konnte nicht genug sagen, welch ein Glueck es sei, in diesem Hause Zutritt zu haben. Welch eine Frau! seufzte er. Er schien die Hoffnung zu hegen, dass auch an ihn noch einmal die Reihe kommen wuerde. Als ich eintrat, fiel mein erster Blick auf den alten General, der in einem Lehnstuhl sass, einem alten Kanonikus gegenueber, zwischen ihnen ein Marmortischchen, auf dem die Dominosteine klapperten. Auf einem Taburett neben ihm lagen Bilderboegen und Soldatenfiguren, und die Schere, mit der er sie auszuschneiden pflegte, wenn gerade niemand da war, der eine Partie mit ihm machen wollte. Eine Lampe hing ueber ihm von der Decke herab, und von neuem ueberraschte mich in der scharfen Beleuchtung die Aehnlichkeit mit meiner Beatrice. Mein Begleiter liess mich nicht lange bei ihm verweilen. Nach den ersten hoeflichen Worten meinerseits, die der Greis mit einem kindlich gutmuetigen Laecheln und einem Haendedruck erwiderte, musste ich in ein kleines Kabinett nebenan treten, wo die Frau vom Hause auf einem Diwan lag, ein langer, geckenhaft geputzter junger Mann ihr gegenueber auf einem Schaukelstuhl, beide, wie es schien, von ihrem Tete-a-tete ein wenig gelangweilt. Er blaetterte in einem Album, das er auf dem Schoss hatte, die schoene Frau stickte ein buntes Kissen und streichelte dann und wann mit der Spitze ihres kleinen brokatnen Pantoffels das Fell einer grossen Angorakatze, die schlafend zu ihren Fuessen auf dem Polster lag. Bei dem gedaempften Schein der Wandleuchter, die aus unzaehligen Spiegelglaesern zurueckstrahlten, sah ich nicht sogleich, dass ich die Schoene von der Fruehmesse vor mir hatte, obwohl der kleine Faecher mit dem Perlmuttergriff auf einem Seitentischchen lag. Sie aber musste mich auf den ersten Blick erkannt haben. Sie fuhr so hastig in die Hoehe, dass ihr der Kamm aus den vollen Haaren fiel und sie aufgeloest ueber den Nacken rollten. Die Katze wachte auf und schnurrte mich an, der lange junge Mensch warf mir einen stechenden Blick zu, und ich selbst war, als ich sie erkannte, von der Ueberraschung so betroffen, dass ich es der Zungenfertigkeit meines kleinen Begleiters Dank wusste, als er mich nicht zu Worte kommen liess. Auch sie sprach lange nichts, sondern sah mich nur wieder mit demselben unverwandten Blick an, der mir schon in der Kirche unheimlich gewesen war. Erst als sie die steinerne Unhoeflichkeit bemerkte, mit der der Graf meine Anwesenheit voellig zu uebersehen sich bemuehte, belebte sich ihr Gesicht. Sie lud mich mit einer leisen schmeichelnden Stimme, die das jugendlichste an ihr war, ein, auf dem Sofa neben ihr Platz zu nehmen, nachdem sie die Katze verjagt hatte. Ihr koennt indessen die Noten durchsehen, Graf, die ich heute aus Florenz bekommen habe. Ich will hernach singen und Ihr sollt mich begleiten. Der junge Loewe wollte ein wenig murren, aber ein fester Blick aus den blauen Augen baendigte ihn. Wir hoerten bald, wie er im Saale nebenan Akkorde auf dem Fluegel griff. Waehrenddessen musste sich der kleine Abbate mit dem Aufschneiden neuer franzoesischer Romane beschaeftigen, und ich blieb allein uebrig, der Gebieterin den Hof zu machen. Gott weiss, wie ich jeden der beiden andern, am meisten aber den Kanonikus drinnen am Dominotisch beneidete! Vom ersten Wort, das ich mit dieser Frau wechselte, fuehlte ich eine feindselige Regung in mir, die sich nur verstaerkte, je sichtbarer sie mir entgegenkam. Ich musste all meine Klugheit aufbieten, um nur den Schein der Artigkeit zu wahren und wirklich auf das zu hoeren, was sie sagte; denn meine Gedanken waren draussen in dem Gartensaale, und durch alles gewandte, glatte Geplauder hindurch hoerte ich die sanfte Stimme meiner Geliebten und sah ihre ernsten Augen traurig auf mich geheftet. Aber trotz meiner Geistes- und Herzensabwesenheit schien die schoene Frau nicht unzufrieden mit diesem ersten Gespraech. Sie mochte meinem beklommenen Wesen ganz andere Gruende unterschieben, und die Tatsache, dass ich ueberhaupt mich hatte bei ihr einfuehren lassen, deutete sie jedenfalls zu ihren Gunsten. Sie lobte mein Italienisch, nur habe es einen piemontesischen Anflug, den ich nicht besser verlieren koenne, als wenn ich oft kaeme, jeden freien Abend, ihr Haus ganz wie das meine betrachtete. Sie selbst habe traurige Pflichten zu erfuellen, seufzte sie, mit einem Blick auf das Zimmer nebenan, von wo man eben das gutmuetige Lachen des alten Herrn ueber eine gewonnene Partie hoerte. Ihr Leben beginne erst in diesen Abendstunden. Ich sei freilich jung, und die Unterhaltung einer melancholischen, frueh schon ernst gewordenen Frau koenne kaum einen Reiz fuer mich haben. Aber eine aufrichtige Freundschaft, wie ich sie hier faende, sei wohl ein Opfer wert. Ich gliche einem ihrer Brueder, den sie sehr geliebt und frueh verloren habe. Das sei ihr schon in der Kirche aufgefallen, und darum danke sie mir so innig, dass ich ihr Haus betreten. Sie schlug mit einer sehr fein gespielten Verwirrung die Augen nieder. Dabei reichte sie mir laechelnd die Hand, die ich fluechtig an meine Lippen drueckte. Auf gute Freundschaft! sagte sie halblaut. Zum Glueck ueberhob mich das Eintreten neuer Besucher einer Antwort, die nicht von Herzen gekommen waere. Es waren einige Geistliche, vollendete Weltmaenner, die mich sogleich wie einen alten Bekannten behandelten. Auch der Graf trat wieder herein und fluesterte ihr einige Worte zu. Man erhob sich und ging in den Saal, wo der Fluegel stand. Nun sang sie die neuen Sachen durch, waehrend ihr Cicisbeo akkompagnierte. Ihre schoene Stimme erging sich in den glaenzendsten Laeufen und Trillern, und zwischendurch bemerkte ich wohl, wie sie nach der dunklen Ecke hinuebersah, wo ich an der Wand lehnte und mechanisch, sobald eine Arie zu Ende war, in den allgemeinen Applaus einstimmte. Ich dachte bestaendig an die andere Stimme, die ich draussen in der Villa gehoert hatte. Diener in Livree traten leise herein und trugen auf silbernen Brettchen Sorbett und Gefrornes. Der Gesang hoerte auf, man plauderte und lachte; der General erschien, auf seinen Stock gestuetzt, erzaehlte vergnuegt, dass er sechs Partien hintereinander gewonnen habe, und fragte mich, ob ich auch spiele. Als ich es bejahte, lud er mich auf morgen ein, seinen Gegner zu machen, und rief darin dem Kammerdiener, da seine Schlafenszeit gekommen sei. Das war das Signal zum Aufbruch. Ich erhielt noch ein bedeutsames Laecheln von der Frau vom Hause und eilte, den Saal frueher als die andern zu verlassen, da ich danach schmachtete, in der Einsamkeit die widrigen Empfindungen, die mich hier bestuermt, von mir abzuschuetteln. Ich wurde sie aber nicht eher los, als bis ich am anderen Tag, wieder um die Daemmerung, nach der Villa hinauswanderte. Ich wusste wohl, dass mir der Eintritt verboten war; ich wollte auch nur durch das Gittertor hineinspaehen, ob ich nicht einen Streifen ihres Kleides oder das Band ihres Strohhutes erblicken koennte. Da stand sie selbst auf dem Balkon, allein und den Blick der Strasse zugekehrt, als haette sie mich erwartet. Eine Weile begnuegten wir uns, mit Augen und Haenden uns zuzuwinken. Dann machte sie mir ein Zeichen, dass sie herunterkommen wolle, und gleich darauf trat sie aus der kleinen Tuer und kam auf mich zu, das Gesicht dunkelgluehend von Freude und Liebe. Sie reichte mir die Hand hinaus. Als ich fragte, ob ich wirklich draussen bleiben muesse, nickte sie ernsthaft und sagte, die Hand aufs Herz legend: Du bist darum doch hier drinnen!--Dann vertieften wir uns lange in ein kindisches suesses Liebesgeschwaetz, bis ich ihr erzaehlte, dass ich gestern bei ihren Eltern gewesen war. Als ich ein herzliches Wort ueber ihren armen Vater sagte, ergriff sie rasch meine Hand und kuesste sie, eh' ich es wehren konnte. Von der Mutter und all ihrem Unwesen sagte ich kein Wort; sie verstand mein Schweigen wohl. Geh nur wieder hin, sagte sie, und tu ihm alles zuliebe, was du kannst. Es kann nicht fehlen, dass er dich lieb gewinnt. Dann hielt sie mir, als ich sie um einen Kuss bat, die Wange dicht ans Gitter und entriss sich mir eilig, als sie Reiter heransprengen hoerte. Ich musste fort, alle ungestillte Sehnsucht im Herzen. Ich gestehe, dass mich damals zuerst Zweifel ueber die Waerme ihres Gefuehls fuer mich beschlichen. Ich wusste wohl, wie streng im allgemeinen die Maedchen in Italien sich selbst im Zaum halten, um hernach als Frauen sich oft um so zuegelloser gehenzulassen. Aber nicht einmal durch das Gitter hindurch mir den Mund zu goennen! Dann dacht' ich wieder an alles, was sie mir gesagt hatte, und ihren Blick dabei, und war getroestet. Natuerlich stellte ich mich am Abend puenktlich bei meinem alten General ein, der mich sogleich an das Spieltischchen kommandierte. Es kamen heut weniger Besucher als gestern. Der alte Kanonikus sass in der Fensternische und schlief mit lautem Schnarchen, da ich ihn beim Domino abloeste. Diesmal hatte sich die Frau nicht in ihr Kabinett zurueckgezogen, sondern sass auf einem Kanapee unweit unseres Tisches, der lange Galan um so uebellauniger ihr gegenueber. Sie hatte ihm einen Roman in die Hand gegeben, aus dem er vorlesen musste. Er versprach sich oft und warf endlich das Buch mit einem landesueblichen Fluch beiseite, den man sonst nicht in gute Gesellschaft mitbringt. Seine Gebieterin stand auf und winkte ihm, ihr ins Nebenzimmer zu folgen, wo sich ein halblaut gefuehrtes leidenschaftliches Gespraech entspann. Ich verstand nur so viel, dass sie ihm drohte, ihm das Haus zu verschliessen, wenn er sein Betragen nicht aendere.--Der Alte, der ueber sein Spielglueck sehr froehlich war, horchte einen Augenblick auf. Was haben sie nur? sagte er. Ich zuckte die Achseln. Ein wunderlich aengstlicher Zug ging ueber sein Gesicht. Er seufzte und schien einen Augenblick unschluessig, ob er sich einmischen solle. Dann sank er in sich zusammen und schien zu traeumen.--Der Kanonikus wachte auf und nahm eine Prise und bot auch dem alten Herrn die Dose. Das brachte ihm seinen Gleichmut wieder, und wir setzten unser Spiel eifrig fort. Er sagte mir, als ich endlich ging, ich moechte ja wiederkommen, er spiele noch lieber mit mir als mit Don Vigilio, dem Kanonikus. Diese Worte begleitete er mit einem herzlichen Haendedruck und der liebenswuerdigsten Freundlichkeit, wie er ueberhaupt bei all seiner Schwaeche die Formen eines Kavaliers aus der alten Schule noch immer beherrschte.--Die Frau entliess mich kaelter als gestern, doch, wie mir schien, nur des Grafen wegen, mit dem inzwischen eine Aussoehnung stattgefunden hatte. Und ich taeuschte mich nicht. Denn am Abend darauf, wo der Graf durch einen kleinen Ausflug von seinem Posten ferngehalten war, verdoppelte sie ihre Anstrengungen, mich in ihr Netz zu ziehen. Ich spielte die Rolle des arglosen jungen Menschen, der in aller Ehrerbietung nichts hoert und sieht und versteht, und sah wohl, dass sie doch nicht ganz daran glaubte. Aber der geringe Erfolg ihrer Bemuehungen mochte sie beleidigen und zu dem Vorsatz treiben, um jeden Preis meine wirkliche oder angenommene Kaelte zu besiegen. Sie liess sich von ihrem Aerger so sehr fortreissen, dass sie auch, als der Graf wiedergekehrt war, sich durchaus keinen Zwang antat. Auch die anderen Hausfreunde sahen, wie die Dinge standen. Ich hoerte nur zu bald durch meinen Geschaeftsfreund, dass man schon in der Stadt von mir sprach; er wuenschte mir Glueck zu dieser Eroberung und ahnte nicht, wie mir dabei zu Mut war. Ich sah ein, dass ich keinen Tag mehr zoegern durfte, meine wahren Absichten zu erklaeren. Ein Gespraech mit dem jungen Grafen gab den Ausschlag. Er erwartete mich eines Abends, als ich in mein Hotel zurueckkehrte, begruesste mich mit eisiger Hoeflichkeit und bat mich kurz und buendig, entweder meine Besuche in jenem Hause einzustellen, oder mich auf ein Rencontre anderer Art gefasst zu machen. Ich sei fremd und mit den Landessitten wohl nicht hinlaenglich bekannt, sonst wuerde er sich nicht die Muehe genommen haben, mir erst noch diese Warnung zu erteilen. Ich erwiderte, dass ich ihn noch vierundzwanzig Stunden zu warten baete, er werde dann erkennen, dass nichts laecherlicher sei als eine Rivalitaet zwischen uns beiden. Er sah mich gross an; aber da ich keine Miene machte zu weiteren Eroeffnungen, verneigte er sich und ging. Am anderen Tag schon in der Fruehe--denn ich wusste, dass der alte Herr zeitig aufstand--liess ich mich bei ihm melden und traf ihn in seinem Schlafzimmer, aus einer langen tuerkischen Pfeife rauchend, im groessten Behagen. Er hatte seinen ganzen Schatz an ausgeschnittenen Figuren in vielen Pappschachteln um sich her stehen und kramte darin herum. Als er mich sah, streckte er mir mit sichtbarer Freude die Hand entgegen, lobte mich, dass ich ihn auch einmal am Morgen besuchte, bot mir eine Pfeife an und wollte mir, da ich sie ablehnte, mit Gewalt ein paar Reiterfiguren zum Andenken verehren, auf die er besonderen Wert legte. Das Herz wurde mir schwer, da ich daran dachte, dass mein Glueck in der Hand dieses armen Alten ruhe. Aber als ich das erste Wort von seiner Tochter gesagt hatte, verwandelte sich zu meinem Erstaunen der Ausdruck seines Gesichts vollstaendig. Er ward ernst und still; nur ein gespannter Zug auf der Stirn verriet, dass er selbst bei diesem Thema Muehe hatte, seine Gedanken zu sammeln. Ich verschwieg ihm nichts, von unserem ersten Begegnen an bis zu dieser Stunde. Er nickte dann und wann zustimmend; wenn ich von meiner Neigung sprach, glaenzten ihm die Augen, und er sah gen Himmel mit einer feierlichen Ruehrung, die seine edlen Zuege wahrhaft verklaerte. Dann schilderte ich ihm meine Verhaeltnisse, den natuerlichen Wunsch, wenn er mir sein Kind anvertraute, meine junge Frau mit in meine Heimat zu nehmen, wie ich aber auch bereit sei, einige Jahre in seiner Naehe zu bleiben, um sie ihm nicht zu entreissen. Da fasste er meine beiden Haende und drueckte sie mit einer Kraft, die ich dem welken Invaliden nicht mehr zugetraut hatte. Dann zog er mich an sich und kuesste mich herzlich, ohne dass er ein Wort sagen konnte, bis die Kraft ihn verliess und er in den Sessel zuruecksank. Aber nach einer kurzen Pause machte er mir ein Zeichen, dass ich ihn aufrichten sollte, und als er auf seinen Fuessen stand, sagte er: Du sollst mein Kleinod haben, mein Sohn, und ich danke Gott, dass ich diese Stunde noch erlebt habe. Komm! ich will hinueber und es meiner Frau sagen. Es war mir gleich, als ich dich sah, als ob du ein gutes Herz haben muessest. Und wenn ich zehn Toechter haette, ich wuenschte sie nicht besser versorgt. Sieh nur, sieh! das boese Kind, die Bicetta! sich einen Liebhaber anschaffen hinter dem Ruecken des babbo! Aber so sind sie alle. Wenn sich's um eine Liebschaft handelt, kann man keiner trauen, keiner!--Dabei nahm sein Gesicht einen halb kummervollen, halb aengstlichen Ausdruck an und er seufzte; vielleicht fuhr ihm eine Erinnerung durch den Kopf. Gleich darauf umarmte er mich wieder, zupfte mich am Ohr, nannte mich einen Raeuber, einen Heuchler und Verraeter und zog mich an der Hand hinaus, um mich zu seiner Frau zu fuehren, die ihre Zimmer auf dem anderen Fluegel des Hauses hatte. Eine Kammerjungfer kam uns im Vorzimmer entgegen, sah mich mit grossen Augen an und liess den General erst zu ihrer Herrin hinein, nachdem sie bei ihr angefragt hatte. Mich zu empfangen, sei es noch zu frueh. Ich war sehr froh darueber, obwohl mir die Zeit des Wartens unertraeglich deuchte. Ich hoerte kein Wort von dem, was drinnen verhandelt wurde, nur dass die Stimme des alten Herrn mit der Zeit lauter und gebieterischer wurde, Toene, wie ich sie nie aus seinem Munde vernommen. Dann wieder ein langes, hastiges Fluestern, bis die Tuer aufging und der Alte hochaufgerichtet wie nach einer gewonnenen Schlacht herauskam. Sie ist dein, mein Sohn, sagte er; es bleibt dabei. Meine Frau laesst dich gruessen. Sie kam mir erst mit dummen Einreden. Es ist da ein Vetter in Rom, ein junger Laffe, der vor einem Jahr, als er fortging, sagte: Hebt mir die Bicetta auf, ich will sie heiraten. Aber das war Spass, und ich und du, wir meinen es im Ernst, und du sollst sie haben, Amadeo. Es ist wahr, seufzte er, ich lasse manches gehn, wie's Gott gefaellt. Wenn man ein alter Mann ist, fallen einem die Zuegel aus der Hand. Aber es gibt Dinge, Amadeo, die mich wieder unter Waffen bringen bis an die Zaehne. Da hast du meine Hand darauf, sie wird deine Frau. Komm heute abend; du sollst sie hier finden. Umarme mich, mein Sohn! mache sie gluecklich; sie hat es tausendmal um ihren alten Vater verdient. Wir trennten uns, nachdem er mich noch oben an der Treppe lange an sich gedrueckt hatte. Als ich dann am Abend wiederkam, fand ich das Haus heller als sonst erleuchtet, schon im Vorzimmer eine Menge Menschen, die mich neugierig betrachteten. Im Salon sass der General auf seinem gewoehnlichen Platz, der Kanonikus ihm wieder gegenueber, aber die Dominosteine lagen unangeruehrt auf der Marmorplatte. Denn auf dem Schoss des Vaters sass das Maedchen, ganz ohne Putz und Schmuck, nur Granatblueten im Haar, die Arme um den Hals des Alten gelegt, als sei es ihr unheimlich in diesem Kreise und sie suche Zuflucht bei ihrem einzigen Freunde. Sobald sie mich sah, glitt sie von ihrem Platz herab und stand ruhig wie eine Bildsaeule da, bis ich ihr die Hand bot. Sie warf einen raschen Blick nach dem Sofa hinueber, wo die Mutter sass, in glaenzender Toilette; die Haare fielen auf die schoenen entbloessten Schultern zurueck, der volle weisse Arm stuetzte sich auf das rote Seidenkissen; sie hatte es offenbar darauf abgesehen, die schlanke jungfraeuliche Schoenheit des Maedchens zu ueberstrahlen. Neben ihr sass der lange Graf, wieder im phlegmatischen Hochmut des Alleinherrschers, und nickte mir goennerhaft wohlwollend zu. Als ich, meine Braut an der Hand, zu den beiden trat, sah ich wohl, dass die Frau leicht erblasste. Aber sie begruesste und beglueckwuenschte mich mit ihrem gewinnendsten Laecheln, bot mir die Hand zum Kuss und kuesste Bicetta auf die Stirn, was diese wie leblos hinnahm. Nur das Zittern ihrer Hand sagte mir, wie ihr dabei zu Mute war. Nun hatten wir eine grosse Cour anzunehmen, und ich bewunderte, mit wie vollendeter Haltung meine Geliebte dieser Flut von Redensarten standhielt. Der Vater sah uns in der hoechsten Glueckseligkeit bestaendig an. Dann winkte er uns, dass wir uns in die Fensternische setzen moechten, wo zwei Sessel einander gegenueberstanden, und er selbst vertiefte sich mit Don Vigilio in seine Partie. Bald hatten wir ganz vergessen, wo wir waren. Von dem schwirrenden Geraeusch um uns her drang nichts an unser Ohr. Draussen an einer ueber die Gasse gezogenen Kette hing eine truebe Oellaterne. Aber sie leuchtete mir genug, um meinem Glueck in die Augen zu sehen und mich an seinem Laecheln zu berauschen. Spaeter als gewoehnlich verliess man heute das Haus. Es wurde Champagner getrunken und von einem alten Erzbischof, der gerade auf einer Hirtenreise die Stadt besuchte, das Wohl der Verlobten ausgebracht. Der wuerdige alte Herr schien mich ganz besonders in Affektion zu nehmen. Ich musste in seinen Wagen steigen und mich von ihm in meinen Gasthof fahren lassen. Aber kaum waren wir allein miteinander, als der Grund dieser ausgesuchten Freundlichkeit zum Vorschein kam. Sie sind Lutheraner? fragte er. Als ich es bejahte, bemerkte er mit einem milden Laecheln: Sie werden es nicht bleiben. Sie werden durch das Liebesglueck, das Sie hier gefunden, noch ein groesseres Heil gewinnen. Besuchen Sie mich morgen; wir sprechen weiter davon. Ich versaeumte nicht, mich einzufinden: aber von der Linie, die ich mir vorgezeichnet hatte, liess ich mich keinen Zollbreit abdraengen. Ich nahm fuer mich selbst die volle Gewissensfreiheit in Anspruch, die ich auch meiner Braut gewaehren wollte. Was die Kinder betraf, so sollte die Mutter darueber entscheiden, bis sie selbst in der Frage ueber ihr Seelenheil eine Stimme haben wuerden.--Der feine alte, Herr schien einstweilen mit meiner Stimmung ganz wohl zufrieden und auf die Zukunft zu rechnen. Da er aber wieder abreisen musste, uebergab er mich einem juengeren Seelsorger, einem Ordensgeistlichen, der die Sache viel ungeschickter und leidenschaftlicher angriff, so dass ich endlich, um nicht selbst mich zu Unartigkeiten fortreissen zu lassen, den Verkehr mit ihm ganz und gar abbrach. Man verdachte mir das schwer; ich konnte es im Salon meiner Schwiegereltern deutlich an gewissen Mienen bemerken. Aber da der Vater unveraendert herzlich blieb und auch die Herrin des Hauses mir, wenigstens scheinbar, ihre kuehle Freundlichkeit nicht entzog, so war das Unglueck zu ertragen. Meine Geliebte selbst, gegen die ich aus meiner Stimmung kein Geheimnis machte, war einverstanden mit meinem Entschluss, in Zukunft alle solche Zumutungen von vornherein abzuwehren. Was wollen sie nur? sagte sie. Fuer uns gibt es nur einen Himmel und eine Hoelle. Nicht wahr, Amadeo? Wenn ich ins Paradies kaeme und faende dich nicht dort, wuerde ich umkehren und nicht ruhen, bis ich dich gefunden haette. Wenn sie so sprach, sah ich wieder den Himmel offen und glaubte an keine Gefahr oder auch nur einen Aufschub meines Glueckes. Wir hatten die Hochzeit auf den Oktober festgesetzt. Die zwei Monate bis dahin hoffte ich auch noch zu ueberstehen. Nur das eine beunruhigte mich, dass auf die Anzeige meiner Verlobung noch kein Brief weder meiner Schwester noch meines Schwagers geantwortet hatte. Wie wir uns kannten, hatte ich keinen Einspruch von ihnen zu befuerchten. Ich konnte mir ihr Schweigen nur mit Krankheit oder anderem Kummer erklaeren, den sie mir vorenthalten wollten, und so hell mich das Leben in naechster Naehe anlachte, diese Sorge quaelte mich von Tag zu Tage peinlicher. Endlich, nach drei Wochen der Ungeduld kam wirklich der ersehnte Brief; nur mein Schwager hatte geschrieben. Blanche, meine Schwester, sei nach einer gefaehrlichen Entbindung in eine schwere Krankheit gefallen, und noch jetzt stehe es so ungewiss, dass er ihr die aufregende Nachricht meiner Verlobung nicht habe mitteilen duerfen. Wenn ich mich irgend losmachen koennte, so waere es ihnen beiden ein Trost, mich auf einige Tage wiederzusehen. Du musst reisen, sagte meine Liebste, als ich ihr den Brief ohne ein Wort gegeben hatte. Du musst gleich morgen fort. Ich werde schon sehen, wie ich es fertigbringe, die Zeit ohne dich zu ueberleben. Schreiben musst du mir, sobald du zu Hause bist, viel und oft, sooft du kannst. Wenn ich mit dir reisen koennte, was gaebe ich darum! Aber das ist ja unmoeglich. Gruesse mir Blanche und sage ihr, dass ich sie liebe, und bring ihr diesen Kuss von ihrer Schwester! Sie umfing mich heftig und kuesste mich auf den Mund, den ersten Kuss, den sie mir goennte. Denn auch wenn ich sie allein getroffen und im Scherz und Ernst gebeten hatte, mich nicht so streng in Schranken zu halten, war sie immer unerbittlich geblieben. Wie oft hatte mich diese Zurueckhaltung gekraenkt. Dann brauchte sie nur ein Wort zu sagen und mir mit ihrem unbeschreiblichen Laecheln die Hand zu reichen, und jeder Hauch von Unmut oder Zweifel war augenblicklich zerstoben. So nahm ich denn Abschied im vollsten Gefuehl der Sicherheit, dass ich alles wiederfinden wuerde, wie ich es verliess. Der alte Herr sah mich mit sichtbarer Trauer scheiden und wollte mich gar nicht aus seinen Armen lassen. Die Frau schien ein lebhaftes Interesse an dem Zustande meiner Schwester zu nehmen und taeuschte mich so vollstaendig, dass ich ihr unterwegs, sooft ich zurueckdachte, vieles abbat, was ich ihr frueher vorgeworfen hatte. Ich liess einen Teil meines Gepaecks in der Villa zurueck, denn dort hatte ich seit meiner Verlobung gewohnt, von dem Alten und meiner Freundin Nina aufs freundlichste verpflegt. Ich rechnete, in hoechstens vier Wochen wiederzukehren, vielleicht sogar Schwester und Schwager mitzubringen, dass sie die Hochzeit mitfeierten. Nina sollte in die Stadt ziehen, um meiner Liebsten. Gesellschaft zu leisten. So war alles, wie es schien, aufs beste geordnet, und die Trennung nur ein Opfer, das ich dem Neide der Goetter zu bringen hatte, ehe sie mich gluecklich werden liessen. Auch fand ich es zu Hause troestlicher, als ich es mir in zaghaften Stunden waehrend der langen Fahrt vorgestellt hatte. Blanche war ausser Gefahr erklaert, und es schien, als ob die Freude des Wiedersehens und alles Gute, was ich ihr zu berichten hatte, ihre Genesung rascher foerderte. Nur freilich war nicht daran zu denken, dass sie mich zur Hochzeit zurueckbegleitete, schon des Kindes wegen, von dem sie sich nicht getrennt haette. Auch mein Schwager wurde zu Hause festgehalten; das Geschaeft nahm gerade damals einen so lebhaften Aufschwung, dass wir beide zu gleicher Zeit unmoeglich fehlen konnten. Aber trotzdem draengten sie mich selbst, bald wieder aufzubrechen, und allerdings war unter diesen Umstaenden mein Bleiben auch fuer sie mehr eine Sorge als eine Freude. Denn so fest wir es auch abgeredet hatten, uns oft und viel zu schreiben, so getreu ich Wort hielt und keinen Posttag versaeumte--aus Bologna kam keine Zeile. Eine Woche lang war ich unerschoepflich in Vermutungen, dies ganz natuerlich aufzuklaeren. Als ich aber volle vierzehn Tage in Genf gewartet hatte und weder von meiner Liebsten noch von irgendwem in ihrem Hause mir nur das geringste Lebenszeichen zugekommen war, geriet ich in die peinlichste Angst. Mein letzter Trost war, dass ein jaehes Unglueck unmoeglich geschehen sein koenne, da sonst ja ohne Zweifel unser dortiger Geschaeftsfreund mich benachrichtigt haette. Freilich, wer buergte mir, dass er nicht selbst abwesend war, dass, wenn ueberhaupt Briefe verloren oder gar unterschlagen waren, nicht auch die seinigen darunter waren? Ich musste endlich aufbrechen, wenn ich nicht zu Grunde gehen wollte. In welcher Verfassung ich Tag und Nacht im Wagen lag, ist nicht zu beschreiben. Ich erschrak, als ich, eine Miglie vor der Stadt, meine Morgentoilette machte und mich dabei im Spiegel sah. Mit solch einem Braeutigamsgesicht zurueckzukehren hatte ich nicht gedacht. Es war ganz frueher Morgen, als ich die wohlbekannte Strasse im schnellsten Jagen dahinrollte und dem Postillon zurief, an jenem vergitterten Portal vor der Villa zu halten. Ich sprang mit zitternden Knien hinaus und riss an der Glocke. Es dauerte eine Weile, bis der Kopf meines guten alten Fabio aus dem Pfoertchen vorsah. Als er mich erkannte, erschrak er heftig, nahm sich nicht Zeit, das alte Wams ueber der nackten Brust zuzuknoepfen, und rannte mir entgegen, mit einer verstoerten Miene, dass ich ihm schon aus der Ferne zurief: Sie ist tot! Er schuettelte den Kopf und schloss mir eilig auf, Aber der Schrecken hatte ihm so den Atem versetzt, dass ich erst langsam und unvollstaendig ihm alles abfragen konnte. Er sah mein bleiches ueberwachtes Gesicht und glaubte mich schonen zu muessen, waehrend er mich nicht grausamer martern konnte als durch sein Zaudern. Manches freilich, was im Dunkeln vorbereitet worden war, wusste er selbst nicht, da er nur von Nina die Hauptsachen erfahren hatte. Ich aber, der ich die Menschen kannte, blieb ueber die Triebfedern des ganzen hoellischen Raenkespiels keinen Augenblick im Zweifel. Kaum hatte ich den Ruecken gewandt, so war jener Vetter aus Rom erschienen, der von frueher her Ansprueche auf meine Braut zu haben sich einbildete. Ob man ihn jetzt erst verschrieben, ob er auch ohne meine Reise auf eigene Gefahr aufgetaucht waere, darueber bin ich nie ins klare gekommen. Er mache eine armselige Figur, sagte Fabio. Eine Menge Abenteuer und Spiel und Schwelgerei haetten ihn sehr reduziert. Aber da er der Neffe eines Kardinals und von altem Adel sei, gelte er noch immer fuer eine gute Partie. Bicetta habe ihn nie leiden moegen. Er (Fabio) entsinne sich, dass sie vor drei Jahren hier im Garten ihm eine derbe Ohrfeige gegeben, weil er sich herausgenommen habe, die kleine Cousine zu kuessen. Da habe er lachend geschworen, fuer diesen Schlag solle sie ihm buessen, wenn sie seine Frau geworden. Und jetzt sei es so weit gekommen, dass er seine Drohung wahr machen koennte. Die Leute, die die Gewalt haetten, seien alle auf seiner Seite, desgleichen die Mutter, und den alten Herrn haetten sie so mit den Hoellenstrafen geaengstigt, wenn er sein Kind einem Ketzer gaebe, dass er zu Kreuze gekrochen sei und nichts mehr dreinzureden wage. Aber wenn er die Bicetta ansehe, so gingen ihm die Augen ueber und er koenne stundenlang dasitzen und schluchzen wie ein Kind, und mit seiner Frau wechsle er kein Wort, denn er wisse wohl, dass die an allem schuld sei. Und Beatrice? fragte ich, waehrend mir der Grimm in allen Adern kochte. Ja die Bicetta! sagte der Alte. Wer aus der klug wuerde! Zuerst, als man ihr zusetzte, sich von dem Lutheraner loszusagen, hat sie immer wieder erwidert: Ich habe ihm vor Gott gelobt, dass ich sein Weib werden will, den Eid will ich ihm halten und muesst' ich darum sterben. --Und davon ist sie nicht abgegangen; nur wie der Vetter ihr seine Aufwartung gemacht, hat sie ihm ganz kaltbluetig gesagt: Gebt Euch keine Muehe, Richino; und wenn ich auch Amadeo nie gesehen haette, Euch wuerde ich doch nie geliebt haben. Als er dann ihre Hand ergreifen wollte und anfangen, ihr schoene Dinge zu sagen, habe sie sich, in Gegenwart der Nina, hoch aufgerichtet und ihm nur erwidert: Ihr seid ein Elender, Richino, dass Ihr die Hand ausstreckt nach dem, was einem anderen gehoert. Geht! ich verachte Euch!--Und dann hat sie ihn durchaus nicht mehr sehen wollen. Aber was soll man davon denken, lieber Herr, dass nun doch Hochzeit sein wird, und die Bicetta herumgeht, wie Nina sagt, ohne eine Traene zu vergiessen, auch nicht mehr bittet und fleht, weder den Vater, noch die Mutter, noch irgendeine Menschenseele, ja vielleicht nicht einmal unsern Herrgott? Sie hat freilich von Euch so wenig einen Brief bekommen wie Ihr die vielen, die sie an Euch geschrieben und die ich oft selbst nach der Post getragen habe. Denn es scheint, dass die Herren auf dem Postbureau wissen, was ihre Schuldigkeit ist, wenn der Neffe eines Kardinals einem Fremden die Braut wegfischen will. Aber doch ist es wundersam, dass sie sich so rasch ergeben hat. Denn an Euch und Eurer Treue konnte sie doch nicht zweifeln. Nina sagt, man habe ihr gedroht, sie in ein Kloster zu sperren, wenn sie den Vetter nicht nehme. Ein Kloster ist freilich kein Ort fuer unsere Bicetta. Aber ich sollte meinen, immer noch besser, als diesen Mann zu heiraten, da sie Euch doch lieb hatte, und wie gesagt, mein bisschen Verstand steht mir dabei still, und auch meine Tochter kann nicht aufhoeren, sich zu verwundern. Waehrend der gute Alte das alles sagte und sich nicht getraute, mich dabei anzusehen, lag ich in einer furchtbaren Betaeubung auf einem der Sessel dem Kamin gegenueber, wo wir damals Hand in Hand gesessen hatten, als wir uns verlobten. Ich war geradezu unfaehig, einen Gedanken zu fassen, ja auch die Kraft zu empfinden, zu lieben und zu hassen, schien ploetzlich gelaehmt und alle Lebensregung zu stocken, wie wenn die Feder in einer Uhr durch einen Schlag gesprengt ist. Erst nach einer ganzen Weile fand ich die Besinnung, zu fragen, wann denn die Hochzeit sein solle. Heute nachmittag, sagte der Alte mit furchtsamer Stimme. Da sprang ich in die Hoehe, von der Naehe der furchtbaren Entscheidung aus meiner Ohnmacht aufgeruettelt. Der Graubart fasste mich an beiden Haenden und sah mir erschrocken ins Gesicht. Um Gottes Barmherzigkeit, sagte er, was wollt Ihr tun? Ihr wisst nicht, wie maechtig sie sind. Wenn Ihr Euch oeffentlich auf der Strasse sehen liesset, wer weiss, ob Ihr den Abend noch erlebtet. Ich will hin, sagt' ich, verkleidet, dem Schurken unter die Augen treten und ihm sagen, dass einer von uns in der Welt ueberfluessig sei. Du hast ja wohl deine alten Reiterpistolen noch im Stande, Fabio. Ich brauche nichts weiter. Lass mich! Erst muesst Ihr mich damit ueber den Haufen schiessen, sagte er und umklammerte so fest meinen Arm, dass ich wohl sah, im guten wuerde ich nicht loskommen. Und dann, sagte er, wisst Ihr denn, was unsere Bicetta dazu sagen wuerde? Da hast du recht, sagte ich und fuehlte, wie alle Kraft wieder von mir wich. Das weiss ich freilich nicht. Aber wissen muss ich es, oder ich werde toll. Lass meinen Arm los, gib mir meinen Hut, ich will in ihr Haus, ich sprenge alle Tueren, die man mir verriegeln will, das uebrige wird sich finden, wenn ich sie sehe! Aber er liess mich nicht los. Er fuehrte mich in den Sessel zurueck und sagte: Ihr wisst, dass es niemand besser mit Euch meinen kann und mit der Signorina und dem alten Herrn als Euer alter Fabio. Darum lasst Euch sagen und raten und rennt nicht Hals ueber Kopf ins Unglueck. Wenn Ihr Euch einbildet, man werde Euch zu ihr lassen, so irrt Ihr Euch. Das Haus ist voll neuer Dienerschaft, wegen der Hochzeit. Da kaemt Ihr uebel an, wenn Ihr mit diesem Gesicht ploetzlich nach der Braut fragtet. Lasst mich hingehen, mich werden sie nicht hinauswerfen, obwohl mich die Frau Mutter nicht gerade liebt; aber schlimmstenfalls kann ich meine Tochter rufen lassen, und wenn Ihr mir ein paar Zeilen mitgebt, sie sollen sicherer besorgt werden als durch die paepstlichen Posten. Setzt Euch da ans Fenster und schreibt, und wie ich unsere Bicetta kenne, so wird sie Euch antworten. Er lief, mir Feder und Papier zu holen, aber mein Zustand war so klaeglich, dass ich die Feder nicht zu halten imstande war und vor dem Sturm, der mir durchs Herz tobte, mein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Lasst es nur sein, sagte der Alte. Was braucht Ihr auch zu schreiben? Genug, wenn sie erfaehrt, dass Ihr da seid. Wenn sie darin noch Hochzeit halten will, so huelfen ja hundert Briefe nichts. Damit verliess er mich. Aber erst musste ich ihm einen Eid schwoeren, dass ich mich hier im Hause, wo sonst niemand war, verborgen halten wollte und nur ihm wieder meine Tuer oeffnen. Der Tag war darueber angebrochen; der Alte kam noch einmal zurueck und brachte nur Wein und Brot, da er meine Schwaeche sah. Darin blieb ich in dem totenstillen Haus allein. Ich konnte nicht an einer Stelle bleiben, ich schleppte mich in den Garten hinaus zu den Orangenbaeumen, von deren Fruechten sie mir gepflueckt hatte, zu dem Granatbusch, deren Blueten mir das erste Liebeszeichen gewesen waren. Ueberall sah ich ihre Gestalt, und je leibhaftiger sie mir entgegentrat, desto unbegreiflicher war es mir, dass sie mich vergessen haben sollte. Ich brachte, obwohl ich von der Nachtfahrt erschoepft war, weder Wein noch Brot ueber die Lippen; nur den Saft einer Orange sog ich begierig aus und fuehlte mich davon erquickt, als ob ich Hoffnung und Mut damit eingeschluerft haette. Dann stieg ich im Hause die Treppen hinauf und schlich durch alle Zimmer. In ihrem Stuebchen lag noch alles, wie sie es verlassen hatte, das Buch noch aufgeschlagen, worin sie zuletzt gelesen. Ich las auf demselben Blatte weiter, Kanzonen Petrarcas, deren stille Musik mich kuehlte und besaenftigte. Ihren kleinen Rohrsessel, auf dem sie schon als Kind mit dem Pueppchen gespielt, hatte ich an den Balkon geschoben und sah nach jeder Strophe auf die Strasse hinaus, ob noch keine Botschaft komme. Aber ich war auf einmal ruhig und gefasst geworden und fuerchtete mich nicht mehr vor der Entscheidung. Und doch fuhr ich wie vom Blitz getroffen auf meinem Sitz, als ploetzlich drunten am Portal der Alte wieder erschien. Was bringst du? schrie ich ihm zu. Aber ich sah genug an dem kummervollen Blick, mit dem er zu mir hinaufgruesste. Mit zitternden Gliedern stuerzte ich die Treppe hinunter ihm entgegen. Lest selbst, sagte er. Vielleicht wisst Ihr besser, was sie meint. Ich riss ihm das offene Blaettchen aus der Hand, auf das sie mit Bleistift in grosser Hast folgende Worte geschrieben hatte: "Mein ewig Geliebter--was geschieht, muss geschehn. Suche es nicht zu hindern, aber glaube an mich; ich gehoere niemand als Dir. Du wirst alles begreifen, wenn wir uns wiedersehen, vielleicht bald; wann es aber auch sei, immer als die Deine."--Dann noch am Rand des Zettels: "Halte Dich verborgen. Alles ist verloren, wenn Du Dich sehen laessest." Waehrend ich noch auf die wenigen Worte starrte, berichtete mir der Alte, dass er sie nicht selbst habe sprechen koennen; Nina sei die Vermittlerin gewesen, und auch aus ihr habe er nicht mehr herausgebracht, als dass die Signorina kaum ueberrascht gewesen sei durch die Nachricht von meiner Rueckkehr. Ich habe ihn laengst erwartet, habe sie gesagt. Dann, da schon die Kammerjungfer mit dem Brautschmuck gekommen, habe sie den Zettel stehend am Fenster geschrieben und der Nina aufgetragen, ihrem Vater ja die groesste Verschwiegenheit und alle Sorge um mich auf die Seele zu binden. Darauf habe sie ganz ruhig angefangen, sich die Haare aufzuflechten, um sich fuer die Trauung frisieren zu lassen. So ruhig schrieb sie das Billett, sagte die Nina, als wenn jemand sterben will, weil die Schmerzen ihn nicht leben lassen, und schreibt noch seinen letzten Willen auf. Sie habe immer geglaubt, sie zu kennen wie sich selbst; aber in der letzten Zeit verstehe sie nicht mehr von ihr wie von der himmlischen Vorsehung. Und ich, der ich sie besser als irgend ein Mensch zu kennen glaubte, was verstand ich von ihr, waehrend ich ihre Worte hundertmal wieder durchlas? Wenn sie niemand als mir angehoeren wollte, warum floh sie nicht zu mir hinaus, warum war ihr nicht das Kloster eine Zuflucht, bis ich Mittel und Wege faende, sie zu befreien? Warum erschien der abenteuerlichste Plan nicht moeglicher und natuerlicher als diese Ergebung in ein aufgedrungenes Schicksal, in eine Fessel, die nur der Tod zerreissen konnte? Und doch war in den schlichten Worten etwas, das mich aufrecht hielt, wenn ich verzweifeln wollte, und mich still machte, sooft mir ein Ausbruch des Grimms und der Verzweiflung auf die Lippen kam. Ich schlief sogar ein paar Stunden und konnte dann etwas Speise zu mir nehmen, die mir mein treuer Pfleger bereitete. Gesprochen wurde nichts zwischen uns. Nur als die Stunde der Trauung herankam, hatten wir einen heftigen Streit. Ich bestand darauf, dass ich dabei sein wollte, er widersetzte sich aufs aeusserste. Zuletzt, als er meinen unerschuetterlichen Willen sah, half er mir selbst, mich in seinen Kleidern zu vermummen, und drueckte mir einen alten zerrissenen Strohhut, mit dem er im Garten zu arbeiten pflegte, tief in die Stirn. Ich gehe aber mit, Herr Amadeo, sagte er. Ich fuerchte, es ist einer noetig, der Euch am Arm zurueckhaelt, wenn Ihr den Kopf verliert. Wer weiss, ob er nicht recht behalten haette! Aber als wir nach der Kirche kamen, waren die Hochzeitsgaeste samt dem Brautpaar bereits drinnen und der Andrang der Menschen so ungeheuer, dass sie zu den Portalen hinaus bis weit ueber den Platz Kopf an Kopf geschart standen, um wenigstens den Zug herauskommen zu sehen. Ich machte dem Alten bittere Vorwuerfe, dass er mich getaeuscht durch eine falsche Angabe der Stunde. Er verteidigte sich hartnaeckig, er habe es nicht anders gewusst. So warteten wir unter dem Volk, und die Glocken, die stark gelaeutet wurden, umdroehnten mich wohltaetig, dass ich wieder in meine dumpfe Betaeubung zurueckfiel, bis es ploetzlich hiess: Nun kommen sie! Da waere ich umgesunken, wenn ich mich nicht auf Fabio gestuetzt haette. Aber ich hielt mich gleichsam mit dem Blick an der hohen Pforte aufrecht, durch die sie heraustreten sollte. Und nun kam sie wirklich, und ich wunderte mich, dass ich den Anblick ertrug, dass er mir sogar die Ruhe wiedergab, obwohl sie neben ihrem Gatten ging. Der war ganz, wie ich ihn nach Fabios Schilderung erwartet hatte, ein Mensch, den ich auf einen Schlag mit meiner Faust zu Boden zu strecken mir getraut haette; ein Laecheln auf dem welken Gesicht, das mir das Blut sieden machte. Er gruesste triumphierend mit vornehmem Kopfnicken links und rechts hin und strich das blonde Baertchen auf der duennen Oberlippe. Sie dagegen schritt ohne irgend jemand anzusehen durch das Volk, die Zuege raetselhaft verschlossen, die Augen still vor sich hin gerichtet. Ein Kind gab ihr einen Blumenstrauss. Da hob sie es auf und kuesste es, und ich sah deutlich, dass sie sogar laechelte. Wenn ich nicht so fern gestanden haette und Fabio hinter mir, bei diesem Laecheln haette ich mich durch die Menge durchgedraengt und sie laut gefragt, wie sie laecheln koenne an diesem Tage. Aber es verschwand rascher, als ich es erzaehle. Sie stiegen in den Wagen und rollten fort. Ihnen nach die Eltern, mein armer alter General voellig gebrochen neben seiner stolzen jungen Frau, dann die Gaeste und alles, was an hoher Geistlichkeit in dem Hause aus und ein ging. Der Erzbischof selbst hat sie getraut, sagten Weiber neben mir. Sie hat ihn erst nicht nehmen wollen, aber der heilige Vater selbst soll ihr zugeredet haben. Von dem anderen, dem Lutheraner, ist es ganz still geworden.--Ja, ja, sagte eine, dem soll seine Schwester gestorben sein, das ist die Strafe dafuer, dass er seinen Ketzerglauben nicht hat abschwoeren wollen.--Und so schwirrte es auf allen Seiten von albernem Gerede. Fabio zog mich fort. Er fuehrte mich auf grossen Umwegen nach der Villa zurueck. Ich liess ihn machen--, meine Kraft war zu Ende; ich fuehlte nicht mehr von mir selbst als ein Fieberkranker oder Schlafwandler. Noch jetzt, wenn ich zurueckdenke, ist es mir unbegreiflich, wie ich diesen Tag ueberstand. Meine sonst immer ungestuem ausbrechende Natur musste wohl durch die koerperliche Ermattung der schlaflosen Fahrt von Genf hierher so gezaehmt sein, dass ich das Entsetzlichste mit einer Art Stumpfsinn geschehen liess. Ich taumelte, als ich nach Hause kam. Fabio noetigte mich einige Glaeser Wein rasch hinunterzustuerzen; sie wirkten so stark, dass ich umfiel und nichts mehr von mir wusste. Ich kam erst wieder zu mir, als es Nacht geworden war. Lange musste ich mich besinnen, wo ich war und was ich erlebt hatte. Der klare Himmel sah durch die hohen Scheiben der Glastuer herein, und ein leiser Schimmer der Mondsichel streifte das Bild von Beatrices Mutter, das traurig, wie mir schien, von seinem Platz ueber dem Kamin auf mein niederes Lager herabsah. Da begriff ich erst, in welcher Nacht ich mich befand, was diese Stunden fuer mein Leben bedeuteten. Es brach gewaltsam in mir aus, eine Qual, die mich dem Wahnsinn nahe brachte. Ich schrie auf, dass meine Stimme, mir selbst zum Entsetzen, in dem oeden Hause widerhallte. Dann warf ich mich auf den kalten Steinboden des Saals und waelzte mich, das Gesicht gegen die Fliesen gedrueckt, mit den Haenden mir das Haar zerrend, als koennte ein Koerperschmerz den Jammer, der in mir wuetete, uebertaeuben. Vor meinen Augen wurde es dunkel von Traenen, die mir, wie das Blut aus frischen Wunden, vorstuerzten, ohne dass ich wusste, ich weinte. So lag ich und raste wie ein Tier und haette gern mein Menschentum hingegeben, wenn ich mir damit Bewusstlosigkeit haette erkaufen koennen. Alles, was von Gedanken in mir auftauchte, stiess ich heftig wieder in den grossen Strudel zurueck, der mein Innerstes durchbrauste. Ich wollte nichts fuehlen und denken als das Furchtbarste, dass mein Kleinod zu dieser Stunde in fremder Hand sei. Immer wieder bohrte ich diesen Gedanken wie eine giftige Waffe gegen mein Herz, als koennte ich es daran verbluten lassen. Und erst, als ich mich an allen Sinnen und Gliedern zu Tode abgemattet fuehlte, liess ich ab von meiner selbstzerstoererischen Wut und lag nun regungslos im Staube und empfand die Steinkaelte des Bodens wohltaetig an meiner Schlaefe, und die Traenen hoerten von selber zu fliessen auf. Dann ermannte ich mich endlich so weit, dass ich aufstehn und mich in den Garten hinausschleppen konnte. An der Fontaene unter den Steineichen wusch ich mir den Staub und die Traenen vom Gesicht und trank dann in tiefen Zuegen von dem schlechten Wasser, das mir aber das Blut erfrischte. Ich konnte nun auch ueberlegen, was ich beginnen sollte. Aber freilich, soviel ich herumdachte, an einen Entschluss war noch nicht zu denken. Nur das nahm ich mir fest vor, dass ich ihr morgen schreiben, sie anflehen wollte, wenigstens die Qual der Ungewissheit zu enden und das Band, das mich an sie fesselte, vollends zu zerreissen. Die Worte ihres Billetts tauchten wieder in mir auf. Aber was konnten sie mir geben, seit ich sie aus der Kirche hatte kommen sehen und dieser Tag und die halbe Nacht so trostlos vergangen waren! Als ich Mitternacht schlagen hoerte und der Mond unterging, konnte ich es in dem schauerlich oeden Garten nicht laenger aushalten und kehrte in den Saal zurueck. Ich zuendete mir ein Licht an und stellte es auf den Sims des Kamins. Dann rueckte ich einen Sessel vor, zog eine kleine Ausgabe des Dante aus der Tasche und vertiefte mich in die finstersten Gesaenge seiner Hoelle. So mochte eine Stunde vergangen sein, da war mir's, als hoerte ich draussen am Gitter des Portals einen Ton, als wenn ein Schluessel im Schloss umgedreht wuerde. Das Haar stand mir zu Berg; ich dachte wahrhaftig im ersten Schrecken, meine arme Geliebte habe sich umgebracht, und ihr ruheloser Geist besuche mich, um mir das Blut auszusaugen. Aber sofort fasste ich mich, stand auf und horchte sorgfaeltiger in die Nacht hinaus. Die Gitterpforte klang, dann kamen Schritte ueber den Kiesgrund, im naechsten Augenblick tastete eine Hand draussen am Griff der kleinen Saaltuer, sie oeffnete sich, und eine Juenglingsgestalt im schwarzen Hut und Mantel stand an der Schwelle. Nun fiel ihr der Hut in den Nacken, da erkannte ich sie. Mit einem Schrei stuerzten wir uns in die Arme und umklammerten uns, als sollten wir nie wieder Brust von Brust, Mund von Mund gerissen werden. Sie loeste sich endlich aus der Umarmung und sah mich mit einem Blick, der von Traenen glaenzte, lange und schweigend an. Wie du bleich bist! sagte sie dann. All das hab' ich dir zuleide getan. Aber nun ist es vorbei. Ich habe Wort gehalten: hier bin ich, dein Weib, keines Menschen sonst, und wenn ich darueber hier und dort verderben muesste! O Amadeo, warum ist die Welt so voll boeser Menschen! Warum werfen sie Schmutz auf das Reinste und laestern das Heiligste! Warum zwingen sie uns vor dem Angesicht Gottes zu Luege und Meineid, dass wir Ja mit den Lippen sagen, wenn unser Herz Nein ruft! Nun haben sie es dahin gebracht, dass ich nur zu waehlen hatte zwischen zwei Suenden: mich dem zu ergeben, den ich verachte, oder wie ein Dieb in der Nacht zu dem zu schleichen, der vor der Welt nie mehr der Meine sein soll. Aber nicht wahr, Amadeo, Gott misst mit anderem Mass als diese selbstsuechtigen Menschen? Er will nicht, dass ich dir die Treue breche. Er kann auch nicht wollen, dass wir beide zugrunde gehen, ich im Kloster vergraben, du lieblos und freudenlos in der einsamen Welt. Er hat dich fuer mich geschaffen, mich fuer dich. Nun nimm mich hin, denn dir gehoere ich! Der andere hat mich mit keinem Finger beruehren duerfen. Als man uns allein gelassen, hab' ich ihm gesagt: Wenn Ihr es je versucht, mir zu nahen, heute oder wann es immer sei, so ermordet Ihr mich. Denn ich habe es Gott zugeschworen, die Stunde nicht zu ueberleben, wo Ihr Euch erfrecht haettet zu glauben, dass Ihr Rechte auf mich besaesset. Ich habe Euch all dies vorausgesagt. Ihr habt dennoch Euern Willen durchgesetzt. So will ich nun meinen durchsetzen.--Und damit liess ich ihn stehen und verschloss mich in meinen Zimmern, bis ich wusste, dass alles im Hause schlief. Dann half mir Nina in diese Maennerkleider--und nun bin ich hier! O Amadeo, das Glueck, dir zu gehoeren, waere zu gross, haette ich es nicht durch Kampf und Gefahr erkaufen muessen! Sie stuerzte mir an den Hals und verbarg ihre gluehenden Wangen an meiner Schulter. Alle Glut und Leidenschaft, die ihr Maedchenstolz in den Wochen unseres Brautstandes zurueckgedraengt und kaum mit einem Blick verraten hatte, brach in hoher Flamme aus und schlug ueber meinem schwindelnden Haupte zusammen. Als wir wieder zu denken und zu sprechen vermochten, erzaehlte sie mir alles, was seit der Trennung sich zugetragen hatte, die Raenke der Mutter, die hilflosen Versuche des Vaters, sich und sein Kind gegen die geistliche Obermacht zu verteidigen, ihr vergebenes Bemuehen, durch unerschuetterliche Wahrhaftigkeit die Feinde zu beschaemen und endlich zu entwaffnen. Erst als sie gesehen, dass alles umsonst sei, dass man sie ohne Erbarmen dem Vater entreissen und in ein entlegenes Kloster einschliessen wuerde, von wo sie nicht einmal einen Brief an mich gelangen lassen koennte, habe sie ploetzlich sich entschlossen, zum Schein in alles zu willigen, um sich und mich zu retten. Sie haben es gewusst und gewollt, sagte sie. Am Ende ist es ihnen auch nur um den Schein des Sieges zu tun. Ob meine Seele darueber zugrunde geht, was liegt ihnen daran? Haben sie der Frau, der mein armer Vater den Namen gab, je darueber gezuernt, dass sie jeder Leidenschaft den Zuegel schiessen laesst? Sie sind alle Knechte des Scheins, weil sie den Anblick der Wahrheit, der sie beschaemen wuerde, nicht ertragen koennen! O Amadeo, wie hundertmal habe ich Plaene gefasst, zu dir zu fliehen und dann offen vor der Welt zu bekennen, dass ich dein Weib bin und sein werde bis in alle Ewigkeit. Aber du weisst nicht, wie maechtig sie sind. Wenn wir jetzt fortreisten Tag und Nacht, sie holten uns ein, und es waere dein sicherer Tod. Und dann--mein armer Vater! Er ueberlebte es nicht, sich von mir zu trennen, und so! Aber sei nicht traurig. Wir gehoeren uns nun, und die darum wissen, sind treu. Vergib, dass ich dir nicht heute frueh schon schrieb, ich wuerde kommen. Ich wusste nicht, ob ich es ausfuehren koennte, ob er mich nicht niederstiesse, der Elende, wenn ich mich weigerte, ihn als meinen Herrn anzuerkennen. Und waere ich dann ausgeblieben, haettest du nicht noch furchtbarer gelitten als so im Ungewissen, da du doch mein Wort hattest, ich sei dir treu und wuerde niemand angehoeren als dir? Nun komme ich jede Nacht. Nina bleibt indessen zurueck und spielt meine Rolle, fuer den Fall, dass man mich doch einmal suchte und vermisste, und der Portier dort im Hause ist ein braver Mann und hasst seinen Herrn, und fuer dich waere er durchs Feuer gegangen. Sie sah, dass ich mitten in allem Glueck, da ich mein Weib auf dem Schosse hielt, still und nachdenklich dasass. Was hast du? fragte sie. Du bist traurig! Dass wir uns erschleichen muessen, sagt' ich, was unser heiliges Recht ist; dass wir in Nacht und Geheimnis uns verstecken muessen, als waere es Verbrechen, zu halten, was wir uns gelobt haben! Denke nicht daran, sagte sie und strich mir mit der Hand ueber die Stirn. Was kommen mag, koennen wir es wissen? Wir haben nichts gewiss als diese Stunde und unser Herz. Warum sollen wir nicht Gott dafuer danken, der wissen wird, dass es so besser ist? Komm, ich will hier nicht sitzen wie dein Liebchen, die Haende in den Schoss legen und anderen ueberlassen, fuer dich zu sorgen. Du wirst hungrig sein, und auch ich habe seit gestern nacht keinen Bissen genossen. Ich weiss ja noch, wo Fabio seine Vorraete hat. Lass mich von deinen Knien aufstehen, mein geliebter Mann; ich will uns einen Hochzeitsschmaus ruesten, der soll froehlicher sein, als der andere heut, wo ich sah, wie meinem armen Vater jeder Tropfen Wein zu Galle wurde. Sie sprang auf und eilte hinaus in Kammern und Keller. Ich rueckte indes ein Tischchen mitten ins Zimmer und zuendete alle Lichtstuempfchen an, die auf den verstaubten Wandleuchtern steckten. Als sie wieder hereinkam, Teller und Glaeser tragend, blieb sie mit einem froehlichen Ausruf an der Schwelle stehen. Dann eilte sie, den Tisch zu decken, und goss selbst aus der schweren Korbflasche unsere Glaeser voll. Komm, sagte sie, auf unser Glueck! Wenn wir doch deine Schwester hier haetten--andere Hochzeitsgaeste wollt' ich gern entbehren! Dann trank sie und fing darauf an, mich zu bedienen, indem sie mir Fleisch und Oliven auf den Teller legte und das Brot schnitt und mir zuredete, zu essen, wie ein Hausmuetterchen. Ich genoss ihretwegen von allem ein weniges, obwohl mich nicht nach Essen verlangte. Auch sie naschte nur, bis ich sie fuetterte wie ein Kind und ihr die zartesten Schnitten des kalten Gefluegels an den Mund hielt. Sie oeffnete ihn lachend und liess mich gewaehren. Nun aber bin ich wirklich satt, sagte sie und stand auf. Nun will ich noch dafuer sorgen, dass du ein besseres Bett bekommst als die Polster da am Boden. Denn Fabio denkt an so etwas nicht. So ein alter Soldat fuehlt kaum, ob er auf der nackten Erde liegt oder auf Federn. Das kluegste freilich wird sein, du schlaefst in meinem Zimmer droben, wo noch mein Bett steht, statt hier unten zu hausen, wo doch einmal einer hereinsieht und dich verraet. Sie hing sich an mich und fuehrte mich, nachdem wir die Lichter ausgeloescht hatten, in ihr kleines Zimmerchen hinauf. Als wir an Fabios Schlafkammer vorbeikamen, horchte ich, ob er sich ruehre. Sei unbesorgt, fluesterte sie. Er weiss, dass ich hier bin. Vorhin, als ich den Wein holte, begegnete ich ihm, wie er aus dem Garten kam, und da hatte er die Fruechte fuer unser Hochzeitsessen gepflueckt. Er weinte und kuesste mir wie ausser sich die Haende. Aber er kommt jetzt nicht zum Vorschein, um uns nicht zu stoeren.--Der Morgen graute noch nicht, als sie selbst daran erinnerte, dass wir uns trennen muessten. Ich bestand darauf, sie in die Stadt zu begleiten, und als sie mich in der Vermummung sah, in der ich mich schon bei Tage hinausgewagt hatte, liess sie es geschehen. Sie selbst drueckte sich wieder den breiten Hut in die Stirn, und ich wickelte sie dicht in ihren Mantel ein. So verliessen wir das Gittertor und wanderten der Stadt zu. Kein Mensch war auf den Strassen zu sehen, kein Licht brannte, am Himmel stand nur der Morgenstern im fahlen Blau, und der Wind kam frisch von Norden. Wir sprachen kaum ein Wort auf dem ganzen Weg. Mein Herz war beklommen, und auch sie schien das Unnatuerliche unserer Lage jetzt erst zu empfinden, da wir uns trennen sollten. Als wir an ihrem Hause angekommen waren, hielt sie mich lange mit Traenen an sich gepresst, ehe sie dem Pfoertner das verabredete Zeichen gab. Auf morgen! sagte sie und loeste sich von meinem Halse. Dann glitt sie in die halbgeoeffnete Tuer, und ich stand in der Finsternis allein. Ein bitteres Gefuehl ueberkam mich. So hatte ich sie wieder hingeben muessen, die Meine, die niemand als mir gehoeren wollte, in ein fremdes Haus, dessen Tuer mir ewig verschlossen bleiben sollte. Hier an der Schwelle musst' ich stehen und, wenn der Hausherr zufaellig herausgetreten waere, mich in einen Winkel druecken wie ein Dieb, der dem Haescher ausweicht. Und was sollte daraus werden? wie das Leben ertragen werden, das solche Schleichwege ging? War das noch ein Glueck, das taeglich mit Qual und Sorge erkauft werden musste? Ich war noch nicht wieder in der Villa angelangt, als mein Entschluss, dem Unertraeglichen ein Ende zu machen, schon unerschuetterlich in mir feststand. Sofort wurde mir leicht ums Herz, und ich konnte, waehrend ich im Morgengrauen auf der oeden Strasse dahinschritt, nun erst mich meines Glueckes freuen und bis ins kleinste alles ueberlegen, was zu tun war, um es mir nie wieder entreissen zu lassen. Draussen fand ich den Alten schon im Garten beschaeftigt. Ich weihte ihn in mein Vorhaben ein, und obwohl er es schwieriger ansah als ich, willigte er doch endlich in alles, was ich von ihm verlangte: keine leichten Opfer, in seinen Jahren, und da er sich von seiner Tochter trennen sollte. Er hatte aber geradezu keinen Willen, wo es sich um Bicetta handelte. Dann verbrachten wir den Tag mit Vorbereitungen, und ich hatte mehr als einmal die Umsicht und Vorsorglichkeit des alten Soldaten zu bewundern. Den Nachmittag verschlief ich.--Nachts, schon von zehn Uhr an, war ich auf meinem Posten in der Naehe des Stadttores, durch das sie kommen musste. Wir hatten es nicht verabredet, dass ich ihr entgegengehen sollte. Als ich darum aus meinem Lauerwinkel hervortrat und leise ihren Namen rief, sah ich sie heftig zusammenfahren und nahm rasch den Hut vom Kopf, und da erkannte sie mich und reichte mir unter dem Mantel die Hand, die noch zitterte, und so gingen wir, uns stumm anblickend, unseres Weges. Denn noch kamen einzelne Leute, die nach der Stadt heimkehrten, an uns vorbei und haetten Verdacht schoepfen koennen, wenn unter dem breiten Maennerhut die zarte Stimme hervorgeklungen waere. Erst draussen in dem Gartensaal, wo es hell und traulich war und ein laendliches Essen, von Fabio hergerichtet, uns erwartete, loeste sich ihre Zunge. Sie erzaehlte, wie ihr der Tag vergangen war, wie langsam und unheimlich. Richino habe eine starre Kaelte zur Schau getragen, vielleicht in der Hoffnung, sie dadurch zu demuetigen und ihr ein Entgegenkommen abzutrotzen. Vor der Welt, den Eltern, den vielen Besuchern spiele er die Rolle des gluecklichen jungen Ehemanns. Am Abend aber habe er sich, ohne eine Silbe zu sprechen, gegen sie verneigt und sich sofort in sein Zimmer zurueckgezogen. So kann es nicht fortgehen, sagte ich ploetzlich, nachdem ich lange geschwiegen hatte. Es ist deiner so unwuerdig wie meiner. Wir muessen ein Ende machen; es kostet nichts mehr als deinen Entschluss; der meine ist schon gefasst. Amadeo! sagte sie und sah mich gross an. Was kannst du meinen? Trennung? Lieber toete mich! Nein, sagt' ich; du darfst nicht erschrecken. Ich mute uns nichts Uebermenschliches zu, weder dir noch mir. Dich verlassen--mein Weib--mein anderes Ich--, du hast recht, das waere der Tod! Aber was wir jetzt haben, ist schlimmer als Tod, ist ein Leben, das die Freiheit und den Adel unserer Seele mordet und uns beide, frueher oder spaeter, zugrunde richten wird. Und wenn es glueckte, was undenkbar ist, dass ich hier verborgen bliebe, Jahr fuer Jahr, in welchem Zustande schleppte ich meine Tage hin, muessig und oede, von allen Menschen, ausser dir, abgeschnitten, von meinen Lebenszielen verbannt, verzehrt von der Qual, in dieser Verschollenheit ein wertloses Dasein zu fristen! Aber auch unter guenstigeren Umstaenden--wenn ich frei zu dir ins Haus kommen koennte und als dein Kavalier gelten--, ich bin nun einmal unfaehig, Luege und Halbheit zu ertragen. Was ich fuehle, muss ich bekennen, was ich besitze, als mein anerkennen duerfen. Begreifst du, was ich meine? Sie nickte und sah nachdenklich vor sich nieder. Ich weiss, dass es dir schwer wird, fuhr ich fort und nahm ihre Hand, die ganz kalt und leblos war. Du sollst nun fuer immer fort, deinen Vater nie wiedersehen, wenn er sich nicht das Herz fasst, zu uns zu kommen, deine Heimat verlassen und alles, was dir von Jugend auf lieb gewesen, nicht mehr in der Kirche knien, an derselben Stelle, wo deine Mutter gebetet hat. Und nun graut dir vor der Fremde, um so mehr, da du dahin fliehen sollst, statt mit Freuden und Ehren deinen Einzug zu halten, und du glaubst, auch vor den Menschen, die dich lieben, die Augen niederschlagen zu muessen. Ist es nicht so, Beatrice? Sie nickte wieder. Aber dann schlug sie die Augen zu mir auf und sagte: Ich will alles ertragen, wenn es dich gluecklich macht! Liebes Herz, sagt' ich und schloss sie in meine Arme, du traust mir zu--nicht wahr?--, dass ich sorgfaeltig abgewogen habe, was ich dir und mir schuldig bin, und dass mich kein Opfer schrecken wuerde, solange es meine Ehre nicht anficht und mich in deinen Augen nicht erniedrigt. Und hier ist nur ein Ausweg aus den Schlingen und Banden, in die uns die Feinde verstrickt haben. Du hast ganz recht gehabt, dass eine Flucht auch mit den schnellsten Pferden uns nicht gerettet haben wuerde. Wir muessen es behutsamer angreifen, wenn man uns nicht einholen soll. Ich habe mit Fabio gesprochen, er kennt die Wege und Stege nach Ancona so genau wie seinen Garten. Er will uns fuehren, wir gehen zu Fuss, nur bei der Nacht, alle drei in Bauerntracht, und schiffen uns von da nach Venedig ein. Auch er laesst alles zurueck, was ihm hier lieb und teuer ist, nur um uns frei und gluecklich machen zu helfen. Hast du den Mut, mein Weib, und traust dir die Kraft zu, den weiten Weg mit deinem Manne anzutreten? Bis ans Ende der Welt! sagte sie und drueckte meine Hand. Du sollst nicht ueber mich zu klagen haben. Ich kann alles, was du mir zutraust. Ich umarmte sie in heftiger Bewegung. Komm! sagte ich dann und stand auf. Wir wollen etwas essen, uns fuer die Wanderung zu staerken. Sie fuhr zusammen. Heute schon, Amadeo? Ich bitte dich, sosehr ich kann, fordere nur das nicht, dass ich fortgehe, ohne meinen armen Vater noch einmal gesehen zu haben, ohne die Andenken an meine Mutter, die ich zu Hause verwahre. Ich verspreche dir, dass mich nichts mehr wankend machen soll, dass ich mit keiner Traene mich verraten will, wenn ich meinen Vater zum letzten Male kuesse. Aber ich fuehle es: ohne das, ohne ihm wenigstens ein stummes Lebewohl zu sagen, wuerde ich nirgends in der Weit zur Ruhe kommen, und das Heimweh zehrte mich auf. Was ist auch dabei gewagt? Niemand ahnt, dass du hier bist, niemand sieht mich gehn und kommen. Auch der Nina will ich kein Wort sagen, und wenn ich morgen abend aus meinem Hause gehe, soll alles fuer immer hinter mir liegen, das verspreche ich dir. Nur die wenigen Stunden lass mir noch, mit allem fertig zu werden. Dann sollst du mich haben, als waere ich gerade vom Himmel in deinen Arm gefallen und haette keine Heimat als deine Liebe. Sie sah mich mit einem Blick an, dem ich nicht widerstehen konnte, obwohl mir jeder Aufschub unheimlich war. So willigte ich ein, und ihre Heiterkeit, die darauf zurueckkehrte, riss auch mich bald aus allen trueben Gedanken. Wir assen zusammen, Fabio bediente uns, von unserem Vorhaben ward weiter kein Wort gesprochen. Dann schickte ich den Alten zu Bett und trug selbst den Nachtisch herein und eine kleine Flasche eines suessen Weins, den sie gern trank, nur fingerhutweise, aber schon wenige Tropfen roeteten ihr blasses Gesichtchen. Wer uns so gesehen haette, wie wir an dem kleinen Tisch nebeneinander sassen, sie immer noch in ihren Maennerkleidern, nur das Haar frei ueber die Schultern herabfallend, wie sie mir das Glas vom Munde wegnahm, um daraus zu trinken, von meinem Teller ass, dann das Kaetzchen, das herbeischlich, mit Orangenschalen bewarf, und wenn es sich damit jagte, mich ploetzlich kuesste, als haette nun eine dritte Person den Ruecken gewendet und wir brauchten uns keinen Zwang mehr anzutun--wer haette da geglaubt, dass wir, von Gefahren umgeben, diese Stunden uns nur verstohlen erobert hatten und nur auf den Raub genossen! Sie stand dann auf und zog mich in den Garten hinaus. Lass mich noch Abschied nehmen, sagte sie, von meinen lieben Baeumen, dem Granatstrauch, den Orangenbaeumchen und der Fontaene. Morgen ist dazu keine Zeit.--Wir gingen, Arm in Arm. Sie trank noch einmal aus dem Marmorbecken, steckte eine Orange zu sich und brach einen Granatzweig. Die muessen auch mit, sagte sie. Im Norden bei dir waechst so etwas nicht. Da lerne ich es auch wohl entbehren. Und diesen Federball--sie hob ihn auf, da sie ihn vergessen im Grase liegen sah--will ich nicht zuruecklassen. Unsere Kinder, setzte sie leiser hinzu, indem sie sich an mich drueckte, unsere Kinder sollen damit spielen, und dann erzaehlst du ihnen, dass du dein Herz gegen einen solchen Ball vertauscht hast.-Wir waren an die Stelle gekommen, wo ich damals ueber die Mauer gesehen hatte. Da unter den hohen Zweigen hatte sich der Rasen noch frisch und weich erhalten, und man atmete die reinste Luft, die kein Staub beschwerte. Lass uns nicht ins Haus zurueckgehn, sagte ich. Ich will eine Decke bringen und hier unter dem Laubdach ausbreiten, da wird die Ruhe suesser sein als in unserm schwuelen Zimmer. Tu's, sagte sie. Ich habe hier schon als Maedchen manche Nacht geschlafen; Nina legte mir ihren Arm unter den Kopf, dann sah ich die Sterne durch die Zweige blitzen, bis mir die Augen zufielen. Ich brachte ein paar Kissen hinaus und ihren Mantel, da legte sie sich bequem zurecht und gab mir die Haelfte von allem ab. Ueber uns regte sich kein Laut, die Blaetter hingen muede vom Sonnenbrand an den Zweigen, nur die Fontaene plaetscherte fort, und ich selbst konnte noch keinen Schlaf finden, obwohl schon laengst die stillen Atemzuege meines jungen Weibes neben mir mich zur Ruhe einluden. Ein paarmal sprach sie aus dem Traum, ich konnte die Worte nicht verstehen, aber noch jetzt hoer' ich den unschuldig suessen Klang und sehe dabei das Gesicht, das mit geschlossenen Augenlidern gegen die graue Luft hinaufsah, die Brauen wie fragend ein wenig gespannt, die Lippen geheimnisvoll laechelnd, als traeume sie Dinge, die sie selbst ueberraschten, die aber seliger seien als alles, was sie je erlebt. Zuletzt ueberkam auch mich der Schlaf. Als ich aufwachte--ich weiss nicht, nach wieviel Stunden, aber der Himmel hatte sich noch nicht geroetet--, fand ich mich allein und musste einen Augenblick mich besinnen, wie ich hier herausgekommen war. Dann erschrak ich, dass sie nicht mehr neben mir ruhte. Warum hatte sie sich fortgeschlichen? Ich sprang auf, um im Hause nachzusehen, ob sie wenigstens den Alten zur Begleitung mitgenommen habe. Aber kaum hatte ich einige Schritte getan, da hoere ich, wie die Glocke draussen am Portal heftig angezogen wird, und es ueberfiel mich im Nu die entsetzlichste Ahnung, dass ich alle Vorsicht vergass und quer durch den Garten um das Haus herum nach dem Gitter hinstuerzte. Dennoch war der Alte mir zuvorgekommen. Als ich um die Ecke des Hauses bog, sah ich ihn schon vorn am Portal, bemueht, eine dunkle Gestalt aufzuheben, die draussen vor der Schwelle zusammengesunken war. Beatrice! schrie ich und stuerzte hinzu. Eben schlug sie, von Fabio gestuetzt, die Augen auf und sah mich mit einem Blick der tiefsten Angst und Hoffnungslosigkeit an. Gleich darauf versuchte sie wieder zu laecheln. Es ist nichts, Amadeo, hauchte sie muehsam, die Hand aufs Herz gepresst. Ich fuehle keinen Schmerz, aengstige dich nicht. Bist du mir boese, dass ich fortging, ohne dich zu wecken? Ich sah dich so sanft schlafen, und ich dachte auch, es haette keine Gefahr. Woher sie es nur wissen, dass du zurueckgekehrt bist? Ach ja, ich vergass dir zu erzaehlen, dass Richino gestern mittag ploetzlich sagte, auf franzoesisch, damit es niemand als ich verstehen sollte: Glauben Sie an Gespenster, Madame? Wenn es welche gibt, so moegen sie spuken, soviel sie wollen. Aber wenn Lebende sich einfallen lassen, revenants zu spielen, bei meiner Ehre, so will ich dafuer sorgen, sie zu wirklichen Schatten zu machen! --Ich dachte, es sei nur so geredet. Ach, Amadeo, nun kann ich freilich nicht reisen, nun musst du allein fort, noch in dieser Stunde. --Die zwei, die draussen lauerten, haben freilich gedacht, du kaemst vorbei. Sie riefen mich an, als ich kaum zehn Schritte vom Gitter fort war. Meinen Namen sollt' ich nennen. Als ich schwieg, taten sie, was man sie geheissen hatte. Aber es ist nicht gelungen; sieh, ich kann noch gehen und sogar sprechen. Lass mich hier ohne Sorge, ich werde gewiss nicht sterben, wenn ich weiss, dass du in Sicherheit bist. Und dann--ich komme dir nach, sobald ich geheilt bin. Geh, mein geliebter Mann--eh' es Tag wird--deine Hand--deinen Mund-Da versagte ihr die Stimme, die Knie brachen ein, wir trugen sie bewusstlos in den Saal und legten sie auf das niedere Ruhebett. Als wir den Mantel zurueckschlugen und das Roeckchen oeffneten, ueberstroemte das Blut unsere Haende. Ich beugte mich ueber sie, da atmete sie mit einem heftigen Stoehnen auf und sah mich noch einmal an, und sank dann zurueck--und war stumm fuer immer. Von diesem Morgen will ich schweigen. Als die Sonne durch die Glastuer hereinschien, lag ich noch auf der Erde vor ihrem Ruhebett und starrte in ihr blasses Gesicht. Der Alte kauerte in einem Winkel und schluchzte still in sich hinein, da hoerten wir draussen ihren Namen rufen, und die Nina kam hereingerannt und fiel mit einem Schrei ueber die Tote und gebaerdete sich, wie wenn sie selbst zu Tode getroffen waere. Dann, im heftigsten Krampf ihres Jammers, fasste sie sich gewaltsam und wandte sich zu mir. Ihr muesst fort! sagte sie. Ich bin nur herausgeeilt, sie und Euch zu warnen, denn eben ist Richino in ihr Schlafzimmer gedrungen und hat sie gesucht, jetzt weiss ich warum: um ihr zu sagen, dass ihr Geliebter nicht mehr lebe. Denn dass es so kommen wuerde, hat er wohl nicht gedacht. Wie er sie nicht fand, ist er totenblass geworden und wieder gegangen. Aber glaubt mir, er wird sie auch hier suchen, und wenn er die graessliche Spur draussen findet--horch! da kommen Schritte. Er ist es! Flieht, oder Ihr seid des Todes! Ich antwortete ihr nicht. Ich stand auf und blieb neben meinem toten Weibe stehen. Da oeffnete sich die Tuer und er trat ein. Was er auch hatte sagen wollen, als er hereinkam,--der Anblick versteinerte ihn. Er wankte zurueck und musste sich am Tuerpfosten halten. Sein fahles Gesicht verzerrte sich von ratlosem Entsetzen, ich sah, wie er vergebens nach Atem rang. Was suchen Sie hier? sagte ich endlich. Sie haben gehofft, mich in meinem Blute zu finden; Ihre Leute haben Sie schnell bedient, aber sie vergriffen sich leider in der Person. Nun sind Sie um die Schadenfreude betrogen worden, Ihr Werk zu kroenen und dieses arme Herz, von dem Ihnen nie ein Blutstropfen gehoert hat, mit der Nachricht zu wecken, dass ihr Geliebter tot sei und nicht wiederkommen wuerde.--Was haelt mich ab, fuhr ich fort und naeherte mich ihm, die Haende in Wut und wahnsinnigem Schmerz geballt, was haelt mich ab, dich jetzt zu zermalmen, Elender, und dich mit dem Fusse ueber diese Schwelle hinauszustossen, dass du die Luft in diesem heiligen Haus des Todes mit deinem Atem nicht laenger entweihst? Wenn du sie noch geliebt haettest, Jaemmerlicher, dass doch eine menschliche Regung dein Tun beschoenigte! Aber sie an dich reissen, dies koenigliche Wesen zu dir herabziehen wollen--nur einem elenden Gelueste zu liebe, und weil andere dich dazu aufstachelten--geh, sag' ich, verstecke dein Gesicht in ewiges Dunkel, Moerder! denn das schwoere ich dir: wenn du nur die Hand nach dieser Toten ausstreckst, nur noch einen Blick auf sie richtest--mit diesen Haenden zerreisse ich dich! Fort!-Mitten in diesem Ausbruch meiner fassungslosen Wut wurde ich ploetzlich gebaendigt durch den Anblick seines Gesichts, auf dem ein Zug des tiefsten Jammers aufzuckte, als wanke ihm die Erde unter den Fuessen und wolle sich auftun, ihn zu verschlingen. Er sah niemand an, versuchte sich aufzurichten, sank wie zerschmettert auf der Schwelle zusammen und lag so einige Minuten. Ich musste mich abwenden, eine Art Mitleid wollte sich meiner bemaechtigen, das mir noch ein Verbrechen schien. Als ich mich so weit gesammelt hatte, um ein letztes Wort an ihn zu richten, sah ich, dass er mit gebrochener Kraft wie ein Trunkener nach dem Gittertor wankte und den Garten verliess. Da liess ich Nina gewaehren, die der Toten ihre Maennerkleider auszog und sie in dasselbe weisse Kleid huellte, in dem ich sie zuerst gesehen. So lag sie ueber Tag friedlich laechelnd unter den Blumen, die ihre Getreue aus Garten und Glashaus hereintrug. Eben war sie fertig mit diesem letzten Liebesdienst, da hoerten wir einen Wagen heranrollen. Der Vater sass darin, blass und mit einem irren Laecheln um den welken Mund. Fabio half ihm unter heissen Traenen heraus und fuehrte ihn in den Saal. Als er sein Kind im Totenschmuck sah, sank er lautlos neben ihr auf die Knie und drueckte die kahle Stirn gegen ihre gefalteten Haende. Wir wollten ihn endlich aufheben, da fanden wir, dass ein mitleidiger Herzschlag ihn mit seinem Liebling vereinigt hatte. In der folgenden Nacht begruben wir sie beide. Niemand war zugegen als Fabio und Nina, und Don Vigilio segnete die Leichen ein. Er sagte mir nachher, dass Richino es so angeordnet und befohlen habe, mich in allem gewaehren zu lassen, als sei ich Herr in diesem Hause. Er selbst habe niemand vorgelassen und sei nach einer heftigen Szene mit seiner Schwiegermutter noch desselben Tages nach Rom abgereist, die Generalin in ein Kloster, wo sie ihr Trauerjahr verbringen wolle. Ich selbst nahm, sobald sich die Gruft ueber den beiden geschlossen hatte, ein Pferd und ritt, noch ehe es Tag geworden war, die Strasse nach Florenz. Ein Jahr darauf las ich in der Zeitung, dass die Generalin dem jungen Grafen, ihrem getreuen Anbeter, ihre Hand gereicht habe. Sooft ich spaeter nach Bologna kam, das Grab meines Weibes zu besuchen--ich habe sie nie wiedergesehn. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Beatrice, von Paul Heyse. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, BEATRICE *** This file should be named 7btrc10.txt or 7btrc10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7btrc11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7btrc10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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This is also a good way to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers produce obviously take a while after an announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05 Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 Just search by the first five letters of the filename you want, as it appears in our Newsletters. Information about Project Gutenberg (one page) We produce about two million dollars for each hour we work. The time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our projected audience is one hundred million readers. If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! As of February, 2002, contributions are being solicited from people and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West Virginia, Wisconsin, and Wyoming. We have filed in all 50 states now, but these are the only ones that have responded. As the requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund raising will begin in the additional states. Please feel free to ask to check the status of your state. In answer to various questions we have received on this: We are constantly working on finishing the paperwork to legally request donations in all 50 states. If your state is not listed and you would like to know if we have added it since the list you have, just ask. While we cannot solicit donations from people in states where we are not yet registered, we know of no prohibition against accepting donations from donors in these states who approach us with an offer to donate. International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made deductible, and don't have the staff to handle it even if there are ways. Donations by check or money order may be sent to: PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION 809 North 1500 West Salt Lake City, UT 84116 Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment method other than by check or money order. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN [Employee Identification Number] 64-622154. Donations are tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund-raising will begin in the additional states. We need your donations more than ever! You can get up to date donation information online at: http://www.gutenberg.net/donation.html *** If you can't reach Project Gutenberg, you can always email directly to: Michael S. Hart Prof. Hart will answer or forward your message. We would prefer to send you information by email. **The Legal Small Print** (Three Pages) ***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you might sue us if there is something wrong with your copy of this eBook, even if you got it for free from someone other than us, and even if what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells you how you may distribute copies of this eBook if you want to. *BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm eBook, you indicate that you understand, agree to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive a refund of the money (if any) you paid for this eBook by sending a request within 30 days of receiving it to the person you got it from. If you received this eBook on a physical medium (such as a disk), you must return it with your request. ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association (the "Project"). Among other things, this means that no one owns a United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, apply if you wish to copy and distribute this eBook under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any commercial products without permission. To create these eBooks, the Project expends considerable efforts to identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any medium they may be on may contain "Defects". 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