The Project Gutenberg EBook of Ausgewaehlte Schriften, by Heinrich von Kleist Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Ausgewaehlte Schriften Heinrich von Kleist Gesammelte Kleine Werke Inhalt: Das Bettelweib von Locarno Das Erdbeben in Chili Der Findling Der Zweikampf Die heilige Caecilie Die Marquise von O... Die Verlobung in St. Domingo Geistererscheinung Michael Kohlhaas Das Bettelweib von Locarno Am Fusse der Alpen bei Locarno im oberen Italien befand sich ein altes, einem Marchese gehoeriges Schloss, das man jetzt, wenn man vom St. Gotthard kommt, in Schutt und Truemmern liegen sieht: ein Schloss mit hohen und weitlaeufigen Zimmern, in deren einem einst auf Stroh, das man ihr unterschuettete, eine alte kranke Frau, die sich bettelnd vor der Tuer eingefunden hatte, von der Hausfrau aus Mitleiden gebettet worden war. Der Marchese, der bei der Rueckkehr von der Jagd zufaellig in das Zimmer trat, wo er seine Buechse abzusetzen pflegte, befahl der Frau unwillig, aus dem Winkel, in welchem sie lag, aufzustehn und sich hinter den Ofen zu verfuegen. Die Frau, da sie sich erhob, glitschte mit der Kruecke auf dem glatten Boden aus und beschaedigte sich auf eine gefaehrliche Weise das Kreuz; dergestalt, dass sie zwar noch mit unsaeglicher Muehe aufstand und quer, wie es ihr vorgeschrieben war, ueber das Zimmer ging, hinter dem Ofen aber unter Stoehnen und Aechzen niedersank und verschied. Mehrere Jahre nachher, da der Marchese durch Krieg und Misswachs in bedenkliche Vermoegensumstaende geraten war, fand sich ein florentinischer Ritter bei ihm ein, der das Schloss seiner schoenen Lage wegen von ihm kaufen wollte. Der Marchese, dem viel an dem Handel gelegen war, gab seiner Frau auf, den Fremden in dem obenerwaehnten leerstehenden Zimmer, das sehr schoen und praechtig eingerichtet war, unterzubringen. Aber wie betreten war das Ehepaar, als der Ritter mitten in der Nacht verstoert und bleich zu ihnen herunterkam, hoch und teuer versichernd, dass es in dem Zimmer spuke, indem etwas, das dem Blick unsichtbar gewesen, mit einem Geraeusch, als ob es auf Stroh gelegen, im Zimmerwinkel aufgestanden mit vernehmlichen Schritten langsam und gebrechlich quer ueber drei Zimmer gegangen und hinter dem Ofen unter Stoehnen und Aechzen niedergesunken sei. Der Marchese, erschrocken, er wusste selbst nicht recht warum, lachte den Ritter mit erkuenstelter Heiterkeit aus und sagte, er wolle sogleich aufstehen und die Nacht zu seiner Beruhigung mit ihm in dem Zimmer zubringen. Doch der Ritter bat um die Gefaelligkeit, ihm zu erlauben, dass er auf einem Lehnstuhl in seinem Schlafzimmer uebernachte; und als der Morgen kam, liess er anspannen, empfahl sich und reiste ab. Dieser Vorfall, der ausserordentliches Aufsehen machte, schreckte auf eine dem Marchese hoechst unangenehme Weise mehrere Kaeufer ab; dergestalt, dass, da sich unter seinem eignen Hausgesinde, befremdend und unbegreiflich, das Geruecht erhob, dass es in dem Zimmer zur Mitternachtstunde umgehe, er, um es mit einem entscheidenden Verfahren niederzuschlagen, beschloss, die Sache in der naechsten Nacht selbst zu untersuchen. Demnach liess er beim Einbruch der Daemmerung sein Bett in dem besagten Zimmer aufschlagen und erharrte, ohne zu schlafen, die Mitternacht. Aber wie erschuettert war er, als er in der Tat mit dem Schlage der Geisterstunde das unbegreifliche Geraeusch wahrnahm; es war, als ob ein Mensch sich von Stroh, das unter ihm knisterte, erhob, quer ueber das Zimmer ging, und hinter dem Ofen unter Geseufz und Geroechel niedersank. Die Marquise, am andern Morgen, da er herunterkam, fragte ihn, wie die Untersuchung abgelaufen; und da er sich mit scheuen und ungewissen Blicken umsah und, nachdem er die Tuer verriegelt, versicherte, dass es mit dem Spuk seine Richtigkeit habe: so erschrak sie, wie sie in ihrem Leben nicht getan und bat ihn, bevor er die Sache verlauten liesse, sie noch einmal in ihrer Gesellschaft einer kaltbluetigen Pruefung zu unterwerfen. Sie hoerten aber samt einem treuen Bedienten, den sie mitgenommen hatten, in der Tat in der naechsten Nacht dasselbe unbegreifliche, gespensterartige Geraeusch; und nur der dringende Wunsch, das Schloss, es koste was es wolle, loszuwerden, vermochte sie, das Entsetzen, das sie ergriff, in Gegenwart ihres Dieners zu unterdruecken und dem Vorfall irgendeine gleichgueltige und zufaellige Ursache, die sich entdecken lassen muesse, unterzuschieben. Am Abend des dritten Tages, da beide, um der Sache auf den Grund zu kommen, mit Herzklopfen wieder die Treppe zu dem Fremdenzimmer bestiegen, fand sich zufaellig der Haushund, den man von der Kette losgelassen hatte, vor der Tuer desselben ein; dergestalt dass beide, ohne sich bestimmt zu erklaeren, vielleicht in der unwillkuerlichen Absicht, ausser sich selbst noch etwas Drittes, Lebendiges, bei sich zu haben, den Hund mit sich in das Zimmer nahmen. Das Ehepaar, zwei Lichter auf dem Tisch, die Marquise unausgezogen, der Marchese Degen und Pistolen, die er aus dem Schrank genommen, neben sich, setzen sich gegen elf Uhr jeder auf sein Bett; und waehrend sie sich mit Gespraechen, so gut sie vermoegen, zu unterhalten suchen, legt sich der Hund, Kopf und Beine zusammengekauert, in der Mitte des Zimmers nieder und schlaeft ein, Drauf, in dem Augenblick der Mitternacht, laesst sich das entsetzliche Geraeusch wieder hoeren; jemand, den kein Mensch mit Augen sehen kann, hebt sich auf Kruecken im Zimmerwinkel empor; man hoert das Stroh, das unter ihm rauscht; und mit dem ersten Schritt: tapp! tapp! erwacht der Hund, hebt sich ploetzlich, die Ohren spitzend, vom Boden empor, und knurrend und bellend, grad' als ob ein Mensch auf ihn eingeschritten kaeme, rueckwaerts gegen den Ofen weicht er aus. Bei diesem Anblick stuerzt die Marquise mit straeubenden Haaren aus dem Zimmer; und waehrend der Marchese, der den Degen ergriffen: "Wer da?" ruft, und, da ihm niemand antwortet, gleich einem Rasenden nach allen Richtungen die Luft durchhaut, laesst sie anspannen, entschlossen, augenblicklich nach der Stadt abzufahren. Aber ehe sie noch nach Zusammenraffung einiger Sachen aus dem Tore herausgerasselt, sieht sie schon das Schloss ringsum in Flammen aufgehen. Der Marchese, von Entsetzen ueberreizt, hatte eine Kerze genommen und dasselbe, ueberall mit Holz getaefelt wie es war, an allen vier Ecken, muede seines Lebens, angesteckt. Vergebens schickte sie Leute hinein, den Ungluecklichen zu retten; er war auf die elendiglichste Weise bereits umgekommen; und noch jetzt liegen, von den Landleuten zusammengetragen, seine weissen Gebeine in dem Winkel des Zimmers, von welchem er das Bettelweib von Locarno hatte aufstehen heissen. Das Erdbeben in Chili In St. Jago, der Hauptstadt des Koenigreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der grossen Erderschuetterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gefaengnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken. Don Henrico Asteron, einer der reichsten Edelleute der Stadt, hatte ihn ungefaehr ein Jahr zuvor aus seinem Hause, wo er als Lehrer angestellt war, entfernt, weil er sich mit Donna Josephe, seiner einzigen Tochter, in einem zaertlichen Einverstaendnis befunden hatte. Eine geheime Bestellung, die dem alten Don, nachdem er die Tochter nachdruecklich gewarnt hatte, durch die haemische Aufmerksamkeit seines stolzen Sohnes verraten worden war, entruestete ihn dergestalt, dass er sie in dem Karmeliterkloster unsrer lieben Frauen vom Berge daselbst unterbrachte. Durch einen gluecklichen Zufall hatte Jeronimo hier die Verbindung von neuem anzuknuepfen gewusst, und in einer verschwiegenen Nacht den Klostergarten zum Schauplatze seines vollen Glueckes gemacht. Es war am Fronleichnamsfeste, und die feierliche Prozession der Nonnen, welchen die Novizen folgten, nahm eben ihren Anfang, als die unglueckliche Josephe, bei dem Anklange der Glocken, in Mutterwehen auf den Stufen der Kathedrale niedersank. Dieser Vorfall machte ausserordentliches Aufsehn; man brachte die junge Suenderin, ohne Ruecksicht auf ihren Zustand, sogleich in ein Gefaengnis, und kaum war sie aus den Wochen erstanden, als ihr schon, auf Befehl des Erzbischofs, der geschaerfteste Prozess gemacht ward. Man sprach in der Stadt mit einer so grossen Erbitterung von diesem Skandal, und die Zungen fielen so scharf ueber das ganze Kloster her, in welchem er sich zugetragen hatte, dass weder die Fuerbitte der Familie Asteron, noch auch der Wunsch der Aebtissin selbst, welche das junge Maedchen wegen ihres sonst untadelhaften Betragens liebgewonnen hatte, die Strenge, mit welcher das mit welcher das kloesterliche Gesetz sie bedrohte, mildern konnte. Alles, was geschehen konnte, war, dass der Feuertod, zu dem sie verurteilt wurde, zur grossen Entruestung der Matronen und Jungfrauen von St. Jago, durch einen Machtspruch des Vizekoenigs, in eine Enthauptung verwandelt ward. Man vermietete in den Strassen, durch welche der Hinrichtungszug gehen sollte, die Fenster, man trug die Daecher der Haeuser ab, und die frommen Toechter der Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem Schauspiele, das der goettlichen Rache gegeben wurde, an ihrer schwesterlichen Seite beizuwohnen. Jeronimo, der inzwischen auch in ein Gefaengnis gesetzt worden war, wollte die Besinnung verlieren, als er diese ungeheure Wendung der Dinge erfuhr. Vergebens sann er auf Rettung: ueberall, wohin ihn auch der Fittig der vermessensten Gedanken trug, stiess er auf Riegel und Mauern, und ein Versuch, die Gitterfenster zu durchfeilen, zog ihm, da er entdeckt ward, eine nur noch engere Einsperrung zu. Er warf sich vor dem Bildnisse der heiligen Mutter Gottes nieder, und betete mit unendlicher Inbrunst zu ihr, als der einzigen, von der ihm jetzt noch Rettung kommen koennte. Doch der gefuerchtete Tag erschien, und mit ihm in seiner Brust die Ueberzeugung von der voelligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Die Glocken, welche Josephen zum Richtplatz begleiteten, ertoenten, und Verzweiflung bemaechtigte sich seiner Seele. Das Leben schien ihm verhasst, und er beschloss, sich durch einen Strick, den ihm der Zufall gelassen hatte, den Tod zu geben. Eben stand er, wie schon gesagt, an einem Wandpfeiler und befestigen den Strick, der ihn dieser jammervollen Welt entreissen sollte, an eine Eisenklammer, die an dem Gesimse derselben eingefugt war; als ploetzlich der groesste Teil der Stadt, mit einem Gekrache, als ob das Firmament einstuerzte, versank, und alles, was Leben atmete, unter seinen Truemmern begrub. Jeronimo Rugera war starr vor Entsetzen; und gleich als ob sein ganzes Bewusstsein zerschmettert worden waere, hielt er sich jetzt an dem Pfeiler, an welchem er hatte sterben wollen, um nicht umzufallen. Der Boden wankte unter seinen Fuessen, alle Waende des Gefaengnisses rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Strasse zu einzustuerzen, und nur der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall des gegenueberstehenden Gebaeudes verhinderte, durch eine zufaellige Woelbung, die gaenzliche Zubodenstreckung desselben. Zitternd, mit straeubenden Haaren, und Knieen, die unter ihm brechen wollten, glitt Jeronimo ueber den schiefgesenkten Fussboden hinweg, der Oeffnung zu, die der Zusammenschlag beider Haeuser in die vordere Wand des Gefaengnisses eingerissen hatte. Kaum befand er sich im Freien, als die ganze, schon erschuetterte Strasse auf eine zweite Bewegung der Erde voellig zusammenfiel. Besinnungslos, wie er sich aus diesem allgemeinen Verderben retten wuerde, eilte er, ueber Schutt und Gebaelk hinweg, indessen der Tod von allen Seiten Angriffe auf ihn machte, nach einem der naechsten Tore der Stadt. Hier stuerzte noch ein Haus zusammen, und jagte ihn, die Truemmer weit umherschleudernd, in eine Nebenstrasse; hier leckte die Flamme schon, in Dampfwolken blitzend, aus allen Giebeln, und trieb ihn schreckenvoll in eine andere; hier waelzte sich, aus seinem Gestade gehoben, der Mapochofluss auf ihn heran, und riss ihn bruellend in eine dritte. Hier lag ein Haufen Erschlagener, hier aechzte noch eine Stimme unter dem Schutte, hier schrieen Leute von brennenden Daechern herab, hier kaempften Menschen und Tiere mit den Wellen, hier war ein mutiger Retter bemueht, zu helfen; hier stand ein anderer, bleich wie der Tod, und streckte sprachlos zitternde Haende zum Himmel. Als Jeronimo das Tor erreicht, und einen Huegel jenseits desselben bestiegen hatte, sank er ohnmaechtig auf demselben nieder. Er mochte wohl eine Viertelstunde in der tiefsten Bewusstlosigkeit gelegen haben, als er endlich wieder erwachte, und sich, mit nach der Stadt gekehrtem Ruecken, halb auf dem Erdboden erhob. Er befuehlte sich Stirn und Brust, unwissend, was er aus seinem Zustande machen sollte, und ein unsaegliches Wonnegefuehl ergriff ihn, als ein Westwind, vom Meere her, sein wiederkehrendes Leben anwehte, und sein Auge sich nach allen Richtungen ueber die bluehende Gegend von St. Jago hinwandte. Nur die verstoerten Menschenhaufen, die sich ueberall blicken liessen, beklemmten sein Herz; er begriff nicht, was ihn und sie hiehergefuehrt haben konnte, und erst, da er sich umkehrte, und die Stadt hinter sich versunken sah, erinnerte er sich des schrecklichen Augenblicks, den er erlebt hatte. Er senkte sich so tief, dass seine Stirn den Boden beruehrte, Gott fuer seine wunderbare Errettung zu danken; und gleich, als ob der eine entsetzliche Eindruck, der sich seinem Gemuet eingepraegt hatte, alle frueheren daraus verdraengt haette, weinte er vor Lust, dass er sich des lieblichen Lebens, voll bunter Erscheinungen, noch erfreue. Drauf, als er eines Ringes an seiner Hand gewahrte, erinnerte er sich ploetzlich auch Josephens, und mit ihr seines Gefaengnisses, der Glocken, die er dort gehoert hatte, und des Augenblicks, der dem Einsturze desselben vorangegangen war. Tiefe Schwermut erfuellte wieder seine Brust; sein Gebet fing ihn zu reuen an, und fuerchterlich schien ihm das Wesen, das ueber den Wolken waltet. Er mischte sich unter das Volk, das ueberall, mit Rettung des Eigentums beschaeftigt, aus den Toren stuerzte, und wagte schuechtern nach der Tochter Asterons, und ob die Hinrichtung an ihr vollzogen worden sei, zu fragen; doch niemand war, der ihm umstaendliche Auskunft gab. Eine Frau, die auf einem fast zur Erde gedrueckten Nacken eine ungeheure Last von Geraetschaften und zwei Kinder, an der Brust haengend, trug, sagte im Vorbeigehen, als ob sie es selbst angesehen haette: dass sie enthauptet worden sei. Jeronimo kehrte sich um; und da er, wenn er die Zeit berechnete, selbst an ihrer Vollendung nicht zweifeln konnte, so setzte er sich in einem einsamen Walde nieder, und ueberliess sich seinem vollen Schmerz. Er wuenschte, dass die zerstoerende Gewalt der Natur von neuem ueber ihn einbrechen moechte. Er begriff nicht, warum er dem Tode, den seine jammervolle Seele so suchte, in jenen Augenblicken, da er ihm freiwillig von allen Seiten rettend erschien, entflohen sei. Er nahm sich fest vor, nicht zu wanken, wenn auch jetzt die Eichen entwurzelt werden, und ihre Wipfel ueber ihn zusammenstuerzen sollten. Darauf nun, da er sich ausgeweint hatte, und ihm, mitten unter den heissesten Traenen, die Hoffnung wieder erschienen war, stand er auf, und durchstreifte nach allen Richtungen das Feld. Jeden Berggipfel, auf dem sich die Menschen versammelt hatten, besuchte er; auf allen Wegen, wo sich der Strom der Flucht noch bewegte, begegnete er ihnen; wo nur irgend ein weibliches Gewand im Winde flatterte, da trug ihn sein zitternder Fuss hin: doch keines deckte die geliebte Tochter Asterons. Die Sonne neigte sich, und mit ihr seine Hoffnung schon wieder zum Untergange, als er den Rand eines Felsens betrat, und sich ihm die Aussicht in ein weites, nur von wenig Menschen besuchtes Tal eroeffnete. Er durchlief, unschluessig, was er tun sollte, die einzelnen Gruppen derselben, und wollte sich schon wieder wenden, als er ploetzlich an einer Quelle, die die Schlucht bewaesserte, ein junges Weib erblickte, beschaeftigt, ein Kind in seinen Fluten zu reinigen. Und das Herz huepfte ihm bei diesem Anblick: er sprang voll Ahndung ueber die Gesteine herab, und rief: O Mutter Gottes, du Heilige! und erkannte Josephen, als sie sich bei dem Geraeusche schuechtern umsah. Mit welcher Seligkeit umarmten sie sich, die Ungluecklichen, die ein Wunder des Himmels gerettet hatte! Josephe war, auf ihrem Gang zum Tode, dem Richtplatze schon ganz nahe gewesen, als durch den krachenden Einsturz der Gebaeude ploetzlich der ganze Hinrichtungszug auseinander gesprengt ward. Ihre ersten entsetzensvollen Schritte trugen sie hierauf dem naechsten Tore zu; doch die Besinnung kehrte ihr bald wieder, und sie wandte sich, um nach dem Kloster zu eilen, wo ihr kleiner, huelfloser Knabe zurueckgeblieben war. Sie fand das ganze Kloster schon in Flammen, und die Aebtissin, die ihr in jenen Augenblicken, die ihre letzten sein sollten, Sorge fuer den Saeugling angelobt hatte, schrie eben, vor den Pforten stehend, nach Huelfe, um ihn zu retten. Josephe stuerzte sich, unerschrocken durch den Dampf, der ihr entgegenqualmte, in das von allen Seiten schon zusammenfallende Gebaeude, und gleich, als ob alle Engel des Himmels sie umschirmten, trat sie mit ihm unbeschaedigt wieder aus dem Portal hervor. Sie wollte der Aebtissin, welche die Haende ueber ihr Haupt zusammenschlug, eben in die Arme sinken, als diese, mit fast allen ihren Klosterfrauen, von einem herabfallenden Giebel des Hauses, auf eine schmaehliche Art erschlagen ward. Josephe bebte bei diesem entsetzlichen Anblicke zurueck; sie drueckte der Aebtissin fluechtig die Augen zu, und floh, ganz von Schrecken erfuellt, den teuern Knaben, den ihr der Himmel wieder geschenkt hatte, dem Verderben zu entreissen. Sie hatte noch wenig Schritte getan, als ihr auch schon die Leiche des Erzbischofs begegnete, die man soeben zerschmettert aus dem Schutt der Kathedrale hervorgezogen hatte. Der Palast des Vizekoenigs war versunken, der Gerichtshof, in welchem ihr das Urteil gesprochen worden war, stand in Flammen, und an die Stelle, wo sich ihr vaeterliches Haus befunden hatte, war ein See getreten, und kochte roetliche Daempfe aus. Josephe raffte alle ihre Kraefte zusammen, sich zu halten. Sie schritt, den Jammer von ihrer Brust entfernend, mutig mit ihrer Beute von Strasse zu Strasse, und war schon dem Tore nah, als sie auch das Gefaengnis, in welchem Jeronimo geseufzt hatte, in Truemmern sah. Bei diesem Anblicke wankte sie, und wollte besinnungslos an einer Ecke niedersinken; doch in demselben Augenblick jagte sie der Sturz eines Gebaeudes hinter ihr, das die Erschuetterungen schon ganz aufgeloest hatten, durch das Entsetzen gestaerkt, wieder auf; sie kuesste das Kind, drueckte sich die Traenen aus den Augen, und erreichte, nicht mehr auf die Greuel, die sie umringten, achtend, das Tor. Als sie sich im Freien sah, schloss sie bald, dass nicht jeder, der ein zertruemmertes Gebaeude bewohnt hatte, unter ihm notwendig muesse zerschmettert worden sein. An dem naechsten Scheidewege stand sie still, und harrte, ob nicht einer, der ihr, nach dem kleinen Philipp, der liebste auf der Welt war, noch erscheinen wuerde. Sie ging, weil niemand kam, und das Gewuehl der Menschen anwuchs, weiter, und kehrte sich wieder um, und harrte wieder; und schlich, viel Traenen vergiessend, in ein dunkles, von Pinien beschattetes Tal, um seiner Seele, die sie entflohen glaubte, nachzubeten; und fand ihn hier, diesen Geliebten, im Tale, und Seligkeit, als ob es das Tal von Eden gewesen waere. Dies alles erzaehlte sie jetzt voll Ruehrung dem Jeronimo, und reichte ihm, da sie vollendet hatte, den Knaben zum Kuessen dar.--Jeronimo nahm ihn, und haetschelte ihn in unsaeglicher Vaterfreude, und verschloss ihm, da er das fremde Antlitz anweinte, mit Liebkosungen ohne Ende den Mund. Indessen war die schoenste Nacht herabgestiegen, voll wundermilden Duftes, so silberglaenzend und still, wie nur ein Dichter davon traeumen mag. Ueberall, laengs der Talquelle, hatten sich, im Schimmer des Mondscheins, Menschen niedergelassen, und bereiteten sich sanfte Lager von Moos und Laub, um von einem so qualvollen Tage auszuruhen. Und weil die Armen immer noch jammerten; dieser, dass er sein Haus, jener, dass er Weib und Kind, und der dritte, dass er alles verloren habe: so schlichen Jeronimo und Josephe in ein dichteres Gebuesch, um durch das heimliche Gejauchz ihrer Seelen niemand zu betrueben. Sie fanden einen prachtvollen Granatapfelbaum, der seine Zweige, voll duftender Fruechte, weit ausbreitete; und die Nachtigall floetete im Wipfel ihr wolluestiges Lied. Hier liess sich Jeronimo am Stamme nieder, und Josephe in seinem, Philipp in Josephens Schoss, sassen sie, von seinem Mantel bedeckt, und ruhten. Der Baumschatten zog, mit seinen verstreuten Lichtern, ueber sie hinweg, und der Mond erblasste schon wieder vor der Morgenroete, ehe sie einschliefen. Denn Unendliches hatten sie zu schwatzen vom Klostergarten und den Gefaengnissen, und was sie um einander gelitten haetten; und waren sehr geruehrt, wenn sie dachten, wie viel Elend ueber die Welt kommen musste, damit sie gluecklich wuerden! Sie beschlossen, sobald die Erderschuetterungen aufgehoert haben wuerden, nach La Conception zu gehen, wo Josephe eine vertraute Freundin hatte, sich mit einem kleinen Vorschuss, den sie von ihr zu erhalten hoffte, von dort nach Spanien einzuschiffen, wo Jeronimos muetterliche Verwandten wohnten, und daselbst ihr glueckliches Leben zu beschliessen. Hierauf, unter vielen Kuessen, schliefen sie ein. Als sie erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und sie bemerkten in ihrer Naehe mehrere Familien, beschaeftigt, sich am Feuer ein kleines Morgenbrot zu bereiten. Jeronimo dachte eben auch, wie er Nahrung fuer die Seinigen herbeischaffen sollte, als ein junger wohlgekleideter Mann, mit einem Kinde auf dem Arm, zu Josephen trat, und sie mit Bescheidenheit fragte: ob sie diesem armen Wurme, dessen Mutter dort unter den Baeumen beschaedigt liege, nicht auf kurze Zeit ihre Brust reichen wolle? Josephe war ein wenig verwirrt, als sie in ihm einen Bekannten erblickte; doch da er, indem er ihre Verwirrung falsch deutete, fortfuhr: es ist nur auf wenige Augenblicke, Donna Josephe, und dieses Kind hat, seit jener Stunde, die uns alle ungluecklich gemacht hat, nichts genossen; so sagte sie: "ich schwieg--aus einem andern Grunde, Don Fernando; in diesen schrecklichen Zeiten weigert sich niemand, von dem, was er besitzen mag, mitzuteilen": und nahm den kleinen Fremdling, indem sie ihr eigenes Kind dem Vater gab, und legte ihn an ihre Brust. Don Fernando war sehr dankbar fuer diese Guete, und fragte: ob sie sich nicht mit ihm zu jener Gesellschaft verfuegen wollten, wo eben jetzt beim Feuer ein kleines Fruehstueck bereitet werde? Josephe antwortete, dass sie dies Anerbieten mit Vergnuegen annehmen wuerde, und folgte ihm, da auch Jeronimo nichts einzuwenden hatte, zu seiner Familie, wo sie auf das innigste und zaertlichste von Don Fernandos beiden Schwaegerinnen, die sie als sehr wuerdige junge Damen kannte, empfangen ward. Donna Elvire, Don Fernandos Gemahlin, welche schwer an den Fuessen verwundet auf der Erde lag, zog Josephen, da sie ihren abgehaermten Knaben an der Brust derselben sah, mit vieler Freundlichkeit zu sich nieder. Auch Don Pedro, sein Schwiegervater, der an der Schulter verwundet war, nickte ihr liebreich mit dem Haupte zu.-In Jeronimos und Josephens Brust regten sich Gedanken von seltsamer Art. Wenn sie sich mit so vieler Vertraulichkeit und Guete behandelt sahen, so wussten sie nicht, was sie von der Vergangenheit denken sollten, vom Richtplatze, von dem Gefaengnisse, und der Glocke; und ob sie bloss davon getraeumt haetten? Es war, als ob die Gemueter, seit dem fuerchterlichen Schlage, der sie durchdroehnt hatte, alle versoehnt waeren. Sie konnten in der Erinnerung gar nicht weiter, als bis auf ihn, zurueckgehen. Nur Donna Elisabeth, welche bei einer Freundin, auf das Schauspiel des gestrigen Morgens, eingeladen worden war, die Einladung aber nicht angenommen hatte, ruhte zuweilen mit traeumerischem Blicke auf Josephen; doch der Bericht, der ueber irgend ein neues graessliches Unglueck erstattet ward, riss ihre, der Gegenwart kaum entflohene Seele schon wieder in dieselbe zurueck. Man erzaehlte, wie die Stadt gleich nach der ersten Haupterschuetterung von Weibern ganz voll gewesen, die vor den Augen aller Maenner niedergekommen seien; wie die Moenche darin, mit dem Kruzifix in der Hand, umhergelaufen waeren, und geschrieen haetten: das Ende der Welt sei da! wie man einer Wache, die auf Befehl des Vizekoenigs verlangte, eine Kirche zu raeumen, geantwortet haette: es gaebe keinen Vizekoenig von Chili mehr! wie der Vizekoenig in den schrecklichsten Augenblicken haette muessen Galgen aufrichten lassen, um der Dieberei Einhalt zu tun; und wie ein Unschuldiger, der sich von hinten durch ein brennendes Haus gerettet, von dem Besitzer aus Uebereilung ergriffen, und sogleich auch aufgeknoepft worden waere. Donna Elvire, bei deren Verletzungen Josephe viel beschaeftigt war, hatte in einem Augenblick, da gerade die Erzaehlungen sich am lebhaftesten kreuzten, Gelegenheit genommen, sie zu fragen: wie es denn ihr an diesem fuerchterlichen Tag ergangen sei? Und da Josephe ihr, mit beklemmtem Herzen, einige Hauptzuege davon angab, so ward ihr die Wollust, Traenen in die Augen dieser Dame treten zu sehen; Donna Elvire ergriff ihre Hand, und drueckte sie, und winkte ihr, zu schweigen. Josephe duenkte sich unter den Seligen. Ein Gefuehl, das sie nicht unterdruecken konnte, nannte den verflossnen Tag, so viel Elend er auch ueber die Welt gebracht hatte, eine Wohltat, wie der Himmel noch keine ueber sie verhaengt hatte. Und in der Tat schien, mitten in diesen graesslichen Augenblicken, in welchen alle irdischen Gueter der Menschen zu Grunde gingen, und die ganze Natur verschuettet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine schoene Blume, aufzugehn. Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen Staenden durcheinander liegen, Fuersten und Bettler, Matronen und Baeuerinnen, Staatsbeamte und Tageloehner, Klosterherren und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig Huelfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglueck alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht haette. Statt der nichtssagenden Unterhaltungen, zu welchen sonst die Welt an den Teetischen den Stoff hergegeben hatte, erzaehlte man jetzt Beispiele von ungeheuern Taten: Menschen, die man sonst in der Gesellschaft wenig geachtet hatte, hatten Roemergroesse gezeigt; Beispiele zu Haufen von Unerschrockenheit, von freudiger Verachtung der Gefahr, von Selbstverleugnung und der goettlichen Aufopferung, von ungesaeumter Wegwerfung des Lebens, als ob es, dem nichtswuerdigsten Gute gleich, auf dem naechsten Schritte schon wiedergefunden wuerde. Ja, da nicht einer war, fuer den nicht an diesem Tage etwas Ruehrendes geschehen waere, oder der nicht selbst etwas Grossmuetiges getan haette, so war der Schmerz in jeder Menschenbrust mit so viel suesser Lust vermischt, dass sich, wie sie meinte, gar nicht angeben liess, ob die Summe des allgemeinen Wohlseins nicht von der einen Seite um ebenso viel gewachsen war, als sie von der anderen abgenommen hatte. Jeronimo nahm Josephen, nachdem sich beide in diesen Betrachtungen stillschweigend erschoepft hatten, beim Arm, und fuehrte sie mit unaussprechlicher Heiterkeit unter den schattigen Lauben des Granatwaldes auf und nieder. Er sagte ihr, dass er, bei dieser Stimmung der Gemueter und dem Umsturz aller Verhaeltnisse, seinen Entschluss, sich nach Europa einzuschiffen, aufgebe; dass er vor dem Vizekoenig, der sich seiner Sache immer guenstig gezeigt, falls er noch am Leben sei, einen Fussfall wagen wuerde; und dass er Hoffnung habe (wobei er ihr einen Kuss aufdrueckte), mit ihr in Chili zurueckzubleiben. Josephe antwortete, dass aehnliche Gedanken in ihr aufgestiegen waeren; dass auch sie nicht mehr, falls ihr Vater nur noch am Leben sei, ihn zu versoehnen zweifle; dass sie aber statt des Fussfalles lieber nach La Conception zu gehen, und von dort aus schriftlich das Versoehnungsgeschaeft mit dem Vizekoenig zu betreiben rate, wo man auf jeden Fall in der Naehe des Hafens waere, und fuer den besten, wenn das Geschaeft die erwuenschte Wendung naehme, ja leicht wieder nach St. Jago zurueckkehren koennte. Nach einer kurzen Ueberlegung gab Jeronimo der Klugheit dieser Massregel seinen Beifall, fuehrte sie noch ein wenig, die heitern Momente der Zukunft ueberfliegend, in den Gaengen umher, und kehrte mit ihr zur Gesellschaft zurueck. Inzwischen war der Nachmittag herangekommen, und die Gemueter der herumschwaermenden Fluechtlinge hatten sich, da die Erdstoesse nachliessen, nur kaum wieder ein wenig beruhigt, als sich schon die Nachricht verbreitete, dass in der Dominikanerkirche, der einzigen, welche das Erdbeben verschont hatte, eine feierliche Messe von dem Praelaten des Klosters selbst gelesen werden wuerde, den Himmel um Verhuetung ferneren Ungluecks anzuflehen. Das Volk brach schon aus allen Gegenden auf, und eilte in Stroemen zur Stadt. In Don Fernandos Gesellschaft ward die Frage aufgeworfen, ob man nicht auch an dieser Feierlichkeit Teil nehmen, und sich dem allgemeinen Zuge anschliessen solle? Donna Elisabeth erinnerte, mit einiger Beklemmung, was fuer ein Unheil gestern in der Kirche vorgefallen sei; dass solche Dankfeste ja wiederholt werden wuerden, und dass man sich der Empfindung alsdann, weil die Gefahr schon mehr vorueber waere, mit desto groesserer Heiterkeit und Ruhe ueberlassen koennte. Josephe aeusserte, indem sie mit einiger Begeisterung sogleich aufstand, dass sie den Drang, ihr Antlitz vor dem Schoepfer in den Staub zu legen, niemals lebhafter empfunden habe, als eben jetzt, wo er seine unbegreifliche und erhabene Macht so entwickle. Donna Elvire erklaerte sich mit Lebhaftigkeit fuer Josephens Meinung. Sie bestand darauf, dass man die Messe hoeren sollte, und rief Don Fernando auf, die Gesellschaft zu fuehren, worauf sich alles, Donna Elisabeth auch, von den Sitzen erhob. Da man jedoch letztere, mit heftig arbeitender Brust, die kleinen Anstalten zum Aufbruche zaudernd betreiben sah, und sie, auf die Frage: was ihr fehle? antwortete: sie wisse nicht, welch eine unglueckliche Ahndung in ihr sei? so beruhigte sie Donna Elvire, und forderte sie auf, bei ihr und ihrem kranken Vater zurueckzubleiben. Josephe sagte: so werden Sie mir wohl, Donna Elisabeth, diesen kleinen Liebling abnehmen, der sich schon wieder, wie Sie sehen, bei mir eingefunden hat. Sehr gern, antwortete Donna Elisabeth, und machte Anstalten ihn zu ergreifen; doch da dieser ueber das Unrecht, das ihm geschah, klaeglich schrie, und auf keine Art darein willigte, so sagte Josephe laechelnd, dass sie ihn nur behalten wolle, und kuesste ihn wieder still. Hierauf bot Don Fernando, dem die ganze Wuerdigkeit und Anmut ihres Betragens sehr gefiel, ihr den Arm; Jeronimo, welcher den kleinen Philipp trug, fuehrte Donna Constanzen; die uebrigen Mitglieder, die sich bei der Gesellschaft eingefunden hatten, folgten; und in dieser Ordnung ging der Zug nach der Stadt. Sie waren kaum funfzig Schritte gegangen, als man Donna Elisabeth welche inzwischen heftig und heimlich mit Donna Elvire gesprochen hatte. Don Fernando! rufen hoerte, und dem Zuge mit unruhigen Tritten nacheilen sah. Don Fernando hielt, und kehrte sich um; harrte ihrer, ohne Josephen loszulassen, und fragte, da sie, gleich als ob sie auf sein Entgegenkommen wartete, in einiger Ferne stehen blieb: was sie wolle? Donna Elisabeth naeherte sich ihm hierauf, obschon, wie es schien, mit Widerwillen, und raunte ihm, doch so, dass Josephe es nicht hoeren konnte, einige Worte ins Ohr. Nun? fragte Don Fernando: und das Unglueck, das daraus entstehen kann? Donna Elisabeth fuhr fort, ihm mit verstoertem Gesicht ins Ohr zu zischeln. Don Fernando stieg eine Roete des Unwillens ins Gesicht; er antwortete: es waere gut! Donna Elvire moechte sich beruhigen; und fuehrte seine Dame weiter. -Als sie in der Kirche der Dominikaner ankamen, liess sich die Orgel schon mit musikalischer Pracht hoeren, und eine unermessliche Menschenmenge wogte darin. Das Gedraenge erstreckte sich bis weit vor den Portalen auf den Vorplatz der Kirche hinaus, und an den Waenden hoch, in den Rahmen der Gemaelde, hingen Knaben, und hielten mit erwartungsvollen Blicken ihre Muetzen in der Hand. Von allen Kronleuchtern strahlte es herab, die Pfeiler warfen, bei der einbrechenden Daemmerung, geheimnisvolle Schatten, die grosse von gefaerbtem Glas gearbeitete Rose in der Kirche aeusserstem Hintergrunde gluehte, wie die Abendsonne selbst, die sie erleuchtete, und Stille herrschte, da die Orgel jetzt schwieg, in der ganzen Versammlung, als haette keiner einen Laut in der Brust. Niemals schlug aus einem christlichen Dom eine solche Flamme der Inbrunst gen Himmel, wie heute aus dem Dominikanerdom zu St. Jago; und keine menschliche Brust gab waermere Glut dazu her, als Jeronimos und Josephens! Die Feierlichkeit fing mit einer Predigt an, die der aeltesten Chorherren einer, mit dem Festschmuck angetan, von der Kanzel hielt. Er begann gleich mit Lob, Preis und Dank, seine zitternden, vom Chorhemde weit umflossenen Haende hoch gen Himmel erhebend, dass noch Menschen seien, auf diesem, in Truemmer zerfallenden Teile der Welt, faehig, zu Gott empor zu stammeln. Er schilderte, was auf den Wink des Allmaechtigen geschehen war; das Weltgericht kann nicht entsetzlicher sein; und als er das gestrige Erdbeben gleichwohl, auf einen Riss, den der Dom erhalten hatte, hinzeigend, einen blossen Vorboten davon nannte, lief ein Schauder ueber die ganze Versammlung. Hierauf kam er, im Flusse priesterlicher Beredsamkeit, auf das Sittenverderbnis der Stadt; Greuel, wie Sodom und Gomorrha sie nicht sahen, straft' er an ihr; und nur der unendlichen Langmut Gottes schrieb er es zu, dass sie noch nicht gaenzlich vom Erdboden vertilgt worden sei. Aber wie dem Dolche gleich fuhr es durch die von dieser Predigt schon ganz zerrissenen Herzen unserer beiden Ungluecklichen, als der Chorherr bei dieser Gelegenheit umstaendlich des Frevels erwaehnte, der in dem Klostergarten der Karmeliterinnen veruebt worden war; die Schonung, die er bei der Welt gefunden hatte, gottlos nannte, und in einer von Verwuenschungen erfuellten Seitenwendung, die Seelen der Taeter, woertlich genannt, allen Fuersten der Hoelle uebergab! Donna Constanze rief, indem sie an Jeronimos Armen zuckte: Don Fernando! Doch dieser antwortete so nachdruecklich und doch so heimlich, wie sich beides verbinden liess: "Sie schweigen, Donna, Sie ruehren auch den Augapfel nicht, und tun, als ob Sie in eine Ohnmacht versunken; worauf wir die Kirche verlassen." Doch, ehe Donna Constanze diese sinnreiche zur Rettung erfundene Massregel noch ausgefuehrt hatte, rief schon eine Stimme, des Chorherrn Predigt laut unterbrechend, aus: Weichet fern hinweg, ihr Buerger von St. Jago, hier stehen diese gottlosen Menschen! Und als eine andere Stimme schreckenvoll, indessen sich ein weiter Kreis des Entsetzens um sie bildete, fragte: wo? hier! versetzte ein Dritter, und zog, heiliger Ruchlosigkeit voll, Josephen bei den Haaren nieder, dass sie mit Don Fernandos Sohne zu Boden getaumelt waere, wenn dieser sie nicht gehalten haette. "Seid ihr wahnsinnig?" rief der Juengling, und schlug den Arm um Josephen: "ich bin Don Fernando Ormez, Sohn des Kommandanten der Stadt, den ihr alle kennt." Don Fernando Ormez? rief, dicht vor ihn hingestellt, ein Schuhflicker, der fuer Josephen gearbeitet hatte, und diese wenigstens so genau kannte, als ihre kleinen Fuesse. Wer ist der Vater zu diesem Kinde? wandte er sich mit frechem Trotz zur Tochter Asterons. Don Fernando erblasste bei dieser Frage. Er sah bald den Jeronimo schuechtern an, bald ueberflog er die Versammlung, ob nicht einer sei, der ihn kenne? Josephe rief, von entsetzlichen Verhaeltnissen gedraengt: dies ist nicht mein Kind, Meister Pedrillo, wie Er glaubt; indem sie, in unendlicher Angst der Seele, auf Don Fernando blickte: dieser junge Herr ist Don Fernando Ormez, Sohn des Kommandanten der Stadt, den ihr alle kennt! Der Schuster fragte: wer von euch, ihr Buerger, kennt diesen jungen Mann? Und mehrere der Umstehenden wiederholten: wer kennt den Jeronimo Rugera? Der trete vor! Nun traf es sich, dass in demselben Augenblicke der kleine Juan, durch den Tumult erschreckt, von Josephens Brust weg Don Fernando in die Arme strebte. Hierauf: Er ist der Vater! schrie eine Stimme; und: er ist Jeronimo Rugera! eine andere; und: sie sind die gotteslaesterlichen Menschen! eine dritte; und: steinigt sie! steinigt sie! die ganze im Tempel Jesu versammelte Christenheit! Drauf jetzt Jeronimo: Halt! Ihr Unmenschlichen! Wenn ihr den Jeronimo Rugera sucht: hier ist er! Befreit jenen Mann, welcher unschuldig ist!-Der wuetende Haufen, durch die Aeusserung Jeronimos verwirrt, stutzte; mehrere Haende liessen Don Fernando los; und da in demselben Augenblick ein Marine-Offizier von bedeutendem Rang herbeieilte, und, indem er sich durch den Tumult draengte, fragte: Don Fernando Ormez! Was ist Euch widerfahren? so antwortete dieser, nun voellig befreit, mit wahrer heldenmuetiger Besonnenheit: "Ja, sehen Sie, Don Alonzo, die Mordknechte! Ich waere verloren gewesen, wenn dieser wuerdige Mann sich nicht, die rasende Menge zu beruhigen, fuer Jeronimo Rugera ausgegeben haette. Verhaften Sie ihn, wenn Sie die Guete haben wollen, nebst dieser jungen Dame, zu ihrer beiderseitigen Sicherheit; und diesen Nichtswuerdigen", indem er Meister Pedrillo ergriff, "der den ganzen Aufruhr angezettelt hat!" Der Schuster rief: Don Alonzo Onoreja, ich frage Euch auf Euer Gewissen, ist dieses Maedchen nicht Josephe Asteron? Da nun Don Alonzo, welcher Josephen sehr genau kannte, mit der Antwort zauderte, und mehrere Stimmen, dadurch von neuem zur Wut entflammt, riefen: sie ists, sie ists! und: bringt sie zu Tode! so setzte Josephe den kleinen Philipp, den Jeronimo bisher getragen hatte, samt dem kleinen Juan, auf Don Fernandos Arm, und sprach: gehn Sie, Don Fernando, retten Sie Ihre beiden Kinder, und ueberlassen Sie uns unserm Schicksale! Don Fernando nahm die beiden Kinder und sagte: er wolle eher umkommen, als zugeben, dass seiner Gesellschaft etwas zu Leide geschehe. Er bot Josephen, nachdem er sich den Degen des Marine-Offiziers ausgebeten hatte, den Arm, und forderte das hintere Paar auf, ihm zu folgen. Sie kamen auch wirklich, indem man ihnen, bei solchen Anstalten, mit hinlaenglicher Ehrerbietigkeit Platz machte, aus der Kirche heraus, und glaubten sich gerettet. Doch kaum waren sie auf den von Menschen gleichfalls erfuellten Vorplatz derselben getreten, als eine Stimme aus dem rasenden Haufen, der sie verfolgt hatte, rief: dies ist Jeronimo Rugera, ihr Buerger, denn ich bin sein eigner Vater! und ihn an Donna Constanzens Seite mit einem ungeheuren Keulenschlage zu Boden streckte. Jesus Maria! rief Donna Constanze, und floh zu ihrem Schwager; doch: Klostermetze! erscholl es schon, mit einem zweiten Keulenschlage, von einer andern Seite, der sie leblos neben Jeronimo niederwarf. Ungeheuer! rief ein Unbekannter: dies war Donna Constanze Xares! Warum belogen sie uns! antwortete der Schuster; sucht die rechte auf, und bringt sie um! Don Fernando, als er Constanzens Leichnam erblickte, gluehte vor Zorn; er zog und schwang das Schwert, und hieb, dass er ihn gespalten haette, den fanatischen Mordknecht, der diese Greuel veranlasste, wenn derselbe nicht, durch eine Wendung, dem wuetenden Schlag entwichen waere. Doch da er die Menge, die auf ihn eindrang, nicht ueberwaeltigen konnte: leben Sie wohl, Don Fernando mit den Kindern! rief Josephe--und: hier mordet mich, ihr blutduerstenden Tiger! und stuerzte sich freiwillig unter sie, um dem Kampf ein Ende zu machen. Meister Pedrillo schlug sie mit der Keule nieder. Darauf ganz mit ihrem Blute bespruetzt: schickt ihr den Bastard zur Hoelle nach! rief er, und drang, mit noch ungesaettigter Mordlust, von neuem vor. Don Fernando, dieser goettliche Held, stand jetzt, den Ruecken an die Kirche gelehnt; in der Linken hielt er die Kinder, in der Rechten das Schwert. Mit jedem Hiebe wetterstrahlte er einen zu Boden; ein Loewe wehrt sich nicht besser. Sieben Bluthunde lagen tot vor ihm, der Fuerst der satanischen Rotte selbst war verwundet. Doch Meister Pedrillo ruhte nicht eher, als bis er der Kinder eines bei den Beinen von seiner Brust gerissen, und, hochher im Kreise geschwungen, an eines Kirchpfeilers Ecke zerschmettert hatte. Hierauf ward es still, und alles entfernte sich. Don Fernando, als er seinen kleinen Juan vor sich liegen sah, mit aus dem Hirne vorquellenden Mark, hob, voll namenlosen Schmerzes, seine Augen gen Himmel. Der Marine-Offizier fand sich wieder bei ihm ein, suchte ihn zu troesten, und versicherte ihn, dass seine Untaetigkeit bei diesem Unglueck, obschon durch mehrere Umstaende gerechtfertigt, ihn reue; doch Don Fernando sagte, dass ihm nichts vorzuwerfen sei, und bat ihn nur, die Leichname jetzt fortschaffen zu helfen. Man trug sie alle, bei der Finsternis der einbrechenden Nacht, in Don Alonzos Wohnung, wohin Don Fernando ihnen, viel ueber das Antlitz des kleinen Philipp weinend, folgte. Er uebernachtete auch bei Don Alonzo, und saeumte lange, unter falschen Vorspiegelungen, seine Gemahlin von dem ganzen Umfang des Ungluecks zu unterrichten; einmal, weil sie krank war, und dann, weil er auch nicht wusste, wie sie sein Verhalten bei dieser Begebenheit beurteilen wuerde; doch kurze Zeit nachher, durch einen Besuch zufaellig von allem, was geschehen war, benachrichtigt, weinte diese treffliche Dame im Stillen ihren muetterlichen Schmerz aus, und fiel ihm mit dem Rest einer erglaenzenden Traene eines Morgens um den Hals und kuesste ihn. Don Fernando und Donna Elvire nahmen hierauf den kleinen Fremdling zum Pflegesohn an; und wenn Don Fernando Philippen mit Juan verglich, und wie er beide erworben hatte, so war es ihm fast, als muesst er sich freuen. Der Findling Antonio Piachi, ein wohlhabender Gueterhaendler in Rom, war genoetigt, in seinen Handelsgeschaeften zuweilen grosse Reisen zu machen. Er pflegte dann gewoehnlich Elvire, seine junge Frau, unter dem Schutz ihrer Verwandten, daselbst zurueckzulassen. Eine dieser Reisen fuehrte ihn mit seinem Sohn Paolo, einem eilfjaehrigen Knaben, den ihm seine erste Frau geboren hatte, nach Ragusa. Es traf sich, dass hier eben eine pestartige Krankheit ausgebrochen war, welche die Stadt und Gegend umher in grosses Schrecken setzte. Piachi, dem die Nachricht davon erst auf der Reise zu Ohren gekommen war, hielt in der Vorstadt an, um sich nach der Natur derselben zu erkundigen. Doch da er hoerte, dass das Uebel von Tage zu Tage bedenklicher werde, und dass man damit umgehe, die Tore zu sperren; so ueberwand die Sorge fuer seinen Sohn alle kaufmaennischen Interessen: er nahm Pferde und reisete wieder ab. Er bemerkte, da er im Freien war, einen Knaben neben seinem Wagen, der, nach Art der Flehenden, die Haende zu ihm ausstreckte und in grosser Gemuetsbewegung zu sein schien. Piachi liess halten; und auf die Frage: was er wolle? antwortete der Knabe in seiner Unschuld: er sei angesteckt; die Haescher verfolgten ihn, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, wo sein Vater und seine Mutter schon gestorben waeren; er bitte um aller Heiligen willen, ihn mitzunehmen, und nicht in der Stadt umkommen zu lassen. Dabei fasste er des Alten Hand, drueckte und kuesste sie und weinte darauf nieder. Piachi wollte in der ersten Regung des Entsetzens, den Jungen weit von sich schleudern; doch da dieser, in eben diesem Augenblick, seine Farbe veraenderte und ohnmaechtig auf den Boden niedersank, so regte sich des guten Alten Mitleid: er stieg mit seinem Sohn aus, legte den Jungen in den Wagen, und fuhr mit ihm fort, obschon er auf der Welt nicht wusste, was er mit demselben anfangen sollte. Er unterhandelte noch, in der ersten Station, mit den Wirtsleuten, ueber die Art und Weise, wie er seiner wieder los werden koenne: als er schon auf Befehl der Polizei, welche davon Wind bekommen hatte, arretiert und unter einer Bedeckung, er, sein Sohn und Nicolo, so hiess der kranke Knabe, wieder nach Ragusa zurueck transportiert ward. Alle Vorstellungen von Seiten Piachis, ueber die Grausamkeit dieser Massregel, halfen zu nichts; in Ragusa angekommen, wurden nunmehr alle drei, unter Aufsicht eines Haeschers, nach dem Krankenhause abgefuehrt, wo er zwar, Piachi, gesund blieb, und Nicolo, der Knabe, sich von dem Uebel wieder erholte: sein Sohn aber, der eilfjaehrige Paolo, von demselben angesteckt ward, und in drei Tagen starb. Die Tore wurden nun wieder geoeffnet und Piachi, nachdem er seinen Sohn begraben hatte, erhielt von der Polizei Erlaubnis, zu reisen. Er bestieg eben, sehr von Schmerz bewegt, den Wagen und nahm, bei dem Anblick des Platzes, der neben ihm leer blieb, sein Schnupftuch heraus, um seine Traenen fliessen zu lassen: als Nicolo, mit der Muetze in der Hand, an seinen Wagen trat und ihm eine glueckliche Reise wuenschte. Piachi beugte sich aus dem Schlage heraus und fragte ihn, mit einer von heftigem Schluchzen unterbrochenen Stimme: ob er mit ihm reisen wollte? Der Junge, sobald er den Alten nur verstanden hatte, nickte und sprach: o ja! sehr gern; und da die Vorsteher des Krankenhauses, auf die Frage des Gueterhaendlers: ob es dem Jungen wohl erlaubt waere, einzusteigen? laechelten und versicherten: dass er Gottes Sohn waere und niemand ihn vermissen wuerde; so hob ihn Piachi, in einer grossen Bewegung, in den Wagen, und nahm ihn, an seines Sohnes Statt, mit sich nach Rom. Auf der Strasse, vor den Toren der Stadt, sah sich der Landmaekler den Jungen erst recht an. Er war von einer besonderen, etwas starren Schoenheit, seine schwarzen Haare hingen ihm, in schlichten Spitzen, von der Stirn herab, ein Gesicht beschattend, das, ernst und klug, seine Mienen niemals veraenderte. Der Alte tat mehrere Fragen an ihn, worauf jener aber nur kurz antwortete: ungespraechig und in sich gekehrt sass er, die Haende in die Hosen gesteckt, im Winkel da, und sah sich, mit gedankenvoll scheuen Blicken, die Gegenstaende an, die an dem Wagen vorueberflogen. Von Zeit zu Zeit holte er sich, mit stillen und geraeuschlosen Bewegungen, eine Handvoll Nuesse aus der Tasche, die er bei sich trug, und waehrend Piachi sich die Traenen vom Auge wischte, nahm er sie zwischen die Zaehne und knackte sie auf. In Rom stellte ihn Piachi, unter einer kurzen Erzaehlung des Vorfalls, Elviren, seiner jungen trefflichen Gemahlin vor, welche sich zwar nicht enthalten konnte, bei dem Gedanken an Paolo, ihren kleinen Stiefsohn, den sie sehr geliebt hatte, herzlich zu weinen; gleichwohl aber den Nicolo, so fremd und steif er auch vor ihr stand, an ihre Brust drueckte, ihm das Bette, worin jener geschlafen hatte, zum Lager anwies, und saemtliche Kleider desselben zum Geschenk machte. Piachi schickte ihn in die Schule, wo er Schreiben, Lesen und Rechnen lernte, und da er, auf eine leicht begreifliche Weise, den Jungen in dem Masse lieb gewonnen, als er ihm teuer zu stehen gekommen war, so adoptierte er ihn, mit Einwilligung der guten Elvire, welche von dem Alten keine Kinder mehr zu erhalten hoffen konnte, schon nach wenigen Wochen, als seinen Sohn. Er dankte spaeterhin einen Kommis ab, mit dem er, aus mancherlei Gruenden, unzufrieden war, und hatte, da er den Nicolo, statt seiner, in dem Kontor anstellte, die Freude zu sehn, dass derselbe die weitlaeuftigen Geschaefte, in welchen er verwickelt war, auf das taetigste und vorteilhafteste verwaltete. Nichts hatte der Vater, der ein geschworner Feind aller Bigotterie war, an ihm auszusetzen, als den Umgang mit den Moenchen des Karmeliterklosters, die dem jungen Mann, wegen des betraechtlichen Vermoegens das ihm einst, aus der Hinterlassenschaft des Alten, zufallen sollte, mit grosser Gunst zugetan waren; und nichts ihrerseits die Mutter, als einen frueh, wie es ihr schien, in der Brust desselben sich regenden Hang fuer das weibliche Geschlecht. Denn schon in seinem funfzehnten Jahre, war er, bei Gelegenheit dieser Moenchsbesuche, die Beute der Verfuehrung einer gewissen Xaviera Tartini, Beischlaeferin ihres Bischofs, geworden, und ob er gleich, durch die strenge Forderung des Alten genoetigt, diese Verbindung zerriss, so hatte Elvire doch mancherlei Gruende zu glauben, dass seine Enthaltsamkeit auf diesem gefaehrlichen Felde nicht eben gross war. Doch da Nicolo sich, in seinem zwanzigsten Jahre, mit Constanza Parquet, einer jungen liebenswuerdigen Genueserin, Elvirens Nichte, die unter ihrer Aufsicht in Rom erzogen wurde, vermaehlte, so schien wenigstens das letzte Uebel damit an der Quelle verstopft; beide Eltern vereinigten sich in der Zufriedenheit mit ihm, und um ihm davon einen Beweis zu geben, ward ihm eine glaenzende Ausstattung zuteil, wobei sie ihm einen betraechtlichen Teil ihres schoenen und weitlaeuftigen Wohnhauses einraeumten. Kurz, als Piachi sein sechzigstes Jahr erreicht hatte, tat er das Letzte und Aeusserste, was er fuer ihn tun konnte: er ueberliess ihm, auf gerichtliche Weise, mit Ausnahme eines kleinen Kapitals, das er sich vorbehielt, das ganze Vermoegen, das seinem Gueterhandel zum Grunde lag, und zog sich, mit seiner treuen, trefflichen Elvire, die wenige Wuensche in der Welt hatte, in den Ruhestand zurueck. Elvire hatte einen stillen Zug von Traurigkeit im Gemuet, der ihr aus einem ruehrenden Vorfall, aus der Geschichte ihrer Kindheit, zurueckgeblieben war. Philippo Parquet, ihr Vater, ein bemittelter Tuchfaerber in Genua, bewohnte ein Haus, das, wie es sein Handwerk erforderte, mit der hinteren Seite hart an den, mit Quadersteinen eingefassten, Rand des Meeres stiess; grosse, am Giebel eingefugte Balken, an welchen die gefaerbten Tuecher aufgehaengt wurden, liefen, mehrere Ellen weit, ueber die See hinaus. Einst, in einer ungluecklichen Nacht, da Feuer das Haus ergriff, und gleich, als ob es von Pech und Schwefel erbaut waere, zu gleicher Zeit in allen Gemaechern, aus welchen es zusammengesetzt war, emporknitterte, fluechtete sich, ueberall von Flammen geschreckt, die dreizehnjaehrige Elvire von Treppe zu Treppe, und befand sich, sie wusste selbst nicht wie, auf einem dieser Balken. Das arme Kind wusste, zwischen Himmel und Erde schwebend, gar nicht, wie es sich retten sollte; hinter ihr der brennende Giebel, dessen Glut, vom Winde gepeitscht, schon den Balken angefressen hatte, und unter ihr die weite, oede, entsetzliche See. Schon wollte sie sich allen Heiligen empfehlen und unter zwei Uebeln das kleinere waehlend, in die Fluten hinabspringen; als ploetzlich ein junger Genueser, vom Geschlecht der Patrizier, am Eingang erschien, seinen Mantel ueber den Balken warf, sie umfasste, und sich, mit eben so viel Mut als Gewandtheit, an einem der feuchten Tuecher, die von dem Balken niederhingen, in die See mit ihr herabliess. Hier griffen Gondeln, die auf dem Hafen schwammen, sie auf, und brachten sie, unter vielem Jauchzen des Volks, ans Ufer; doch es fand sich, dass der junge Held, schon beim Durchgang durch das Haus, durch einen vom Gesims desselben herabfallenden Stein, eine schwere Wunde am Kopf empfangen hatte, die ihn auch bald, seiner Sinne nicht maechtig, am Boden niederstreckte. Der Marquis, sein Vater, in dessen Hotel er gebracht ward, rief, da seine Wiederherstellung sich in die Laenge zog, Aerzte aus allen Gegenden Italiens herbei, die ihn zu verschiedenen Malen trepanierten und ihm mehrere Knochen aus dem Gehirn nahmen; doch alle Kunst war, durch eine unbegreifliche Schickung des Himmels, vergeblich: er erstand nur selten an der Hand Elvirens, die seine Mutter zu seiner Pflege herbeigerufen hatte, und nach einem dreijaehrigen hoechst schmerzenvollen Krankenlager, waehrend dessen das Maedchen nicht von seiner Seite wich, reichte er ihr noch einmal freundlich die Hand und verschied. Piachi, der mit dem Hause dieses Herrn in Handelsverbindungen stand, und Elviren eben dort, da sie ihn pflegte, kennen gelernt und zwei Jahre darauf geheiratet hatte, huetete sich sehr, seinen Namen vor ihr zu nennen, oder sie sonst an ihn zu erinnern, weil er wusste, dass es ihr schoenes und empfindliches Gemuet auf das heftigste bewegte. Die mindeste Veranlassung, die sie auch nur von fern an die Zeit erinnerte, da der Juengling fuer sie litt und starb, ruehrte sie immer bis zu Traenen, und alsdann gab es keinen Trost und keine Beruhigung fuer sie; sie brach, wo sie auch sein mochte, auf, und keiner folgte ihr, weil man schon erprobt hatte, dass jedes andere Mittel vergeblich war, als sie still fuer sich, in der Einsamkeit, ihren Schmerz ausweinen zu lassen. Niemand, ausser Piachi, kannte die Ursache dieser sonderbaren und haeufigen Erschuetterungen, denn niemals, so lange sie lebte, war ein Wort, jene Begebenheit betreffend, ueber ihre Lippen gekommen. Man war gewohnt, sie auf Rechnung eines ueberreizten Nervensystems zu setzen, das ihr aus einem hitzigen Fieber, in welches sie gleich nach ihrer Verheiratung verfiel, zurueckgeblieben war, und somit allen Nachforschungen ueber die Veranlassung derselben ein Ende zu machen. Einstmals war Nicolo, mit jener Xaviera Tartini, mit welcher er, trotz des Verbots des Vaters, die Verbindung nie ganz aufgegeben hatte, heimlich, und ohne Vorwissen seiner Gemahlin, unter der Vorspiegelung, dass er bei einem Freund eingeladen sei, auf dem Karneval gewesen und kam, in der Maske eines genuesischen Ritters, die er zufaellig gewaehlt hatte, spaet in der Nacht, da schon alles schlief, in sein Haus zurueck. Es traf sich, dass dem Alten ploetzlich eine Unpaesslichkeit zugestossen war, und Elvire, um ihm zu helfen, in Ermangelung der Maegde, aufgestanden, und in den Speisesaal gegangen war, um ihm eine Flasche mit Essig zu holen. Eben hatte sie einen Schrank, der in dem Winkel stand, geoeffnet, und suchte, auf der Kante eines Stuhles stehend, unter den Glaesern und Caravinen umher: als Nicolo die Tuer sacht oeffnete, und mit einem Licht, das er sich auf dem Flur angesteckt hatte, mit Federhut, Mantel und Degen, durch den Saal ging. Harmlos, ohne Elviren zu sehen, trat er an die Tuer, die in sein Schlafgemach fuehrte, und bemerkte eben mit Bestuerzung, dass sie verschlossen war: als Elvire hinter ihm, mit Flaschen und Glaesern, die sie in der Hand hielt, wie durch einen unsichtbaren Blitz getroffen, bei seinem Anblick von dem Schemel, auf welchem sie stand, auf das Getaefel des Bodens niederfiel. Nicolo, von Schrecken bleich, wandte sich um und wollte der Ungluecklichen beispringen; doch da das Geraeusch, das sie gemacht hatte, notwendig den Alten herbeiziehen musste, so unterdrueckte die Besorgnis, einen Verweis von ihm zu erhalten, alle andere Ruecksichten: er riss ihr, mit verstoerter Beeiferung, ein Bund Schluessel von der Huefte, das sie bei sich trug, und einen gefunden, der passte, warf er den Bund in den Saal zurueck und verschwand. Bald darauf, da Piachi, krank wie er war, aus dem Bette gesprungen war, und sie aufgehoben hatte, und auch Bediente und Maegde, von ihm zusammengeklingelt, mit Licht erschienen waren, kam auch Nicolo in seinem Schlafrock, und fragte, was vorgefallen sei; doch da Elvire, starr vor Entsetzen, wie ihre Zunge war, nicht sprechen konnte, und ausser ihr nur er selbst noch Auskunft auf diese Frage geben konnte, so blieb der Zusammenhang der Sache in ein ewiges Geheimnis gehuellt; man trug Elviren, die an allen Gliedern zitterte, zu Bett, wo sie mehrere Tage lang an einem heftigen Fieber darniederlag, gleichwohl aber durch die natuerliche Kraft ihrer Gesundheit den Zufall ueberwand, und bis auf eine sonderbare Schwermut, die ihr zurueckblieb, sich ziemlich wieder erholte. So verfloss ein Jahr, als Constanze, Nicolos Gemahlin, niederkam, und samt dem Kinde, das sie geboren hatte, in den Wochen starb. Dieser Vorfall, bedauernswuerdig an sich, weil ein tugendhaftes und wohlerzogenes Wesen verloren ging, war es doppelt, weil er den beiden Leidenschaften Nicolos, seiner Bigotterie und seinem Hange zu den Weibern, wieder Tor und Tuer oeffnete. Ganze Tage lang trieb er sich wieder, unter dem Vorwand, sich zu troesten, in den Zellen der Karmelitermoenche umher, und gleichwohl wusste man, dass er waehrend der Lebzeiten seiner Frau, nur mit geringer Liebe und Treue an ihr gehangen hatte. Ja, Constanze war noch nicht unter der Erde, als Elvire schon zur Abendzeit, in Geschaeften des bevorstehenden Begraebnisses in sein Zimmer tretend, ein Maedchen bei ihm fand, das, geschuerzt und geschminkt, ihr als die Zofe der Xaviera Tartini nur zu wohl bekannt war. Elvire schlug bei diesem Anblick die Augen nieder, kehrte sich, ohne ein Wort zu sagen, um, und verliess das Zimmer; weder Piachi, noch sonst jemand, erfuhr ein Wort von diesem Vorfall, sie begnuegte sich, mit betruebtem Herzen bei der Leiche Constanzens, die den Nicolo sehr geliebt hatte, niederzuknieen und zu weinen. Zufaellig aber traf es sich, dass Piachi, der in der Stadt gewesen war, beim Eintritt in sein Haus dem Maedchen begegnete, und da er wohl merkte, was sie hier zu schaffen gehabt hatte, sie heftig anging und ihr halb mit List, halb mit Gewalt, den Brief, den sie bei sich trug, abgewann. Er ging auf sein Zimmer, um ihn zu lesen, und fand, was er vorausgesehen hatte, eine dringende Bitte Nicolos an Xaviera, ihm, behufs einer Zusammenkunft, nach der er sich sehne, gefaelligst Ort und Stunde zu bestimmen. Piachi setzte sich nieder und antwortete, mit verstellter Schrift, im Namen Xavieras: "gleich, noch vor Nacht, in der Magdalenenkirche."--siegelte diesen Zettel mit einem fremden Wappen zu, und liess ihn, gleich als ob er von der Dame kaeme, in Nicolos Zimmer abgeben. Die List glueckte vollkommen; Nicolo nahm augenblicklich seinen Mantel, und begab sich in Vergessenheit Constanzens, die im Sarg ausgestellt war, aus dem Hause. Hierauf bestellte Piachi, tief entwuerdigt, das feierliche, fuer den kommenden Tag festgesetzte Leichenbegraebnis ab, liess die Leiche, so wie sie ausgesetzt war, von einigen Traegern aufheben, und bloss von Elviren, ihm und einigen Verwandten begleitet, ganz in der Stille in dem Gewoelbe der Magdalenenkirche, das fuer sie bereitet war, beisetzen. Nicolo, der in dem Mantel gehuellt, unter den Hallen der Kirche stand, und zu seinem Erstaunen einen ihm wohlbekannten Leichenzug herannahen sah, fragte den Alten, der dem Sarge folgte: was dies bedeute? und wen man herantruege? Doch dieser, das Gebetbuch in der Hand, ohne das Haupt zu erheben, antwortete bloss: Xaviera Tartini:--worauf die Leiche, als ob Nicolo gar nicht gegenwaertig waere, noch einmal entdeckelt, durch die Anwesenden gesegnet, und alsdann versenkt und in dem Gewoelbe verschlossen ward. Dieser Vorfall, der ihn tief beschaemte, erweckte in der Brust des Ungluecklichen einen brennenden Hass gegen Elviren; denn ihr glaubte er den Schimpf, den ihm der Alte vor allem Volk angetan hatte, zu verdanken zu haben. Mehrere Tage lang sprach Piachi kein Wort mit ihm; und da er gleichwohl, wegen der Hinterlassenschaft Constanzens, seiner Geneigtheit und Gefaelligkeit bedurfte: so sah er sich genoetigt, an einem Abend des Alten Hand zu ergreifen und ihm mit der Miene der Reue, unverzueglich und auf immerdar, die Verabschiedung der Xaviera anzugeloben. Aber dies Versprechen war er wenig gesonnen zu halten; vielmehr schaerfte der Widerstand, den man ihm entgegen setzte, nur seinen Trotz, und uebte ihn in der Kunst, die Aufmerksamkeit des redlichen Alten zu umgehen. Zugleich war ihm Elvire niemals schoener vorgekommen, als in dem Augenblick, da sie, zu seiner Vernichtung, das Zimmer, in welchem sich das Maedchen befand, oeffnete und wieder schloss. Der Unwille, der sich mit sanfter Glut auf ihren Wangen entzuendete, goss einen unendlichen Reiz ueber ihr mildes, von Affekten nur selten bewegtes Antlitz; es schien ihm unglaublich, dass sie, bei soviel Lockungen dazu, nicht selbst zuweilen auf dem Wege wandeln sollte, dessen Blumen zu brechen er eben so schmaehlich von ihr gestraft worden war. Er gluehte vor Begierde, ihr, falls dies der Fall sein sollte, bei dem Alten denselben Dienst zu erweisen, als sie ihm, und bedurfte und suchte nichts, als die Gelegenheit, diesen Vorsatz ins Werk zu richten. Einst ging er, zu einer Zeit, da gerade Piachi ausser dem Hause war, an Elvirens Zimmer vorbei, und hoerte, zu seinem Befremden, dass man darin sprach. Von raschen, heimtueckischen Hoffnungen durchzuckt, beugte er sich mit Augen und Ohren gegen das Schloss nieder, und--Himmel! was erblickte er? Da lag sie, in der Stellung der Verzueckung, zu jemandes Fuessen, und ob er gleich die Person nicht erkennen konnte, so vernahm er doch ganz deutlich, recht mit dem Akzent der Liebe ausgesprochen, das gefluesterte Wort: Colino. Er legte sich mit klopfendem Herzen in das Fenster des Korridors, von wo aus er, ohne seine Absicht zu verraten, den Eingang des Zimmers beobachten konnte; und schon glaubte er, bei einem Geraeusch, das sich ganz leise am Riegel erhob, den unschaetzbaren Augenblick, da er die Scheinheilige entlarven koenne, gekommen: als, statt des Unbekannten den er erwartete, Elvire selbst, ohne irgend eine Begleitung, mit einem ganz gleichgueltigen und ruhigen Blick, den sie aus der Ferne auf ihn warf, aus dem Zimmer hervortrat. Sie hatte ein Stueck selbstgewebter Leinwand unter dem Arm; und nachdem sie das Gemach, mit einem Schluessel, den sie sich von der Huefte nahm, verschlossen hatte, stieg sie ganz ruhig, die Hand ans Gelaender gelehnt, die Treppe hinab. Diese Verstellung, diese scheinbare Gleichgueltigkeit, schien ihm der Gipfel der Frechheit und Arglist, und kaum war sie ihm aus dem Gesicht, als er schon lief, einen Hauptschluessel herbeizuholen, und nachdem er die Umringung, mit scheuen Blicken, ein wenig geprueft hatte, heimlich die Tuer des Gemachs oeffnete. Aber wie erstaunte er, als er alles leer fand, und in allen vier Winkeln, die er durchspaehte, nichts, das einem Menschen auch nur aehnlich war, entdeckte: ausser dem Bild eines jungen Ritters in Lebensgroesse, das in einer Nische der Wand, hinter einem rotseidenen Vorhang, von einem besondern Lichte bestrahlt, aufgestellt war. Nicolo erschrak, er wusste selbst nicht warum: und eine Menge Gedanken fuhren ihm, den grossen Augen des Bildes, das ihn starr ansah, gegenueber, durch die Brust: doch ehe er sie noch gesammelt und geordnet hatte, ergriff ihn schon Furcht, von Elviren entdeckt und gestraft zu werden; er schloss, in nicht geringer Verwirrung, die Tuer wieder zu, und entfernte sich. Je mehr er ueber diesen sonderbaren Vorfall nachdachte, je wichtiger ward ihm das Bild, das er entdeckt hatte, und je peinlicher und brennender war die Neugierde in ihm, zu wissen, wer damit gemeint sei. Denn er hatte sie, im ganzen Umriss ihrer Stellung auf Knieen liegen gesehen, und es war nur zu gewiss, dass derjenige, vor dem dies geschehen war, die Gestalt des jungen Ritters auf der Leinwand war. In der Unruhe des Gemuets, die sich seiner bemeisterte, ging er zu Xaviera Tartini, und erzaehlte ihr die wunderbare Begebenheit, die er erlebt hatte. Diese, die in dem Interesse, Elviren zu stuerzen, mit ihm zusammentraf, indem alle Schwierigkeiten, die sie in ihrem Umgang fanden, von ihr herruehrten, aeusserte den Wunsch, das Bild, das in dem Zimmer derselben aufgestellt war, einmal zu sehen. Denn einer ausgebreiteten Bekanntschaft unter den Edelleuten Italiens konnte sie sich ruehmen, und falls derjenige, der hier in Rede stand, nur irgend einmal in Rom gewesen und von einiger Bedeutung war, so durfte sie hoffen, ihn zu kennen. Es fuegte sich auch bald, dass die beiden Eheleute Piachi, da sie einen Verwandten besuchen wollten, an einem Sonntag auf das Land reiseten, und kaum wusste Nicolo auf diese Weise das Feld rein, als er schon zu Xavieren eilte, und diese mit einer kleinen Tochter, die sie von dem Kardinal hatte, unter dem Vorwande, Gemaelde und Stickereien zu besehen, als eine fremde Dame in Elvirens Zimmer fuehrte. Doch wie betroffen war Nicolo, als die kleine Klara (so hiess die Tochter), sobald er nur den Vorhang erhoben hatte, ausrief: "Gott, mein Vater! Signor Nicolo, wer ist das anders, als Sie?"--Xaviera verstummte. Das Bild, in der Tat, je laenger sie es ansah, hatte eine auffallende Aehnlichkeit mit ihm: besonders wenn sie sich ihn, wie ihrem Gedaechtnis gar wohl moeglich war, in dem ritterlichen Aufzug dachte, in welchem er, vor wenigen Monaten, heimlich mit ihr auf dem Karneval gewesen war. Nocolo versuchte ein ploetzliches Erroeten, das sich ueber seine Wangen ergoss, wegzuspotten; er sagte, indem er die Kleine kuesste: wahrhaftig, liebste Klara, das Bild gleicht mir, wie du demjenigen, der sich deinen Vater glaubt! --Doch Xaviera, in deren Brust das bittere Gefuehl der Eifersucht rege geworden war, warf einen Blick auf ihn; sie sagte, indem sie vor den Spiegel trat, zuletzt sei es gleichgueltig, wer die Person sei; empfahl sich ihm ziemlich kalt und verliess das Zimmer. Nicolo verfiel, sobald Xaviera sich entfernt hatte, in die lebhafteste Bewegung ueber diesen Auftritt. Er erinnerte sich, mit vieler Freude, der sonderbaren und lebhaften Erschuetterung, in welche er, durch die phantastische Erscheinung jener Nacht, Elviren versetzt hatte. Der Gedanke, die Leidenschaft dieser, als ein Muster der Tugend umwandelnden Frau erweckt zu haben, schmeichelte ihn fast eben so sehr, als die Begierde, sich an ihr zu raechen; und da sich ihm die Aussicht eroeffnete, mit einem und demselben Schlage beide, das eine Geluest, wie das andere, zu befriedigen, so erwartete er mit vieler Ungeduld Elvirens Wiederkunft, und die Stunde, da ein Blick in ihr Auge seine schwankende Ueberzeugung kroenen wuerde. Nichts stoerte ihn in dem Taumel, der ihn ergriffen hatte, als die bestimmte Erinnerung, dass Elvire das Bild, vor dem sie auf Knieen lag, damals, als er sie durch das Schluesselloch belauschte: Colino, genannt hatte; doch auch in dem Klang dieses, im Lande nicht eben gebraeuchlichen Namens, lag mancherlei, das sein Herz, er wusste nicht warum, in suesse Traeume wiegte, und in der Alternative, einem von beiden Sinnen, seinem Auge oder seinem Ohr zu misstrauen, neigte er sich, wie natuerlich, zu demjenigen hinueber, der seiner Begierde am lebhaftesten schmeichelte. Inzwischen kam Elvire erst nach Verlauf mehrer Tage von dem Lande zurueck, und da sie aus dem Hause des Vetters, den sie besucht hatte, eine junge Verwandte mitbrachte, die sich in Rom umzusehen wuenschte, so warf sie, mit Artigkeiten gegen diese beschaeftigt, auf Nicolo, der sie sehr freundlich aus dem Wagen hob, nur einen fluechtigen nichtsbedeutenden Blick. Mehrere Wochen, der Gastfreundin, die man bewirtete, aufgeopfert, vergingen in einer dem Hause ungewoehnlichen Unruhe; man besuchte, in- und ausserhalb der Stadt, was einem Maedchen, jung und lebensfroh, wie sie war, merkwuerdig sein mochte; und Nicolo, seiner Geschaefte im Kontor halber, zu allen diesen kleinen Fahrten nicht eingeladen, fiel wieder, in Bezug auf Elviren, in die uebelste Laune zurueck. Er begann wieder, mit den bittersten und quaelendsten Gefuehlen, an den Unbekannten zurueck zu denken, den sie in heimlicher Ergebung vergoetterte; und dies Gefuehl zerriss besonders am Abend der laengst mit Sehnsucht erharrten Abreise jener jungen Verwandten sein verwildertes Herz, da Elvire, statt nun mit ihm zu sprechen, schweigend, waehrend einer ganzen Stunde, mit einer kleinen, weiblichen Arbeit beschaeftigt, am Speisetisch sass. Es traf sich, dass Piachi, wenige Tage zuvor, nach einer Schachtel mit kleinen, elfenbeinernen Buchstaben gefragt hatte, vermittelst welcher Nicolo in seiner Kindheit unterrichtet worden, und die dem Alten nun, weil sie niemand mehr brauchte, in den Sinn gekommen war, an ein kleines Kind in der Nachbarschaft zu verschenken. Die Magd, der man aufgegeben hatte, sie, unter vielen anderen, alten Sachen, aufzusuchen, hatte inzwischen nicht mehr gefunden, als die sechs, die den Namen: Nicolo ausmachen; wahrscheinlich weil die andern, ihrer geringeren Beziehung auf den Knaben wegen, minder in Acht genommen und, bei welcher Gelegenheit es sei, verschleudert worden waren. Da nun Nicolo die Lettern, welche seit mehreren Tagen auf dem Tisch lagen, in die Hand nahm, und waehrend er, mit dem Arm auf die Platte gestuetzt, in trueben Gedanken bruetete, damit spielte, fand er--zufaellig, in der Tat, selbst, denn er erstaunte darueber, wie er noch in seinem Leben nicht getan--die Verbindung heraus, welche den Namen: Colino bildet. Nicolo, dem diese logogriphische Eigenschaft seines Namens fremd war, warf, von rasenden Hoffnungen von neuem getroffen, einen ungewissen und scheuen Blick auf die ihm zur Seite sitzende Elvire. Die Uebereinstimmung, die sich zwischen beiden Woertern angeordnet fand, schien ihm mehr als ein blosser Zufall, er erwog, in unterdrueckter Freude, den Umfang dieser sonderbaren Entdeckung, und harrte, die Haende vom Tisch genommen, mit klopfendem Herzen des Augenblicks, da Elvire aufsehen und den Namen, der offen da lag, erblicken wuerde. Die Erwartung, in der er stand, taeuschte ihn auch keineswegs; denn kaum hatte Elvire, in einem muessigen Moment, die Aufstellung der Buchstaben bemerkt, und harmlos und gedankenlos, weil sie ein wenig kurzsichtig war, sich naeher darueber hingebeugt, um sie zu lesen: als sie schon Nicolos Antlitz, der in scheinbarer Gleichgueltigkeit darauf niedersah, mit einem sonderbar beklommenen Blick ueberflog, ihre Arbeit, mit einer Wehmut, die man nicht beschreiben kann, wieder aufnahm, und, unbemerkt wie sie sich glaubte, eine Traene nach der anderen, unter sanftem Erroeten, auf ihren Schoss fallen liess. Nicolo, der alle diese innerlichen Bewegungen, ohne sie anzusehen, beobachtete, zweifelte gar nicht mehr, dass sie unter dieser Versetzung der Buchstaben nur seinen eignen Namen verberge. Er sah sie die Buchstaben mit einemmal sanft uebereinander schieben, und seine wilden Hoffnungen erreichten den Gipfel der Zuversicht, als sie aufstand, ihre Handarbeit weglegte und in ihr Schlafzimmer verschwand. Schon wollte er aufstehen und ihr dahin folgen: als Piachi eintrat, und von einer Hausmagd, auf die Frage, wo Elvire sei? zur Antwort erhielt: "dass sie sich nicht wohl befinde und sich auf das Bett gelegt habe." Piachi, ohne eben grosse Bestuerzung zu zeigen, wandte sich um, und ging, um zu sehen, was sie mache; und da er nach einer Viertelstunde, mit der Nachricht, dass sie nicht zu Tische kommen wuerde, wiederkehrte und weiter kein Wort darueber verlor: so glaubte Nicolo den Schluessel zu allen raetselhaften Auftritten dieser Art, die er erlebt hatte, gefunden zu haben. Am andern Morgen, da er, in seiner schaendlichen Freude, beschaeftigt war, den Nutzen, den er aus dieser Entdeckung zu ziehen hoffte, zu ueberlegen, erhielt er ein Billet von Xavieren, worin sie ihn bat, zu ihr zu kommen, indem sie ihm, Elviren betreffend, etwas, das ihm interessant sein wuerde, zu eroeffnen haette. Xaviera stand, durch den Bischof, der sie unterhielt, in der engsten Verbindung mit den Moenchen des Karmeliterklosters; und da seine Mutter in diesem Kloster zur Beichte ging, so zweifelte er nicht, dass es jener moeglich gewesen waere, ueber die geheime Geschichte ihrer Empfindungen Nachrichten, die seine unnatuerlichen Hoffnungen bestaetigen konnten, einzuziehen. Aber wie unangenehm, nach einer sonderbaren schalkhaften Begruessung Xavierens, ward er aus der Wiege genommen, als sie ihn laechelnd auf den Diwan, auf welchem sie sass, niederzog, und ihm sagte: sie muesse ihm nur eroeffnen, dass der Gegenstand von Elvirens Liebe ein, schon seit zwoelf Jahren, im Grabe schlummernder Toter sei.--Aloysius, Marquis von Montferrat, dem ein Oheim zu Paris, bei dem er erzogen worden war, den Zunamen Collin, spaeterhin in Italien scherzhafter Weise in Colino umgewandelt, gegeben hatte, war das Original des Bildes, das er in der Nische, hinter dem rotseidenen Vorhang, in Elvirens Zimmer entdeckt hatte; der junge, genuesische Ritter, der sie, in ihrer Kindheit, auf so edelmuetige Weise aus dem Feuer gerettet und an den Wunden, die er dabei empfangen hatte, gestorben war.--Sie setzte hinzu, dass sie ihn nur bitte, von diesem Geheimnis weiter keinen Gebrauch zu machen, indem es ihr, unter dem Siegel der aeussersten Verschwiegenheit, von einer Person, die selbst kein eigentliches Recht darueber habe, im Karmeliterkloster anvertraut worden sei. Nicolo versicherte, indem Blaesse und Roete auf seinem Gesicht wechselten, dass sie nichts zu befuerchten habe; und gaenzlich ausser Stand, wie er war, Xavierens schelmischen Blicken gegenueber, die Verlegenheit, in welche ihn diese Eroeffnung gestuerzt hatte, zu verbergen, schuetzte er ein Geschaeft vor, das ihn abrufe, nahm, unter einem haesslichen Zucken seiner Oberlippe, seinen Hut, empfahl sich und ging ab. Beschaemung, Wollust und Rache vereinigten sich jetzt, um die abscheulichste Tat, die je veruebt worden ist, auszubrueten. Er fuehlte wohl, dass Elvirens reiner Seele nur durch einen Betrug beizukommen sei; und kaum hatte ihm Piachi, der auf einige Tage aufs Land ging, das Feld geraeumt, als er auch schon Anstalten traf, den satanischen Plan, den er sich ausgedacht hatte, ins Werk zu richten. Er besorgte sich genau denselben Anzug wieder, in welchem er, vor wenig Monaten, da er zur Nachtzeit heimlich vom Karneval zurueckkehrte, Elviren erschienen war; und Mantel, Kollett und Federhut, genuesischen Zuschnittts, genau so, wie sie das Bild trug, umgeworfen, schlich er sich, kurz vor dem Schlafengehen, in Elvirens Zimmer, hing ein schwarzes Tuch ueber das in der Nische stehende Bild, und wartete, einen Stab in der Hand, ganz in der Stellung des gemalten jungen Patriziers, Elvirens Vergoetterung ab. Er hatte auch, im Scharfsinn seiner schaendlichen Leidenschaft, ganz richtig gerechnet; denn kaum hatte Elvire, die bald darauf eintrat, nach einer stillen und ruhigen Entkleidung, wie sie gewoehnlich zu tun pflegte, den seidnen Vorhang, der die Nische bedeckte, eroeffnet und ihn erblickt: als sie schon: Colino! Mein Geliebter! rief und ohnmaechtig auf das Getaefel des Bodens niedersank. Nicolo trat aus der Nische hervor; er stand einen Augenblick, im Anschauen ihrer Reize versunken, und betrachtete ihre zarte, unter dem Kuss des Todes ploetzlich erblassende Gestalt: hob sie aber bald, da keine Zeit zu verlieren war, in seinen Armen auf, und trug sie, indem er das schwarze Tuch von dem Bild herabriss, auf das im Winkel des Zimmers stehende Bett. Dies abgetan, ging er, die Tuer zu verriegeln, fand aber, dass sie schon verschlossen war; und sicher, dass sie auch nach Wiederkehr ihrer verstoerten Sinne, seiner phantastischen, dem Ansehen nach ueberirdischen Erscheinung keinen Widerstand leisten wuerde, kehrte er jetzt zu dem Lager zurueck, bemueht, sie mit heissen Kuessen auf Brust und Lippen aufzuwecken. Aber die Nemesis, die dem Frevel auf dem Fuss folgt, wollte, dass Piachi, den der Elende noch auf mehrere Tage entfernt glaubte, unvermutet, in eben dieser Stunde, in seine Wohnung zurueckkehren musste; leise, da er Elviren schon schlafen glaubte, schlich er durch den Korridor heran, und da er immer den Schluessel bei sich trug, so gelang es ihm, ploetzlich, ohne dass irgend ein Geraeusch ihn angekuendigt haette, in das Zimmer einzutreten. Nicolo stand wie vom Donner geruehrt; er warf sich, da seine Bueberei auf keine Weise zu bemaenteln war, dem Alten zu Fuessen, und bat ihn, unter der Beteurung, den Blick nie wieder zu seiner Frau zu erheben, um Vergebung. Und in der Tat war der Alte auch geneigt, die Sache still abzumachen; sprachlos, wie ihn einige Worte Elvirens gemacht hatten, die sich von seinen Armen umfasst, mit einem entsetzlichen Blick, den sie auf den Elenden warf, erholt hatte, nahm er bloss, indem er die Vorhaenge des Bettes, auf welchem sie ruhte, zuzog, die Peitsche von der Wand, oeffnete ihm die Tuer und zeigte ihm den Weg, den er unmittelbar wandern sollte. Doch dieser, eines Tartueffe voellig wuerdig, sah nicht sobald, dass auf diesem Wege nichts auszurichten war, als er ploetzlich vom Fussboden erstand und erklaerte: an ihm, dem Alten, sei es, das Haus zu raeumen, denn er durch vollgueltige Dokumente eingesetzt, sei der Besitzer und werde sein Recht, gegen wen immer auf der Welt es sei, zu behaupten wissen! --Piachi traute seinen Sinnen nicht; durch diese unerhoerte Frechheit wie entwaffnet, legte er die Peitsche weg, nahm Hut und Stock, lief augenblicklich zu seinem alten Rechtsfreund, dem Doktor Valerio, klingelte eine Magd heraus, die ihm oeffnete, und fiel, da er sein Zimmer erreicht hatte, bewusstlos, noch ehe er ein Wort vorgebracht hatte, an seinem Bette nieder. Der Doktor, der ihn und spaeterhin auch Elviren in seinem Hause aufnahm, eilte gleich am andern Morgen, die Festsetzung des hoellischen Boesewichts, der mancherlei Vorteile fuer sich hatte, auszuwirken; doch waehrend Piachi seine machtlosen Hebel ansetzte, ihn aus den Besitzungen, die ihm einmal zugeschrieben waren, wieder zu verdraengen, flog jener schon mit einer Verschreibung ueber den ganzen Inbegriff derselben, zu den Karmelitermoenchen, seinen Freunden, und forderte sie auf, ihn gegen den alten Narren, er ihn daraus vertreiben wolle, zu beschuetzen. Kurz, da er Xavieren, welche der Bischof los zu sein wuenschte, zu heiraten willigte, siegte die Bosheit, und die Regierung erliess, auf Vermittelung dieses geistlichen Herrn, ein Dekret, in welchem Nicolo in den Besitz bestaetigt und dem Piachi aufgegeben ward, ihn nicht darin zu belaestigen. Piachi hatte gerade Tags zuvor die unglueckliche Elvire begraben, die an den Folgen eines hitzigen Fiebers, das ihr jener Vorfall zugezogen hatte, gestorben war. Durch diesen doppelten Schmerz gereizt, ging er, das Dekret in der Tasche, in das Haus, und stark, wie die Wut ihn machte, warf er den von Natur schwaecheren Nicolo nieder und drueckte ihm das Gehirn an der Wand ein. Die Leute die im Hause waren, bemerkten ihn nicht eher, als bis die Tat geschehen war; sie fanden ihn noch, da er den Nicolo zwischen den Knien hielt, und ihm das Dekret in den Mund stopfte. Dies abgemacht, stand er, indem er alle seine Waffen abgab, auf; ward ins Gefaengnis gesetzt, verhoert und verurteilt, mit dem Strange vom Leben zum Tode gebracht zu werden. In dem Kirchenstaat herrscht ein Gesetz, nach welchem kein Verbrecher zum Tode gefuehrt werden kann, bevor er die Absolution empfangen. Piachi, als ihm der Stab gebrochen war, verweigerte sich hartnaeckig der Absolution. Nachdem man vergebens alles, was die Religion an die Hand gab, versucht hatte, ihm die Strafwuerdigkeit seiner Handlung fuehlbar zu machen, hoffte man, ihn durch den Anblick des Todes, der seiner wartete, in das Gefuehl der Reue hineinzuschrecken, und fuehrte ihn nach dem Galgen hinaus. Hier stand ein Priester und schilderte ihm, mit der Lunge der letzten Posaune, alle Schrecknisse der Hoelle, in die seine Seele hinabzufahren im Begriff war; dort ein anderer, den Leib des Herrn, das heilige Entsuehnungsmittel in der Hand, und pries ihm die Wohnungen des ewigen Friedens.--"Willst du der Wohltat der Erloesung teilhaftig werden?" fragten ihn beide. "Willst du das Abendmahl empfangen?"--Nein, antwortete Piachi.--"Warum nicht?"--Ich will nicht selig sein. Ich will in den untersten Grund der Hoelle hinabfahren. Ich will den Nicolo, der nicht im Himmel sein wird, wiederfinden, und meine Rache, die ich hier nur unvollstaendig befriedigen konnte, wieder aufnehmen!--Und damit bestieg er die Leiter und forderte den Nachrichter auf, sein Amt zu tun. Kurz, man sah sich genoetigt, mit der Hinrichtung einzuhalten, und den Ungluecklichen, den das Gesetz in Schutz nahm, wieder in das Gefaengnis zurueckzufuehren. Drei hinter einander folgende Tage machte man dieselben Versuche und immer mit demselben Erfolg. Als er am dritten Tage wieder, ohne an den Galgen geknuepft zu werden, die Leiter herabsteigen musste: hob er, mit einer grimmigen Gebaerde, die Haende empor, das unmenschliche Gesetz verfluchend, das ihn nicht zur Hoelle fahren lassen wolle. Er rief die ganze Schar der Teufel herbei, ihn zu holen, verschwor sich, sein einziger Wunsch sei, gerichtet und verdammt zu werden, und versicherte, er wuerde noch dem ersten, besten Priester an den Hals kommen, um des Nicolo in der Hoelle wieder habhaft zu werden!--Als man dem Papst dies meldete, befahl er, ihn ohne Absolution hinzurichten; kein Priester begleitete ihn, man knuepfte ihn, ganz in der Stille, auf dem Platz del popolo auf. Der Zweikampf Herzog Wilhelm von Breysach, der, seit seiner heimlichen Verbindung mit einer Graefin, namens Katharina von Heersbruck, aus dem Hause Alt-Hueningen, die unter seinem Range zu sein schien, mit seinem Halbbruder, dem Grafen Jakob dem Rotbart, in Feindschaft lebte, kam gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts, da die Nacht des heiligen Remigius zu daemmern begann, von einer in Worms mit dem deutschen Kaiser abgehaltenen Zusammenkunft zurueck, worin er sich von diesem Herrn, in Ermangelung ehelicher Kinder, die ihm gestorben waren, die Legitimation eines, mit seiner Gemahlin vor der Ehe erzeugten, natuerlichen Sohnes, des Grafen Philipp von Hueningen, ausgewirkt hatte. Freudiger, als waehrend des ganzen Laufs seiner Regierung in die Zukunft blickend, hatte er schon den Park, der hinter seinem Schlosse lag, erreicht: als ploetzlich ein Pfeilschuss aus dem Dunkel der Gebuesche hervorbrach, und ihm, dicht unter dem Brustknochen, den Leib durchbohrte. Herr Friedrich von Trota, sein Kaemmerer, brachte ihn, ueber diesen Vorfall aeusserst betroffen, mit Huelfe einiger andern Ritter, in das Schloss, wo er nur noch, in Armen seiner bestuerzten Gemahlin, die Kraft hatte, einer Versammlung von Reichsvasallen, die schleunigst, auf Veranstaltung der letztern, zusammenberufen worden war, die kaiserliche Legitimationsakte vorzulegen; und nachdem, nicht ohne lebhaften Widerstand, indem, in Folge des Gesetzes, die Krone an seinen Halbbruder, den Grafen Jakob den Rotbart, fiel, die Vasallen seinen letzten bestimmten Willen erfuellt, und unter dem Vorbehalt, die Genehmigung des Kaisers einzuholen, den Grafen Philipp als Thronerben, die Mutter aber, wegen Minderjaehrigkeit desselben, als Vormuenderin und Regentin anerkannt hatten: legte er sich nieder und starb. Die Herzogin bestieg nun, ohne weiteres, unter einer blossen Anzeige, die sie, durch einige Abgeordnete, an ihren Schwager, den Grafen Jakob den Rotbart, tun liess, den Thron; und was mehrere Ritter des Hofes, welche die abgeschlossene Gemuetsart des letzteren zu durchschauen meinten, vorausgesagt hatten, das traf, wenigstens dem aeusseren Anschein nach, ein: Jakob der Rotbart verschmerzte, in kluger Erwaegung der obwaltenden Umstaende, das Unrecht, das ihm sein Bruder zugefuegt hatte; zum mindesten enthielt er sich aller und jeder Schritte, den letzten Willen des Herzogs umzustossen, und wuenschte seinem jungen Neffen zu dem Thron, den er erlangt hatte, von Herzen Glueck. Er beschrieb den Abgeordneten, die er sehr heiter und freundlich an seine Tafel zog, wie er seit dem Tode seiner Gemahlin, die ihm ein koenigliches Vermoegen hinterlassen, frei und unabhaengig auf seiner Burg lebe; wie er die Weiber der angrenzenden Edelleute, seinen eignen Wein, und, in Gesellschaft munterer Freunde, die Jagd liebe, und wie ein Kreuzzug nach Palaestina, auf welchem er die Suenden einer raschen Jugend, auch leider, wie er zugab, im Alter noch wachsend, abzubuessen dachte, die ganze Unternehmung sei, auf die er noch, am Schluss seines Lebens, hinausgehe. Vergebens machten ihm seine beiden Soehne, welche in der bestimmten Hoffnung der Thronfolge erzogen worden waren, wegen der Unempfindlichkeit und Gleichgueltigkeit mit welcher er, auf ganz unerwartete Weise, in diese unheilbare Kraenkung ihrer Ansprueche willigte, die bittersten Vorwuerfe: er wies sie, die noch unbaertig waren, mit kurzen und spoettischen Machtspruechen zur Ruhe, noetigte sie, ihm am Tage des feierlichen Leichenbegaengnisses, in die Stadt zu folgen, und daselbst, an seiner Seite, den alten Herzog, ihren Oheim, wie es sich gebuehre, zur Gruft zu bestatten; und nachdem er im Thronsaal des herzoglichen Palastes, dem jungen Prinzen, seinem Neffen, in Gegenwart der Regentin Mutter, gleich allen andern Grossen des Hofes, die Huldigung geleistet hatte, kehrte er unter Ablehnung aller Aemter und Wuerden, welche die letztere ihm antrug, begleitet von den Segnungen des, ihn um seine Grossmut und Maessigung doppelt verehrenden Volks, wieder auf seine Burg zurueck. Die Herzogin schritt nun, nach dieser unverhofft gluecklichen Beseitigung der ersten Interessen, zur Erfuellung ihrer zweiten Regentenpflicht, naemlich, wegen der Moerder ihres Gemahls, deren man im Park eine ganze Schar wahrgenommen haben wollte, Untersuchungen anzustellen, und pruefte zu diesem Zweck selbst, mit Herrn Godwin von Herrthal, ihrem Kanzler, den Pfeil, der seinem Leben ein Ende gemacht hatte. Inzwischen fand man an demselben nichts, das den Eigentuemer haette verraten koennen, ausser etwa, dass er, auf befremdende Weise, zierlich und praechtig gearbeitet war. Starke, krause und glaenzende Federn steckten in einem Stiel, der, schlank und kraeftig, von dunkelm Nussbaumholz, gedrechselt war; die Bekleidung des vorderen Endes war von glaenzendem Messing, und nur die aeusserste Spitze selbst, scharf wie die Graete eines Fisches, war von Stahl. Der Pfeil schien fuer die Ruestkammer eines vornehmen und reichen Mannes verfertigt zu sein, der entweder in Fehden verwickelt, oder ein grosser Liebhaber von der Jagd war; und da man aus einer, dem Knopf eingegrabenen, Jahrszahl ersah, dass dies erst vor kurzem geschehen sein konnte: so schickte die Herzogin, auf Anraten des Kanzlers, den Pfeil, mit dem Kronsiegel versehen, in alle Werkstaetten von Deutschland umher, um den Meister, der ihn gedrechselt hatte, aufzufinden, und, falls dies gelang, von demselben den Namen dessen zu erfahren, auf dessen Bestellung er gedrechselt worden war. Fuenf Monden darauf lief an Herrn Godwin, den Kanzler, dem die Herzogin die ganze Untersuchung der Sache uebergeben hatte, die Erklaerung von einem Pfeilmacher aus Strassburg ein, dass er ein Schock solcher Pfeile, samt dem dazu gehoerigen Koecher, vor drei Jahren fuer den Grafen Jakob den Rotbart verfertigt habe. Der Kanzler, ueber diese Erklaerung aeusserst betroffen, hielt dieselbe mehrere Wochen lang in seinem Geheimschrank zurueck; zum Teil kannte er, wie er meinte, trotz der freien und ausschweifenden Lebensweise des Grafen, den Edelmut desselben zu gut, als dass er ihn einer so abscheulichen Tat, als die Ermordung eines Bruders war, haette fuer faehig halten sollen; zum Teil auch, trotz vieler andern guten Eigenschaften, die Gerechtigkeit der Regentin zu wenig, als dass er, in einer Sache, die das Leben ihres schlimmsten Feindes galt, nicht mit der groessten Vorsicht haette verfahren sollen. Inzwischen stellte er, unter der Hand, in der Richtung dieser sonderbaren Anzeige, Untersuchungen an, und da er durch die Beamten der Stadtvogtei zufaellig ausmittelte, dass der Graf, der seine Burg sonst nie oder nur hoechst selten zu verlassen pflegte, in der Nacht der Ermordung des Herzogs daraus abwesend gewesen war: so hielt er es fuer seine Pflicht, das Geheimnis fallen zu lassen, und die Herzogin, in einer der naechsten Sitzungen des Staatsrats, von dem befremdenden und seltsamen Verdacht, der durch diese beiden Klagpunkte auf ihren Schwager, den Grafen Jakob den Rotbart fiel, umstaendlich zu unterrichten. Die Herzogin, die sich gluecklich pries, mit dem Grafen, ihrem Schwager, auf einem so freundschaftlichen Fuss zu stehen, und nichts mehr fuerchtete, als seine Empfindlichkeit durch unueberlegte Schritte zu reizen, gab inzwischen, zum Befremden des Kanzlers, bei dieser zweideutigen Eroeffnung nicht das mindeste Zeichen der Freude von sich; vielmehr, als sie die Papiere zweimal mit Aufmerksamkeit ueberlesen hatte, aeusserte sie lebhaft ihr Missfallen, dass man eine Sache, die so ungewiss und bedenklich sei, oeffentlich im Staatsrat zur Sprache bringe. Sie war der Meinung, dass ein Irrtum oder eine Verleumdung dabei statt finden muesse, und befahl, von der Anzeige schlechthin bei den Gerichten keinen Gebrauch zu machen. Ja, bei der ausserordentlichen, fast schwaermerischen Volksverehrung, deren der Graf, nach einer natuerlichen Wendung der Dinge, seit seiner Ausschliessung vom Throne genoss, schien ihr auch schon dieser blosse Vortrag im Staatsrat aeusserst gefaehrlich; und da sie voraus sah, dass ein Stadtgeschwaetz darueber zu seinen Ohren kommen wuerde, so schickte sie, von einem wahrhaft edelmuetigen Schreiben begleitet, die beiden Klagpunkte, die sie das Spiel eines sonderbaren Missverstaendnisses nannte, samt dem, worauf sie sich stuetzen sollten, zu ihm hinaus, mit der bestimmten Bitte, sie, die im voraus von seiner Unschuld ueberzeugt sei, mit aller Widerlegung derselben zu verschonen. Der Graf der eben mit einer Gesellschaft von Freunden bei der Tafel sass, stand, als der Ritter mit der Botschaft der Herzogin, zu ihm eintrat, verbindlich von seinem Sessel auf; aber kaum, waehrend die Freunde den feierlichen Mann, der sich nicht niederlassen wollte, betrachteten, hatte er in der Woelbung des Fensters den Brief ueberlesen: als er die Farbe wechselte, und die Papiere mit den Worten den Freunden uebergab: Brueder, seht! welch eine schaendliche Anklage, auf den Mord meines Bruders, wider mich zusammengeschmiedet worden ist! Er nahm dem Ritter, mit einem funkelnden Blick, den Pfeil aus der Hand, und setzte, die Vernichtung seiner Seele verbergend, inzwischen die Freunde sich unruhig um ihn versammelten, hinzu: dass in der Tat das Geschoss sein gehoere und auch der Umstand, dass er in der Nacht des heiligen Remigius aus seinem Schloss abwesend gewesen, gegruendet sei! Die Freunde fluchten ueber diese haemische und niedertraechtige Arglistigkeit; sie schoben den Verdacht des Mordes auf die versuchten Anklaeger selbst zurueck, und schon waren sie im Begriff, gegen den Abgeordneten, der die Herzogin, seine Frau, in Schutz nahm, beleidigend zu werden: als der Graf, der die Papiere noch einmal ueberlesen hatte, indem er ploetzlich unter sie trat, ausrief: ruhig, meine Freunde!--und damit nahm er sein Schwert, das im Winkel stand, und uebergab es dem Ritter mit den Worten: dass er sein Gefangener sei! Auf die betroffene Frage des Ritters: ob er recht gehoert, und ob er in der Tat die beiden Klagpunkte, die der Kanzler aufgesetzt, anerkenne? antwortete der Graf: ja! ja! ja! --Inzwischen hoffe er der Notwendigkeit ueberhoben zu sein, den Beweis wegen seiner Unschuld anders, als vor den Schranken eines foermlich von der Herzogin niedergesetzten Gerichts zu fuehren. Vergebens bewiesen die Ritter, mit dieser Aeusserung hoechst unzufrieden, dass er in diesem Fall wenigstens keinem andern, als dem Kaiser, von dem Zusammenhang der Sache Rechenschaft zu geben brauche; der Graf, der sich in einer sonderbar ploetzlichen Wendung der Gesinnung, auf die Gerechtigkeit der Regentin berief, bestand darauf, sich vor dem Landestribunal zu stellen, und schon, indem er sich aus ihren Armen losriss, rief er, aus dem Fenster hinaus, nach seinen Pferden, willens, wie er sagte, dem Abgeordneten unmittelbar in die Ritterhaft zu folgen: als die Waffengefaehrten ihm gewaltsam, mit einem Vorschlag, den er endlich annehmen musste, in den Weg traten. Sie setzten in ihrer Gesamtzahl ein Schreiben an die Herzogin auf, forderten als ein Recht, das jedem Ritter in solchem Fall zustehe, freies Geleit fuer ihn, und boten ihr zur Sicherheit, dass er sich dem von ihr errichteten Tribunal stellen, auch allem, was dasselbe ueber ihn verhaengen moechte, unterwerfen wuerde, eine Buergschaft von 20 000 Mark Silbers an. Die Herzogin, auf diese unerwartete und ihr unbegreifliche Erklaerung, hielt es, bei den abscheulichen Geruechten, die bereits ueber die Veranlassung der Klage, im Volk herrschten, fuer das Ratsamste, mit gaenzlichem Zuruecktreten ihrer eignen Person, dem Kaiser die ganze Streitsache vorzulegen. Sie schickte ihm, auf den Rat des Kanzlers, saemtliche ueber den Vorfall lautende Aktenstuecke zu, und bat, in seiner Eigenschaft als Reichsoberhaupt ihr die Untersuchung in einer Sache abzunehmen, in der sie selber als Partei befangen sei. Der Kaiser, der sich wegen Verhandlungen mit der Eidgenossenschaft grade damals in Basel aufhielt, willigte in diesen Wunsch; er setzte daselbst ein Gericht von drei Grafen, zwoelf Rittern und zwei Gerichtsassessoren nieder; und nachdem er dem Grafen Jakob dem Rotbart, dem Antrag seiner Freunde gemaess, gegen die dargebotene Buergschaft von 20 000 Mark Silbers freies Geleit zugestanden hatte, forderte er ihn auf, sich dem erwaehnten Gericht zu stellen, und demselben ueber die beiden Punkte: wie der Pfeil, der, nach seinem eignen Gestaendnis, sein gehoere, in die Haende des Moerders gekommen? auch: an welchem dritten Ort er sich in der Nacht des heiligen Remigius aufgehalten habe, Red und Antwort zu geben. Es war am Montag nach Trinitatis, als er Graf Jakob der Rotbart, mit einem glaenzenden Gefolge von Rittern, der an ihn ergangenen Aufforderung gemaess, in Basel vor den Schranken des Gerichts erschien, und sich daselbst, mit Uebergehung der ersten, ihm, wie er vorgab, gaenzlich unaufloeslichen Frage, in Bezug auf die zweite, welche fuer den Streitpunkt entscheidend war, folgendermassen fasste: "Edle Herren!" und damit stuetzte er seine Haende auf das Gelaender, und schaute aus seinen kleinen blitzenden Augen, von roetlichen Augenwimpern ueberschattet, die Versammlung an. "Ihr beschuldigt mich, der von seiner Gleichgueltigkeit gegen Krone und Szepter Proben genug gegeben hat, der abscheulichsten Handlung, die begangen werden kann, der Ermordung meines, mir in der Tat wenig geneigten, aber darum nicht minder teuren Bruders; und als einen der Gruende, worauf ihr eure Anklage stuetzt, fuehrt ihr an, dass ich in der Nacht des heiligen Remigius, da jener Frevel veruebt ward, gegen eine durch viele Jahre beobachtete Gewohnheit, aus meinem Schlosse abwesend war. Nun ist mir gar wohl bekannt, was ein Ritter, der Ehre solcher Damen, deren Gunst ihm heimlich zuteil wird, schuldig ist; und wahrlich! haette der Himmel nicht, aus heiterer Luft, dies sonderbare Verhaengnis ueber mein Haupt zusammengefuehrt: so wuerde das Geheimnis, das in meiner Brust schlaeft, mit mir gestorben, zu Staub verwest, und erst auf den Posaunenruf des Engels, der die Graeber sprengt, vor Gott mit mir erstanden sein. Die Frage aber, die kaiserliche Majestaet durch euren Mund an mein Gewissen richtet, macht, wie ihr wohl selbst einseht, alle Ruecksichten und alle Bedenklichkeiten zu Schanden; und weil ihr denn wissen wollt, warum es weder wahrscheinlich, noch auch selbst moeglich sei, dass ich an dem Mord meines Bruders, es sei nun persoenlich oder mittelbar, Teil genommen, so vernehmt, dass ich in der Nacht des heiligen Remigius, also zur Zeit, da er veruebt worden, heimlich bei der schoenen, in Liebe mir ergebenen Tochter des Landdrosts Winfried von Breda, Frau Wittib Littegarde von Auerstein war." Nun muss man wissen, dass Frau Wittib Littegarde von Auerstein, so wie die schoenste, so auch, bis auf den Augenblick dieser schmaehlichen Anklage, die unbescholtenste und makelloseste Frau des Landes war. Sie lebte, seit dem Tode des Schlosshauptmanns von Auerstein, ihres Gemahls, den sie wenige Monden nach ihrer Vermaehlung an einem ansteckenden Fieber verloren hatte, still und eingezogen auf der Burg ihres Vaters; und nur auf den Wunsch dieses alten Herrn, der sie gern wieder vermaehlt zu sehen wuenschte, ergab sie sich darin, dann und wann bei den Jagdfesten und Banketten zu erscheinen, welche von der Ritterschaft der umliegenden Gegend, und hauptsaechlich von Herrn Jakob dem Rotbart, angestellt wurden. Viele Grafen und Herren, aus den edelsten und beguetertsten Geschlechtern des Landes, fanden sich mit ihren Werbungen, bei solchen Gelegenheiten um sie ein, und unter diesen war ihr Herr Friedrich von Trota, der Kaemmerer, der ihr einst auf der Jagd gegen den Anlauf eines verwundeten Ebers tuechtiger Weise das Leben gerettet hatte, der Teuerste und Liebste; inzwischen hatte sie sich aus Besorgnis, ihren beiden, auf die Hinterlassenschaft ihres Vermoegens rechnenden Bruedern dadurch zu missfallen, aller Ermahnungen ihres Vaters ungeachtet, noch nicht entschliessen koennen, ihm ihre Hand zu geben. Ja, als Rudolf, der Aeltere von beiden sich mit einem reichen Fraeulein aus der Nachbarschaft vermaehlte, und ihm, nach einer dreijaehrigen kinderlosen Ehe, zur grossen Freude der Familie, ein Stammhalter geboren ward: so nahm sie, durch manche deutliche und undeutliche Erklaerung bewogen, von Herrn Friedrich, Ihrem Freunde, in einem unter vielen Traenen abgefassten Schreiben, foermlich Abschied, und willigte, um die Einigkeit des Hauses zu erhalten, in den Vorschlag ihres Bruders, den Platz als Aebtissin in einem Frauenstift einzunehmen, das unfern ihrer vaeterlichen Burg an den Ufern des Rheins lag. Grade um die Zeit, da bei dem Erzbischof von Strassburg dieser Plan betrieben ward, und die Sache im Begriff war zur Ausfuehrung zu kommen, war es, als der Landdrost, Herr Winfried von Breda, durch das von dem Kaiser eingesetzte Gericht, die Anzeige von der Schande seiner Tochter Littegarde, und die Aufforderung erhielt, dieselbe zur Verantwortung gegen die von dem Grafen Jakob wider sie angebrachte Beschuldigung nach Basel zu befoerdern. Man bezeichnete ihm, im Verlauf des Schreibens, genau die Stunde und den Ort, in welchem der Graf, seinem Vorgeben gemaess, bei Frau Littegarde seinen Besuch heimlich abgestattet haben wollte, und schickte ihm sogar einen, von ihrem verstorbenen Gemahl herruehrenden Ring mit, den er beim Abschied, zum Andenken an die verflossene Nacht, aus ihrer Hand empfangen zu haben versicherte. Nun litt Herr Winfried eben, am Tage der Ankunft dieses Schreibens, an einer schweren und schmerzvollen Unpaesslichkeit des Alters; er wankte, in einem aeusserst gereizten Zustande, an der Hand seiner Tochter im Zimmer umher, das Ziel schon ins Auge fassend, das allem was Leben atmet gesteckt ist; dergestalt, dass ihn, bei Ueberlesung dieser fuerchterlichen Anzeige, der Schlag augenblicklich ruehrte, und er, indem er das Blatt fallen liess, mit gelaehmten Gliedern auf den Fussboden niederschlug. Die Brueder, die gegenwaertig waren, hoben ihn bestuerzt vom Boden auf, und riefen einen Arzt herbei, der zu seiner Pflege, in den Nebengebaeuden wohnte; aber alle Muehe, ihn wieder ins Leben zurueck zu bringen, war umsonst: er gab, waehrend Frau Littegarde besinnungslos in dem Schoss ihrer Frauen lag, seinen Geist auf, und diese, da sie erwachte, hatte auch nicht den letzten bittersuessen Trost, ihm ein Wort zur Verteidigung ihrer Ehre in die Ewigkeit mitgegeben zu haben. Das Schrecken der beiden Brueder ueber diesen heillosen Vorfall, und ihre Wut ueber die der Schwester angeschuldigte und leider nur zu wahrscheinliche Schandtat, die ihn veranlasst hatte, war unbeschreiblich. Denn sie wussten nur zu wohl, dass Graf Jakob der Rotbart ihr in der Tat, waehrend des ganzen vergangenen Sommers, angelegentlich den Hof gemacht hatte; mehrere Turniere und Bankette waren bloss ihr zu Ehren von ihm angestellt, und sie, auf eine schon damals sehr anstoessige Weise, vor allen andern Frauen, die er zur Gesellschaft zog, von ihm ausgezeichnet worden. Ja, sie erinnerten sich, dass Littegarde, grade um die Zeit des besagten Remigiustages, eben diesen von ihrem Gemahl herstammenden Ring, der sich jetzt, auf sonderbare Weise in den Haenden des Grafen Jakob wieder fand, auf einem Spaziergang verloren zu haben vorgegeben hatte; dergestalt, dass sie nicht einen Augenblick an der Wahrhaftigkeit der Aussage, die der Graf vor Gericht gegen sie abgeleistet hatte, zweifelten. Vergebens--inzwischen unter den Klagen des Hofgesindes die vaeterliche Leiche weggetragen ward--umklammerte sie, nur um einen Augenblick Gehoer bittend, die Kniee ihrer Brueder; Rudolf, vor Entruestung flammend, fragte sie, indem er sich zu ihr wandte: ob sie einen Zeugen fuer die Nichtigkeit der Beschuldigung fuer sich aufstellen koenne? und da sie unter Zittern und Beben erwiderte: dass sie sich leider auf nichts, als die Unstraeflichkeit ihres Lebenswandels berufen koenne, indem ihre Zofe grade wegen eines Besuchs, den sie in der bewussten Nacht bei ihren Eltern abgestattet, aus ihrem Schlafzimmer abwesend gewesen sei: so stiess Rudolf sie mit Fuessen von sich, riss ein Schwert das an der Wand hing, aus der Scheide, und befahl ihr, in missgeschaffner Leidenschaft tobend, indem er Hunde und Knechte herbeirief, augenblicklich das Haus und die Burg zu verlassen. Littegarde stand bleich wie Kreide, vom Boden auf; sie bat, indem sie seinen Misshandlungen schweigend auswich, ihr wenigstens zur Anordnung der erforderten Abreise die noetige Zeit zu lassen; doch Rudolf antwortete weiter nichts, als, vor Wut schaeumend: hinaus, aus dem Schloss! dergestalt, dass da er auf seine eigne Frau, die ihm mit der Bitte um Schonung und Menschlichkeit, in den Weg trat, nicht hoerte, und Sie, durch einen Stoss mit dem Griff des Schwerts, der ihr das Blut fliessen machte, rasend auf die Seite warf, die unglueckliche Littegarde, mehr tot als lebendig, das Zimmer verliess: sie wankte, von den Blicken der gemeinen Menge umstellt, ueber den Hofraum der Schlosspforte zu, wo Rudolf ihr ein Buendel mit Waesche, wozu er einiges Geld legte, hinausreichen liess, und selbst hinter ihr, unter Fluechen und Verwuenschungen, die Torfluegel verschloss. Dieser ploetzliche Sturz, von der Hoehe eines heiteren und fast ungetruebten Gluecks, in die Tiefe eines unabsehbaren und gaenzlich hilflosen Elends, war mehr als das arme Weib ertragen konnte. Unwissend, wohin sie sich wenden solle, wankte sie, gestuetzt am Gelaender, den Felsenpfad hinab, um sich wenigstens fuer die einbrechende Nacht ein Unterkommen zu verschaffen; doch ehe sie noch den Eingang des Doerfchens, das verstreut im Tale lag, erreicht hatte, sank sie schon ihrer Kraefte beraubt, auf den Fussboden nieder. Sie mochte, allen Erdenleiden entrueckt, wohl eine Stunde so gelegen haben, und voellige Finsternis deckte schon die Gegend, als sie, umringt von mehreren mitleidigen Einwohnern des Orts, erwachte. Denn ein Knabe, der am Felsenabhang spielte, hatte sie daselbst bemerkt, und in dem Hause seiner Eltern von einer so sonderbaren und auffallenden Erscheinung Bericht abgestattet; worauf diese, die von Littegarden mancherlei Wohltaten empfangen hatten, aeusserst bestuerzt sie in einer so trostlosen Lage zu wissen, sogleich aufbrachen, um ihr mit Huelfe, so gut es in ihren Kraeften stand, beizuspringen. Sie erholte sich durch die Bemuehungen dieser Leute gar bald, und gewann auch, bei dem Anblick der Burg, die hinter ihr verschlossen war, ihre Besinnung wieder; sie weigerte sich aber das Anerbieten zweier Weiber, sie wieder auf das Schloss hinauf zu fuehren, anzunehmen, und bat nur um die Gefaelligkeit, ihr sogleich einen Fuehrer herbei zu schaffen, um ihre Wanderung fortzusetzen. Vergebens stellten ihr die Leute vor, dass sie in ihrem Zustande keine Reise antreten koenne; Littegarde bestand unter dem Vorwand, dass ihr Leben in Gefahr sei, darauf, augenblicklich die Grenzen des Burggebiets zu verlassen; ja, sie machte, da sich der Haufen um sie, ohne ihr zu helfen, immer vergroesserte, Anstalten, sich mit Gewalt los zu reissen, und sich allein, trotz der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht, auf den Weg zu begeben; dergestalt dass die Leute notgedrungen, aus Furcht, von der Herrschaft, falls ihr ein Unglueck zustiesse, dafuer in Anspruch genommen zu werden, in ihren Wunsch willigten, und ihr ein Fuhrwerk herbeischafften, das mit ihr, auf die wiederholt an sie gerichtete Frage, wohin sie sich denn eigentlich wenden wolle, nach Basel fuhr. Aber schon vor dem Dorfe aenderte sie, nach einer aufmerksamem Erwaegung der Umstaende, ihren Entschluss, und befahl ihrem Fuehrer umzukehren, und sie nach der, nur wenige Meilen entfernten Trotenburg zu fahren. Denn sie fuehlte wohl, dass sie ohne Beistand, gegen einen solchen Gegner, als der Graf Jakob der Rotbart war, vor dem Gericht zu Basel nichts ausrichten wuerde; und niemand schien ihr des Vertrauens, zur Verteidigung ihrer Ehre aufgerufen zu werden, wuerdiger, als ihr wackerer, ihr in Liebe, wie sie wohl wusste, immer noch ergebener Freund, der treffliche Kaemmerer Herr Friedrich von Trota. Es mochte ohngefaehr Mitternacht sein, und die Lichter im Schlosse schimmerten noch, als sie aeusserst ermuedet von der Reise, mit ihrem Fuhrwerk daselbst ankam. Sie schickte einen Diener des Hauses, der ihr entgegen kam, hinauf, um der Familie ihre Ankunft anmelden zu lassen; doch ehe dieser noch seinen Auftrag vollfuehrt hatte, traten auch schon Fraeulein Bertha und Kunigunde, Herrn Friedrichs Schwestern, vor die Tuer hinaus, die zufaellig, in Geschaeften des Haushalts, im untern Vorsaal waren. Die Freundinnen hoben Littegarden, die ihnen gar wohl bekannt war, unter freudigen Begruessungen vom Wagen, und fuehrten sie, obschon nicht ohne einige Beklemmung, zu ihrem Bruder hinauf, der in Akten, womit ihn ein Prozess ueberschuettete, versenkt, an einem Tische sass. Aber wer beschreibt das Erstaunen Herrn Friedrichs, als er auf das Geraeusch, das sich hinter ihm erhob, sein Antlitz wandte, und Frau Littegarden, bleich und entstellt, ein wahres Bild der Verzweiflung, vor ihm auf Knieen nieder sinken sah. "Meine teuerste Littegarde!" rief er, indem er aufstand, und sie vom Fussboden erhob: "was ist Euch widerfahren?" Littegarde, nachdem sie sich auf einen Sessel niedergelassen hatte, erzaehlte ihm, was vorgefallen; welch eine verruchte Anzeige der Graf Jakob der Rotbart, um sich von dem Verdacht, wegen Ermordung des Herzogs, zu reinigen, vor dem Gericht zu Basel in Bezug auf sie, vorgebracht habe; wie die Nachricht davon ihrem alten, eben an einer Unpaesslichkeit leidenden Vater augenblicklich den Nervenschlag zugezogen, an welchem er auch, wenige Minuten darauf, in den Armen seiner Soehne verschieden sei; und wie diese in Entruestung darueber rasend, ohne auf das, was sie zu ihrer Verteidigung vorbringen koenne, zu hoeren, sie mit den entsetzlichsten Misshandlungen ueberhaeuft, und zuletzt, gleich einer Verbrecherin, aus dem Hause gejagt hatten. Sie bat Herrn Friedrich, sie unter einer schicklichen Begleitung nach Basel zu befoerdern, und ihr daselbst einen Rechtsgehuelfen anzuweisen, der ihr, bei ihrer Erscheinung vor dem von dem Kaiser eingesetzten Gericht, mit klugem und besonnenen Rat, gegen jene schaendliche Beschuldigung, zur Seite stehen koenne. Sie versicherte, dass ihr aus dem Munde eines Parthers oder Persers, den sie nie mit Augen gesehen, eine solche Behauptung nicht haette unerwarteter kommen koennen, als aus dem Munde des Grafen Jakobs des Rotbarts, indem ihr derselbe seines schlechten Rufs sowohl, als seiner aeusseren Bildung wegen, immer in der tiefsten Seele verhasst gewesen sei, und sie die Artigkeiten, die er sich, bei den Festgelagen des vergangenen Sommers, zuweilen die Freiheit genommen ihr zu sagen, stets mit der groessten Kaelte und Verachtung abgewiesen habe. "Genug, meine teuerste Littegarde!" rief Herr Friedrich, indem er mit edlem Eifer ihre Hand nahm, und an seine Lippen drueckte: "verliert kein Wort zur Verteidigung und Rechtfertigung Eurer Unschuld! In meiner Brust spricht eine Stimme fuer Euch, weit lebhafter und ueberzeugender, als alle Versicherungen, ja selbst als alle Rechtsgruende und Beweise, die Ihr vielleicht aus der Verbindung der Umstaende und Begebenheiten, vor dem Gericht zu Basel fuer Euch aufzubringen vermoegt. Nehmt mich, weil Eure ungerechten und ungrossmuetigen Brueder Euch verlassen, als Euren Freund und Bruder an, und goennt mir den Ruhm, Euer Anwalt in dieser Sache zu sein; ich will den Glanz Eurer Ehre vor dem Gericht zu Basel und vor dem Urteil der ganzen Welt wiederherstellen!" Damit fuehrte er Littegarden, deren Traenen vor Dankbarkeit und Ruehrung, bei so edelmuetigen Aeusserungen heftig flossen, zu Frau Helenen, seiner Mutter hinauf, die sich bereits in ihr Schlafzimmer zurueckgezogen hatte; er stellte sie dieser wuerdigen alten Dame, die ihr mit besonderer Liebe zugetan war, als eine Gastfreundin vor, die sich, wegen eines Zwistes, der in ihrer Familie ausgebrochen, entschlossen habe, ihren Aufenthalt waehrend einiger Zeit auf seiner Burg zu nehmen; man raeumte ihr noch in derselben Nacht einen ganzen Fluegel des weitlaeufigen Schlosses ein, erfuellte, aus dem Vorrat der Schwestern, die Schraenke, die sich darin befanden, reichlich mit Kleidern und Waesche fuer sie, wies ihr auch, ganz ihrem Range gemaess, eine anstaendige ja praechtige Dienerschaft an: und schon am dritten Tage befand sich Herr Friedrich von Trota, ohne sich ueber die Art und Weise, wie er seinen Beweis vor Gericht zu fuehren gedachte, auszulassen, mit einem zahlreichen Gefolge von Reisigen und Knappen auf der Strasse nach Basel. Inzwischen war, von den Herren von Breda, Littegardens Bruedern, ein Schreiben, den auf der Burg statt gehabten Vorfall anbetreffend, bei dem Gericht zu Basel eingelaufen, worin sie das arme Weib, sei es nun, dass sie dieselbe wirklich fuer schuldig hielten, oder dass sie sonst Gruende haben mochten, sie zu verderben, ganz und gar, als eine ueberwiesene Verbrecherin, der Verfolgung der Gesetze preis gaben. Wenigstens nannten sie die Verstossung derselben aus der Burg, unedelmuetiger und unwahrhaftiger Weise, eine freiwillige Entweichung; sie beschrieben, wie sie sogleich, ohne irgend etwas zur Verteidigung ihrer Unschuld aufbringen zu koennen, auf einige entruestete Aeusserungen, die ihnen entfahren waeren, das Schloss verlassen habe; und waren, bei der Vergeblichkeit aller Nachforschungen, die sie beteuerten, ihrethalb angestellt zu haben, der Meinung, dass sie jetzt wahrscheinlich, an der Seite eines dritten Abenteurers, in der Welt umirre, um das Mass ihrer Schande zu erfuellen. Dabei trugen sie, zur Ehrenrettung der durch sie beleidigten Familie, darauf an, ihren Namen aus der Geschlechtstafel des Bredaschen Hauses auszustreichen, und begehrten, unter weitlaeufigen Rechtsdeduktionen, sie, zur Strafe wegen so unerhoerter Vergehungen, aller Ansprueche auf die Verlassenschaft des edlen Vaters, den ihre Schande ins Grab gestuerzt, fuer verlustig zu erklaeren. Nun waren die Richter zu Basel zwar weit entfernt, diesem Antrag, der ohnehin gar nicht vor ihr Forum gehoerte, zu willfahren; da inzwischen der Graf Jakob, beim Empfang dieser Nachricht, von seiner Teilnahme an dem Schicksal Littegardens die unzweideutigsten und entscheidendsten Beweise gab, und heimlich, wie man erfuhr, Reuter ausschickte, um sie aufzusuchen und ihr einen Aufenthalt auf seiner Burg anzubieten: so setzte das Gericht in die Wahrhaftigkeit seiner Aussage keinen Zweifel mehr, und beschloss die Klage die wegen Ermordung des Herzogs ueber ihn schwebte, sofort aufzuheben. Ja, diese Teilnahme, die er der Ungluecklichen in diesem Augenblick der Not schenkte, wirkte selbst hoechst vorteilhaft auf die Meinung des in seinem Wohlwollen fuer ihn sehr wankenden Volks; man entschuldigte jetzt, was man frueherhin schwer gemissbilligt hatte, die Preisgebung einer ihm in Liebe ergebenen Frau, vor der Verachtung aller Welt, und fand, dass ihm unter so ausserordentlichen und ungeheuren Umstaenden, da es ihm nichts Geringeres, als Leben und Ehre galt, nichts uebrig geblieben sei, als ruecksichtslose Aufdeckung des Abenteuers, das sich in der Nacht des heiligen Remigius zugetragen hatte. Demnach ward, auf ausdruecklichen Befehl des Kaisers, der Graf Jakob der Rotbart von neuem vor Gericht geladen, um feierlich, bei offnen Tueren, von dem Verdacht, zur Ermordung des Herzogs mitgewirkt zu haben, freigesprochen zu werden. Eben hatte der Herold, unter den Hallen des weitlaeufigen Gerichtssaals, das Schreiben der Herren von Breda abgelesen, und das Gericht machte sich bereit, dem Schluss des Kaisers gemaess, in Bezug auf den ihm zur Seite stehenden Angeklagten, zu einer foermlichen Ehrenerklaerung zu schreiten: als Herr Friedrich von Trota vor die Schranken trat, und sich, auf das allgemeine Recht jedes unparteiischen Zuschauers gestuetzt, den Brief auf einen Augenblick zur Durchsicht ausbat. Man willigte, waehrend die Augen alles Volks auf ihn gerichtet waren, in seinen Wunsch; aber kaum hatte Herr Friedrich aus den Haenden des Herolds das Schreiben erhalten, als er es, nach einem fluechtig hinein geworfenen Blick, von oben bis unten zerriss, und die Stuecken, samt seinem Handschuh, die er zusammen wickelte, mit der Erklaerung dem Grafen Jakob dem Rotbart ins Gesicht warf: dass er ein schaendlicher und niedertraechtiger Verleumder, und er entschlossen sei, die Schuldlosigkeit Frau Littegardens an dem Frevel, den er ihr vorgeworfen, auf Tod und Leben, vor aller Welt, im Gottesurteil zu beweisen!--Graf Jakob der Rotbart, nachdem er, blass im Gesicht, den Handschuh aufgenommen, sagte: "so gewiss als Gott gerecht, im Urteil der Waffen, entscheidet, so gewiss werde ich dir die Wahrhaftigkeit dessen, was ich, Frau Littegarden betreffend, notgedrungen verlautbart, im ehrlichen ritterlichen Zweikampf beweisen! Erstattet, edle Herren", sprach er, indem er sich zu den Richtern wandte, "kaiserlicher Majestaet Bericht von dem Einspruch, welchen Herr Friedrich getan, und ersucht sie, uns Stunde und Ort zu bestimmen, wo wir uns, mit dem Schwert in der Hand, zur Entscheidung dieser Streitsache begegnen koennen!" Dem gemaess schickten die Richter, unter Aufhebung der Session, eine Deputation, mit dem Bericht ueber diesen Vorfall an den Kaiser ab; und da dieser durch das Auftreten Herrn Friedrichs, als Verteidiger Littegardens, nicht wenig in seinem Glauben an die Unschuld des Grafen irre geworden war: so rief er, wie es die Ehrengesetze erforderten, Frau Littegarden, zur Beiwohnung des Zweikampfs, nach Basel, und setzte zur Aufklaerung des sonderbaren Geheimnisses, das ueber dieser Sache schwebte, den Tag der heiligen Margarethe als die Zeit, und den Schlossplatz zu Basel als den Ort an, wo beide, Herr Friedrich von Trota und der Graf Jakob der Rotbart, in Gegenwart Frau Littegardens einander treffen sollten. Eben ging, diesem Schluss gemaess, die Mittagssonne des Margarethentages ueber die Tuerme der Stadt Basel, und eine unermessliche Menschenmenge, fuer welche man Baenke und Gerueste zusammen gezimmert hatte, war auf dem Schlossplatz versammelt, als auf den dreifachen Ruf des vor dem Altan der Kampfrichter stehenden Herolds, beide, von Kopf zu Fuss in schimmerndes Erz geruestet, Herr Friedrich und der Graf Jakob, zur Ausfechtung ihrer Sache, in die Schranken traten. Fast die ganze Ritterschaft von Schwaben und der Schweiz war auf der Rampe des im Hintergrund befindlichen Schlosses gegenwaertig; und auf dem Balkon desselben sass, von seinem Hofgesinde umgeben, der Kaiser selbst, nebst seiner Gemahlin, und den Prinzen und Prinzessinnen, seinen Soehnen und Toechtern. Kurz vor Beginn des Kampfes, waehrend die Richter Licht und Schatten zwischen den Kaempfern teilten, traten Frau Helena und ihre beiden Toechter Bertha und Kunigunde, welche Littegarden nach Basel begleitet hatten, noch einmal an die Pforten des Platzes, und baten die Waechter, die daselbst standen, um die Erlaubnis, eintreten, und mit Frau Littegarden, welche, einem uralten Gebrauch gemaess, auf einem Geruest innerhalb der Schranken sass, ein Wort sprechen zu duerfen. Denn obschon der Lebenswandel dieser Dame die vollkommenste Achtung und ein ganz uneingeschraenktes Vertrauen in die Wahrhaftigkeit ihrer Versicherungen zu erfordern schien, so stuerzte doch der Ring, den der Graf Jakob aufzuweisen hatte, und noch mehr der Umstand, dass Littegarde ihre Kammerzofe, die einzige, die ihr haette zum Zeugnis dienen koennen, in der Nacht des heiligen Remigius beurlaubt hatte, ihre Gemueter in die lebhafteste Besorgnis; sie beschlossen die Sicherheit des Bewusstseins, das der Angeklagten inwohnte, im Drang dieses entscheidenden Augenblicks, noch einmal zu pruefen, und ihr die Vergeblichkeit, ja Gotteslaesterlichkeit des Unternehmens, falls wirklich eine Schuld ihre Seele drueckte, auseinander zu setzen, sich durch den heiligen Ausspruch der Waffen, der die Wahrheit unfehlbar ans Licht bringen wuerde, davon reinigen zu wollen. Und in der Tat hatte Littegarde alle Ursache, den Schritt, den Herr Friedrich jetzt fuer sie tat, wohl zu ueberlegen; der Scheiterhaufen wartete ihrer sowohl, als ihres Freundes, des Ritters von Trota, falls Gott sich im eisernen Urteil nicht fuer ihn, sondern fuer den Grafen Jakob den Rotbart, und fuer die Wahrheit der Aussage entschied, die derselbe vor Gericht gegen sie abgeleistet hatte. Frau Littegarde, als sie Herrn Friedrichs Mutter und Schwestern zur Seite eintreten sah, stand, mit dem ihr eigenen Ausdruck von Wuerde, der durch den Schmerz, welcher ueber ihr Wesen verbreitet war, noch ruehrender ward, von ihrem Sessel auf, und fragte sie, indem sie ihnen entgegen ging: was sie in einem so verhaengnisvollen Augenblick zu ihr fuehre? "Mein liebes Toechterchen", sprach Frau Helena, indem sie dieselbe auf die Seite fuehrte: "wollt Ihr einer Mutter, die keinen Trost im oeden Alter, als den Besitz ihres Sohnes hat, den Kummer ersparen, ihn an seinem Grabe beweinen zu muessen; Euch, ehe noch der Zweikampf beginnt, reichlich beschenkt und ausgestattet, auf einen Wagen setzen, und eins von unsern Guetern, das jenseits des Rheins liegt, und Euch anstaendig und freundlich empfangen wird, von uns zum Geschenk annehmen?" Littegarde, nachdem sie ihr, mit einer Blaesse, die ihr ueber das Antlitz flog, einen Augenblick starr ins Gesicht gesehen hatte, bog, sobald sie die Bedeutung dieser Worte in ihrem ganzen Umfang verstanden hatte, ein Knie vor ihr. Verehrungswuerdigste und vortreffliche Frau! sprach sie; kommt die Besorgnis, dass Gott sich, in dieser entscheidenden Stunde, gegen die Unschuld meiner Brust erklaeren werde, aus dem Herzen Eures edlen Sohnes?--"Weshalb?" fragte Frau Helena.--Weil ich ihn in diesem Falle beschwoere das Schwert, das keine vertrauensvolle Hand fuehrt, lieber nicht zu zuecken, und die Schranken, unter welchem schicklichen Vorwand es sei, seinem Gegner zu raeumen: mich aber, ohne dem Gefuehl des Mitleids, von dem ich nichts annehmen kann, ein unzeitiges Gehoer zu geben, meinem Schicksal, das ich in Gottes Hand stelle, zu ueberlassen!--"Nein!" sagte Frau Helena verwirrt; "mein Sohn weiss von nichts! Es wuerde ihm, der vor Gericht sein Wort gegeben hat, Eure Sache zu verfechten, wenig anstehen, Euch jetzt, da die Stunde der Entscheidung schlaegt, einen solchen Antrag zu machen. Im festen Glauben an Eure Unschuld steht er, wie Ihr seht, bereits zum Kampf geruestet, dem Grafen Eurem Gegner gegenueber; es war ein Vorschlag, den wir uns, meine Toechter und ich, in der Bedraengnis des Augenblicks, zur Beruecksichtigung aller Vorteile und Vermeidung alles Ungluecks ausgedacht haben."--Nun, sagte Frau Littegarde, indem sie die Hand der alten Dame, unter einem heissen Kuss, mit ihren Traenen befeuchtete: so lasst ihn sein Wort loesen! Keine Schuld befleckt mein Gewissen; und ginge er ohne Helm und Harnisch in den Kampf, Gott und alle seine Engel beschirmen ihn! Und damit stand sie vom Boden auf, und fuehrte Frau Helena und ihre Toechter auf einige, innerhalb des Geruestes befindliche Sitze, die hinter dem, mit roten Tuch beschlagenen Sessel, auf dem sie sich selbst niederliess, aufgestellt waren. Hierauf blies der Herold, auf den Wink des Kaisers, zum Kampf, und beide Ritter, Schild und Schwert in der Hand, gingen auf einander los. Herr Friedrich verwundete gleich auf den ersten Hieb den Grafen; er verletzte ihn mit der Spitze seines, nicht eben langen Schwertes da, wo zwischen Arm und Hand die Gelenke der Ruestung in einander griffen; aber der Graf, der, durch die Empfindung geschreckt, zuruecksprang, und die Wunde untersuchte, fand, dass, obschon das Blut heftig floss, doch nur die Haut obenhin geritzt war: dergestalt, dass er auf das Murren der auf den Rampe befindlichen Ritter, ueber die Unschicklichkeit dieser Auffuehrung, wieder vordrang, und den Kampf, mit erneuerten Kraeften, einem voellig Gesunden gleich, wieder fortsetzte. Jetzt wogte zwischen beiden Kaempfern der Streit, wie zwei Sturmwinde einander begegnen, wie zwei Gewitterwolken, ihre Blitze einander zusendend, sich treffen, und, ohne sich zu vermischen, unter dem Gekrach haeufiger Donner, getuermt um einander herumschweben. Herr Friedrich stand, Schild und Schwert vorstreckend, auf dem Boden, als ob er darin Wurzel fassen wollte, da; bis an die Sporen grub er sich, bis an die Knoechel und Waden, in dem, von seinem Pflaster befreiten, absichtlich aufgelockerten, Erdreich ein, die tueckischen Stoesse des Grafen, der, klein und behend, gleichsam von allen Seiten zugleich angriff, von seiner Brust und seinem Haupt abwehrend. Schon hatte der Kampf, die Augenblicke der Ruhe, zu welcher Entatmung beide Parteien zwang, mitgerechnet, fast eine Stunde gedauert. als sich von neuem ein Murren unter den auf dem Geruest befindlichen Zuschauern erhob. Es schien, es galt diesmal nicht den Grafen Jakob, der es an Eifer, den Kampf zu Ende zu bringen nicht fehlen liess, sondern Herrn Friedrichs Einpfaehlung auf einem und demselben Fleck, und seine seltsame, im Anschein nach fast eingeschuechterte, wenigstens starrsinnige Enthaltung alles eignen Angriffs. Herr Friedrich, obschon sein Verfahren auf guten Gruenden beruhen mochte, fuehlte dennoch zu leise, als dass er es nicht sogleich gegen die Forderung derer, die in diesem Augenblick ueber seine Ehre entschieden, haette aufopfern sollen; er trat mit einem mutigen Schritt aus dem, sich von Anfang herein gewaehlten Standpunkt, und der Art natuerlicher Verschanzung, die sich um seinen Fusstritt gebildet hatte, hervor, ueber das Haupt seines Gegners, dessen Kraefte schon zu sinken anfingen, mehrere derbe und ungeschwaechte Streiche, die derselbe jedoch unter geschickten Seitenbewegungen mit seinem Schild aufzufangen wusste, danieder schmetternd. Aber schon in den ersten Momenten dieses dergestalt veraenderten Kampfs, hatte Herr Friedrich ein Unglueck, das die Anwesenheit hoeherer, ueber den Kampf waltender Maechte nicht eben anzudeuten schien; er stuerzte, den Fusstritt in seinen Sporen verwickelnd, stolpernd abwaerts, und waehrend er, unter der Last des Helms und des Harnisches, die seine oberen Teile beschwerten, mit in dem Staub vorgestuetzter Hand, in die Kniee sank, stiess ihm Graf Jakob der Rotbart, nicht eben auf die edelmuetigste und ritterlichste Weise, das Schwert in die dadurch blossgegebene Seite. Herr Friedrich sprang, mit einem Laut des augenblicklichen Schmerzes, von der Erde empor. Er drueckte sich zwar den Helm in die Augen, und machte, das Antlitz rasch seinem Gegner wieder zuwendend, Anstalten, den Kampf fortzusetzen: aber waehrend er sich, mit vor Schmerz krummgebeugtem Leibe auf seinen Degen stuetzte, und Dunkelheit seine Augen umfloss: stiess ihm der Graf seinen Flammberg noch zweimal, dicht unter dem Herzen, in die Brust; worauf er, von seiner Ruestung umrasselt, zu Boden schmetterte, und Schwert und Schild neben sich niederfallen liess. Der Graf setzte ihm, nachdem er die Waffen ueber die Seite geschleudert, unter einem dreifachen Tusch der Trompeten, den Fuss auf die Brust; und inzwischen alle Zuschauer, der Kaiser selbst an der Spitze, unter dumpfen Ausrufungen des Schreckens und Mitleidens, von ihren Sitzen aufstanden: stuerzte sich Frau Helena, im Gefolge ihrer beiden Toechter, ueber ihren teuern, sich in Staub und Blut waelzenden Sohn. "O mein Friedrich!" rief sie, an seinem Haupt jammernd niederknieend; waehrend Frau Littegarde ohnmaechtig und besinnungslos, durch zwei Haescher, von dem Boden des Geruestes, auf welchen sie herab gesunken war, aufgehoben und in ein Gefaengnis getragen ward. "Und o die Verruchte", setzte sie hinzu, "die Verworfene, die, das Bewusstsein der Schuld im Busen, hierher zu treten, und den Arm des treusten und edelmuetigsten Freundes zu bewaffnen wagt, um ihr ein Gottesurteil, in einem ungerechten Zweikampf zu erstreiten!" Und damit hob sie den geliebten Sohn, inzwischen die Toechter ihn von seinem Harnisch befreiten, wehklagend vom Boden auf, und suchte ihm das Blut, das aus seiner edlen Brust vordrang, zu stillen. Aber Haescher traten auf Befehl des Kaisers herbei, die auch ihn, als einen dem Gesetz Verfallenen, in Verwahrsam nahmen; man legte ihn, unter Beihuelfe einiger Aerzte, auf eine Bahre, und trug ihn, unter der Begleitung einer grossen Volksmenge gleichfalls in ein Gefaengnis, wohin Frau Helena jedoch und ihre Toechter, die Erlaubnis bekamen, ihm, bis an seinen Tod, an dem niemand zweifelte, folgen zu duerfen. Es zeigte sich aber gar bald, dass Herrn Friedrichs Wunden, so lebensgefaehrliche und zarte Teile sie auch beruehrten, durch eine besondere Fuegung des Himmels nicht toedlich waren; vielmehr konnten die Aerzte, die man ihm zugeordnet hatte, schon wenige Tage darauf die bestimmte Versicherung an die Familie geben, dass er am Leben erhalten werden wuerde, ja, dass er, bei der Staerke seiner Natur, binnen wenigen Wochen, ohne irgend eine Verstuemmlung an seinem Koerper zu erleiden, wieder hergestellt sein wuerde. Sobald ihm seine Besinnung, deren ihn der Schmerz waehrend langer Zeit beraubte, wiederkehrte, war seine an die Mutter gerichtete Frage unaufhoerlich: was Frau Littegarde mache? Er konnte sich der Traenen nicht enthalten, wenn er sich dieselbe in der Oede des Gefaengnisses, der entsetzlichsten Verzweiflung zum Raube hingegeben dachte, und forderte die Schwestern, indem er ihnen liebkosend das Kinn streichelte, auf, sie zu besuchen und sie zu troesten. Frau Helena, ueber diese Aeusserung betroffen, bat ihn, diese Schaendliche und Niedertraechtige zu vergessen; sie meinte, dass das Verbrechen, dessen der Graf Jakob vor Gericht Erwaehnung getan, und das nun durch den Ausgang des Zweikampfs ans Tageslicht gekommen, verziehen werden koenne, nicht aber die Schamlosigkeit und Frechheit, mit dem Bewusstsein dieser Schuld, ohne Ruecksicht auf den edelsten Freund, den sie dadurch ins Verderben stuerze, das geheiligte Urteil Gottes, gleich einer Unschuldigen, fuer sich aufzurufen. Ach, meine Mutter, sprach der Kaemmerer, wo ist der Sterbliche, und waere die Weisheit aller Zeiten sein, der es wagen darf, den geheimnisvollen Spruch, den Gott in diesem Zweikampf getan hat, auszulegen? "Wie?" rief Frau Helena: "blieb der Sinn dieses goettlichen Spruchs dir dunkel? Hast du nicht, auf eine nur leider zu bestimmte und unzweideutige Weise, dem Schwert deines Gegners im Kampf unterlegen?"--Sei es! versetzte Herr Friedrich: auf einen Augenblick unterlag ich ihm. Aber ward ich durch den Grafen ueberwunden? Leb ich nicht? Bluehe ich nicht, wie unter dem Hauch des Himmels, wunderbar wieder empor, vielleicht in wenig Tagen schon mit der Kraft doppelt und dreifach ausgeruestet, den Kampf, in dem ich durch einen nichtigen Zufall gestoert ward, von neuem wieder aufzunehmen?--"Toerichter Mensch!" rief die Mutter. "Und weisst du nicht, dass ein Gesetz besteht, nach welchem ein Kampf, der einmal nach dem Ausspruch der Kampfrichter abgeschlossen ist, nicht wieder zur Ausfechtung derselben Sache vor den Schranken des goettlichen Gerichts aufgenommen werden darf?" Gleichviel! versetzte der Kaemmerer unwillig. Was kuemmern mich diese willkuerlichen Gesetze der Menschen? Kann ein Kampf, der nicht bis an den Tod eines der beiden Kaempfer fortgefuehrt worden ist, nach jeder vernuenftigen Schaetzung der Verhaeltnisse fuer abgeschlossen gehalten werden? und duerfte ich nicht, falls mir ihn wieder aufzunehmen gestattet waere, hoffen, den Unfall, der mich betroffen, wieder herzustellen, und mir mit dem Schwert einen ganz andern Spruch Gottes zu erkaempfen, als den, der jetzt beschraenkter und kurzsichtiger Weise dafuer angenommen wird? "Gleichwohl", entgegnete die Mutter bedenklich, "sind diese Gesetze, um welche du dich nicht zu bekuemmern vorgibst, die waltenden und herrschenden; sie ueben, verstaendig oder nicht, die Kraft goettlicher Satzungen aus, und ueberliefern dich und sie, wie ein verabscheuungswuerdiges Frevelpaar, der ganzen Strenge der peinlichen Gerichtsbarkeit."--Ach, rief Herr Friedrich; das eben ist es, was mich Jammervollen in Verzweiflung stuerzt! Der Stab ist, einer Ueberwiesenen gleich, ueber sie gebrochen; und ich, der ihre Tugend und Unschuld vor der Welt erweisen wollte, bin es, der dies Elend ueber sie gebracht: ein heilloser Fehltritt in die Riemen meiner Sporen, durch den Gott mich vielleicht, ganz unabhaengig von ihrer Sache, der Suenden meiner eignen Brust wegen, strafen wollte, gibt ihre bluehenden Glieder der Flamme und ihr Andenken ewiger Schande preis!--Bei diesen Worten stieg ihm die Traene heissen maennlichen Schmerzes ins Auge; er kehrte sich, indem er ein Tuch ergriff, der Wand zu, und Frau Helena und ihre Toechter knieten in stiller Ruehrung an seinem Bett nieder, und mischten, indem sie seine Hand kuessten, ihre Traenen mit den seinigen. Inzwischen war der Turmwaechter, mit Speisen fuer ihn und die Seinigen, in sein Zimmer getreten, und da Herr Friedrich ihn fragte, wie sich Frau Littegarde befinde: vernahm er in abgerissenen und nachlaessigen Worten desselben, dass sie auf einem Buendel Stroh liege, und noch seit dem Tage, da sie eingesetzt worden, kein Wort von sich gegeben habe. Herr Friedrich ward durch diese Nachricht in die aeusserste Besorgnis gestuerzt; er trug ihm auf, der Dame, zu ihrer Beruhigung zu sagen, dass er, durch eine sonderbare Schickung des Himmels, in seiner voelligen Besserung begriffen sei, und bat sich von ihr die Erlaubnis aus, sie nach Wiederherstellung seiner Gesundheit, mit Genehmigung des Schlossvogts, einmal in ihrem Gefaengnis besuchen zu duerfen. Doch die Antwort, die der Turmwaechter von ihr, nach mehrmaligem Ruetteln derselben am Arm, da sie wie eine Wahnsinnige, ohne zu hoeren und zu sehen, auf dem Stroh lag, empfangen zu haben, vorgab, war: nein, sie wolle, so lange sie auf Erden sei, keinen Menschen mehr sehen;--ja, man erfuhr, dass sie noch an demselben Tage dem Schlossvogt, in einer eigenhaendigen Zuschrift, befohlen hatte, niemanden, wer es auch sei, den Kaemmerer von Trota aber am allerwenigsten, zu ihr zu lassen; dergestalt, dass Herr Friedrich, von der heftigsten Bekuemmernis ueber ihren Zustand getrieben, an einem Tage, an welchem er seine Kraft besonders lebhaft wiederkehren fuehlte, mit Erlaubnis des Schlossvogts aufbrach, und sich, ihrer Verzeihung gewiss, ohne bei ihr angemeldet worden zu sein, in Begleitung seiner Mutter und beiden Schwestern, nach ihrem Zimmer verfuegte. Aber wer beschreibt das Entsetzen der ungluecklichen Littegarde, als sie sich, bei dem an der Tuer entstehenden Geraeusch, mit halb offner Brust und aufgeloestem Haar, von dem Stroh, das ihr untergeschuettet war, erhob und statt des Turmwaechters, den sie erwartete, den Kaemmerer, ihren edlen und vortrefflichen Freund, mit manchen Spuren der ausgestandenen Leiden, eine wehmuetige und ruehrende Erscheinung, an Berthas und Kunigundens Arm bei sich eintreten sah. "Hinweg!" rief sie, indem sie sich mit dem Ausdruck der Verzweiflung rueckwaerts auf die Decken ihres Lagers zurueckwarf, und die Haende vor ihr Antlitz drueckte: "wenn dir ein Funken von Mitleid im Busen glimmt, hinweg! "--Wie, meine teuerste Littegarde? versetzte Herr Friedrich. Er stellte sich ihr, gestuetzt auf seine Mutter, zur Seite und neigte sich in unaussprechlicher Ruehrung ueber sie, um ihre Hand zu ergreifen. "Hinweg!" rief sie, mehrere Schritt weit auf Knien vor ihm auf dem Stroh zurueckbebend: "wenn ich nicht wahnsinnig werden soll, so beruehre mich nicht! Du bist mir ein Greuel; loderndes Feuer ist mir minder schrecklich, als du!"--Ich dir ein Greuel? versetzte Herr Friedrich betroffen. Womit, meine edelmuetige Littegarde, hat dein Friedrich diesen Empfang verdient?--Bei diesen Worten setzte ihm Kunigunde, auf den Wink der Mutter, einen Stuhl hin, und lud ihn, schwach wie er war, ein, sich darauf zu setzen. "O Jesus!" rief jene, indem sie sich, in der entsetzlichsten Angst, das Antlitz ganz auf den Boden gestreckt, vor ihm niederwarf: "raeume das Zimmer, mein Geliebter, und verlass mich! Ich umfasse in heisser Inbrunst deine Kniee, ich wasche deine Fuesse mit meinen Traenen, ich flehe dich, wie ein Wurm vor dir im Staube gekruemmt, um die einzige Erbarmung an: raeume, mein Herr und Gebieter, raeume mir das Zimmer, raeume es augenblicklich und verlass mich!"--Herr Friedrich stand durch und durch erschuettert vor ihr da. Ist dir mein Anblick so unerfreulich Littegarde? fragte er, indem er ernst auf sie niederschaute. "Entsetzlich, unertraeglich, vernichtend!" antwortete Littegarde, ihr Gesicht mit verzweiflungsvoll vorgestuetzten Haenden, ganz zwischen die Sohlen seiner Fuess bergend. "Die Hoelle, mit allen Schauern und Schrecknissen, ist suesser mir und anzuschauen lieblicher, als der Fruehling deines mir in Huld und Liebe zugekehrten Angesichts!"--Gott im Himmel! rief der Kaemmerer; was soll ich von dieser Zerknirschung deiner Seele denken? Sprach das Gottesurteil, Unglueckliche, die Wahrheit, und bist du des Verbrechens, dessen dich der Graf vor Gericht geziehen hat, bist du dessen schuldig?--"Schuldig, ueberwiesen, verworfen, in Zeitlichkeit und Ewigkeit verdammt und verurteilt!" rief Littegarde, indem sie sich den Busen, wie eine Rasende zerschlug: "Gott ist wahrhaftig und untrueglich; geh, meine Sinne reissen, und meine Kraft bricht. Lass mich mit meinem Jammer und meiner Verzweiflung allein!"--Bei diesen Worten fiel Herr Friedrich in Ohnmacht; und waehrend Littegarde sich mit einem Schleier das Haupt verhuellte, und sich, wie in gaenzlicher Verabschiedung von der Welt, auf ihr Lager zuruecklegte, stuerzten Bertha und Kunigunde jammernd ueber ihren entseelten Bruder, um ihn wieder ins Leben zurueck zu rufen. "O sei verflucht!" rief Frau Helena, da der Kaemmerer wieder die Augen aufschlug: "verflucht zu ewiger Reue diesseits des Grabes, und jenseits desselben zu ewiger Verdammnis: nicht wegen der Schuld, die du jetzt eingestehst, sondern wegen der Unbarmherzigkeit und Unmenschlichkeit, sie eher nicht, als bis du meinen schuldlosen Sohn mit dir ins Verderben herabgerissen, einzugestehn! Ich Toerin!" fuhr sie fort, indem sie sich verachtungsvoll von ihr abwandte, "haette ich doch einem Wort, das mir, noch kurz vor Eroeffnung des Gottesgerichts, der Prior des hiesigen Augustinerklosters anvertraut, bei dem der Graf, in frommer Vorbereitung zu der entscheidenden Stunde, die ihm bevorstand, zur Beichte gewesen, Glauben geschenkt! ihm hat er, auf die heilige Hostie, die Wahrhaftigkeit der Angabe, die er vor Gericht in Bezug auf die Elende, niedergelegt, beschworen; die Gartenpforte hat er ihm bezeichnet, an welcher sie ihn, der Verabredung gemaess, beim Einbruch der Nacht erwartet und empfangen, das Zimmer ihm, ein Seitengemach des unbewohnten Schlossturms, beschrieben, worin sie ihn, von den Waechtern unbemerkt, eingefuehrt, das Lager, von Polstern bequem und praechtig unter einem Thronhimmel aufgestapelt, worauf sie sich, in schamloser Schwelgerei, heimlich mit ihm gebettet! Ein Eidschwur in einer solchen Stunde getan, enthaelt keine Luege: und haette ich, Verblendete, meinem Sohn, auch nur noch in dem Augenblick des ausbrechenden Zweikampfs, eine Anzeige davon gemacht: so wuerde ich ihm die Augen geoeffnet haben, und er vor dem Abgrund an welchem er stand, zurueckgebebt sein.--Aber komm!" rief Frau Helena, indem sie Herrn Friedrich sanft umschloss, und ihm einen Kuss auf die Stirne drueckte: "Entruestung, die sie der Worte wuerdigt, ehrt sie; unsern Ruecken mag sie erschaun, und vernichtet durch die Vorwuerfe, womit wir sie verschonen, verzweifeln!"--Der Elende! versetzte Littegarde, indem sie sich gereizt durch diese Worte emporrichtete. Sie stuetzte ihr Haupt schmerzvoll auf ihre Kniee, und indem sie heisse Traenen auf ihr Tuch niederweinte, sprach sie: Ich erinnere mich, dass meine Brueder und ich, drei Tage vor jener Nacht des heiligen Remigius, auf seinem Schlosse waren; er hatte, wie er oft zu tun pflegte, ein Fest mir zu Ehren veranstaltet, und mein Vater, der den Reiz meiner aufbluehenden Jugend gern gefeiert sah, mich bewogen, die Einladung, in Begleitung meiner Brueder, anzunehmen. Spaet, nach Beendigung des Tanzes, da ich mein Schlafzimmer besteige, finde ich einen Zettel auf meinem Tisch liegen, der, von unbekannter Hand geschrieben und ohne Namensunterschrift, eine foermliche Liebeserklaerung enthielt. Es traf sich, dass meine beiden Brueder grade wegen Verabredung unserer Abreise, die auf den kommenden Tag festgesetzt war, in dem Zimmer gegenwaertig waren; und da ich keine Art des Geheimnisses vor ihnen zu haben gewohnt war, so zeigte ich ihnen, von sprachlosem Erstaunen ergriffen, den sonderbaren Fund, den ich soeben gemacht hatte. Diese, welche sogleich des Grafen Hand erkannten, schaeumten vor Wut, und der aeltere war willens, sich Augenblicks mit dem Papier in sein Gemach zu verfuegen; doch der juengere stellte ihm vor, wie bedenklich dieser Schritt sei, da der Graf die Klugheit gehabt, den Zettel nicht zu unterschreiben; worauf beide in der tiefsten Entwuerdigung ueber eine so beleidigende Auffuehrung, sich noch in derselben Nacht mit mir in den Wagen setzten, und mit dem Entschluss, seine Burg nie wieder mit ihrer Gegenwart zu beehren, auf das Schloss ihres Vaters zurueck kehrten.--Dies ist die einzige Gemeinschaft, setzte sie hinzu, die ich jemals mit diesem Nichtswuerdigen und Niedertraechtigen gehabt! --"Wie?" sagte der Kaemmerer, indem er ihr sein traenenvolles Gesicht zukehrte: "diese Worte waren Musik meinem Ohr!--Wiederhole sie mir!" sprach er nach einer Pause, indem er sich auf Knieen vor ihr niederliess, und seine Haende faltete: "Hast du mich, um jenes Elenden willen, nicht verraten, und bist du rein von der Schuld, deren er dich vor Gericht geziehen?" Lieber! fluesterte Littegarde, indem sie seine Hand an ihre Lippen drueckte--"Bist dus?" rief der Kaemmerer: "bist dus?---- Wie die Brust eines neugebornen Kindes, wie das Gewissen eines aus der Beichte kommenden Menschen, wie die Leiche einer, in der Sakristei, unter der Einkleidung, verschiedenen Nonne! --"O Gott, der Allmaechtige!" rief Herr Friedrich, ihre Kniee umfassend: "habe Dank! Deine Worte geben mir das Leben wieder; der Tod schreckt mich nicht mehr, und die Ewigkeit, soeben noch wie ein Meer unabsehbaren Elends vor mir ausgebreitet, geht wieder, wie ein Reich voll tausend glaenziger Sonnen, vor mir auf!"--Du Ungluecklicher, sagte Littegarde, indem sie sich zurueck zog: wie kannst du dem, was dir mein Mund sagt, Glauben schenken?--"Warum nicht?" fragte Herr Friedrich gluehend.--Wahnsinniger! Rasender! rief Littegarde; hat das geheiligte Urteil Gottes nicht gegen mich entschieden? Hast du dem Grafen nicht in jenem verhaengnisvollen Zweikampf unterlegen, und er nicht die Wahrhaftigkeit dessen, was er vor Gericht gegen mich angebracht, ausgekaempft?--"O meine teuerste Littegarde", rief der Kaemmerer: "bewahre deine Sinne vor Verzweiflung! tuerme das Gefuehl, das in deiner Brust lebt, wie einen Felsen empor: halte dich daran und wanke nicht, und wenn Erd und Himmel unter dir und ueber dir zu Grunde gingen! Lass uns, von zwei Gedanken, die die Sinne verwirren, den verstaendlicheren und begreiflicheren denken, und ehe du dich schuldig glaubst, lieber glauben, dass ich in dem Zweikampf, den ich fuer dich gefochten, siegte!--Gott, Herr meines Lebens", setzte er in diesem Augenblick hinzu, indem er seine Haende vor sein Antlitz legte, "bewahre meine Seele selbst vor Verwirrung! Ich meine, so wahr ich selig werden will, vom Schwert meines Gegners nicht ueberwunden worden zu sein, da ich schon unter den Staub seines Fusstritts hingeworfen, wieder ins Dasein erstanden bin. Wo liegt die Verpflichtung der hoechsten goettlichen Weisheit, die Wahrheit im Augenblick der glaubensvollen Anrufung selbst, anzuzeigen und auszusprechen? O Littegarde", beschloss er, indem er ihre Hand zwischen die seinigen drueckte: "im Leben lass uns auf den Tod, und im Tode auf die Ewigkeit hinaus sehen, und des festen, unerschuetterlichen Glaubens sein: deine Unschuld wird, und wird durch den Zweikampf, den ich fuer dich gefochten, zum heitern, hellen Licht der Sonne gebracht werden!"--Bei diesen Worten trat der Schlossvogt ein; und da er Frau Helena, welche weinend an einem Tisch sass, erinnerte, dass so viele Gemuetsbewegungen ihrem Sohne schaedlich werden koennten: so kehrte Herr Friedrich, auf das Zureden der Seinigen, nicht ohne das Bewusstsein, einigen Trost gegeben und empfangen zu haben, wieder in sein Gefaengnis zurueck. Inzwischen war, vor dem zu Basel von dem Kaiser eingesetzten Tribunal, gegen Herrn Friedrich von Trota sowohl, als seine Freundin, Frau Littegarde von Auerstein, die Klage wegen suendhaft angerufenen goettlichen Schiedsurteils eingeleitet, und beide, dem bestehenden Gesetz gemaess, verurteilt worden, auf dem Platz des Zweikampfs selbst, den schmaehlichen Tod der Flammen zu erleiden. Man schickte eine Deputation von Raeten ab, um es den Gefangenen anzukuendigen, und das Urteil wuerde auch, gleich nach Wiederherstellung des Kaemmerers an ihnen vollstreckt worden sein, wenn es des Kaisers geheime Absicht nicht gewesen waere, den Grafen Jakob den Rotbart, gegen den er eine Art von Misstrauen nicht unterdruecken konnte, dabei gegenwaertig zu sehen. Aber dieser lag, auf eine in der Tat sonderbare und merkwuerdige Weise, an der kleinen, dem Anschein nach unbedeutenden Wunde, die er, zu Anfang des Zweikampfs, von Herrn Friedrich erhalten hatte, noch immer krank; ein aeusserst verderbter Zustand seiner Saefte verhinderte, von Tage zu Tage, und von Woche zu Woche, die Heilung derselben, und die ganze Kunst der Aerzte, die man nach und nach aus Schwaben und der Schweiz herbeirief, vermochte nicht, sie zu schliessen. Ja, ein aetzender der ganzen damaligen Heilkunst unbekannter Eiter, frass auf eine krebsartige Weise, bis auf den Knochen herab im ganzen System seiner Hand um sich, dergestalt, dass man zum Entsetzen aller seiner Freunde genoetigt gewesen war, ihm die ganze schadhafte Hand, und spaeterhin, da auch hierdurch dem Eiterfrass kein Ziel gesetzt ward, den Arm selbst abzunehmen. Aber auch dies, als eine Radikalkur gepriesene Heilmittel vergroesserte nur, wie man heutzutage leicht eingesehen haben wuerde, statt ihm abzuhelfen, das Uebel; und die Aerzte, da sich sein ganzer Koerper nach und nach in Eiterung und Faeulnis aufloeste, erklaerten, dass keine Rettung fuer ihn sei, und er noch, vor Abschluss der laufenden Woche, sterben muesse. Vergebens forderte ihn der Prior des Augustinerklosters, der in dieser unerwarteten Wendung der Dinge die furchtbare Hand Gottes zu erblicken glaubte, auf, im Bezug auf den zwischen ihm und der Herzogin Regentin bestehenden Streit, die Wahrheit einzugestehen; der Graf nahm, durch und durch erschuettert, noch einmal das heilige Sakrament auf die Wahrhaftigkeit seiner Aussage, und gab, unter allen Zeichen der entsetzlichsten Angst, falls er Frau Littegarden verleumderischer Weise angeklagt haette, seine Seele der ewigen Verdammnis preis. Nun hatte man, trotz der Sittenlosigkeit seines Lebenswandels, doppelte Gruende, an die innerliche Redlichkeit dieser Versicherung zu glauben: einmal, weil der Kranke in der Tat von einer gewissen Froemmigkeit war, die einen falschen Eidschwur, in solchem Augenblick getan, nicht zu gestatten schien, und dann, weil sich aus einem Verhoer, das ueber den Turmwaechter des Schlosses derer von Breda angestellt worden war, welchen er, behufs eines heimlichen Eintritts in die Burg, bestochen zu haben vorgegeben hatte, bestimmt ergab, dass dieser Umstand gegruendet, und der Graf wirklich in der Nacht des heiligen Remigius, im Innern des Bredaschen Schlosses gewesen war. Demnach blieb dem Prior fast nichts uebrig, als an eine Taeuschung des Grafen selbst, durch eine dritte ihm unbekannte Person zu glauben; und noch hatte der Unglueckliche, der, bei der Nachricht von der wunderbaren Wiederherstellung des Kaemmerers, selbst auf diesen schrecklichen Gedanken geriet, das Ende seines Lebens nicht erreicht, als sich dieser Glaube schon zu seiner Verzweiflung vollkommen bestaetigte. Man muss naemlich wissen, dass der Graf schon lange, ehe seine Begierde sich auf Frau Littegarden stellte, mit Rosalien, ihrer Kammerzofe, auf einem nichtswuerdigen Fuss lebte; fast bei jedem Besuch, den ihre Herrschaft auf seinem Schlosse abstattete, pflegte er dies Maedchen, welches ein leichtfertiges und sittenloses Geschoepft war, zur Nachtzeit auf sein Zimmer zu ziehen. Da nun Littegarde, bei dem letzten Aufenthalt, den sie mit ihren Bruedern auf seiner Burg nahm, jenen zaertlichen Brief, worin er ihr seine Leidenschaft erklaerte, von ihm empfing: so erweckte dies die Empfindlichkeit und Eifersucht dieses seit mehreren Monden schon von ihm vernachlaessigten Maedchens; sie liess, bei der bald darauf erfolgten Abreise Littegardens, welche sie begleiten musste, im Namen derselben einen Zettel an den Grafen zurueck, worin sie ihm meldete, dass die Entruestung ihrer Brueder ueber den Schritt, den er getan, ihr zwar keine unmittelbare Zusammenkunft gestattete: ihn aber einlud, sie zu diesem Zweck, in der Nacht des heiligen Remigius, in den Gemaechern ihrer vaeterlichen Burg zu besuchen. Jener, voll Freude ueber das Glueck seiner Unternehmung, fertigte sogleich einen zweiten Brief an Littegarden ab, worin er ihr seine bestimmte Ankunft in der gesagten Nacht meldete, und sie nur bat, ihm, zur Vermeidung aller Irrung, einen treuen Fuehrer, der ihn nach ihren Zimmern geleiten koenne, entgegen zu schicken; und da die Zofe, in jeder Art der Raenke geuebt, auf eine solche Anzeige rechnete, so glueckte es ihr, dies Schreiben aufzufangen, und ihm in einer zweiten falschen Antwort zu sagen, dass sie ihn selbst an der Gartenpforte erwarten wuerde. Darauf, am Abend vor der verabredeten Nacht, bat sie sich unter dem Vorwand, dass ihre Schwester krank sei, und dass sie dieselbe besuchen wolle, von Littegarden einen Urlaub aufs Land aus; sie verliess auch, da sie denselben erhielt, wirklich, spaet am Nachmittag, mit einem Buendel Waesche den sie unter dem Arm trug, das Schloss, und begab sich, vor aller Augen nach der Gegend, wo jene Frau wohnte, auf den Weg. Statt aber diese Reise zu vollenden, fand sie sich bei Einbruch der Nacht, unter dem Vorgeben, dass ein Gewitter heranziehe, wieder auf der Burg ein, und mittelte sich, um ihre Herrschaft, wie sie sagte, nicht zu stoeren, indem es ihre Absicht sei in der Fruehe des kommenden Morgens ihre Wanderung anzutreten, ein Nachtlager in einem der leerstehenden Zimmer des veroedeten und wenig besuchten Schlossturms aus. Der Graf, der sich bei dem Turmwaechter durch Geld den Eingang in die Burg zu verschaffen wusste, und in der Stunde der Mitternacht, der Verabredung gemaess, von einer verschleierten Person an der Gartenpforte empfangen ward, ahndete, wie man leicht begreift, nichts von dem ihm gespielten Betrug; das Maedchen drueckte ihm fluechtig einen Kuss auf den Mund, und fuehrte ihn, ueber mehrere Treppen und Gaenge des veroedeten Seitenfluegels, in eines der praechtigsten Gemaecher des Schlosses selbst, dessen Fenster vorher sorgsam von ihr verschlossen worden waren. Hier, nachdem sie seine Hand haltend, auf geheimnisvolle Weise an den Tueren umhergehorcht, und ihm, mit fluesternder Stimme, unter dem Vorgeben, dass das Schlafzimmer des Bruders ganz in der Naehe sei, Schweigen geboten hatte, liess sie sich mit ihm auf dem zur Seite stehenden Ruhebette nieder; der Graf, durch ihre Gestalt und Bildung getaeuscht, schwamm im Taumel des Vergnuegens, in seinem Alter noch eine solche Eroberung gemacht zu haben; und als sie ihn beim ersten Daemmerlicht des Morgens entliess, und ihm zum Andenken an die verflossene Nacht einen Ring, den Littegarde von ihrem Gemahl empfangen und den sie ihr am Abend zuvor zu diesem Zweck entwendet hatte, an den Finger steckte, versprach er ihr, sobald er zu Hause angelangt sein wuerde, zum Gegengeschenk einen anderen, der ihm am Hochzeitstage von seiner verstorbenen Gemahlin verehrt worden war. Drei Tage darauf hielt er auch Wort, und schickte diesen Ring, den Rosalie wieder geschickt genug war aufzufangen, heimlich auf die Burg; liess aber, wahrscheinlich aus Furcht, dass dies Abenteuer ihn zu weit fuehren koenne, weiter nichts von sich hoeren, und wich, unter mancherlei Vorwaenden, einer zweiten Zusammenkunft aus. Spaeterhin war das Maedchen eines Diebstahls wegen, wovon der Verdacht mit ziemlicher Gewissheit auf ihr ruhte, verabschiedet und in das Haus ihrer Eltern, welche am Rhein wohnten, zurueckgeschickt worden, und da, nach Verlauf von neun Monaten, die Folgen ihres ausschweifenden Lebens sichtbar wurden, und die Mutter sie mit grosser Strenge verhoerte, gab sie den Grafen Jakob den Rotbart, unter Entdeckung der ganzen geheimen Geschichte, die sie mit ihm gespielt hatte, als den Vater ihres Kindes an. Gluecklicherweise hatte sie den Ring, der ihr von dem Grafen uebersendet worden war, aus Furcht, fuer eine Diebin gehalten zu werden, nur sehr schuechtern zum Verkauf ausbieten koennen, auch in der Tat, seines grossen Werts wegen, niemand gefunden, der ihn zu erstehen Lust gezeigt haette: dergestalt, dass die Wahrhaftigkeit ihrer Aussage nicht in Zweifel gezogen werden konnte, und die Eltern, auf dies augenscheinliche Zeugnis gestuetzt, klagbar, wegen Unterhaltung des Kindes, bei den Gerichten gegen den Grafen Jakob einkamen. Die Gerichte, welche von dem sonderbaren Rechtsstreit, der in Basel anhaengig gemacht worden war, schon gehoert hatten, beeilten sich, diese Entdeckung, die fuer den Ausgang desselben von der groessten Wichtigkeit war, zur Kenntnis des Tribunals zu bringen; und da eben ein Ratsherr in oeffentlichen Geschaeften nach dieser Stadt abging, so gaben sie ihm, zur Aufloesung des fuerchterlichen Raetsels, das ganz Schwaben und die Schweiz beschaeftigte, einen Brief mit der gerichtlichen Aussage des Maedchens, dem sie den Ring beifuegten, fuer den Grafen Jakob den Rotbart mit. Es war eben an dem zur Hinrichtung Herrn Friedrichs und Littegardens bestimmten Tage, welche der Kaiser, unbekannt mit den Zweifeln, die sich in der Brust des Grafen selbst erhoben hatten, nicht mehr aufschieben zu duerfen glaubte, als der Ratsherr zu dem Kranken, der sich in jammervoller Verzweiflung auf seinem Lager waelzte, mit diesem Schreiben ins Zimmer trat. "Es ist genug!" rief dieser, da er den Brief ueberlesen, und den Ring empfangen hatte: "ich bin das Licht der Sonne zu schauen, muede! Verschafft mir", wandte er sich zum Prior, "eine Bahre, und fuehrt mich Elenden, dessen Kraft zu Staub versinkt, auf den Richtplatz hinaus: ich will nicht, ohne eine Tat der Gerechtigkeit veruebt zu haben, sterben!" Der Prior, durch diesen Vorfall tief erschuettert, liess ihn sogleich, wie er begehrte, durch vier Knechte auf ein Traggestell heben; und zugleich mit einer unermesslichen Menschenmenge, welche das Glockengelaeut um den Scheiterhaufen, auf welchen Herr Friedrich und Littegarde bereits festgebunden waren, versammelte, kam er, mit dem Ungluecklichen, der ein Kruzifix in der Hand hielt, daselbst an. "Halt!" rief der Prior, indem er die Bahre, dem Altan des Kaisers gegenueber, niedersetzen liess: "bevor ihr das Feuer an jenen Scheiterhaufen legt, vernehmt ein Wort, das euch der Mund dieses Suenders zu eroeffnen hat!"--Wie? rief der Kaiser, indem er sich leichenblass von seinem Sitz erhob, hat das geheiligte Urteil Gottes nicht fuer die Gerechtigkeit seiner Sache entschieden, und ist es, nach dem was vorgefallen, auch nur zu denken erlaubt, dass Littegarde an dem Frevel, dessen er sie geziehen, unschuldig sei?--Bei diesen Worten stieg er betroffen vom Altan herab; und mehr denn tausend Ritter, denen alles Volk, ueber Baenke und Schranken herab, folgte, draengten sich um das Lager des Kranken zusammen. "Unschuldig", versetzte dieser, indem er sich gestuetzt auf den Prior, halb darauf emporrichtete: "wie es der Spruch des hoechsten Gottes, an jenem verhaengnisvollen Tage, vor den Augen aller versammelten Buerger von Basel entschieden hat! Denn er, von drei Wunden, jede toedlich, getroffen, blueht, wie ihr seht, in Kraft und Lebensfuelle; indessen ein Hieb von seiner Hand, der kaum die aeusserste Huelle meines Lebens zu beruehren schien, in langsam fuerchterlicher Fortwirkung den Kern desselben selbst getroffen, und meine Kraft, wie der Sturmwind eine Eiche, gefaellt hat. Aber hier, falls ein Unglaeubiger noch Zweifel naehren sollte, sind die Beweise: Rosalie, ihre Kammerzofe, war es, die mich in jener Nacht des heiligen Remigius empfing, waehrend ich Elender in der Verblendung meiner Sinne, sie selbst, die meine Antraege stets mit Verachtung zurueckgewiesen hat, in meinen Armen zu halten meinte!" Der Kaiser stand erstarrt wie zu Stein, bei diesen Worten da. Er schickte, indem er sich nach dem Scheiterhaufen umkehrte, einen Ritter ab, mit dem Befehl, selbst die Leiter zu besteigen, und den Kaemmerer sowohl als die Dame, welche letztere bereits in den Armen ihrer Mutter in Ohnmacht lag, loszubinden und zu ihm heranzufuehren. "Nun, jedes Haar auf eurem Haupt bewacht ein Engel!" rief er, da Littegarde, mit halb offner Brust und entfesselten Haaren, an der Hand Herrn Friedrichs, ihres Freundes, dessen Kniee selbst, unter dem Gefuehl dieser wunderbaren Rettung, wankten, durch den Kreis des in Ehrfurcht und Erstaunen ausweichenden Volks, zu ihm herantrat. Er kuesste beiden, die vor ihm niederknieten, die Stirn; und nachdem er sich den Hermelin, den seine Gemahlin trug, erbeten, und ihn Littegarden um die Schultern gehaengt hatte, nahm er, vor den Augen aller versammelten Ritter, ihren Arm, in der Absicht, sie selbst in die Gemaecher seines kaiserlichen Schlosses zu fuehren. Er wandte sich, waehrend der Kaemmerer gleichfalls statt des Suenderkleids, das ihn deckte, mit Federhut und ritterlichem Mantel geschmueckt ward, gegen den auf der Bahre jammervoll sich waelzenden Grafen zurueck, und von einem Gefuehl des Mitleidens bewegt, da derselbe sich doch in den Zweikampf, der ihn zu Grunde gerichtet, nicht eben auf frevelhafte und gotteslaesterliche Weise eingelassen hatte, fragte er den ihm zur Seite stehenden Arzt: ob keine Rettung fuer den Ungluecklichen sei?--"Vergebens!" antwortete Jakob der Rotbart, indem er sich, unter schrecklichen Zuckungen, auf den Schoss seines Arztes stuetzte: "und ich habe den Tod, den ich erleide, verdient. Denn wisst, weil mich doch der Arm der weltlichen Gerechtigkeit nicht mehr ereilen wird, ich bin der Moerder meines Bruders, des edeln Herzogs Wilhelm von Breysach: der Boesewicht, der ihn mit dem Pfeil aus meiner Ruestkammer nieder warf, war sechs Wochen vorher, zu dieser Tat, die mir die Krone verschaffen sollte, von mir gedungen!"--Bei dieser Erklaerung sank er auf die Bahre zurueck und hauchte seine schwarze Seele aus. "Ha, die Ahndung meines Gemahls, des Herzogs, selbst!" rief die an der Seite des Kaisers stehende Regentin, die sich gleichfalls vom Altan des Schlosses herab, im Gefolge der Kaiserin, auf den Schlossplatz begeben hatte: "mir noch im Augenblick des Todes, mit gebrochenen Worten, die ich gleichwohl damals nur unvollkommen verstand, kund getan!"--Der Kaiser versetzte in Entruestung: so soll der Arm der Gerechtigkeit noch deine Leiche ereilen! nehmt ihn, rief er, indem er sich umkehrte, den Haeschern zu, und uebergebt ihn gleich, gerichtet wie er ist, den Henkern: er moege, zur Brandmarkung seines Andenkens, auf jenem Scheiterhaufen verderben, auf welchem wir eben, um seinetwillen, im Begriff waren, zwei Unschuldige zu opfern! Und damit, waehrend die Leiche des Elenden in roetlichen Flammen aufprasselnd, vom Hauche des Nordwindes in alle Luefte verstreut und verweht ward, fuehrte er Frau Littegarden, im Gefolge aller seiner Ritter, auf das Schloss. Er setzte sie, durch einen kaiserlichen Schluss, wieder in ihr vaeterliches Erbe ein, von welchem die Brueder in ihrer unedelmuetigen Habsucht schon Besitz genommen hatten; und schon nach drei Wochen ward, auf dem Schlosse zu Breysach, die Hochzeit der beiden trefflichen Brautleute gefeiert, bei welcher die Herzogin Regentin, ueber die ganze Wendung, die die Sache genommen hatte, sehr erfreut, Littegarden einen grossen Teil der Besitzungen des Grafen, die dem Gesetz verfielen, zum Brautgeschenk machte. Der Kaiser aber hing Herrn Friedrich, nach der Trauung, eine Gnadenkette um den Hals; und sobald er, nach Vollendung seiner Geschaefte mit der Schweiz, wieder in Worms angekommen war, liess er in die Statuten des geheiligten goettlichen Zweikampfs, ueberall wo vorausgesetzt wird, dass die Schuld dadurch unmittelbar ans Tageslicht komme, die Worte einruecken: "wenn es Gottes Wille ist." Die heilige Caecilie oder die Gewalt der Musik (Eine Legende) Um das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, als die Bilderstuermerei in den Niederlanden wuetete, trafen drei Brueder, junge in Wittenberg studierende Leute, mit einem vierten, der in Antwerpen als Praedikant angestellt war, in der Stadt Aachen zusammen. Sie wollten daselbst eine Erbschaft erheben, die ihnen von Seiten eines alten, ihnen allen unbekannten Oheims zugefallen war, und kehrten, weil niemand in dem Ort war, an den sie sich haetten wenden koennen, in einem Gasthof ein. Nach Verlauf einiger Tage, die sie damit zugebracht hatten, den Praedikanten ueber die merkwuerdigen Auftritte, die in den Niederlanden vorgefallen waren, anzuhoeren, traf es sich, dass von den Nonnen im Kloster der heiligen Caecilie, das damals vor den Toren dieser Stadt lag, der Fronleichnamstag festlich begangen werden sollte; dergestalt, dass die vier Brueder, von Schwaermerei, Jugend und dem Beispiel der Niederlaender erhitzt, beschlossen, auch der Stadt Aachen das Schauspiel einer Bilderstuermerei zu geben. Der Praedikant, der dergleichen Unternehmungen mehr als einmal schon geleitet hatte, versammelte, am Abend zuvor, eine Anzahl junger, der neuen Lehre ergebener Kaufmannssoehne und Studenten, welche, in dem Gasthofe, bei Wein und Speisen, unter Verwuenschungen des Papsttums, die Nacht zubrachten; und, da der Tag ueber die Zinnen der Stadt aufgegangen, versahen sie sich mit Aexten und Zerstoerungswerkzeugen aller Art, um ihr ausgelassenes Geschaeft zu beginnen. Sie verabredeten frohlockend ein Zeichen, auf welches sie damit anfangen wollten, die Fensterscheiben, mit biblischen Geschichten bemalt, einzuwerfen; und eines grossen Anhangs, den sie unter dem Volk finden wuerden, gewiss, verfuegten sie sich, entschlossen keinen Stein auf dem andern zu lassen, in der Stunde, da die Glocken laeuteten, in den Dom. Die Aebtissin, die, schon beim Anbruch des Tages, durch einen Freund von der Gefahr, in welcher das Kloster schwebte, benachrichtigt worden war, schickte vergebens, zu wiederholten Malen, zu dem kaiserlichen Offizier, der in der Stadt kommandierte, und bat sich, zum Schutz des Klosters, eine Wache aus; der Offizier, der selbst ein Feind des Papsttums, und als solcher, wenigstens unter der Hand, der neuen Lehre zugetan war, wusste ihr unter dem staatsklugen Vorgeben, dass sie Geister saehe, und fuer ihr Kloster auch nicht der Schatten einer Gefahr vorhanden sei, die Wache zu verweigern. Inzwischen brach die Stunde an, da die Feierlichkeiten beginnen sollten, und die Nonnen schickten sich, unter Angst und Beten, und jammervoller Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, zur Messe an. Niemand beschuetzte sie, als ein alter, siebenzigjaehriger Klostervogt, der sich, mit einigen bewaffneten Trossknechten, am Eingang der Kirche aufstellte. In den Nonnenkloestern fuehren, auf das Spiel jeder Art der Instrumente geuebt, die Nonnen, wie bekannt, ihre Musiken selber auf; oft mit einer Praezision, einem Verstand und einer Empfindung, die man in maennlichen Orchestern (vielleicht wegen der weiblichen Geschlechtsart dieser geheimnisvollen Kunst) vermisst. Nun fuegte es sich, zur Verdoppelung der Bedraengnis, dass die Kapellmeisterin, Schwester Antonia, welche die Musik auf dem Orchester zu dirigieren pflegte, wenige Tage zuvor, an einem Nervenfieber heftig erkrankte; dergestalt, dass abgesehen von den vier gotteslaesterlichen Bruedern, die man bereits, in Maenteln gehuellt, unter den Pfeilern der Kirche erblickte, das Kloster auch, wegen Auffuehrung eines schicklichen Musikwerks, in der lebhaftesten Verlegenheit war. Die Aebtissin, die am Abend des vorhergehenden Tages befohlen hatte, dass eine uralte von einem unbekannten Meister herruehrende, italienische Messe aufgefuehrt werden moechte, mit welcher die Kapelle mehrmals schon, einer besondern Heiligkeit und Herrlichkeit wegen, mit welcher sie gedichtet war, die groessesten Wirkungen hervorgebracht hatte, schickte, mehr als jemals auf ihren Willen beharrend, noch einmal zur Schwester Antonia herab, um zu hoeren, wie sich dieselbe befinde; die Nonne aber, die dies Geschaeft uebernahm, kam mit der Nachricht zurueck, dass die Schwester in gaenzlich bewusstlosem Zustande daniederliege, und dass an ihre Direktionsfuehrung, bei der vorhabenden Musik, auf keine Weise zu denken sei. Inzwischen waren in dem Dom, in welchem sich nach und nach mehr denn hundert, mit Beilen und Brechstangen versehene Frevler, von allen Staenden und Altern, eingefunden hatten, bereits die bedenklichsten Auftritte vorgefallen; man hatte einige Trossknechte, die an den Portaelen standen, auf die unanstaendigste Weise geneckt, und sich die frechsten und unverschaemtesten Aeusserungen gegen die Nonnen erlaubt, die sich hin und wieder, in frommen Geschaeften, einzeln in den Hallen blicken liessen: dergestalt, dass der Klostervogt sich in die Sakristei verfuegte, und die Aebtissin auf Knieen beschwor, das Fest einzustellen und sich in die Stadt, unter den Schutz des Kommandanten zu begeben. Aber die Aebtissin bestand unerschuetterlich darauf, dass das zur Ehre des hoechsten Gottes angeordnete Fest begangen werden muesse; sie erinnerte den Klostervogt an seine Pflicht, die Messe und den feierlichen Umgang, der in dem Dom gehalten werden wuerde, mit Leib und Leben zu beschirmen; und befahl, weil eben die Glocke schlug, den Nonnen, die sie, unter Zittern und Beben umringten, ein Oratorium, gleichviel welches und von welchem Wert es sei, zu nehmen, und mit dessen Auffuehrung sofort den Anfang zu machen. Eben schickten sich die Nonnen auf dem Altan der Orgel dazu an; die Partitur eines Musikwerks, das man schon haeufig gegeben hatte, ward verteilt, Geigen, Hoboen und Baesse geprueft und gestimmt: als Schwester Antonia ploetzlich, frisch und gesund, ein wenig bleich im Gesicht, von der Treppe her erschien; sie trug die Partitur der uralten, italienischen Messe, auf deren Auffuehrung die Aebtissin so dringend bestanden hatte, unter dem Arm. Auf die erstaunte Frage der Nonnen. "Wo sie herkomme? Und wie sie sich ploetzlich so erholt habe?" antwortete sie: gleichviel, Freundinnen, gleichviel! verteilte die Partitur, die sie bei sich trug, und setzte sich selbst, von Begeisterung gluehend, an die Orgel, um die Direktion des vortrefflichen Musikstuecks zu uebernehmen. Demnach kam es, wie ein wunderbarer, himmlischer Trost, in die Herzen der frommen Frauen; sie stellten sich augenblicklich mit ihren Instrumenten an die Pulte; die Beklemmung selbst, in der sie sich befanden, kam hinzu, um ihre Seelen, wie auf Schwingen, durch alle Himmel des Wohlklangs zu fuehren; das Oratorium ward mit der hoechsten und herrlichsten musikalischen Pracht ausgefuehrt; es regte sich, waehrend der ganzen Darstellung, kein Odem in den Hallen und Baenken; besonders bei dem salve regina und noch mehr bei dem gloria in excelsis, war es, als ob die ganze Bevoelkerung der Kirche tot sei: dergestalt, dass den vier gottverdammten Bruedern und ihrem Anhang zum Trotz, auch der Staub auf dem Estrich nicht verweht ward, und das Kloster noch bis an den Schluss des dreissigjaehrigen Krieges bestanden hat, wo man es, vermoege eines Artikels im westfaelischen Frieden, gleichwohl saekularisierte. Sechs Jahre darauf, da diese Begebenheit laengst vergessen war, kam die Mutter dieser vier Juenglinge aus dem Haag an, und stellte, unter dem betruebten Vorgeben, dass dieselben gaenzlich verschollen waeren, bei dem Magistrat zu Aachen, wegen der Strasse, die sie von hier aus genommen haben mochten, gerichtliche Untersuchungen an. Die letzten Nachrichten, die man von ihnen in den Niederlanden, wo sie eigentlich zu Hause gehoerten, gehabt hatte, waren, wie sie meldete, ein vor dem angegebenen Zeitraum, am Vorabend eines Fronleichnamsfestes, geschriebener Brief des Praedikanten, an seinen Freund, einen Schullehrer in Antwerpen, worin er demselben, mit vieler Heiterkeit oder vielmehr Ausgelassenheit, von einer gegen das Kloster der heiligen Caecilie entworfenen Unternehmung, ueber welche sich die Mutter jedoch nicht naeher auslassen wollte, auf vier dichtgedraengten Seiten vorlaeufige Anzeige machte. Nach mancherlei vergeblichen Bemuehungen, die Personen, welche diese bekuemmerte Frau suchte, auszumitteln, erinnerte man sich endlich, dass sich schon seit einer Reihe von Jahren, welche ohngefaehr auf die Angabe passte, vier junge Leute, deren Vaterland und Herkunft unbekannt sei, in dem durch des Kaisers Vorsorge unlaengst gestifteten Irrenhause der Stadt befanden. Da dieselben jedoch an der Ausschweifung einer religioesen Idee krank lagen, und ihre Auffuehrung, wie das Gericht dunkel gehoert zu haben meinte, aeusserst truebselig und melancholisch war; so passte dies so wenig auf den, der Mutter nur leider zu bekannten Gemuetsstand ihrer Soehne, als dass sie auf diese Anzeige, besonders da es fast herauskam, als ob die Leute katholisch waeren, viel haette geben sollen. Gleichwohl, durch mancherlei Kennzeichen, womit man sie beschrieb, seltsam getroffen, begab sie sich eines Tages, in Begleitung eines Gerichtsboten, in das Irrenhaus, und bat die Vorsteher um die Gefaelligkeit, ihr zu den vier ungluecklichen, sinnverwirrten Maennern, die man daselbst aufbewahre, einen pruefenden Zutritt zu gestatten. Aber wer beschreibt das Entsetzen der armen Frau, als sie gleich auf den ersten Blick, so wie sie in die Tuer trat, ihre Soehne erkannte: sie sassen, in langen, schwarzen Talaren, um einen Tisch, auf welchem ein Kruzifix stand, und schienen, mit gefalteten Haenden schweigend auf die Platte gestuetzt, dasselbe anzubeten. Auf die Frage der Frau, die ihrer Kraefte beraubt, auf einen Stuhl niedergesunken war: was sie daselbst machten? Antworteten ihr die Vorsteher: "dass sie bloss in der Verherrlichung des Heilands begriffen waeren, von dem sie, nach ihrem Vorgeben, besser als andre, einzusehen glaubten, dass er der wahrhaftige Sohn des alleinigen Gottes sei." Sie setzten hinzu: "dass die Juenglinge, seit nun schon sechs Jahren, dies geisterartige Leben fuehrten; dass sie wenig schliefen und wenig genoessen; dass kein Laut ueber ihre Lippen kaeme; dass sie sich bloss in der Stunde der Mitternacht einmal von ihren Sitzen erhoeben; und dass sie alsdann, mit einer Stimme, welche die Fenster des Hauses bersten machte, das gloria in excelsis intonierten." Die Vorsteher schlossen mit der Versicherung: dass die jungen Maenner dabei koerperlich vollkommen gesund waeren; dass man ihnen sogar eine gewisse, obschon sehr ernste und feierliche, Heiterkeit nicht absprechen koennte; dass sie, wenn man sie fuer verrueckt erklaerte, mitleidig die Achseln zuckten, und dass sie schon mehr als einmal geaeussert haetten: "wenn die gute Stadt Aachen wuesste, was sie, so wuerde dieselbe ihre Geschaefte bei Seite legen, und sich gleichfalls, zur Absingung des gloria, um das Kruzifix des Herrn niederlassen." Die Frau, die den schauderhaften Anblick dieser Ungluecklichen nicht ertragen konnte und sich bald darauf, auf wankenden Knieen, wieder hatte zu Hause fuehren lassen, begab sich, um ueber die Veranlassung dieser ungeheuren Begebenheit Auskunft zu erhalten, am Morgen des folgenden Tages, zu Herrn Veit Gotthelf, beruehmten Tuchhaendler der Stadt; denn dieses Mannes erwaehnte der von dem Praedikanten geschriebene Brief, und es ging daraus hervor, dass derselbe an dem Projekt, das Kloster der heiligen Caecilie am Tage des Fronleichnamsfestes zu zerstoeren, eifrigen Anteil genommen habe. Veit Gotthelf, der Tuchhaendler, der sich inzwischen verheiratet, mehrere Kinder gezeugt, und die betraechtliche Handlung seines Vaters uebernommen hatte, empfing die Fremde sehr liebreich: und da er erfuhr, welch ein Anliegen sie zu ihm fuehre, so verriegelte er die Tuer, und liess sich, nachdem er sie auf einen Stuhl niedergenoetigt hatte, folgendermassen vernehmen: "Meine liebe Frau! Wenn Ihr mich, der mit Euren Soehnen vor sechs Jahren in genauer Verbindung gestanden, in keine Untersuchung deshalb verwickeln wollt, so will ich Euch offenherzig und ohne Rueckhalt gestehen: ja, wir haben den Vorsatz gehabt, dessen der Brief erwaehnt! Wodurch diese Tat, zu deren Ausfuehrung alles, auf das Genaueste, mit wahrhaft gottlosem Scharfsinn, angeordnet war, gescheitert ist, ist mir unbegreiflich; der Himmel selbst scheint das Kloster der frommen Frauen in seinen heiligen Schutz genommen zu haben. Denn wisst, dass sich Eure Soehne bereits, zur Einleitung entscheidenderer Auftritte, mehrere mutwillige, den Gottesdienst stoerende Possen erlaubt hatten: mehr denn dreihundert, mit Beilen und Pechkraenzen versehene Boesewichter, aus den Mauern unserer damals irregeleiteten Stadt, erwarteten nichts als das Zeichen, das der Praedikant geben sollte, um den Dom der Erde gleich zu machen. Dagegen, bei Anhebung der Musik, nehmen Eure Soehne ploetzlich, in gleichzeitiger Bewegung, und auf eine uns auffallende Weise, die Huete ab, sie legen, nach und nach, wie in tiefer unaussprechlicher Ruehrung, die Haende vor ihr herabgebeugtes Gesicht, und der Praedikant, indem er sich, nach einer erschuetternden Pause, ploetzlich umwendet, ruft uns allen mit lauter fuerchterlicher Stimme zu: gleichfalls unsere Haeupter zu entbloessen! Vergebens fordern ihn einige Genossen fluesternd, indem sie ihn mit ihren Armen leichtfertig anstossen, auf, das zur Bilderstuermerei verabredete Zeichen zu geben: der Praedikant, statt zu antworten, laesst sich, mit kreuzweis auf die Brust gelegten Haenden, auf Knieen nieder und murmelt, samt den Bruedern, die Stirn inbruenstig in den Staub herab gedrueckt, die ganze Reihe noch kurz vorher von ihm verspotteter Gebete ab. Durch diesen Anblick tief im Innersten verwirrt, steht der Haufen der jaemmerlichen Schwaermer, seiner Anfuehrer beraubt, in Unschluessigkeit und Untaetigkeit, bis an den Schluss des, vom Altan wunderbar herabrauschenden Oratoriums da; und da, auf Befehl des Kommandanten, in eben diesem Augenblick mehrere Arretierungen verfuegt, und einige Frevler, die sich Unordnungen erlaubt hatten, von einer Wache aufgegriffen und abgefuehrt wurden, so bleibt der elenden Schar nichts uebrig, als sich schleunigst, unter dem Schutz der gedraengt aufbrechenden Volksmenge, aus dem Gotteshause zu entfernen. Am Abend, da ich in dem Gasthofe vergebens mehrere Mal nach Euren Soehnen, welche nicht wiedergekehrt waren, gefragt hatte, gehe ich, in der entsetzlichsten Unruhe, mit einigen Freunden wieder nach dem Kloster hinaus, um mich bei den Tuerstehern, welche der kaiserlichen Wache hilfreich an die Hand gegangen waren, nach ihnen zu erkundigen. Aber wie schildere ich Euch mein Entsetzen, edle Frau, da ich diese vier Maenner nach wie vor, mit gefalteten Haenden, den Boden mit Brust und Scheiteln kuessend, als ob sie zu Stein erstarrt waeren, heisser Inbrunst voll vor dem Altar der Kirche daniedergestreckt liegen sehe! Umsonst forderte sie der Klostervogt, der in eben diesem Augenblick herbeikommt, indem er sie am Mantel zupft und an den Armen ruettelt, auf, den Dom, in welchem es schon ganz finster werde, und kein Mensch mehr gegenwaertig sei, zu verlassen: sie hoeren, auf traeumerische Weise halb aufstehend, nicht eher auf ihn, als bis er sie durch seine Knechte unter den Arm nehmen, und vor das Portal hinaus fuehren laesst: wo sie uns endlich, obschon unter Seufzern und haeufigem herzzerreissenden Umsehen nach der Kathedrale, die hinter uns im Glanz der Sonne praechtig funkelte, nach der Stadt folgen. Die Freunde und ich, wir fragen sie, zu wiederholten Malen, zaertlich und liebreich auf dem Rueckwege, was ihnen in aller Welt Schreckliches, faehig, ihr innerstes Gemuet dergestalt umzukehren, zugestossen sei; sie druecken uns, indem sie uns freundlich ansehen, die Haende, schauen gedankenvoll auf den Boden nieder und wischen sich--ach! von Zeit zu Zeit, mit einem Ausdruck, der mir noch jetzt das Herz spaltet, die Traenen aus den Augen. Drauf, in ihre Wohnungen angekommen, binden sie sich ein Kreuz, sinnreich und zierlich von Birkenreisern zusammen, und setzen es, einem kleinen Huegel von Wachs eingedrueckt, zwischen zwei Lichtern, womit die Magd erscheint, auf dem grossen Tisch in des Zimmers Mitte nieder, und waehrend die Freunde, deren Schar sich von Stunde zu Stunde vergroessert, haenderingend zur Seite stehen, und in zerstreuten Gruppen, sprachlos vor Jammer, ihrem stillen, gespensterartigen Treiben zusehen: lassen sie sich, gleich als ob ihre Sinne vor jeder andern Erscheinung verschlossen waeren, um den Tisch nieder, und schicken sich still, mit gefalteten Haenden, zur Anbetung an. Weder des Essens begehren sie, das ihnen, zur Bewirtung der Genossen, ihrem am Morgen gegebenen Befehl gemaess, die Magd bringt, noch spaeterhin, da die Nacht sinkt, des Lagers, das sie ihnen, weil sie muede scheinen, im Nebengemach aufgestapelt hat; die Freunde, um die Entruestung des Wirts, den diese Auffuehrung befremdet, nicht zu reizen, muessen sich an einen, zur Seite ueppig gedeckten Tisch niederlassen, und die, fuer eine zahlreiche Gesellschaft zubereiteten Speisen, mit dem Salz ihrer bitterlichen Traenen gebeizt, einnehmen. Jetzt ploetzlich schlaegt die Stunde der Mitternacht; Eure vier Soehne, nachdem sie einen Augenblick gegen den dumpfen Klang der Glocke aufgehorcht, heben sich ploetzlich in gleichzeitiger Bewegung, von ihren Sitzen empor; und waehrend wir, mit niedergelegten Tischtuechern, zu ihnen hinueberschauen, aengstlicher Erwartung voll, was auf so seltsames und befremdendes Beginnen erfolgen werde: fangen sie, mit einer entsetzlichen und graesslichen Stimme, das gloria in excelsis zu intonieren an. So moegen sich Leoparden und Woelfe anhoeren lassen, wenn sie zur eisigen Winterzeit, das Firmament anbruellen: die Pfeiler des Hauses, versichere ich Euch, erschuetterten, und die Fenster, von ihrer Lungen sichtbarem Atem getroffen, drohten klirrend, als ob man Haende voll schweren Sandes gegen ihre Flaechen wuerfe, zusammen zu brechen. Bei diesem grausenhaften Auftritt stuerzen wir besinnungslos, mit straeubenden Haaren auseinander; wir zerstreuen uns, Maentel und Huete zuruecklassend, durch die umliegenden Strassen, welche in kurzer Zeit, statt unsrer, von mehr denn hundert, aus dem Schlaf geschreckter Menschen, angefuellt waren; das Volk draengt sich, die Haustuere sprengend, ueber die Stiege dem Saale zu, um die Quelle dieses schauderhaften und empoerenden Gebruells, das, wie von den Lippen ewig verdammter Suender, aus dem tiefsten Grund der flammenvollen Hoelle, jammervoll um Erbarmung zu Gottes Ohren heraufdrang, aufzusuchen. Endlich, mit dem Schlage der Glocke Eins, ohne auf das Zuernen des Wirts, noch auf die erschuetterten Ausrufungen des sie umringenden Volks gehoert zu haben, schliessen sie den Mund; sie wischen sich mit einem Tuch den Schweiss von der Stirn, der ihnen, in grossen Tropfen, auf Kinn und Brust niedertraeuft; und breiten ihre Maentel aus, und legen sich, um eine Stunde von so qualvollen Geschaeften auszuruhen, auf das Getaefel des Bodens nieder. Der Wirt, der sie gewaehren laesst, schlaegt, sobald er sie schlummern sieht, ein Kreuz ueber sie; und froh, des Elends fuer den Augenblick erledigt zu sein, bewegt er, unter der Versicherung, der Morgen werde eine heilsame Veraenderung herbeifuehren, den Maennerhaufen, der gegenwaertig ist, und der geheimnisvoll mit einander murmelt, das Zimmer zu verlassen. Aber leider! schon mit dem ersten Schrei des Hahns, stehen die Ungluecklichen wieder auf, um dem auf dem Tisch befindlichen Kreuz gegenueber, dasselbe oede, gespensterartige Klosterleben, das nur Erschoepfung sie auf einen Augenblick auszusetzen zwang, wieder anzufangen. Sie nehmen von dem Wirt, dessen Herz ihr jammervoller Anblick schmelzt, keine Ermahnung, keine Huelfe an; sie bitten ihn, die Freunde liebreich abzuweisen, die sich sonst regelmaessig am Morgen jedes Tages bei ihnen zu versammeln pflegten; sie begehren nichts von ihm, als Wasser und Brot, und eine Streu, wenn es sein kann, fuer die Nacht: dergestalt, dass dieser Mann, der sonst viel Geld von ihrer Heiterkeit zog, sich genoetigt sah, den ganzen Vorfall den Gerichten anzuzeigen und sie zu bitten, ihm diese vier Menschen, in welchen ohne Zweifel der boese Geist walten muesse, aus dem Hause zu schaffen. Worauf sie, auf Befehl des Magistrats, in aerztliche Untersuchung genommen, und, da man sie verrueckt befand, wie Ihr wisst, in die Gemaecher des Irrenhauses untergebracht wurden, das die Milde des letzt verstorbenen Kaisers, zum Besten der Ungluecklichen dieser Art, innerhalb der Mauern unserer Stadt gegruendet hat." Dies und noch Mehreres sagte Veit Gotthelf, der Tuchhaendler, das wir hier, weil wir zur Einsicht in den inneren Zusammenhang der Sache genug gesagt zu haben meinen, unterdruecken; und forderte die Frau nochmals auf, ihn auf keine Weise, falls es zu gerichtlichen Nachforschungen ueber diese Begebenheit kommen sollte, darin zu verstricken. Drei Tage darauf, da die Frau, durch diesen Bericht tief im Innersten erschuettert, am Arm einer Freundin nach dem Kloster hinausgegangen war, in der wehmuetigen Absicht, auf einem Spaziergang, weil eben das Wetter schoen war, den entsetzlichen Schauplatz in Augenschein zu nehmen, auf welchem Gott ihre Soehne wie durch unsichtbare Blitze zu Grunde gerichtet hatte: fanden die Weiber den Dom, weil eben gebaut wurde, am Eingang durch Planken versperrt, und konnten, wenn sie sich muehsam erhoben, durch die Oeffnungen der Bretter hindurch von dem Inneren nichts, als die praechtig funkelnde Rose im Hintergrund der Kirche wahrnehmen. Viele hundert Arbeiter, welche froehliche Lieder sangen, waren auf schlanken, vielfach verschlungenen Geruesten beschaeftigt, die Tuerme noch um ein gutes Dritteil zu erhoehen, und die Daecher und Zinnen derselben, welche bis jetzt nur mit Schiefer bedeckt gewesen waren, mit starkem, hellen, im Strahl der Sonne glaenzigen Kupfer zu belegen. Dabei stand ein Gewitter, dunkelschwarz, mit vergoldeten Raendern, im Hintergrunde des Baus; dasselbe hatte schon ueber die Gegend von Aachen ausgedonnert, und nachdem es noch einige kraftlose Blitze, gegen die Richtung, wo der Dom stand, geschleudert hatte, sank es, zu Duensten aufgeloest, missvergnuegt murmelnd in Osten herab. Es traf sich, dass da die Frauen von der Treppe des weitlaeufigen kloesterlichen Wohngebaeudes herab, in mancherlei Gedanken vertieft, dies doppelte Schauspiel betrachteten, eine Klosterschwester, welche vorueberging, zufaellig erfuhr, wer die unter dem Portal stehende Frau sei; dergestalt, dass die Aebtissin, die von einem, den Fronleichnamstag betreffenden Brief, den dieselbe bei sich trug, gehoert hatte, unmittelbar darauf die Schwester zu ihr herabschickte, und die niederlaendische Frau ersuchen liess, zu ihr herauf zu kommen. Die Niederlaenderin, obschon einen Augenblick dadurch betroffen, schickte sich nichts desto weniger ehrfurchtsvoll an, dem Befehl, den man ihr angekuendigt hatte, zu gehorchen; und waehrend die Freundin, auf die Einladung der Nonne, in ein dicht an dem Eingang befindliches Nebenzimmer abtrat, oeffnete man der Fremden, welche die Treppe hinaufsteigen musste, die Fluegeltueren des schoen gebildeten Soellers selbst. Daselbst fand sie die Aebtissin, welches eine edle Frau, von stillem koeniglichen Ansehn war, auf einem Sessel sitzen, den Fuss auf einem Schemel gestuetzt, der auf Drachenklauen ruhte; ihr zur Seite, auf einem Pulte, lag die Partitur einer Musik. Die Aebtissin, nachdem sie befohlen hatte, der Fremden einen Stuhl hinzusetzen, entdeckte ihr, dass sie bereits durch den Buergermeister von ihrer Ankunft in der Stadt gehoert; und nachdem sie sich, auf menschenfreundliche Weise, nach dem Befinden ihrer ungluecklichen Soehne erkundigt, auch sie ermuntert hatte, sich ueber das Schicksal, das dieselben betroffen, weil es einmal nicht zu aendern sei, moeglichst zu fassen: eroeffnete sie ihr den Wunsch, den Brief zu sehen, den der Praedikant an seinen Freund, den Schullehrer in Antwerpen geschrieben hatte. Die Frau, welche Erfahrung genug besass, einzusehen, von welchen Folgen dieser Schritt sein konnte, fuehlte sich dadurch auf einen Augenblick in Verlegenheit gestuerzt; da jedoch das ehrwuerdige Antlitz der Dame unbedingtes Vertrauen erforderte, und auf keine Weise schicklich war, zu glauben, dass ihre Absicht sein koenne, von dem Inhalt desselben einen oeffentlichen Gebrauch zu machen; so nahm sie, nach einer kurzen Besinnung, den Brief aus ihrem Busen, und reichte ihn, unter einem heissen Kuss auf ihre Hand, der fuerstlichen Dame dar. Die Frau, waehrend die Aebtissin den Brief ueberlas, warf nunmehr einen Blick auf die nachlaessig ueber dem Pult aufgeschlagene Partitur; und da sie, durch den Bericht des Tuchhaendlers, auf den Gedanken gekommen war, es koenne wohl die Gewalt der Toene gewesen sein, die, an jenem schauerlichen Tage, das Gemuet ihrer armen Soehne zerstoert und verwirrt habe: so fragte sie die Klosterschwester, die hinter ihrem Stuhle stand, indem sie sich zu ihr umkehrte, schuechtern: "ob dies das Musikwerk waere, das vor sechs Jahren, am Morgen jenes merkwuerdigen Fronleichnamsfestes, in der Kathedrale aufgefuehrt worden sei?" Auf die Antwort der jungen Klosterschwester: ja! sie erinnere sich davon gehoert zu haben, und es pflege seitdem, wenn man es nicht brauche, im Zimmer der hochwuerdigsten Frau zu liegen: stand, lebhaft erschuettert, die Frau auf, und stellte sich, von mancherlei Gedanken durchkreuzt, vor den Pult. Sie betrachtete die unbekannten zauberischen Zeichen, womit sich ein fuerchterlicher Geist geheimnisvoll den Kreis abzustecken schien, und meinte, in die Erde zu sinken, da sie grade das gloria in excelsis aufgeschlagen fand. Es war ihr, als ob das ganze Schrecken der Tonkunst, das ihre Soehne verderbt hatte, ueber ihrem Haupte rauschend daherzoege; sie glaubte, bei dem blossen Anblick ihre Sinne zu verlieren, und nachdem sie schnell, mit einer unendlichen Regung von Demut und Unterwerfung unter die goettliche Allmacht, das Blatt an ihre Lippen gedrueckt hatte, setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl zurueck. Inzwischen hatte die Aebtissin den Brief ausgelesen und sagte, indem sie ihn zusammen faltete: "Gott selbst hat das Kloster, an jenem wunderbaren Tage, gegen den Uebermut Eurer schwer verirrten Soehne beschirmt. Welcher Mittel er sich dabei bedient, kann Euch, die Ihr eine Protestantin seid, gleichgueltig sein: Ihr wuerdet auch das, was ich Euch darueber sagen koennte, schwerlich begreifen. Denn vernehmt, dass schlechterdings niemand weiss, wer eigentlich das Werk, das Ihr dort aufgeschlagen findet, im Drang der schreckenvollen Stunde, da die Bilderstuermerei ueber uns hereinbrechen sollte, ruhig auf dem Sitz der Orgel dirigiert habe. Durch ein Zeugnis, das am Morgen des folgenden Tages, in Gegenwart des Klostervogts und mehrerer anderen Maenner aufgenommen und im Archiv niedergelgt ward, ist erwiesen, dass Schwester Antonia, die das Werk dirigieren konnte, waehrend des ganzen Zeitraums seiner Auffuehrung, krank, bewusstlos, ihrer Glieder schlechthin unmaechtig, im Winkel ihrer Klosterzelle darniedergelegen habe; eine Klosterschwester, die ihr als leibliche Verwandte zur Pflege ihres Koerpers beigeordnet war, ist waehrend des ganzen Vormittags, da das Fronleichnamsfest in der Kathedrale gefeiert worden, nicht von ihrem Bette gewichen. Ja, Schwester Antonia wuerde ohnfehlbar selbst den Umstand, dass sie es nicht gewesen sei, die, auf so seltsame und befremdende Weise, auf dem Altan der Orgel erschien, bestaetigt und bewahrheitet haben: wenn ihr gaenzlich sinnberaubter Zustand erlaubt haette, sie darum zu befragen, und die Kranke nicht noch am Abend desselben Tages, an dem Nervenfieber, an dem sie danieder lag, und welches frueherhin gar nicht lebensgefaehrlich schien, verschieden waere. Auch hat der Erzbischof von Trier, an den dieser Vorfall berichtet ward, bereits das Wort ausgesprochen, das ihn allein erklaert, naemlich, >dass die heilige Caecilie selbst dieses zu gleicher Zeit schreckliche und herrliche Wunder vollbracht habe<; und von dem Papst habe ich soeben ein Breve erhalten, wodurch er dies bestaetigt." Und damit gab sie der Frau den Brief, den sie sich bloss von ihr erbeten hatte, um ueber das, was sie schon wusste, naehere Auskunft zu erhalten, unter dem Versprechen, dass sie davon keinen Gebrauch machen wuerde, zurueck; und nachdem sie dieselbe noch gefragt hatte, ob zur Wiederherstellung ihrer Soehne Hoffnung sei, und ob sie ihr vielleicht mit irgend etwas, Geld oder eine andere Unterstuetzung, zu diesem Zweck dienen koenne, welches die Frau, indem sie ihr den Rock kuesste, weinend verneinte: gruesste sie dieselbe freundlich mit der Hand und entliess sie. Hier endigt diese Legende. Die Frau, deren Anwesenheit in Aachen gaenzlich nutzlos war, ging mit Zuruecklassung eines kleinen Kapitals, das sie zum Besten ihrer armen Soehne bei den Gerichten niederlegte, nach dem Haag zurueck, wo sie ein Jahr darauf, durch diesen Vorfall tief bewegt, in den Schoss der katholischen Kirche zurueckkehrte: die Soehne aber starben, im spaeten Alter, eines heitern und vergnuegten Todes, nachdem sie noch einmal, ihrer Gewohnheit gemaess, das gloria in excelsis abgesungen hatten. Die Marquise von O... (Nach einer wahren Begebenheit, deren Schauplatz vom Norden nach dem Sueden verlegt worden) In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, liess die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: dass sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstaende gekommen sei, dass der Vater zu dem Kinde, das sie gebaeren wuerde, sich melden solle; und dass sie, aus Familienruecksichten, entschlossen waere, ihn zu heiraten. Die Dame, die einen so sonderbaren, den Spott der Welt reizenden Schritt, beim Drang unabaenderlicher Umstaende, mit solcher Sicherheit tat, war die Tochter des Herrn von G..., Kommandanten der Zitadelle bei M... Sie hatte, vor ungefaehr drei Jahren, ihren Gemahl, den Marquis von O..., dem sie auf das innigste und zaertlichste zugetan war, auf einer Reise verloren, die er, in Geschaeften der Familie, nach Paris gemacht hatte. Auf Frau von G...s, ihrer wuerdigen Mutter, Wunsch, hatte sie, nach seinem Tode, den Landsitz verlassen, den sie bisher bei V... bewohnt hatte, und war, mit ihren beiden Kindern, in das Kommandantenhaus, zu ihrem Vater, zurueckgekehrt. Hier hatte sie die naechsten Jahre mit Kunst, Lektuere, mit Erziehung, und ihrer Eltern Pflege beschaeftigt, in der groessten Eingezogenheit zugebracht: bis der... Krieg ploetzlich die Gegend umher mit den Truppen fast aller Maechte und auch mit russischen erfuellte. Der Obrist von G..., welcher den Platz zu verteidigen Order hatte, forderte seine Gemahlin und seine Tochter auf, sich auf das Landgut, entweder der letzteren, oder seines Sohnes, das bei V... lag, zurueckzuziehen. Doch ehe sich die Abschaetzung noch, hier der Bedraengnisse, denen man in der Festung, dort der Greuel, denen man auf dem platten Lande ausgesetzt sein konnte, auf der Waage der weiblichen Ueberlegung entschieden hatte: war die Zitadelle von den russischen Truppen schon berennt, und aufgefordert, sich zu ergeben. Der Obrist erklaerte gegen seine Familie, dass er sich nunmehr verhalten wuerde, als ob sie nicht vorhanden waere; und antwortete mit Kugeln und Granaten. Der Feind, seinerseits, bombardierte die Zitadelle. Er steckte die Magazine in Brand, eroberte ein Aussenwerk, und als der Kommandant, nach einer nochmaligen Aufforderung, mit der Uebergabe zauderte, so ordnete er einen naechtlichen Ueberfall an, und eroberte die Festung mit Sturm. Eben als die russischen Truppen, unter einem heftigen Haubitzenspiel, von aussen eindrangen, fing der linke Fluegel des Kommandantenhauses Feuer und noetigte die Frauen, ihn zu verlassen. Die Obristin, indem sie der Tochter, die mit den Kindern die Treppe hinabfloh, nacheilte, rief, dass man zusammenbleiben, und sich in die unteren Gewoelbe fluechten moechte; doch eine Granate, die, eben in diesem Augenblicke, in dem Hause zerplatzte, vollendete die gaenzliche Verwirrung in demselben. Die Marquise kam, mit ihren beiden Kindern, auf den Vorplatz des Schlosses, wo die Schuesse schon, im heftigsten Kampf, durch die Nacht blitzten, und sie, besinnungslos, wohin sie sich wenden solle, wieder in das brennende Gebaeude zurueckjagten. Hier, ungluecklicher Weise, begegnete ihr, da sie eben durch die Hintertuer entschluepfen wollte, ein Trupp feindlicher Scharfschuetzen, der, bei ihrem Anblick, ploetzlich still ward, die Gewehre ueber die Schultern hing, und sie, unter abscheulichen Gebaerden, mit sich fortfuehrte. Vergebens rief die Marquise, von der entsetzlichen, sich unter einander selbst bekaempfenden, Rotte bald hier, bald dorthin gezerrt, ihre zitternden, durch die Pforte zurueckfliehenden Frauen, zu Huelfe. Man schleppte sie in den hinteren Schlosshof, wie sie eben, unter den schaendlichsten Misshandlungen, zu Boden sinken wollte, als, von dem Zetergeschrei der Dame herbeigerufen, ein russischer Offizier erschien, und die Hunde, die nach solchem Raub luestern waren, mit wuetenden Hieben zerstreute. Der Marquise schien er ein Engel des Himmels zu sein. Er stiess noch dem letzten viehischen Mordknecht, der ihren schlanken Leib umfasst hielt, mit dem Griff des Degens ins Gesicht, dass er, mit aus dem Mund vorquellendem Blut, zuruecktaumelte; bot dann der Dame, unter einer verbindlichen, franzoesischen Anrede den Arm, und fuehrte sie, die von allen solchen Auftritten sprachlos war, in den anderen, von der Flamme noch nicht ergriffenen, Fluegel des Palastes, wo sie auch voellig bewusstlos niedersank. Hier traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen; versicherte, indem er sich den Hut aufsetzte, dass sie sich bald erholen wuerde; und kehrte in den Kampf zurueck. Der Platz war in kurzer Zeit voellig erobert, und der Kommandant, der sich nur noch wehrte, weil man ihm keinen Pardon geben wollte, zog sich eben mit sinkenden Kraeften nach dem Portal des Hauses zurueck, als der russische Offizier, sehr erhitzt im Gesicht, aus demselben hervortrat, und ihm zurief, sich zu ergeben. Der Kommandant antwortete, dass er auf diese Aufforderung nur gewartet habe, reichte ihm seinen Degen dar, und bat sich die Erlaubnis aus, sich ins Schloss begeben, und nach seiner Familie umsehen zu duerfen. Der russische Offizier, der, nach der Rolle zu urteilen, die er spielte, einer der Anfuehrer des Sturms zu sein schien, gab ihm, unter Begleitung einer Wache, diese Freiheit; setzte sich, mit einiger Eilfertigkeit, an die Spitze eines Detachements, entschied, wo er noch zweifelhaft sein mochte, den Kampf, und bemannte schleunigst die festen Punkte des Forts. Bald darauf kehrte er auf den Waffenplatz zurueck, gab Befehl, der Flamme, welche wuetend um sich zu greifen anfing, Einhalt zu tun, und leistete selbst hierbei Wunder der Anstrengung, als man seine Befehle nicht mit dem gehoerigen Eifer befolgte. Bald kletterte er, den Schlauch in der Hand, mitten unter brennenden Giebeln umher, und regierte den Wasserstrahl; bald steckte er, die Naturen der Asiaten mit Schaudern erfuellend, in den Arsenaelen, und waelzte Pulverfaesser und gefuellte Bomben heraus. Der Kommandant, der inzwischen in das Haus getreten war, geriet auf die Nachricht von dem Unfall, der die Marquise betroffen hatte, in die aeusserste Bestuerzung. Die Marquise, die sich schon voellig, ohne Beihuelfe des Arztes, wie der russische Offizier vorher gesagt hatte, aus ihrer Ohnmacht wieder erholt hatte, und bei der Freude, alle die Ihrigen gesund und wohl zu sehen, nur noch, um die uebermaessige Sorge derselben zu beschwichtigen, das Bett huetete, versicherte ihn, dass sie keinen andern Wunsch habe, als aufstehen zu duerfen, um ihrem Retter ihre Dankbarkeit zu bezeugen. Sie wusste schon, dass er der Graf F..., Obristlieutenant vom t...n Jaegerkorps, und Ritter eines Verdienst- und mehrerer anderen Orden war. Sie bat ihren Vater, ihn instaendigst zu ersuchen, dass er die Zitadelle nicht verlasse, ohne sich einen Augenblick im Schloss gezeigt zu haben. Der Kommandant, der das Gefuehl seiner Tochter ehrte, kehrte auch ungesaeumt in das Fort zurueck, und trug ihm, da er unter unaufhoerlichen Kriegsanordnungen umherschweifte, und keine bessere Gelegenheit zu finden war, auf den Waellen, wo er eben die zerschossenen Rotten revidierte, den Wunsch seiner geruehrten Tochter vor. Der Graf versicherte ihn, dass er nur auf den Augenblick warte, den er seinen Geschaeften wuerde abmuessigen koennen, um ihr seine Ehrerbietigkeit zu bezeugen. Er wollte noch hoeren, wie sich die Frau Marquise befinde? Als ihn die Rapporte mehrerer Offiziere schon wieder in das Gewuehl des Krieges zurueckrissen. Als der Tag anbrach, erschien der Befehlshaber der russischen Truppen, und besichtigte das Fort. Er bezeugte dem Kommandanten seine Hochachtung, bedauerte, dass das Glueck seinen Mut nicht besser unterstuetzt habe, und gab ihm, auf sein Ehrenwort, die Freiheit, sich hinzubegeben, wohin er wolle. Der Kommandant versicherte ihn seiner Dankbarkeit, und aeusserte, wie viel er, an diesem Tage, den Russen ueberhaupt, und besonders dem jungen Grafen F..., Obristlieutenant vom t...n Jaegerkorps, schuldig geworden sei. Der General fragte, was vorgefallen sei; und als man ihn von dem frevelhaften Anschlag auf die Tochter desselben unterrichtete, zeigte er sich auf das aeusserste entruestet. Er rief den Grafen F... bei Namen vor. Nachdem er ihm zuvoerderst wegen seines eignen edelmuetigen Verhaltens eine kurze Lobrede gehalten hatte: wobei der Graf ueber das ganze Gesicht rot ward; schloss er, dass er die Schandkerle, die den Namen des Kaisers brandmarkten, niederschiessen lassen wolle; und befahl ihm, zu sagen, wer sie seien? Der Graf F... antwortete, in einer verwirrten Rede, dass er nicht im Stande sei, ihre Namen anzugeben, indem es ihm, bei dem schwachen Schimmer der Reverberen im Schlosshof, unmoeglich gewesen waere, ihre Gesichter zu erkennen. Der General, welcher gehoert hatte, dass damals schon das Schloss in Flammen stand, wunderte sich darueber; er bemerkte, wie man wohl bekannte Leute in der Nacht an ihren Stimmen erkennen koennte; und gab ihm, da er mit einem verlegenen Gesicht die Achseln zuckte, auf, der Sache auf das allereifrigste und strengste nachzuspueren. In diesem Augenblick berichtete jemand, der sich aus dem hintern Kreise hervordraengte, dass einer von den, durch den Grafen F... verwundeten, Frevlern, da er in dem Korridor niedergesunken, von den Leuten des Kommandanten in ein Behaeltnis geschleppt worden, und darin noch befindlich sei. Der General liess diesen hierauf durch eine Wache herbeifuehren, ein kurzes Verhoer ueber ihn halten; und die ganze Rotte, nachdem jener sie genannt hatte, fuenf an der Zahl zusammen, erschiessen. Dies abgemacht, gab der General, nach Zuruecklassung einer kleinen Besatzung, Befehl zum allgemeinen Aufbruch der uebrigen Truppen; die Offiziere zerstreuten sich eiligst zu ihren Korps; der Graf trat, durch die Verwirrung der Auseinander-Eilenden, zum Kommandanten, und bedauerte, dass er sich der Frau Marquise, unter diesen Umstaenden, gehorsamst empfehlen muesse: und in weniger, als einer Stunde, war das ganze Fort von Russen wieder leer. Die Familie dachte nun darauf, wie sie in der Zukunft eine Gelegenheit finden wuerde, dem Grafen irgend eine Aeusserung ihrer Dankbarkeit zu geben; doch wie gross war ihr Schrecken, als sie erfuhr, dass derselbe noch am Tage seines Aufbruchs aus dem Fort, in einem Gefecht mit den feindlichen Truppen, seinen Tod gefunden habe. Der Kurier, der diese Nachricht nach M... brachte, hatte ihn mit eignen Augen, toedlich durch die Brust geschossen, nach P... tragen sehen, wo er, wie man sichere Nachricht hatte, in dem Augenblick, da ihn die Traeger von den Schultern nehmen wollten, verblichen war. Der Kommandant, der sich selbst auf das Posthaus verfuegte, und sich nach den naeheren Umstaenden dieses Vorfalls erkundigte, erfuhr noch, dass er auf dem Schlachtfeld, in dem Moment, da ihn der Schuss traf, gerufen habe: "Julietta! Diese Kugel raecht dich!" und nachher seine Lippen auf immer geschlossen haette. Die Marquise war untroestlich, dass sie die Gelegenheit hatte vorbeigehen lassen, sich zu seinen Fuessen zu werfen. Sie machte sich die lebhaftesten Vorwuerfe, dass sie ihn, bei seiner, vielleicht aus Bescheidenheit, wie sie meinte, herruehrenden Weigerung, im Schlosse zu erscheinen, nicht selbst aufgesucht habe; bedauerte die Unglueckliche, ihre Namensschwester, an die er noch im Tode gedacht hatte; bemuehte sich vergebens, ihren Aufenthalt zu erforschen, um sie von diesem ungluecklichen und ruehrenden Vorfall zu unterrichten; und mehrere Monden vergingen, ehe sie selbst ihn vergessen konnte. Die Familie musste nun das Kommandantenhaus raeumen, um dem russischen Befehlshaber darin Platz zu machen. Man ueberlegte anfangs, ob man sich nicht auf die Gueter des Kommandanten begeben sollte, wozu die Marquise einen grossen Hang hatte; doch da der Obrist das Landleben nicht liebte, so bezog die Familie ein Haus in der Stadt, und richtete sich dasselbe zu einer immerwaehrenden Wohnung ein. Alles kehrte nun in die alte Ordnung der Dinge zurueck. Die Marquise knuepfte den lange unterbrochenen Unterricht ihrer Kinder wieder an, und suchte, fuer die Feierstunden, ihre Staffelei und Buecher hervor: als sie sich, sonst die Goettin der Gesundheit selbst, von wiederholten Unpaesslichkeiten befallen fuehlte, die sie ganze Wochen lang, fuer die Gesellschaft untauglich machten. Sie litt an Uebelkeiten, Schwindeln und Ohnmachten, und wusste nicht, was sie aus diesem sonderbaren Zustand machen solle. Eines Morgens, da die Familie beim Tee sass, und der Vater sich, auf einen Augenblick, aus dem Zimmer entfernt hatte, sagte die Marquise, aus einer langen Gedankenlosigkeit erwachend, zu ihrer Mutter: wenn mir eine Frau sagte, dass sie ein Gefuehl haette, ebenso, wie ich jetzt, da ich die Tasse ergriff, so wuerde ich bei mir denken, dass sie in gesegneten Leibesumstaenden waere. Frau von G... sagte, sie verstaende sie nicht. Die Marquise erklaerte sich noch einmal, dass sie eben jetzt eine Sensation gehabt haette, wie damals, als sie mit ihrer zweiten Tochter schwanger war. Frau von G... sagte, sie wuerde vielleicht den Phantasus gebaeren, und lachte. Morpheus wenigstens, versetzte die Marquise, oder einer der Traeume aus seinem Gefolge wuerde sein Vater sein; und scherzte gleichfalls. Doch der Obrist kam, das Gespraech ward abgebrochen, und der ganze Gegenstand, da die Marquise sich in einigen Tagen wieder erholte, vergessen. Bald darauf ward der Familie, eben zu einer Zeit, da sich auch der Forstmeister von G..., des Kommandanten Sohn, in dem Hause eingefunden hatte, der sonderbare Schrecken, durch einen Kammerdiener, der ins Zimmer trat, den Grafen F... anmelden zu hoeren. Der Graf F.. .! sagte der Vater und die Tochter zugleich; und das Erstaunen machte alle sprachlos. Der Kammerdiener versicherte, dass er recht gesehen und gehoert habe, und dass der Graf schon im Vorzimmer stehe, und warte. Der Kommandant sprang sogleich selbst auf, ihm zu oeffnen, worauf er, schoen, wie ein junger Gott, ein wenig bleich im Gesicht, eintrat. Nachdem die Szene unbegreiflicher Verwunderung vorueber war, und der Graf, auf die Anschuldigung der Eltern, dass er ja tot sei, versichert hatte, dass er lebe; wandte er sich, mit vieler Ruehrung im Gesicht, zur Tochter, und seine erste Frage war gleich, wie sie sich befinde? Die Marquise versicherte, sehr wohl, und wollte nur wissen, wie er ins Leben erstanden sei? Doch er, auf seinem Gegenstand beharrend, erwiderte: dass sie ihm nicht die Wahrheit sage; auf ihrem Antlitz druecke sich eine seltsame Mattigkeit aus; ihn muesse alles truegen, oder sie sei unpaesslich, und leide. Die Marquise, durch die Herzlichkeit, womit er dies vorbrachte, gut gestimmt, versetzte: nun ja; diese Mattigkeit, wenn er wolle, koenne fuer die Spur einer Kraenklichkeit gelten, an welcher sie vor einigen Wochen gelitten haette; sie fuerchte inzwischen nicht, dass diese weiter von Folgen sein wuerde. Worauf er, mit einer aufflammenden Freude, erwiderte: er auch nicht! und hinzusetzte, ob sie ihn heiraten wolle? Die Marquise wusste nicht, was sie von dieser Auffuehrung denken solle. Sie sah, ueber und ueber rot, ihre Mutter, und diese, mit Verlegenheit, den Sohn und den Vater an; waehrend der Graf vor die Marquise trat, und indem er ihre Hand nahm, als ob er sie kuessen wollte, wiederholte: ob sie ihn verstanden haette? Der Kommandant sagte: ob er nicht Platz nehmen wolle; und setzte ihm, auf eine verbindliche, obschon etwas ernsthafte, Art einen Stuhl hin. Die Obristin sprach: in der Tat, wir werden glauben, dass Sie ein Geist sind, bis Sie uns werden eroeffnet haben, wie Sie aus dem Grabe, in welches man Sie zu P... gelegt hatte, erstanden sind. Der Graf setzte sich, indem er die Hand der Dame fahren liess, nieder, und sagte, dass er, durch die Umstaende gezwungen, sich sehr kurz fassen muesse; dass er, toedlich durch die Brust geschossen, nach P... gebracht worden waere; dass er mehrere Monate daselbst an seinem Leben verzweifelt haette; dass waehrend dessen die Frau Marquise sein einziger Gedanke gewesen waere; dass er die Lust und den Schmerz nicht beschreiben koennte, die sich in dieser Vorstellung umarmt haetten; dass er endlich, nach seiner Wiederherstellung, wieder zur Armee gegangen waere; dass er daselbst die lebhafteste Unruhe empfunden haette; dass er mehrere Male die Feder ergriffen, um in einem Briefe, an den Herrn Obristen und die Frau Marquise, seinem Herzen Luft zu machen; dass er ploetzlich mit Depeschen nach Neapel geschickt worden waere; dass er nicht wisse, ob er nicht von dort weiter nach Konstantinopel werde abgeordert werden; dass er vielleicht gar nach St. Petersburg werde gehen muessen; dass ihm inzwischen unmoeglich waere, laenger zu leben, ohne ueber eine notwendige Forderung seiner Seele ins Reine zu sein; dass er dem Drang bei seiner Durchreise durch M..., einige Schritte zu diesem Zweck zu tun, nicht habe widerstehen koennen; kurz, dass er den Wunsch hege, mit der Hand der Frau Marquise beglueckt zu werden, und dass er auf das ehrfurchtsvollste, instaendigste und dringendste bitte, sich ihm hierueber guetig zu erklaeren.--Der Kommandant, nach einer langen Pause, erwiderte: dass ihm dieser Antrag zwar, wenn er, wie er nicht zweifle, ernsthaft gemeint sei, sehr schmeichelhaft waere. Bei dem Tode ihres Gemahls, des Marquis von O..., haette sich seine Tochter aber entschlossen, in keine zweite Vermaehlung einzugehen. Da ihr jedoch kuerzlich von ihm eine so grosse Verbindlichkeit auferlegt worden sei: so waere es nicht unmoeglich, dass ihr Entschluss dadurch, seinen Wuenschen gemaess, eine Abaenderung erleide; er bitte sich inzwischen die Erlaubnis fuer sie aus, darueber im Stillen waehrend einiger Zeit nachdenken zu duerfen. Der Graf versicherte, dass diese guetige Erklaerung zwar alle seine Hoffnungen befriedige; dass sie ihn, unter anderen Umstaenden, auch voellig begluecken wuerde; dass er die ganze Unschicklichkeit fuehle, sich mit derselben nicht zu beruhigen: dass dringende Verhaeltnisse jedoch, ueber welche er sich naeher auszulassen nicht im Stande sei, ihm eine bestimmtere Erklaerung aeusserst wuenschenswert machten; dass die Pferde, die ihn nach Neapel tragen sollten, vor seinem Wagen stuenden; und dass er instaendigst bitte, wenn irgend etwas in diesem Hause guenstig fuer ihn spreche,--wobei er die Marquise ansah--ihn nicht, ohne eine guetige Aeusserung darueber, abreisen zu lassen. Der Obrist, durch diese Auffuehrung ein wenig betreten, antwortete, dass die Dankbarkeit, die die Marquise fuer ihn empfaende, ihn zwar zu grossen Voraussetzungen berechtige: doch nicht zu so grossen; sie werde bei einem Schritte, bei welchem es das Glueck ihres Lebens gelte, nicht ohne die gehoerige Klugheit verfahren. Es waere unerlaesslich, dass seiner Tochter, bevor sie sich erklaere, das Glueck seiner naeheren Bekanntschaft wuerde. Er lade ihn ein, nach Vollendung seiner Geschaeftsreise, nach M... zurueckzukehren, und auf einige Zeit der Gast seines Hauses zu sein. Wenn alsdann die Frau Marquise hoffen koenne, durch ihn gluecklich zu werden, so werde auch er, eher aber nicht, mit Freuden vernehmen, dass sie ihm eine bestimmte Antwort gegeben habe. Der Graf aeusserte, indem ihm eine Roete ins Gesicht stieg, dass er seinen ungeduldigen Wuenschen, waehrend seiner ganzen Reise, dies Schicksal vorausgesagt habe; dass er sich inzwischen dadurch in die aeusserste Bekuemmernis gestuerzt sehe; dass ihm, bei der unguenstigen Rolle, die er eben jetzt zu spielen gezwungen sei, eine naehere Bekanntschaft nicht anders als vorteilhaft sein koenne; dass er fuer seinen Ruf, wenn anders diese zweideutigste aller Eigenschaften in Erwaegung gezogen werden solle, einstehen zu duerfen glaube; dass die einzige nichtswuerdige Handlung, die er in seinem Leben begangen haette, der Welt unbekannt, und er schon im Begriff sei, sie wieder gut zu machen; dass er, mit einem Wort, ein ehrlicher Mann sei, und die Versicherung anzunehmen bitte, dass diese Versicherung wahrhaftig sei.--Der Kommandant erwiderte, indem er ein wenig, obschon ohne Ironie, laechelte, dass er alle diese Aeusserungen unterschreibe. Noch haette er keines jungen Mannes Bekanntschaft gemacht, der, in so kurzer Zeit, so viele vortreffliche Eigenschaften des Charakters entwickelt haette. Er glaube fast, dass eine kurze Bedenkzeit die Unschluessigkeit, die noch obwalte, heben wuerde; bevor er jedoch Ruecksprache genommen haette, mit seiner sowohl, als des Herrn Grafen Familie, koenne keine andere Erklaerung, als die gegebene, erfolgen. Hierauf aeusserte der Graf, dass er ohne Eltern und frei sei. Sein Onkel sei der General K..., fuer dessen Einwilligung er stehe. Er setzte hinzu, dass er Herr eines ansehnlichen Vermoegens waere, und sich wuerde entschliessen koennen, Italien zu seinem Vaterlande zu machen.--Der Kommandant machte ihm eine verbindliche Verbeugung, erklaerte seinen Willen noch einmal; und bat ihn, bis nach vollendeter Reise, von dieser Sache abzubrechen. Der Graf, nach einer kurzen Pause, in welcher er alle Merkmale der groessten Unruhe gegeben hatte, sagte, indem er sich zur Mutter wandte, dass er sein Aeusserstes getan haette, um dieser Geschaeftsreise auszuweichen; dass die Schritte, die er deshalb beim General en Chef, und dem General K..., seinem Onkel, gewagt haette, die entscheidendsten gewesen waeren, die sich haetten tun lassen; dass man aber geglaubt haette, ihn dadurch aus einer Schwermut aufzuruetteln, die ihm von seiner Krankheit noch zurueckgeblieben waere; und dass er sich jetzt voellig dadurch ins Elend gestuerzt sehe.--Die Familie wusste nicht, was sie zu dieser Aeusserung sagen sollte. Der Graf fuhr fort, indem er sich die Stirn rieb, dass wenn irgend Hoffnung waere, dem Ziele seiner Wuensche dadurch naeher zu kommen, er seine Reise auf einen Tag, auch wohl noch etwas darueber, aussetzen wuerde, um es zu versuchen.--Hierbei sah er, nach der Reihe, den Kommandanten, die Marquise und die Mutter an. Der Kommandant blickte missvergnuegt vor sich nieder, und antwortete ihm nicht. Die Obristin sagte: gehn Sie, gehn Sie, Herr Graf; reisen Sie nach Neapel; schenken Sie uns, wenn Sie wiederkehren, auf einige Zeit das Glueck Ihrer Gegenwart; so wird sich das Uebrige finden.--Der Graf sass einen Augenblick, und schien zu suchen, was er zu tun habe. Drauf, indem er sich erhob, und seinen Stuhl wegsetzte: da er die Hoffnungen, sprach er, mit denen er in dies Haus getreten sei, als uebereilt erkennen muesse, und die Familie, wie er nicht missbillige, auf eine naehere Bekanntschaft bestehe: so werde er seine Depeschen, zu einer anderweitigen Expedition, nach Z..., in das Hauptquartier, zurueckschicken, und das guetige Anerbieten, der Gast dieses Hauses zu sein, auf einige Wochen annehmen. Worauf er noch, den Stuhl in der Hand, an der Wand stehend, einen Augenblick verharrte, und den Kommandanten ansah. Der Kommandant versetzte, dass es ihm aeusserst leid tun wuerde, wenn die Leidenschaft, die er zu seiner Tochter gefasst zu haben scheine, ihm Unannehmlichkeiten von der ernsthaftesten Art zuzoege: dass er indessen wissen muesse, was er zu tun und zu lassen habe, die Depeschen abschicken, und die fuer ihn bestimmten Zimmer, beziehen moechte. Man sah ihn bei diesen Worten sich entfaerben, der Mutter ehrerbietig die Hand kuessen, sich gegen die Uebrigen verneigen und sich entfernen. Als er das Zimmer verlassen hatte, wusste die Familie nicht, was sie aus dieser Erscheinung machen solle. Die Mutter sagte, es waere wohl nicht moeglich, dass er Depeschen, mit denen er nach Neapel ginge, nach Z... zurueckschicken wolle, bloss, weil es ihm nicht gelungen waere, auf seiner Durchreise durch M..., in einer fuenf Minuten langen Unterredung, von einer ihm ganz unbekannten Dame ein Jawort zu erhalten. Der Forstmeister aeusserte, dass eine so leichtsinnige Tat ja mit nichts Geringerem, als Festungsarrest, bestraft werden wuerde! Und Kassation obenein, setzte der Kommandant hinzu. Es habe aber damit keine Gefahr, fuhr er fort. Es sei ein blosser Schreckschuss beim Sturm; er werde sich wohl noch, ehe er die Depeschen abgeschickt, wieder besinnen. Die Mutter, als sie von dieser Gefahr unterrichtet ward, aeusserte die lebhafteste Besorgnis, dass er sie abschicken werde. Sein heftiger, auf einen Punkt hintreibender Wille, meinte sie, scheine ihr gerade einer solchen Tat faehig. Sie bat den Forstmeister auf das dringendste, ihm sogleich nachzugehen, und ihn von einer so unglueckdrohenden Handlung abzuhalten. Der Forstmeister erwiderte, dass ein solcher Schritt gerade das Gegenteil bewirken, und ihn nur in der Hoffnung, durch seine Kriegslist zu siegen, bestaerken wuerde. Die Marquise war derselben Meinung, obschon sie versicherte, dass ohne ihn die Absendung der Depeschen unfehlbar erfolgen wuerde, indem er lieber werde ungluecklich werden, als sich eine Bloesse geben wollen. Alle kamen darin ueberein, dass sein Betragen sehr sonderbar sei, und dass er Damenherzen durch Anlauf, wie Festungen, zu erobern gewohnt scheine. In diesem Augenblick bemerkte der Kommandant den angespannten Wagen des Grafen vor seiner Tuer. Er rief die Familie ans Fenster, und fragte einen eben eintretenden Bedienten, erstaunt, ob der Graf noch im Hause sei? Der Bediente antwortete, dass er unten, in der Domestikenstube, in Gesellschaft eines Adjutanten, Briefe schreibe und Pakete versiegle. Der Kommandant, der seine Bestuerzung unterdrueckte, eilte mit dem Forstmeister hinunter, und fragte den Grafen, da er ihn auf dazu nicht schicklichen Tischen seine Geschaefte betreiben sah, ob er nicht in seine Zimmer treten wolle? Und ob er sonst irgend etwas befehle? Der Graf erwiderte, indem er mit Eilfertigkeit fortschrieb, dass er untertaenigst danke, und dass sein Geschaeft abgemacht sei; fragte noch, indem er den Brief zusiegelte, nach der Uhr; und wuenschte dem Adjutanten, nachdem er ihm das ganze Portefeuille uebergeben hatte, eine glueckliche Reise. Der Kommandant, der seinen Augen nicht traute, sagte, indem der Adjutant zum Hause hinausging: Herr Graf, wenn Sie nicht sehr wichtige Gruende haben--Entscheidende! fiel ihm der Graf ins Wort; begleitete den Adjutanten zum Wagen, und oeffnete ihm die Tuer. In diesem Fall wuerde ich wenigstens, fuhr der Kommandant fort, die Depeschen--Es ist nicht moeglich, antwortete der Graf, indem er den Adjutanten in den Sitz hob. Die Depeschen gelten nichts in Neapel ohne mich. Ich habe auch daran gedacht. Fahr zu!--Und die Briefe Ihres Herrn Onkels? rief der Adjutant, sich aus der Tuer hervorbeugend. Treffen mich, erwiderte der Graf, in M... Fahr zu, sagte der Adjutant, und rollte mit dem Wagen dahin. Hierauf fragte der Graf F..., indem er sich zum Kommandanten wandte, ob er ihm gefaelligst sein Zimmer anweisen lassen wolle? Er wuerde gleich selbst die Ehre haben, antwortete der verwirrte Obrist; rief seinen und des Grafen Leuten, das Gepaeck desselben aufzunehmen: und fuehrte ihn in die fuer fremden Besuch bestimmten Gemaecher des Hauses, wo er sich ihm mit einem trocknen Gesicht empfahl. Der Graf kleidete sich um; verliess das Haus, um sich bei dem Gouverneur des Platzes zu melden, und fuer den ganzen weiteren Rest des Tages im Hause unsichtbar, kehrte er erst kurz vor der Abendtafel dahin zurueck. Inzwischen war die Familie in der lebhaftesten Unruhe. Der Forstmeister erzaehlte, wie bestimmt, auf einige Vorstellungen des Kommandanten, des Grafen Antworten ausgefallen waeren; meinte, dass sein Verhalten einem voellig ueberlegten Schritt aehnlich sehe; und fragte, in aller Welt, nach den Ursachen einer so auf Kurierpferden gehenden Bewerbung. Der Kommandant sagte, dass er von der Sache nichts verstehe, und forderte die Familie auf, davon weiter nicht in seiner Gegenwart zu sprechen. Die Mutter sah alle Augenblicke aus dem Fenster, ob er nicht kommen, seine leichtsinnige Tat bereuen, und wieder gut machen werde. Endlich, da es finster ward, setzte sie sich zur Marquise nieder, welche, mit vieler Emsigkeit, an einem Tisch arbeitete, und das Gespraech zu vermeiden schien. Sie fragte sie halblaut, waehrend der Vater auf und niederging, ob sie begreife, was aus dieser Sache werden solle? Die Marquise antwortete, mit einem schuechtern nach dem Kommandanten gewandten Blick: wenn der Vater bewirkt haette, dass er nach Neapel gereist waere, so waere alles gut. Nach Neapel! rief der Kommandant, der dies gehoert hatte. Sollt ich den Priester holen lassen? Oder haett ich ihn schliessen lassen und arretieren, und mit Bewachung nach Neapel schicken sollen?--Nein, antwortete die Marquise, aber lebhafte und eindringliche Vorstellungen tun ihre Wirkung; und sah, ein wenig unwillig, wieder auf ihre Arbeit nieder.--Endlich gegen die Nacht erschien der Graf. Man erwartete nur, nach den ersten Hoeflichkeitsbezeugungen, dass dieser Gegenstand zur Sprache kommen werde, um ihn mit vereinter Kraft zu bestuermen, den Schritt, den er gewagt hatte, wenn es noch moeglich sei, wieder zurueckzunehmen. Doch vergebens, waehrend der ganzen Abendtafel, erharrte man diesen Augenblick. Geflissentlich alles, was darauf fuehren konnte, vermeidend, unterhielt er den Kommandanten vom Kriege, und den Forstmeister von der Jagd. Als er des Gefechts bei P..., in welchem er verwundet worden war, erwaehnte, verwickelte ihn die Mutter bei der Geschichte seiner Krankheit, fragte ihn, wie es ihm an diesem kleinen Orte ergangen sei, und ob er die gehoerigen Bequemlichkeiten gefunden haette. Hierauf erzaehlte er mehrere, durch seine Leidenschaft zur Marquise interessanten, Zuege: wie sie bestaendig, waehrend seiner Krankheit, an seinem Bette gesessen haette; wie er die Vorstellung von ihr, in der Hitze des Wundfiebers, immer mit der Vorstellung eines Schwans verwechselt haette, den er, als Knabe, auf seines Onkels Guetern gesehen; dass ihm besonders eine Erinnerung ruehrend gewesen waere, da er diesen Schwan einst mit Kot beworfen, worauf dieser still untergetaucht, und rein aus der Flut wieder emporgekommen sei; dass sie immer auf feurigen Fluten umhergeschwommen waere, und er Thinka gerufen haette, welches der Name jenes Schwans gewesen, dass er aber nicht im Stande gewesen waere, sie an sich zu locken, indem sie ihre Freude gehabt haette, bloss am Rudern und In-die-Brust-sich-werfen; versicherte ploetzlich, blutrot im Gesicht, dass er sie ausserordentlich liebe: sah wieder auf seinen Teller nieder, und schwieg. Man musste endlich von der Tafel aufstehen; und da der Graf, nach einem kurzen Gespraech mit der Mutter, sich sogleich gegen die Gesellschaft verneigte, und wieder in sein Zimmer zurueckzog: so standen die Mitglieder derselben wieder, und wussten nicht, was sie denken sollten. Der Kommandant meinte: man muesse der Sache ihren Lauf lassen. Er rechne wahrscheinlich auf seine Verwandten bei diesem Schritte. Infame Kassation stuende sonst darauf. Frau von G... fragte ihre Tochter, was sie denn von ihm halte? Und ob sie sich wohl zu irgend einer Aeusserung, die ein Unglueck vermiede, wuerde verstehen koennen? Die Marquise antwortete: Liebste Mutter! Das ist nicht moeglich. Es tut mir leid, dass meine Dankbarkeit auf eine so harte Probe gestellt wird. Doch es war mein Entschluss, mich nicht wieder zu vermaehlen; ich mag mein Glueck nicht, und nicht so unueberlegt, auf ein zweites Spiel setzen. Der Forstmeister bemerkte, dass wenn dies ihr fester Wille waere, auch diese Erklaerung ihm Nutzen schaffen koenne, und dass es fast notwendig scheinen ihm irgend eine bestimmte zu geben. Die Obristin versetzte, dass da dieser junge Mann, den so viele ausserordentliche Eigenschaften empfehlen, seinen Aufenthalt in Italien nehmen zu wollen, erklaert habe, sein Antrag, nach ihrer Meinung, einige Ruecksicht, und der Entschluss der Marquise Pruefung verdiene. Der Forstmeister, indem er sich bei ihr niederliess, fragte, wie er ihr denn, was seine Person anbetreffe, gefalle? Die Marquise antwortete, mit einiger Verlegenheit: er gefaellt und missfaellt mir; und berief sich auf das Gefuehl der anderen. Die Obristin sagte: wenn er von Neapel zurueckkehrt, und die Erkundigungen, die wir inzwischen ueber ihn einziehen koennten, dem Gesamteindruck, den du von ihm empfangen hast, nicht widerspraechen: wie wuerdest du dich, falls er alsdann seinen Antrag wiederholte, erklaeren? In diesem Fall, versetzte die Marquise, wuerd ich--da in der Tat seine Wuensche so lebhaft scheinen, diese Wuensche--sie stockte, und ihre Augen glaenzten, indem sie dies sagte--um der Verbindlichkeit willen, die ich ihm schuldig bin, erfuellen. Die Mutter, die eine zweite Vermaehlung ihrer Tochter immer gewuenscht hatte, hatte Muehe, ihre Freude ueber diese Erklaerung zu verbergen, und sann, was sich wohl daraus machen lasse. Der Forstmeister sagte, indem er unruhig vom Sitz wieder aufstand, dass wenn die Marquise irgend an die Moeglichkeit denke, ihn einst mit ihrer Hand zu erfreuen, jetzt gleich notwendig ein Schritt dazu geschehen muesse, um den Folgen seiner rasenden Tat vorzubeugen. Die Mutter war derselben Meinung, und behauptete, dass zuletzt das Wagstueck nicht gross waere, indem bei so vielen vortrefflichen Eigenschaften, die er in jener Nacht, da das Fort von den Russen erstuermt ward, entwickelte, kaum zu fuerchten sei, dass sein uebriger Lebenswandel ihnen nicht entsprechen sollte. Die Marquise sah, mit dem Ausdruck der lebhaftesten Unruhe, vor sich nieder. Man koennte ihm ja, fuhr die Mutter fort, indem sie ihre Hand ergriff, etwa eine Erklaerung, dass du, bis zu seiner Rueckkehr von Neapel, in keine andere Verbindung eingehen wollest, zukommen lassen. Die Marquise sagte: diese Erklaerung, liebste Mutter, kann ich ihm geben; ich fuerchte nur, dass sie ihn nicht beruhigen, und uns verwickeln wird. Das sei meine Sorge! erwiderte die Mutter, mit lebhafter Freude; und sah sich nach dem Kommandanten um. Lorenzo! fragte sie, was meinst du? Und machte Anstalten, sich vom Sitz zu erheben. Der Kommandant, der alles gehoert hatte, stand am Fenster, sah auf die Strasse hinaus, und sagte nichts. Der Forstmeister versicherte, dass er, mit dieser unschaedlichen Erklaerung, den Grafen aus dem Hause zu schaffen, sich anheischig mache. Nun so macht! macht! macht! rief der Vater, indem er sich umkehrte: ich muss mich diesem Russen schon zum zweitenmal ergeben!--Hierauf sprang die Mutter auf, kuesste ihn und die Tochter, und fragte, indem der Vater ueber ihre Geschaeftigkeit laechelte, wie man dem Grafen jetzt diese Erklaerung augenblicklich hinterbringen solle? Man beschloss, auf den Vorschlag des Forstmeisters, ihn bitten zu lassen, sich, falls er noch nicht entkleidet sei, gefaelligst auf einen Augenblick zur Familie zu verfuegen. Er werde gleich die Ehre haben zu erscheinen! liess der Graf antworten, und kaum war der Kammerdiener mit dieser Meldung zurueck, als er schon selbst, mit Schritten, die die Freude befluegelte, ins Zimmer trat, und zu den Fuessen der Marquise, in der allerlebhaftesten Ruehrung niedersank. Der Kommandant wollte etwas sagen: doch er, indem er aufstand, versetzte, er wisse genug! kuesste ihm und der Mutter die Hand, umarmte den Bruder, und bat nur um die Gefaelligkeit, ihm sogleich zu einem Reisewagen zu verhelfen. Die Marquise, obschon von diesem Auftritt bewegt, sagte doch: ich fuerchte nicht, Herr Graf, dass Ihre rasche Hoffnung Sie zu weit--Nichts! Nichts! versetzte der Graf; es ist nichts geschehen, wenn die Erkundigungen, die Sie ueber mich einziehen moegen, dem Gefuehl widersprechen, das mich zu Ihnen in dies Zimmer zurueckberief. Hierauf umarmte der Kommandant ihn auf das herzlichste, der Forstmeister bot ihm sogleich seinen eigenen Reisewagen an, ein Jaeger flog auf die Post, Kurierpferde auf Praemien zu bestellen, und Freude war bei dieser Abreise, wie noch niemals bei einem Empfang. Er hoffe, sagte der Graf, die Depeschen in B... einzuholen, von wo er jetzt einen naeheren Weg nach Neapel, als ueber M... einschlagen wuerde; in Neapel wuerde er sein Moeglichstes tun, die fernere Geschaeftsreise nach Konstantinopel abzulehnen; und da er, auf den aeussersten Fall, entschlossen waere, sich krank anzugeben, so versicherte er, dass wenn nicht unvermeidliche Hindernisse ihn abhielten, er in Zeit von vier bis sechs Wochen unfehlbar wieder in M... sein wuerde. Hierauf meldete sein Jaeger, dass der Wagen angespannt, und alles zur Abreise bereit sei. Der Graf nahm seinen Hut, trat vor die Marquise, und ergriff ihre Hand. Nun denn, sprach er, Julietta, so bin ich einigermassen beruhigt; und legte seine Hand in die ihrige; obschon es mein sehnlichster Wunsch war, mich noch vor meiner Abreise mit Ihnen zu vermaehlen. Vermaehlen! riefen alle Mitglieder der Familie aus. Vermaehlen, wiederholte der Graf, kuesste der Marquise die Hand, und versicherte, da diese fragte, ob er von Sinnen sei: es wuerde ein Tag kommen, wo sie ihn verstehen wuerde! Die Familie wollte auf ihn boese werden; doch er nahm gleich auf das waermste von allen Abschied, bat sie, ueber diese Aeusserung nicht weiter nachzudenken, und reiste ab. Mehrere Wochen, in welchen die Familie, mit sehr verschiedenen Empfindungen, auf den Ausgang dieser sonderbaren Sache gespannt war, verstrichen. Der Kommandant empfing vom General K..., dem Onkel des Grafen, eine hoefliche Zuschrift; der Graf selbst schrieb aus Neapel; die Erkundigungen, die man ueber ihn einzog, sprachen ziemlich zu seinem Vorteil; kurz, man hielt die Verlobung schon fuer so gut, wie abgemacht: als sich die Kraenklichkeiten der Marquise, mit groesserer Lebhaftigkeit, als jemals, wieder einstellten. Sie bemerkte eine unbegreifliche Veraenderung ihrer Gestalt. Sie entdeckte sich mit voelliger Freimuetigkeit ihrer Mutter, und sagte, sie wisse nicht, was sie von ihrem Zustand denken solle. Die Mutter, welche so sonderbare Zufaelle fuer die Gesundheit ihrer Tochter aeusserst besorgt machten, verlangte, dass sie einen Arzt zu Rate ziehe. Die Marquise, die durch ihre Natur zu siegen hoffte, straeubte sich dagegen; sie brachte mehrere Tage noch, ohne dem Rat der Mutter zu folgen, unter den empfindlichsten Leiden zu: bis Gefuehle, immer wiederkehrend und von so wunderbarer Art, sie in die lebhafteste Unruhe stuerzten. Sie liess einen Arzt rufen, der das Vertrauen ihres Vaters besass, noetigte ihn, da gerade die Mutter abwesend war, auf den Diwan nieder, und eroeffnete ihm, nach einer kurzen Einleitung, scherzend, was sie von sich glaube. Der Arzt warf einen forschenden Blick auf sie; schwieg noch, nachdem er eine genaue Untersuchung vollendet hatte, eine Zeitlang: und antwortete dann mit einer sehr ernsthaften Miene, dass die Frau Marquise ganz richtig urteile. Nachdem er sich auf die Frage der Dame, wie er dies verstehe, ganz deutlich erklaert, und mit einem Laecheln, das er nicht unterdruecken konnte, gesagt hatte, dass sie ganz gesund sei, und keinen Arzt brauche, zog die Marquise, und sah ihn sehr streng von der Seite an, die Klingel, und bat ihn, sich zu entfernen. Sie aeusserte halblaut, als ob er der Rede nicht wert waere, vor sich nieder murmelnd: dass sie nicht Lust haette, mit ihm ueber Gegenstaende dieser Art zu scherzen. Der Doktor erwiderte empfindlich: er muesse wuenschen, dass sie immer zum Scherz so wenig aufgelegt gewesen waere, wie jetzt; nahm Stock und Hut, und machte Anstalten, sich sogleich zu empfehlen. Die Marquise versicherte, dass sie von diesen Beleidigungen ihren Vater unterrichten wuerde. Der Arzt antwortete, dass er seine Aussage vor Gericht beschwoeren koenne: oeffnete die Tuer, verneigte sich, und wollte das Zimmer verlassen. Die Marquise fragte, da er noch einen Handschuh, den er hatte fallen lassen, von der Erde aufnahm: und die Moeglichkeit davon, Herr Doktor? Der Doktor erwiderte, dass er ihr die letzten Gruende der Dinge nicht werde zu erklaeren brauchen; verneigte sich ihr noch einmal, und ging ab. Die Marquise stand, wie vom Donner geruehrt. Sie raffte sich auf, und wollte zu ihrem Vater eilen; doch der sonderbare Ernst des Mannes, von dem sie sich beleidigt sah, laehmte alle ihre Glieder. Sie warf sich in der groessten Bewegung auf den Diwan nieder. Sie durchlief, gegen sich selbst misstrauisch, alle Momente des verflossenen Jahres, und hielt sich fuer verrueckt, wenn sie an den letzten dachte. Endlich erschien die Mutter; und auf die bestuerzte Frage, warum sie so unruhig sei? erzaehlte ihr die Tochter, was ihr der Arzt soeben eroeffnet hatte. Frau von G... nannte ihn einen Unverschaemten und Nichtswuerdigen, und bestaerkte die Tochter in dem Entschluss, diese Beleidigung dem Vater zu entdecken. Die Marquise versicherte, dass es sein voelliger Ernst gewesen sei, und dass er entschlossen scheine, dem Vater ins Gesicht seine rasende Behauptung zu wiederholen. Frau von G... fragte, nicht wenig erschrocken, ob sie denn an die Moeglichkeit eines solchen Zustandes glaube? Eher, antwortete die Marquise, dass die Graeber befruchtet werden, und sich dem Schosse der Leichen eine Geburt entwickeln wird! Nun, du liebes wunderliches Weib, sagte die Obristin, indem sie sie fest an sich drueckte: was beunruhigt dich denn? Wenn dein Bewusstsein dich rein spricht: wie kann dich ein Urteil, und waere es das einer ganzen Konsulta von Aerzten, nur kuemmern? Ob das seinige aus Irrtum, ob es aus Bosheit entsprang: gilt es dir nicht voellig gleichviel? Doch schicklich ist es, dass wir es dem Vater entdecken.--O Gott! sagte die Marquise, mit einer konvulsivischen Bewegung: wie kann ich mich beruhigen. Hab ich nicht mein eignes, innerliches, mir nur allzuwohlbekanntes Gefuehl gegen mich? Wuerd ich nicht, wenn ich in einer andern meine Empfindung wuesste, von ihr selbst urteilen, dass es damit seine Richtigkeit habe? Es ist entsetzlich, versetzte die Obristin. Bosheit! Irrtum! fuhr die Marquise fort. Was kann dieser Mann, der uns bis auf den heutigen Tag schaetzenswuerdig erschien, fuer Gruende haben, mich auf eine so mutwillige und niedertraechtige Art zu kraenken? Mich, die ihn nie beleidigt hatte? Die ihn mit Vertrauen, und dem Vorgefuehl zukuenftiger Dankbarkeit, empfing? Bei der er, wie seine ersten Worte zeugten, mit dem reinen und unverfaelschten Willen erschien, zu helfen, nicht Schmerzen, grimmigere, als ich empfand, erst zu erregen? Und wenn ich in der Notwendigkeit der Wahl, fuhr sie fort, waehrend die Mutter sie unverwandt ansah, an einen Irrtum glauben wollte: ist es wohl moeglich, dass ein Arzt, auch nur von mittelmaessiger Geschicklichkeit, in solchem Falle irre? Die Obristin sagte ein wenig spitz: und gleichwohl muss es doch notwendig eins oder das andere gewesen sein. Ja! versetzte die Marquise, meine teuerste Mutter, indem sie ihr, mit dem Ausdruck der gekraenkten Wuerde, hochrot im Gesicht gluehend, die Hand kuesste: das muss es! Obschon die Umstaende so ausserordentlich sind, dass es mir erlaubt ist, daran zu zweifeln. Ich schwoere, weil es doch einer Versicherung bedarf, dass mein Bewusstsein, gleich dem meiner Kinder ist; nicht reiner, Verehrungswuerdigste, kann das Ihrige sein. Gleichwohl bitte ich Sie, mir eine Hebamme rufen zu lassen, damit ich mich von dem, was ist, ueberzeuge, und gleichviel alsdann, was es sei, beruhige. Eine Hebamme! rief Frau von G... mit Entwuerdigung. Ein reines Bewusstsein, und eine Hebamme! Und die Sprache ging ihr aus. Eine Hebamme, meine teuerste Mutter, wiederholte die Marquise, indem sie sich auf Knieen vor ihr niederliess; und das augenblicklich, wenn ich nicht wahnsinnig werden soll. O sehr gern, versetzte die Obristin; nur bitte ich, das Wochenlager nicht in meinem Hause zu halten. Und damit stand sie auf, und wollte das Zimmer verlassen. Die Marquise, ihr mit ausgebreiteten Armen folgend, fiel ganz auf das Gesicht nieder, und umfasste ihre Kniee. Wenn irgend ein unstraefliches Leben, rief sie, mit der Beredsamkeit des Schmerzes, ein Leben, nach Ihrem Muster gefuehrt, mir ein Recht auf Ihre Achtung gibt, wenn irgend ein muetterliches Gefuehl auch nur, so lange meine Schuld nicht sonnenklar entschieden ist, in Ihrem Busen fuer mich spricht: so verlassen Sie mich in diesen entsetzlichen Augenblicken nicht.--Was ist es, das dich beunruhigt? fragte die Mutter. Ist es weiter nichts, als der Ausspruch des Arztes? Weiter nichts, als dein innerliches Gefuehl? Nichts weiter, meine Mutter, versetzte die Marquise, und legte ihre Hand auf die Brust. Nichts, Julietta? fuhr die Mutter fort. Besinne dich. Ein Fehltritt, so unsaeglich er mich schmerzen wuerde, er liesse sich, und ich muesste ihn zuletzt verzeihn; doch wenn du, um einem muetterlichen Verweis auszuweichen, ein Maerchen von der Umwaelzung der Weltordnung ersinnen, und gotteslaesterliche Schwuere haeufen koenntest, um es meinem, dir nur allzugernglaeubigen, Herzen aufzubuerden: so waere das schaendlich; ich wuerde dir niemals wieder gut werden.--Moege das Reich der Erloesung einst so offen vor mir liegen, wie meine Seele vor Ihnen, rief die Marquise. Ich verschwieg Ihnen nichts, meine Mutter. --Diese Aeusserung, voll Pathos getan, erschuetterte die Mutter. O Himmel! rief sie: mein liebenswuerdiges Kind! Wie ruehrst du mich! Und hob sie auf, und kuesste sie, und drueckte sie ihre Brust. Was denn, in aller Welt, fuerchtest du? Komm, du bist sehr krank. Sie wollte sie in ein Bett fuehren. Doch die Marquise, welcher die Traenen haeufig flossen, versicherte, dass sie sehr gesund waere, und das ihr gar nichts fehle, ausser jenem sonderbaren und unbegreiflichen Zustand. --Zustand! rief die Mutter wieder; welch ein Zustand? Wenn dein Gedaechtnis ueber die Vergangenheit so sicher ist, welch ein Wahnsinn der Furcht ergriff dich? Kann ein innerliches Gefuehl denn, das doch nur dunkel sich regt, nicht truegen? Nein! Nein! sagte die Marquise, es truegt mich nicht! Und wenn Sie die Hebamme rufen lassen wollen, so werden Sie hoeren, dass das Entsetzliche, mich Vernichtende, wahr ist. Komm, meine liebste Tochter, sagte Frau von G..., die fuer ihren Verstand zu fuerchten anfing. Komm, folge mir, und lege dich zu Bett. Was meintest du, dass dir der Arzt gesagt hat? Wie dein Gesicht glueht! Wie du an allen Gliedern so zitterst! Was war es schon, das dir der Arzt gesagt hat? Und damit zog sie die Marquise, unglaeubig nunmehr an den ganzen Auftritt, den sie ihr erzaehlt hatte, mit sich fort.--Die Marquise sagte: Liebe! Vortreffliche! indem sie mit weinenden Augen laechelte. Ich bin meiner Sinne maechtig. Der Arzt hat mir gesagt, dass ich in gesegneten Leibesumstaenden bin. Lassen Sie die Hebamme rufen: und sobald sie sagt, dass es nicht wahr ist, bin ich wieder ruhig. Gut, gut! erwiderte die Obristin, die ihre Angst unterdrueckte. Sie soll gleich kommen; sie soll gleich, wenn du dich von ihr willst auslachen lassen, erscheinen, und dir sagen, dass du eine Traeumerin, und nicht recht klug bist. Und damit zog sie die Klingel, und schickte augenblicklich einen ihrer Leute, der die Hebamme rufe. Die Marquise lag noch, mit unruhig sich hebender Brust, in den Armen ihrer Mutter, als diese Frau erschien, und die Obristin ihr, an welcher seltsamen Vorstellung ihre Tochter krank liege, eroeffnete. Die Frau Marquise schwoere, dass sie sich tugendhaft verhalten habe, und gleichwohl halte sie, von einer unbegreiflichen Empfindung getaeuscht, fuer noetig, dass eine sachverstaendige Frau ihren Zustand untersuche. Die Hebamme, waehrend sie sich von demselben unterrichtete, sprach von jungem Blut und der Arglist der Welt; aeusserte, als sie ihr Geschaeft vollendet hatte, dergleichen Faelle waeren ihr schon vorgekommen; die jungen Witwen, die in ihre Lage kaemen, meinten alle auf wuesten Inseln gelebt zu haben; beruhigte inzwischen die Frau Marquise, und versicherte sie, dass sich der muntere Korsar, der zur Nachtzeit gelandet, schon finden wuerde. Bei diesen Worten fiel die Marquise in Ohnmacht. Die Obristin, die ihr muetterliches Gefuehl nicht ueberwaeltigen konnte, brachte sie zwar, mit Huelfe der Hebamme, wieder ins Leben zurueck. Doch die Entruestung siegte, da sie erwacht war. Julietta! rief die Mutter mit dem lebhaftesten Schmerz. Willst du dich mir entdecken, willst du den Vater mir nennen? Und schien noch zur Versoehnung geneigt. Doch als die Marquise sagte, dass sie wahnsinnig werden wuerde, sprach die Mutter, indem sie sich vom Diwan erhob: geh! geh! du bist nichtswuerdig! Verflucht sei die Stunde, da ich dich gebar! und verliess das Zimmer. Die Marquise, der das Tageslicht von neuem schwinden wollte, zog die Geburtshelferin vor sich nieder, und legte ihr Haupt heftig zitternd an ihre Brust. Sie fragte, mit gebrochener Stimme, wie denn die Natur auf ihren Wegen walte? Und ob die Moeglichkeit einer unwissentlichen Empfaengnis sei?--Die Hebamme laechelte, machte ihr das Tuch los, und sagte, das wuerde ja doch der Frau Marquise Fall nicht sein. Nein, nein, antwortete die Marquise, sie habe wissentlich empfangen, sie wolle nur im allgemeinen wissen, ob diese Erscheinung im Reiche der Natur sei? Die Hebamme versetzte, dass dies, ausser der heiligen Jungfrau, noch keinem Weibe auf Erden zugestossen waere. Die Marquise zitterte immer heftiger. Sie glaubte, dass sie augenblicklich niederkommen wuerde, und bat die Geburtshelferin, indem sie sich mit krampfhafter Beaengstigung an sie schloss, sie nicht zu verlassen. Die Hebamme beruhigte sie. Sie versicherte, dass das Wochenbett noch betraechtlich entfernt waere, gab ihr auch die Mittel an, wie man, in solchen Faellen, dem Leumund der Welt ausweichen koenne, und meinte, es wuerde noch alles gut werden. Doch da diese Trostgruende der ungluecklichen Dame voellig wie Messerstiche durch die Brust fuhren, so sammelte sie sich, sagte, sie befaende sich besser, und bat ihre Gesellschafterin sich zu entfernen. Kaum war die Hebamme aus dem Zimmer, als ihr ein Schreiben von der Mutter gebracht ward, in welchem diese sich so ausliess: "Herr von G... wuensche, unter den obwaltenden Umstaenden, dass sie sein Haus verlasse. Er sende ihr hierbei die ueber ihr Vermoegen lautenden Papiere, und hoffe dass ihm Gott den Jammer ersparen werde, sie wieder zu sehen. "--Der Brief war inzwischen von Traenen benetzt; und in einem Winkel stand ein vermischtes Wort: diktiert.--Der Marquise stuerzte der Schmerz aus den Augen. Sie ging, heftig ueber den Irrtum ihrer Eltern weinend, und ueber die Ungerechtigkeit, zu welcher diese vortrefflichen Menschen verfuehrt wurden, nach den Gemaechern ihrer Mutter. Es hiess, sie sei bei ihrem Vater; sie wankte nach den Gemaechern ihres Vaters. Sie sank, als sie die Tuere verschlossen fand, mit jammernder Stimme, alle Heiligen zu Zeugen ihrer Unschuld anrufend, vor derselben nieder. Sie mochte wohl schon einige Minuten hier gelegen haben, als der Forstmeister daraus hervortrat, und zu ihr mit flammendem Gesicht sagte: sie hoere dass der Kommandant sie nicht sehen wolle. Die Marquise rief: mein liebster Bruder! unter vielem Schluchzen; draengte sich ins Zimmer, und rief: mein teuerster Vater! und streckte die Arme nach ihm aus. Der Kommandant wandte ihr, bei ihrem Anblick, den Ruecken zu, und eilte in sein Schlafgemach. Er rief, als sie ihn dahin verfolgte, hinweg! und wollte die Tuere zuwerfen; doch da sie, unter Jammern und Flehen, dass er sie schliesse, verhinderte, so gab er ploetzlich nach und eilte, waehrend die Marquise zu ihm hineintrat, nach der hintern Wand. Sie warf sich ihm, der ihr den Ruecken zugekehrt hatte, eben zu Fuessen, und umfasste zitternd seine Kniee, als ein Pistol, das er ergriffen hatte, in dem Augenblick, da er es von der Wand herabriss, losging, und der Schuss schmetternd in die Decke fuhr. Herr meines Lebens! rief die Marquise, erhob sich leichenblass von ihren Knieen, und eilte aus seinen Gemaechern wieder hinweg. Man soll sogleich anspannen, sagte sie, indem sie in die ihrigen trat; setzte sich, matt bis in den Tod, auf einen Sessel nieder, zog ihre Kinder eilfertig an, und liess die Sachen einpacken. Sie hatte eben ihr Kleinstes zwischen den Knieen, und schlug ihm noch ein Tuch um, um nunmehr, da alles zur Abreise bereit war, in den Wagen zu steigen: als der Forstmeister eintrat, und auf Befehl des Kommandanten die Zuruecklassung und Ueberlieferung der Kinder von ihr forderte. Dieser Kinder? fragte sie; und stand auf. Sag deinem unmenschlichen Vater, dass er kommen, und mich niederschiessen, nicht aber mir meine Kinder entreissen koenne! Und hob, mit dem ganzen Stolz der Unschuld geruestet, ihre Kinder auf, trug sie ohne dass der Bruder wagt haette, sie anzuhalten, in den Wagen, und fuhr ab. Durch diese schoene Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht, hob sie sie sich ploetzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestuerzt hatte, empor. Der Aufruhr, der ihre Brust zerriss, legte sich, als sie im Freien war, sie kuesste haeufig die Kinder, diese ihre liebe Beute, und mit grosser Selbstzufriedenheit gedachte sie, welch einen Sieg sie, durch die Kraft ihres schuldfreien Bewusstseins, ueber ihren Bruder davon getragen hatte. Ihr Verstand, stark genug, in ihrer sonderbaren Lage nicht zu reissen, gab sich ganz unter der grossen, heiligen und unerklaerlichen Einrichtung der Welt gefangen. Sie sah die Unmoeglichkeit ein, ihre Familie von ihrer Unschuld zu ueberzeugen, begriff, dass sie sich darueber troesten muesse, falls sie nicht untergehen wolle, und wenige Tage nur waren nach ihrer Ankunft in V... verflossen, als der Schmerz ganz und gar dem heldenmuetigen Vorsatz Platz machte, sich mit Stolz gegen die Anfaelle der Welt zu ruesten. Sie beschloss, sich ganz in ihr Innerstes zurueckzuziehen, sich, mit ausschliessendem Eifer, der Erziehung ihrer beiden Kinder zu widmen, und des Geschenks, das ihr Gott mit dem dritten gemacht hatte, mit voller muetterlichen Liebe zu pflegen. Sie machte Anstalten, in wenig Wochen, sobald sie ihre Niederkunft ueberstanden haben wuerde, ihren schoenen, aber durch die lange Abwesenheit ein wenig verfallenen Landsitz wieder herzustellen; sass in der Gartenlaube, und dachte, waehrend sie kleine Muetzen, und Struempfe fuer kleine Beine strickte, wie sie die Zimmer bequem verteilen wuerde; auch, welches sie mit Buechern fuellen, und in welchem die Staffelei am schicklichsten stehen wuerde. Und so war der Zeitpunkt, da der Graf F... von Neapel wiederkehren sollte, noch nicht abgelaufen, als sie schon voellig mit dem Schicksal, in ewig kloesterlicher Eingezogenheit zu leben, vertraut war. Der Tuersteher erhielt Befehl, keinen Menschen im Hause vorzulassen. Nur der Gedanke war ihr unertraeglich, dass dem jungen Wesen, das sie in der groessten Unschuld und Reinheit empfangen hatte, und dessen Ursprung, eben weil er geheimnisvoller war, auch goettlicher zu sein schien, als der anderer Menschen, ein Schandfleck in der buergerlichen Gesellschaft ankleben sollte. Ein sonderbares Mittel war ihr eingefallen, den Vater zu entdecken: ein Mittel, bei dem sie, als sie es zuerst dachte, das Strickzeug selbst vor Schrecken aus der Hand fallen liess. Durch ganze Naechte, in unruhiger Schlaflosigkeit durchwacht, ward es gedreht und gewendet um sich an seine ihr innerstes Gefuehl verletzende, Natur zu gewoehnen. Immer noch straeubte sie sich, mit dem Menschen, der sie so hintergangen hatte, in irgend ein Verhaeltnis zu treten: indem sie sehr richtig schloss, dass derselbe doch, ohne alle Rettung, zum Auswurf seiner Gattung gehoeren muesse, und, auf welchem Platz der Welt man ihn auch denken wolle, nur aus dem zertretensten und unflaetigsten Schlamm derselben, hervorgegangen sein koenne. Doch da das Gefuehl ihrer Selbstaendigkeit immer lebhafter in ihr ward, und sie bedachte dass der Stein seinen Wert behaelt, er mag auch eingefasst sein, wie man wolle, so griff sie eines Morgens, da sich das junge Leben wieder in ihr regte, ein Herz, und liess jene sonderbare Aufforderung in die Intelligenzblaetter von M... ruecken, die man am Eingang dieser Erzaehlung gelesen hat. Der Graf F..., den unvermeidliche Geschaefte in Neapel aufhielten, hatte inzwischen zum zweitenmal an die Marquise geschrieben, und sie aufgefordert, es moechten fremde Umstaende eintreten, welche da wollten, ihrer, ihm gegebenen, stillschweigenden Erklaerung getreu zu bleiben. Sobald es ihm geglueckt war, seine fernere Geschaeftsreise nach Konstantinopel abzulehnen, und es seine uebrigen Verhaeltnisse gestatteten, ging er augenblicklich von Neapel ab, und kam auch richtig, nur wenige Tage nach der von ihm bestimmten Frist, in M... an. Der Kommandant empfing ihn mit einem verlegenen Gesicht, sagte, dass ein notwendiges Geschaeft ihn aus dem Hause noetige, und forderte den Forstmeister auf, ihn inzwischen zu unterhalten. Der Forstmeister zog ihn auf sein Zimmer, und fragte ihn, nach einer kurzen Begruessung, ob er schon wisse, was sich waehrend seiner Abwesenheit in dem Hause des Kommandanten zugetragen habe. Der Graf antwortete, mit einer fluechtigen Blaesse: nein. Hierauf unterrichtete ihn der Forstmeister von der Schande, die die Marquise ueber die Familie gebracht hatte, und gab ihm die Geschichtserzaehlung dessen, was unsre Leser soeben erfahren haben. Der Graf schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Warum legte man mir so viele Hindernissen in den Weg! rief er in der Vergessenheit seiner. Wenn die Vermaehlung erfolgt waere: so waere alle Schmach und jedes Unglueck uns erspart! Der Forstmeister fragte, indem er ihn anglotzte, ob er rasend genug waere, zu wuenschen, mit dieser Nichtswuerdigen vermaehlt zu sein? Der Graf erwiderte, dass sie mehr wert waere, als die ganze Welt, die sie verachtete; dass ihre Erklaerung ueber ihre Unschuld vollkommnen Glauben bei ihm faende; und dass er noch heute nach V... gehen, und seinen Antrag bei ihr wiederholen wuerde. Er ergriff auch sogleich seinen Hut, empfahl sich dem Forstmeister, der ihn fuer seiner Sinne voellig beraubt hielt, und ging ab. Er bestieg ein Pferd und sprengte nach V... hinaus. Als er am Tore abgestiegen war, und in den Vorplatz treten wollte, sagte ihm der Tuersteher, dass die Frau Marquise keinen Menschen spraeche. Der Graf fragte, ob diese, fuer Fremde getroffene, Massregel auch einem Freund des Hauses gaelte; worauf jener antwortete, dass er von keiner Ausnahme wisse, und bald darauf, auf eine zweideutige Art hinzusetzte: ob er vielleicht der Graf F... waere? Der Graf erwiderte, nach einem forschenden Blick, nein; und aeusserte, zu seinem Bedienten gewandt, doch so, dass jener es hoeren konnte, er werde, unter solchen Umstaenden, in einem Gasthofe absteigen, und sich bei der Frau Marquise schriftlich anmelden. Sobald er inzwischen dem Tuersteher aus den Augen war, bog er um eine Ecke, und umschlich die Mauer eines weitlaeufigen Gartens, der sich hinter dem Hause ausbreitete. Er trat durch eine Pforte, die er offen fand, in den Garten, durchstrich die Gaenge desselben, und wollte eben die hintere Rampe hinaufsteigen, als er, in einer Laube, die zur Seite lag, die Marquise, in ihrer lieblichen und geheimnisvollen Gestalt, an einem kleinen Tischchen emsig arbeiten sah. Er naeherte sich ihr so, dass sie ihn nicht frueher erblicken konnte, als bis er am Eingang der Laube, drei kleine Schritte von ihren Fuessen, stand. Der Graf F...! sagte die Marquise, als sie die Augen aufschlug und die Roete der Ueberraschung ueberflog ihr Gesicht. Der Graf laechelte, blieb noch eine Zeitlang, ohne sich im Eingang zu ruehren, stehen; setzte sich dann, mit so bescheidener Zudringlichkeit, als sie nicht zu erschrecken noetig war, neben ihr nieder, und schlug, ehe sie noch, in ihrer sonderbaren Lage, einen Entschluss gefasst hatte, seinen Arm sanft um ihren lieben Leib. Von wo, Herr Graf, ist es moeglich, fragte die Marquise--und sah schuechtern vor sich auf die Erde nieder. Der Graf sagte: von M..., und drueckte sie ganz leise an sich; durch eine hintere Pforte, die ich offen fand. Ich glaubte auf Ihre Verzeihung rechnen zu duerfen, und trat ein. Hat man Ihnen denn in M... nicht gesagt--?--fragte sie, und ruehrte noch kein Glied in seinen Armen. Alles, geliebte Frau, versetzte der Graf; doch von Ihrer Unschuld voellig ueberzeugt--Wie! rief die Marquise, indem sie aufstand, und sich loswickelte; und Sie kommen gleichwohl?--Der Welt zum Trotz, fuhr er fort, indem er sie festhielt, und Ihrer Familie zum Trotz, und dieser lieblichen Erscheinung sogar zum Trotz; wobei er einen gluehenden Kuss auf ihre Brust drueckte.--Hinweg! rief die Marquise--So ueberzeugt, sagte er, Julietta, als ob ich allwissend waere, als ob meine Seele in deiner Brust wohnte--Die Marquise rief: Lassen Sie mich! Ich komme, schloss er--und liess sie nicht--meinen Antrag zu wiederholen, und das Los der Seligen, wenn Sie mich erhoeren wollen, von Ihrer Hand zu empfangen. Lassen Sie mich augenblicklich! rief die Marquise; ich befehls Ihnen! riss sich gewaltsam aus seinen Armen, und entfloh. Geliebte! Vortreffliche! fluesterte er, indem er wieder aufstand, und ihr folgte. --Sie hoeren! rief die Marquise, und wandte sich, und wich ihm aus. Ein einziges, heimliches, gefluestertes--! sagte der Graf, und griff hastig nach ihrem glatten, ihm entschluepfenden Arm.--Ich will nichts wissen, versetzte die Marquise, stiess ihn heftig vor die Brust zurueck, eilte auf die Rampe, und verschwand. Er war schon halb auf die Rampe gekommen, um sich, es koste, was es wolle, bei ihr Gehoer zu verschaffen, als die Tuer vor ihm zuflog, und der Riegel heftig, mit verstoerter Beeiferung, vor seinen Schritten zurasselte. Unschluessig, einen Augenblick, was unter solchen Umstaenden zu tun sei, stand er, und ueberlegte, ob er durch ein, zur Seite offen stehendes Fenster einsteigen, und seinen Zweck, bis er ihn erreicht, verfolgen solle; doch so schwer es ihm auch in jedem Sinne war, umzukehren, diesmal schien es die Notwendigkeit zu erfordern, und grimmig erbittert ueber sich, dass er sie aus seinen Armen gelassen hatte, schlich er die Rampe hinab, und verliess den Garten, um seine Pferde aufzusuchen. Er fuehlte dass der Versuch, sich an ihrem Busen zu erklaeren, fuer immer fehlgeschlagen sei, und ritt schrittweise indem er einen Brief ueberlegte, den er jetzt zu schreiben verdammt war, nach M... zurueck. Abends, da er sich, in der uebelsten Laune von der Welt, bei einer oeffentlichen Tafel eingefunden hatte, traf er den Forstmeister an, der ihn auch sogleich befragte, ob er seinen Antrag in V... gluecklich angebracht habe? Der Graf antwortete kurz: nein! und war sehr gestimmt, ihn mit einer bitteren Wendung abzufertigen; doch um der Hoeflichkeit ein Genuege zu tun, setzte er nach einer Weile hinzu: er habe sich entschlossen, sich schriftlich an sie zu wenden, und werde damit in kurzem ins Reine sein. Der Forstmeister sagte: er sehe mit Bedauern, dass seine Leidenschaft fuer die Marquise ihn seiner Sinne beraube. Er muesse ihm inzwischen versichern, dass sie bereits auf dem Wege sei, eine andere Wahl zu treffen; klingelte nach den neuesten Zeitungen, und gab ihm das Blatt, in welchem die Aufforderung derselben an den Vater ihres Kindes eingerueckt war. Der Graf durchlief, indem ihm das Blut ins Gesicht schoss, die Schrift. Ein Wechsel von Gefuehlen durchkreuzte ihn. Der Forstmeister fragte, ob er nicht glaube, dass die Person, die die Frau Marquise suche, sich finden werde?--Unzweifelhaft! versetzte der Graf, indessen er mit ganzer Seele ueber dem Papier lag, und den Sinn desselben gierig verschlang. Darauf nachdem er einen Augenblick, waehrend er das Blatt zusammenlegte, an das Fenster getreten war, sagte er: nun ist es gut! nun weiss ich, was ich zu tun habe! kehrte sich sodann um; und fragte den Forstmeister noch, auf eine verbindliche Art, ob man ihn bald wiedersehen werde; empfahl sich ihm, und ging, voellig ausgesoehnt mit seinem Schicksal, fort. -Inzwischen waren in dem Hause des Kommandanten die lebhaftesten Auftritte vorgefallen. Die Obristin war ueber die zerstoerende Heftigkeit ihres Gatten und ueber die Schwaeche, mit welcher sie sich, bei der tyrannischen Verstossung der Tochter, von ihm hatte unterjochen lassen, aeusserst erbittert. Sie war, als der Schuss in des Kommandanten Schlafgemach fiel, und die Tochter aus demselben hervorstuerzte, in eine Ohnmacht gesunken, aus der sie sich zwar bald wieder erholte; doch der Kommandant hatte, in dem Augenblick ihres Erwachens, weiter nichts gesagt, als, es taete ihm leid, dass sie diesen Schrecken umsonst gehabt, und das abgeschossene Pistol auf einen Tisch geworfen. Nachher, da von der Abforderung der Kinder die Rede war, war sie schuechtern, zu erklaeren, dass man zu einem solchen Schritt kein Recht habe; sie bat mit einer, durch die gehabte Anwandlung, schwachen und ruehrenden Stimme, heftige Auftritte im Hause zu vermeiden; doch der Kommandant erwiderte weiter nichts, als, indem er sich zum Forstmeister wandte, vor Wut schaeumend: geh! und schaff sie mir! Als der zweite Brief des Grafen F... ankam, hatte der Kommandant befohlen, dass er nach V... zur Marquise herausgeschickt werden solle, welche ihn, wie man nachher durch den Boten erfuhr, bei Seite gelegt, und gesagt hatte, es waere gut. Die Obristin, der in der ganzen Begebenheit so vieles, und besonders die Geneigtheit der Marquise, eine neue, ihr ganz gleichgueltige Vermaehlung einzusehen, dunkel war, suchte vergebens, diesen Umstand zur Sprache zu bringen. Der Kommandant bat immer, auf eine Art, die einem Befehle gleich sah, zu schweigen; versicherte, indem er einst, bei einer solchen Gelegenheit, ein Portraet herabnahm, das noch von ihr an der Wand hing, dass er sein Gedaechtnis ihrer ganz zu vertilgen wuensche; und meinte, er haette keine Tochter mehr. Drauf erschien der sonderbare Aufruf der Marquise in den Zeitungen. Die Obristin, die auf das lebhafteste darueber betroffen war, ging mit dem Zeitungsblatt, das sie von dem Kommandanten erhalten hatte, in sein Zimmer, wo sie ihn an einem Tisch arbeitend fand, und fragte ihn, was er in aller Welt davon halte? Der Kommandant sagte, indem er fortschrieb: o! sie ist unschuldig. Wie! rief Frau von G..., mit dem alleraeussersten Erstaunen: unschuldig? Sie hat es im Schlaf getan, sagte der Kommandant, ohne aufzusehen. Im Schlafe! versetzte Frau von G... Und ein so ungeheurer Vorfall waere--? Die Naerrin! rief der Kommandant, schob die Papiere ueber einander, und ging weg. Am naechsten Zeitungstage las die Obristin, da beide beim Fruehstueck sassen, in einem Intelligenzblatt, das eben ganz feucht von der Presse kam, folgende Antwort: "Wenn die Frau Marquise von O... sich, am 3ten... 11 Uhr morgens, im Hause des Herrn von G..., ihres Vaters, einfinden will: so wird sich derjenige, den sie sucht, ihr daselbst zu Fuessen werfen."-Der Obristin verging, ehe sie noch auf die Haelfte dieses unerhoerten Artikels gekommen war, die Sprache; sie ueberflog das Ende, und reichte das Blatt dem Kommandanten dar. Der Obrist durchlas das Blatt dreimal, als ob er seinen eignen Augen nicht traute. Nun sage mir, um des Himmels willen, Lorenzo, rief die Obristin, was haeltst du davon? O die Schaendliche! versetzte der Kommandant, und stand auf; o die verschmitzte Heuchlerin! Zehnmal die Schamlosigkeit einer Huendin, mit zehnfacher List des Fuchses gepaart, reichen noch an die ihrige nicht! Solch eine Miene! Zwei solche Augen! Ein Cherub hat sie nicht treuer!--und jammerte und konnte sich nicht beruhigen. Aber was in aller Welt, fragte die Obristin, wenn es eine List ist, kann sie damit bezwecken? Was sie damit bezweckt? Ihre nichtswuerdige Betruegerei, mit Gewalt will sie sie durchsetzen, erwiderte der Obrist. Auswendig gelernt ist sie schon, die Fabel, die sie uns beide, sie und er, am Dritten 11 Uhr morgens hier aufbuerden wollen. Mein liebes Toechterchen, soll ich sagen, das wusste ich nicht, wer konnte das denken, vergib mir, nimm meinen Segen, und sei wieder gut. Aber die Kugel dem, der am Dritten morgens ueber meine Schwelle tritt! Es muesste denn schicklicher sein, ihn mir durch Bedienten aus dem Hause zu schaffen.--Frau von G... sagte, nach einer nochmaligen Ueberlesung des Zeitungsblattes, dass wenn sie, von zwei unbegreiflichen Dingen, einem, Glauben beimessen solle, sie lieber an ein unerhoertes Spiel des Schicksals, als an diese Niedertraechtigkeit ihrer sonst so vortrefflichen Tochter glauben wolle. Doch ehe sie noch vollendet hatte, rief der Kommandant schon: tu mir den Gefallen und schweig! und verliess das Zimmer. Es ist mir verhasst, wenn ich nur davon hoere. Wenige Tage nachher erhielt der Kommandant, in Beziehung auf diesen Zeitungsartikel, einen Brief von der Marquise, in welchem sie ihn, da ihr die Gnade versagt waere, in seinem Hause erscheinen zu duerfen, auf eine ehrfurchtsvolle und ruehrende Art bat, denjenigen, der sich am Dritten morgens bei ihm zeigen wuerde, gefaelligst zu ihr nach V... hinauszuschicken. Die Obristin war gerade gegenwaertig, als der Kommandant diesen Brief empfing; und da sie auf seinem Gesicht deutlich bemerkte, dass er in seiner Empfindung irre geworden war: denn welch ein Motiv jetzt, falls es eine Betruegerei war, sollte er ihr unterlegen, da sie auf seine Verzeihung gar keine Ansprueche zu machen schien? so rueckte sie, dadurch dreist gemacht, mit einem Plan hervor, den sie schon lange, in ihrer von Zweifeln bewegten Brust, mit sich herum getragen hatte. Sie sagte, waehrend der Obrist noch, mit einer nichtssagenden Miene, in das Papier hineinsah: sie habe einen Einfall. Ob er ihr erlauben wolle, auf einen oder zwei Tage, nach V... hinauszufahren? Sie werde die Marquise, falls sie wirklich denjenigen, der ihr durch die Zeitungen, als ein Unbekannter, geantwortet, schon kenne, in eine Lage zu versetzen wissen, in welcher sich ihre Seele verraten muesste, und wenn sie die abgefeimteste Verraeterin waere. Der Kommandant erwiderte, indem er, mit einer ploetzlich heftigen Bewegung, den Brief zerriss: sie wisse, dass er mit ihr nichts zu schaffen haben wolle, und er verbiete ihr, in irgend eine Gemeinschaft mit ihr zu treten. Er siegelte die zerrissenen Stuecke ein, schrieb eine Adresse an die Marquise, und gab sie dem Boten, als Antwort, zurueck. Die Obristin, durch diesen hartnaeckigen Eigensinn, der alle Moeglichkeit der Aufklaerung vernichtete, heimlich erbittert, beschloss ihren Plan jetzt, gegen seinen Willen, auszufuehren. Sie nahm einen von den Jaegern des Kommandanten, und fuhr am naechstfolgenden Morgen, da ihr Gemahl noch im Bette lag, mit demselben nach V... hinaus. Als sie am Tore des Landsitzes angekommen war, sagte ihr der Tuersteher, dass niemand bei der Frau Marquise vorgelassen wuerde. Frau von G... antwortete, dass sie von dieser Massregel unterrichtet waere, dass er aber gleichwohl nur gehen, und die Obristin von G... bei ihr anmelden moechte. Worauf dieser versetzte, dass dies zu nichts helfen wuerde, indem die Frau Marquise keinen Menschen auf der Welt spraeche. Frau von G... antwortete, dass sie von ihr gesprochen werden wuerde, indem sie ihre Mutter waere, und dass er nur nicht laenger saeumen, und sein Geschaeft verrichten moechte. Kaum aber war noch der Tuersteher zu diesem, wie er meinte, gleichwohl vergeblichen Versuche ins Haus gegangen, als man schon die Marquise daraus hervortreten, nach dem Tore eilen, und sich auf Knieen vor dem Wagen der Obristin niederstuerzen sah. Frau von G... stieg, von ihrem Jaeger unterstuetzt, aus, und hob die Marquise, nicht ohne einige Bewegung, vom Boden auf. Die Marquise drueckte sich, von Gefuehlen ueberwaeltigt, tief auf ihre Hand hinab, und fuehrte sie, indem ihr die Traenen haeufig flossen, ehrfurchtsvoll in die Zimmer ihres Hauses. Meine teuerste Mutter! rief sie, nachdem sie ihr den Diwan angewiesen hatte, und noch vor ihr stehen blieb, und sich die Augen trocknete: welch ein gluecklicher Zufall ist es, dem ich Ihre, mir unschaetzbare Erscheinung verdanke? Frau von G... sagte, indem sie ihre Tochter vertraulich fasste, sie muesse ihr nur sagen, dass sie komme, sie wegen der Haerte, mit welcher sie aus dem vaeterlichen Hause verstossen worden sei, um Verzeihung zu bitten. Verzeihung! fiel ihr die Marquise ins Wort, und wollte ihre Haende kuessen. Doch diese, indem sie den Handkuss vermied, fuhr fort: denn nicht nur, dass die, in den letzten oeffentlichen Blaettern eingerueckte Antwort auf die bewusste Bekanntmachung, mir sowohl als dem Vater, die Ueberzeugung von deiner Unschuld gegeben hat; so muss ich dir auch eroeffnen, dass er sich selbst schon, zu unserm grossen und freudigen Erstaunen, gestern im Hause gezeigt hat. Wer hat sich--? fragte die Marquise, und setzte sich bei ihrer Mutter nieder;--welcher er selbst hat sich gezeigt--? und Erwartung spannte jede ihrer Mienen. Er, erwiderte Frau von G..., der Verfasser jener Antwort, er persoenlich selbst, an welchen dein Aufruf gerichtet war.--Nun denn, sagte die Marquise, mit unruhig arbeitender Brust: wer ist es? Und noch einmal: wer ist es?--Das, erwiderte Frau von G..., moechte ich dich erraten lassen. Denn denke, dass sich gestern, da wir beim Tee sitzen, und eben das sonderbare Zeitungsblatt lesen, ein Mensch, von unsrer genauesten Bekanntschaft, mit Gebaerden der Verzweiflung ins Zimmer stuerzt, und deinem Vater, und bald darauf auch mir, zu Fuessen faellt. Wir, unwissend, was wir davon denken sollen, fordern ihn auf, zu reden. Darauf spricht er: sein Gewissen lasse ihm keine Ruhe; er sei der Schaendliche, der die Frau Marquise betrogen, er muesse wissen, wie man sein Verbrechen beurteile, und wenn Rache ueber ihn verhaengt werden solle, so komme er, sich ihr selbst darzubieten. Aber wer? wer? wer? versetzte die Marquise. Wie sagt, fuhr Frau von G... fort, ein junger, sonst wohlerzogener Mensch, dem wir eine solche Nichtswuerdigkeit niemals zugetraut haetten. Doch erschrecken wirst du nicht, meine Tochter, wenn du erfaehrst, dass er von niedrigem Stande, und von allen Forderungen, die man sonst an deinen Gemahl machen duerfte, entbloesst ist. Gleichviel, meine vortreffliche Mutter, sagte die Marquise, er kann nicht ganz unwuerdig sein, da er sich Ihnen frueher als mir, zu Fuessen geworfen hat. Aber, wer? wer? Sagen Sie mir nur: wer? Nun denn, versetzte die Mutter, es ist Leopardo, der Jaeger, den sich der Vater juengst aus Tirol verschrieb, und den ich, wenn du ihn wahrnahmst, schon mitgebracht habe, um ihn dir als Braeutigam vorzustellen. Leopardo, der Jaeger! rief die Marquise, und drueckte ihre Hand, mit dem Ausdruck der Verzweiflung, vor die Stirn. Was erschreckt dich? fragte die Obristin. Hast du Gruende, daran zu zweifeln?--Wie? Wo? Wann? fragte die Marquise verwirrt. Das, antwortete jene, will er nur dir anvertrauen. Scham und Liebe, meinte er, machten es ihm unmoeglich, sich einer andern hierueber zu erklaeren, als dir. Doch wenn du willst, so oeffnen wir das Vorzimmer, wo er, mit klopfendem Herzen, auf den Ausgang wartet; und du magst sehen, ob du ihm sein Geheimnis, indessen ich abtrete, entlockst. --Gott, mein Vater! rief die Marquise; ich war einst in der Mittagshitze eingeschlummert, und sah ihn von meinem Diwan gehen, als ich erwachte!--Und damit legte sie ihre kleinen Haende vor ihr in Scham ergluehendes Gesicht. Bei diesen Worten sank die Mutter auf Knieen vor ihr nieder. O meine Tochter! rief sie; o du Vortreffliche! und schlug die Arme um sie. Und o ich Nichtswuerdige! und verbarg das Antlitz in ihren Schoss. Die Marquise fragte bestuerzt: was ist Ihnen, meine Mutter? Denn begreife, fuhr diese fort, o du Reinere als Engel sind, dass von allem, was ich dir sagte, nichts wahr ist; dass meine verderbte Seele an solche Unschuld nicht, als von der du umstrahlt bist, glauben konnte, und dass ich dieser schaendlichen List erst bedurfte, um mich davon zu ueberzeugen. Meine teuerste Mutter, rief die Marquise, und neigte sich voll froher Ruehrung zu ihr herab, und wollte sie aufheben. Jene versetzte darauf: nein, eher nicht von deinen Fuessen weich ich, bis du mir sagst, ob du mir die Niedrigkeit meines Verhaltens, du Herrliche, Ueberirdische, verzeihen kannst. Ich Ihnen verzeihen, meine Mutter! Stehen Sie auf, rief die Marquise, ich beschwoere Sie--Du hoerst, sagte Frau von G..., ich will wissen, ob du mich noch lieben, und so aufrichtig verehren kannst, als sonst? Meine angebetete Mutter! rief die Marquise, und legte sich gleichfalls auf Knieen vor ihr nieder; Ehrfurcht und Liebe sind nie aus meinem Herzen gewichen. Wer konnte mir, unter so unerhoerten Umstaenden, Vertrauen schenken? Wie gluecklich bin ich, dass Sie von meiner Unstraeflichkeit ueberzeugt sind! Nun denn, versetzte Frau von G..., indem sie, von ihrer Tochter unterstuetzt, aufstand: so will ich dich auf Haenden tragen, mein liebstes Kind. Du sollst bei mir dein Wochenlager halten; und waeren die Verhaeltnisse so, dass ich einen jungen Fuersten von dir erwartete, mit groesserer Zaertlichkeit nicht und Wuerdigkeit koennt ich dein pflegen. Die Tage meines Lebens nicht mehr von deiner Seite weich ich. Ich biete der ganzen Welt Trotz; ich will keine andre Ehre mehr, als deine Schande; wenn du mir nur wieder gut wirst, und der Haerte nicht, mit welcher ich dich verstiess, mehr gedenkst. Die Marquise suchte sie mit Liebkosungen und Beschwoerungen ohne Ende zu troesten; doch der Abend kam heran, und Mitternacht schlug, ehe es ihr gelang. Am folgenden Tage, da sich der Affekt der alten Dame, der ihr waehrend der Nacht eine Fieberhitze zugezogen hatte, ein wenig gelegt hatte, fuhren Mutter und Tochter und Enkel, wie im Triumph, wieder nach M... zurueck. Sie waren aeusserst vergnuegt auf der Reise, scherzten ueber Leopardo, den Jaeger, der vorn auf dem Bock sass; und die Mutter sagte zur Marquise, sie bemerke, dass sie rot wuerde, so oft sie seinen breiten Ruecken ansaehe. Die Marquise antwortete, mit einer Regung, die halb ein Seufzer, halb ein Laecheln war: wer weiss, wer zuletzt noch am Dritten 11 Uhr morgens bei uns erscheint!--Drauf, je mehr man sich M... naeherte, je ernsthafter stimmten sich wieder die Gemueter, in der Vorahndung entscheidender Auftritte, die ihnen noch bevorstanden. Frau von G..., die sich von ihren Plaenen nichts merken liess, fuehrte ihre Tochter, da sie vor dem Hause ausgestiegen waren, wieder in ihre alten Zimmer ein; sagte, sie moechte es sich nur bequem machen, sie wuerde gleich wieder bei ihr sein, und schluepfte ab. Nach einer Stunde kam sie mit einem ganz erhitzten Gesicht wieder. Nein, solch ein Thomas! sprach sie mit heimlich vergnuegter Seele; solch ein unglaeubiger Thomas! Hab ich nicht eine Seigerstunde gebraucht, ihn zu ueberzeugen. Aber nun sitzt er, und weint. Wer? fragte die Marquise. Er, antwortete die Mutter. Wer sonst, als wer die groesste Ursache dazu hat. Der Vater doch nicht? rief die Marquise. Wie ein Kind, erwiderte die Mutter; dass ich, wenn ich mir nicht selbst haette die Traenen aus den Augen wischen muessen, gelacht haette, so wie ich nur aus der Tuere heraus war. Und das wegen meiner? fragte die Marquise, und stand auf; und ich sollte hier--? Nicht von der Stelle! sagte Frau von G... Warum diktierte er mir den Brief! Hier sucht er dich auf, wenn er mich, so lange ich lebe, wiederfinden will. Meine teuerste Mutter, flehte die Marquise--Unerbittlich! fiel ihr die Obristin ins Wort. Warum griff er nach der Pistole.--Aber ich beschwoere Sie--Du sollst nicht, versetzte Frau von G..., indem sie die Tochter wieder auf ihren Sessel niederdrueckte. Und wenn er nicht heut vor Abend noch kommt, zieh ich morgen mit dir weiter. Die Marquise nannte dies Verfahren hart und ungerecht. Doch die Mutter erwiderte: Beruhige dich--denn eben hoerte sie jemand von weitem heranschluchzen: er koemmt schon! Wo? fragte die Marquise, und horchte. Ist wer hier draussen vor der Tuer; dies heftige--? Allerdings, versetzte Frau von G... Er will, dass wir ihm die Tuere oeffnen. Lassen Sie mich! rief die Marquise, und riss sich vom Stuhl empor. Doch: wenn du mir gut bist, Julietta, versetzte die Obristin, so bleib; und in dem Augenblick trat auch der Kommandant schon, das Tuch vor das Gesicht haltend, ein. Die Mutter stellte sich breit vor ihre Tochter, und kehrte ihm den Ruecken zu. Mein teuerster Vater! rief die Marquise, und streckte ihre Arme nach ihm aus. Nicht von der Stelle, sagte Frau von G..., du hoerst! Der Kommandant stand in der Stube und weinte. Er soll dir abbitten, fuhr Frau von G... fort. Warum ist er so heftig! Und warum ist er so hartnaeckig! Ich liebe ihn, aber dich auch; ich ehre ihn, aber dich auch. Und muss ich eine Wahl treffen, so bist du vortrefflicher, als er, und ich bleibe bei dir. Der Kommandant beugte sich ganz krumm, und heulte, dass die Waende erschallten. Aber mein Gott! rief die Marquise, gab der Mutter ploetzlich nach, und nahm ihr Tuch, ihre eigenen Traenen fliessen zu lassen. Frau von G... sagte:--er kann nur nicht sprechen! und wich ein wenig zur Seite aus. Hierauf erhob sich die Marquise, umarmte den Kommandanten, und bat ihn, sich zu beruhigen. Sie weinte selbst heftig. Sie fragte ihn, ob er sich nicht setzen wolle? sie wollte ihn auf einen Sessel niederziehen; sie schob ihm einen Sessel hin, damit er sich darauf setze: doch er antwortete nicht; er war nicht von der Stelle zu bringen; er setzte sich auch nicht, und stand bloss, das Gesicht tief zur Erde gebeugt, und weinte. Die Marquise sagte, indem sie ihn aufrecht hielt, halb zur Mutter gewandt: er werde krank werden; die Mutter selbst schien, da er sich ganz konvulsivisch gebaerdete, ihre Standhaftigkeit verlieren zu wollen. Doch da der Kommandant sich endlich, auf die wiederholten Anforderungen der Tochter, niedergesetzt hatte, und diese ihm, mit unendlichen Liebkosungen, zu Fuessen gesunken war: so nahm sie wieder das Wort, sagte, es geschehe ihm ganz recht, er werde nun wohl zur Vernunft kommen, entfernte sich aus dem Zimmer, und liess sie allein. Sobald sie draussen war, wischte sie sich selbst die Traenen ab, dachte, ob ihm die heftige Erschuetterung, in welche sie ihn versetzt hatte, nicht doch gefaehrlich sein koennte, und ob es wohl ratsam sei, einen Arzt rufen zu lassen? Sie kochte ihm fuer den Abend alles, was sie nur Staerkendes und Beruhigendes aufzutreiben wusste, in der Kueche zusammen, bereitete und waermte ihm das Bett, um ihn sogleich hineinzulegen, sobald er nur, an der Hand der Tochter, erscheinen wuerde, und schlich, da er immer noch nicht kam, und schon die Abendtafel gedeckt war, dem Zimmer der Marquise zu, um doch zu hoeren, was sich zutrage? Sie vernahm, da sie mit sanft an die Tuer gelegtem Ohr horchte, ein leises, eben verhallendes Gelispel, das, wie es ihr schien, von der Marquise kam; und, wie sie durchs Schluesselloch bemerkte, sass sie auch auf des Kommandanten Schoss, was er sonst in seinem Leben nicht zugegeben hatte. Drauf endlich oeffnete sie die Tuer, und sah nun--und das Herz quoll ihr vor Freuden empor: die Tochter still, mit zurueckgebeugtem Nacken, die Augen fest geschlossen, in des Vaters Armen liegen; indessen dieser, auf dem Lehnstuhl sitzend, lange, heisse und lechzende Kuesse, das grosse Auge voll glaenzender Traenen, auf ihren Mund drueckte: gerade wie ein Verliebter! Die Tochter sprach nicht, er sprach nicht; mit ueber sie gebeugtem Antlitz sass er, wie ueber das Maedchen seiner ersten Liebe, und legte ihr den Mund zurecht, und kuesste sie. Die Mutter fuehlte sich, wie eine Selige; ungesehen, wie sie hinter seinem Stuhle stand, saeumte sie, die Lust der himmelfrohen Versoehnung, die ihrem Hause wieder geworden war, zu stoeren. Sie nahte sich dem Vater endlich, und sah ihn, da er eben wieder mit Fingern und Lippen in unsaeglicher Lust ueber den Mund seiner Tochter beschaeftigt war, sich um den Stuhl herumbeugend, von der Seite an. Der Kommandant schlug, bei ihrem Anblick, das Gesicht schon wieder ganz kraus nieder, und wollte etwas sagen; doch sie rief: o was fuer ein Gesicht ist das! kuesste es jetzt auch ihrerseits in Ordnung, und machte der Ruehrung durch Scherzen ein Ende. Sie lud und fuehrte beide, die wie Brautleute gingen, zur Abendtafel, an welcher der Kommandant zwar sehr heiter war, aber noch von Zeit zu Zeit schluchzte, wenig ass und sprach, auf den Teller niedersah, und mit der Hand seiner Tochter spielte. Nun galt es, beim Anbruch des naechsten Tages, die Frage: wer nur, in aller Welt, morgen um 11 Uhr sich zeigen wuerde; denn morgen war der gefuerchtete Dritte. Vater und Mutter, und auch der Bruder, der sich mit seiner Versoehnung eingefunden hatte, stimmten unbedingt, falls die Person nur von einiger Ertraeglichkeit sein wuerde, fuer Vermaehlung; alles, was nur immer moeglich war, sollte geschehen, um die Lage der Marquise gluecklich zu machen. Sollten die Verhaeltnisse derselben jedoch so beschaffen sein, dass sie selbst dann, wenn man ihnen durch Beguenstigungen zu Huelfe kaeme, zu weit hinter den Verhaeltnissen der Marquise zurueckblieben, so widersetzten sich die Eltern der Heirat; sie beschlossen, die Marquise nach wie vor bei sich zu behalten, und das Kind zu adoptieren. Die Marquise hingegen schien willens, in jedem Falle, wenn die Person nur nicht ruchlos waere, ihr gegebenes Wort in Erfuellung zu bringen, und dem Kinde, es koste was es wolle, einen Vater zu verschaffen. Am Abend fragte die Mutter, wie es denn mit dem Empfang der Person gehalten werden solle? Der Kommandant meinte, dass es am schicklichsten sein wuerde, wenn man die Marquise um 11 Uhr allein liesse. Die Marquise hingegen bestand darauf, dass beide Eltern, und auch der Bruder, gegenwaertig sein moechten, indem sie keine Art des Geheimnisses mit dieser Person zu teilen haben wolle. Auch meinte sie, dass dieser Wunsch sogar in der Antwort derselben, dadurch, dass sie das Haus des Kommandanten zur Zusammenkunft vorgeschlagen, ausgedrueckt scheine; ein Umstand, um dessentwillen ihr gerade diese Antwort, wie sie frei gestehen muesse, sehr gefallen habe. Die Mutter bemerkte die Unschicklichkeit der Rollen, die der Vater und der Bruder dabei zu spielen haben wuerden, bat die Tochter, die Entfernung der Maenner zuzulassen, wogegen sie in ihren Wunsch willigen, und bei dem Empfang der Person gegenwaertig sein wolle. Nach einer kurzen Besinnung der Tochter ward dieser letzte Vorschlag endlich angenommen. Drauf nun erschien, nach einer, unter den gespanntesten Erwartungen zugebrachten, Nacht der Morgen des gefuerchteten Dritten. Als die Glocke eilf Uhr schlug, sassen beide Frauen, festlich, wie zur Verlobung angekleidet, im Besuchzimmer; das Herz klopfte ihnen, da man es gehoert haben wuerde, wenn das Geraeusch des Tages geschwiegen haette. Der eilfte Glockenschlag summte noch, als Leopardo, der Jaeger, eintrat, den der Vater aus Tirol verschrieben hatte. Die Weiber erblassten bei diesem Anblick. Der Graf F..., sprach er, ist vorgefahren, und laesst sich anmelden. Der Graf F...! riefen beide zugleich, von einer Art der Bestuerzung in die andre geworfen. Die Marquise rief: Verschliesst die Tueren! Wir sind fuer ihn nicht zu Hause; stand auf, das Zimmer gleich selbst zu verriegeln, und wollte eben den Jaeger, der ihr im Wege stand, hinausdraengen, als der Graf schon, in genau demselben Kriegsrock, mit Orden und Waffen, wie er sie bei der Eroberung des Forts getragen hatte, zu ihr eintrat. Die Marquise glaubte vor Verwirrung in die Erde zu sinken; sie griff nach einem Tuch, das sie auf dem Stuhl hatte liegen lassen, und wollte eben in ein Seitenzimmer entfliehn; doch Frau von G..., indem sie die Hand derselben ergriff, rief: Julietta--! und wie erstickt von Gedanken, ging ihr die Sprache aus. Sie heftete die Augen fest auf den Grafen und wiederholte: ich bitte dich, Julietta! indem sie sie nach sich zog: wen erwarten wir denn--? Die Marquise rief, indem sie sich ploetzlich wandte: nun? doch ihn nicht--? und schlug mit einem Blick funkelnd, wie ein Wetterstrahl, auf ihn ein, indessen Blaesse des Todes ihr Antlitz ueberflog. Der Graf hatte ein Knie vor ihr gesenkt; die rechte Hand lag auf seinem Herzen, das Haupt sanft auf seine Brust gebeugt, lag er, und blickte hochgluehend vor sich nieder, und schwieg. Wen sonst, rief die Obristin mit beklemmter Stimme, wen sonst, wir Sinnberaubten, als ihn--? Die Marquise stand starr ueber ihm, und sagte: ich werde wahnsinnig werden, meine Mutter! Du Toerin, erwiderte die Mutter, zog sie zu sich, und fluesterte ihr etwas in das Ohr. Die Marquise wandte sich, und stuerzte, beide Haende vor das Gesicht, auf den Sofa nieder. Die Mutter rief. Unglueckliche! Was fehlt dir? Was ist geschehn, worauf du nicht vorbereitet warst?--Der Graf wich nicht von der Seite der Obristin; er fasste, immer noch auf seinen Knieen liegend, den aeussersten Saum ihres Kleides, und kuesste ihn. Liebe! Gnaedige! Verehrungswuerdigste! fluesterte er: eine Traene rollte ihm die Wangen herab. Die Obristin sagte: stehn Sie auf, Herr Graf, stehn Sie auf! Troesten Sie jene; so sind wir alle versoehnt, so ist alles vergeben und vergessen. Der Graf erhob sich weinend. Er liess sich von neuem vor der Marquise nieder, er fasste leise ihre Hand, als ob sie von Gold waere, und der Duft der seinigen sie trueben koennte. Doch diese--: gehn Sie! gehn Sie! gehn Sie! rief sie, indem sie aufstand; auf einen Lasterhaften war ich gefasst, aber auf keinen--Teufel! oeffnete, indem sie ihm dabei, gleich einem Pestvergifteten, auswich, die Tuer des Zimmers, und sagte: ruft den Obristen! Julietta! rief die Obristin mit Erstaunen. Die Marquise blickte, mit toetender Wildheit, bald auf den Grafen, bald auf die Mutter ein; ihre Brust flog, ihr Antlitz loderte: eine Furie blickt nicht schrecklicher. Der Obrist und der Forstmeister kamen. Diesem Mann, Vater, sprach sie, als jene noch unter dem Eingang waren, kann ich mich nicht vermaehlen! griff in ein Gefaess mit Weihwasser, das an der hinteren Tuer befestigt war, besprengte, in einem grossen Wurf, Vater und Mutter und Bruder damit, und verschwand. Der Kommandant, von dieser seltsamen Erscheinung betroffen, fragte, was vorgefallen sei; und erblasste, da er, in diesem entscheidenden Augenblick, den Grafen F... im Zimmer erblickte. Die Mutter nahm den Grafen bei der Hand und sagte: frage nicht; dieser junge Mann bereut von Herzen alles, was geschehen ist; gib deinen Segen, gib, gib: so wird sich alles noch gluecklich endigen. Der Graf stand wie vernichtet. Der Kommandant legte seine Hand auf ihn; seine Augenwimpern zuckten, seine Lippen waren weiss, wie Kreide. Moege der Fluch des Himmels von diesen Scheiteln weichen! rief er: wann gedenken Sie zu heiraten?--Morgen, antwortete die Mutter fuer ihn, denn er konnte kein Wort hervorbringen, morgen oder heute, wie du willst; dem Herrn Grafen, der so viel schoene Beeiferung gezeigt hat, sein Vergehen wieder gut zu machen, wird immer die naechste Stunde die liebste sein.--So habe ich das Vergnuegen, Sie morgen um 11 Uhr in der Augustinerkirche zu finden! sagte der Kommandant; verneigte sich gegen ihn, rief Frau und Sohn ab, um sich in das Zimmer der Marquise zu verfuegen, und liess ihn stehen. Man bemuehte sich vergebens, von der Marquise den Grund ihres sonderbaren Betragens zu erfahren; sie lag im heftigsten Fieber, wollte durchaus von Vermaehlung nichts wissen, und bat, sie allein zu lassen. Auf die Frage: warum sie denn ihren Entschluss ploetzlich geaendert habe? und was ihr den Grafen gehaessiger mache, als einen andern? sah sie den Vater mit grossen Augen zerstreut an, und antwortete nichts. Die Obristin sprach: ob sie vergessen habe, dass sie Mutter sei? worauf sie erwiderte, dass sie, in diesem Falle, mehr an sich, als ihr Kind, denken muesse, und nochmals, indem sie alle Engel und Heiligen zu Zeugen anrief, versicherte, dass sie nicht heiraten wuerde. Der Vater, der sie offenbar in einem ueberreizten Gemuetszustande sah, erklaerte, dass sie ihr Wort halten muesse; verliess sie, und ordnete alles, nach gehoeriger schriftlicher Ruecksprache mit dem Grafen, zur Vermaehlung an. Er legte demselben einen Heiratskontrakt vor, in welchem dieser auf alle Rechte eines Gemahls Verzicht tat, dagegen sich zu allen Pflichten, die man von ihm fordern wuerde, verstehen sollte. Der Graf sandte das Blatt, ganz von Traenen durchfeuchtet, mit seiner Unterschrift zurueck. Als der Kommandant am andern Morgen der Marquise dieses Papier ueberreichte, hatten sich ihre Geister ein wenig beruhigt. Sie durchlas es, noch im Bette sitzend, mehrere Male, legte es sinnend zusammen, oeffnete es, und durchlas es wieder; und erklaerte hierauf, dass sie sich um 11 Uhr in der Augustinerkirche einfinden wuerde. Sie stand auf, zog sich, ohne ein Wort zu sprechen, an, stieg, als die Glocke schlug, mit allen Ihrigen in den Wagen, und fuhr dahin ab. Erst an dem Portal der Kirche war es dem Grafen erlaubt, sich an die Familie anzuschliessen. Die Marquise sah, waehrend der Feierlichkeit, starr auf das Altarbild; nicht ein fluechtiger Blick ward dem Manne zuteil, mit welchem sie die Ringe wechselte. Der Graf bot ihr, als die Trauung vorueber war, den Arm; doch sobald sie wieder aus der Kirche heraus waren, verneigte sich die Graefin vor ihm: der Kommandant fragte, ob er die Ehre haben wuerde, ihn zuweilen in den Gemaechern seiner Tochter zu sehen, worauf der Graf etwas stammelte, das niemand verstand, den Hut vor der Gesellschaft abnahm, und verschwand. Er bezog eine Wohnung in M..., in welcher er mehrere Monate zubrachte, ohne auch nur den Fuss in des Kommandanten Haus zu setzen, bei welchem die Graefin zurueckgeblieben war. Nur seinem zarten, wuerdigen und voellig musterhaften Betragen ueberall, wo er mit der Familie in irgend eine Beruehrung kam, hatte er es zu verdanken, dass er, nach der nunmehr erfolgten Entbindung der Graefin von einem jungen Sohne, zur Taufe desselben eingeladen ward. Die Graefin, die, mit Teppichen bedeckt, auf dem Wochenbette sass, sah ihn nur auf einen Augenblick, da er unter die Tuer trat, und sie von weitem ehrfurchtsvoll gruesste. Er warf unter den Geschenken, womit die Gaeste den Neugebornen bewillkommten, zwei Papiere auf die Wiege desselben, deren eines, wie sich nach seiner Entfernung auswies, eine Schenkung von 20000 Rubel an den Knaben, und das andere ein Testament war, in dem er die Mutter, falls er stuerbe, zur Erbin seines ganzen Vermoegens einsetzte. Von diesem Tage an ward er, auf Veranstaltung der Frau von G..., oefter eingeladen; das Haus stand seinem Eintritt offen, es verging bald kein Abend, da er sich nicht darin gezeigt haette. Er fing, da sein Gefuehl ihm sagte, dass ihm von allen Seiten, um der gebrechlichen Einrichtung der Welt willen, verziehen sei, seine Bewerbung um die Graefin, seine Gemahlin, von neuem an, erhielt, nach Verlauf eines Jahres, ein zweites Jawort von ihr, und auch eine zweite Hochzeit ward gefeiert, froher, als die erste, nach deren Abschluss die ganze Familie nach V... hinauszog. Eine ganze Reihe von jungen Russen folgte jetzt noch dem ersten; und da der Graf, in einer gluecklichen Stunde, seine Frau einst fragte, warum sie, an jenem fuerchterlichen Dritten, da sie auf jeden Lasterhaften gefasst schien, vor ihm, gleich einem Teufel, geflohen waere, antwortete sie, indem sie ihm um den Hals fiel: er wuerde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen waere. Die Verlobung in St. Domingo Zu Port au Prince, auf dem franzoesischen Anteil der Insel St. Domingo, lebte, zu Anfange dieses Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weissen ermordeten, auf der Pflanzung des Herrn Guillaume von Villeneuve, ein fuerchterlicher alter Neger, namens Congo Hoango. Dieser von der Goldkueste von Afrika herstammende Mensch, der in seiner Jugend von treuer und rechtschaffener Gemuetsart schien, war von seinem Herrn, weil er ihm einst auf einer Ueberfahrt nach Cuba das Leben gerettet hatte, mit unendlichen Wohltaten ueberhaeuft worden. Nicht nur, dass Herr Guillaume ihm auf der Stelle seine Freiheit schenkte, und ihm, bei seiner Rueckkehr nach St. Domingo, Haus und Hof anwies; er machte ihn sogar, einige Jahre darauf, gegen die Gewohnheit des Landes, zum Aufseher seiner betraechtlichen Besitzung, und legte ihm, weil er nicht wieder heiraten wollte, an Weibes Statt eine alte Mulattin, namens Babekan, aus seinerPflanzung bei, mit welcher er durch seine erste verstorbene Frau weitlaeuftig verwandt war. Ja, als der Neger sein sechzigstes Jahr erreicht hatte, setzte er ihn mit einem ansehnlichen Gehalt in den Ruhestand und kroente seine Wohltaten noch damit, dass er ihm in seinem Vermaechtnis sogar ein Legat auswarf; und doch konnten alle diese Beweise von Dankbarkeit Herrn Villeneuve vor der Wut dieses grimmigen Menschen nicht schuetzen. Congo Hoango war, bei dem allgemeinen Taumel der Rache, der auf die unbesonnenen Schritte des Nationalkonvents in diesen Pflanzungen aufloderte, einer der ersten, der die Buechse ergriff, und, eingedenk der Tyrannei, die ihn seinem Vaterlande entrissen hatte, seinem Herrn die Kugel durch den Kopf jagte. Er steckte das Haus, worein die Gemahlin desselben mit ihren drei Kindern und den uebrigen Weissen der Niederlassung sich gefluechtet hatte, in Brand, verwuestete die ganze Pflanzung, worauf die Erben, die in Port au Prince wohnten, haetten Anspruch machen koennen, und zog, als saemtliche zur Besitzung gehoerige Etablissements der Erde gleich gemacht waren, mit den Negern, die er versammelt und bewaffnet hatte, in der Nachbarschaft umher, um seinen Mitbruedern in dem Kampfe gegen die Weissen beizustehen. Bald lauerte er den Reisenden auf, die in bewaffneten Haufen das Land durchkreuzten; bald fiel er am hellen Tage die in ihren Niederlassungen verschanzten Pflanzer selbst an, und liess alles, was er darin vorfand, ueber die Klinge springen. Ja, er forderte, in seiner unmenschlichen Rachsucht, sogar die alte Babekan mit ihrer Tochter, einer jungen fuenfzehnjaehrigen Mestize, namens Toni, auf, an diesem grimmigen Kriege, bei dem er sich ganz verjuengte, Anteil zu nehmen; und weil das Hauptgebaeude der Pflanzung, das er jetzt bewohnte, einsam an der Landstrasse lag und sich haeufig, waehrend seiner Abwesenheit, weisse oder kreolische Fluechtlinge einfanden, welche darin Nahrung oder ein Unterkommen suchten, so unterrichtete er die Weiber, diese weissen Hunde, wie er sie nannte, mit Unterstuetzungen und Gefaelligkeiten bis zu seiner Wiederkehr hinzuhalten. Babekan, welche in Folge einer grausamen Strafe, die sie in ihrer Jugend erhalten hatte, an der Schwindsucht litt, pflegte in solchen Faellen die junge Toni, die, wegen ihrer ins Gelbliche gehenden Gesichtsfarbe, zu dieser graesslichen List besonders brauchbar war, mit ihren besten Kleidern auszunutzen; sie ermunterte dieselbe, den Fremden keine Liebkosung zu versagen, bis auf die letzte, die ihr bei Todesstrafe verboten war: und wenn Congo Hoango mit seinem Negertrupp von den Streifereien, die er in der Gegend gemacht hatte, wiederkehrte, war unmittelbarer Tod das Los der Armen, die sich durch diese Kuenste hatten taeuschen lassen. Nun weiss jedermann, dass im Jahr 1803, als der General Dessalines mit 30000 Negern gegen Port au Prince vorrueckte, alles, was die weisse Farbe trug, sich in diesen Platz warf, um ihn zu verteidigen. Denn er war der letzte Stuetzpunkt der franzoesischen Macht auf dieser Insel, und wenn er fiel, waren alle Weissen, die sich darauf befanden, saemtlich ohne Rettung verloren. Demnach traf es sich, dass gerade in der Abwesenheit des alten Hoango, der mit den Schwarzen, die er um sich hatte, aufgebrochen war, um dem General Dessalines mitten durch die franzoesischen Posten einen Transport von Pulver und Blei zuzufuehren, in der Finsternis einer stuermischen und regnerischen Nacht, jemand an die hintere Tuer seines Hauses klopfte. Die alte Babekan, welche schon im Bette lag, erhob sich, oeffnete, einen blossen Rock um die Hueften geworfen, das Fenster, und fragte, wer da sei? "Bei Maria und allen Heiligen," sagte der Fremde leise, indem er sich unter das Fenster stellte: "beantwortet mir, ehe ich Euch dies entdecke, eine Frage!" Und damit streckte er, durch die Dunkelheit der Nacht, seine Hand aus, um die Hand der Alten zu ergreifen, und fragte: "Seid Ihr eine Negerin?" Babekan sagte: "nun, Ihr seid gewiss ein Weisser, dass Ihr dieser stockfinstern Nacht lieber ins Antlitz schaut, als einer Negerin! "Kommt herein", setzte sie hinzu, "und fuerchtet nichts; hier wohnt eine Mulattin, und die einzige, die sich ausser mir noch im Hause befindet, ist meine Tochter, eine Mestize!" Und damit machte sie das Fenster zu, als wollte sie hinabsteigen und ihm die Tuer oeffnen; schlich aber, unter dem Vorwand, dass sie den Schluessel nicht sogleich finden koenne, mit einigen Kleidern, die sie schnell aus dem Schrank zusammenraffte, in die Kammer hinauf und weckte ihre Tochter. "Toni!" sprach sie: "Toni!" "Was gibts, Mutter?--"Geschwind!" sprach sie. "Aufgestanden und dich angezogen! Hier sind Kleider, weisse Waesche und Struempfe! Ein Weisser, der verfolgt wird, ist vor der Tuer und begehrt eingelassen zu werden! " Toni fragte: "ein Weisser?", indem sie sich halb im Bett aufrichtete. Sie nahm die Kleider, welche die Alte in der Hand hielt, und sprach: "ist er auch allein, Mutter? Und haben wir, wenn wir ihn einlassen, nichts zu befuerchten?" "Nichts, nichts!" versetzte die Alte, indem sie Licht anmachte: "er ist ohne Waffen und allein, und Furcht, dass wir ueber ihn herfallen moechten, zittert in allen seinen Gebeinen!" Und damit, waehrend Toni aufstand und sich Rock und Struempfe anzog, zuendete sie die grosse Laterne an, die in dem Winkel des Zimmers stand, band dem Maedchen geschwind das Haar, nach der Landesart, ueber dem Kopf zusammen, bedeckte sie, nachdem sie ihr den Latz zugeschnuert hatte, mit einem Hut, gab ihr die Laterne in die Hand und befahl ihr, auf den Hof hinab zu gehen und den Fremden herein zu holen. Inzwischen war auf das Gebell einiger Hofhunde ein Knabe, namens Nanky, den Hoango auf unehelichem Wege mit einer Negerin erzeugt hatte, und der mit seinem Bruder Seppy in den Nebengebaeuden schlief, erwacht; und da er beim Schein des Mondes einen einzelnen Mann auf der hinteren Treppe des Hauses stehen sah; so eilte er sogleich, wie er in solchen Faellen angewiesen war, nach dem Hoftor, durch welches derselbe hereingekommen war, um es zu verschliessen. Der Fremde, der nicht begriff,was dieseArlstalten zu bedeuten hatten, fragte den Knaben, den er mit Entsetzen, als er ihm nahe stand, fuer einen Negerknaben erkannte: wer in dieser Niederlassung wohne und schon war er auf die Antwort desselben: "dass die Besitzung, seit dem Tode Herrn Villeneuves dem Neger Hoango anheim gefallen," im Begriff, den Jungen niederzuwerfen, ihm den Schluessel der Hofpforte, den er in der Hand hielt, zu entreissen und das weite Feld zu suchen, als Toni, die Laterne in der Hand, vor das Haus hinaus trat. "Geschwind!" sprach sie, indem sie seine Hand ergriff und ihn nach der Tuer zog: "Hier herein!" Sie trug Sorge, indem sie dies sagte, das Licht so zu stellen, dass der volle Strahl davon auf ihr Gesicht fiel. --"Wer bist du?" rief der Fremde straeubend, indem er, um mehr als einer Ursache willen betroffen, ihre junge liebliche Gestalt betrachtete. "Wer wohnt in diesem Hause, in welchem ich, wie du vorgibst, meine Rettung finden soll?"--"Niemand, bei dem Licht der Sonne", sprach das Maedchen, "als meine Mutter und ich!" und bestrebte und beeiferte sich, ihn mit sich fortzureissen. "Was, niemand!" rief der Fremde, indem er, mit einem Schritt rueckwaerts, seine Hand losriss: "hat mir dieser Knabe nicht eben gesagt, dass ein Neger, namens Hoango, darin befindlich sei?"--"Ich sage, nein!" sprach das Maedchen, indem sie, mit einem Ausdruck von Unwillen, mit dem Fuss stampfte; "und wenn gleich einem Wueterich, der diesen Namen fuehrt, das Haus gehoert: abwesend ist er in diesem Augenblick und auf zehn Meilen davon entfernt!" Und damit zog sie den Fremden mit ihren beiden Haenden in das Haus hinein, befahl dem Knaben, keinem Menschen zu sagen, wer angekommen sei, ergriff, nachdem sie die Tuer erreicht, des Fremden Hand und fuehrte ihn die Treppe hinauf, nach dem Zimmer ihrer Mutter. "Nun", sagte die Alte, welche das ganze Gespraech, von dem Fenster herab, mit angehoert und bei dem Schein des Lichts bemerkt hatte, dass er ein Offizier war: "was bedeutet der Degen, den Ihr so schlagfertig unter Eurem Arme tragt? Wir haben Euch", setzte sie hinzu, indem sie sich die Brille aufdrueckte, "mit Gefahr unseres Lebens eine Zuflucht in unserm Hause gestattet; seid Ihr herein gekommen, um diese Wohltat, nach der Sitte Eurer Landsleute, mit Verraeterei zu vergelten?" "Behuete der Himmel!" erwiderte der Fremde, der dicht vor ihren Sessel getreten war. Er ergriff die Hand der Alten, drueckte sie an sein Herz, und indem er, nach einigen im Zimmer schuechtern umhergeworfenen Blicken, den Degen, den er an der Huefte trug, abschnallte, sprach er: "Ihr seht den elendesten der Menschen, aber keinen undankbaren und schlechten vor Euch!" "Wer seid Ihr?" fragte die Alte; und damit schob sie ihm mit dem Fuss einen Stuhl hin, und befahl dem Maedchen, in die Kueche zu gehen, und ihm, so gut es sich in der Eil tun liess, ein Abendbrot zu bereiten. Der Fremde erwiderte: "ich bin ein Offizier von der franzoesischen Macht, obschon, wie Ihr wohl selbst urteilt, kein Franzose; mein Vaterland ist die Schweiz und mein Name Gustav von der Ried. Ach, haette ich es niemals verlassen und gegen dies unselige Eiland vertauscht! Ich komme von Fort Dauphin, wo, wie Ihr wisst, alle Weissen ermordet worden sind, umd meine Absicht ist, Port au Prince zu erreichen, bevor es dem General Dessalines noch gelungen ist, es mit den Truppen, die er anfuehrt, einzuschliessen und zu belagern." "Von Fort Dauphin!" rief die Alte. "Und es ist Euch mit Eurer Gesichtsfarbe geglueckt, diesen ungeheuren Weg, mitten durch ein in Empoerung begriffenes Mohrenland, zurueckzulegen?" "Gott und alle Heiligen", erwiderte der Fremde, "haben mich beschuetzt! --Und ich bin nicht allein, gutes Muetterchen; in meinem Gefolge, das ich zurueckgelassen, befindet sich ein ehrwuerdiger alter Greis, mein Oheim, mit seiner Gemahlin und fuenf Kindem; mehrere Bediente und Maegde, die zur Familie gehoeren, nicht zu erwaehnen; ein Tross von zwoelf Menschen, den ich, mit Huelfe zweier elenden Maulesel, in unsaeglich muehevollen Nachtwanderungen, da wir uns bei Tage auf der Heerstrasse nicht zeigen duerfen, mit mir fortfuehren muss." "Ei, mein Himmel!" rief die Alte, indem sie, unter mitleidigem Kopfschuetteln, eine Prise Tabak nahm. "Wo befindet sich denn in diesem Augenblick Eure Reisegesellschaft?"--"Euch", versetzte der Fremde, nachdem er sich ein wenig besonnen hatte, "Euch kann ich mich anvertrauen; aus der Farbe Eures Gesichts schimmert mir ein Strahl von der meinigen entgegen. Die Familie befindet sich, dass Ihr es wisst, eine Meile von hier, zunaechst dem Moewenweiher, in der Wildnis der angrenzenden Gebirgswaldung: Hunger und Durst zwangen uns vorgestem, diese Zuflucht aufzusuchen. Vergebens schickten wir in der verflossenen Nacht unsere Bedienten aus, um ein wenig Brot und Wein bei den Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, ergriffen und getoetet zu werden, hielt sie ab, die entscheidenden Schritte deshalb zu tun, dergestalt, dass ich mich selbst heute mit Gefahr meines Lebens habe aussmachen muessen, um mein Glueck zu versuchen. Der Himmel, wenn mich nicht alles truegt", fuhr er fort, indem er die Hand der Alten drueckte, "hat mich mitleidigen Menschen zugefuehrt, die jene grausame und unerhoerte Erbitterung, welche alle Einwohner dieser Insel ergriffen hat, nicht teilen. Habt die Gefaelligkeit, mir fuer reichlichen Lohn einige Koerbe mit Lebensmitteln und Erfrischungen anzufuellen; wir haben nur noch fuenf Tagereisen bis Port au Prince, und wenn ihr uns die Mittel verschafft, diese Stadt zu erreichen, so werden wir euch ewig als die Retter unseres Lebens ansehen." "Ja, diese rasende Erbitterung", heuchelte die Alte. "Ist es nicht, als ob die Haende eines Koerpers, oder die Zaehne eines Mundes gegen einander wueten wollten, weil das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. Jago, von der Insel Cuba war, fuer den Schimmer von Licht, der auf meinem Antlitz, wenn es Tag wird, erdaemmert? Und was kann meine Tochter, die in Europa empfangen und geboren ist, dafuer, dass der volle Tag jenes Weltteils von dem ihrigen widerscheint?" "Wie?" rief der Fremde. "Ihr, die Ihr nach Eurer ganzen Gesichtsbildung eine Mulattin, und mithin afrikanischen Ursprungs seid, Ihr waeret samt der lieblichen jungen Mestize, die mir das Haus aufmachte, mit uns Europaeern in einer Verdammnis?" "Beim Himmel!" erwiderte die Alte, indem sie die Brille von der Nase nahm; "meint Ihr, dass das kleine Eigentum, das wir uns in muehseligen und jammervollen Jahren durch die Arbeit unserer Haende erworben haben, dies grimmige, aus der Hoelle stammende Raeubergesindel nicht reizt? Wenn wir uns nicht durch List und den ganzen Inbegriff jener Kuenste, die die Notwehr dem Schwachen in die Haende gibt, vor ihrer Verfolgung zu sichern wuessten: der Schatten von Verwandtschaft, der ueber unsere Gesichter ausgebreitet ist, der, koennt Ihr sicher glauben, tut es nicht!" "Es ist nicht moeglich!" rief der Fremde; "und wer auf dieser Insel verfolgt euch?" "Der Besitzer dieses Hauses", antwortete die Alte: "der Neger Congo Hoango! Seit dem Tode Herrn Guillaumes, des vormaligen Eigentuemers dieser Pflanzung, der durch seine grimmige Hand beim Ausbruch der Empoerung fiel, sind wir, die wir ihm als Verwandte die Wirtschaft fuehren, seiner ganzen Willkuer und Gewalttaetigkeit preis gegeben. Jedes Stueck Brot, jeden Labetrunk den wir aus Menschlichkeit einem oder dem andern der weissen Fluechtlinge, die hier zuweilen die Strasse vorueberziehen, gewaehren, rechnet er uns mit Schimpfwoertern und Misshandlungen an; und nichts wuenscht er mehr, als die Rache der Schwarzen ueber uns weisse und kreolische Halbhunde, wie er uns nennt, hereinhetzen zu koennen, teils um unserer ueberhaupt, die wir seine Wildheit gegen die Weissen tadeln, los zu werden, teils, um das kleine Eigentum, das wir hinterlassen wuerden, in Besitz zu nehmend" "Ihr Ungluecklichen!" sagte der Fremde; "ihr Bejammernswuerdigen!--Und wo befindet sich in diesem Augenblick dieser Wueterich?" "Bei dem Heere des Generals Dessalines," antwortete die Alte, "dem er, mit den uebrigen Schwarzen, die zu dieser Pflanzung gehoeren, einen Transport von Pulver und Blei zufuehrt, dessen der General beduerftig war. Wir erwarten ihn, falls er nicht auf neue Unternehmungen auszieht, in zehn oder zwoelf Tagen zurueck; und wenn er alsdann, was Gott verhueten wolle, erfuehre, dass wir einem Weissen, der nach Port au Prince wandert, Schutz und Obdach gegeben, waehrend er aus allen Kraeften an dem Geschaeft Teil nimmt, das ganze Geschlecht derselben von der Insel zu vertilgen, wir waeren alle, das koennt Ihr glauben, Kinder des Todes." "Der Himmel, der Menschlichkeit und Mitleiden liebt", antwortete der Fremde, "wird Euch in dem, was Ihr einem Ungluecklichen tut, beschuetzen!--Und weil Ihr Euch", setzte er, indem er der Alten naeher rueckte, hinzu, "einmal in diesem Falle des Negers Unwillen zugezogen haben wuerdet, und der Gehorsam, wenn Ihr auch dazu zurueckkehren wolltet, Euch fuerderhin zu nichts helfen wuerde; koennt Ihr Euch wohl, fuer jede Belohnung, die Ihr nur verlangen moegt, entschliessen, meinem Oheim und seiner Familie, die durch die Reise aufs aeusserste angegriffen sind, auf einen oder zwei Tage in Eurem Hause Obdach zu geben, damit sie sich ein wenig erholten?" "Junger Herr!" sprach die Alte betroffen, "was verlangt Ihr da? Wie ist es, in einem Hause, das an der Landstrasse liegt, moeglich, einen Tross von solcher Groesse, als der Eurige ist, zu beherbergen, ohne dass er den Einwohnern des Landes verraten wuerde?" "Warum nicht?" versetzte der Fremde dringend: "wenn ich sogleich selbst an den Moewen Weiher hinausginge, und die Gesellschaft, noch vor Anbruch des Tages, in die Niederlassung einfuehrte; wenn man alles, Herrschaft und Dienerschaft, in einem und demselben Gemach des Hauses unterbraechte, und fuer den schlimmsten Fall,etwa noch die Vorsicht gebrauchte, Tueren und Fenster desselben sorgfaeltig zu verschliessen" Die Alte erwiderte, nachdem sie den Vorschlag waehrend einiger Zeit erwogen hatte: "dass, wenn er, in der heutigen Nacht, unternehmen wollte, den Tross aus seiner Bergschlucht in die Niederlassung einzufuehren, er, bei der Rueckkehr von dort, unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger stossen wuerde, der, durch einige vorangeschickte Schuetzen, auf der Heerstrasse angesagt worden waeren" "Wohlan!" versetzte der Fremde: "so begnuegen wir uns, fuer diesen Augenblick, den Ungluecklichen einen Korb mit Lebensmitteln zuzusenden, und sparen das Geschaeft, sie in die Niederlassung einzufuehren, fuer die naechstfolgende Nacht auf. Wollt Ihr, gutes Muetterchen, das tun?" "Nun", sprach die Alte, unter vielfachen Kuessen, die von den Lippen des Fremden auf ihre knoecherne Hand niederregneten: "um des Europaeers, meiner Tochter Vater willen, will ich euch, seinen bedraengten Landsleuten, diese Gefaelligkeit erweisen. Setzt Euch beim Anbruch des morgenden Tages hin, und ladet die Eurigen in einem Schreiben ein, sich zu mir in die Niederlassung zu verfuegen; der Knabe, den Ihr im Hofe gesehen, mag ihnen das Schreiben mit einigem Mundvorrat ueberbringen, die Nacht ueber zu ihrer Sicherheit in den Bergen verweilen, und dem Trosse beim Anbruch des naechstfolgenden Tages, wenn die Einladung angenommen wird, auf seinem Wege hierher zum Fuehrer dienen." Inzwischen war Toni mit einem Mahl, das sie in der Kueche bereitet hatte, wiedergekehrt, und fragte die Alte mit einem Blick auf den Fremden, schaekernd, indem sie den Tisch deckte: "Nun, Mutter, sagt an! Hat sich der Herr von dem Schreck, der ihn vor der Tuer ergriff, erholt? Hat er sich ueberzeugt, dass weder Gift noch Dolch auf ihn warten, und dass der Neger Hoango nicht zu Hause ist?" Die Mutter sagte mit einem Seufzer: "mein Kind, der Gebrannte scheut, nach dem Sprichwort, das Feuer. Der Herr wuerde toericht gehandelt haben, wenn er sich frueher in das Haus hineingewagt haette, als bis er sich von dem Volksstamm, zu welchem seine Bewohner gehoeren, ueberzeugt hatten" Das Maedchen stellte sich vor die Mutter, und erzaehlte ihr: wie sie die Laterne so gehalten, dass ihr der volle Strahl davon ins Gesicht gefallen waere. Aber seine Einbildung, sprach sie, war ganz von Mohren und Negern erfuellt; und wenn ihm eine Dame von Paris oder Marseille die Tuere geoeffnet haette, er wuerde sie fuer eine Negerin gehalten haben. Der Fremde, indem er den Arm sanft um ihren Leib schlug, sagte verlegen: dass der Hut, den sie aufgehabt, ihn verhindert haette, ihr ins Gesicht zu schaun. Haette ich dir, fuhr er fort, indem er sie lebhaft an seine Brust drueckte, ins Auge sehen koennen, so wie ich es jetzt kann: so haette ich, auch wenn alles Uebrige an dir schwarz gewesen waere, aus einem vergifteten Becher mit dir trinken wollen. Die Mutter noetigte ihn, der bei diesen Worten rot geworden war, sich zu setzen, worauf Toni sich neben ihm an der Tafel niederliess, und mit aufgestuetzten Armen, waehrend der Fremde ass, in sein Antlitz sah. Der Fremde fragte sie: wie alt sie waeret und wie ihre Vaterstadt hiesse? Worauf die Mutter das Wort nahm und ihm sagte: "dass Toni vor fuenfzehn Jahren auf einer Reise, welche sie mit der Frau des Herrn Villeneuve, ihres vormaligen Prinzipals, nach Europa gemacht haette, in Paris von ihr empfangen und geboren worden waere". Sie setzte hinzu, dass der Neger Komar, den sie nachher geheiratet, sie zwar an Kindes Statt angenommen haette, dass ihr Vater aber eigentlich ein reicher Marseiller Kaufmann, namens Bertrand waere, von dem sie auch Toni Bertrand hiesse.--Toni fragte ihn: ob er einen solchen Herrn in Frankreich kenne? Der Fremde erwiderte: nein! Das Land waere gross, und waehrend des kurzen Aufenthalts, den er bei seiner Einschiffung nach Westindien darin genommen, sei ihm keine Person dieses Namens vorgekommen. Die Alte versetzte dass Herr Bertrand auch nach ziemlich sicheren Nachrichten, die sie eingezogen, nicht mehr in Frankreich befindlich sei. Sein ehrgeiziges und aufstrebendes Gemuet, sprach sie, gefiel sich in dem Kreis buergerlicher Taetigkeit nicht; er mischte sich beim Ausbruch der Revolution in die oeffentlichen Geschaefte, und ging im Jahr 1795 mit einer franzoesischen Gesandtschaft an den tuerkischen Hof, von wo er, meines Wissens, bis diesen Augenblick noch nicht zurueckgekehrt ist. Der Fremde sagte laechelnd zu Toni, indem er ihre Hand fasste: dass sie ja in diesem Falle ein vornehmes und reiches Maedchen waere. Er munterte sie auf, diese Vorteile geltend zu machen, und meinte, dass sie Hoffnung haette, noch einmal an der Hand ihres Vaters in glaenzendere Verhaeltnisse, als in denen sie jetzt lebte, eingefuehrt zu werden! "Schwerlich", versetzte die Alte mit unterdrueckter Empfindlichkeit. "Herr Bertrand leugnete mir, waehrend meiner Schwangerschaft zu Paris, aus Scham vor einer jungen reichen Braut, die er heiraten wollte, die Vaterschaft zu diesem Kinde vor Gericht ab. Ich werde den Eidschwur, den er die Frechheit hatte, mir ins Gesicht zu leisten, niemals vergessen, ein Gallenfieber war die Folge davon, und bald darauf noch sechzig Peitschenhiebe, die mir Herr Villeneuve geben liess, und in deren Folge ich noch bis auf diesen Tag an der Schwindsucht leide." Toni, welche den Kopf gedankenvoll auf ihre Hand gelegt hatte, fragte den Fremden: wer er denn waere? Wo er herkaeme und wo er hinginge? Worauf dieser nach einer kurzen Verlegenheit, worin ihn die erbitterte Rede der Alten versetzt hatte, erwiderte: dass er mit Herrn Stroemlis, seines Oheims Familie, die er, unter dem Schutze zweier jungen Vettern, in der Bergwaldung am Moewenweiher zurueckgelassen, vom Fort Dauphin kaeme. Er erzaehlte, auf des Maedchens Bitte, mehrere Zuege der in dieser Stadt ausgebrochenen Empoerung; wie zur Zeit der Mitternacht, da alles geschlafen, auf ein verraeterisch gegebenes Zeichen, das Gemetzel der Schwarzen gegen die Weissen losgegangen waere; wie der Chef der Negern, ein Sergeant bei dem franzoesischen Pionierkorps, die Bosheit gehabt, sogleich alle Schiffe im Hafen in Brand zu stecken, um den Weissen die Flucht nach Europa abzuschneiden; wie die Familie kaum Zeit gehabt, sich mit einigen Habseligkeiten vor die Tore der Stadt zu retten, und wie ihr, bei dem gleichzeitigen Auflodern der Empoerung in allen Kuestenplaetzen, nichts uebrig geblieben waere, als mitHuelfe zweier Maulesel, die sie aufgetrieben, den Weg quer durch das ganze Land nach Port au Prince einzuschlagen, das allein noch, von einem starken franzoesischen Heere beschuetzt, der ueberhand nehmenden Macht der Negern in diesem Augenblick Widerstand leiste. Toni fragte: wodurch sich denn die Weissen daselbst so verhasst gemacht haetten?--Der Fremde erwiderte betroffen: durch das allgemeine Verhaeltnis, das sie, als Herren der Insel, zu den Schwarzen hatten, und das ich, die Wahrheit zu gestehen, mich nicht unterfangen will, in Schutz zu nehmen; das aber schon seit vielen Jahrhunderten auf diese Weise bestand! Der Wahnsinn der Freiheit, der alle diese Pflanzungen ergriffen hat, trieb die Negern und Kreolen, die Ketten, die sie drueckten, zu brechen, und an den Weissen wegen vielfacher und tadelnswuerdiger Misshandlungen, die sie von einigen schlechten Mitgliedern derselben erlitten, Rache zu nehmen. --Besonders, fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, war mir die Tat eines jungen Maedchens schauderhaft und merkwuerdig. Dieses Maedchen, vom Stamm der Negern, lag gerade zur Zeit, da die Empoerung aufloderte, an dem gelben Fieber krank, das zur Verdoppelung des Elends in der Stadt ausgebrochen war. Sie hatte drei Jahre zuvor einem Pflanzer vom Geschlecht der Weissen als Sklavin gedient, der sie aus Empfindlichkeit, weil sie sich seinen Wuenschen nicht willfaehrig gezeigt hatte, hart behandelt und nachher an einen kreolischen Pflanzer verkauft hatte. Da num das Maedchen an dem Tage des allgemeinen Aufruhrs erfuhr, dass sich der Pflanzer, ihr ehemaliger Herr, vor der Wut der Negern, die ihn verfolgten, in einen nahegelegenen Holzstall gefluechtet hatte: so schickte sie, jener Misshandlungen eingedenk, beim Anbruch der Daemmerung, ihren Bruder zu ihm, mit der Einladung, bei ihr zu uebernachten. Der Unglueckliche, der weder wusste, dass das Maedchen unpaesslich war, noch an welcher Krankheit sie litt, kam und schloss sie voll Dankbarkeit, da er sich gerettet glaubte, in seine Arme: doch kaum hatte er eine halbe Stunde unter Liebkosungen und Zaertlichkeiten in ihrem Bette zugebracht, als sie sich ploetzlich mit dem Ausdruck wilder und kalter Wut, darin erhob und sprach: eine Pestkranke, die den Tod in der Brust traegt, hast du gekuesst: geh umd gib das gelbe Fieber allen denen, die dir gleichen!--Der Offizier, waehrend die Alte mit lauten Worten ihren Abscheu hierueber zu erkennen gab, fragte Toni: ob sie wohl einer solchen Tat faehig waere? Nein! Sagte Toni, indem sie verwirrt vor sich niedersah. Der Fremde, indem er das Tuch auf dem Tische legte, versetzte: dass, nach dem Gefuehl seiner Seele, keine Tyrannei, die die Weissen je veruebt, einen Verrat, so niedertraechtig und abscheulich, rechtfertigen koennte. Die Rache des Himmels, meinte er, indem er sich mit einem leidenschaftlichen Ausdruck erhob, wuerde dadurch entwaffnet; die Engel selbst, dadurch empoert, stellten sich auf Seiten derer, die Unrecht haetten, und naehmen, zur Aufrechthaltung menschlicher und goettlicher Ordnung, ihre Sache! Er trat bei diesen Worten auf einen Augenblick an das Fenster, und sah in die Nacht hinaus, die mit stuermischen Wolken ueber den Mond und die Sterne vorueber zog; und da es ihm schien, als ob Mutter und Tochter einander ansaehen, obschon er auf keine Weise merkte, dass sie sich Winke zugeworfen haetten: so uebernahm ihn ein widerwaertiges und verdriessliches Gefuehl; er wandte sich und bat, dass man ihm das Zimmer anweisen moechte, wo er schlafen koenne. Die Mutter bemerkte, indem sie nach der Wanduhr sah, dass es ueberdies nahe an Mitternacht sei, nahm ein Licht in die Hand, und forderte den Fremden auf, ihr zu folgen. Sie fuehrte ihn durch einen langen Gang in das fuer ihn bestimmte Zimmer; Toni trug den Ueberrock des Fremden und mehrere andere Sachen, die er abgelegt hatte; die Mutter zeigte ihm ein von Polstern bequem aufgestapeltes Bett, worin er schlafen sollte, und nachdem sie Toni noch befohlen hatte, dem Herrn ein Fussbad zu bereiten, wuenschte sie ihm eine gute Nacht und empfahl sich. Der Fremde stellte seinen Degen in den Winkel und legte ein Paar Pistolen, die er im Guertel trug, auf den Tisch. Er sah sich, waehrend Toni das Bett vorschob und ein weisses Tuch darueber breitete, im Zimmer um; und da er gar bald, aus der Pracht unoed dem Geschmack, die darin herrschten, schloss, dass es dem vormaligen Besitzer der Pflanzung angehoert haben muesse: so legte sich ein Gefuehl der Unruhe wie ein Geier um sein Herz, und er wuenschte sich, hungrig und durstig, wie er gekommen war, wieder in die Waldung zu den Seinigen zurueck. Das Maedchen hatte mittlerweile, aus der nahbelegenen Kueche, ein Gefaess mit warmem Wasser, von wohlriechenden Kraeutern duftend, hereingeholt, tmd forderte den Offizier, der sich in das Fenster gelehnt hatte, auf, sich darin zu erquicken. Der Offizier liess sich, waehrend er sich schweigend von der Halsbinde und der Weste befreite, auf den Stuhl nieder; er schickte sich an, sich die Fuesse zu entbloessen, und waehrend das Maedchen, auf ihre Knien vor ihm hingekauert, die kleinen Vorkehrungen zum Bade besorgte, betrachtete er ihre einnehmende Gestalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken schwellend, war ihr, als sie niederknieete, auf ihre jungen Brueste herabgerollt; ein Zug von ausnehmender Anmut spielte um ihre Lippen und ueber ihre langen, ueber die gesenkten Augen hervorragenden Augenwimpern; er haette, bis auf die Farbe, die ihm anstoessig war, schwoeren moegen, dass er nie etwas Schoeneres gesehen. Dabei fiel ihm eine entfernte Aehnlichkeit, er wusste noch selbst nicht recht mit wem, auf, die er schon bei seinem Eintritt in das Haus bemerkt hatte, und die seine ganze Seele fuer sie in Anspruch nahm. Er ergriff sie, als sie in den Geschaeften, die sie betrieb, aufstand, bei der Hand, und da er gar richtig schloss, dass es nur ein Mittel gab, zu pruefen, ob das Maedchen ein Herz habe oder nicht, so zog er sie auf seinen Schoss nieder und fragte sie: "ob sie schon einem Braeutigam verlobt Waere?" "Nein!" lispelte das Maedchen, indem sie ihre grossen schwarzen Augen in lieblicher Verschaemtheit zur Erde schlug. Sie setzte, ohne sich auf seinem Schoss zu ruehren, hinzu: Kondly, der junge Neger aus der Nachbarschaft, haette zwar vor drei Monaten um sie angehalten; sie haette ihn aber, weil sie noch zu jung waere, ausgeschlagen. Der Fremde, der, mit seinen beiden Haenden, ihren schlanken Leib umfasst hielt, sagte: "in seinem Vaterlande waere, nach einem daselbst herrschenden Sprichwort, ein Maedchen von vierzehn Jahren und sieben Wochen bejahrt genug, um zu heiraten." Er fragte, waehrend sie ein kleines, goldenes Kreuz, das er auf der Brust trug, betrachtete: "wie alt sie waere?" "Funfzehn Jahre", erwiderte Toni. "Nun also!" sprach der Fremde. --"Fehlt es ihm denn an Vermoegen, um sich haeuslich, wie du es wuenschest, mit dir Niederzulassen?" Toni, ohne die Augen zu ihm aufzuschlagen, erwiderte: "o nein!--Vielmehr", sprach sie, indem sie das Kreuz, das sie in der Hand hielt, fahren liess: "Kondly ist, seit der letzten Wendung der Dinge, ein reicher Mann geworden; seinem Vater ist die ganze Niederlassung, die sonst dem Pflanzer, seinem Herrn, gehoerte, zugefallen."--"Warum lehntest du denn seinen Antrag ab?" fragte der Fremde. Er streichelte ihr freundlich das Haar von der Stirn und sprach: "gefiel er dir etwa nicht?" Das Maedchen, indem sie kurz mit dem Kopf schuettelte, lachte; und auf die Frage des Fremden, ihr scherzend ins Ohr gefluestert: ob es vielleicht ein Weisser sein muesse, der ihre Gunst davon tragen solle, legte sie sich ploetzlich, nach einem fluechtigen, traeumerischen Bedenken, unter einem ueberaus reizenden Erroeten, das ueber ihr verbranntes Gesicht aufloderte, an seine Brust. Der Fremde, von ihrer Anmut und Lieblichkeit geruehrt, nannte sie sein liebes Maedchen, und schloss sie, wie durch goettliche Hand von jeder Sorge erloest, in seine Arme. Es war ihm unmoeglich zu glauben, dass alle diese Bewegungen, die er an ihr wahrnahm, der blosse elende Ausdruck einer kalten und graesslichen Verraeterei sein sollten. Die Gedanken, die ihn beunruhigt hatten, wichen, wie ein Heer schauerlicher Voegel, von ihm; er schalt sich, ihr Herz nur einen Augenblick verkannt zu haben, und waehrend er sie auf seinen Knieen schaukelte, und den suessen Atem einsog, den sie ihm heraufsandte, drueckte er, gleichsam zum Zeichen der Aussoehnung und Vergebung, einen Kuss auf ihre Stirn. Inzwischen hatte sich das Maedchen, unter einem sonderbar ploetzlichen Aufhorchen, als ob jemand von dem Gange her der Tuer nahte, emporgerichtet; sie rueckte sich gedankenvoll und traeumerisch das Tuch, das sich ueber ihrer Brust verschoben hatte, zurecht; und erst als sie sah, dass sie von einem Irrtum getaeuscht worden war, wandte sie sich mit einigem Ausdruck von Heiterkeit wieder zu dem Fremden zurueck und erinnerte ihn: dass sich das Wasser, wenn er nicht bald Gebrauch davon machte, abkaelten wuerde. --"Nun?" sagte sie betreten, da der Fremde schwieg und sie gedankenvoll betrachtete: "was seht Ihr mich so aufmerksam an?" Sie suchte, indem sie sich mit ihrem Latz beschaeftigte, die Verlegenheit, die sie ergriffen, zu verbergen, und rief lachend: "wunderlicher Herr, was faellt Euch in meinem Anblick so auf?" Der Fremde, der sich mit der Hand ueber die Stirn gefahren war, sagte, einen Seufzer unterdrueckend, indem er sie von seinem Schoss herunterhob: "eine wunderbare Aehnlichkeit zwischen dir und einer Freundin!" Toni, welche sichtbar bemerkte, dass sich seine Heiterkeit zerstreut hatte, nahm ihn freundlich und teilnehmend bei der Hand, und fragte: mit welcher? Worauf jener, nach einer kurzen Besinnung das Wort nahm und sprach: "Ihr Name war Mariane Congreve und ihre Vaterstadt Strassburg. Ich hatte sie in dieser Staelt, wo ihr Vater Kaufmann war, kurz vor dem Ausbruch der Revolution kennen gelernt, und war gluecklich genug gewesen, ihr Jawort und vorlaeufig auch ihrer Mutter Zustimmung zu erhalten. Ach, es war die treuste Seele umter der Sonne; und die schrecklichen und ruehrenden Umstaende, unter denen ich sie verlor, werden mir, wenn ich dich ansehe, so gegenwaertig, dass ich mich vor Wehmut der Traenen nicht enthalten kann." "Wie?" sagte Toni, indem sie sich herzlich und innig an ihn drueckte: "sie lebt nicht mehr?" "Sie starb", antwortete der Fremde, "und ich lernte den Inbegriff aller Guete und Vortrefflichkeit erst mit ihrem Tode kennen. Gott weiss", fuhr er fort, indem er sein Haupt schmerzlich an ihre Schulter lehnte, "wie ich die Unbesonnenheit so weit treiben konnte, mir eines Abends an einem oeffentlichen Ort Aeusserungen ueber das eben errichtete furchtbare Revolutionstribunal zu erlauben. Man verklagte, man suchte mich--ja, in Ermangelung meiner, der gluecklich genug gewesen war, sich in die Vorstadt zu retten, lief die Rotte meiner rasenden Verfolger, die ein Opfer haben musste, nach der Wohnung meiner Braut, und durch ihre wahrhaftige Versicherung, dass sie nicht wisse, wo ich sei, erbittert, schleppte man dieselbe, unter dem Vorwand, dass sie mit mir im Einverstaendnis sei, mit unerhoerter Leichtfertigkeit statt meiner auf den Richtplatz. Kaum war mir diese entsetzliche Nachricht hinterbracht worden, als ich sogleich aus dem Schlupfwinkel, in welchen ich mich gefluechtet hatte, hervortrat, und indem ich, die Menge durchbrechend, nach dem Richtplatz eilte, laut ausrief: Hier, ihr Unmenschlichen, hier bin ich! Doch sie, die schon auf dem Gerueste der Guillotine stand, antwortete auf die Frage einiger Richter, denen ich ungluecklicher Weise fremd sein musste, indem sie sich mit einem Blick, der mir unausloeschlich in die Seele gepraegt ist, von mir abwandte: diesen Menschen kenne ich nicht!--worauf unter Trommeln und Larmen, von den ungeduldigen Blutmenschen angezettelt, das Eisen, wenige Augenblicke nachher, herabfiel, und ihr Haupt von seinem Rumpfe trennte.--Wie ich gerettet worden bin, das weiss ich nicht; ich befand mich, eine Viertelstunde darauf, in der Wohnung eines Freundes, wo ich aus einer Ohnmacht in die andere fiel, und halbwahnwitzig gegen Abend aufeinen Wagen geladen und ueber den Rhein geschafft wurden" Bei diesen Worten trat der Fremde, indem er das Maedchen losliess, an das Fenster; und da diese sah, dass er sein Gesicht sehr geruehrt in ein Tuch drueckte: so uebernahm sie, von manchen Seiten geweckt, ein menschliches Gefuehl; sie folgte ihm mit einer ploetzlichen Bewegung, fiel ihm um den Hals, und mischte ihre Traenen mit den seinigen. Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder, der an diese Stelle kommt, von selbst liest. Der Fremde, als er sich wieder gesammlet hatte, wusste nicht, wohin ihn die Tat, die er begangen, fuehren wuerde; inzwischen sah er so viel ein, dass er gerettet, und in dem Hause, in welchem er sich befand, fuer ihn nichts von dem Maedchen zu befuerchten war. Er versuchte, da er sie mit verschraenkten Armen auf dem Bett weinen sah, alles nur Moegliche, um sie zu beruhigen. Er nahm sich das kleine goldene Kreuz, ein Geschenk der treuen Mariane, seiner abgeschiedenen Braut, von der Brust; und, indem er sich unter unendlichen Liebkosungen ueber sie neigte, hing er es ihr als ein Brautgeschenk, wie er es nannte, um den Hals. Er setzte sich, da sie in Traenen zerfloss und auf seine Worte nicht hoerte, auf den Rand des Bettes nieder, und sagte ihr, indem er ihre Hand bald streichelte, bald kuesste: dass er bei ihrer Mutter am Morgen des naechsten Tages um sie anhalten wolle. Er beschrieb ihr, welch ein kleines Eigentum, frei und unabhaengig, er an den Ufern der Aar besitze; eine Wohnung, bequem und geraeumig genug, sie und auch ihre Mutter, wenn ihr Alter die Reise zulasse, darin aufzunehmen; Felder, Gaerten, Wiesen und Weinberge; und einen alten ehrwuerdigen Vater, der sie dankbar und liebreich daselbst, weil sie seinen Sohn gerettet, empfangen wuerde. Er schloss sie, da ihre Traenen in umendlichen Ergiessungen auf das Bettkissen niederflossen, in seine Arme, und fragte sie, von Ruehrung selber ergriffen: was er ihr zu Leide getan und ob sie ihm nicht vergeben koenne? Er schwor ihr, dass die Liebe fuer sie nie aus seinem Herzen weichen wuerde, und dass nur, im Taumel wunderbar verwirrter Sinne, eine Mischung von Begierde und Angst, die sie ihm eingefloesst, ihn zu einer solchen Tat habe verfuehren koennen. Er erinnerte sie zuletzt, dass die Morgensterne funkelten, und dass, wenn sie laenger im Bette verweilte, die Mutter kommen und sie darin ueberraschen wuerde; er forderte sie, ihrer Gesundheit wegen, auf, sich zu erheben und noch einige Stunden auf ihrem eignen Lager auszuruhen; er fragte sie, durch ihren Zustand in die entsetzlichsten Besorgnisse gestuerzt, ob er sie vielleicht in seinen Armen aufheben und in ihre Kammer tragen solle; doch da sie auf alles, was er vorbrachte, nicht antwortete, und, ihr Haupt stilljammernd, ohne sich zu ruehren, in ihre Arme gedrueckt, auf den verwirrten Kissen des Bettes dalag: so blieb ihm zuletzt, hell wie der Tag schon durch beide Fenster schimmerte, nichts uebrig, als sie, ohne weitere Ruecksprache, aufzuheben; er trug sie, die wie eine Leblose von seiner Schulter niederhing, die Treppe hinauf in ihre Kammer, und nachdem er sie auf ihr Bette niedergelegt, und ihr unter tausend Liebkosungen noch einmal alles, was er ihr schon gesagt, wiederholt hatte, nannte er sie noch einmal seine liebe Braut, drueckte einen Kuss auf ihre Wangen, und eilte in sein Zimmer zurueck. Sobald der Tag voellig angebrochen war, begab sich die alte Babekan zu ihrer Tochter hinauf, und eroeffnete ihr, indem sie sich an ihr Bett niedersetzte, welch einen Plan sie mit dem Fremden sowohl, als seiner Reisegesellschaft vorhabe. Sie meinte, dass, da der Neger Congo Hoango erst in zwei Tagen wiederkehre, alles darauf ankaeme, den Fremden waehrend dieser Zeit in dem Hause hinzuhalten, ohne die Familie seiner Angehoerigen, deren Gegenwart, ihrer Menge wegen, gefaehrlich werden koennte, darin zuzulassen. Zu diesem Zweck, sprach sie, habe sie erdacht, dem Fremden vorzuspiegeln, dass, einer soeben eingelaufenen Nachricht zufolge, der General Dessalines sich mit seinem Heer in diese Gegend wenden werde, und dass man mithin, wegen allzugrosser Gefahr, erst am dritten Tage, wenn er vorueber waere, wuerde moeglich machen koennen, die Familie, seinem Wunsche gemaess, in dem Hause aufzunehmen. Die Gesellschaft selbst, schloss sie, muesse inzwischen, damit sie nicht weiter reise, mit Lebensmitteln versorgt, und gleichfalls, um sich ihrer spaeterhin zu bemaechtigen, in dem Wahn, dass sie eine Zuflucht in dem Hause finden werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, dass die Sache wichtig sei, indem die Familie wahrscheinlich betraechtliche Habseligkeiten mit sich fuehre; und forderte die Tochter auf, sie aus allen Kraeften in dem Vorhaben, das sie ihr angegeben, zu unterstuetzen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Roete des Unwillens ihr Gesicht ueberflog, versetzte: "dass es schaendlich tmd niedertraechtig waere, das Gastrecht an Personen, die man in das Haus gelockt, also zu verletzen". Sie meinte, dass ein Verfolgter, der sich ihrem Schutz anvertraut, doppelt sicher bei ihnen sein sollte; und versicherte, dass, wenn sie den blutigen Anschlag, den sie ihr geaeussert, nicht aufgaebe, sie aufder Stelle hingehen und dem Fremden anzeigen wuerde, welch eine Moerdergrube das Haus sei, in welchem er geglaubt habe, seine Rettung zu finden. "Toni!" sagte die Mutter, indem sie die Arme in die Seite stemmte, und dieselbe mit grossen Augen ansah.--"Gewiss!" erwiderte Toni, indem sie die Stimme senkte. "Was hat uns dieser Juengling, der von Geburt gar nicht einmal ein Franzose, sondern, wie wir gesehen haben, ein Schweizer ist, zu Leide getan, dass wir, nach Art der Raeuber, ueber ihn herfallen, ihn toeten und auspluendern wollen? Gelten die Beschwerden, die man hier gegen die Pflanzer fuehrt, auch in der Gegend der Insel, aus welcher er herkoemmt? Zeigt nicht vielmehr alles, dass er der edelste und vortrefflichste Mensch ist, und gewiss das Unrecht, das die Schwarzen seiner Gattung vorwerfen moegen, auf keine Weise teilt?" Die Alte, waehrend sie den sonderbaren Ausdruck des Maedchens betrachtete, sagte bloss mit bebenden Lippen: dass sie erstaune. Sie fragte, was der junge Portugiese verschuldet, den man unter dem Torweg kuerzlich mit Keulen zu Boden geworfen habe? Sie fragte, was die beiden Hollaender verbrochen, die vor drei Wochen durch die Kugeln der Neger im Hofe gefallen waeren? Sie wollte wissen, was man den drei Franzosen und so vielen andern einzelnen Fluechtlingen, vom Geschlecht der Weissen, zur Last gelegt habe, die mit Buechsen, Spiessen und Dolchen, seit dem Ausbruch der Empoerung, im Hause hingerichtet worden waeren? "Beim Licht der Sonne", sagte die Tochter, indem sie wild aufstand "du hast sehr Unrecht, mich an diese Greueltaten zu erinnern! Die Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Teil zu nehmen zwingt, empoerten laengst mein innerstes Gefuehl; und um mir Gottes Rache wegen alles, was vorgefallen, zu versoehnen, so schwoere ich dir, dass ich eher zehnfachen Todes sterben, als zugeben werde, dass diesem Juengling, so lange er sich in unserm Hause befindet, auch nur ein Haar gekruemmt werde." "Wohlan", sagte die Alte, mit einem ploetzlichen Ausdruck von Nachgiebigkeit: "so mag der Fremde reisen! Aber wenn Congo Hoango zurueckkoemmt", setzte sie hinzu, indem sie um das Zimmer zu verlassen, aufstand, "und erfaehrt, dass ein Weisser in unsern Hause uebernachtet hat, so magst du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das ausdrueckliche Gebot wieder abziehen zu lassen, verantworten". Auf diese Aeusserung, bei welcher, trotz aller scheinbarerz Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Maedchen in nicht geringer Bestuerzung im Zimmer zurueck. Sie kannte den Hass der Alten gegen die Weissen zu gut, als dass sie haette glauben koennen, sie werde eine solche Gelegenheit, ihn zu saettigen, ungenutzt vorueber gehen lassen. Furcht, dass sie sogleich in die benachbarten Pflanzungen schicken und die Neger zur Ueberwaeltigung des Fremden herbeirufen moechte, bewog sie, sich anzukleiden und ihr unverzueglich in das untere Wohnzimmer zu folgen. Sie stellte sich, waehrend diese verstoert den Speiseschrank, bei welchem sie ein Geschaeft zu haben schien, verliess, und sich an einen Spinnrocken niedersetzte, vor das an die Tuer geschlagene Mandat, in welchem allen Schwarzen bei Lebensstrafe verboten war, den Weissen Schutz und Obdach zu geben; und gleichsam als ob sie, von Schrecken ergriffen, das Unrecht, das sie begangen, einsaehe, wandte sie sich ploetzlich, und fiel der Mutter, die sie, wie sie wohl wusste, von hinten beobachtet hatte, zu Fuessen. Sie bat, die Kniee derselben umklammernd, ihr die rasenden Aeusserungen, die sie sich zu Gunsten des Fremden erlaubt, zu vergeben; entschuldigte sich mit dem Zustand, halb traeumend, halb wachend, in welchem sie von ihr mit den Vorschlaegen zu seiner Ueberlistung, da sie noch im Bette gelegen, ueberrascht worden sei, und meinte, dass sie ihn ganz und gar der Rache der bestehenden Landesgesetze, die seine Vernichtung einmal beschlossen, preis gaebe. Die Alte, nach einer Pause, in der sie das Maedchen unverwandt betrachtete, sagte: "Beim Himmel, diese deine Erklaerung rettet ihm fuer heute das Leben! Denn die Speise, da du ihn in deinen Schutz zu nehmen drohtest, war schon vergiftet, die ihn der Gewalt Congo Hoangos, seinem Befehl gemaess, wenigstens tot ueberliefert haben wuerde." Und damit stand sie auf und schuettete einen Topf mit Milch, der auf dem Tisch stand, aus dem Fenster. Toni, welche ihren Sinnen nicht traute, starrte, von Entsetzen ergriffen, die Mutter an. Die Alte waehrend sie sich wieder niedersetzte, und das Maedchen, das noch immer auf den Knieen dalag, vom Boden aufhob, fragte: "was denn im Lauf einer einzigen Nacht ihre Gedanken so ploetzlich umgewandelt haette? Ob sie gestern, nachdem sie ihm das Bad bereitet, noch lange bei ihm gewesen waere? Und ob sie viel mit dem Fremden gesprochen haetten?" Doch Toni, deren Brust flog, antwortete hierauf nicht, oder nichts Bestimmtes; das Auge zu Boden geschlagen, stand sie, indem sie sich den Kopf hielt, und berief sich auf einen Traum; ein Blick jedoch auf die Brust ihrer ungluecklichen Mutter, sprach sie, indem sie sich rasch bueckte und ihre Hand kuesste, rufe ihr die ganze Unmenschlichkeit der Gattung, zu der dieser Fremde gekoere, wieder ins Gedaechtnis zurueck: und beteuerte, indem sie sich umkehrte und das Gesicht im ihre Schuerze drueckte, dass, sobald der Neger Hoango eingetroffen waere, sie sehen wuerde, was sie an ihr fuer eine Tochter habe. Babekan sass noch in Gedanken versenkt, und erwog, woher wohl die sonderbare Leidenschaftlichkeit des Maedchens entspringe: als der Fremde mit einem in seinem Schlafgemach geschriebenen Zettel, worin er die Familie einlud, einige Tage in der Pflanzung des Negers Hoango zuzubringen, in das Zimmer trat. Er gruesste sehr heiter und freundlich die Mutter und die Tochter, und bat, indem er der Alten den Zettel uebergab: dass man sogleich in die Waldung schicken und fuer die Gesellschaft, dem ihm gegebenen Versprechen gemaess, Sorge tragen moechte. Babekan stand auf und sagte, mit einem Ausdruck von Unruhe, indem sie den Zettel in den Wandschrank legte: "Herr, wir muessen Euch bitten, Euch sogleich in Euer Schlafzimmer zurueck zu verfuegen. Die Strasse ist voll von einzelnen Negertrupps, die vorueberziehen und uns anmelden, dass sich der General Dessalines mit seinem Heer in diese Gegend wenden werde. Dies Haus, das jedem offen steht, gewaehrt Euch keine Sicherheit, falls Ihr Euch nicht in Eurem, auf den Hof hinausgehenden, Schlafgemach verbergt, und die Tueren sowohl, als auch die Fensterladen, auf das sorgfaeltigste verschliesst." "Wie?" sagte der Fremde betroffen: "der General Dessalines?"--"Fragt nicht!" unterbrach ihn die Alte, indem sie mit einem Stock dreimal auf den Fussboden klopfte: "in Eurem Schlafgemach, wohin ich Euch folgen werde, will ich Euch alles erklaeren." Der Fremde von der Alten mit aengstlichen Gebaerden aus dem Zimmer gedraengt, wandte sich noch einmal unter der Tuer und rief: "aber wird man der Familie, die meiner harrt, nicht wenigstens einen Boten zusenden muessen, der sie--?" "Es wird alles besorgt werdeng fiel ihm die Alte ein, waehrend, durch ihr Klopfen gerufen, der Bastardknabe, den wir schon kennen, hereinkam; und damit befahl sie Toni, die, dem Fremden den Ruecken zukehrend, vor den Spiegel getreten war, einen Korb mit Lebensmitteln, der in dem Winkel stand, aufzunehmen; und Mutter, Tochter, der Fremde und der Knabe begaben sich im das Schlafzimmer hinauf Hier erzaehlte die Alte, indem sie sich auf gemaechliche Weise auf den Sessel niederliess, wie man die ganze Nacht ueber auf den, den Horizont abschneidenden Bergen, die Feuer des Generals Dessalines schimmern gesehen: ein Umstand, der in der Tat gegruendet war, obschon sich bis diesen Augenblick noch kein einziger Neger von seinem Heer, das suedwestlich gegen Port au Prince anrueckte, in dieser Gegend gezeigt hatte. Es gelang ihr, den Fremden dadurch in einen Wirbel von Unruhe zu stuerzen, den sie jedoch nachher wieder durch die Versicherung, dass sie alles Moegliche, selbst in dem schlimmen Fall, dass sie Einquartierung bekaeme, zu seiner Rettung beitragen wuerde, zu stillen wusste. Sie nahm, auf die wiederholte instaendige Erinnerung desselben, unter diesen Umstaenden seiner Familie wenigstens mit Lebensmitteln beizuspringen, der Tochter den Korb aus der Hand, und indem sie ihn dem Knaben gab, sagte sie ihm: er solle an den Moewenweiher, in die nahgelegnen Waldberge hinaus gehen, und ihn der daselbst befindlichen Familie des fremden 0ffziers ueberbringen. "Der Offizier selbst", solle er hinzusetzen, "befinde sich wohl; Freunde der Weissen, die selbst viel der Partei wegen, die sie ergriffen, von den Schwarzen leiden muessten, haetten ihn in ihrem Hause mitleidig aufgenommen." Sie schloss, dass sobald die Landstrasse nur von den bewaffneten Negerhaufen, die man erwartete, befreit waere, man sogleich Anstalten treffen wuerde, auch ihr, der Familie, ein Unterkommen in diesem Hause zu verschaffen. --"Hast du verstanden?" fragte sie, da sie geendet hatte. Der Knabe, indem er den Korb aufseinen Kopfsetzte, antwortete: dass er den ihm beschriebenen Moewenweiher, ars dem er zuweilen mit seinen Kameraden zu fischen pflege, gar wohl kenne, und dass er alles, wie man es ihm aufgetragen, an die da selbst uebemachtende Familie des fremden Herrn bestellen wuerde. Der Fremde zog sich, auf die Frage der Alten: "ob er noch etwas hinzuzusetzen haette?" noch einen Ring vom Finger, und haendigte ihn dem Knaben ein, mit dem Auftrag, ihn zum Zeichen, dass es mit den ueberbrachten Meldungen seine Richtigkeit habe, dem Oberhaupt der Familie, Herrn Stroemli, zu uebergeben. Hierauf traf die Mutter mehrere, die Sicherheit des Fremden, wie sie sagte, abzweckende Veranstaltungen; befahl Toni, die Fensterladen zu verschliessen, und zuendete selbst, um die Nacht, die dadurch in dem Zimmer herrschend geworden war, zu zerstreuen, an einem auf dem Kaminsims befindlichen Feuerzeug, nicht ohne Muehseligkeit, indem der Zunder nicht fangen wollte, ein Licht an. Der Fremde benutzte diesen Augenblick, um den Arm sanft um Tonis Leib zu legen, und ihr ins Ohr zu fluestern: wie sie geschlafen? Und: ob er die Mutter nicht von dem, was vorgefallen, unterrichten solle? Doch auf die erste Frage antwortete Toni nicht, und auf die andere versetzte sie, indem sie sich aus seinem Arm loswand: nein, wenn Ihr mich liebt, kein Wort! Sie unterdrueckte die Angst, die alle diese luegenhaften Anstalten in ihr erweckten; und unter dem Vorwand, dem Fremden ein Fruehstueck zu bereiten, stuerzte sie eilig in das untere Wohnzimmer herab. Sie nahm aus dem Schrank der Mutter den Brief, worin der Fremde in seiner Unschuld die Familie eingeladen hatte, dem Knaben in die Niederlassung zu folgen: und auf gut Glueck hin, ob die Mutter ihn vermissen wuerde, entschlossen, im schlimmsten Falle den Tod mit ihm zu leiden, flog sie damit dem schon auf der Landstrasse wandernden Knaben nach. Denn sie sah den Juengling, vor Gott und ihrem Herzen, nicht mehr als einen blossen Gast, dem sie Schutz und Obdach gegeben, sondern als ihren Verlobten und Gemahl an, und war willens, sobald nur seine Partei im Hause stark genug sein wuerde, dies der Mutter, auf deren Bestuerzung sie unter diesen Umstaenden rechnete, ohne Rueckhalt zu erklaeren. "Nanky", sprach sie, da sie den Knaben atemlos und eilfertig auf der Landstrasse erreicht hatte: "die Mutter hat ihren Plan, die Familie Herrn Stroemlis anbetreffend, umgeaendert. Nimm diesen Brief! Er lautet an Herrn Stroemli, das alte Oberhaupt der Familie, und enthaelt die Einladung, einige Tage mit allem, was zu ihm gehoert, in unserer Niederlassung zu verweilen.--Sei klug und trage selbst alles Moegliche dazu bei, diesen Entschluss zur Reife zu bringen; Congo Hoango, der Neger, wird, wenn er wiederkommt, es dir lohnen!" "Gut, gut, Base Toni", antwortete der Knabe. Er fragte, indem er den Brief sorgsam eingewickelt in seine Tasche steckte: "und ich soll dem Zuge, auf seinem Wege hierher, zum Fuehrer dienen?" "AIIerdings", versetzte Toni; "das versteht sich, weil sie die Gegend nicht kennen, von selbst. Doch wirst du, moeglicher Truppenmaersche wegen, die auf der Landstrasse statt finden koennten, die Wanderung eher nicht, als um Mitternacht antreten; aber dann dieselbe auch so beschleunigen, dass du vor der Daemmerung des Tages hier eintriffst.--Kann man sich auf dich verlassen?" fragte sie. "Verlasst euch auf Nanky!" antwortete der Knabe; "ich weiss, warum ihr diese weissen Fluechtlinge in die Pflanzung lockt, und der Neger Hoango soll mit mir zufrieden sein!" Hierauf trug Toni dem Fremden das Fruehstueck auf; und nachdem es wieder abgenommen war, begaben sich Mutter und Tochter, ihrer haeuslichen Geschaefte wegen, in das vordere Wohnzimmer zurueck. Es konnte nicht auffallen, dass die Mutter einige Zeit darauf an den Schrank trat, und, wie es natuerlich war, den Brief vermisste. Sie legte die Hand, unglaeubig gegen ihr Gedaechtnis, einen Augenblick an den Kopf, und fragte Toni: wo sie den Brief, den ihr der Fremde gegeben, wohl hingelegt haben koenne? Toni antwortete nach einer kurzen Pause, in der sie auf den Boden niedersass: dass ihn der Fremde ja, ihres Wissens, wieder eingesteckt und oben im Zimmer, in ihrer beider Gegenwart, zerrissen habe! Die Mutter schaute das Maedchen mit grossen Augen an; sie meinte, sich bestimmt zu erinnern, dass sie den Brief aus seiner Hand empfangen und in den Schrank gelegt habe; doch da sie ihn nach vielem vergeblichen Suchen darin nicht fand und ihrem Gedaechtnis, mehrere aehnlichen Vorfaelle wegen, misstraute: so blieb ihr zuletzt nichts uebrig, als der Meinung, die ihr die Tochter geaeussert, Glauben zu schenken. Inzwischen konnte sie ihr lebhaftes Missvergnuegen ueber diesen Umstand nicht unterdruecken, und meinte, dass der Brief dem Neger Hoango, um die Familie in die Pflanzung hereinzubringen, von der groessten Wichtigkeit gewesen sein wuerde. Am Mittag und Abend, da Toni den Fremden mit Speisen bediente, nahm sie, zu seiner Unterhaltung an der Tischecke sitzend, mehreremal Gelegenheit, ihn nach dem Briefe zu fragen; doch Toni war geschickt genug, das Gespraech, so oft es auf diesen gefaehrlichen Punkt kam, abzulenken oder zu verwirren; dergestalt, dass die Mutter durch die Erklaerungen des Fremden ueber das eigentliche Schicksal des Briefes auf keine Weise ins Reine kam. So verfloss der Tag; die Mutter verschloss nach dem Abendessen aus Vorsicht, wie sie sagte, des Fremden Zimmer; und nachdem sie noch mit Toni ueberlegt hatte, durch welche List sie sich von neuem, am folgenden Tage, in den Besitz eines solchen Briefes setzen koenne, begab sie sich zur Ruhe, und befahl dem Maedchen gleichfalls, zu Bette zu gehen. Sobald Toni, die diesen Augenblick mit Sehnsucht erwartet hatte, ihre Schlafkammer erreicht und sich ueberzeugt hatte, dass die Mutter entschlummert war, stellte sie das Bildnis der heiligen Jungfrau, das neben ihrem Bette hing, auf einen Sessel, und liess sich mit verschraenkten Haenden auf Knieen davor nieder. Sie flehte den Erloeser, ihren goettlichen Sohn, in einem Gebet voll unendlicher Inbrunst, um Mut und Standhaftigkeit an, dem Juengling, dem sie sich zu eigen gegeben, das Gestaendnis der Verbrechen, die ihren jungen Busen beschwerten, abzulegen. Sie gelobte, diesem, was es ihrem Herzen auch kosten wuerde, nichts, auch nicht die Absicht, erbarmungslos und entsetzlich, in der sie ihn gestern in das Haus gelockt, zu verbergen; doch um der Schritte willen, die sie bereits zu seines Rettung getan, wuenschte sie, dass ihr vergeben, und sie als sein treues Weib mit sich nach Europa fuehren moechte. Durch dies Gebet wunderbar gestaerkt, ergriff sie, indem sie aufstand, den Hauptschluessel, das alle Gemaecher des Hauses schloss, und schritt damit langsam, ohne Licht, ueber den schmalen Gang, den das Gebaeude durchschnitt, dem Schlafgemach des Fremden zu. Sie oeffnete das Zimmer leise und trat vor sein Bett, wo er in tiefen Schlaf versenkt ruhte. Der Mond beschien sein bluehendes Antlitz, und der Nachtwind, das durch die geoeffneten Fenster eindrang, spielte mit dem Haar auf seiner Stirn. Sie neigte sich sanft ueber ihn und rief ihn, seinen suessen Atem einsaugend beim Namen; aber ein tiefer Traum, von dem sie der Gegenstand zu sein schien, beschaeftigte ihn: wenigstens hoerte sie, zu wiederholten Malen, von seinen gluehenden, zitternden Lippen das gefluesterte Wort: Toni! Wehmut, die nicht zu beschreiben ist, ergriff sie; sie konnte sich nicht entschliessen, ihn aus den Hirnmeln lieblicher Einbildung in die Tiefe einer gemeinen und elenden Wirklichkeit herabzureiben; und in der Gewissheit, dass er ja frueh oder spaet von selbst erwachen muesse, kniete sie an seinem Bette nieder und ueberdeckte seine teure Hand mit Kuessen. Aber wer beschreibt das Entsetzen, das wenige Augenblicke darauf ihren Busen ergriff, als sie ploetzlich, im Innern des Hofraums, ein Geraeusch von Menschen, Pferden und Waffen hoerte, und darunter ganz deutlich die Stimme des Negers Congo Hoango erkannte, der unvermuteter Weise mit seinem ganzen Tross aus dem Lager des Generals Dessalines zurueckgekehrt war. Sie stuerzte, den Mondschein, der sie zu verraten drohte, sorgsam vermeidend, hinter die Vorhaenge des Fensters, und hoerte auch schon die Mutter, welche dem Neger von allem, was waehrend dessen vorgefallen war, auch von der Anwesenheit des europaeischen Fluechtlings im Hause, Nachricht gab. Der Neger befahl den Seinigen, mit gedaempfter Stimme, im Hofe still zu sein. Er fragte die Alte, wo der Fremde in diesem Augenblick befindlich sei? Worauf diese ihm das Zimmer bezeichnete, und sogleich auch Gelegenheit nahm, ihn von dem sonderbaren und auffallenden Gespraech, das sie, den Fluchding betreffend, mit der Tochter gehabt hatte, zu unterrichten. Sie versicherte dem Neger, dass das Maedchen eine Verraeterin, und der ganze Anschlag, desselben habhaft zu werden, in Gefahr sei, zu scheitern. Wenigstens sei die Spitzbuebin, wie sie bemerkt, heimlich beim Einbruch der Nacht in sein Bette geschlichen, wo sie noch bis diesen Augenblick in guter Ruhe befindlich sei; und wahrscheinlich, wenn der Fremde nicht schon entflohen sei, werde derselbe eben jetzt gewarnt, und die Mittel, wie seine Flucht zu bewerkstelligen sei, mit ihm verabredet. Der Neger, der die Treue des Maedchens schon in aehnlichen Faellen erprobt hatte, antwortete: es waere wohl nicht moeglich! Und: "Kelly!" rief er wuetend, und: "Omra! Nehmt eure Buechsen!" Und damit, ohne weiter ein Wort zu sagen, stieg er, im Gefolge aller seiner Neger, die Treppe hinauf, und begab sich in das Zimmer des Fremden. Toni, vor deren Augen sich, waehrend weniger Minuten, dieser ganze Auftritt abgespielt hatte, stand, gelaehmt an allen Gliedern, als ob sie ein Wetterstrahl getroffen haette, da. Sie dachte einen Augenblick daran, den Fremden zu wecken; doch teils war, wegen Besetzung des Hofraums, keine Flucht fuer ihn moeglich, teils auch sah sie voraus, dass er zu den Waffen greifen, und somit bei der Ueberlegenheit der Neger, Zubodenstreckung unmittelbar sein Los sein wuerde. Ja, die entsetzlichste Ruecksicht, die sie zu nehmen genoetigt war, war diese, dass der Unglueckliche sie selbst, wenn er sie in dieser Stunde bei seinem Bette faende, fuer eine Verraeterin halten, und, statt auf ihren Rat zu hoeren, in der Raserei eines so heillosen Wahns, dem Neger Hoango voellig besinnungslos in die Arme laufen wuerde. In dieser unaussprechlichen Angst fiel ihr ein Strick in die Augen, welcher, der Himmel weiss durch welchen Zufall, an dem Riegel der Wand hing. Gott selbst, meinte sie, indem sie ihn herabriss, haette ihn zu ihrer und des Freundes Rettung dahin gefuehrt. Sie umschlang den Juengling, vielfache Knoten schuerzend, an Haenden und Fuessen damit; und nachdem sie, ohne darauf zu achten, dass er sich ruehrte und straeubte, die Enden angezogen und an das Gestell des Bettes festgebunden hatte: drueckte sie, froh, des Augenblicks maechtig geworden zu sein, einen Kuss auf seine Lippen, und eilte dem Neger Hoango, der schon auf der Treppe klirrte, entgegen. Der Neger, der dem Bericht der Alten, Toni anbetreffend, immer noch keinen Glauben schenkte, stand, als er sie aus dem bezeichneten Zimmer hervortreten sah, bestuerzt und verwirrt, im Korridor mit seinem Tross von Fackeln und Bewaffneten still. Er rief: "die Treulose! Die Bundbruechige!" und indem er sich zu Babekan wandte, welche einige Schritte vorwaerts gegen die Tuer des Fremden getan hatte, fragte er: "ist der Fremde entflohn?" Babekan, welche die Tuer, ohne hineinzusehen, offen gefunden hatte, rief, indem sie als eine Wuetende zurueckkehrte: "Die Gaunerin! Sie hat ihn entwischen lassen! Eilt, und besetzt die Ausgaenge, ehe er das weite Feld erreicht!" "Was gibts?" fragte Toni, indem sie mit dem Ausdruck des Erstaunens den Alten und die Neger, die ihn umringten, ansah. "Was es gibt?" erwiderte Hoango; und damit ergriff er sie bei der Brust und schleppte sie nach dem Zimmer hin. "Seid ihr rasend?" rief Toni, indem sie den Alten, der bei dem sich ihm darbietenden Anblick erstarrte, von sich stiess: "da liegt der Fremde, von mir in seinem Bette festgebunden; und, beim Himmel, es ist nicht die schlechteste Tat, die ich in meinem Leben getan!" Bei diesen Worten kehrte sie ihm den Ruecken zu, und setzte sich, als ob sie weinte, an einen Tisch nieder. Der Alte wandte sich gegen die in Verwirrung zur Seite stehende Mutter und sprach: "o Babekan, mit welchem Maerchen hast du mich getaeuscht?" "Dem Himmel sei Dank", antwortete die Mutter, indem sie die Stricke, mit welchen der Fremde gebunden war, verlegen untersuchte; "der Fremde ist da, obschon ich von dem Zusammenhang nichts begreife." Der Neger trat, das Schwert in die Scheide steckend, an das Bett und fragte den Fremden: wer er sei? Woher er komme und wohin er reise? Doch da dieser, unter krampfhaften Anstrengungen sich loszuwinken, nichts hervorbrachte, als, auf jaemmerlich schmerzhafte Weise: "O Toni! O Toni!"--so nahm die Mutter das Wort und bedeutete ihm, dass er ein Schweizer sei, namens Gustav von der Ried, und dass er mit einer ganzen Familie europaeischer Hunde, welche in diesem Augenblick in den Berghoehlen am Moewenweiher versteckt sei, von dem Kuestenplatz Fort Dauphin komme. Hoango, der das Maedchen, den Kopf schwermuetig auf ihre Haende gestuetzt, dasitzen sah, trat zu ihr und nannte sie sein liebes Maedchen; klopfte ihr die Wangen, und forderte sie auf, ihm den uebereilten Verdacht, den er ihr geaeussert, zu vergeben. Die Alte, die gleichfalls vor das Maedchen hingetreten war, stemmte die Arme kopschuettelnd in die Seite und fragte: weshalb sie denn den Fremden, der doch von der Gefahr, in der er sich befunden, gar nichts gewusst, mit Stricken in dem Bette festgebunden habe? Toni, vor Schmerz und Wut in der Tat weinend, antwortete, ploetzlich zur Mutter gekehrt: "weil du keine Augen und Ohren hast! Weil er die Gefahr, in der er schwebte, gar wohl begriff! Weil er entfliehen wollte; weil er mich gebeten hatte, ihm zu seiner Flucht behuelflich zu sein; weil er einen Anschlag auf dein eignes Leben gemacht hatte, und sein Vorhaben bei Anbruch das Tages ohne Zweifel, wenn ich ihn nicht schlafend gebunden haette, in Ausfuehrung gebracht haben wuerden". Der Alte liebkosete und beruhigte das Maedchen, und befahl Babekan, von dieser Sache zu schweigen. Er rief ein paar Schuetzen mit Buechsen vor, um das Gesetz, dem der Fremdling verfallen war, augenblicklich an demselben zu vollstrecken; aber Babekan fluesterte ihrn heimlich zu: "nein, ums Himmels willen, Hoango!" Sie nahm ihn auf die Seite und bedeutete ihm: "Der Fremde muesse, bevor er hingerichtet werde, eine Einladung aufsetzen, um vermittelst derselben die Familie, deren Bekaempfung im Walde manchen Gefahren ausgesetzt sei, in die Pflanzung zu locken" Hoango, in Erwaegung, dass die Familie wahrscheinlich nicht unbewaffnet sein werde, gab diesem Vorschlage seinen Beifall; er stellte, weil es zu spaet war, den Brief verabredetermassen schreiben zu lassen, zwei Wachen bei dem weissen Fluechtling aus; und nachdem er noch, der Sicherheit wegen, die Stricke untersucht, auch, weil er sie zu locker befand, ein paar Leute herbeigerufen hatte, um sie noch enger zusammenzuziehen, verliess er mit seinem ganzen Tross das Zimmer, und alles nach und nach begab sich zur Ruh. Aber Toni, welche nur scheinbar dem Alten, der ihr noch einmal die Hand gereicht, gute Nacht gesagt und sich zu Bette gelegt hatte, stand, sobald sie alles im Hause still sah, wieder auf, schlich sich durch eine Hinterpforte des Hauses auf das freie Feld hinaus, und lief, die wildeste Verzweiflung im Herzen, auf dem, die Landstrasse durchkreuzenden, Wege der Gegend zu, von welcher die Farnilie Herrn Stroemlis herankommen musste. Denn die Blicke voll Verachtung, die der Fremde von seinem Bette aus auf sie geworfen hatte, waren ihr empfindlich, wie Messerstiche, durchs Herz gegangen; es mischte sich ein Gefuehl heisser Bitterkeit in ihre Liebe zu ihm, und sie frohlockte bei dem Gedanken, in dieser zu seiner Rettung angeordneten Unternehmung zu sterben. Sie stellte sich, in der Besorgnis, die Familie zu verfehlen, an den Stamm einer Pinie, bei welcher, falls die Einladung angenommen worden war, die Gesellschaft vorueberziehen musste, und kaum war auch, der Verabredung gemaess, der erste Strahl der Daemmerung am Horizont angebrochen, als Nankys, des Knaben, Stimme, der dem Trosse zum Fuehrer diente, schon fernher unter den Baeumen des Waldes hoerbar ward. Der Zug bestand aus Herrn Stroemli und seiner Gemahlin, welche letztere auf einem Maulesel ritt, fuenf Kindern desselben, deren zwei, Adalbert und Gottfried, Juenglinge von 18 und 17 Jahren, neben dem Maulesel hergingen; drei Dienern und zwei Maegden, wovon die eine, einen Saeugling an der Brust, auf dem andern Maulesel ritt; in allem aus zwoelf Personen. Er bewegte sich langsam ueber die den Weg durchflechtenden Kienwurzeln, dem Stamm der Pinie zu; wo Toni, so geraeuschlos, als niemand zu erschrecken noetig war, aus dem Schatten des Baums hervortrat, und dem Zuge zurief: "Halt!" Der Knabe kannte sie sogleich; und auf ihre Frage: wo Herr Stroemli sei? waehrend Maenner, Weiber und Kinder sie umringten, stellte dieser sie freudig dem alten Oberhaupt der Familie, Herrn Stroemli, vor. "Edler Herr!" sagte Toni, indem sie die Begruessungen desselben mit fester Stimme unterbrach: "der Neger Hoango ist, auf ueberraschende Weise, mit seinem ganzenTross in die Niederlassung zurueck gekommen. Ihr koennt jetzt, ohne die groesseste Lebensgefahr, nicht darin einkehren; ja, euer Vetter, der zu seinem Unglueck eine Aufnahme darin fand, ist verloren, wenn ihr nicht zu denWaffen greift, und rnir, zu seiner Befreiung aus der Haft, in welcher ihn der Neger Hoango gefangen haelt, in die Pflanzung folgt!" "Gott im Himmel!" riefen, von Schrecken erfasst, alle Mitglieder der Familie; und die Muter, die krank und von der Reise erschoepft war, fiel von dem Maultier ohnmaechtig auf den Boden nieder. Toni, waehrend, auf den Ruf Herrn Stroemlis die Maegde herbeieilten, um ihrer Frau zu helfen, fuehrte, von denJuenglingen mit Fragen bestuermt, Herrn Stroemli und die uebrigen Maenner, aus Furcht vor dem Knaben Nanky, auf die Seite. Sie erzaehlte den Maennern, ihre Traenen vor Scham und Reue nicht zurueckhaltend, alles, was vorgefallen; wie die Verhaeltnisse, in dem Augenblick, da derJuengling eingetroffen, im Hause bestanden; wie das Gespraech, das sie unter vier Augen rnit ihm gehabt, dieselben auf ganz unbegreifliche Weise veraendert; was sie bei der Ankunft des Negers, fast wahnsinnig vorAngst getan, und wie sie nun Tod und Lebend aransetzen wolle, ihn aus der Gefangenschaft, worin sie ihn selbst gestuerzt, wieder zu befreien. "Meine Waffen!" rief Herr Stroemli, indem er zu dem Maultier seiner Frau eilte und seine Buechse herabnahm. Er sagte, waehrend auch Adelbert und Gottfried, seine ruestigen Soehne, und die drei wackern Diener sich bewaffneten: "Vetter Gustav hat mehr als einem von uns das Leben gerettet; jetzt ist es an uns, ihm den gleichen Dienst zu tun"; und damit hob er seine Frau, welche sich erholt hatte, wieder auf das Maultier, liess dem Knaben Nanky, aus Vorsicht, als eine Art von Geisel, die Haende binden; schickte den ganzen Tross, Weiber und Kinder, unter dem blossen Schutz seines dreizehnjaehrigen, gleichfalls bewaffneten Sohnes, Ferdinand, an den Moewenweiher zurueck; und nachdem er noch Toni, welche selbst einen Helm und einen Spiess genommen hatte, ueber die Staerke der Neger und ihre Verteilung im Hofraume ausgefragt und ihr versprochen hatte, Hoangos sowohl, als ihrer Mutter, so viel es sich tun liess, bei dieser Unternehmung zu schonen; stellte er sich mutig, und auf Gott vertrauend, an die Spitze seines kleinen Haufens, und brach, von Toni gefuehrt, in die Niederlassung auf. Toni, sobald der Haufen durch die hintere Pforte eingeschlichen war, zeigte Herrn Stroemli das Zimmer, in welchem Hoango und Babekan ruhten; und waehrend Herr Stroemli geraeuschlos mit seinen Leuten in das offne Haus eintrat, und sich saemtlicher zusammengesetzter Gewehre der Neger bemaechtigte, schlich sie zur Seite ab in den Stall, in welchem der fuenfjaehrige Halbbruder des Nanky, Seppy, schlief Denn Nanky und Seppy, Bastardkinder des alten Hoango, waren diesem, besonders der letze, dessen Mutter kuerzlich gestorben war, sehr teuer; und da, selbst in dem Fall, dass man den gefangenen Juengling befreite, der Rueckzug an den Moewenweiher und die Flucht von dort nach Port au Prince, der sie sich anzuschliessen gedachte, noch mancherlei Schwierigkeiten ausgesetzt war: so schloss sie nicht unrichtig, dass der Besitz beider Knaben, als einer Art von Unterpfand, dem Zuge, bei etwaiger Verfolgung der Neger, von grossem Vorteil sein wuerde. Es gelang ihr, den Knaben ungesehen aus seinem Bette zu heben, und in ihren Armen, halb schlafend, halb wachend, in das Hauptgebaeude hinueberzutragen. Inzwischen war Herr Stroemli, so heirnlich, als es sich tun liess, mit seinem Haufen in Hoangos Stubentuere eingetreten; aber statt ihn und Babekan, wie er glaubte, im Bette zu finden, standen, durch das Geraeusch geweckt, beide, obschon halbnackt und hilflos, in der Mitte des Zimmers da. Herr Stroemli, indem er seine Buechse in die Hand nahm, rief: sie sollten sich ergeben, oder sie waeren des Todes! Doch Hoango, statt aller Antwort, riss ein Pistol von der Wand und platzte es, Herrn Stroemli am Kopf streifend, unter die Menge los. Herrn Stroemlis Haufen, auf dies Signal, fiel wuetend ueber ihn her; Hoango, nach einem zweiten Schuss, der einem Diener die Schulter durchbohrte, ward durch einen Saebelhieb an der Hand verwundet, und beide, Babekan und er, wurden niedergeworfen und mit Stricken am Gestell eines grossen Tisches fest gebunden. Mittlerweile waren, durch die Schuesse geweckt, die Neger des Hoango, zwanzig und mehr an der Zahl, aus ihren Stallen hervorgestuerzt, und drangen, da sie die alte Babekan im Hause schreien hoerten, wuetend gegen dasselbe vor, um ihre Waffen wieder zu erobern. Vergebens postierte Herr Stroemli, dessen Wunde von keiner Bedeutung war, seine Leute an die Fenster des Hauses, und liess, um die Kerle im Zaum zu halten, mit Buechsen unter sie feuern; sie achteten zweier Toten nicht, die schon auf dem Hofe umher lagen, und waren im Begriff, Aexte und Brechstangen zu holen, um die Haustuer, welche Herr Stroemli verriegelt hatte, einzusprengen, als Toni, zitternd und bebend, den Knaben Seppy auf dem Arm, in Hoangos Zimmer trat. Herr Stroemli, dem diese Erscheinung aeusserst erwuenscht war, riss ihr den Knaben vom Arm; er wandte sich, indem er seinen Hirschfaenger zog, zu Hoango, und schwor, dass er den Jungen augenblicklich toeten wuerde, wenn er den Negern nicht zuriefe, von ihrem Vorhaben abzustehen. Hoango, dessen Kraft durch den Hieb ueber die drei Finger der Hand gebrochen war, und der sein eignes Leben, im Fall einer Weigerung, ausgesetzt haben wuerde, erwiderte nach einigen Bedenken, indem er sich vom Boden aufheben liess: dass er dies tun wolle; er stellte sich, von Herrn Stroemli gefuehrt, an das Fenster, und mit einem Schnupftuch, das er in die linke Hand nahm, ueber den Hof hinauswindend, rief er den Negern zu: "dass sie die Tuer, indem es, sein Leben zu retten, keiner Huelfe beduerfe, unberuehrt lassen sollten und in ihre Staelle zurueckkehren moechten!" Hierauf beruhigte sich der Kampf ein wenig; Hoango schickte, auf Verlangen Herrn Stroemlis, einen im Hause eingefangenen Neger, mit der Wiederholung dieses Befehls, zu dem im Hofe noch verweilenden und sich beratschlagenden Haufen hinab; und da die Schwarzen, so wenig sie auch von der Sache begriffen, den Worten dieses foermlichen Botschafters Folge leisten mussten, so gaben sie ihren Anschlag, zu dessen Ausfuehrung schon alles in Bereitschaft war, auf, und verfuegten sich nach und nach, obschon murrend und schimpfend, in ihre Staelle zurueck. Herr Stroemli, indem er dem Knaben Seppy vor den Augen Hoangos die Haende binden liess, sagte diesem: dass seine Absicht keine andere sei, als den Offizier, seinen Vetter aus der in der Pflanzung ueber ihn verhaengten Haft zu befreien, und dass, wenn seiner Flucht nach Port au Prince keine Hindernisse in den Weg gelegt wuerden, weder fuer sein, Hoangos, noch fuer seiner Kinder Leben, die er ihm wiedergeben wuerde, etwas zu befuerchten sein wuerde. Babekan, welcher Toni sich naeherte und zum Abschied in einer Ruehrung, die sie nicht unterdruecken konnte, die Hand geben wollte, stiess diese heftig von sich. Sie nannte sie eine Niedertraechtige und Verraeterin, und meinte, indem sie sich am Gestell des Tisches, an dem sie lag, umkehrte: die Rache Gottes wuerde sie, noch ehe sie ihrer Schandtat froh geworden, ereilen. Toni antwortete: "ich habe euch nicht verraten; ich bin eine Weisse, und dem Juengling, den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehoere zu dem Geschlecht derer, mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, dass ich mich auf ihre Seite stellte, zu verantworten wissen" Hierauf gab Herr Stroemli dem Neger Hoango, den er zur Sicherheit wieder hatte fesseln und an die Pfosten der Tuer festbinden lassen, eine Wache; er liess den Diener, der, mit zersplittertem Schulterknochen, ohnmaechtig am Boden lag, aufheben und wegtragen; und nachdem er dem Hoango noch gesagt hatte, dass er beide Kinder,den Nanky sowohl als den Seppy, nach Verlauf einiger Tage, in Sainte Lueze, wo die ersten franzoesischen Vorposten stuenden, abholen lassen koenne, nahm er Toni, die, von mancherlei Gefuehlen bestuermt, sich nicht enthalten konnte zu weinen, bei der Hand, und fuehrte sie, unter den Fluechen Babekans und des alten Hoango, aus dem Schlafzirnmer fort. Inzwischen waren Adelbert und Gottfried, Herrn Stroemlis Soehne, schon nach Beendigung des ersten, an den Fenstern gefochtenen Hauptkampfs, auf Befehl des Vaters, in das Zimmer ihres Vetters Gustav geeilt, und waren gluecklich genug gewesen, die beiden Schwarzen, die diesen bewachten, nach einem hartnaeckigen Widerstand zu ueberwaeltigen. Der eine lag tot im Zimmer; der andere hatte sich mit einer schweren Schusswunde bis auf den Korridor hinausgeschleppt. Die Brueder, deren einer, der Aeltere, dabei selbst, obschon nur leicht, am Schenkel verwundet worden war, banden den teuren lieben Vetter los: sie umarmten und kuessten ihn, und forderten ihn jauchzend, indem sie ihm Gewehr und Waffen gaben, auf, ihnen nach dem vorderen Zimmer, in welchem, da der Sieg entschieden, Herr Stroemli wahrscheinlich alles schon zum Rueckzug anordne, zu folgen. Aber Vetter Gustav, halb im Bette aufgerichtet, drueckte ihnen freundlich die Hand; im uebrigen war er still und zerstreut, und statt die Pistolen, die sie ihm darreichten, zu ergreifen, hob er die Rechte, und strich sich, mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Gram, damit ueber die Stirn. Die Juenglinge, die sich bei ihm niedergesetzt hatten, fragten: was ihm fehle? Und schon, da er sie mit seinem Arm umschloss, und sich mit dem Kopf schweigend an die Schulter des Juengern lehnte, wollte Adelbert sich erheben, um ihm im Wahn, dass ihn eine Ohnmacht anwandle, einen Trunk Wasser herbeizuholen: als Toni, den Knaben Seppy auf dem Arm, an der Hand Herrn Stroemlis, in das Zimmer trat. Gustav wechselte bei diesem Anblick die Farbe; er hielt sich, indem er aufstand, als ob er umsinken wollte, an den Leibern der Freunde fest; und ehe die Juenglinge noch wussten, was er mit dem Pistol, das er ihnen jetzt aus der Hand nahm, anfangen wollte: drueckte er dasselbe schon, knirschend vor Wut, gegen Toni ab. Der Schuss war ihr mitten durch die Brust gegangen; und da sie, mit einem gebrochenen Laut des Schmerzes, noch einige Schritte gegen ihn tat, und sodann, indem sie den Knaben an Herrn Stroemli gab, vor ihm niedersank: schleuderte er das Pistol ueber sie, stiess sie mit dem Fuss von sich, und warf sich, indem er sie eine Hure nannte, wieder auf das Bette nieder. "Du ungeheurer Mensch!" riefen Herr Stroernli und seine beiden Soehne. Die Juenglinge warfen sich ueber das Maedchen, und riefen, indem sie es aufhoben, einen der alten Diener herbei, der dem Zuge schon in manchen aehnlichen, verzweiflungsvollen Faellen die Huelfe eines Arztes geleistet hatte; aber das Maedchen, das sich mit der Hand krampfhaft die Wunde hielt, drueckte die Freunde hinweg, und: "sagt ihm--!" stammelte sie roechelnd, auf ihn, der sie erschossen, hindeutend, und wiederholte: "sagt ihm--!" "Was sollen wir ihm sagen?" fragte Herr Stroemli, da der Tod ihr die Sprache raubte. Adelbert und Gottfried standen auf und riefen dem unbegreiflich graesslichen Moerder zu: ob er wisse, dass das Maedchen seine Retterin sei; dass sie ihn liebe und dass es ihre Absicht gewesen sei, mit ihm, dem sie alles, Eltern und Eigentum, aufgeopfert, nach Port au Prince zu entliehen.--Sie donnerten ihm Gustav! in die Ohren, und fragten ihn: ob er nichts hoere? Und schuettelten ihn und griffen ihm in die Haare, da er unempfindlich, und ohne auf sie zu achten, auf dem Bette lag. Gustav richtete sich auf. Er warf einen Blick auf das in seinem Blut sich waelzende Maedchen; und die Wut, die diese Tat veranlasst hatte, machte, auf natuerliche Weise, einem Gefuehl gemeinen Mitleidens Platz. Herr Stroemli; heisse Traenen auf sein Schnupftuch niederweinend, fragte: "warum, Elender, hast du das getan?" Vetter Gustav, der von dem Bette aufgestanden war, und das Maedchen, indem er sich den Schweiss von der Stirn abwischte, betrachtete, antwortete: dass sie ihn schaendlicher Weise zur Nachtzeit gebunden, und dem Neger Hoango uebergeben habe. "Ach!" rief Toni, und streckte, rnit einem unbeschreiblichen Blick, ihre Hand nach ihm aus: "dich, liebsten Freund, band ich, weil--!" Aber sie konnte nicht reden und ihn auch mit der Hand nicht erreichen; sie fiel, mit einer ploetzlichen Erschlaffung der Kraft, wieder auf den Schoss Herrn Stroemlis zurueck. "Weshalb?" fragte Gustav blass, indem er zu ihr niederkniete. Herr Stroemli, nach einer langen, nur durch das Roecheln Tonis unterbrochenen Pause, in welcher man vergebens auf eine Antwort von ihr gehofft hatte, nahm das Wort und sprach: "weil, nach der Ankunft Hoangos, dich, Ungluecklichen, zu retten, kein anderes Mittel war; weil sie den Kampf, den du unfehlbar eingegangen waerest, vermeiden, weil sie Zeit gewinnen wollte, bis wir, die wir schon vermoege ihrer Veranstaltung herbeieilten, deine Befreiung mit den Waffen in der Hand erzwingen konnten". Gustav legte die Haende vor sein Gesicht. "Oh!" rief er, ohne aufzusehen, und meinte, die Erde versaenke unter seinen Fuessen: "ist das, was ihr mir sagt, wahr?" Er legte seine Arme um ihren Leib und sah ihr mit jammervoll zerrissenem Herzen ins Gesicht. "Ach", rief Toni, und dies waren ihre letzten Worte: "du haettest mir nicht misstrauen sollen!" Und damit hauchte sie ihre schoene Seele aus. Gustav raufte sich die Haare. "Gewiss!" sagte er, da ihn die Vettern von der Leiche wegrissen: "ich haette dir nicht misstrauen sollen; denn du warst mir durch einen Eidschwur verlobt, obschon wir keine Worte darueber gewechselt hatten!" Herr Stroernli drueckte jammernd den Latz, der des Maedchens Brust umschloss, nieder. Er ermunterte den Diener, der mit einigen unvollkommenen Rettungswerkzeugen neben ihm stand, die Kugel, die, wie er meinte, in dem Brustknochen stecken muesse, auszuziehen; aber alle Bemuehung, wie gesagt, war vergebens, sie war von dem Blei ganz durchbohrt, umd ihre Seele schon zu besseren Sternen entflohn. --Inzwischen war Gustav ans Fenster getreten; und waehrend Herr Stroemli und seine Soehne unter stillen Traenen beratschlagten, was mit der Leiche anzufangen sei, und ob man nicht die Mutter herbeirufen solle, jagte Gustav sich die Kugel, womit das andere Pistol geladen war, durchs Hirn. Diese neue Schreckenstat raubte den Verwandten voellig alle Besinnung. Die Huelfe wandte sich jetzt auf ihn; aber des Aermsten Schaedel war ganz zerschmettert, und hing, da er sich das Pistol in den Mund gesetzt hatte, zum Teil an den Waenden umher. Herr Stroemli war der erste, der sich wieder sammelte. Denn da der Tag schon ganz hell durch die Fenster schien, und auch Nachrichten einliefen, dass die Neger sich schon wieder auf dem Hofe zeigten: so blieb nichts uebrig, als ungesaeumt an den Rueckzug zu denken. Man legte die beiden Leichen, die man nicht der mutwilligen Gewalt der Neger ueberlassen wollte, auf ein Brett, und nachdem die Buechsen von neuem geladen waren, brach der traurige Zug nach dem Moewenweiher auf. Herr Stroemli, den Knaben Seppy auf dem Arm, ging voran; ihm folgten die beiden staerksten Diener, welche auf ihren Schultern die Leichen trugen; der Verwundete schwankte an einem Stabe hinterher; und Adelbert und Gottfried gingen mit gespannten Buechsen dem langsam fortschreitenden Leichenzuge zur Seite. Die Neger, da sie den Haufen so schwach erblickten, traten mit Spiessen und Gabeln aus ihren Wohnungen hervor, und schienen Miene zu machen, angreifen zu wollen; aber Hoango, den man die Vorsicht beobachtet hatte, loszubinden, trat auf die Treppe des Hauses hinaus, und winkte den Negern, zu ruhen. "In Sainte Lueze!" rief er Herrn Stroemli zu, der schon mit den Leichen unter dem Torweg war. "In Sainte Lueze!" antwortete dieser; worauf der Zug, ohne verfolgt zu werden, auf das Feld hinauskam und die Waldung erreichte. Am Moewenweiher, wo man die Familie fand, grub man, unter vielen Traenen, den Leichen ein Grab; und nachdem man noch die Ringe, die sie an der Hand trugen, gewechselt hatte, senkte man sie unter stillen Gebeten in die Wohnungen des ewigen Friedens ein. Herr Stroemli war gluecklich genug, mit seiner Frau und seinen Kindern, fuenf Tage darauf, Sainte Lueze zu erreichen, wo er die beiden Negerknaben, seinem Versprechen gemaess, zurueckliess. Er traf kurz vor Anfang der Belagerung in Port au Prince ein, wo er noch auf den Waellen fuer die Sache der Weissen focht; und als die Stadt nach einer hartnaeckigen Gegenwehr an den General Dessalines ueberging, rettete er sich mit dem franzoesischen Heer auf die englische Flotte, von wo die Familie nach Europa ueberschiffte, und ohne weitere Unfaelle ihr Vaterland, die Schweiz, erreichte. Herr Stroemli kaufte sich daselbst mit dem Rest seines kleinen Vermoegens, in der Gegend des Rigi, an; und noch im Jahr 1807 war unter den Bueschen seines Gartens das Denkmal zu sehen, das er Gustav, seinem Vetter, und der Verlobten desselben, der treuen Toni, hatte setzen lassen. Geistererscheinung Im Anfange des Herbstes 1809 verbreitete sich in der Gegend von Schlan (einem Staedtchen vier Meilen von Prag auf der Strasse nach Sachsen) das Geruecht einer Geistererscheinung, die ein Bauernknabe aus Stredokluk (einem Dorfe auf dem halben Wege von Schlan nach Prag) gehabt habe. Dies Geruecht ward endlich so allgemein und so laut, dass endlich ein Hochloebl. Kreisamt zu Schlan eine gerichtliche Untersuchung der ganzen Sache beschloss, und demzufolge eine eigene Komission ernannte, aus deren Akten zum Teil, und zum Teil aus muendlichen Berichten an Ort und Stelle, nachstehende Geschichte gezogen ist. Ein Bauernknabe von ungefaehr elf Jahren aus Stredokluk, mit Namen Joseph, bekannt bei seiner Familie sowohl als im ganzen Dorfe fuer einen erzdummen Jungen, schlief fuer gewoehnlich mit einem alten Onkel und einigen seiner Geschwister, von seinen Eltern getrennt, in einer besondern Kammer. Eines Nachts wird er durch Schuetteln geweckt, und wie er aus dem Schlafe aufschreckt, sieht er eine Gestalt sich langsam vom Fusse seines Bettes fortbewegen und im Dunkel verschwinden. Joseph, dem Schlafen ueber alles geht, nimmt es gewaltig uebel, so mutwillig gestoert zu werden, und in der Meinung, die Gestalt sei der Onkel gewesen, der ihn habe necken wollen, faengt er an, sich laut zu beklagen und sich derartige Scherze scheltend zu verbitten. Der Onkel, ein alter Invalide, wacht ueber den Laerm ebenfalls auf, fragt ziemlich barsch nach der Ursache, und da Joseph ihn zu Rede stellt, warum er ihn necke und nicht schlafen lasse, so ergrimmt der alte Soldat, und nach einigen Beteuerungen und Fluchen, dass er von nichts wisse, die aber unserm Joseph nicht einleuchten wollen, steht er auf und, um seinen Gruenden Gewicht zu geben, nimmt er den Stock und zerpruegelt den unglaeubigen Herrn Neffen. Joseph schreit fuerchterlich, alle seine Geschwister werden wach und schreien mit, die Eltern eilen voll Angst herbei, sie besorgen Feuer oder Mord, beruhigen sich aber bald, da sie sehen, dass nur der dumme Joseph etwas gepruegelt wird. Sie fragen nach dem Anlasse des Tumults; Joseph erzaehlt schluchzend seine Geschichte; der Onkel flucht laut ueber den Luegner; den Eltern ist der Fall zu spitzig; zum Untersuchen ist nicht Zeit, und da Joseph von seinem Satz nicht abgeht, so vereinigen sie sich der Kuerze halber mit dem Onkel, pruegeln gemeinschaftlich auf den Aermsten und schicken ihn zu Bette. In der folgenden Nacht geht derselbe Spass von neuem an, Joseph wird wieder geweckt, sieht eine Gestalt, haelt sie wieder fuer den Onkel und, da er diesmal seiner Sache noch gewisser zu sein glaubt, als das erstemal, so beklagt er sich noch ungestuemer; der alte Onkel erwacht, pruegelt, die Eltern kommen herbei, pruegeln auch, und Joseph fluechtet sich, ein gutes Teil muerber als die vergangene Nacht, in sein Bett. In der dritten Nacht dieselbe Erscheinung, aber nicht dieselben Pruegel. In dem Kopfe des dummen Josephs entwickelt sich allmaehlich die Idee vom ewigen Unrechte des Schwaechern, er schweigt demnach, und versucht es, mit einem aeusserst verdriesslichen Gesicht, sobald wie moeglich wieder einzuschlafen, was ihm denn auch gelingt. Den Tag darauf koemmt Joseph abends vom Felde nach Hause, und erzaehlt der Mutter, wie um die Mittagsstunde ein fremder Herr zu ihm gekommen sei, in einem weissen Mantel und mit sehr bleichem Angesichte; wie dieser, als er sich anfangs vor ihm gefuerchtet und davonlaufen wollte, ihm freundlich zugeredet habe, er solle sich nicht fuerchten, er meine es gut mit ihm und wolle ihn belohnen, wenn er huebsch folgsam waere. Als er sich hierauf beruhigt, habe der fremde Herr mit tiefbetruebter Miene gesagt, dass er schon sehr lange, lange auf ihn gewartet habe, dass er ihm die drei vergangenen Naechte erschienen sei, und jetzt komme, um von ihm einen Dienst zu begehren, dessen Gewaehrleistung er nicht zu bereuen Ursach haben wuerde. Morgen naemlich mit Sonnenaufgang solle er, mit einem Spaten versehen, aufs Feld hinausgehn und an einem Orte, den er ihm zeigen wuerde, nachgraben; er werde dort Menschenknochen finden, an denen fuenf eiserne Ringe befestigt waeren; diese waeren seine Gebeine, ueber die sein Geist nun schon seit fuenfhundert Jahren ohne Ruhe und ohne Rast herumirre; habe er die Gebeine gefunden und herausgenommen, so solle er noch tiefer graben, wo er sodann auf fuenf verschlossene irdene Truhen stossen werde; was damit zu tun, wuerde er ihm spaeter entdecken. Nachdem er ihm dies alles gesagt, sei der Herr ploetzlich weggekommen, er wisse nicht wohin. Die Mutter hatte mit offenem Munde zugehoert, und voller Verwunderung ihren Joseph betrachtet, welcher, da er sonst in dummer Unbehilflichkeit kaum ein halb Dutzend Worte aneinander zu reihen wusste, jetzt mit fliessender Rede, im reinsten Boehmisch, seine Geschichte vortrug. So unheimlich ihr auch bei dieser Erzaehlung zumute sein mochte, so witterte sie doch als eine kluge Frau in den verheissenen Truhen so etwas von einem Schatze, und um des Schatzes willen beschloss sie, mit ihrem Joseph gemeinschaftlich das Abenteuer zu bestehn. Den andern Morgen in aller Fruehe machten Mutter und Sohn gehoerig zum Graben geruestet sich auf und gingen dem Felde zu, wo der Geist sich hatte sehn lassen; kaum waren sie vor das Dorf gekommen, als Joseph sagte: "Ei seht doch Mutter, da ist der Herr schon."--"Wo?" rief die Mutter erblassend und schlug ein Kreuz ueber ihren ganzen Leib. "Hier dicht vor uns," antwortete Joseph, "er hat mir aber gesagt, er komme, uns zu fuehren." Die Mutter sahe nichts; der Geist, nur dem auserwaehlten Joseph sichtbar, zog still vor ihnen her. Die Reise ging querfeldein, einer Heide zu, die an einem Feldwege hinlief; dort steht Joseph still und sagt zur Mutter: "Hier Mutter, hier sollen wir graben, spricht der Herr." Die Mutter, den Angstschweiss auf der Stirn, setzt den Spaten an und graebt hastig darauf los. Sie mochte ungefaehr zwei Schuh tief gegraben haben, als sie auf Totengebeine stoesst; der Herr sehe dem Dinge sehr freundlich zu, versichert Joseph der Mutter, die fuer die Freundlichkeit des fuenfhundertjaehrigen Herrn wenig Sinn hat, und geistliche Lieder und Ave's und Beschwoerungsformeln bunt durcheinander sich immer lauter in Gedanken zuschreit. Der Gebeine wurden immer mehrere, sie waren mit einem gewoehnlichen Schimmel ueberzogen und zerfielen an der Luft in Asche, um beiden Arm- und Beinroehren, dicht ueber den Hand- und Fussgelenken, lagen starke eiserne Baender. Auf einmal ruft Joseph in die Grube hinein: "Mutter, der Herr will, dass ihr dort mehr rechts grabet; dort, wo er mit dem Degen hinzeigt, da liege sein Kopf, spricht er." Die Mutter gehorcht und nach einigen Spatenstichen hebt sie einen Totenkopf heraus, dessen Stirn ein grosser eiserner Ring umgibt. Nun war's mit der Mutter am Ende; mit jedem Knochen, den sie herausgegraben, hatte die Angst und das innere Laermen sich gemehrt; halb in Verzweiflung hatte sie nach dem Schaedel gesucht, sein Anblick gab ihr den Rest, sie warf den Spaten hin, und floh laut schreiend dem Dorfe zu. Joseph begriff die Mutter nicht, ihm war nie so wohl in seiner Haut gewesen. Als er den fremden Herrn fragen wollte, was denn das bedeute, war dieser verschwunden; kopfschuettelnd nahm Joseph seine fuenf Ringe um den Spaten, spielte noch ein wenig mit der Knochenasche, und ging dann jubelnd dem Dorfe zu. Die fuenf Ringe wurden spaeter bei den Gerichten deponiert, wo sie noch jetzt zu sehen sind. Als die Kommission die Untersuchung dieser Geschichte geendigt hatte, ohne die Sache selbst ins reine gebracht zu haben, entschloss sich eine hohe Amtsobrigkeit, durch die fuenf Ringe aufgemuntert, den verheissenen fuenf Truhen nachzuspueren: es ward von Amts wegen weiter nachgegraben. Im November 1809, wo Erzaehler die Grube selbst gesehn, war man schon zu einer betraechtlichen Tiefe gelangt. Da die weitere Fortsetzung der Arbeit die Kraefte gewoehnlicher Tageloehner ueberstieg, so liess man, um nicht den Vorwurf halber Massregeln auf sich zu laden, endlich gar Bergleute kommen. Diese erweiterten den Bau und trieben Gaenge rechts und links; nicht lange, so wollte man es haben hohl klingen hoeren, man grub und grub; umsonst, die Truhen zeigten sich nicht; man kam auf Schutt, die Hoffnung wuchs; der Schutt wurde durchwuehlt, er verlor sich, die Hoffnung sank. In der Verlegenheit, worin man sich befand, fiel es einem gescheiten Kopfe ein, dass Schaetze ihre Kaprizen haben, die respektiert sein wollen, dass sie nicht jeder rohen Faust in die Haende laufen, sondern sich nur von sympathetischen Fingern beruehren lassen, und tat daher den Vorschlag, den Joseph kommen zu lassen, um kuenftig bei der Arbeit gegenwaertig zu sein. Da man schon im Dezember ziemlich weit vorgerueckt war, so packte man den armen Jungen warm ein, gab ihm einen kleinen Spaten in die Hand, und hiess ihm hin und her ein Schaufelchen Erde herausheben. Man versprach sich sehr viel von dieser List, doch es schien, als waere es dem Geiste mehr um seine Knochen als um die Truhen zu tun gewesen, denn auch die Gegenwart unsers Josephs verfing nichts. Der zunehmende Frost machte endlich dem Suchen ein Ende; im Fruehjahr, beschloss man, sollte die Arbeit fortgesetzt werden, hat es jedoch unterlassen. Uebrigens hat der Geist gegen Joseph nicht ganz undankbar gehandelt, als es auf den ersten Anblick scheinen moechte; denn wenn er ihm auch den gehofften Schatz, den er ihm uebrigens nie versprach, entrueckte, so hatte er doch wahrscheinlich veranstaltet, dass die Leute von nah und von fern herbeistroemten, um den kleinen Geisterseher zu sehn und reichlich zu beschenken. Michael Kohlhaas Aus einer alten Chronik (1810) An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshaendler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.--Dieser ausserordentliche Mann wuerde, bis in sein dreissigstes Jahr fuer das Muster eines guten Staatsbuergers haben gelten koennen. Er besass in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen fuehrt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernaehrte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltaetigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut haette; kurz, die Welt wuerde sein Andenken haben segnen muessen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift haette. Das Rechtgefuehl aber machte ihn zum Raeuber und Moerder. Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenaehrt alle und glaenzend, ins Ausland, und ueberschlug eben, wie er den Gewinst, den er auf den Maerkten damit zu machen hoffte, anlegen wolle: teils, nach Art guter Wirte, auf neuen Gewinst, teils aber auch auf den Genuss der Gegenwart: als er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg, auf saechsischem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nicht gefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick, da eben der Regen heftig stuermte, mit den Pferden still, und rief den Schlagwaerter, der auch bald darauf, mit einem graemlichen Gesicht, aus dem Fenster sah. Der Rosshaendler sagte, dass er ihm oeffnen solle. Was gibts hier Neues? fragte er, da der Zoellner, nach einer geraumen Zeit, aus dem Hause trat. Landesherrliches Privilegium, antwortete dieser, indem er aufschloss: dem Junker Wenzel von Tronka verliehen.--So, sagte Kohlhaas. Wenzel heisst der Junker? und sah sich das Schloss an, das mit glaenzenden Zinnen ueber das Feld blickte. Ist der alte Herr tot?--Am Schlagfluss gestorben, erwiderte der Zoellner, indem er den Baum in die Hoehe liess.--Hm! Schade! versetzte Kohlhaas. Ein wuerdiger alter Herr, der seine Freude am Verkehr der Menschen hatte, Handel und Wandel, wo er nur vermochte, forthalf, und einen Steindamm einst bauen liess, weil mir eine Stute, draussen, wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun! Was bin ich schuldig?--fragte er; und holte die Groschen, die der Zollwaerter verlangte, muehselig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor. "Ja, Alter", setzte er noch hinzu, da dieser: hurtig! hurtig! murmelte, und ueber die Witterung fluchte: "wenn der Baum im Walde stehen geblieben waere, waers besser gewesen, fuer mich und Euch"; und damit gab er ihm das Geld und wollte reiten. Er war aber noch kaum unter den Schlagbaum gekommen, als eine neue Stimme schon: halt dort, der Rosskamm! hinter ihm vom Turm erscholl, und er den Burgvogt ein Fenster zuwerfen und zu ihm herabeilen sah. Nun, was gibts Neues? fragte Kohlhaas bei sich selbst, und hielt mit den Pferden an. Der Burgvogt, indem er sich noch eine Weste ueber seinen weitlaeufigen Leib zuknuepfte, kam, und fragte, schief gegen die Witterung gestellt, nach dem Passschein.--Kohlhaas fragte: der Passschein? Er sagte ein wenig betreten, dass er, soviel er wisse, keinen habe; dass man ihm aber nur beschreiben moechte, was dies fuer ein Ding des Herrn sei: so werde er vielleicht zufaelligerweise damit versehen sein. Der Schlossvogt, indem er ihn von der Seite ansah, versetzte, dass ohne einen landesherrlichen Erlaubnisschein, kein Rosskamm mit Pferden ueber die Grenze gelassen wuerde. Der Rosskamm versicherte, dass er siebzehn Mal in seinem Leben, ohne einen solchen Schein, ueber die Grenze gezogen sei; dass er alle landesherrlichen Verfuegungen, die sein Gewerbe angingen, genau kennte; dass dies wohl nur ein Irrtum sein wuerde, wegen dessen er sich zu bedenken bitte, und dass man ihn, da seine Tagereise lang sei, nicht laenger unnuetzer Weise hier aufhalten moege. Doch der Vogt erwiderte, dass er das achtzehnte Mal nicht durchschluepfen wuerde, dass die Verordnung deshalb erst neuerlich erschienen waere, und dass er entweder den Passschein noch hier loesen, oder zurueckkehren muesse, wo er hergekommen sei. Der Rosshaendler, den diese ungesetzlichen Erpressungen zu erbittern anfingen, stieg, nach einer kurzen Besinnung, vom Pferde, gab es einem Knecht, und sagte, dass er den Junker von Tronka selbst darueber sprechen wuerde. Er ging auch auf die Burg; der Vogt folgte ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nuetzlichen Aderlaessen derselben murmelte; und beide traten, mit ihren Blicken einander messend, in den Saal. Es traf sich, dass der Junker eben, mit einigen muntern Freunden, beim Becher sass, und, um eines Schwanks willen, ein unendliches Gelaechter unter ihnen erscholl, als Kohlhaas, um seine Beschwerde anzubringen, sich ihm naeherte. Der Junker fragte, was er wolle; die Ritter, als sie den fremden Mann erblickten, wurden still; doch kaum hatte dieser sein Gesuch, die Pferde betreffend, angefangen, als der ganze Tross schon: Pferde? Wo sind sie? ausrief, und an die Fenster eilte, um sie zu betrachten. Sie flogen, da sie die glaenzende Koppel sahen, auf den Vorschlag des Junkers, in den Hof hinab; der Regen hatte aufgehoert; Schlossvogt und Verwalter und Knechte versammelten sich um sie, und alle musterten die Tiere. Der eine lobte den Schweissfuchs mit der Blesse, dem andern gefiel der Kastanienbraune, der dritte streichelte den Schecken mit schwarzgelben Flecken; und alle meinten, dass die Pferde wie Hirsche waeren, und im Lande keine bessern gezogen wuerden. Kohlhaas erwiderte munter, dass die Pferde nicht besser waeren, als die Ritter, die sie reiten sollten; und forderte sie auf, zu kaufen. Der Junker, den der maechtige Schweisshengst sehr reizte, befragte ihn auch um den Preis; der Verwalter lag ihm an, ein Paar Rappen zu kaufen, die er, wegen Pferdemangels, in der Wirtschaft gebrauchen zu koennen glaubte; doch als der Rosskamm sich erklaert hatte, fanden die Ritter ihn zu teuer, und der Junker sagte, dass er nach der Tafelrunde reiten und sich den Koenig Arthur aufsuchen muesse, wenn er die Pferde so anschlage. Kohlhaas, der den Schlossvogt und den Verwalter, indem sie sprechende Blicke auf die Rappen warfen, mit einander fluestern sah, liess es, aus einer dunkeln Vorahndung, an nichts fehlen, die Pferde an sie los zu werden. Er sagte zum Junker: "Herr, die Rappen habe ich vor sechs Monaten fuer 25 Goldguelden gekauft; gebt mir 30, so sollt Ihr sie haben." Zwei Ritter, die neben dem Junker standen, aeusserten nicht undeutlich, dass die Pferde wohl so viel wert waeren; doch der Junker meinte, dass er fuer den Schweissfuchs wohl, aber nicht eben fuer die Rappen, Geld ausgeben moechte, und machte Anstalten, aufzubrechen; worauf Kohlhaas sagte, er wuerde vielleicht das naechste Mal, wenn er wieder mit seinen Gaulen durchzoege, einen Handel mit ihm machen; sich dem Junker empfahl, und die Zuegel seines Pferdes ergriff, um abzureisen. In diesem Augenblick trat der Schlossvogt aus dem Haufen vor, und sagte, er hoere, dass er ohne einen Passschein nicht reisen duerfe. Kohlhaas wandte sich und fragte den Junker, ob es denn mit diesem Umstand, der sein ganzes Gewerbe zerstoere, in der Tat seine Richtigkeit habe? Der Junker antwortete, mit einem verlegnen Gesicht, indem er abging: ja, Kohlhaas, den Pass musst du loesen. Sprich mit dem Schlossvogt, und zieh deiner Wege. Kohlhaas versicherte ihn, dass es gar nicht seine Absicht sei, die Verordnungen, die wegen Ausfuehrung der Pferde bestehen moechten, zu umgehen; versprach, bei seinem Durchzug durch Dresden, den Pass in der Geheimschreiberei zu loesen, und bat, ihn nur diesmal, da er von dieser Forderung durchaus nichts gewusst, ziehen zu lassen. Nun! sprach der Junker, da eben das Wetter wieder zu stuermen anfing, und seine duerren Glieder durchsauste: lasst den Schlucker laufen. Kommt! sagte er zu den Rittern, kehrte sich um, und wollte nach dem Schlosse gehen. Der Schlossvogt sagte, zum Junker gewandt, dass er wenigstens ein Pfand, zur Sicherheit, dass er den Schein loesen wuerde, zuruecklassen muesse. Der Junker blieb wieder unter dem Schlosstor stehen. Kohlhaas fragte, welchen Wert er denn, an Geld oder an Sachen, zum Pfande, wegen der Rappen, zuruecklassen solle? Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er koenne ja die Rappen selbst zuruecklassen. Allerdings, sagte der Schlossvogt, das ist das Zweckmaessigste; ist der Pass geloest, so kann er sie zu jeder Zeit wieder abholen. Kohlhaas, ueber eine so unverschaemte Forderung betreten, sagte dem Junker, der sich die Wamsschoesse frierend vor den Leib hielt, dass er die Rappen ja verkaufen wolle; doch dieser, da in demselben Augenblick ein Windstoss eine ganze Last von Regen und Hagel durchs Tor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen: wenn er die Pferde nicht loslassen will, so schmeisst ihn wieder ueber den Schlagbaum zurueck; und ging ab. Der Rosskamm, der wohl sah, dass er hier der Gewalttaetigkeit weichen musste, entschloss sich, die Forderung, weil doch nichts anders uebrig blieb, zu erfuellen; spannte die Rappen aus, und fuehrte sie in einen Stall, den ihm der Schlossvogt anwies. Er liess einen Knecht bei ihnen zurueck, versah ihn mit Geld, ermahnte ihn, die Pferde, bis zu seiner Zurueckkunft, wohl in acht zu nehmen, und setzte seine Reise, mit dem Rest der Koppel, halb und halb ungewiss, ob nicht doch wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein solches Gebot, im Saechsischen, erschienen sein koenne nach Leipzig, wo er auf die Messe wollte, fort. In Dresden, wo er, in einer der Vorstaedte der Stadt, ein Haus mit einigen Staellen besass, weil er von hier aus seinen Handel auf den kleineren Maerkten des Landes zu bestreiten pflegte, begab er sich, gleich nach seiner Ankunft, auf die Geheimschreiberei, wo er von den Raeten, deren er einige kannte, erfuhr, was ihm allerdings sein erster Glaube schon gesagt hatte, dass die Geschichte von dem Passschein ein Maerchen sei. Kohlhaas, dem die missvergnuegten Raete, auf sein Ansuchen, einen schriftlichen Schein ueber den Ungrund derselben gaben, laechelte ueber den Witz des duerren Junkers, obschon er noch nicht recht einsah, was er damit bezwecken mochte; und die Koppel der Pferde, die er bei sich fuehrte, einige Wochen darauf, zu seiner Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohne irgend weiter ein bitteres Gefuehl, als das der allgemeinen Not der Welt, zur Tronkenburg zurueck. Der Schlossvogt, dem er den Schein zeigte, liess sich nicht weiter darueber aus, und sagte, auf die Frage des Rosskamms, ob er die Pferde jetzt wieder bekommen koenne: er moechte nur hinunter gehen und sie holen. Kohlhaas hatte aber schon, da er ueber den Hof ging, den unangenehmen Auftritt, zu erfahren, dass sein Knecht, ungebuehrlichen Betragens halber, wie es hiess, wenige Tage nach dessen Zuruecklassung in der Tronkenburg, zerpruegelt und weggejagt worden sei. Er fragte den Jungen, der ihm diese Nachricht gab, was denn derselbe getan? und wer waehrend dessen die Pferde besorgt haette? worauf dieser aber erwiderte, er wisse es nicht, und darauf dem Rosskamm, dem das Herz schon von Ahnungen schwoll, den Stall, in welchem sie standen, oeffnete. Wie gross war aber sein Erstaunen, als er, statt seiner zwei glatten und wohlgenaehrten Rappen, ein Paar duerre, abgehaermte Maehren erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, haette Sachen aufhaengen koennen; Maehnen und Haare, ohne Wartung und Pflege, zusammengeknetet: das wahre Bild des Elends im Tierreiche! Kohlhaas, den die Pferde, mit einer schwachen Bewegung, anwieherten, war auf das aeusserste entruestet, und fragte, was seinen Gaulen widerfahren waere? Der Junge, der bei ihm stand, antwortete, dass ihnen weiter kein Unglueck zugestossen waere, dass sie auch das gehoerige Futter bekommen haetten, dass sie aber, da gerade Ernte gewesen sei, wegen Mangels an Zugvieh, ein wenig auf den Feldern gebraucht worden waeren. Kohlhaas fluchte ueber diese schaendliche und abgekartete Gewalttaetigkeit, verbiss jedoch, im Gefuehl seiner Ohnmacht, seinen Ingrimm, und machte schon, da doch nichts anders uebrig blieb, Anstalten, das Raubnest mit den Pferden nur wieder zu verlassen, als der Schlossvogt, von dem Wortwechsel herbeigerufen, erschien, und fragte, was es hier gaebe? Was es gibt? antwortete Kohlhaas. Wer hat dem Junker von Tronka und dessen Leuten die Erlaubnis gegeben, sich meiner bei ihm zurueckgelassenen Rappen zur Feldarbeit zu bedienen? Er setzte hinzu, ob das wohl menschlich waere? versuchte, die erschoepften Gaule durch einen Gertenstreich zu erregen, und zeigte ihm, dass sie sich nicht ruehrten. Der Schlossvogt, nachdem er ihn eine Weile trotzig angesehen hatte, versetzte: seht den Grobian! Ob der Flegel nicht Gott danken sollte, dass die Maehren ueberhaupt noch leben? Er fragte, wer sie, da der Knecht weggelaufen, haette pflegen sollen? Ob es nicht billig gewesen waere, dass die Pferde das Futter, das man ihnen gereicht habe, auf den Feldern abverdient haetten? Er schloss, dass er hier keine Flausen machen moechte, oder dass er die Hunde rufen, und sich durch sie Ruhe im Hofe zu verschaffen wissen wuerde.--Dem Rosshaendler schlug das Herz gegen den Wams. Es draengte ihn, den nichtswuerdigen Dickwanst in den Kot zu werfen, und den Fuss auf sein kupfernes Antlitz zu setzen. Doch sein Rechtgefuehl, das einer Goldwaage glich, wankte noch; er war, vor der Schranke seiner eigenen Brust, noch nicht gewiss, ob eine Schuld seinen Gegner druecke; und waehrend er, die Schimpfreden niederschluckend, zu den Pferden trat, und ihnen, in stiller Erwaegung der Umstaende, die Maehnen zurecht legte, fragte er mit gesenkter Stimme: um welchen Versehens halber der Knecht denn aus der Burg entfernt worden sei? Der Schlossvogt erwiderte: weil der Schlingel trotzig im Hofe gewesen ist! Weil er sich gegen einen notwendigen Stallwechsel gestraeubt, und verlangt hat, dass die Pferde zweier Jungherren, die auf die Tronkenburg kamen, um seiner Maehren willen, auf der freien Strasse uebernachten sollten!--Kohlhaas haette den Wert der Pferde darum gegeben, wenn er den Knecht zur Hand gehabt, und dessen Aussage mit der Aussage dieses dickmaeuligen Burgvogts haette vergleichen koennen. Er stand noch, und streifte den Rappen die Zoddeln aus, und sann, was in seiner Lage zu tun sei, als sich die Szene ploetzlich aenderte, und der Junker Wenzel von Tronka, mit einem Schwarm von Rittern, Knechten und Hunden, von der Hasenhetze kommend, in den Schlossplatz sprengte. Der Schlossvogt, als er fragte, was vorgefallen sei, nahm sogleich das Wort, und waehrend die Hunde, beim Anblick des Fremden, von der einen Seite, ein Mordgeheul gegen ihn anstimmten, und die Ritter ihnen, von der andern, zu schweigen geboten, zeigte er ihm, unter der gehaessigsten Entstellung der Sache, an, was dieser Rosskamm, weil seine Rappen ein wenig gebraucht worden waeren, fuer eine Rebellion verfuehre. Er sagte, mit Hohngelaechter, dass er sich weigere, die Pferde als die seinigen anzuerkennen. Kohlhaas rief: "das sind nicht meine Pferde, gestrenger Herr! Das sind die Pferde nicht, die dreissig Goldguelden wert waren! Ich will meine wohlgenaehrten und gesunden Pferde wieder haben!"--Der Junker, indem ihm eine fluechtige Blaesse ins Gesicht trat, stieg vom Pferde, und sagte: wenn der H... A... die Pferde nicht wiedernehmen will, so mag er es bleiben lassen. Komm, Guenther! rief er--Hans! Kommt! indem er sich den Staub mit der Hand von den Beinkleidern schuettelte; und: schafft Wein! rief er noch, da er mit den Rittern unter der Tuer war; und ging ins Haus. Kohlhaas sagte, dass er eher den Abdecker rufen, und die Pferde auf den Schindanger schmeissen lassen, als sie so, wie sie waeren, in seinen Stall zu Kohlhaasenbrueck fuehren wolle. Er liess die Gaule, ohne sich um sie zu bekuemmern, auf dem Platz stehen, schwang sich, indem er versicherte, dass er sich Recht zu verschaffen wissen wuerde, auf seinen Braunen, und ritt davon. Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war er schon, als er, bei dem Gedanken an den Knecht, und an die Klage, die man auf der Burg gegen ihn fuehrte, schrittweis zu reiten anfing, sein Pferd, ehe er noch tausend Schritt gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgaengigen Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug und gerecht schien, nach Kohlhaasenbrueck einbog. Denn ein richtiges, mit der gebrechlichen Einrichtung der Welt schon bekanntes Gefuehl machte ihn, trotz der erlittenen Beleidigungen, geneigt, falls nur wirklich dem Knecht, wie der Schlossvogt behauptete, eine Art von Schuld beizumessen sei, den Verlust der Pferde, als eine gerechte Folge davon, zu verschmerzen. Dagegen sagte ihm ein ebenso vertreffliches Gefuehl, und dies Gefuehl fasste tiefere und tiefere Wurzeln, in dem Masse, als er weiter ritt, und ueberall, wo er einkehrte, von den Ungerechtigkeiten hoerte, die taeglich auf der Tronkenburg gegen die Reisenden veruebt wurden: dass wenn der ganze Vorfall, wie es allen Anschein habe, bloss abgekartet sein sollte, er mit seinen Kraeften der Welt in der Pflicht verfallen sei, sich Genugtuung fuer die erlittene Kraenkung, und Sicherheit fuer zukuenftige seinen Mitbuergern zu verschaffen. Sobald er, bei seiner Ankunft in Kohlhaasenbrueck, Lisbeth, sein treues Weib, umarmt, und seine Kinder, die um seine Kniee frohlockten, gekuesst hatte, fragte er gleich nach Herse, dem Grossknecht: und ob man nichts von ihm gehoert habe? Lisbeth sagte: ja liebster Michael, dieser Herse! Denke dir, dass dieser unselige Mensch, vor etwa vierzehn Tagen, auf das jaemmerlichste zerschlagen, hier eintrifft; nein, so zerschlagen, dass er auch nicht frei atmen kann. Wir bringen ihn zu Bett, wo er heftig Blut speit, und vernehmen, auf unsre wiederholten Fragen, eine Geschichte, die keiner versteht. Wie er von dir mit Pferden, denen man den Durchgang nicht verstattet, auf der Tronkenburg zurueckgelassen worden sei, wie man ihn, durch die schaendlichsten Misshandlungen, gezwungen habe, die Burg zu verlassen, und wie es ihm unmoeglich gewesen waere, die Pferde mitzunehmen. So? sagte Kohlhaas, indem er den Mantel ablegte. Ist er denn schon wieder hergestellt?--Bis auf das Blutspeien, antwortete sie, halb und halb. Ich wollte sogleich einen Knecht nach der Tronkenburg schicken, um die Pflege der Rosse, bis zu deiner Ankunft daselbst, besorgen zu lassen. Denn da sich der Herse immer wahrhaftig gezeigt hat, und so getreu uns, in der Tat wie kein anderer, so kam es mir nicht zu, in seine Aussage, von so viel Merkmalen unterstuetzt, einen Zweifel zu setzen, und etwa zu glauben, dass er der Pferde auf eine andere Art verlustig gegangen waere. Doch er beschwoert mich, niemandem zuzumuten, sich in diesem Raubneste zu zeigen, und die Tiere aufzugeben, wenn ich keinen Menschen dafuer aufopfern wolle.--Liegt er denn noch im Bette? fragte Kohlhaas, indem er sich von der Halsbinde befreite.--Er geht, erwiderte sie, seit einigen Tagen schon wieder im Hofe umher. Kurz, du wirst sehen, fuhr sie fort, dass alles seine Richtigkeit hat, und dass diese Begebenheit einer von den Freveln ist, die man sich seit kurzem auf der Tronkenburg gegen die Fremden erlaubt.--Das muss ich doch erst untersuchen, erwiderte Kohlhaas. Ruf ihn mir, Lisbeth, wenn er auf ist, doch her! Mit diesen Worten setzte er sich in den Lehnstuhl; und die Hausfrau, die sich ueber seine Gelassenheit sehr freute, ging, und holte den Knecht. Was hast du in der Tronkenburg gemacht? fragte Kohlhaas, da Lisbeth mit ihm in das Zimmer trat. Ich bin nicht eben wohl mit dir zufrieden.--Der Knecht, auf dessen blassem Gesicht sich, bei diesen Worten, eine Roete fleckig zeigte, schwieg eine Weile; und: da habt Ihr recht, Herr! antwortete er; denn einen Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fuegung bei mir trug, um das Raubnest, aus dem ich verjagt worden war, in Brand zu stecken, warf ich, als ich ein Kind darin jammern hoerte, in das Elbwasser, und dachte: mag es Gottes Blitz einaeschern; ich wills nicht!--Kohlhaas sagte betroffen: wodurch aber hast du dir die Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen? Drauf Herse: durch einen schlechten Streich, Herr; und trocknete sich den Schweiss von der Stirn: Geschehenes ist aber nicht zu aendern. Ich wollte die Pferde nicht auf der Feldarbeit zu Grunde richten lassen, und sagte, dass sie noch jung waeren und nicht gezogen haetten. --Kohlhaas erwiderte, indem er seine Verwirrung zu verbergen suchte, dass er hierin nicht ganz die Wahrheit gesagt, indem die Pferde schon zu Anfange des verflossenen Fruehjahrs ein wenig im Geschirr gewesen waeren. Du haettest dich auf der Burg, fuhr er fort, wo du doch eine Art von Gast warest, schon ein oder etliche Mal, wenn gerade, wegen schleunigst Einfuehrung der Ernte Not war, gefaellig zeigen koennen. --Das habe ich auch getan, Herr, sprach Herse. Ich dachte, da sie mir graemliche Gesichter machten, es wird doch die Rappen just nicht kosten. Am dritten Vormittag spannt ich sie vor, und drei Fuhren Getreide fuehrt ich ein. Kohlhaas, dem das Herz emporquoll, schlug die Augen zu Boden, und versetzte: davon hat man mir nichts gesagt, Herse!--Herse versicherte ihn, dass es so sei. Meine Ungefaelligkeit, sprach er, bestand darin, dass ich die Pferde, als sie zu Mittag kaum ausgefressen hatten, nicht wieder ins Joch spannen wollte; und dass ich dem Schlossvogt und dem Verwalter, als sie mir vorschlugen frei Futter dafuer anzunehmen, und das Geld, das Ihr mir fuer Futterkosten zurueckgelassen hattet, in den Sack zu stecken, antwortete--ich wuerde ihnen sonst was tun; mich umkehrte und wegging.--Um dieser Ungefaelligkeit aber, sagte Kohlhaas, bist du von der Tronkenburg nicht weggejagt worden.--Behuete Gott, rief der Knecht, um eine gottvergessene Missetat! Denn auf den Abend wurden die Pferde zweier Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in den Stall gefuehrt, und meine an die Stalltuer angebunden. Und da ich dem Schlossvogt, der sie daselbst einquartierte, die Rappen aus der Hand nahm, und fragte, wo die Tiere jetzo bleiben sollten, so zeigte er mir einen Schweinekoben an, der von Latten und Brettern an der Schlossmauer auferbaut war.--Du meinst, unterbrach ihn Kohlhaas, es war ein so schlechtes Behaeltnis fuer Pferde, dass es einem Schweinekoben aehnlicher war, als einem Stall. --Es war ein Schweinekoben, Herr, antwortete Herse; wirklich und wahrhaftig ein Schweinekoben, in welchem die Schweine aus- und einliefen, und ich nicht aufrecht stehen konnte.--Vielleicht war sonst kein Unterkommen fuer die Rappen aufzufinden, versetzte Kohlhaas; die Pferde der Ritter gingen, auf eine gewisse Art, vor.--Der Platz, erwiderte der Knecht, indem er die Stimme fallen liess, war eng. Es hauseten jetzt in allem sieben Ritter auf der Burg. Wenn Ihr es gewesen waeret, Ihr haettet die Pferde ein wenig zusammenruecken lassen. Ich sagte, ich wolle mir im Dorf einen Stall zu mieten suchen; doch der Schlossvogt versetzte, dass er die Pferde unter seinen Augen behalten muesse, und dass ich mich nicht unterstehen solle, sie vom Hofe wegzufuehren.--Hm! sagte Kohlhaas. Was gabst du darauf an?--Weil der Verwalter sprach, die beiden Gaeste wuerden bloss uebernachten, und am andern Morgen weiter reiten, so fuehrte ich die Pferde in den Schweinekoben hinein. Aber der folgende Tag verfloss, ohne dass es geschah; und als der dritte anbrach, hiess es, die Herren wuerden noch einige Wochen auf der Burg verweilen.--Am Ende wars nicht so schlimm, Herse, im Schweinekoben, sagte Kohlhaas, als es dir, da du zuerst die Nase hineinstecktest, vorkam.--'s ist wahr, erwiderte jener. Da ich den Ort ein bissel ausfegte, gings an. Ich gab der Magd einen Groschen, dass sie die Schweine woanders einstecke. Und den Tag ueber bewerkstelligte ich auch, dass die Pferde aufrecht stehen konnten, indem ich die Bretter oben, wenn der Morgen daemmerte, von den Latten abnahm, und abends wieder auflegte. Sie guckten nun, wie Gaense, aus dem Dach vor, und sahen sich nach Kohlhaasenbrueck, oder sonst, wo es besser ist, um.--Nun denn, fragte Kohlhaas, warum also, in aller Welt, jagte man dich fort?--Herr, ich sags Euch, versetzte der Knecht, weil man meiner los sein wollte. Weil sie die Pferde, so lange ich dabei war, nicht zu Grunde richten konnten. ueberall schnitten sie mir, im Hofe und in der Gesindestube, widerwaertige Gesichter; und weil ich dachte, zieht ihr die Maeuler, dass sie verrenken, so brachen sie die Gelegenheit vom Zaune, und warfen mich vom Hofe herunter.--Aber die Veranlassung! rief Kohlhaas. Sie werden doch irgend eine Veranlassung gehabt haben!--O allerdings, antwortete Herse, und die allergerechteste. Ich nahm, am Abend des zweiten Tages, den ich im Schweinekoben zugebracht, die Pferde, die sich darin doch zugesudelt hatten, und wollte sie zur Schwemme reiten. Und da ich eben unter dem Schlosstore bin, und mich wenden will, hoer ich den Vogt und den Verwalter, mit Knechten, Hunden und Pruegeln, aus der Gesindestube hinter mir herstuerzen, und: halt, den Spitzbuben! rufen: halt, den Galgenstrick! als ob sie besessen waeren. Der Torwaechter tritt mir in den Weg; und da ich ihn und den rasenden Haufen, der auf mich anlaeuft, frage: was auch gibts? was es gibt? antwortete der Schlossvogt; und greift meinen beiden Rappen in den Zuegel. Wo will Er hin mit den Pferden? fragt er, und packt mich an die Brust. Ich sage, wo ich hin will? Himmeldonner! Zur Schwemme will ich reiten. Denkt Er, dass ich--? Zur Schwemme? ruft der Schlossvogt. Ich will dich, Gauner, auf der Heerstrasse, nach Kohlhaasenbrueck schwimmen lehren! und schmeisst mich, mit einem haemischen Mordzug, er und der Verwalter, der mir das Bein gefasst hat, vom Pferd herunter, dass ich mich, lang wie ich bin, in den Kot messe. Mord! Hagel! ruf ich, Sielzeug und Decken liegen, und ein Buendel Waesche von mir, im Stall; doch er und die Knechte, indessen der Verwalter die Pferde wegfuehrt, mit Fuessen und Peitschen und Pruegeln ueber mich her, dass ich halbtot hinter dem Schlosstor niedersinke. Und da ich sage: die Raubhunde! Wo fuehren sie mir die Pferde hin? und mich erhebe: heraus aus dem Schlosshof! schreit der Vogt, und: hetz, Kaiser! hetz, Jaeger! erschallt es, und: hetz, Spitz! und eine Koppel von mehr denn zwoelf Hunden faellt ueber mich her. Drauf brech ich, war es eine Latte, ich weiss nicht was, vom Zaune, und drei Hunde tot streck ich neben mir nieder; doch da ich, von jaemmerlichen Zerfleischungen gequaelt, weichen muss: Fluet! gellt eine Pfeife; die Hunde in den Hof, die Torfluegel zusammen, der Riegel vor: und auf der Strasse ohnmaechtig sink ich nieder.--Kohlhaas sagte, bleich im Gesicht, mit erzwungener Schelmerei: hast du auch nicht entweichen wollen, Herse? Und da dieser, mit dunkler Roete, vor sich niedersah: gesteh mirs, sagte er; es gefiel dir im Schweinekoben nicht; du dachtest, im Stall zu Kohlhaasenbrueck ists doch besser. --Himmelschlag! rief Herse: Sielzeug und Decken liess ich ja, und einen Buendel Waesche, im Schweinekoben zurueck. Wuerd ich drei Reichsguelden nicht zu mir gesteckt haben, die ich, im rotseidnen Halstuch, hinter der Krippe versteckt hatte? Blitz, Hoell und Teufel! Wenn Ihr so sprecht, so moecht ich nur gleich den Schwefelfaden, den ich wegwarf, wieder anzuenden! Nun, nun! sagte der Rosshaendler; es war eben nicht boese gemeint! Was du gesagt hast, schau, Wort fuer Wort, ich glaub es dir; und das Abendmahl, wenn es zur Sprache kommt, will ich selbst nun darauf nehmen. Es tut mir leid, dass es dir in meinen Diensten nicht besser ergangen ist; geh, Herse, geh zu Bett, lass dir eine Flasche Wein geben, und troeste dich: dir soll Gerechtigkeit widerfahren! Und damit stand er auf, fertigte ein Verzeichnis der Sachen an, die der Grossknecht im Schweinekoben zurueckgelassen; spezifizierte den Wert derselben, fragte ihn auch, wie hoch er die Kurkosten anschlage; und liess ihn, nachdem er ihm noch einmal die Hand gereicht, abtreten. Hierauf erzaehlte er Lisbeth, seiner Frau, den ganzen Verlauf und inneren Zusammenhang der Geschichte, erklaerte ihr, wie er entschlossen sei, die oeffentliche Gerechtigkeit fuer sich aufzufordern, und hatte die Freude, zu sehen, dass sie ihn, in diesem Vorsatz, aus voller Seele bestaerkte. Denn sie sagte, dass noch mancher andre Reisende, vielleicht minder duldsam, als er, ueber jene Burg ziehen wuerde; dass es ein Werk Gottes waere, Unordnungen, gleich diesen, Einhalt zu tun; und dass sie die Kosten, die ihm die Fuehrung des Prozesses verursachen wuerde, schon beitreiben wolle. Kohlhaas nannte sie ein wackeres Weib, erfreute sich diesen und den folgenden Tag in ihrer und seiner Kinder Mitte, und brach sobald es seine Geschaefte irgend zuliessen, nach Dresden auf, um seine Klage vor Gericht zu bringen. Hier verfasste er, mit Huelfe eines Rechtsgelehrten, den er kannte, eine Beschwerde, in welcher er, nach einer umstaendlichen Schilderung des Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka, an ihm sowohl, als an seinem Knecht Herse, veruebt hatte, auf gesetzmaessige Bestrafung desselben, Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand, und auf Ersatz des Schadens antrug, den er sowohl, als sein Knecht, dadurch erlitten hatten. Die Rechtssache war in der Tat klar. Der Umstand, dass die Pferde gesetzwidriger Weise festgehalten worden waren, warf ein entscheidendes Licht auf alles uebrige; und selbst wenn man haette annehmen wollen, dass die Pferde durch einen blossen Zufall erkrankt waeren, so wuerde die Forderung des Rosskamms, sie ihm gesund wieder zuzustellen, noch gerecht gewesen sein. Es fehlte Kohlhaas auch, waehrend er sich in der Residenz umsah, keineswegs an Freunden, die seine Sache lebhaft zu unterstuetzen versprachen; der ausgebreitete Handel, den er mit Pferden trieb, hatte ihm die Bekanntschaft, und die Redlichkeit, mit welcher er dabei zu Werke ging, ihm das Wohlwollen der bedeutendsten Maenner des Landes verschafft. Er speisete bei seinem Advokaten, der selbst ein ansehnlicher Mann war, mehrere Mal heiter zu Tisch; legte eine Summe Geldes, zur Bestreitung der Prozesskosten, bei ihm nieder; und kehrte, nach Verlauf einiger Wochen, voellig von demselben ueber den Ausgang seiner Rechtssache beruhigt, zu Lisbeth, seinem Weibe, nach Kohlhaasenbrueck zurueck. Gleichwohl vergingen Monate, und das Jahr war daran, abzuschliessen, bevor er, von Sachsen aus, auch nur eine Erklaerung ueber die Klage, die er daselbst anhaengig gemacht hatte, geschweige denn die Resolution selbst, erhielt. Er fragte, nachdem er mehrere Male von neuem bei dem Tribunal eingekommen war, seinen Rechtsgehuelfen, in einem vertrauten Briefe, was eine so uebergrosse Verzoegerung verursache; und erfuhr, dass die Klage, auf eine hoehere Insinuation, bei dem Dresdner Gerichtshofe, gaenzlich niedergeschlagen worden sei.--Auf die befremdete Rueckschrift des Rosskamms, worin dies seinen Grund habe, meldete ihm jener: dass der Junker Wenzel von Tronka mit zwei Jungherren, Hinz und Kunz von Tronka, verwandt sei, deren einer, bei der Person des Herrn, Mundschenk, der andre gar Kaemmerer sei.--Er riet ihm noch, er moechte, ohne weitere Bemuehungen bei der Rechtsinstanz, seiner, auf der Tronkenburg befindlichen, Pferde wieder habhaft zu werden suchen; gab ihm zu verstehen, dass der Junker, der sich jetzt in der Hauptstadt aufhalte, seine Leute angewiesen zu haben scheine, sie ihm auszuliefern; und schloss mit dem Gesuch, ihn wenigstens, falls er sich hiermit nicht beruhigen wolle, mit ferneren Auftraegen in dieser Sache zu verschonen. Kohlhaas befand sich um diese Zeit gerade in Brandenburg, wo der Stadthauptmann, Heinrich von Geusau, unter dessen Regierungsbezirk Kohlhaasenbrueck gehoerte, eben beschaeftigt war, aus einem betraechtlichen Fonds, der der Stadt zugefallen war, mehrere wohltaetige Anstalten, fuer Kranke und Arme, einzurichten. Besonders war er bemueht, einen mineralischen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend sprang, und von dessen Heilkraeften man sich mehr, als die Zukunft nachher bewaehrte, versprach, fuer den Gebrauch der Presshaften einzurichten; und da Kohlhaas ihm, wegen manchen Verkehrs, in dem er, zur Zeit seines Aufenthalts am Hofe, mit demselben gestanden hatte, bekannt war, so erlaubte er Hersen, dem Grossknecht, dem ein Schmerz beim Atemholen ueber der Brust, seit jenem schlimmen Tage auf der Tronkenburg, zurueckgeblieben war, die Wirkung der kleinen, mit Dach und Einfassung versehenen, Heilquelle zu versuchen. Es traf sich, dass der Stadthauptmann eben, am Rande des Kessels, in welchen Kohlhaas den Herse gelegt hatte, gegenwaertig war, um einige Anordnungen zu treffen, als jener, durch einen Boten, den ihm seine Frau nachschickte, den niederschlagenden Brief seines Rechtsgehuelfen aus Dresden empfing. Der Stadthauptmann, der, waehrend er mit dem Arzte sprach, bemerkte, dass Kohlhaas eine Traene auf den Brief, den er bekommen und eroeffnet hatte, fallen liess, naeherte sich ihm, auf eine freundliche und herzliche Weise, und fragte ihn, was fuer ein Unfall ihn betroffen; und da der Rosshaendler ihm, ohne ihm zu antworten, den Brief ueberreichte: so klopfte ihm dieser wuerdige Mann, dem die abscheuliche Ungerechtigkeit, die man auf der Tronkenburg an ihm veruebt hatte, und an deren Folgen Herse eben, vielleicht auf die Lebenszeit, krank danieder lag, bekannt war, auf die Schulter, und sagte ihm: er solle nicht mutlos sein; er werde ihm zu seiner Genugtuung verhelfen! Am Abend, da sich der Rosskamm, seinem Befehl gemaess, zu ihm aufs Schloss begeben hatte, sagte er ihm, dass er nur eine Supplik, mit einer kurzen Darstellung des Vorfalls, an den Kurfuersten von Brandenburg aufsetzen, den Brief des Advokaten beilegen, und wegen der Gewalttaetigkeit, die man sich, auf saechsischem Gebiet, gegen ihn erlaubt, den landesherrlichen Schutz aufrufen moechte. Er versprach ihm, die Bittschrift, unter einem anderen Paket, das schon bereit liege, in die Haende des Kurfuersten zu bringen, der seinethalb unfehlbar, wenn es die Verhaeltnisse zuliessen, bei dem Kurfuersten von Sachsen einkommen wuerde; und mehr als eines solchen Schrittes beduerfe es nicht, um ihm bei dem Tribunal in Dresden, den Kuensten des Junkers und seines Anhanges zum Trotz, Gerechtigkeit zu verschaffen. Kohlhaas lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann, fuer diesen neuen Beweis seiner Gewogenheit, aufs herzlichste; sagte, es tue ihm nur leid, dass er nicht, ohne irgend Schritte in Dresden zu tun, seine Sache gleich in Berlin anhaengig gemacht habe; und nachdem er, in der Schreiberei des Stadtgerichts, die Beschwerde, ganz den Forderungen gemaess, verfasst, und dem Stadthauptmann uebergeben hatte, kehrte er, beruhigter ueber den Ausgang seiner Geschichte, als je, nach Kohlhaasenbrueck zurueck. Er hatte aber schon, in wenig Wochen, den Kummer, durch einen Gerichtsherrn, der in Geschaeften des Stadthauptmanns nach Potsdam ging, zu erfahren, dass der Kurfuerst die Supplik seinem Kanzler, dem Grafen Kallheim, uebergeben habe, und dass dieser nicht unmittelbar, wie es zweckmaessig schien, bei dem Hofe zu Dresden, um Untersuchung und Bestrafung der Gewalttat, sondern um vorlaeufige, naehere Information bei dem Junker von Tronka eingekommen sei. Der Gerichtsherr, der, vor Kohlhaasens Wohnung, im Wagen haltend, den Auftrag zu haben schien, dem Rosshaendler diese Eroeffnung zu machen, konnte ihm auf die betroffene Frage: warum man also verfahren? keine befriedigende Auskunft geben. Er fuegte nur noch hinzu: der Stadthauptmann liesse ihm sagen, er moechte sich in Geduld fassen; schien bedraengt, seine Reise fortzusetzen; und erst am Schluss der kurzen Unterredung erriet Kohlhaas, aus einigen hingeworfenen Worten, dass der Graf Kallheim mit dem Hause derer von Tronka verschwaegert sei. --Kohlhaas, der keine Freude mehr, weder an seiner Pferdezucht, noch an Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte, in trueber Ahndung der Zukunft, den naechsten Mond; und ganz seiner Erwartung gemaess kam, nach Verlauf dieser Zeit, Herse, dem das Bad einige Linderung verschafft hatte, von Brandenburg zurueck, mit einem, ein groesseres Reskript begleitenden, Schreiben des Stadthauptmanns, des Inhalts: es tue ihm leid, dass er nichts in seiner Sache tun koenne; er schicke ihm eine, an ihn ergangene, Resolution der Staatskanzlei, und rate ihm, die Pferde, die er in der Tronkenburg zurueckgelassen, wieder abfuehren, und die Sache uebrigens ruhen zu lassen.--Die Resolution lautete: "er sei, nach dem Bericht des Tribunals in Dresden, ein unnuetzer Querulant; der Junker, bei dem er die Pferde zurueckgelassen, halte ihm dieselben, auf keine Weise, zurueck; er moechte nach der Burg schicken, und sie holen, oder dem Junker wenigstens wissen lassen, wohin er sie ihm senden solle; die Staatskanzlei aber, auf jeden Fall, mit solchen Plackereien und Staenkereien verschonen." Kohlhaas, dem es nicht um die Pferde zu tun war--er haette gleichen Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten haette--Kohlhaas schaeumte vor Wut, als er diesen Brief empfing. Er sah, so oft sich ein Geraeusch im Hofe hoeren liess, mit der widerwaertigsten Erwartung, die seine Brust jemals bewegt hatte, nach dem Torwege, ob die Leute des Jungherren erscheinen, und ihm, vielleicht gar mit einer Entschuldigung, die Pferde, abgehungert und abgehaermt, wieder zustellen wuerden; der einzige Fall, in welchem seine von der Welt wohlerzogene Seele, auf nichts das ihrem Gefuehl voellig entsprach gefasst war. Er hoerte aber in kurzer Zeit schon, durch einen Bekannten, der die Strasse gereiset war, dass die Gaule auf der Tronkenburg, nach wie vor, den uebrigen Pferden des Landjunkers gleich, auf dem Felde gebraucht wuerden; und mitten durch den Schmerz, die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor, seine eigne Brust nunmehr in Ordnung zu sehen. Er lud einen Amtmann, seinen Nachbar, zu sich, der laengst mit dem Plan umgegangen war, seine Besitzungen durch den Ankauf der, ihre Grenze beruehrenden, Grundstuecke zu vergroessern, und fragte ihn, nachdem sich derselbe bei ihm niedergelassen, was er fuer seine Besitzungen, im Brandenburgischen und im Saechsischen, Haus und Hof, in Pausch und Bogen, es sei nagelfest oder nicht, geben wolle? Lisbeth, sein Weib, erblasste bei diesen Worten. Sie wandte sich, und hob ihr Juengstes auf, das hinter ihr auf dem Boden spielte, Blicke, in welchen sich der Tod malte, bei den roten Wangen des Knaben vorbei, der mit ihren Halsbaendern spielte, auf den Rosskamm, und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der Amtmann fragte, indem er ihn befremdet ansah, was ihn ploetzlich auf so sonderbare Gedanken bringe; worauf jener, mit so viel Heiterkeit, als er erzwingen konnte, erwiderte: der Gedanke, seinen Meierhof, an den Ufern der Havel, zu verkaufen, sei nicht allzuneu; sie haetten beide schon oft ueber diesen Gegenstand verhandelt; sein Haus in der Vorstadt in Dresden sei, in Vergleich damit, ein blosser Anhang, der nicht in Erwaegung komme; und kurz, wenn er ihm seinen Willen tun, und beide Grundstuecke uebernehmen wolle, so sei er bereit, den Kontrakt darueber mit ihm abzuschliessen. Er setzte, mit einem etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohlhaasenbrueck sei ja nicht die Welt; es koenne Zwecke geben, in Vergleich mit welchen, seinem Hauswesen, als ein ordentlicher Vater, vorzustehen, untergeordnet und nichtswuerdig sei; und kurz, seine Seele, muesse er ihm sagen, sei auf grosse Dinge gestellt, von welchen er vielleicht bald hoeren werde. Der Amtmann, durch diese Worte beruhigt, sagte, auf eine lustige Art, zur Frau, die das Kind einmal ueber das andere kuesste: er werde doch nicht gleich Bezahlung verlangen? legte Hut und Stock, die er zwischen den Knieen gehalten hatte, auf den Tisch, und nahm das Blatt, das der Rosskamm in der Hand hielt, um es zu durchlesen. Kohlhaas, indem er demselben naeher rueckte, erklaerte ihm, dass es ein von ihm aufgesetzter eventueller in vier Wochen verfallener Kaufkontrakt sei; zeigte ihm, dass darin nichts fehle, als die Unterschriften, und die Einrueckung der Summen, sowohl was den Kaufpreis selbst, als auch den Reukauf, d. h. die Leistung betreffe, zu der er sich, falls er binnen vier Wochen zuruecktraete, verstehen wolle; und forderte ihn noch einmal munter auf, ein Gebot zu tun, indem er ihm versicherte, dass er billig sein, und keine grossen Umstaende machen wuerde. Die Frau ging in der Stube auf und ab; ihre Brust flog, dass das Tuch, an welchem der Knabe gezupft hatte, ihr voellig von der Schulter herabzufallen drohte. Der Amtmann sagte, dass er ja den Wert der Besitzung in Dresden keineswegs beurteilen koenne; worauf ihm Kohlhaas, Briefe, die bei ihrem Ankauf gewechselt worden waren, hinschiebend, antwortete: dass er sie zu 100 Goldguelden anschlage; obschon daraus hervorging, dass sie ihm fast um die Haelfte mehr gekostet hatte. Der Amtmann, der den Kaufkontrakt noch einmal ueberlas, und darin auch von seiner Seite, auf eine sonderbare Art, die Freiheit stipuliert fand, zurueckzutreten, sagte, schon halb entschlossen: dass er ja die Gestuetpferde, die in seinen Staellen waeren, nicht brauchen koenne; doch da Kohlhaas erwiderte, dass er die Pferde auch gar nicht loszuschlagen willens sei, und dass er auch einige Waffen, die in der Ruestkammer hingen, fuer sich behalten wolle, so--zoegerte jener noch und zoegerte, und wiederholte endlich ein Gebot, das er ihm vor kurzem schon einmal, halb im Scherz, halb im Ernst, nichtswuerdig gegen den Wert der Besitzung, auf einem Spaziergange gemacht hatte. Kohlhaas schob ihm Tinte und Feder hin, um zu schreiben; und da der Amtmann, der seinen Sinnen nicht traute, ihn noch einmal gefragt hatte, ob es sein Ernst sei? und der Rosskamm ihm ein wenig empfindlich geantwortet hatte: ob er glaube, dass er bloss seinen Scherz mit ihm treibe? so nahm jener zwar, mit einem bedenklichen Gesicht, die Feder, und schrieb; dagegen durchstrich er den Punkt, in welchem von der Leistung, falls dem Verkaeufer der Handel gereuen sollte, die Rede war; verpflichtete sich zu einem Darlehn von 100 Goldguelden, auf die Hypothek des Dresdenschen Grundstuecks, das er auf keine Weise kaeuflich an sich bringen wollte; und liess ihm, binnen zwei Monaten voellige Freiheit, von dem Handel wieder zurueckzutreten. Der Rosskamm, von diesem Verfahren geruehrt, schuettelte ihm mit vieler Herzlichkeit die Hand; und nachdem sie noch, welches eine Hauptbedingung war, uebereingekommen waren, dass des Kaufpreises vierter Teil unfehlbar gleich bar, und der Rest, in drei Monaten, in der Hamburger Bank, gezahlt werden sollte, rief jener nach Wein, um sich eines so gluecklich abgemachten Geschaefts zu erfreuen. Er sagte einer Magd, die mit den Flaschen hereintrat, Sternbald, der Knecht, solle ihm den Fuchs satteln; er muesse, gab er an, nach der Hauptstadt reiten, wo er Verrichtungen habe; und gab zu verstehen, dass er in kurzem, wenn er zurueckkehre, sich offenherziger ueber das, was er jetzt noch fuer sich behalten muesse, auslassen wuerde. Hierauf, indem er die Glaeser einschenkte, fragte er nach dem Polen und Tuerken, die gerade damals mit einander im Streit lagen; verwickelte den Amtmann in mancherlei politische Konjekturen darueber; trank ihm schluesslich hierauf noch einmal das Gedeihen ihres Geschaefts zu, und entliess ihn.--Als der Amtmann das Zimmer verlassen hatte, fiel Lisbeth auf Knieen vor ihm nieder. Wenn du mich irgend, rief sie, mich und die Kinder, die ich dir geboren habe, in deinem Herzen traegst; wenn wir nicht im voraus schon, um welcher Ursach willen, weiss ich nicht, verstossen sind: so sage mir, was diese entsetzlichen Anstalten zu bedeuten haben! Kohlhaas sagte: liebstes Weib, nichts, das dich noch, so wie die Sachen stehn, beunruhigen duerfte. Ich habe eine Resolution erhalten, in welcher man mir sagt, dass meine Klage gegen den Junker Wenzel von Tronka eine nichtsnutzige Staenkerei sei. Und weil hier ein Missverstaendnis obwalten muss: so habe ich mich entschlossen, meine Klage noch einmal, persoenlich bei dem Landesherrn selbst, einzureichen.--Warum willst du dein Haus verkaufen? rief sie, indem sie mit einer verstoerten Gebaerde, aufstand. Der Rosskamm, indem er sie sanft an seine Brust drueckte, erwiderte: weil ich in einem Lande, liebste Lisbeth, in welchem man mich, in meinen Rechten, nicht schuetzen will, nicht bleiben mag. Lieber ein Hund sein, wenn ich von Fuessen getreten werden soll, als ein Mensch! Ich bin gewiss, dass meine Frau hierin so denkt, als ich.--Woher weisst du, fragte jene wild, dass man dich in deinen Rechten nicht schuetzen wird? Wenn du dem Herrn bescheiden, wie es dir zukommt, mit deiner Bittschrift nahst: woher weisst du, dass sie beiseite geworfen, oder mit Verweigerung, dich zu hoeren, beantwortet werden wird?--Wohlan, antwortete Kohlhaas, wenn meine Furcht hierin ungegruendet ist, so ist auch mein Haus noch nicht verkauft. Der Herr selbst, weiss ich, ist gerecht; und wenn es mir nur gelingt, durch die, die ihn umringen, bis an seine Person zu kommen, so zweifle ich nicht, ich verschaffe mir Recht, und kehre froehlich, noch ehe die Woche verstreicht, zu dir und meinen alten Geschaeften zurueck. Moecht ich alsdann noch, setzt' er hinzu, indem er sie kuesste, bis an das Ende meines Lebens bei dir verharren!--Doch ratsam ist es, fuhr er fort, dass ich mich auf jeden Fall gefasst mache; und daher wuenschte ich, dass du dich, auf einige Zeit, wenn es sein kann, entferntest, und mit den Kindern zu deiner Muhme nach Schwerin gingst, die du ueberdies laengst hast besuchen wollen.--Wie? rief die Hausfrau. Ich soll nach Schwerin gehen? ueber die Grenze mit den Kindern, zu meiner Muhme nach Schwerin? Und das Entsetzen erstickte ihr die Sprache.--Allerdings, antwortete Kohlhaas, und das, wenn es sein kann, gleich, damit ich in den Schritten, die ich fuer meine Sache tun will, durch keine Ruecksichten gestoert werde.--"O! ich verstehe dich!" rief sie. "Du brauchst jetzt nichts mehr, als Waffen und Pferde; alles andere kann nehmen, wer will!" Und damit wandte sie sich, warf sich auf einen Sessel nieder, und weinte. Kohlhaas sagte betroffen: liebste Lisbeth, was machst du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und Guetern gesegnet; soll ich heute zum erstenmal wuenschen, dass es anders waere?--Er setzte sich zu ihr, die ihm, bei diesen Worten, erroetend um den Hals gefallen war, freundlich nieder. --Sag mir an, sprach er, indem er ihr die Locken von der Stirne strich: was soll ich tun? Soll ich meine Sache aufgeben? Soll ich nach der Tronkenburg gehen, und den Ritter bitten, dass er mir die Pferde wieder gebe, mich aufschwingen, und sie dir herreiten?--Lisbeth wagte nicht: ja! ja! ja! zu sagen--sie schuettelte weinend mit dem Kopf, sie drueckte ihn heftig an sich, und ueberdeckte mit heissen Kuessen seine Brust. "Nun also!" rief Kohlhaas. "Wenn du fuehlst, dass mir, falls ich mein Gewerbe forttreiben soll, Recht werden muss: so goenne mir auch die Freiheit, die mir noetig ist, es mir zu verschaffen!" Und damit stand er auf, und sagte dem Knecht, der ihm meldete, dass der Fuchs gesattelt stuende: morgen muessten auch die Braunen eingeschirrt werden, um seine Frau nach Schwerin zu fuehren. Lisbeth sagte: sie habe einen Einfall! Sie erhob sich, wischte sich die Traenen aus den Augen, und fragte ihn, der sich an einem Pult niedergesetzt hatte: ob er ihr die Bittschrift geben, und sie, statt seiner, nach Berlin gehen lassen wolle, um sie dem Landesherrn zu ueberreichen. Kohlhaas, von dieser Wendung, um mehr als einer Ursach willen, geruehrt, zog sie auf seinen Schoss nieder, und sprach: liebste Frau, das ist nicht wohl moeglich! Der Landesherr ist vielfach umringt, mancherlei Verdriesslichkeiten ist der ausgesetzt, der ihm naht. Lisbeth versetzte, dass es in tausend Faellen einer Frau leichter sei, als einem Mann, ihm zu nahen. Gib mir die Bittschrift, wiederholte sie; und wenn du weiter nichts willst, als sie in seinen Haenden wissen, so verbuerge ich mich dafuer: er soll sie bekommen! Kohlhaas, der von ihrem Mut sowohl, als ihrer Klugheit, mancherlei Proben hatte, fragte, wie sie es denn anzustellen denke; worauf sie, indem sie verschaemt vor sich niedersah, erwiderte: dass der Kastellan des kurfuerstlichen Schlosses, in frueheren Zeiten, da er zu Schwerin in Diensten gestanden, um sie geworben habe; dass derselbe zwar jetzt verheiratet sei, und mehrere Kinder habe; dass sie aber immer noch nicht ganz vergessen waere;--und kurz, dass er es ihr nur ueberlassen moechte, aus diesem und manchem andern Umstand, der zu beschreiben zu weitlaeufig waere, Vorteil zu ziehen. Kohlhaas kuesste sie mit vieler Freude, sagte, dass er ihren Vorschlag annaehme, belehrte sie, dass es weiter nichts beduerfe, als einer Wohnung bei der Frau desselben, um den Landesherrn, im Schlosse selbst, anzutreten, gab ihr die Bittschrift, liess die Braunen anspannen, und schickte sie mit Sternbald, seinem treuen Knecht, wohleingepackt ab. Diese Reise war aber von allen erfolglosen Schritten, die er in seiner Sache getan hatte, der allerungluecklichste. Denn schon nach wenigen Tagen zog Sternbald in den Hof wieder ein, Schritt vor Schritt den Wagen fuehrend, in welchem die Frau, mit einer gefaehrlichen Quetschung an der Brust, ausgestreckt darnieder lag. Kohlhaas, der bleich an das Fuhrwerk trat, konnte nichts Zusammenhaengendes ueber das, was dieses Unglueck verursacht hatte, erfahren. Der Kastellan war, wie der Knecht sagte, nicht zu Hause gewesen; man war also genoetigt worden, in einem Wirtshause, das in der Naehe des Schlosses lag, abzusteigen; dies Wirtshaus hatte Lisbeth am andern Morgen verlassen, und dem Knecht befohlen, bei den Pferden zurueckzubleiben; und eher nicht, als am Abend, sei sie, in diesem Zustand, zurueckgekommen. Es schien, sie hatte sich zu dreist an die Person des Landesherrn vorgedraengt, und, ohne Verschulden desselben, von dem blossen rohen Eifer einer Wache, die ihn umringte, einen Stoss, mit dem Schaft einer Lanze, vor die Brust erhalten. Wenigstens berichteten die Leute so, die sie, in bewusstlosem Zustand, gegen Abend in den Gasthof brachten; denn sie selbst konnte, von aus dem Mund vorquellendem Blute gehindert, wenig sprechen. Die Bittschrift war ihr nachher durch einen Ritter abgenommen worden. Sternbald sagte, dass es sein Wille gewesen sei, sich gleich auf ein Pferd zu setzen, und ihm von diesem ungluecklichen Vorfall Nachricht zu geben; doch sie habe, trotz der Vorstellungen des herbeigerufenen Wundarztes, darauf bestanden, ohne alle vorgaengige Benachrichtigungen, zu ihrem Manne nach Kohlhaasenbrueck abgefuehrt zu werden. Kohlhaas brachte sie, die von der Reise voellig zu Grunde gerichtet worden war, in ein Bett, wo sie, unter schmerzhaften Bemuehungen, Atem zu holen, noch einige Tage lebte. Man versuchte vergebens, ihr das Bewusstsein wieder zu geben, um ueber das, was vorgefallen war, einige Aufschluesse zu erhalten; sie lag, mit starrem, schon gebrochenen Auge, da, und antwortete nicht. Nur kurz vor ihrem Tode kehrte ihr noch einmal die Besinnung wieder. Denn da ein Geistlicher lutherischer Religion (zu welchem eben damals aufkeimenden Glauben sie sich, nach dem Beispiel ihres Mannes, bekannt hatte) neben ihrem Bette stand, und ihr mit lauter und empfindlich-feierlicher Stimme, ein Kapitel aus der Bibel vorlas: so sah sie ihn ploetzlich, mit einem finstern Ausdruck, an, nahm ihm, als ob ihr daraus nichts vorzulesen waere, die Bibel aus der Hand, blaetterte und blaetterte, und schien etwas darin zu suchen; und zeigte dem Kohlhaas, der an ihrem Bette sass, mit dem Zeigefinger, den Vers: "Vergib deinen Feinden; tue wohl auch denen, die dich hassen. "--Sie drueckte ihm dabei mit einem ueberaus seelenvollen Blick die Hand, und starb.--Kohlhaas dachte: "so moege mir Gott nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe!" kuesste sie, indem ihm haeufig die Traenen flossen, drueckte ihr die Augen zu, und verliess das Gemach. Er nahm die hundert Goldguelden, die ihm der Amtmann schon, fuer die Staelle in Dresden, zugefertigt hatte, und bestellte ein Leichenbegraebnis, das weniger fuer sie, als fuer eine Fuerstin, angeordnet schien: ein eichener Sarg, stark mit Metall beschlagen, Kissen von Seide, mit goldnen und silbernen Troddeln, und ein Grab von acht Ellen Tiefe, mit Feldsteinen gefuettert und Kalk. Er stand selbst, sein juengstes auf dem Arm, bei der Gruft, und sah der Arbeit zu. Als der Begraebnistag kam, ward die Leiche, weiss wie Schnee, in einen Saal aufgestellt, den er mit schwarzem Tuch hatte beschlagen lassen. Der Geistliche hatte eben eine ruehrende Rede an ihrer Bahre vollendet, als ihm die landesherrliche Resolution auf die Bittschrift zugestellt ward, welche die Abgeschiedene uebergeben hatte, des Inhalts: er solle die Pferde von der Tronkenburg abholen, und bei Strafe, in das Gefaengnis geworfen zu werden, nicht weiter in dieser Sache einkommen. Kohlhaas steckte den Brief ein, und liess den Sarg auf den Wagen bringen. Sobald der Huegel geworfen, das Kreuz darauf gepflanzt, und die Gaeste, die die Leiche bestattet hatten, entlassen waren, warf er sich noch einmal vor ihrem, nun veroedeten Bette nieder, und uebernahm sodann das Geschaeft der Rache. Er setzte sich nieder und verfasste einen Rechtsschluss, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka, kraft der ihm angebotenen Macht, verdammte, die Rappen, die er ihm abgenommen, und auf den Feldern zu Grunde gerichtet, binnen drei Tagen nach Sicht, nach Kohlhaasenbrueck zu fuehren, und in Person in seinen Staellen dick zu fuettern. Diesen Schluss sandte er durch einen reitenden Boten an ihn ab, und instruierte denselben, flugs nach Uebergabe des Papiers, wieder bei ihm in Kohlhaasenbrueck zu sein. Da die drei Tage, ohne Ueberlieferung der Pferde, verflossen, so rief er Hersen; eroeffnete ihm, was er dem Jungherrn, die Dickfuetterung derselben anbetreffend, aufgegeben; fragte ihn zweierlei, ob er mit ihm nach der Tronkenburg reiten und den Jungherrn holen; auch, ob er ueber den Hergeholten, wenn er bei Erfuellung des Rechtsschlusses in den Staellen von Kohlhaasenbrueck, faul sei, die Peitsche fuehren wolle? und da Herse, so wie er ihn nur verstanden hatte: "Herr, heute noch!" aufjauchzte, und, indem er die Muetze in die Hoehe warf, versicherte: einen Riemen, mit zehn Knoten, um ihm das Striegeln zu lehren, lasse er sich flechten! so verkaufte Kohlhaas das Haus, schickte die Kinder, in einen Wagen gepackt, ueber die Grenze; rief, bei Anbruch der Nacht, auch die uebrigen Knechte zusammen, sieben an der Zahl, treu ihm jedweder, wie Gold; bewaffnete und beritt sie, und brach nach der Tronkenburg auf. Er fiel auch, mit diesem kleinen Haufen, schon, beim Einbruch der dritten Nacht, den Zollwaerter und Torwaechter, die im Gespraech unter dem Tor standen, niederreitend, in die Burg, und waehrend, unter ploetzlicher Aufprasselung aller Baracken im Schlossraum, die sie mit Feuer bewarfen, Herse, ueber die Windeltreppe, in den Turm der Vogtei eilte, und den Schlossvogt und Verwalter, die, halb entkleidet, beim Spiel sassen, mit Hieben und Stichen ueberfiel, stuerzte Kohlhaas zum Junker Wenzel ins Schloss. Der Engel des Gerichts faehrt also vom Himmel herab; und der Junker, der eben, unter vielem Gelaechter, dem Tross junger Freunde, der bei ihm war, den Rechtsschluss, den ihm der Rosskamm uebermacht hatte, vorlas, hatte nicht sobald dessen Stimme im Schlosshof vernommen: als er den Herren schon, ploetzlich leichenbleich: Brueder, rettet euch! zurief, und verschwand. Kohlhaas, der, beim Eintritt in den Saal, einen Junker Hans von Tronka, der ihm entgegen kam, bei der Brust fasste, und in den Winkel des Saals schleuderte, dass er sein Hirn an den Steinen verspruetzte, fragte, waehrend die Knechte die anderen Ritter, die zu den Waffen gegriffen hatten, ueberwaeltigten, und zerstreuten: wo der Junker Wenzel von Tronka sei? Und da er, bei der Unwissenheit der betaeubten Maenner, die Tueren zweier Gemaecher, die in die Seitenfluegel des Schlosses fuehrten, mit einem Fusstritt sprengte, und in allen Richtungen, in denen er das weitlaeufige Gebaeude durchkreuzte, niemanden fand, so stieg er fluchend in den Schlosshof hinab, um die Ausgaenge besetzen zu lassen. Inzwischen war, vom Feuer der Baracken ergriffen, nun schon das Schloss, mit allen Seitengebaeuden, starken Rauch gen Himmel qualmend, angegangen, und waehrend Sternbald, mit drei geschaeftigen Knechten, alles, was nicht niet- und nagelfest war, zusammenschleppten, und zwischen den Pferden, als gute Beute, umstuerzten, flogen, unter dem Jubel Hersens, aus den offenen Fenstern der Vogtei, die Leichen des Schlossvogts und Verwalters, mit Weib und Kindern, herab. Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloss niederstieg, die alte, von der Gicht geplagte Haushaelterin, die dem Junker die Wirtschaft fuehrte, zu Fuessen warf, fragte sie, indem er auf der Stufe stehen blieb: wo der Junker Wenzel von Tronka sei? und da sie ihm, mit schwacher, zitternder Stimme, zur Antwort gab: sie glaube, er habe sich in die Kapelle gefluechtet; so rief er zwei Knechte mit Fackeln, liess in Ermangelung der Schluessel, den Eingang mit Brechstangen und Beilen eroeffnen, kehrte Altaere und Baenke um, und fand gleichwohl, zu seinem grimmigen Schmerz, den Junker nicht. Es traf sich, dass ein junger, zum Gesinde der Tronkenburg gehoeriger Knecht, in dem Augenblick, da Kohlhaas aus der Kapelle zurueckkam, herbeieilte, um aus einem weitlaeufigen, steinernen Stall, den die Flamme bedrohte, die Streithengste des Junkers herauszuziehen. Kohlhaas, der, in eben diesem Augenblick, in einem kleinen, mit Stroh bedeckten Schuppen, seine beiden Rappen erblickte, fragte den Knecht: warum er die Rappen nicht rette? und da dieser, indem er den Schluessel in die Stalltuer steckte, antwortete: der Schuppen stehe ja schon in Flammen; so warf Kohlhaas den Schluessel, nachdem er ihm mit Heftigkeit aus der Stalltuere gerissen, ueber die Mauer, trieb den Knecht, mit hageldichten, flachen Hieben der Klinge, in den brennenden Schuppen hinein, und zwang ihn, unter entsetzlichem Gelaechter der Umstehenden, die Rappen zu retten. Gleichwohl, als der Knecht schreckenblass, wenige Momente nachdem der Schuppen hinter ihm zusammenstuerzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr; und da er sich zu den Knechten auf den Schlossplatz begab, und den Rosshaendler, der ihm mehreremal den Ruecken zukehrte, fragte: was er mit den Tieren nun anfangen solle?--hob dieser ploetzlich, mit einer fuerchterlichen Gebaerde, den Fuss, dass der Tritt, wenn er ihn getan haette, sein Tod gewesen waere: bestieg, ohne ihm zu antworten, seinen Braunen, setzte sich unter das Tor der Burg, und erharrte, inzwischen die Knechte ihr Wesen forttrieben, schweigend den Tag. Als der Morgen anbrach, war das ganze Schloss, bis auf die Mauern, niedergebrannt, und niemand befand sich mehr darin, als Kohlhaas und seine sieben Knechte. Er stieg vom Pferde, und untersuchte noch einmal, beim hellen Schein der Sonne, den ganzen, in allen seinen Winkeln jetzt von ihr erleuchteten Platz, und da er sich, so schwer es ihm auch ward, ueberzeugen musste, dass die Unternehmung auf die Burg fehlgeschlagen war, so schickte er, die Brust voll Schmerz und Jammer, Hersen mit einigen Knechten aus, um ueber die Richtung, die der Junker auf seiner Flucht genommen, Nachricht einzuziehen. Besonders beunruhigte ihn ein reiches Fraeuleinstift, namens Erlabrunn, das an den Ufern der Mulde lag, und dessen Aebtissin, Antonia von Tronka, als eine fromme, wohltaetige und heilige Frau, in der Gegend bekannt war; denn es schien dem ungluecklichen Kohlhaas nur zu wahrscheinlich, dass der Junker sich, entbloesst von aller Notdurft, wie er war, in dieses Stift gefluechtet hatte, indem die Aebtissin seine leibliche Tante und die Erzieherin seiner ersten Kindheit war. Kohlhaas, nachdem er sich von diesem Umstand unterrichtet hatte, bestieg den Turm der Vogtei, in dessen Innerem sich noch ein Zimmer, zur Bewohnung brauchbar, darbot, und verfasste ein sogenanntes "Kohlhaasisches Mandat", worin er das Land aufforderte, dem Junker Wenzel von Tronka, mit dem er in einem gerechten Krieg liege, keinen Vorschub zu tun, vielmehr jeden Bewohner, seine Verwandten und Freunde nicht ausgenommen, verpflichtete, denselben bei Strafe Leibes und des Lebens, und unvermeidlicher Einaescherung alles dessen, was ein Besitztum heissen mag, an ihn auszuliefern. Diese Erklaerung streute er, durch Reisende und Fremde, in der Gegend aus; ja, er gab Waldmann, dem Knecht, eine Abschrift davon, mit dem bestimmten Auftrage, sie in die Haende der Dame Antonia nach Erlabrunn zu bringen. Hierauf besprach er einige Tronkenburgische Knechte, die mit dem Junker unzufrieden waren, und von der Aussicht auf Beute gereizt, in seine Dienste zu treten wuenschten; bewaffnete sie, nach Art des Fussvolks, mit Armbruesten und Dolchen, und lehrte sie, hinter den berittenen Knechten aufsitzen; und nachdem er alles, was der Tross zusammengeschleppt hatte, zu Geld gemacht und das Geld unter denselben verteilt hatte, ruhete er einige Stunden, unter dem Burgtor, von seinen jaemmerlichen Geschaeften aus. Gegen Mittag kam Herse und bestaetigte ihm, was ihm sein Herz, immer auf die truebsten Ahnungen gestellt, schon gesagt hatte: naemlich, dass der Junker in dem Stift zu Erlabrunn, bei der alten Dame Antonia von Tronka, seiner Tante, befindlich sei. Es schien, er hatte sich, durch eine Tuer, die, an der hinteren Wand des Schlosses, in die Luft hinausging, ueber eine schmale, steinerne Treppe gerettet, die, unter einem kleinen Dach, zu einigen Kaehnen in die Elbe hinablief. Wenigstens berichtete Herse, dass er, in einem Elbdorf, zum Befremden der Leute, die wegen des Brandes in der Tronkenburg versammelt gewesen, um Mitternacht, in einem Nachen, ohne Steuer und Ruder, angekommen, und mit einem Dorffuhrwerk nach Erlabrunn weiter gereiset sei.--Kohlhaas seufzte bei dieser Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde gefressen haetten? und da man ihm antwortete: ja: so liess er den Haufen aufsitzen, und stand schon in drei Stunden vor Erlabrunn. Eben, unter dem Gemurmel eines entfernten Gewitters am Horizont, mit Fackeln, die er sich vor dem Ort angesteckt, zog er mit seiner Schar in den Klosterhof ein, und Waldmann, der Knecht, der ihm entgegen trat, meldete ihm, dass das Mandat richtig abgegeben sei, als er die Aebtissin und den Stiftsvogt, in einem verstoerten Wortwechsel, unter das Portal des Klosters treten sah; und waehrend jener, der Stiftsvogt, ein kleiner, alter, schneeweisser Mann, grimmige Blicke auf Kohlhaas schiessend, sich den Harnisch anlegen liess, und den Knechten, die ihn umringten, mit dreister Stimme zurief, die Sturmglocke zu ziehn: trat jene, die Stiftsfrau, das silberne Bildnis des Gekreuzigten in der Hand, bleich, wie Linnenzeug, von der Rampe herab, und warf sich mit allen ihren Jungfrauen, vor Kohlhaasens Pferd nieder. Kohlhaas, waehrend Herse und Sternbald den Stiftsvogt, der kein Schwert in der Hand hatte, ueberwaeltigten, und als Gefangenen zwischen die Pferde fuehrten, fragte sie: wo der Junker Wenzel von Tronka sei? und da sie, einen grossen Ring mit Schluesseln von ihrem Gurt losloesend: in Wittenberg, Kohlhaas, wuerdiger Mann! antwortete, und, mit bebender Stimme, hinzusetzte: fuerchte Gott und tue kein Unrecht!--so wandte Kohlhaas, in die Hoelle unbefriedigter Rache zurueckgeschleudert, das Pferd, und war im Begriff: steckt an! zu rufen, als ein ungeheurer Wetterschlag, dicht neben ihm, zur Erde niederfiel. Kohlhaas, indem er sein Pferd zu ihr zurueckwandte, fragte sie: ob sie sein Mandat erhalten? und da die Dame mit schwacher, kaum hoerbarer Stimme, antwortete: eben jetzt! --"Wann?"--Zwei Stunden, so wahr mir Gott helfe, nach des Junkers, meines Vetters, bereits vollzogener Abreise!--und Waldmann, der Knecht, zu dem Kohlhaas sich, unter finsteren Blicken, umkehrte, stotternd diesen Umstand bestaetigte, indem er sagte, dass die Gewaesser der Mulde, vom Regen geschwellt, ihn verhindert haetten, frueher, als eben jetzt, einzutreffen: so sammelte sich Kohlhaas; ein ploetzlich furchtbarer Regenguss, der die Fackeln verloeschend, auf das Pflaster des Platzes niederrauschte, loeste den Schmerz in seiner ungluecklichen Brust; er wandte, indem er kurz den Hut vor der Dame rueckte, sein Pferd, drueckte ihm, mit den Worten: folgt mir meine Brueder; der Junker ist in Wittenberg! die Sporen ein, und verliess das Stift. Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirtshause auf der Landstrasse ein, wo er, wegen grosser Ermuedung der Pferde, einen Tag ausruhen musste, und da er wohl einsah, dass er mit einem Haufen von zehn Mann (denn so stark war er jetzt), einem Platz wie Wittenberg war, nicht trotzen konnte, so verfasste er ein zweites Mandat, worin er, nach einer kurzen Erzaehlung dessen, was ihm im Lande begegnet, "jeden guten Christen", wie er sich ausdrueckte, "unter Angelobung eines Handgelds und anderer kriegerischen Vorteile", aufforderte "seine Sache gegen den Junker von Tronka, als dem allgemeinen Feind aller Christen, zu ergreifen". In einem anderen Mandat, das bald darauf erschien, nannte er sich: "einen Reichs- und Weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn"; eine Schwaermerei krankhafter und missgeschaffener Art, die ihm gleichwohl, bei dem Klang seines Geldes und der Aussicht auf Beute, unter dem Gesindel, das der Friede mit Polen ausser Brot gesetzt hatte, Zulauf in Menge verschaffte: dergestalt, dass er in der Tat dreissig und etliche Koepfe zaehlte, als er sich, zur Einaescherung von Wittenberg, auf die rechte Seite der Elbe zurueckbegab. Er lagerte sich, mit Pferden und Knechten, unter dem Dache einer alten verfallenen Ziegelscheune, in der Einsamkeit eines finsteren Waldes, der damals diesen Platz umschloss, und hatte nicht sobald durch Sternbald, den er, mit dem Mandat, verkleidet in die Stadt schickte, erfahren, dass das Mandat daselbst schon bekannt sei, als er auch mit seinen Haufen schon, am heiligen Abend vor Pfingsten, aufbrach, und den Platz, waehrend die Bewohner im tiefsten Schlaf lagen, an mehreren Ecken zugleich, in Brand steckte. Dabei klebte er, waehrend die Knechte in der Vorstadt pluenderten, ein Blatt an den Tuerpfeiler einer Kirche an, des Inhalts: "er, Kohlhaas, habe die Stadt in Brand gesteckt, und werde sie, wenn man ihm den Junker nicht ausliefere, dergestalt einaeschern, dass er", wie er sich ausdrueckte, "hinter keiner Wand werde zu sehen brauchen, um ihn zu finden."--Das Entsetzen der Einwohner, ueber diesen unerhoerten Frevel, war unbeschreiblich; und die Flamme, die bei einer zum Glueck ziemlich ruhigen Sommernacht, zwar nicht mehr als neunzehn Haeuser, worunter gleichwohl eine Kirche war, in den Grund gelegt hatte, war nicht sobald, gegen Anbruch des Tages, einigermassen gedaempft worden, als der alte Landvogt, Otto von Gorgas, bereits ein Faehnlein von funfzig Mann aussandte, um den entsetzlichen Wueterich aufzuheben. Der Hauptmann aber, der es fuehrte, namens Gerstenberg, benahm sich so schlecht dabei, dass die ganze Expedition Kohlhaasen, statt ihn zu stuerzen, vielmehr zu einem hoechst gefaehrlichen kriegerischen Ruhm verhalf; denn da dieser Kriegsmann sich in mehrere Abteilungen aufloesete, um ihn, wie er meinte, zu umzingeln und zu erdruecken, ward er von Kohlhaas, der seinen Haufen zusammenhielt, auf vereinzelten Punkten, angegriffen und geschlagen, dergestalt, dass schon, am Abend des naechstfolgenden Tages, kein Mann mehr von dem ganzen Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde stand. Kohlhaas, der durch diese Gefechte einige Leute eingebuesst hatte, steckte die Stadt, am Morgen des naechsten Tages, von neuem in Brand, und seine moerderischen Anstalten waren so gut, dass wiederum eine Menge Haeuser, und fast alle Scheunen der Vorstadt, in die Asche gelegt wurden. Dabei plackte er das bewusste Mandat wieder, und zwar an die Ecken des Rathauses selbst, an, und fuegte eine Nachricht ueber das Schicksal des, von dem Landvogt abgeschickten und von ihm zu Grunde gerichteten, Hauptmanns von Gerstenberg bei. Der Landvogt, von diesem Trotz aufs aeusserste entruestet, setzte sich selbst, mit mehreren Rittern, an die Spitze eines Haufens von hundert und funfzig Mann. Er gab dem Junker Wenzel von Tronka, auf seine schriftliche Bitte, eine Wache, die ihn vor der Gewalttaetigkeit des Volks, das ihn platterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte, schuetzte; und nachdem er, auf allen Doerfern in der Gegend, Wachen ausgestellt, auch die Ringmauer der Stadt, um sie vor einem Ueberfall zu decken, mit Posten besetzt hatte, zog er, am Tage des heiligen Gervasius, selbst aus, um den Drachen, der das Land verwuestete, zu fangen. Diesen Haufen war der Rosskamm klug genug, zu vermeiden; und nachdem er den Landvogt, durch geschickte Maersche, fuenf Meilen von der Stadt hinweggelockt, und vermitteltet mehrerer Anstalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, dass er sich, von der Uebermacht gedraengt, ins Brandenburgische werfen wuerde: wandte er sich ploetzlich, beim Einbruch der dritten Nacht, kehrte, in einem Gewaltritt, nach Wittenberg zurueck, und steckte die Stadt zum drittenmal in Brand. Herse, der sich verkleidet in die Stadt schlich, fuehrte dieses entsetzliche Kunststueck aus; und die Feuersbrunst war, wegen eines scharf wehenden Nordwindes, so verderblich und um sich fressend, dass, in weniger als drei Stunden, zwei und vierzig Haeuser, zwei Kirchen, mehrere Kloester und Schulen, und das Gebaeude der kurfuerstlichen Landvogtei selbst, in Schutt und Asche lagen. Der Landvogt, der seinen Gegner, beim Anbruch des Tages, im Brandenburgischen glaubte, fand, als er von dem, was vorgefallen, benachrichtigt, in bestuerzten Maerschen zurueckkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk hatte sich zu Tausenden vor dem, mit Balken und Pfaehlen versammelten, Hause des Junkers gelagert, und forderte, mit rasendem Geschrei, seine Abfuehrung aus der Stadt. Zwei Buergermeister, namens Jenkens und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magistrats gegenwaertig waren, bewiesen vergebens, dass man platterdings die Rueckkehr eines Eilboten abwarten muesse, den man wegen Erlaubnis den Junker nach Dresden bringen zu duerfen, wohin er selbst aus mancherlei Gruenden abzugehen wuensche, an den Praesidenten der Staatskanzlei geschickt habe; der unvernuenftige, mit Spiessen und Stangen bewaffnete Haufen gab auf diese Worte nichts, und eben war man, unter Misshandlung einiger zu kraeftigen Massregeln auffordernden Raete, im Begriff das Haus worin der Junker war zu stuermen, und der Erde gleich zu machen, als der Landvogt, Otto von Gorgas, an der Spitze seines Reuterhaufens, in der Stadt erschien. Diesem wuerdigen Herrn, der schon durch seine blosse Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorsam einzufloessen gewohnt war, war es, gleichsam zum Ersatz fuer die fehlgeschlagene Unternehmung, von welcher er zurueckkam, gelungen, dicht vor den Toren der Stadt drei zersprengte Knechte von der Bande des Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwischen die Kerle vor dem Angesicht des Volks mit Ketten belastet wurden, den Magistrat in einer klugen Anrede versicherte, den Kohlhaas selbst denke er in kurzem, indem er ihm auf die Spur sei, gefesselt einzubringen: so glueckte es ihm, durch die Kraft aller dieser beschwichtigenden Umstaende, die Angst des versammelten Volks zu entwaffnen, und ueber die Anwesenheit des Junkers, bis zur Zurueckkunft des Eilboten aus Dresden, einigermassen zu beruhigen. Er stieg, in Begleitung einiger Ritter, vom Pferde, und verfuegte sich, nach Wegraeumung der Palisaden und Pfaehle, in das Haus, wo er den Junker, der aus einer Ohnmacht in die andere fiel, unter den Haenden zweier Aerzte fand, die ihn mit Essenzen und Irritanzen wieder ins Leben zurueck zu bringen suchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fuehlte, dass dies der Augenblick nicht war, wegen der Auffuehrung, die er sich zu Schulden kommen lasse, Worte mit ihm zu wechseln: so sagte er ihm bloss, mit einem Blick stiller Verachtung, dass er sich ankleiden, und ihm, zu seiner eigenen Sicherheit, in die Gemaecher der Ritterhaft folgen moechte. Als man dem Junker ein Wams angelegt, und einen Helm aufgesetzt hatte, und er, die Brust, wegen Mangels an Luft, noch halb offen, am Arm des Landvogts und seines Schwagers, des Grafen von Gerschau, auf der Strasse erschien, stiegen gotteslaesterliche und entsetzliche Verwuenschungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von den Landsknechten nur muehsam zurueckgehalten, nannte ihn einen Blutigel, einen elenden Landplager und Menschenquaeler, den Fluch der Stadt Wittenberg, und das Verderben von Sachsen; und nach einem jaemmerlichen Zuge durch die in Truemmern liegende Stadt, waehrend welchem er mehreremal, ohne ihn zu vermissen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder aufsetzte, erreichte man endlich das Gefaengnis, wo er in einem Turm, unter dem Schutz einer starken Wache, verschwand. Mittlerweile setzte die Rueckkehr des Eilboten, mit der kurfuerstlichen Resolution, die Stadt in neue Besorgnis. Denn die Landesregierung, bei welcher die Buergerschaft von Dresden, in einer dringenden Supplik, unmittelbar eingekommen war, wollte, vor Ueberwaeltigung des Mordbrenners, von dem Aufenthalt des Junkers in der Residenz nichts wissen; vielmehr verpflichtete sie den Landvogt, denselben da, wo er sei, weil er irgendwo sein muesse, mit der Macht, die ihm zu Gebote stehe, zu beschirmen: wogegen sie der guten Stadt Wittenberg, zu ihrer Beruhigung, meldete, dass bereits ein Heerhaufen von fuenfhundert Mann, unter Anfuehrung des Prinzen Friedrich von Meissen im Anzuge sei, um sie vor den ferneren Belaestigungen desselben zu beschuetzen. Der Landvogt, der wohl einsah, dass eine Resolution dieser Art, das Volk keinesweges beruhigen konnte: denn nicht nur, dass mehrere kleine Vorteile, die der Rosshaendler, an verschiedenen Punkten, vor der Stadt erfochten, ueber die Staerke, zu der er herangewachsen, aeusserst unangenehme Geruechte verbreiteten; der Krieg, den er, in der Finsternis der Nacht, durch verkleidetes Gesindel, mit Pech, Stroh und Schwefel fuehrte, haette, unerhoert und beispiellos, wie er war, selbst einen groesseren Schutz, als mit welchem der Prinz von Meissen heranrueckte, unwirksam machen koennen: der Landvogt, nach einer kurzen Ueberlegung, entschloss sich, die Resolution, die er empfangen, ganz und gar zu unterdruecken. Er plackte bloss einen Brief, in welchem ihm der Prinz von Meissen seine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt an; ein verdeckter Wagen, der, beim Anbruch des Tages, aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier schwer bewaffneten Reutern begleitet, auf die Strasse nach Leipzig hinaus, wobei die Reuter, auf eine unbestimmte Art verlauten liessen, dass es nach der Pleissenburg gehe; und da das Volk ueber den heillosen Junker, an dessen Dasein Feuer und Schwert gebunden, dergestalt beschwichtigt war, brach er selbst, mit einem Haufen von dreihundert Mann, auf, um sich mit dem Prinzen Friedrich von Meissen zu vereinigen. Inzwischen war Kohlhaas in der Tat, durch die sonderbare Stellung, die er in der Welt einnahm, auf hundert und neun Koepfe herangewachsen; und da er auch in Jassen einen Vorrat an Waffen aufgetrieben, und seine Schar, auf das vollstaendigste, damit ausgeruestet hatte: so fasste er, von dem doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entschluss, demselben, mit der Schnelligkeit des Sturmwinds, ehe es ueber ihn zusammenschluege, zu begegnen. Demnach griff er schon, Tags darauf, den Prinzen von Meissen, in einem naechtlichen Ueberfall, bei Muehlberg an; bei welchem Gefechte er zwar, zu seinem grossen Leidwesen, den Herse einbuesste, der gleich durch die ersten Schuesse an seiner Seite zusammenstuerzte: durch diesen Verlust erbittert aber, in einem drei Stunden langen Kampfe, den Prinzen, unfaehig sich in dem Flecken zu sammeln, so zurichtete, dass er beim Anbruch des Tages, mehrerer schweren Wunden, und einer gaenzlichen Unordnung seines Haufens wegen, genoetigt war, den Rueckweg nach Dresden einzuschlagen. Durch diesen Vorteil tollkuehn gemacht, wandte er sich, ehe derselbe noch davon unterrichtet sein konnte, zu dem Landvogt zurueck, fiel ihn bei dem Dorfe Damerow, am hellen Mittag, auf freiem Felde an, und schlug sich, unter moerderischem Verlust zwar, aber mit gleichen Vorteilen, bis in die sinkende Nacht mit ihm herum. Ja, er wuerde den Landvogt, der sich in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte, am andern Morgen unfehlbar mit dem Rest seines Haufens wieder angegriffen haben, wenn derselbe nicht durch Kundschafter von der Niederlage, die der Prinz bei Muehlberg erlitten, benachrichtigt worden waere, und somit fuer ratsamer gehalten haette, gleichfalls, bis auf einen besseren Zeitpunkt, nach Wittenberg zurueckzukehren. Fuenf Tage, nach Zersprengung dieser beiden Haufen, stand er vor Leipzig, und steckte die Stadt an drei Seiten in Brand.--Er nannte sich in dem Mandat, das er, bei dieser Gelegenheit, ausstreute, "einen Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache des Junkers Partei ergreifen wuerden, mit Feuer und Schwert, die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen". Dabei rief er, von dem Luetzner Schloss aus, das er ueberrumpelt, und worin er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge, an ihn anzuschliessen; und das Mandat war, mit einer Art von Verrueckung, unterzeichnet: "Gegeben auf dem Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu Luetzen." Das Glueck der Einwohner von Leipzig wollte, dass das Feuer, wegen eines anhaltenden Regens der vom Himmel fiel, nicht um sich griff, dergestalt, dass bei der Schnelligkeit der bestehenden Loeschanstalten, nur einige Kramlaeden, die um die Pleissenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestuerzung in der Stadt, ueber das Dasein des rasenden Mordbrenners, und den Wahn, in welchem derselbe stand, dass der Junker in Leipzig sei, unaussprechlich; und da ein Haufen von hundert und achtzig Reisigen, den man gegen ihn ausschickte, zersprengt in die Stadt zurueckkam: so blieb dem Magistrat, der den Reichtum der Stadt nicht aussetzen wollte, nichts anderes uebrig, als die Tore gaenzlich zu sperren, und die Buergerschaft Tag und Nacht, ausserhalb der Mauern, wachen zu lassen. Vergebens liess der Magistrat, auf den Doerfern der umliegenden Gegend, Deklarationen anheften, mit der bestimmten Versicherung, dass der Junker nicht in der Pleissenburg sei; der Rosskamm, in aehnlichen Blaettern, bestand darauf, dass er in der Pleissenburg sei, und erklaerte, dass, wenn derselbe nicht darin befindlich waere, er mindestens verfahren wuerde, als ob er darin waere, bis man ihm den Ort, mit Namen genannt, werde angezeigt haben, worin er befindlich sei. Der Kurfuerst, durch einen Eilboten, von der Not, in welcher sich die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklaerte, dass er bereits einen Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzoege, und sich selbst an dessen Spitze setzen wuerde, um den Kohlhaas zu fangen. Er erteilte dem Herrn Otto von Gorgas einen schweren Verweis, wegen der zweideutigen und unueberlegten List, die er angewendet, um des Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; und niemand beschreibt die Verwirrung, die ganz Sachsen und insbesondere die Residenz ergriff, als man daselbst erfuhr, dass, auf den Doerfern bei Leipzig, man wusste nicht von wem, eine Deklaration an den Kohlhaas angeschlagen worden sei, des Inhalts: "Wenzel, der Junker, befinde sich bei seinen Vettern Hinz und Kunz, in Dresden." Unter diesen Umstaenden uebernahm der Doktor Martin Luther das Geschaeft, den Kohlhaas, durch die Kraft beschwichtigender Worte, von dem Ansehn, das ihm seine Stellung in der Welt gab, unterstuetzt, in den Damm der menschlichen Ordnung zurueckzudruecken, und auf ein tuechtiges Element in der Brust des Mordbrenners bauend, erliess er ein Plakat folgenden Inhalts an ihn, das in allen Staedten und Flecken des Kurfuerstentums angeschlagen ward: "Kohlhaas, der du dich gesandt zu sein vorgibst, das Schwert der Gerechtigkeit zu handhaben, was unterfaengst du dich, Vermessener, im Wahnsinn stockblinder Leidenschaft, du, den Ungerechtigkeit selbst, vom Wirbel bis zur Sohle erfuellt? Weil der Landesherr dir, dem du untertan bist, dein Recht verweigert hat, dein Recht in dem Streit um ein nichtiges Gut, erhebst du dich, Heilloser, mit Feuer und Schwert, und brichst, wie der Wolf der Wueste, in die friedliche Gemeinheit, die er beschirmt. Du, der die Menschen mit dieser Angabe, voll Unwahrhaftigkeit und Arglist, verfuehrt: meinst du, Suender, vor Gott dereinst, an dem Tage, der in die Falten aller Herzen scheinen wird, damit auszukommen? Wie kannst du sagen, dass dir dein Recht verweigert worden ist, du, dessen grimmige Brust, vom Kitzel schnoeder Selbstrache gereizt, nach den ersten, leichtfertigen Versuchen, die dir gescheitert, die Bemuehung gaenzlich aufgegeben hat, es dir zu verschaffen? Ist eine Bank voll Gerichtsdienern und Schergen, die einen Brief, der gebracht wird, unterschlagen, oder ein Erkenntnis, das sie abliefern sollen, zurueckhalten, deine Obrigkeit? Und muss ich dir sagen, Gottvergessener, dass deine Obrigkeit von deiner Sache nichts weiss--was sag ich? dass der Landesherr, gegen den du dich auflehnst, auch deinen Namen nicht kennt, dergestalt, dass wenn dereinst du vor Gottes Thron trittst, in der Meinung, ihn anzuklagen, er, heiteren Antlitzes, wird sprechen koennen: diesem Mann, Herr, tat ich kein Unrecht, denn sein Dasein ist meiner Seele fremd? Das Schwert, wisse, das du fuehrst, ist das Schwert des Raubes und der Mordlust, ein Rebell bist du und kein Krieger des gerechten Gottes, und dein Ziel auf Erden ist Rad und Galgen, und jenseits die Verdammnis, die ueber die Missetat und die Gottlosigkeit verhaengt ist. Wittenberg, usw. Martin Luther." Kohlhaas waelzte eben, auf dem Schlosse zu Luetzen, einen neuen Plan, Leipzig einzuaeschern, in seiner zerrissenen Brust herum:--denn auf die, in den Doerfern angeschlagene Nachricht, dass der Junker Wenzel in Dresden sei, gab er nichts, weil sie von niemand, geschweige denn vom Magistrat, wie er verlangt hatte, unterschrieben war:--als Sternbald und Waldmann das Plakat, das, zur Nachtzeit, an den Torweg des Schlosses, angeschlagen worden war, zu ihrer grossen Bestuerzung, bemerkten. Vergebens hofften sie, durch mehrere Tage, dass Kohlhaas, den sie nicht gern deshalb antreten wollten, es erblicken wuerde; finster und in sich gekehrt, in der Abendstunde erschien er zwar, aber bloss, um seine kurzen Befehle zu geben, und sah nichts: dergestalt, dass sie an einem Morgen, da er ein paar Knechte, die in der Gegend, wider seinen Willen, gepluendert hatten, aufknoepfen lassen wollte, den Entschluss fassten, ihn darauf aufmerksam zu machen. Eben kam er, waehrend das Volk von beiden Seiten schuechtern auswich, in dem Aufzuge, der ihm, seit seinem letzten Mandat, gewoehnlich war, von dem Richtplatz zurueck, ein grosses Cherubsschwert, auf einem rotledernen Kissen, mit Quasten von Gold verziert, ward ihm vorangetragen, und zwoelf Knechte, mit brennenden Fackeln folgten ihm, da traten die beiden Maenner, ihre Schwerter unter dem Arm, so, dass es ihn befremden musste, um den Pfeiler, an welchen das Plakat angeheftet war, herum. Kohlhaas, als er, mit auf dem Ruecken zusammengelegten Haenden, in Gedanken vertieft, unter das Portal kam, schlug die Augen auf und stutzte; und da die Knechte, bei seinem Anblick, ehrerbietig auswichen: so trat er, indem er sie zerstreut ansah, mit einigen raschen Schritten, an den Pfeiler heran. Aber wer beschreibt, was in seiner Seele vorging, als er das Blatt, dessen Inhalt ihn der Ungerechtigkeit zieh, daran erblickte: unterzeichnet von dem teuersten und verehrungswuerdigsten Namen, den er kannte, von dem Namen Martin Luthers! Eine dunkle Roete stieg in sein Antlitz empor; er durchlas es, indem er den Helm abnahm, zweimal von Anfang bis zu Ende; wandte sich, mit ungewissen Blicken, mitten unter die Knechte zurueck, als ob er etwas sagen wollte, und sagte nichts; loeste das Blatt von der Wand los, durchlas es noch einmal; und rief: Waldmann! lass mir mein Pferd satteln! sodann: Sternbald! folge mir ins Schloss! und verschwand. Mehr als dieser wenigen Worte bedurfte es nicht, um ihn, in der ganzen Verderblichkeit, in der er dastand, ploetzlich zu entwaffnen. Er warf sich in die Verkleidung eines thueringischen Landpaechters; sagte Sternbald, dass ein Geschaeft, von bedeutender Wichtigkeit, ihn nach Wittenberg zu reisen noetige; uebergab ihm, in Gegenwart einiger der vorzueglichsten Knechte, die Anfuehrung des in Luetzen zurueckbleibenden Haufens; und zog, unter der Versicherung, dass er in drei Tagen, binnen welcher Zeit kein Angriff zu fuerchten sei, wieder zurueck sein werde, nach Wittenberg ab. Er kehrte, unter einem fremden Namen, in ein Wirtshaus ein, wo er, sobald die Nacht angebrochen war, in seinem Mantel, und mit einem Paar Pistolen versehen, die er in der Tronkenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins Zimmer trat. Luther, der unter Schriften und Buechern an seinem Pulte sass, und den fremden, besonderen Mann die Tuer oeffnen und hinter sich verriegeln sah, fragte ihn: wer er sei? und was er wolle? und der Mann, der seinen Hut ehrerbietig in der Hand hielt, hatte nicht sobald, mit dem schuechternen Vorgefuehl des Schreckens, den er verursachen wuerde, erwidert: dass er Michael Kohlhaas, der Rosshaendler sei; als Luther schon: weiche fern hinweg! ausrief, und indem er, vom Pult erstehend, nach einer Klingel eilte, hinzusetzte: dein Odem ist Pest und deine Naehe Verderben! Kohlhaas, indem er, ohne sich vom Platz zu regen, sein Pistol zog, sagte: Hochwuerdiger Herr, dies Pistol, wenn Ihr die Klingel ruehrt, streckt mich leblos zu Euren Fuessen nieder! Setzt Euch und hoert mich an; unter den Engeln, deren Psalmen Ihr aufschreibt, seid Ihr nicht sicherer, als bei mir. Luther, indem er sich niedersetzte, fragte: was willst du? Kohlhaas erwiderte: Eure Meinung von mir, dass ich ein ungerechter Mann sei, widerlegen! Ihr habt mir in Eurem Plakat gesagt, dass meine Obrigkeit von meiner Sache nichts weiss: wohlan, verschafft mir freies Geleit, so gehe ich nach Dresden, und lege sie ihr vor.--"Heilloser und entsetzlicher Mann!" rief Luther, durch diese Worte verwirrt zugleich und beruhigt: "wer gab dir das Recht, den Junker von Tronka, in Verfolg eigenmaechtiger Rechtsschluesse, zu ueberfallen, und da du ihn auf seiner Burg nicht fandst mit Feuer und Schwert die ganze Gemeinschaft heimzusuchen, die ihn beschirmt?" Kohlhaas erwiderte: hochwuerdiger Herr, niemand, fortan! Eine Nachricht, die ich aus Dresden erhielt, hat mich getaeuscht, mich verfuehrt! Der Krieg, den ich mit der Gemeinheit der Menschen fuehre, ist eine Missetat, sobald ich aus ihr nicht, wie Ihr mir die Versicherung gegeben habt, verstossen war! Verstossen! rief Luther, indem er ihn ansah. Welch eine Raserei der Gedanken ergriff dich? Wer haette dich aus der Gemeinschaft des Staats, in welchem du lebtest, verstossen? Ja, wo ist, so lange Staaten bestehen, ein Fall, dass jemand, wer es auch sei, daraus verstossen worden waere?--Verstossen, antwortete Kohlhaas, indem er die Hand zusammendrueckte, nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist! Denn dieses Schutzes, zum Gedeihen meines friedlichen Gewerbes, bedarf ich; ja, er ist es, dessenhalb ich mich, mit dem Kreis dessen, was ich erworben, in diese Gemeinschaft fluechte; und wer mir ihn versagt, der stoesst mich zu den Wilden der Einoede hinaus; er gibt mir, wie wollt Ihr das leugnen, die Keule, die mich selbst schuetzt, in die Hand.--Wer hat dir den Schutz der Gesetze versagt? rief Luther. Schrieb ich dir nicht, dass die Klage, die du eingereicht, dem Landesherrn, dem du sie eingereicht, fremd ist? Wenn Staatsdiener hinter seinem Ruecken Prozesse unterschlagen, oder sonst seines geheiligten Namens, in seiner Unwissenheit, spotten; wer anders als Gott darf ihn wegen der Wahl solcher Diener zur Rechenschaft ziehen, und bist du, gottverdammter und entsetzlicher Mensch, befugt, ihn deshalb zu richten?--Wohlan, versetzte Kohlhaas, wenn mich der Landesherr nicht verstoesst, so kehre ich auch wieder in die Gemeinschaft, die er beschirmt, zurueck. Verschafft mir, ich wiederhol es, freies Geleit nach Dresden: so lasse ich den Haufen, den ich im Schloss zu Luetzen versammelt, auseinander gehen, und bringe die Klage, mit der ich abgewiesen worden bin, noch einmal bei dem Tribunal des Landes vor.--Luther, mit einem verdriesslichen Gesicht, warf die Papiere, die auf seinem Tisch lagen, uebereinander, und schwieg. Die trotzige Stellung, die dieser seltsame Mensch im Staat einnahm, verdross ihn; und den Rechtsschluss, den er, von Kohlhaasenbrueck aus, an den Junker erlassen, erwaegend, fragte er: was er denn von dem Tribunal zu Dresden verlange? Kohlhaas antwortete: Bestrafung des Junkers, den Gesetzen gemaess; Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand; und Ersatz des Schadens, den ich sowohl, als mein bei Muehlberg gefallener Knecht Herse, durch die Gewalttat, die man an uns veruebte, erlitten.--Luther rief: Ersatz des Schadens! Summen zu Tausenden, bei Juden und Christen, auf Wechseln und Pfaendern, hast du, zur Bestreitung deiner wilden Selbstrache, aufgenommen. Wirst du den Wert auch, auf der Rechnung, wenn es zur Nachfrage kommt, ansetzen?--Gott behuete! erwiderte Kohlhaas. Haus und Hof, und den Wohlstand, den ich besessen, fordere ich nicht zurueck; so wenig als die Kosten des Begraebnisses meiner Frau! Hersens alte Mutter wird eine Berechnung der Heilkosten, und eine Spezifikation dessen, was ihr Sohn in der Tronkenburg eingebuesst, beibringen; und den Schaden, den ich wegen Nichtverkaufs der Rappen erlitten, mag die Regierung durch einen Sachverstaendigen abschaetzen lassen.--Luther sagte: rasender, unbegreiflicher und entsetzlicher Mensch! und sah ihn an. Nachdem dein Schwert sich, an dem Junker, Rache, die grimmigste, genommen, die sich erdenken laesst: was treibt dich, auf ein Erkenntnis gegen ihn zu bestehen, dessen Schaerfe, wenn es zuletzt faellt, ihn mit einem Gewicht von so geringer Erheblichkeit nur trifft?--Kohlhaas erwiderte, indem ihm eine Traene ueber die Wangen rollte: hochwuerdiger Herr! es hat mich meine Frau gekostet; Kohlhaas will der Welt zeigen, dass sie in keinem ungerechten Handel umgekommen ist. Fuegt Euch in diesen Stuecken meinem Willen, und lasst den Gerichtshof sprechen; in allem anderen, was sonst noch streitig sein mag, fuege ich mich Euch.--Luther sagte: schau her, was du forderst, wenn anders die Umstaende so sind, wie die oeffentliche Stimme hoeren laesst, ist gerecht; und haettest du den Streit, bevor du eigenmaechtig zur Selbstrache geschritten, zu des Landesherrn Entscheidung zu bringen gewusst, so waere dir deine Forderung, zweifle ich nicht, Punkt vor Punkt bewilligt worden. Doch haettest du nicht, alles wohl erwogen, besser getan, du haettest, um deines Erloesers willen, dem Junker vergeben, die Rappen, duerre und abgehaermt, wie sie waren, bei der Hand genommen, dich aufgesetzt, und zur Dickfuetterung in deinen Stall nach Kohlhaasenbrueck heimgeritten?--Kohlhaas antwortete: kann sein! indem er ans Fenster trat: kann sein, auch nicht! Haette ich gewusst, dass ich sie mit Blut aus dem Herzen meiner lieben Frau wuerde auf die Beine bringen muessen: kann sein, ich haette getan, wie Ihr gesagt, hochwuerdiger Herr, und einen Scheffel Hafer nicht gescheut! Doch, weil sie mir einmal so teuer zu stehen gekommen sind, so habe es denn, meine ich, seinen Lauf: lasst das Erkenntnis, wie es mir zukoemmt, sprechen, und den Junker mir die Rappen auffuettern.--Luther sagte, indem er, unter mancherlei Gedanken, wieder zu seinen Papieren griff: er wolle mit dem Kurfuersten seinethalben in Unterhandlung treten. Inzwischen moechte er sich, auf dem Schlosse zu Luetzen, still halten; wenn der Herr ihm freies Geleit bewillige, so werde man es ihm auf dem Wege oeffentlicher Anplackung bekannt machen.--Zwar, fuhr er fort, da Kohlhaas sich herabbog, um seine Hand zu kuessen: ob der Kurfuerst Gnade fuer Recht ergehen lassen wird, weiss ich nicht; denn einen Heerhaufen, vernehm ich, zog er zusammen, und steht im Begriff, dich im Schlosse zu Luetzen aufzuheben: inzwischen, wie ich dir schon gesagt habe, an meinem Bemuehen soll es nicht liegen. Und damit stand er auf, und machte Anstalt, ihn zu entlassen. Kohlhaas meinte, dass seine Fuersprache ihn ueber diesen Punkt voellig beruhige; worauf Luther ihn mit der Hand gruesste, jener aber ploetzlich ein Knie vor ihm senkte und sprach: er habe noch eine Bitte auf seinem Herzen. Zu Pfingsten naemlich, wo er an den Tisch des Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche, dieser seiner kriegerischen Unternehmungen wegen, versaeumt; ob er die Gewogenheit haben wolle, ohne weitere Vorbereitung, seine Beichte zu empfangen, und ihm, zur Auswechselung dagegen, die Wohltat des heiligen Sakraments zu erteilen? Luther, nach einer kurzen Besinnung, indem er ihn scharf ansah, sagte: ja, Kohlhaas, das will ich tun! Der Herr aber, dessen Leib du begehrst, vergab seinem Feind. --Willst du, setzte er, da jener ihn betreten ansah, hinzu, dem Junker, der dich beleidigt hat, gleichfalls vergeben: nach der Tronkenburg gehen, dich auf deine Rappen setzen, und sie zur Dickfuetterung nach Kohlhaasenbrueck heimreisen?--"Hochwuerdiger Herr", sagte Kohlhaas erroetend, indem er seine Hand ergriff,--nun?--"der Herr auch vergab allen seinen Feinden nicht. Lasst mich den Kurfuersten, meinen beiden Herren, dem Schlossvogt und Verwalter, den Herren Hinz und Kunz, und wer mich sonst in dieser Sache gekraenkt haben mag, vergeben: den Junker aber, wenn es sein kann, noetigen, dass er mir die Rappen wieder dick fuettere."--Bei diesen Worten kehrte ihm Luther, mit einem missvergnueglichen Blick, den Ruecken zu, und zog die Klingel. Kohlhaas, waehrend, dadurch herbeigerufen, ein Famulus sich mit Licht in dem Vorsaal meldete, stand betreten, indem er sich die Augen trocknete, vom Boden auf; und da der Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeschoben war, an der Tuere wirkte, Luther aber sich wieder zu seinen Papieren niedergesetzt hatte: so machte Kohlhaas dem Mann die Tuere auf. Luther, mit einem kurzen, auf den fremden Mann gerichteten Seitenblick, sagte dem Famulus: leuchte! worauf dieser, ueber den Besuch, den er erblickte, ein wenig befremdet, den Hausschluessel von der Wand nahm, und sich, auf die Entfernung desselben wartend, unter die halboffene Tuer des Zimmers zurueckbegab. --Kohlhaas sprach, indem er seinen Hut bewegt zwischen beide Haende nahm: und so kann ich, hochwuerdigster Herr, der Wohltat versoehnt zu werden, die ich mir von Euch erbat, nicht teilhaftig werden? Luther antwortete kurz: deinem Heiland, nein; dem Landesherrn,--das bleibt einem Versuch, wie ich dir versprach, vorbehalten! Und damit winkte er dem Famulus, das Geschaeft, das er ihm aufgetragen, ohne weiteren Aufschub, abzumachen. Kohlhaas legte, mit dem Ausdruck schmerzlicher Empfindung, seine beiden Haende auf die Brust; folgte dem Mann, der ihm die Treppe hinunter leuchtete, und verschwand. Am anderen Morgen erliess Luther ein Sendschreiben an den Kurfuersten von Sachsen, worin er, nach einem bitteren Seitenblick auf die seine Person umgebenden Herren Hinz und Kunz, Kaemmerer und Mundschenk von Tronka, welche die Klage, wie allgemein bekannt war, untergeschlagen hatten, dem Herrn, mit der Freimuetigkeit, die ihm eigen war, eroeffnete, dass bei so aergerlichen Umstaenden, nichts anderes zu tun uebrig sei, als den Vorschlag des Rosshaendlers anzunehmen, und ihm des Vorgefallenen wegen, zur Erneuerung seines Prozesses, Amnestie zu erteilen. Die oeffentliche Meinung, bemerkte er, sei auf eine hoechst gefaehrliche Weise, auf dieses Mannes Seite, dergestalt, dass selbst in dem dreimal von ihm eingeaescherten Wittenberg, eine Stimme zu seinem Vorteil spreche; und da er sein Anerbieten, falls er damit abgewiesen werden sollte, unfehlbar, unter gehaessigen Bemerkungen, zur Wissenschaft des Volks bringen wuerde, so koenne dasselbe leicht in dem Grade verfuehrt werden, dass mit der Staatsgewalt gar nichts mehr gegen ihn auszurichten sei. Er schloss, dass man, in diesem ausserordentlichen Fall, ueber die Bedenklichkeit, mit einem Staatsbuerger, der die Waffen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen muesse; dass derselbe in der Tat durch das Verfahren, das man gegen ihn beobachtet, auf gewisse Weise ausser der Staatsverbindung gesetzt worden sei; und kurz, dass man ihn, um aus dem Handel zu kommen, mehr als eine fremde, in das Land gefallene Macht, wozu er sich auch, da er ein Auslaender sei, gewissermassen qualifiziere, als einen Rebellen, der sich gegen den Thron auflehne, betrachten muesse.--Der Kurfuerst erhielt diesen Brief eben, als der Prinz Christiern von Meissen, Generalissimus des Reichs, Oheim des bei Muehlberg geschlagenen und an seinen Wunden noch daniederliegenden Prinzen Friedrich von Meissen; der Grosskanzler des Tribunals, Graf Wrede; Graf Kallheim, Praesident der Staatskanzlei; und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieser Kaemmerer, jener Mundschenk, die Jugendfreunde und Vertrauten des Herrn, in dem Schlosse gegenwaertig waren. Der Kaemmerer, Herr Kunz, der, in der Qualitaet eines Geheimenrats, des Herrn geheime Korrespondenz, mit der Befugnis, sich seines Namens und Wappens zu bedienen, besorgte, nahm zuerst das Wort, und nachdem er noch einmal weitlaeufig auseinander gelegt hatte, dass er die Klage, die der Rosshaendler gegen den Junker, seinen Vetter, bei dem Tribunal eingereicht, nimmermehr durch eine eigenmaechtige Verfuegung niedergeschlagen haben wuerde, wenn er sie nicht, durch falsche Angaben verfuehrt, fuer eine voellig grundlose und nichtsnutzige Plackerei gehalten haette, kam er auf die gegenwaertige Lage der Dinge. Er bemerkte, dass, weder nach goettlichen noch menschlichen Gesetzen, der Rosskamm, um dieses Missgriffs willen, befugt gewesen waere, eine so ungeheure Selbstrache, als er sich erlaubt, auszuueben; schilderte den Glanz, der durch eine Verhandlung mit demselben, als einer rechtlichen Kriegsgewalt, auf sein gottverdammtes Haupt falle; und die Schmach, die dadurch auf die geheiligte Person des Kurfuersten zurueckspringe, schien ihm so unertraeglich, dass er, im Feuer der Beredsamkeit, lieber das Aeusserste erleben, den Rechtsschluss des rasenden Rebellen erfuellt, und den Junker, seinen Vetter, zur Dickfuetterung der Rappen nach Kohlhaasenbrueck abgefuehrt sehen, als den Vorschlag, den der Doktor Luther gemacht, angenommen wissen wollte. Der Grosskanzler des Tribunals, Graf Wrede, aeusserte, halb zu ihm gewandt, sein Bedauern, dass eine so zarte Sorgfalt, als er, bei der Aufloesung dieser allerdings misslichen Sache, fuer den Ruhm des Herrn zeige, ihn nicht, bei der ersten Veranlassung derselben, erfuellt haette. Er stellte dem Kurfuersten sein Bedenken vor, die Staatsgewalt, zur Durchsetzung einer offenbar unrechtlichen Massregel, in Anspruch zu nehmen; bemerkte, mit einem bedeutenden Blick auf den Zulauf, den der Rosshaendler fortdauernd im Lande fand, dass der Faden der Freveltaten sich auf diese Weise ins Unendliche fortzuspinnen drohe, und erklaerte, dass nur ein schlichtes Rechttun, indem man unmittelbar und ruecksichtslos den Fehltritt, den man sich zu Schulden kommen lassen, wieder gut machte, ihn abreissen und die Regierung gluecklich aus diesem haesslichen Handel herausziehen koenne. Der Prinz Christiern von Meissen, auf die Frage des Herrn, was er davon halte? aeusserte, mit Verehrung gegen den Grosskanzler gewandt: die Denkungsart, die er an den Tag lege, erfuelle ihn zwar mit dem groessesten Respekt; indem er aber dem Kohlhaas zu seinem Recht verhelfen wolle, bedenke er nicht dass er Wittenberg und Leipzig, und das ganze durch ihn misshandelte Land, in seinem gerechten Anspruch auf Schadenersatz, oder wenigstens Bestrafung, beeintraechtige. Die Ordnung des Staats sei, in Beziehung auf diesen Mann, so verrueckt, dass man sie schwerlich durch einen Grundsatz, aus der Wissenschaft des Rechts entlehnt, werde einrenken koennen. Daher stimme er, nach der Meinung des Kaemmerers, dafuer, das Mittel, das fuer solche Faelle eingesetzt sei, ins Spiel zu ziehen: einen Kriegshaufen, von hinreichender Groesse zusammenzuraffen, und den Rosshaendler, der in Luetzen aufgepflanzt sei, damit aufzuheben oder zu erdruecken. Der Kaemmerer, indem er fuer ihn und den Kurfuersten Stuehle von der Wand nahm, und auf eine verbindliche Weise ins Zimmer setzte, sagte: er freue sich, dass ein Mann von seiner Rechtschaffenheit und Einsicht mit ihm in dem Mittel, diese Sache zweideutiger Art beizulegen, uebereinstimme. Der Prinz, indem er den Stuhl, ohne sich zu setzen, in der Hand hielt, und ihn ansah, versicherte ihn: dass er gar nicht Ursache haette sich deshalb zu freuen, indem die damit verbundene Massregel notwendig die waere, einen Verhaftungsbefehl vorher gegen ihn zu erlassen, und wegen Missbrauchs des landesherrlichen Namens den Prozess zu machen. Denn wenn Notwendigkeit erfordere, den Schleier vor dem Thron der Gerechtigkeit niederzulassen, ueber eine Reihe von Freveltaten, die unabsehbar wie sie sich forterzeugt, vor den Schranken desselben zu erscheinen, nicht mehr Raum faenden, so gelte das nicht von der ersten, die sie veranlasst; und allererst seine Anklage auf Leben und Tod koenne den Staat zur Zermalmung des Rosshaendlers bevollmaechtigen, dessen Sache, wie bekannt, sehr gerecht sei, und dem man das Schwert, das er fuehre, selbst in die Hand gegeben. Der Kurfuerst, den der Junker bei diesen Worten betroffen ansah, wandte sich, indem er ueber das ganze Gesicht rot ward, und trat ans Fenster. Der Graf Kallheim, nach einer verlegenen Pause von allen Seiten, sagte, dass man auf diese Weise aus dem Zauberkreise, in dem man befangen, nicht herauskaeme. Mit demselben Rechte koenne seinem Neffen, dem Prinzen Friedrich, der Prozess gemacht werden; denn auch er haette, auf dem Streifzug sonderbarer Art, den er gegen den Kohlhaas unternommen, seine Instruktion auf mancherlei Weise ueberschritten: dergestalt, dass wenn man nach der weitlaeufigen Schar derjenigen frage, die die Verlegenheit, in welcher man sich befinde, veranlasst, er gleichfalls unter die Zahl derselben wuerde benannt, und von dem Landesherrn wegen dessen was bei Muehlberg vorgefallen, zur Rechenschaft gezogen werden muessen. Der Mundschenk, Herr Hinz von Tronka, waehrend der Kurfuerst mit ungewissen Blicken an seinen Tisch trat, nahm das Wort und sagte: er begriffe nicht, wie der Staatsbeschluss, der zu fassen sei, Maennern von solcher Weisheit, als hier versammelt waeren, entgehen koenne. Der Rosshaendler habe, seines Wissens, gegen bloss freies Geleit nach Dresden, und erneuerte Untersuchung seiner Sache, versprochen, den Haufen, mit dem er in das Land gefallen, auseinander gehen zu lassen. Daraus aber folge nicht, dass man ihm, wegen dieser frevelhaften Selbstrache, Amnestie erteilen muesse: zwei Rechtsbegriffe, die der Doktor Luther sowohl, als auch der Staatsrat zu verwechseln scheine. Wenn, fuhr er fort, indem er den Finger an die Nase legte, bei dem Tribunal zu Dresden, gleichviel wie, das Erkenntnis der Rappen wegen gefallen ist; so hindert nichts, den Kohlhaas auf den Grund seiner Mordbrennereien und Raeubereien einzustecken: eine staatskluge Wendung, die die Vorteile der Ansichten beider Staatsmaenner vereinigt, und des Beifalls der Welt und Nachwelt gewiss ist.--Der Kurfuerst, da der Prinz sowohl als der Grosskanzler dem Mundschenk, Herrn Hinz, auf diese Rede mit einem blossen Blick antworteten, und die Verhandlung mithin geschlossen schien, sagte: dass er die verschiedenen Meinungen, die sie ihm vorgetragen, bis zur naechsten Sitzung des Staatsrats bei sich selbst ueberlegen wuerde.--Es schien, die Praeliminar-Massregel, deren der Prinz gedacht, hatte seinem fuer Freundschaft sehr empfaenglichen Herzen die Lust benommen, den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu welchem schon alles vorbereitet war, auszufuehren Wenigstens behielt er den Grosskanzler, Grafen Wrede, dessen Meinung ihm die zweckmaessigste schien, bei sich zurueck; und da dieser ihm Briefe vorzeigte, aus welchen hervorging, dass der Rosshaendler in der Tat schon zu einer Staerke von vierhundert Mann herangewachsen sei; ja, bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kaemmerers im Lande herrschte, in kurzem auf eine doppelte und dreifache Staerke rechnen koenne: so entschloss sich der Kurfuerst, ohne weiteren Anstand, den Rat, den ihm der Doktor Luther erteilt, anzunehmen. Dem gemaess uebergab er dem Grafen Wrede die ganze Leitung der Kohlhaasischen Sache; und schon nach wenigen Tagen erschien ein Plakat, das wir, dem Hauptinhalt nach, folgendermassen mitteilen: "Wir etc, etc. Kurfuerst von Sachsen, erteilen, in besonders gnaediger Ruecksicht auf die an Uns ergangene Fuersprache des Doktors Martin Luther, dem Michael Kohlhaas, Rosshaendler aus dem Brandenburgischen, unter der Bedingung, binnen drei Tagen nach Sicht die Waffen, die er ergriffen, niederzulegen, behufs einer erneuerten Untersuchung seiner Sache, freies Geleit nach Dresden; dergestalt zwar, dass, wenn derselbe, wie nicht zu erwarten, bei dem Tribunal zu Dresden mit seiner Klage, der Rappen wegen, abgewiesen werden sollte, gegen ihn, seines eigenmaechtigen Unternehmens wegen, sich selbst Recht zu verschaffen, mit der ganzen Strenge des Gesetzes verfahren werden solle; im entgegengesetzten Fall aber, ihm mit seinem ganzen Haufen, Gnade fuer Recht bewilligt, und voellige Amnestie, seiner in Sachsen ausgeuebten Gewalttaetigkeiten wegen, zugestanden sein solle." Kohlhaas hatte nicht sobald, durch den Doktor Luther, ein Exemplar dieses in allen Plaetzen des Landes angeschlagenen Plakats erhalten, als er, so bedingungsweise auch die darin gefuehrte Sprache war, seinen ganzen Haufen schon, mit Geschenken, Danksagungen und zweckmaessigen Ermahnungen auseinander gehen liess. Er legte alles, was er an Geld, Waffen und Geraetschaften erbeutet haben mochte, bei den Gerichten zu Luetzen, als kurfuerstliches Eigentum, nieder; und nachdem er den Waldmann mit Briefen, wegen Wiederkaufs seiner Meierei, wenn es moeglich sei, an den Amtmann nach Kohlhaasenbrueck, und den Sternbald zur Abholung seiner Kinder, die er wieder bei sich zu haben wuenschte, nach Schwerin geschickt hatte, verliess er das Schloss zu Luetzen, und ging, unerkannt, mit dem Rest seines kleinen Vermoegens, das er in Papieren bei sich trug, nach Dresden. Der Tag brach eben an, und die ganze Stadt schlief noch, als er an die Tuer der kleinen, in der Pirnaischen Vorstadt gelegenen Besitzung, die ihm durch die Rechtschaffenheit des Amtmanns uebrig geblieben war, anklopfte, und Thomas, dem alten, die Wirtschaft fuehrenden Hausmann, der ihm mit Erstaunen und Bestuerzung aufmachte, sagte: er moechte dem Prinzen von Meissen auf dem Gubernium melden, dass er, Kohlhaas der Rosshaendler, da waere. Der Prinz von Meissen, der auf diese Meldung fuer zweckmaessig hielt, augenblicklich sich selbst von dem Verhaeltnis, in welchem man mit diesem Mann stand, zu unterrichten, fand, als er mit einem Gefolge von Rittern und Trossknechten bald darauf erschien, in den Strassen, die zu Kohlhaasens Wohnung fuehrten, schon eine unermessliche Menschenmenge versammelt. Die Nachricht, dass der Wuergengel da sei, der die Volksbedruecker mit Feuer und Schwert verfolgte, hatte ganz Dresden, Stadt und Vorstadt, auf die Beine gebracht; man musste die Haustuer vor dem Andrang des neugierigen Haufens verriegeln, und die Jungen kletterten an den Fenstern heran, um den Mordbrenner, der darin fruehstueckte, in Augenschein zu nehmen. Sobald der Prinz, mit Huelfe der ihm Platz machenden Wache, ins Haus gedrungen, und in Kohlhaasens Zimmer getreten war, fragte er diesen, welcher halb entkleidet an einem Tische stand: ob er Kohlhaas, der Rosshaendler, waere? worauf Kohlhaas, indem er eine Brieftasche mit mehreren ueber sein Verhaeltnis lautenden Papieren aus seinem Gurt nahm, und ihm ehrerbietig ueberreichte, antwortete: ja! und hinzusetzte: er finde sich nach Aufloesung seines Kriegshaufens, der ihm erteilten landesherrlichen Freiheit gemaess, in Dresden ein, um seine Klage, der Rappen wegen, gegen den Junker Wenzel von Tronka vor Gericht zu bringen. Der Prinz, nach einem fluechtigen Blick, womit er ihn von Kopf zu Fuss ueberschaute, durchlief die in der Brieftasche befindlichen Papiere; liess sich von ihm erklaeren, was es mit einem von dem Gericht zu Luetzen ausgestellten Schein, den er darin fand, ueber die zu Gunsten des kurfuerstlichen Schatzes gemachte Deposition fuer eine Bewandtnis habe; und nachdem er die Art des Mannes noch, durch Fragen mancherlei Gattung, nach seinen Kindern, seinem Vermoegen und der Lebensart die er kuenftig zu fuehren denke, geprueft, und ueberall so, dass man wohl seinetwegen ruhig sein konnte, befunden hatte, gab er ihm die Briefschaften wieder, und sagte: dass seinem Prozess nichts im Wege stuende, und dass er sich nur unmittelbar, um ihn einzuleiten, an den Grosskanzler des Tribunals, Grafen Wrede, selbst wenden moechte. Inzwischen, sagte der Prinz, nach einer Pause, indem er ans Fenster trat, und mit grossen Augen das Volk, das vor dem Hause versammelt war, ueberschaute: du wirst auf die ersten Tage eine Wache annehmen muessen, die dich, in deinem Hause sowohl, als wenn du ausgehst, schuetze!--Kohlhaas sah betroffen vor sich nieder, und schwieg. Der Prinz sagte: "gleichviel!" indem er das Fenster wieder verliess. "Was daraus entsteht, du hast es dir selbst beizumessen"; und damit wandte er sich wieder nach der Tuer, in der Absicht, das Haus zu verlassen. Kohlhaas, der sich besonnen hatte, sprach: Gnaedigster Herr! tut, was Ihr wollt! Gebt mir Euer Wort, die Wache, sobald ich es wuensche, wieder aufzuheben: so habe ich gegen diese Massregel nichts einzuwenden! Der Prinz erwiderte: das beduerfe der Rede nicht; und nachdem er drei Landsknechten, die man ihm zu diesem Zweck vorstellte, bedeutet hatte: dass der Mann, in dessen Hause sie zurueckblieben, frei waere, und dass sie ihm bloss zu seinem Schutz, wenn er ausginge, folgen sollten, gruesste er den Rosshaendler mit einer herablassenden Bewegung der Hand, und entfernte sich. Gegen Mittag begab sich Kohlhaas, von seinen drei Landsknechten begleitet, unter dem Gefolge einer unabsehbaren Menge, die ihm aber auf keine Weise, weil sie durch die Polizei gewarnt war, etwas zu Leide tat, zu dem Grosskanzler des Tribunals, Grafen Wrede. Der Grosskanzler, der ihn mit Milde und Freundlichkeit in seinem Vorgemach empfing, unterhielt sich waehrend zwei ganzer Stunden mit ihm, und nachdem er sich den ganzen Verlauf der Sache, von Anfang bis zu Ende, hatte erzaehlen lassen, wies er ihn, zur unmittelbaren Abfassung und Einreichung der Klage, an einen, bei dem Gericht angestellten, beruehmten Advokaten der Stadt. Kohlhaas, ohne weiteren Verzug, verfuegte sich in dessen Wohnung; und nachdem die Klage, ganz der ersten niedergeschlagenen gemaess, auf Bestrafung des Junkers nach den Gesetzen, Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand, und Ersatz seines Schadens sowohl, als auch dessen, den sein bei Muehlberg gefallener Knecht Herse erlitten hatte, zu Gunsten der alten Mutter desselben, aufgesetzt war, begab er sich wieder, unter Begleitung des ihn immer noch angaffenden Volks, nach Hause zurueck, wohl entschlossen, es anders nicht, als nur wenn notwendige Geschaefte ihn riefen, zu verlassen. Inzwischen war auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen, und nach Herstellung von einer gefaehrlichen Rose, die seinen Fuss entzuendet hatte, von dem Landesgericht unter peremtorischen Bedingungen aufgefordert worden, sich zur Verantwortung auf die von dem Rosshaendler Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage, wegen widerrechtlich abgenommener und zu Grunde gerichteter Rappen, in Dresden zu stellen. Die Gebrueder Kaemmerer und Mundschenk von Tronka, Lehnsvettern des Junkers, in deren Hause er abtrat, empfingen ihn mit der groessesten Erbitterung und Verachtung; sie nannten ihn einen Elenden und Nichtswuerdigen, der Schande und Schmach ueber die ganze Familie bringe, kuendigten ihm an, dass er seinen Prozess nunmehr unfehlbar verlieren wuerde, und forderten ihn auf, nur gleich zur Herbeischaffung der Rappen, zu deren Dickfuetterung er, zum Hohngelaechter der Welt, verdammt werden werde, Anstalt zu machen. Der Junker sagte, mit schwacher, zitternder Stimme: er sei der bejammernswuerdigste Mensch von der Welt. Er verschwor sich, dass er von dem ganzen verwuenschten Handel, der ihn ins Unglueck stuerze, nur wenig gewusst, und dass der Schlossvogt und der Verwalter an allem schuld waeren, indem sie die Pferde, ohne sein entferntestes Wissen und Wollen, bei der Ernte gebraucht, und durch unmaessige Anstrengungen, zum Teil auf ihren eigenen Feldern, zu Grunde gerichtet haetten. Er setzte sich, indem er dies sagte, und bat ihn nicht durch Kraenkungen und Beleidigungen in das Uebel, von dem er nur soeben erst erstanden sei, mutwillig zurueckzustuerzen. Am andern Tage schrieben die Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeaescherten Tronkenburg Gueter besassen, auf Ansuchen des Junkers, ihres Vetters, weil doch nichts anders uebrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Paechter, um Nachricht ueber die an jenem ungluecklichen Tage abhanden gekommenen und seitdem gaenzlich verschollenen Rappen einzuziehn. Aber alles, was sie bei der gaenzlichen Verwuestung des Platzes, und der Niedermetzelung fast aller Einwohner, erfahren konnten, war, dass ein Knecht sie, von den flachen Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in welchem sie standen, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo er sie hinfuehren, und was er damit anfangen solle, von dem grimmigen Wueterich einen Fusstritt zur Antwort erhalten habe. Die alte, von der Gicht geplagte Haushaelterin des Junkers, die sich nach Meissen gefluechtet hatte, versicherte demselben, auf eine schriftliche Anfrage, dass der Knecht sich, am Morgen jener entsetzlichen Nacht, mit den Pferden nach der brandenburgischen Grenze gewandt habe; doch alle Nachfragen, die man daselbst anstellte, waren vergeblich, und es schien dieser Nachricht ein Irrtum zum Grunde zu liegen, indem der Junker keinen Knecht hatte, der im Brandenburgischen, oder auch nur auf der Strasse dorthin, zu Hause war. Maenner aus Dresden, die wenige Tage nach dem Brande der Tronkenburg in Wilsdruf gewesen waren, sagten aus, dass um die benannte Zeit ein Knecht mit zwei an der Halfter gehenden Pferden dort angekommen, und die Tiere, weil sie sehr elend gewesen waeren, und nicht weiter fort gekonnt haetten, im Kuhstall eines Schaefers, der sie wieder haette aufbringen wollen, stehen gelassen haette. Es schien mancherlei Gruende wegen sehr wahrscheinlich, dass dies die in Untersuchung stehenden Rappen waren; aber der Schaefer aus Wilsdruf hatte sie, wie Leute, die dorther kamen, versicherten, schon wieder, man wusste nicht an wen, verhandelt; und ein drittes Geruecht, dessen Urheber unentdeckt blieb, sagte gar aus, dass die Pferde bereits in Gott verschieden, und in der Knochengrube zu Wilsdruf begraben waeren. Die Herren Hinz und Kunz, denen diese Wendung der Dinge, wie man leicht begreift, die erwuenschteste war, indem sie dadurch, bei des Junkers ihres Vetters Ermangelung eigener Staelle, der Notwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufuettern, ueberhoben waren, wuenschten gleichwohl, voelliger Sicherheit wegen, diesen Umstand zu bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erliess demnach, als Erb-, Lehns- und Gerichtsherr, ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruf, worin er dieselben, nach einer weitlaeufigen Beschreibung der Rappen, die, wie er sagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen waeren, dienstfreundlichst ersuchte, den dermaligen Aufenthalt derselben zu erforschen, und den Eigner, wer er auch sei, aufzufordern und anzuhalten, sie, gegen reichliche Wiedererstattung aller Kosten, in den Staellen des Kaemmerers, Herrn Kunz, zu Dresden abzuliefern. Dem gemaess erschien auch wirklich, wenige Tage darauf, der Mann an den sie der Schaefer aus Wilsdruf verhandelt hatte, und fuehrte sie, duerr und wankend, an die Runge seines Karrens gebunden, auf den Markt der Stadt; das Unglueck aber Herrn Wenzels, und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, dass es der Abdecker aus Doebbeln war. Sobald Herr Wenzel, in Gegenwart des Kaemmerers, seines Vetters, durch ein unbestimmtes Geruecht vernommen hatte, dass ein Mann mit zwei schwarzen aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der Stadt angelangt sei, begaben sich beide, in Begleitung einiger aus dem Hause zusammengerafften Knechte, auf den Schlossplatz, wo er stand, um sie demselben, falls es die dem Kohlhaas zugehoerigen waeren, gegen Erstattung der Kosten abzunehmen, und nach Hause zu fuehren. Aber wie betreten waren die Ritter, als sie bereits einen, von Augenblick zu Augenblick sich vergroessernden Haufen von Menschen, den das Schauspiel herbeigezogen, um den zweiraedrigen Karren, an dem die Tiere befestigt waren, erblickten; unter unendlichem Gelaechter einander zurufend, dass die Pferde schon, um derenthalben der Staat wanke, an den Schinder gekommen waeren! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war, und die jaemmerlichen Tiere, die alle Augenblicke sterben zu wollen schienen, betrachtet hatte, sagte verlegen: das waeren die Pferde nicht, die er dem Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der Kaemmerer, einen Blick sprachlosen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eisen gewesen waere, ihn zerschmettert haette, trat, indem er seinen Mantel, Orden und Kette entbloessend, zurueckschlug, zu dem Abdecker heran, und fragte ihn: ob das die Rappen waeren, die der Schaefer von Wilsdruf an sich gebracht, und der Junker Wenzel von Tronka, dem sie gehoerten, bei den Gerichten daselbst requiriert haette? Der Abdecker, der, einen Eimer Wasser in der Hand, beschaeftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul, der seinen Karren zog, zu traenken, sagte: "die schwarzen?"--Er streifte dem Gaul, nachdem er den Eimer niedergesetzt, das Gebiss aus dem Maul, und sagte: "die Rappen, die an die Runge gebunden waeren, haette ihm der Schweinehirte von Hainichen verkauft. Wo der sie her haette, und ob sie von dem Wilsdrufer Schaefer kaemen, das wisse er nicht. Ihm haette", sprach er, waehrend er den Eimer wieder aufnahm, und zwischen Deichsel und Knie anstemmte: "ihm haette der Gerichtsbote aus Wilsdruf gesagt, dass er sie nach Dresden in das Haus derer von Tronka bringen solle; aber der Junker, an den er gewiesen sei, heisse Kunz." Bei diesen Worten wandte er sich mit dem Rest des Wassers, den der Gaul im Eimer uebrig gelassen hatte, und schuettete ihn auf das Pflaster der Strasse aus. Der Kaemmerer, der, von den Blicken der hohnlachenden Menge umstellt, den Kerl, der mit empfindungslosem Eifer seine Geschaefte betrieb, nicht bewegen konnte, dass er ihn ansah, sagte: dass er der Kaemmerer, Kunz von Tronka, waere; die Rappen aber, die er an sich bringen solle, muessten dem Junker, seinem Vetter, gehoeren; von einem Knecht, der bei Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an den Schaefer zu Wilsdruf gekommen, und urspruenglich zwei dem Rosshaendler Kohlhaas zugehoerige Pferde sein! Er fragte den Kerl, der mit gespreizten Beinen dastand, und sich die Hosen in die Hoehe zog: ob er davon nichts wisse? Und ob sie der Schweinehirte von Hainichen nicht vielleicht, auf welchen Umstand alles ankomme, von dem Wilsdrufer Schaefer, oder von einem Dritten, der sie seinerseits von demselben gekauft, erstanden haette?--Der Abdecker, der sich an den Wagen gestellt und sein Wasser abgeschlagen hatte, sagte: "er waere mit den Rappen nach Dresden bestellt, um in dem Hause derer von Tronka sein Geld dafuer zu empfangen. Was er da vorbraechte, verstaende er nicht; und ob sie, vor dem Schweinehirten aus Hainichen, Peter oder Paul besessen haette, oder der Schaefer aus Wilsdruf, gelte ihm, da sie nicht gestohlen waeren, gleich." Und damit ging er, die Peitsche quer ueber seinen breiten Ruecken, nach einer Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Absicht, hungrig wie er war, ein Fruehstueck einzunehmen. Der Kaemmerer, der auf der Welt Gottes nicht wusste, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den Schinder in Doebbeln verkauft, machen solle, falls es nicht diejenigen waeren, auf welchen der Teufel durch Sachsen ritt, forderte den Junker auf, ein Wort zu sprechen; doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte: das Ratsamste waere, dass man die Rappen kaufe, sie moechten dem Kohlhaas gehoeren oder nicht: so trat der Kaemmerer, Vater und Mutter, die ihn geboren, verfluchend, indem er sich den Mantel zurueckschlug, gaenzlich unwissend, was er zu tun oder zu lassen habe, aus dem Haufen des Volks zurueck. Er rief den Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der ueber die Strasse ritt, zu sich heran, und trotzig, den Platz nicht zu verlassen, eben weil das Gesindel hoehnisch auf ihn einblickte, und, mit vor dem Mund zusammengedrueckten Schnupftuechern, nur auf seine Entfernung zu warten schien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Grosskanzler, Grafen Wrede, abzusteigen, und durch dessen Vermittelung den Kohlhaas zur Besichtigung der Rappen herbeizuschaffen. Es traf sich, dass Kohlhaas eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des Grosskanzlers, gewisser, die Deposition in Luetzen betreffenden Erlaeuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwaertig war, als der Freiherr, in der eben erwaehnten Absicht, zu ihm ins Zimmer trat; und waehrend der Grosskanzler sich mit einem verdriesslichen Gesicht vom Sessel erhob, und den Rosshaendler, dessen Person jenem unbekannt war, mit den Papieren, die er in der Hand hielt, zur Seite stehen liess, stellte der Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher sich die Herren von Tronka befanden, vor. Der Abdecker von Doebbeln sei, auf mangelhafte Requisition der Wilsdrufer Gerichte, mit Pferden erschienen, deren Zustand so heillos beschaffen waere, dass der Junker Wenzel anstehen muesse, sie fuer die dem Kohlhaas gehoerigen anzuerkennen; dergestalt, dass, falls man sie gleichwohl dem Abdecker abnehmen solle, um in den Staellen der Ritter, zu ihrer Wiederherstellung, einen Versuch zu machen, vorher eine Okular-Inspektion des Kohlhaas, um den besagten Umstand ausser Zweifel zu setzen, notwendig sei. "Habt demnach die Guete, schloss er, den Rosshaendler durch eine Wache aus seinem Hause abholen und auf den Markt, wo die Pferde stehen, hinfuehren zu lassen." Der Grosskanzler, indem er sich eine Brille von der Nase nahm, sagte: dass er in einem doppelten Irrtum stuende; einmal, wenn er glaube, dass der in Rede stehende Umstand anders nicht, als durch eine Okular-Inspektion des Kohlhaas auszumitteln sei; und dann, wenn er sich einbilde, er, der Kanzler, sei befugt, den Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abfuehren zu lassen. Dabei stellte er ihm den Rosshaendler, der hinter ihm stand, vor, und bat ihn, indem er sich niederliess und seine Brille wieder aufsetzte, sich in dieser Sache an ihn selbst zu wenden.--Kohlhaas, der mit keiner Miene, was in seiner Seele vorging, zu erkennen gab, sagte: dass er bereit waere, ihm zur Besichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. Er trat, waehrend der Freiherr sich betroffen zu ihm umkehrte, wieder an den Tisch des Grosskanzlers heran, und nachdem er demselben noch, aus den Papieren seiner Brieftasche, mehrere, die Deposition in Luetzen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er sich von ihm; der Freiherr, der, ueber das ganze Gesicht rot, ans Fenster getreten war, empfahl sich ihm gleichfalls; und beide gingen, begleitet von den drei durch den Prinzen von Meissen eingesetzten Landsknechten, unter dem Tross einer Menge von Menschen, nach dem Schlossplatz hin. Der Kaemmerer, Herr Kunz, der inzwischen den Vorstellungen mehrerer Freunde, die sich um ihn eingefunden hatten, zum Trotz, seinen Platz, dem Abdecker von Doebbeln gegenueber, unter dem Volke behauptet hatte, trat, sobald der Freiherr mit dem Rosshaendler erschien, an den letzteren heran, und fragte ihn, indem er sein Schwert, mit Stolz und Ansehen, unter dem Arm hielt: ob die Pferde, die hinter dem Wagen stuenden, die seinigen waeren? Der Rosshaendler, nachdem er, mit einer bescheidenen Wendung gegen den die Frage an ihn richtenden Herrn, den er nicht kannte, den Hut gerueckt hatte, trat, ohne ihm zu antworten, im Gefolge saemtlicher Ritter, an den Schinderkarren heran; und die Tiere, die, auf wankenden Beinen, die Haeupter zur Erde gebeugt, dastanden, und von dem Heu, das ihnen der Abdecker vorgelegt hatte, nicht frassen, fluechtig, aus einer Ferne von zwoelf Schritt, in welcher er stehen blieb, betrachtet: gnaedigster Herr! wandte er sich wieder zu dem Kaemmerer zurueck, der Abdecker hat ganz recht; die Pferde, die an seinen Karren gebunden sind, gehoeren mir! Und damit, indem er sich in dem ganzen Kreise der Herren umsah, rueckte er den Hut noch einmal, und begab sich, von seiner Wache begleitet, wieder von dem Platz hinweg. Bei diesen Worten trat der Kaemmerer, mit einem raschen, seinen Helmbusch erschuetternden Schritt zu dem Abdecker heran, und warf ihm einen Beutel mit Geld zu; und waehrend dieser sich, den Beutel in der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare ueber die Stirn zurueckkaemmte, und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die Pferde abzuloesen und nach Hause zu fuehren! Der Knecht, der auf den Ruf des Herrn, einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem Volke besass, verlassen hatte, trat auch, in der Tat, ein wenig rot im Gesicht, ueber eine grosse Mistpfuetze, die sich zu ihren Fuessen gebildet hatte, zu den Pferden heran; doch kaum hatte er ihre Halftern erfasst, um sie loszubinden, als ihn Meister Himboldt, sein Vetter, schon beim Arm ergriff, und mit den Worten: du ruehrst die Schindmaehren nicht an! von dem Karren hinwegschleuderte. Er setzte, indem er sich mit ungewissen Schritten ueber die Mistpfuetze wieder zu dem Kaemmerer, der ueber diesen Vorfall sprachlos dastand, zurueck wandte, hinzu: dass er sich einen Schinderknecht anschaffen muesse, um ihm einen solchen Dienst zu leisten! Der Kaemmerer, der, vor Wut schaeumend, den Meister auf einen Augenblick betrachtet hatte, kehrte sich um, und rief ueber die Haeupter der Ritter, die ihn umringten, hinweg, nach der Wache; und sobald, auf die Bestellung des Freiherrn von Wenk, ein Offizier mit einigen kurfuerstlichen Trabanten, aus dem Schloss erschienen war, forderte er denselben unter einer kurzen Darstellung der schaendlichen Aufhetzerei, die sich die Buerger der Stadt erlaubten, auf, den Raedelsfuehrer, Meister Himboldt, in Verhaft zu nehmen. Er verklagte den Meister, indem er ihn bei der Brust fasste: dass er seinen, die Rappen auf seinen Befehl losbindenden Knecht von dem Karren hinwegeschleudert und misshandelt haette. Der Meister, indem er den Kaemmerer mit einer geschickten Wendung, die ihn befreiete, zurueckwies, sagte: gnaedigster Herr! einem Burschen von zwanzig Jahren bedeuten, was er zu tun hat, heisst nicht, ihn verhetzen! Befragt ihn, ob er sich gegen Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, die an die Karre gebunden sind, befassen will; will er es, nach dem, was ich gesagt, tun: sei's! Meinethalb mag er sie jetzt abludern und haeuten! Bei diesen Worten wandte sich der Kaemmerer zu dem Knecht herum, und fragte ihn: ob er irgend Anstand naehme, seinen Befehl zu erfuellen, und die Pferde, die dem Kohlhaas gehoerten, loszubinden, und nach Hause zu fuehren? und da dieser schuechtern, indem er sich unter die Buerger mischte, erwiderte: die Pferde muessten erst ehrlich gemacht werden, bevor man ihm das zumute; so folgte ihm der Kaemmerer von hinten, riss ihm den Hut ab, der mit seinem Hauszeichen geschmueckt war, zog, nachdem er den Hut mit Fuessen getreten, von Leder, und jagte den Knecht mit wuetenden Hieben der Klinge augenblicklich vom Platz weg und aus seinen Diensten. Meister Himboldt rief: schmeisst den Mordwueterich doch gleich zu Boden! und waehrend die Buerger, von diesem Auftritt empoert, zusammentraten, und die Wache hinwegdraengten, warf er den Kaemmerer von hinten nieder, riss ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihm das Schwert aus der Hand, und schleuderte es, in einem grimmigen Wurf, weit ueber den Platz hinweg. Vergebens rief der Junker Wenzel, indem er sich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu, seinem Vetter beizuspringen; ehe sie noch einen Schritt dazu getan hatten, waren sie schon von dem Andrang des Volks zerstreut, dergestalt, dass der Kaemmerer, der sich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wut der Menge preis gegeben war. Nichts, als die Erscheinung eines Trupps berittener Landsknechte, die zufaellig ueber den Platz zogen, und die der Offizier der kurfuerstlichen Trabanten zu seiner Unterstuetzung herbeirief, konnte den Kaemmerer retten. Der Offizier, nachdem er den Haufen verjagt, ergriff den wuetenden Meister, und waehrend derselbe durch einige Reuter nach dem Gefaengnis gebracht ward, hoben zwei Freunde den ungluecklichen mit Blut bedeckten Kaemmerer vom Boden auf, und fuehrten ihn nach Hause. Einen so heillosen Ausgang nahm der wohlgemeinte und redliche Versuch, dem Rosshaendler wegen des Unrechts, das man ihm zugefuegt, Genugtuung zu verschaffen. Der Abdecker von Doebbeln, dessen Geschaeft abgemacht war, und der sich nicht laenger aufhalten wollte, band, da sich das Volk zu zerstreuen anfing, die Pferde an einen Laternenpfahl, wo sie, den ganzen Tag ueber, ohne dass sich jemand um sie bekuemmerte, ein Spott der Strassenjungen und Tagediebe, stehen blieben; dergestalt, dass in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei sich ihrer annehmen musste, und gegen Einbruch der Nacht den Abdecker von Dresden herbeirief, um sie, bis auf weitere Verfuegung, auf der Schinderei vor der Stadt zu besorgen. Dieser Vorfall, so wenig der Rosshaendler ihn in der Tat verschuldet hatte, erweckte gleichwohl, auch bei den Gemaessigtern und Besseren, eine, dem Ausgang seiner Streitsache hoechst gefaehrliche Stimmung im Lande. Man fand das Verhaeltnis desselben zum Staat ganz unertraeglich, und in Privathaeusern und auf oeffentlichen Plaetzen, erhob sich die Meinung, dass es besser sei, ein offenbares Unrecht an ihm zu verueben, und die ganze Sache von neuem niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Gewalttaten ertrotzt, in einer so nichtigen Sache, zur blossen Befriedigung seines rasenden Starrsinns, zukommen zu lassen. Zum voelligen Verderben des armen Kohlhaas musste der Grosskanzler selbst, aus uebergrosser Rechtlichkeit, und einem davon herruehrenden Hass gegen die Familie von Tronka, beitragen, diese Stimmung zu befestigen und zu verbreiten. Es war hoechst unwahrscheinlich, dass die Pferde, die der Abdecker von Dresden jetzt besorgte, jemals wieder in den Stand, wie sie aus dem Stall zu Kohlhaasenbrueck gekommen waren, hergestellt werden wuerden; doch gesetzt, dass es durch Kunst und anhaltende Pflege moeglich gewesen waere: die Schmach, die zufolge der bestehenden Umstaende, dadurch auf die Familie des Junkers fiel, war so gross, dass bei dem staatsbuergerlichen Gewicht, den sie, als eine der ersten und edelsten, im Lande hatte, nichts billiger und zweckmaessiger schien, als eine Verguetigung der Pferde in Geld einzuleiten. Gleichwohl, auf einen Brief, in welchem der Praesident, Graf Kallheim, im Namen des Kaemmerers, den seine Krankheit abhielt, dem Grosskanzler, einige Tage darauf, diesen Vorschlag machte, erliess derselbe zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, worin er ihn ermahnte, einen solchen Antrag, wenn er an ihn ergehen sollte, nicht von der Hand zu weisen; den Praesidenten selbst aber bat er, in einer kurzen, wenig verbindlichen Antwort, ihn mit Privatauftraegen in dieser Sache zu verschonen, und forderte den Kaemmerer auf, sich an den Rosshaendler selbst zu wenden, den er ihm als einen sehr billigen und bescheidenen Mann schilderte. Der Rosshaendler, dessen Wille, durch den Vorfall, der sich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochen war, wartete auch nur, dem Rat des Grosskanzlers gemaess, auf eine Eroeffnung von Seiten des Junkers, oder seiner Angehoerigen, um ihnen mit voelliger Bereitwilligkeit und Vergebung alles Geschehenen, entgegenzukommen; doch eben diese Eroeffnung war den stolzen Rittern zu tun empfindlich; und schwer erbittert ueber die Antwort, die sie von dem Grosskanzler empfangen hatten, zeigten sie dieselbe dem Kurfuersten, der, am Morgen des naechstfolgenden Tages, den Kaemmerer krank, wie er an seinen Wunden daniederlag, in seinem Zimmer besucht hatte. Der Kaemmerer, mit einer, durch seinen Zustand, schwachen und ruehrenden Stimme, fragte ihn, ob er, nachdem er sein Leben daran gesetzt, um diese Sache, seinen Wuenschen gemaess, beizulegen, auch noch seine Ehre dem Tadel der Welt aussetzen, und mit einer Bitte um Vergleich und Nachgiebigkeit, vor einem Manne erscheinen solle, der alle nur erdenkliche Schmach und Schande ueber ihn und seine Familie gebracht habe. Der Kurfuerst, nachdem er den Brief gelesen hatte, fragte den Grafen Kallheim verlegen: ob das Tribunal nicht befugt sei, ohne weitere Ruecksprache mit dem Kohlhaas, auf den Umstand, dass die Pferde nicht wieder herzustellen waeren, zu fussen, und dem gemaess das Urteil, gleich, als ob sie tot waeren, auf blosse Verguetigung derselben in Geld abzufassen? Der Graf antwortete: "gnaedigster Herr, sie sind tot: sind in staatsrechtlicher Bedeutung tot, weil sie keinen Wert haben, und werden es physisch sein, bevor man sie, aus der Abdeckerei, in die Staelle der Ritter gebracht hat"; worauf der Kurfuerst, indem er den Brief einsteckte, sagte, dass er mit dem Grosskanzler selbst darueber sprechen wolle, den Kaemmerer, der sich halb aufrichtete und seine Hand dankbar ergriff, beruhigte, und nachdem er ihm noch empfohlen hatte, fuer seine Gesundheit Sorge zu tragen, mit vieler Huld sich von seinem Sessel erhob, und das Zimmer verliess. So standen die Sachen in Dresden, als sich ueber den armen Kohlhaas, noch ein anderes, bedeutenderes Gewitter, von Luetzen her, zusammenzog, dessen Strahl die arglistigen Ritter geschickt genug waren, auf das unglueckliche Haupt desselben herabzuleiten. Johann Nagelschmidt naemlich, einer von den durch den Rosshaendler zusammengebrachten, und nach Erscheinung der kurfuerstlichen Amnestie wieder abgedankten Knechten, hatte fuer gut befunden, wenige Wochen nachher, an der boehmischen Grenze, einen Teil dieses zu allen Schandtaten aufgelegten Gesindels von neuem zusammenzuraffen, und das Gewerbe, auf dessen Spur ihn Kohlhaas gefuehrt hatte, auf seine eigne Hand fortzusetzen. Dieser nichtsnutzige Kerl nannte sich, teils um den Haeschern von denen er verfolgt ward, Furcht einzufloessen, teils um das Landvolk, auf die gewohnte Weise, zur Teilnahme an seinen Spitzbuebereien zu verleiten, einen Statthalter des Kohlhaas; sprengte mit einer seinem Herrn abgelernten Klugheit aus, dass die Amnestie an mehreren, in ihre Heimat ruhig zurueckgekehrten Knechten nicht gehalten, ja der Kohlhaas selbst, mit himmelschreiender Wortbruechigkeit, bei seiner Ankunft in Dresden eingesteckt, und einer Wache uebergeben worden sei; dergestalt, dass in Plakaten, die den Kohlhaasischen ganz aehnlich waren, sein Mordbrennerhaufen als ein zur blossen Ehre Gottes aufgestandener Kriegshaufen erschien, bestimmt, ueber die Befolgung der ihnen von dem Kurfuersten angelobten Amnestie zu wachen; alles, wie schon gesagt, keineswegs zur Ehre Gottes, noch aus Anhaenglichkeit an den Kohlhaas, dessen Schicksal ihnen voellig gleichgueltig war, sondern um unter dem Schutz solcher Vorspiegelungen desto ungestrafter und bequemer zu sengen und zu pluendern. Die Ritter, sobald die ersten Nachrichten davon nach Dresden kamen, konnten ihre Freude ueber diesen, dem ganzen Handel eine andere Gestalt gebenden Vorfall nicht unterdruecken. Sie erinnerten mit weisen und missvergnuegten Seitenblicken an den Missgriff, den man begangen, indem man dem Kohlhaas, ihren dringenden und wiederholten Warnungen zum Trotz, Amnestie erteilt, gleichsam als haette man die Absicht gehabt Boesewichtern aller Art dadurch, zur Nachfolge auf seinem Wege, das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem Vorgeben des Nagelschmidt, zur blossen Aufrechthaltung und Sicherheit seines unterdrueckten Herrn die Waffen ergriffen zu haben, Glauben zu schenken, aeusserten sie sogar die bestimmte Meinung, dass die ganze Erscheinung desselben nichts, als ein von dem Kohlhaas angezetteltes Unternehmen sei, um die Regierung in Furcht zu setzen, und den Fall des Rechtsspruchs, Punkt vor Punkt, seinem rasenden Eigensinn gemaess, durchzusetzen und zu beschleunigen. Ja, der Mundschenk, Herr Hinz, ging so weit, einigen Jagdjunkern und Hofherren, die sich nach der Tafel im Vorzimmer des Kurfuersten um ihn versammelt hatten, die Aufloesung des Raeuberhaufens in Luetzen als eine verwuenschte Spiegelfechterei darzustellen; und indem er sich ueber die Gerechtigkeitsliebe des Grosskanzlers sehr lustig machte, erwies er aus mehreren witzig zusammengestellten Umstaenden, dass der Haufen, nach wie vor, noch in den Waeldern des Kurfuerstentums vorhanden sei, und nur auf den Wink des Rosshaendlers warte, um daraus von neuem mit Feuer und Schwert hervorzubrechen. Der Prinz Christiern von Meissen, ueber diese Wendung der Dinge, die seines Herrn Ruhm auf die empfindlichste Weise zu beflecken drohete, sehr missvergnuegt, begab sich sogleich zu demselben aufs Schloss; und das Interesse der Ritter, den Kohlhaas, wenn es moeglich waere, auf den Grund neuer Vergehungen zu stuerzen, wohl durchschauend, bat er sich von demselben die Erlaubnis aus, unverzueglich ein Verhoer ueber den Rosshaendler anstellen zu duerfen. Der Rosshaendler, nicht ohne Befremden, durch einen Haescher in das Gubernium abgefuehrt, erschien, den Heinrich und Leopold, seine beiden kleinen Knaben auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags zuvor mit seinen fuenf Kindern aus dem Mecklenburgischen, wo sie sich aufgehalten hatten, bei ihm angekommen, und Gedanken mancherlei Art, die zu entwickeln zu weitlaeufig sind, bestimmten ihn, die Jungen, die ihn bei seiner Entfernung unter dem Erguss kindischer Traenen darum baten, aufzuheben, und in das Verhoer mitzunehmen. Der Prinz, nachdem er die Kinder, die Kohlhaas neben sich niedergesetzt hatte, wohlgefaellig betrachtet und auf eine freundliche Weise nach ihrem Alter und Namen gefragt hatte, eroeffnete ihm, was der Nagelschmidt, sein ehemaliger Knecht, sich in den Taelern des Erzgebirges fuer Freiheiten herausnehme; und indem er ihm die sogenannten Mandate desselben ueberreichte, forderte er ihn auf, dagegen vorzubringen, was er zu seiner Rechtfertigung vorzubringen wuesste. Der Rosshaendler, so schwer er auch in der Tat ueber diese schaendlichen und verraeterischen Papiere erschrak, hatte gleichwohl, einem so rechtschaffenen Manne, als der Prinz war, gegenueber, wenig Muehe, die Grundlosigkeit der gegen ihn auf die Bahn gebrachten Beschuldigungen, befriedigend auseinander zu legen. Nicht nur, dass zufolge seiner Bemerkung er, so wie die Sachen standen, ueberhaupt noch zur Entscheidung seines, im besten Fortgang begriffenen Rechtsstreits, keiner Huelfe von Seiten eines Dritten beduerfte: aus einigen Briefschaften, die er bei sich trug, und die er dem Prinzen vorzeigte, ging sogar eine Unwahrscheinlichkeit ganz eigner Art hervor, dass das Herz des Nagelschmidts gestimmt sein sollte, ihm dergleichen Huelfe zu leisten, indem er den Kerl, wegen auf dem platten Lande veruebter Notzucht und anderer Schelmereien, kurz vor Aufloesung des Haufens in Luetzen hatte haengen lassen wollen; dergestalt, dass nur die Erscheinung der kurfuerstlichen Amnestie, indem sie das ganze Verhaeltnis aufhob, ihn gerettet hatte, und beide Tags darauf, als Todfeinde auseinander gegangen waren. Kohlhaas, auf seinen von dem Prinzen angenommenen Vorschlag, setzte sich nieder, und erliess ein Sendschreiben an den Nagelschmidt, worin er das Vorgeben desselben zur Aufrechthaltung der an ihm und seinen Haufen gebrochenen Amnestie aufgestanden zu sein, fuer eine schaendliche und ruchlose Erfindung erklaerte; ihm sagte, dass er bei seiner Ankunft in Dresden weder eingesteckt, noch einer Wache uebergeben, auch seine Rechtssache ganz so, wie er es wuensche, im Fortgang sei; und ihn wegen der, nach Publikation der Amnestie im Erzgebirge ausgeuebten Mordbrennereien, zur Warnung des um ihn versammelten Gesindels, der ganzen Rache der Gesetze preis gab. Dabei wurden einige Fragmente der Kriminalverhandlung, die der Rosshaendler auf dem Schlosse zu Luetzen, in Bezug auf die oben erwaehnten Schaendlichkeiten, ueber ihn hatte anstellen lassen, zur Belehrung des Volks ueber diesen nichtsnutzigen, schon damals dem Galgen bestimmten, und, wie schon erwaehnt, nur durch das Patent das der Kurfuerst erliess, geretteten Kerl, angehaengt. Dem gemaess beruhigte der Prinz den Kohlhaas ueber den Verdacht, den man ihm, durch die Umstaende notgedrungen, in diesem Verhoer habe aeussern muessen; versicherte ihn, dass so lange er in Dresden waere, die ihm erteilte Amnestie auf keine Weise gebrochen werden solle; reichte den Knaben noch einmal, indem er sie mit Obst, das auf seinem Tische stand, beschenkte, die Hand, gruesste den Kohlhaas und entliess ihn. Der Grosskanzler, der gleichwohl die Gefahr, die ueber den Rosshaendler schwebte, erkannte, tat sein Aeusserstes, um die Sache desselben, bevor sie durch neue Ereignisse verwickelt und verworren wuerde, zu Ende zu bringen; das aber wuenschten und bezweckten die staatsklugen Ritter eben, und statt, wie zuvor, mit stillschweigendem Eingestaendnis der Schuld, ihren Widerstand auf ein bloss gemildertes Rechtserkenntnis einzuschraenken, fingen sie jetzt an, in Wendungen arglistiger und rabulistischer Art, diese Schuld selbst gaenzlich zu leugnen. Bald gaben sie vor, dass die Rappen des Kohlhaas, in Folge eines bloss eigenmaechtigen Verfahrens des Schlossvogts und Verwalters, von welchem der Junker nichts oder nur Unvollstaendiges gewusst, auf der Tronkenburg zurueckgehalten worden seien; bald versicherten sie, dass die Tiere schon, bei ihrer Ankunft daselbst, an einem heftigen und gefaehrlichen Husten krank gewesen waeren, und beriefen sich deshalb auf Zeugen, die sie herbeizuschaffen sich anheischig machten; und als sie mit diesen Argumenten, nach weitlaeufigen Untersuchungen und Auseinandersetzungen, aus dem Felde geschlagen waren, brachten sie gar ein kurfuerstliches Edikt bei, worin, vor einem Zeitraum von zwoelf Jahren, einer Viehseuche wegen, die Einfuehrung der Pferde aus dem Brandenburgischen ins Saechsische, in der Tat verboten worden war: zum sonnenklaren Beleg nicht nur der Befugnis, sondern sogar der Verpflichtung des Junkers, die von dem Kohlhaas ueber die Grenze gebrachten Pferde anzuhalten.--Kohlhaas, der inzwischen von dem wackern Amtmann zu Kohlhaasenbrueck seine Meierei, gegen eine geringe Verguetigung des dabei gehabten Schadens, kaeuflich wieder erlangt hatte, wuenschte, wie es scheint wegen gerichtlicher Abmachung dieses Geschaefts, Dresden auf einige Tage zu verlassen, und in diese seine Heimat zu reisen; ein Entschluss, an welchem gleichwohl, wie wir nicht zweifeln, weniger das besagte Geschaeft, so dringend es auch in der Tat, wegen Bestellung der Wintersaat, sein mochte, als die Absicht unter so sonderbaren und bedenklichen Umstaenden seine Lage zu pruefen, Anteil hatte: zu welchem vielleicht auch noch Gruende anderer Art mitwirkten, die wir jedem, der in seiner Brust Bescheid weiss, zu erraten ueberlassen wollen. Demnach verfuegte er sich, mit Zuruecklassung der Wache, die ihm zugeordnet war, zum Grosskanzler, und eroeffnete ihm, die Briefe des Amtmanns in der Hand: dass er willens sei, falls man seiner, wie es den Anschein habe, bei dem Gericht nicht notwendig beduerfe, die Stadt zu verlassen, und auf einen Zeitraum von acht oder zwoelf Tagen, binnen welcher Zeit er wieder zurueck zu sein versprach, nach dem Brandenburgischen zu reisen. Der Grosskanzler, indem er mit einem missvergnuegten und bedenklichen Gesichte zur Erde sah, versetzte: er muesse gestehen, dass seine Anwesenheit grade jetzt notwendiger sei als jemals, indem das Gericht wegen arglistiger und winkelziehender Einwendungen der Gegenpart, seiner Aussagen und Eroerterungen, in tausenderlei nicht vorherzusehenden Faellen, beduerfe; doch da Kohlhaas ihn auf seinen, von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advokaten verwies, und mit bescheidener Zudringlichkeit, indem er sich auf acht Tage einzuschraenken versprach, auf seine Bitte beharrte, so sagte der Grosskanzler nach einer Pause kurz, indem er ihn entliess: "er hoffe, dass er sich deshalb Paesse, bei dem Prinzen Christiern von Meissen, ausbitten wuerde."--Kohlhaas, der sich auf das Gesicht des Grosskanzlers gar wohl verstand, setzte sich, in seinem Entschluss nur bestaerkt, auf der Stelle nieder, und bat, ohne irgend einen Grund anzugeben, den Prinzen von Meissen, als Chef des Guberniums, um Paesse auf acht Tage nach Kohlhaasenbrueck, und zurueck. Auf dieses Schreiben erhielt er eine, von dem Schlosshauptmann, Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Resolution, des Inhalts: "sein Gesuch um Paesse nach Kohlhaasenbrueck werde des Kurfuersten Durchlaucht vorgelegt werden, auf dessen hoechster Bewilligung, sobald sie eingingen ihm die Paesse zugeschickt werden wuerden." Auf die Erkundigung Kohlhaasens bei seinem Advokaten, wie es zuginge, dass die Gubernial-Resolution von einem Freiherrn Siegfried von Wenk, und nicht von dem Prinzen Christiern von Meissen, an den er sich gewendet, unterschrieben sei, erhielt er zur Antwort: dass der Prinz vor drei Tagen auf seine Gueter gereist, und die Gubernialgeschaefte waehrend seiner Abwesenheit dem Schlosshauptmann Freiherrn Siegfried von Wenk, einem Vetter des oben erwaehnten Herren gleiches Namens, uebergeben worden waeren.--Kohlhaas, dem das Herz unter allen diesen Umstaenden unruhig zu klopfen anfing, harrte durch mehrere Tage auf die Entscheidung seiner, der Person des Landesherrn mit befremdender Weitlaeufigkeit vorgelegten Bitte; doch es verging eine Woche, und es verging mehr, ohne dass weder diese Entscheidung einlief, noch auch das Rechtserkenntnis, so bestimmt man es ihm auch verkuendigt hatte, bei dem Tribunal gefaellt ward: dergestalt, dass er am zwoelften Tage, fest entschlossen, die Gesinnung der Regierung gegen ihn, sie moege sein, welche man wolle, zur Sprache zu bringen, sich niedersetzte, und das Gubernium von neuem in einer dringenden Vorstellung um die erforderten Paesse bat. Aber wie betreten war er, als er am Abend des folgenden, gleichfalls ohne die erwartete Antwort verstrichenen Tages, mit einem Schritt, den er gedankenvoll, in Erwaegung seiner Lage, und besonders der ihm von dem Doktor Luther ausgewirkten Amnestie, an das Fenster seines Hinterstuebchens tat, in dem kleinen, auf dem Hofe befindlichen Nebengebaeude, das er ihr zum Aufenthalte angewiesen hatte, die Wache nicht erblickte, die ihm bei seiner Ankunft der Prinz von Meissen eingesetzt hatte. Thomas, der alte Hausmann, den er herbeirief und fragte: was dies zu bedeuten habe? antwortete ihm seufzend: Herr! es ist nicht alles wie es sein soll; die Landsknechte, deren heute mehr sind wie gewoehnlich, haben sich bei Einbruch der Nacht um das ganze Haus verteilt; zwei stehen, mit Schild und Spiess, an der vordern Tuer auf der Strasse; zwei an der hintern im Garten: und noch zwei andere liegen im Vorsaal auf ein Bund Stroh, und sagen, dass sie daselbst schlafen wuerden. Kohlhaas, der seine Farbe verlor, wandte sich und versetzte: "es waere gleichviel, wenn sie nur da waeren; und er moechte den Landsknechten, sobald er auf den Flur kaeme, Licht hinsetzen, damit sie sehen koennten." Nachdem er noch, unter dem Vorwande, ein Geschirr auszugiessen, den vordern Fensterladen eroeffnet, und sich von der Wahrheit des Umstands, den ihm der Alte entdeckt, ueberzeugt hatte: denn eben ward sogar in geraeuschloser Abloesung die Wache erneuert, an welche Massregel bisher, so lange die Einrichtung bestand, noch niemand gedacht hatte: so legte er sich, wenig schlaflustig allerdings, zu Bette, und sein Entschluss war fuer den kommenden Tag sogleich gefasst. Denn nichts missgoennte er der Regierung, mit der er zu tun hatte, mehr, als den Schein der Gerechtigkeit, waehrend sie in der Tat die Amnestie, die sie ihm angelobt hatte, an ihm brach; und falls er wirklich ein Gefangener sein sollte, wie es keinem Zweifel mehr unterworfen war, wollte er derselben auch die bestimmte und unumwundene Erklaerung, dass es so sei, abnoetigen. Demnach liess er, sobald der Morgen des naechsten Tages anbrach, durch Sternbald, seinen Knecht, den Wagen anspannen und vorfuehren, um wie er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockewitz zu fahren, der ihn, als ein alter Bekannter, einige Tage zuvor in Dresden gesprochen und eingeladen hatte, ihn einmal mit seinen Kindern zu besuchen. Die Landsknechte, welche mit zusammengesteckten Koepfen, die dadurch veranlassten Bewegungen im Hause wahrnahmen, schickten einen aus ihrer Mitte heimlich in die Stadt, worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernial-Offiziant an der Spitze mehrerer Haescher erschien, und sich, als ob er daselbst ein Geschaeft haette, in das gegenueberliegende Haus begab. Kohlhaas der mit der Ankleidung seiner Knaben beschaeftigt, diese Bewegungen gleichfalls bemerkte, und den Wagen absichtlich laenger, als eben noetig gewesen waere, vor dem Hause halten liess, trat, sobald er die Anstalten der Polizei vollendet sah, mit seinen Kindern, ohne darauf Ruecksicht zu nehmen, vor das Haus hinaus; und waehrend er dem Tross der Landsknechte, die unter der Tuer standen, im Voruebergehen sagte, dass sie nicht noetig haetten, ihm zu folgen, hob er die Jungen in den Wagen und kuesste und troestete die kleinen weinenden Maedchen, die, seiner Anordnung gemaess, bei der Tochter des alten Hausmanns zurueckbleiben sollten. Kaum hatte er selbst den Wagen bestiegen, als der Gubernial-Offiziant mit seinem Gefolge von Haeschern, aus dem gegenueberliegenden Hause, zu ihm herantrat, und ihn fragte: wohin er wolle? Auf die Antwort Kohlhaasens: "dass er zu seinem Freund, dem Amtmann nach Lockewitz fahren wolle, der ihn vor einigen Tagen mit seinen beiden Knaben zu sich aufs Land geladen", antwortete der Gubernial-Offiziant: dass er in diesem Fall einige Augenblicke warten muesse, indem einige berittene Landsknechte, dem Befehl des Prinzen von Meissen gemaess, ihn begleiten wuerden. Kohlhaas fragte laechelnd von dem Wagen herab: "ob er glaube, dass seine Person in dem Hause eines Freundes, der sich erboten, ihn auf einen Tag an seiner Tafel zu bewirten, nicht sicher sei?" Der Offiziant erwiderte auf eine heitere und angenehme Art: dass die Gefahr allerdings nicht gross sei; wobei er hinzusetzte: dass ihm die Knechte auch auf keine Weise zur Last fallen sollten. Kohlhaas versetzte ernsthaft: "dass ihm der Prinz von Meissen, bei seiner Ankunft in Dresden, freigestellt, ob er sich der Wache bedienen wolle oder nicht"; und da der Offiziant sich ueber diesen Umstand wunderte, und sich mit vorsichtigen Wendungen auf den Gebrauch, waehrend der ganzen Zeit seiner Anwesenheit, berief: so erzaehlte der Rosshaendler ihm den Vorfall, der die Einsetzung der Wache in seinem Hause veranlasst hatte. Der Offiziant versicherte ihn, dass die Befehle des Schlosshauptmanns, Freiherrn von Wenk, der in diesem Augenblick Chef der Polizei sei, ihm die unausgesetzte Beschuetzung seiner Person zur Pflicht mache; und bat ihn, falls er sich die Begleitung nicht gefallen lassen wolle, selbst auf das Gubernium zu gehen, um den Irrtum, der dabei obwalten muesse, zu berichtigen. Kohlhaas, mit einem sprechenden Blick, den er auf den Offizianten warf, sagte, entschlossen die Sache zu beugen oder zu brechen: "dass er dies tun wolle"; stieg mit klopfendem Herzen von dem Wagen, liess die Kinder durch den Hausmann in den Flur tragen, und verfuegte sich, waehrend der Knecht mit dem Fuhrwerk vor dem Hause halten blieb, mit dem Offizianten und seiner Wache in das Gubernium. Es traf sich, dass der Schlosshauptmann, Freiherr Wenk eben mit der Besichtigung einer Bande, am Abend zuvor eingebrachter Nagelschmidtscher Knechte, die man in der Gegend von Leipzig aufgefangen hatte, beschaeftigt war, und die Kerle ueber manche Dinge, die man gern von ihnen gehoert haette, von den Rittern, die bei ihm waren, befragt wurden, als der Rosshaendler mit seiner Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, sobald er den Rosshaendler erblickte, ging, waehrend die Ritter ploetzlich still wurden, und mit dem Verhoer der Knechte einhielten, auf ihn zu, und fragte ihn: was er wolle? und da der Rosskamm ihm auf ehrerbietige Weise sein Vorhaben, bei dem Verwalter in Lockewitz zu Mittag zu speisen, und den Wunsch, die Landsknechte deren er dabei nicht beduerfe zuruecklassen zu duerfen, vorgetragen hatte, antwortete der Freiherr, die Farbe im Gesicht wechselnd, indem er eine andere Rede zu verschlucken schien: "er wuerde wohl tun, wenn er sich still in seinem Hause hielte, und den Schmaus bei dem Lockewitzer Amtmann vor der Hand noch aussetzte."--Dabei wandte er sich, das ganze Gespraech zerschneidend, dem Offizianten zu, und sagte ihm: "dass es mit dem Befehl, den er ihm, in Bezug auf den Mann gegeben, sein Bewenden haette, und dass derselbe anders nicht, als in Begleitung sechs berittener Landsknechte die Stadt verlassen duerfe."--Kohlhaas fragte: ob er ein Gefangener waere, und ob er glauben solle, dass die ihm feierlich, vor den Augen der ganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen sei? worauf der Freiherr sich ploetzlich glutrot im Gesichte zu ihm wandte, und, indem er dicht vor ihn trat, und ihm in das Auge sah, antwortete: ja! ja! ja!--ihm den Ruecken zukehrte, ihn stehen liess, und wieder zu den Nagelschmidtschen Knechten ging. Hierauf verliess Kohlhaas den Saal, und ob er schon einsah, dass er sich das einzige Rettungsmittel, das ihm uebrig blieb, die Flucht, durch die Schritte die er getan, sehr erschwert hatte, so lobte er sein Verfahren gleichwohl, weil er sich nunmehr auch seinerseits von der Verbindlichkeit den Artikeln der Amnestie nachzukommen, befreit sah. Er liess, da er zu Hause kam, die Pferde ausspannen, und begab sich, in Begleitung des Gubernial-Offizianten, sehr traurig und erschuettert in sein Zimmer; und waehrend dieser Mann auf eine dem Rosshaendler Ekel erregende Weise, versicherte, dass alles nur auf einem Missverstaendnis beruhen muesse, das sich in Kurzem loesen wuerde, verriegelten die Haescher, auf seinen Wink, alle Ausgaenge der Wohnung die auf den Hof fuehrten; wobei der Offiziant ihm versicherte, dass ihm der vordere Haupteingang nach wie vor, zu seinem beliebigen Gebrauch offen stehe. Inzwischen war der Nagelschmidt in den Waeldern des Erzgebirgs, durch Haescher und Landsknechte von allen Seiten so gedraengt worden, dass er bei dem gaenzlichen Mangel an Huelfsmitteln, eine Rolle der Art, wie er sie uebernommen, durchzufuehren, auf den Gedanken verfiel, den Kohlhaas in der Tat ins Interesse zu ziehen; und da er von der Lage seines Rechtsstreits in Dresden durch einen Reisenden, der die Strasse zog, mit ziemlicher Genauigkeit unterrichtet war: so glaubte er, der offenbaren Feindschaft, die unter ihnen bestand, zum Trotz, den Rosshaendler bewegen zu koennen, eine neue Verbindung mit ihm einzugehen. Demnach schickte er einen Knecht, mit einem, in kaum leserlichem Deutsch abgefassten Schreiben an ihn ab, des Inhalts: "Wenn er nach dem Altenburgischen kommen, und die Anfuehrung des Haufens, der sich daselbst, aus Resten des aufgeloesten zusammengefunden, wieder uebernehmen wolle, so sei er erboetig, ihm zur Flucht aus seiner Haft in Dresden mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen; wobei er ihm versprach, kuenftig gehorsamer und ueberhaupt ordentlicher und besser zu sein, als vorher, und sich zum Beweis seiner Treue und Anhaenglichkeit anheischig machte, selbst in die Gegend von Dresden zu kommen, um seine Befreiung aus seinem Kerker zu bewirken." Nun hatte der, mit diesem Brief beauftragte Kerl das Unglueck, in einem Dorf dicht vor Dresden, in Kraempfen haesslicher Art, denen er von Jugend auf unterworfen war, niederzusinken; bei welcher Gelegenheit der Brief, den er im Brustlatz trug, von Leuten, die ihm zu Huelfe kamen, gefunden, er selbst aber, sobald er sich erholt, arretiert, und durch eine Wache unter Begleitung vielen Volks, auf das Gubernium transportiert ward. Sobald der Schlosshauptmann von Wenk diesen Brief gelesen hatte, verfuegte er sich unverzueglich zum Kurfuersten aufs Schloss, wo er die Herren Kunz und Hinz, welcher ersterer von seinen Wunden wieder hergestellt war, und den Praesidenten der Staatskanzelei, Grafen Kallheim, gegenwaertig fand. Die Herren waren der Meinung, dass der Kohlhaas ohne weiteres arretiert, und ihm, auf den Grund geheimer Einverstaendnisse mit dem Nagelschmidt, der Prozess gemacht werden muesse; indem sie bewiesen, dass ein solcher Brief nicht, ohne dass fruehere auch von Seiten des Rosshaendlers vorangegangen, und ohne dass ueberhaupt eine frevelhafte und verbrecherische Verbindung, zu Schmiedung neuer Greuel, unter ihnen statt finden sollte, geschrieben sein koenne. Der Kurfuerst weigerte sich standhaft, auf den Grund bloss dieses Briefes, dem Kohlhaas das freie Geleit, das er ihm angelobt, zu brechen; er war vielmehr der Meinung, dass eine Art von Wahrscheinlichkeit aus dem Briefe des Nagelschmidt hervorgehe, dass keine fruehere Verbindung zwischen ihnen statt gefunden habe; und alles, wozu er sich, um hierueber aufs Reine zu kommen, auf den Vorschlag des Praesidenten, obschon nach grosser Zoegerung entschloss, war, den Brief durch den von dem Nagelschmidt abgeschickten Knecht, gleichsam als ob derselbe nach wie vor frei sei, an ihn abgeben zu lassen, und zu pruefen, ob er ihn beantworten wuerde. Dem gemaess ward der Knecht, den man in ein Gefaengnis gesteckt hatte, am andern Morgen auf das Gubernium gefuehrt, wo der Schlosshauptmann ihm den Brief wieder zustellte, und ihn unter dem Versprechen, dass er frei sein, und die Strafe die er verwirkt, ihm erlassen sein solle, aufforderte, das Schreiben, als sei nichts vorgefallen, dem Rosshaendler zu uebergeben; zu welcher List schlechter Art sich dieser Kerl auch ohne weiteres gebrauchen liess, und auf scheinbar geheimnisvolle Weise, unter dem Vorwand, dass er Krebse zu verkaufen habe, womit ihn der Gubernial-Offiziant, auf dem Markte, versorgt hatte, zu Kohlhaas ins Zimmer trat. Kohlhaas, der den Brief, waehrend die Kinder mit den Krebsen spielten, las, wuerde den Gauner gewiss unter andern Umstaenden beim Kragen genommen, und den Landsknechten, die vor seiner Tuer standen, ueberliefert haben; doch da bei der Stimmung der Gemueter auch selbst dieser Schritt noch einer gleichgueltigen Auslegung faehig war, und er sich vollkommen ueberzeugt hatte, dass nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in dem er verwickelt war, retten konnte: so sah er dem Kerl, mit einem traurigen Blick, in sein ihm wohlbekanntes Gesicht, fragte ihn, wo er wohnte, und beschied ihn, in einigen Stunden, wieder zu sich, wo er ihm, in Bezug auf seinen Herrn, seinen Beschluss eroeffnen wolle. Er hiess dem Sternbald, der zufaellig in die Tuer trat, dem Mann, der im Zimmer war, etliche Krebse abkaufen; und nachdem dies Geschaeft abgemacht war, und beide sich ohne einander zu kennen, entfernt hatten, setzte er sich nieder und schrieb einen Brief folgenden Inhalts an den Nagelschmidt: "Zuvoerderst dass er seinen Vorschlag, die Oberanfuehrung seines Haufens im Altenburgischen betreffend, annaehme; dass er dem gemaess, zur Befreiung aus der vorlaeufigen Haft, in welcher er mit seinen fuenf Kindern gehalten werde, ihm einen Wagen mit zwei Pferden nach der Neustadt bei Dresden schicken solle; dass er auch, rascheren Fortkommens wegen, noch eines Gespannes von zwei Pferden auf der Strasse nach Wittenberg beduerfe, auf welchem Umweg er allein, aus Gruenden, die anzugeben zu weitlaeufig waeren, zu ihm kommen koenne; dass er die Landsknechte, die ihn bewachten, zwar durch Bestechung gewinnen zu koennen glaube, fuer den Fall aber dass Gewalt noetig sei, ein paar beherzte, gescheute und wohlbewaffnete Knechte, in der Neustadt bei Dresden gegenwaertig wissen wolle; dass er ihm zur Bestreitung der mit allen diesen Anstalten verbundenen Kosten, eine Rolle von zwanzig Goldkronen durch den Knecht zuschicke, ueber deren Verwendung er sich, nach abgemachter Sache, mit ihm berechnen wolle; dass er sich uebrigens, weil sie unnoetig sei, seine eigne Anwesenheit bei seiner Befreiung in Dresden verbitte, ja ihm vielmehr den bestimmten Befehl erteile, zur einstweiligen Anfuehrung der Bande, die nicht ohne Oberhaupt sein koenne, im Altenburgischen zurueckzubleiben."--Diesen Brief, als der Knecht gegen Abend kam, ueberlieferte er ihm; beschenkte ihn selbst reichlich, und schaerfte ihm ein, denselben wohl in acht zu nehmen. --Seine Absicht war mit seinen fuenf Kindern nach Hamburg zu gehen, und sich von dort nach der Levante oder nach Ostindien, oder so weit der Himmel ueber andere Menschen, als die er kannte, blau war, einzuschiffen: denn die Dickfuetterung der Rappen hatte seine, von Gram sehr gebeugte Seele auch unabhaengig von dem Widerwillen, mit dem Nagelschmidt deshalb gemeinschaftliche Sache zu machen, aufgegeben. --Kaum hatte der Kerl diese Antwort dem Schlosshauptmann ueberbracht, als der Grosskanzler abgesetzt, der Praesident, Graf Kallheim, an dessen Stelle, zum Chef des Tribunals ernannt, und Kohlhaas, durch einen Kabinettsbefehl des Kurfuersten arretiert, und schwer mit Ketten beladen in die Stadttuerme gebracht ward. Man machte ihm auf den Grund dieses Briefes, der an alle Ecken der Stadt angeschlagen ward, den Prozess; und da er vor den Schranken des Tribunals auf die Frage, ob er die Handschrift anerkenne, dem Rat, der sie ihm vorhielt, antwortete: "ja!" zur Antwort aber auf die Frage, ob er zu seiner Verteidigung etwas vorzubringen wisse, indem er den Blick zur Erde schlug, erwiderte, "nein!" so ward er verurteilt, mit gluehenden Zangen von Schinderknechten gekniffen, gevierteilt, und sein Koerper, zwischen Rad und Galgen, verbrannt zu werden. So standen die Sachen fuer den armen Kohlhaas in Dresden, als der Kurfuerst von Brandenburg zu seiner Rettung aus den Haenden der Uebermacht und Willkuer auftrat, und ihn, in einer bei der kurfuerstlichen Staatskanzlei daselbst eingereichten Note, als brandenburgischen Untertan reklamierte. Denn der wackere Stadthauptmann, Herr Heinrich von Geusau, hatte ihn, auf einem Spaziergange an den Ufern der Spree, von der Geschichte dieses sonderbaren und nicht verwerflichen Mannes unterrichtet, bei welcher Gelegenheit er von den Fragen des erstaunten Herrn gedraengt, nicht umhin konnte, der Schuld zu erwaehnen, die durch die Unziemlichkeiten seines Erzkanzlers, des Grafen Siegfried von Kallheim, seine eigene Person drueckte: worueber der Kurfuerst schwer entruestet, den Erzkanzler, nachdem er ihn zur Rede gestellt und befunden, dass die Verwandtschaft desselben mit dem Hause derer von Tronka an allem schuld sei, ohne weiteres, mit mehreren Zeichen seiner Ungnade entsetzte, und den Herrn Heinrich von Geusau zum Erzkanzler ernannte. Es traf sich aber, dass die Krone Polen grade damals, indem sie mit dem Hause Sachsen, um welchen Gegenstandes willen wissen wir nicht, im Streit lag, den Kurfuersten von Brandenburg, in wiederholten und dringenden Vorstellungen anging, sich mit ihr in gemeinschaftlicher Sache gegen das Haus Sachsen zu verbinden; dergestalt, dass der Erzkanzler, Herr Geusau, der in solchen Dingen nicht ungeschickt war, wohl hoffen durfte, den Wunsch seines Herrn, dem Kohlhaas, es koste was es wolle, Gerechtigkeit zu verschaffen, zu erfuellen, ohne die Ruhe des Ganzen auf eine misslichere Art, als die Ruecksicht auf einen einzelnen erlaubt, aufs Spiel zu setzen. Demnach forderte der Erzkanzler nicht nur wegen gaenzlich willkuerlichen, Gott und Menschen missgefaelligen Verfahrens, die unbedingte und ungesaeumte Auslieferung des Kohlhaas, um denselben, falls ihn eine Schuld druecke, nach brandenburgischen Gesetzen, auf Klageartikel, die der Dresdner Hof deshalb durch einen Anwalt in Berlin anhaengig machen koenne, zu richten; sondern er begehrte sogar selbst Paesse fuer einen Anwalt, den der Kurfuerst nach Dresden zu schicken willens sei, um dem Kohlhaas, wegen der ihm auf saechsischem Grund und Boden abgenommenen Rappen und anderer himmelschreienden Misshandlungen und Gewalttaten halber, gegen den Junker Wenzel von Tronka, Recht zu verschaffen. Der Kaemmerer, Herr Kunz, der bei der Veraenderung der Staatsaemter in Sachsen zum Praesidenten der Staatskanzlei ernannt worden war, und der aus mancherlei Gruenden den Berliner Hof, in der Bedraengnis in der er sich befand, nicht verletzen wollte, antwortete im Namen seines ueber die eingegangene Note sehr niedergeschlagenen Herrn: "dass man sich ueber die Unfreundschaftlichkeit und Unbilligkeit wundere, mit welcher man dem Hofe zu Dresden das Recht abspreche, den Kohlhaas wegen Verbrechen, die er im Lande begangen, den Gesetzen gemaess zu richten, da doch weltbekannt sei, dass derselbe ein betraechtliches Grundstueck in der Hauptstadt besitze, und sich selbst in der Qualitaet als saechsischen Buerger gar nicht verleugne." Doch da die Krone Polen bereits zur Ausfechtung ihrer Ansprueche einen Heerhaufen von fuenftausend Mann an der Grenze von Sachsen zusammenzog, und der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau, erklaerte: "dass Kohlhaasenbrueck, der Ort, nach welchem der Rosshaendler heisse, im Brandenburgischen liege, und dass man die Vollstreckung des ueber ihn ausgesprochenen Todesurteils fuer eine Verletzung des Voelkerrechts halten wuerde": so rief der Kurfuerst, auf den Rat des Kaemmerers, Herrn Kunz selbst, der sich aus diesem Handel zurueckzuziehen wuenschte, den Prinzen Christiern von Meissen von seinen Guetern herbei, und entschloss sich, auf wenige Worte dieses verstaendigen Herrn, den Kohlhaas, der Forderung gemaess, an den Berliner Hof auszuliefern. Der Prinz, der obschon mit den Unziemlichkeiten die vorgefallen waren, wenig zufrieden, die Leitung der Kohlhaasischen Sache auf den Wunsch seines bedraengten Herrn, uebernehmen musste, fragte ihn, auf welchen Grund er nunmehr den Rosshaendler bei dem Kammergericht zu Berlin verklagt wissen wolle; und da man sich auf den leidigen Brief desselben an den Nagelschmidt, wegen der zweideutigen und unklaren Umstaende, unter welchen er geschrieben war, nicht berufen konnte, der frueheren Pluenderungen und Einaescherungen aber, wegen des Plakats, worin sie ihm vergeben worden waren, nicht erwaehnen durfte: so beschloss der Kurfuerst, der Majestaet des Kaisers zu Wien einen Bericht ueber den bewaffneten Einfall des Kohlhaas in Sachsen vorzulegen, sich ueber den Bruch des von ihm eingesetzten oeffentlichen Landfriedens zu beschweren, und sie, die allerdings durch keine Amnestie gebunden war, anzuliegen, den Kohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch einen Reichsanklaeger zur Rechenschaft zu ziehen. Acht Tage darauf ward der Rosskamm durch den Ritter Friedrich von Malzahn, den der Kurfuerst von Brandenburg mit sechs Reutern nach Dresden geschickt hatte, geschlossen wie er war, auf einen Wagen geladen, und mit seinen fuenf Kindern, die man auf seine Bitte aus Findel- und Waisenhaeusern wieder zusammengesucht hatte, nach Berlin transportiert. Es traf sich dass der Kurfuerst von Sachsen auf die Einladung des Landdrosts, Grafen Aloysius von Kallheim, der damals an der Grenze von Sachsen betraechtliche Besitzungen hatte, in Gesellschaft des Kaemmerers, Herrn Kunz, und seiner Gemahlin, der Dame Heloise, Tochter des Landdrosts und Schwester des Praesidenten, andrer glaenzenden Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei waren, nicht zu erwaehnen, zu einem grossen Hirschjagen, das man, um ihn zu erheitern, angestellt hatte, nach Dahme gereist war; dergestalt, dass unter dem Dach bewimpelter Zelte, die quer ueber die Strasse auf einem Huegel erbaut waren, die ganze Gesellschaft vom Staub der Jagd noch bedeckt unter dem Schall einer heitern vom Stamm einer Eiche herschallenden Musik, von Pagen bedient und Edelknaben, an der Tafel sass, als der Rosshaendler langsam mit seiner Reuterbedeckung die Strasse von Dresden daher gezogen kam. Denn die Erkrankung eines der kleinen, zarten Kinder des Kohlhaas, hatte den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete, genoetigt, drei Tage lang in Herzberg zurueckzubleiben; von welcher Massregel er, dem Fuersten dem er diente deshalb allein verantwortlich, nicht noetig befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere Kenntnis zu geben. Der Kurfuerst, der mit halboffener Brust, den Federhut, nach Art der Jaeger, mit Tannenzweigen geschmueckt, neben der Dame Heloise sass, die, in Zeiten frueherer Jugend, seine erste Liebe gewesen war, sagte von der Anmut des Festes, das ihn umgaukelte, heiter gestimmt: "Lasset uns hingehen, und dem Ungluecklichen, wer es auch sei, diesen Becher mit Wein reichen!" Die Dame Heloise, mit einem herzlichen Blick auf ihn, stand sogleich auf, und fuellte, die ganze Tafel pluendernd, ein silbernes Geschirr, das ihr ein Page reichte, mit Fruechten, Kuchen und Brot an; und schon hatte, mit Erquickungen jeglicher Art, die ganze Gesellschaft wimmelnd das Zelt verlassen, als der Landdrost ihnen mit einem verlegenen Gesicht entgegen kam, und sie bat zurueckzubleiben. Auf die betretene Frage des Kurfuersten was vorgefallen waere, dass er so bestuerzt sei? antwortete der Landdrost stotternd gegen den Kaemmerer gewandt, dass der Kohlhaas im Wagen sei; auf welche jedermann unbegreifliche Nachricht, indem weltbekannt war, dass derselbe bereits vor sechs Tagen abgereist war, der Kaemmerer, Herr Kunz, seinen Becher mit Wein nahm, und ihn, mit einer Rueckwendung gegen das Zelt, in den Sand schuettete. Der Kurfuerst setzte, ueber und ueber rot, den seinigen auf einen Teller, den ihm ein Edelknabe auf den Wink des Kaemmerers zu diesem Zweck vorhielt; und waehrend der Ritter Friedrich von Malzahn, unter ehrfurchtsvoller Begruessung der Gesellschaft, die er nicht kannte, langsam durch die Zeltleinen, die ueber die Strasse liefen, nach Dahme weiter zog, begaben sich die Herrschaften, auf die Einladung des Landdrosts, ohne weiter davon Notiz zu nehmen, ins Zelt zurueck. Der Landdrost, sobald sich der Kurfuerst niedergelassen hatte, schickte unter der Hand nach Dahme, um bei dem Magistrat daselbst die unmittelbare Weiterschaffung des Rosshaendlers bewirken zu lassen; doch da der Ritter, wegen bereits zu weit vorgerueckter Tageszeit, bestimmt in dem Ort uebernachten zu wollen erklaerte, so musste man sich begnuegen, ihn in einer dem Magistrat zugehoerigen Meierei, die, in Gebueschen versteckt, auf der Seite lag, geraeuschlos unterzubringen. Nun begab es sich, dass gegen Abend, da die Herrschaften vom Wein und dem Genuss eines ueppigen Nachtisches zerstreut, den ganzen Vorfall wieder vergessen hatten, der Landdrost den Gedanken auf die Bahn brachte, sich noch einmal, eines Rudels Hirsche wegen, der sich hatte blicken lassen, auf den Anstand zu stellen; welchen Vorschlag die ganze Gesellschaft mit Freuden ergriff, und paarweise nachdem sie sich mit Buechsen versorgt, ueber Graeben und Hecken in die nahe Forst eilte: dergestalt, dass der Kurfuerst und die Dame Heloise, die sich, um dem Schauspiel beizuwohnen, an seinen Arm hing, von einem Boten, den man ihnen zugeordnet hatte, unmittelbar, zu ihrem Erstaunen, durch den Hof des Hauses gefuehrt wurden, in welchem Kohlhaas mit den brandenburgischen Reutern befindlich war. Die Dame als sie dies hoerte, sagte: "kommt, gnaedigster Herr, kommt!" und versteckte die Kette, die ihm vom Halse herabhing, schaekernd in seinen seidenen Brustlatz: "lasst uns ehe der Tross nachkommt in die Meierei schleichen, und den wunderlichen Mann, der darin uebernachtet, betrachten!" Der Kurfuerst, indem er erroetend ihre Hand ergriff, sagte: Heloise! was faellt Euch ein? Doch da sie, indem sie ihn betreten ansah, versetzte: "dass ihn ja in der Jaegertracht, die ihn decke, kein Mensch erkenne!" und ihn fortzog; und in eben diesem Augenblick ein paar Jagdjunker, die ihre Neugierde schon befriedigt hatten, aus dem Hause heraustreten, versichernd, dass in der Tat, vermoege einer Veranstaltung, die der Landdrost getroffen, weder der Ritter noch der Rosshaendler wisse, welche Gesellschaft in der Gegend von Dahme versammelt sei; so drueckte der Kurfuerst sich den Hut laechelnd in die Augen, und sagte: "Torheit, du regierst die Welt, und dein Sitz ist ein schoener weiblicher Mund!"--Es traf sich dass Kohlhaas eben mit dem Ruecken gegen die Wand auf einem Bund Stroh sass, und sein, ihm in Herzberg erkranktes Kind mit Semmel und Milch fuetterte, als die Herrschaften, um ihn zu besuchen, in die Meierei traten; und da die Dame ihn, um ein Gespraech einzuleiten, fragte: wer er sei? und was dem Kinde fehle? auch was er verbrochen und wohin man ihn unter solcher Bedeckung abfuehre? so rueckte er seine lederne Muetze vor ihr, und gab ihr auf alle diese Fragen, indem er sein Geschaeft fortsetzte, unreichliche aber befriedigende Antwort. Der Kurfuerst, der hinter den Jagdjunkern stand, und eine kleine bleierne Kapsel, die ihm an einem seidenen Faden vom Halse herabhing, bemerkte, fragte ihn, da sich grade nichts Besseres zur Unterhaltung darbot: was diese zu bedeuten haette und was darin befindlich waere? Kohlhaas erwiderte: "ja, gestrenger Herr, diese Kapsel!"--und damit streifte er sie vom Nacken ab, oeffnete sie und nahm einen kleinen mit Mundlack versiegelten Zettel heraus--"mit dieser Kugel hat es eine wunderliche Bewandtnis! Sieben Monden moegen es etwa sein, genau am Tage nach dem Begraebnis meiner Frau; und von Kohlhaasenbrueck, wie Euch vielleicht bekannt sein wird, war ich aufgebrochen, um des Junkers von Tronka, der mir viel Unrecht zugefuegt, habhaft zu werden, als um einer Verhandlung willen, die mir unbekannt ist, der Kurfuerst von Sachsen und der Kurfuerst von Brandenburg in Jueterbock, einem Marktflecken, durch den der Streifzug mich fuehrte, eine Zusammenkunft hielten; und da sie sich gegen Abend ihren Wuenschen gemaess vereinigt hatten, so gingen sie, in freundschaftlichem Gespraech, durch die Strassen der Stadt, um den Jahrmarkt, der eben darin froehlich abgehalten ward, in Augenschein zu nehmen. Da trafen sie auf eine Zigeunerin, die, auf einem Schemel sitzend, dem Volk, das sie umringte, aus dem Kalender wahrsagte, und fragten sie scherzhafter Weise: ob sie ihnen nicht auch etwas, das ihnen lieb waere, zu eroeffnen haette? Ich, der mit meinem Haufen eben in einem Wirtshause abgestiegen, und auf dem Platz, wo dieser Vorfall sich zutrug, gegenwaertig war, konnte hinter allem Volk, am Eingang einer Kirche, wo ich stand, nicht vernehmen, was die wunderliche Frau den Herren sagte; dergestalt, dass, da die Leute lachend einander zufluesterten, sie teile nicht jedermann ihre Wissenschaft mit, und sich des Schauspiels wegen das sich bereitete, sehr bedraengten, ich, weniger neugierig, in der Tat, als um den Neugierigen Platz zu machen, auf eine Bank stieg, die hinter mir im Kircheneingange ausgehauen war. Kaum hatte ich von diesem Standpunkt aus, mit voelliger Freiheit der Aussicht, die Herrschaften und das Weib, das auf dem Schemel vor ihnen sass und etwas aufzukritzeln schien, erblickt: da steht sie ploetzlich auf ihre Kruecken gelehnt, indem sie sich im Volk umsieht, auf; fasst mich, der nie ein Wort mit ihr wechselte, noch ihrer Wissenschaft Zeit seines Lebens begehrte, ins Auge; draengt sich durch den ganzen dichten Auflauf der Menschen zu mir heran und spricht: >da! wenn es der Herr wissen will, so mag er dich danach fragen!< Und damit, gestrenger Herr, reichte sie mir mit ihren duerren knoechernen Haenden diesen Zettel dar. Und da ich betreten, waehrend sich alles Volk zu mir umwendet, spreche: Muetterchen, was auch verehrst du mir da? antwortete sie, nach vielem unvernehmlichen Zeug, worunter ich jedoch zu meinem grossen Befremden meinen Namen hoere: >ein Amulett, Kohlhaas, der Rosshaendler; verwahr es wohl, es wird dir dereinst das Leben retten!< und verschwindet.--Nun!" fuhr Kohlhaas gutmuetig fort: "die Wahrheit zu gestehen, hats mir in Dresden, so scharf es herging, das Leben nicht gekostet; und wie es mir in Berlin gehen wird, und ob ich auch dort damit bestehen werde, soll die Zukunft lehren."--Bei diesen Worten setzte sich der Kurfuerst auf eine Bank; und ob er schon auf die betretne Frage der Dame: was ihm fehle? antwortete: nichts, gar nichts! so fiel er doch schon ohnmaechtig auf den Boden nieder, ehe sie noch Zeit hatte ihm beizuspringen, und in ihre Arme aufzunehmen. Der Ritter von Malzahn, der in eben diesem Augenblick, eines Geschaefts halber, ins Zimmer trat, sprach: heiliger Gott! was fehlt dem Herrn? Die Dame rief: schafft Wasser her! Die Jagdjunker hoben ihn auf und trugen ihn auf ein im Nebenzimmer befindliches Bett; und die Bestuerzung erreichte ihren Gipfel, als der Kaemmerer, den ein Page herbeirief, nach mehreren vergeblichen Bemuehungen, ihn ins Leben zurueckzubringen, erklaerte: er gebe alle Zeichen von sich, als ob ihn der Schlag geruehrt! Der Landdrost, waehrend der Mundschenk einen reitenden Boten nach Luckau schickte, um einen Arzt herbeizuholen, liess ihn, da er die Augen aufschlug, in einen Wagen bringen, und Schritt vor Schritt nach seinem in der Gegend befindlichen Jagdschloss abfuehren; aber diese Reise zog ihm, nach seiner Ankunft daselbst, zwei neue Ohnmachten zu: dergestalt, dass er sich erst spaet am andern Morgen, bei der Ankunft des Arztes aus Luckau, unter gleichwohl entscheidenden Symptomen eines herannahenden Nervenfiebers, einigermassen erholte. Sobald er seiner Sinne maechtig geworden war, richtete er sich halb im Bette auf, und seine erste Frage war gleich: wo der Kohlhaas sei? Der Kaemmerer, der seine Frage missverstand, sagte, indem er seine Hand ergriff: dass er sich dieses entsetzlichen Menschen wegen beruhigen moechte, indem derselbe, seiner Bestimmung gemaess, nach jenem sonderbaren und unbegreiflichen Vorfall, in der Meierei zu Dahme, unter brandenburgischer Bedeckung, zurueckgeblieben waere. Er fragte ihn, unter der Versicherung seiner lebhaftesten Teilnahme und der Beteurung, dass er seiner Frau, wegen des unverantwortlichen Leichtsinns, ihn mit diesem Mann zusammenzubringen, die bittersten Vorwuerfe gemacht haette: was ihn denn so wunderbar und ungeheuer in der Unterredung mit demselben ergriffen haette? Der Kurfuerst sagte: er muesse ihm nur gestehen, dass der Anblick eines nichtigen Zettels, den der Mann in einer bleiernen Kapsel mit sich fuehre, schuld an dem ganzen unangenehmen Zufall sei, der ihm zugestossen. Er setzte noch mancherlei zur Erklaerung dieses Umstands, das der Kaemmerer nicht verstand, hinzu; versicherte ihn ploetzlich, indem er seine Hand zwischen die seinigen drueckte, dass ihm der Besitz dieses Zettels von der aeussersten Wichtigkeit sei; und bat ihn, unverzueglich aufzusitzen, nach Dahme zu reiten, und ihm den Zettel, um welchen Preis es immer sei, von demselben zu erhandeln. Der Kaemmerer, der Muehe hatte, seine Verlegenheit zu verbergen, versicherte ihn: dass, falls dieser Zettel einigen Wert fuer ihn haette, nichts auf der Welt notwendiger waere, als dem Kohlhaas diesen Umstand zu verschweigen; indem, sobald derselbe durch eine unvorsichtige Aeusserung Kenntnis davon naehme, alle Reichtuemer, die er besaesse, nicht hinreichen wuerden, ihn aus den Haenden dieses grimmigen, in seiner Rachsucht unersaettlichen Kerls zu erkaufen. Er fuegte, um ihn zu beruhigen, hinzu, dass man auf ein anderes Mittel denken muesse, und dass es vielleicht durch List, vermoege eines Dritten ganz Unbefangenen, indem der Boesewicht wahrscheinlich, an und fuer sich, nicht sehr daran haenge, moeglich sein wuerde, sich den Besitz des Zettels, an dem ihm so viel gelegen sei, zu verschaffen. Der Kurfuerst, indem er sich den Schweiss abtrocknete, fragte: ob man nicht unmittelbar zu diesem Zweck nach Dahme schicken, und den weiteren Transport des Rosshaendlers, vorlaeufig, bis man des Blattes, auf welche Weise es sei, habhaft geworden, einstellen koenne? Der Kaemmerer, der seinen Sinnen nicht traute, versetzte: dass leider allen wahrscheinlichen Berechnungen zufolge, der Rosshaendler Dahme bereits verlassen haben, und sich jenseits der Grenze, auf brandenburgischem Grund und Boden befinden muesse, wo das Unternehmen, die Fortschaffung desselben zu hemmen, oder wohl gar rueckgaengig zu machen, die unangenehmsten und weitlaeufigsten, ja solche Schwierigkeiten, die vielleicht gar nicht zu beseitigen waeren, veranlassen wuerde. Er fragte ihn, da der Kurfuerst sich schweigend, mit der Gebaerde eines ganz Hoffnungslosen, auf das Kissen zuruecklegte: was denn der Zettel enthalte? und durch welchen Zufall befremdlicher und unerklaerlicher Art ihm, dass der Inhalt ihn betreffe, bekannt sei? Hierauf aber, unter zweideutigen Blicken auf den Kaemmerer, dessen Willfaehrigkeit er in diesem Falle misstraute, antwortete der Kurfuerst nicht: starr, mit unruhig klopfendem Herzen lag er da, und sah auf die Spitze des Schnupftuches nieder, das er gedankenvoll zwischen den Haenden hielt; und bat ihn ploetzlich, den Jagdjunker vom Stein, einen jungen, ruestigen und gewandten Herrn, dessen er sich oefter schon zu geheimen Geschaeften bedient hatte, unter dem Vorwand, dass er ein anderweitiges Geschaeft mit ihm abzumachen habe, ins Zimmer zu rufen. Den Jagdjunker, nachdem er ihm die Sache auseinandergelegt, und von der Wichtigkeit des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas war, unterrichtet hatte, fragte er, ob er sich ein ewiges Recht auf seine Freundschaft erwerben, und ihm den Zettel, noch ehe derselbe Berlin erreicht, verschaffen wolle? und da der Junker, sobald er das Verhaeltnis nur, sonderbar wie es war, einigermassen ueberschaute, versicherte, dass er ihm mit allen seinen Kraeften zu Diensten stehe: so trug ihm der Kurfuerst auf, dem Kohlhaas nachzureiten, und ihm, da demselben mit Geld wahrscheinlich nicht beizukommen sei, in einer mit Klugheit angeordneten Unterredung, Freiheit und Leben dafuer anzubieten, ja ihm, wenn er darauf bestehe, unmittelbar, obschon mit Vorsicht, zur Flucht aus den Haenden der brandenburgischen Reuter, die ihn transportierten, mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen. Der Jagdjunker, nachdem er sich ein Blatt von der Hand des Kurfuersten zur Beglaubigung ausgebeten, brach auch sogleich mit einigen Knechten auf, und hatte, da er den Odem der Pferde nicht sparte, das Glueck, den Kohlhaas auf einem Grenzdorf zu treffen, wo derselbe mit dem Ritter von Malzahn und seinen fuenf Kindern ein Mittagsmahl, das im Freien vor der Tuer eines Hauses angerichtet war, zu sich nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der Junker sich als einen Fremden, der bei seiner Durchreise den seltsamen Mann, den er mit sich fuehre, in Augenschein zu nehmen wuensche, vorstellte, noetigte ihn sogleich auf zuvorkommende Art, indem er ihn mit dem Kohlhaas bekannt machte, an der Tafel nieder; und da der Ritter in Geschaeften der Abreise ab und zuging, die Reuter aber an einem, auf des Hauses anderer Seite befindlichen Tisch, ihre Mahlzeit hielten: so traf sich die Gelegenheit bald, wo der Junker dem Rosshaendler eroeffnen konnte, wer er sei, und in welchen besonderen Auftraegen er zu ihm komme. Der Rosshaendler, der bereits Rang und Namen dessen, der beim Anblick der in Rede stehenden Kapsel, in der Meierei zu Dahme in Ohnmacht gefallen war, kannte, und der zur Kroenung des Taumels, in welchen ihn diese Entdeckung versetzt hatte, nichts bedurfte, als Einsicht in die Geheimnisse des Zettels, den er, um mancherlei Gruende willen, entschlossen war, aus blosser Neugierde nicht zu eroeffnen: der Rosshaendler sagte, eingedenk der unedelmuetigen und unfuerstlichen Behandlung, die er in Dresden, bei seiner gaenzlichen Bereitwilligkeit, alle nur moeglichen Opfer zu bringen, hatte erfahren muessen: "dass er den Zettel behalten wolle." Auf die Frage des Jagdjunkers: was ihn zu dieser sonderbaren Weigerung, da man ihm doch nichts Minderes, als Freiheit und Leben dafuer anbiete, veranlasse? antwortete Kohlhaas: "Edler Herr! Wenn Euer Landesherr kaeme, und spraeche, ich will mich, mit dem ganzen Tross derer, die mir das Szepter fuehren helfen, vernichten--vernichten, versteht Ihr, welches allerdings der groesseste Wunsch ist, den meine Seele hegt: so wuerde ich ihm doch den Zettel noch, der ihm mehr wert ist, als das Dasein, verweigern und sprechen: du kannst mich auf das Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun, und ich wills!" Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen Reuter herbei, unter der Aufforderung, ein gutes Stueck Essen, das in der Schuessel uebrig geblieben war, zu sich zu nehmen; und fuer den ganzen Rest der Stunde, die er im Flecken zubrachte, fuer den Junker, der an der Tafel sass, wie nicht vorhanden, wandte er sich erst wieder, als er den Wagen bestieg, mit einem Blick, der ihn abschiedlich gruesste, zu ihm zurueck. Der Zustand des Kurfuersten, als er diese Nachricht bekam, verschlimmerte sich in dem Grade, dass der Arzt, waehrend drei verhaengnisvoller Tage, seines Lebens wegen, das zu gleicher Zeit, von so vielen Seiten angegriffen ward, in der groessesten Besorgnis war. Gleichwohl stellte er sich, durch die Kraft seiner natuerlichen Gesundheit, nach dem Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wochen wieder her; dergestalt wenigstens, dass man ihn in einen Wagen bringen, und mit Kissen und Decken wohl versehen, nach Dresden zu seinen Regierungsgeschaeften wieder zurueckfuehren konnte. Sobald er in dieser Stadt angekommen war, liess er den Prinzen Christiern von Meissen rufen, und fragte denselben: wie es mit der Abfertigung des Gerichtsrats Eibenmayer stuende, den man, als Anwalt in der Sache des Kohlhaas, nach Wien zu schicken gesonnen gewesen waere, um kaiserlicher Majestaet daselbst die Beschwerde wegen gebrochenen, kaiserlichen Landfriedens, vorzulegen? Der Prinz antwortete ihm: dass derselbe, dem, bei seiner Abreise nach Dahme hinterlassenen Befehl gemaess, gleich nach Ankunft des Rechtsgelehrten Zaeuner, den der Kurfuerst von Brandenburg als Anwalt nach Dresden geschickt haette, um die Klage desselben, gegen den Junker Wenzel von Tronka, der Rappen wegen, vor Gericht zu bringen, nach Wien abgegangen waere. Der Kurfuerst, indem er erroetend an seinen Arbeitstisch trat, wunderte sich ueber diese Eilfertigkeit, indem er seines Wissens erklaert haette, die definitive Abreise des Eibenmayer, wegen vorher notwendiger Ruecksprache mit dem Doktor Luther, der dem Kohlhaas die Amnestie ausgewirkt, einem naeheren und bestimmteren Befehl vorbehalten zu wollen. Dabei warf er einige Briefschaften und Akten, die auf dem Tisch lagen, mit dem Ausdruck zurueckgehaltenen Unwillens, ueber einander. Der Prinz, nach einer Pause, in welcher er ihn mit grossen Augen ansah, versetzte, dass es ihm leid taete, wenn er seine Zufriedenheit in dieser Sache verfehlt habe; inzwischen koenne er ihm den Beschluss des Staatsrats vorzeigen, worin ihm die Abschickung des Rechtsanwalts, zu dem besagten Zeitpunkt, zur Pflicht gemacht worden waere. Er setzte hinzu, dass im Staatsrat von einer Ruecksprache mit dem Doktor Luther, auf keine Weise die Rede gewesen waere; dass es frueherhin vielleicht zweckmaessig gewesen sein moechte, diesen geistlichen Herrn, wegen der Verwendung, die er dem Kohlhaas angedeihen lassen, zu beruecksichtigen, nicht aber jetzt mehr, nachdem man demselben die Amnestie vor den Augen der ganzen Welt gebrochen, ihn arretiert, und zur Verurteilung und Hinrichtung an die brandenburgischen Gerichte ausgeliefert haette. Der Kurfuerst sagte: das Versehen, den Eibenmayer abgeschickt zu haben, waere auch in der Tat nicht gross; inzwischen wuensche er, dass derselbe vorlaeufig, bis auf weiteren Befehl, in seiner Eigenschaft als Anklaeger zu Wien nicht auftraete, und bat den Prinzen, deshalb das Erforderliche unverzueglich durch einen Expressen, an ihn zu erlassen. Der Prinz antwortete: dass dieser Befehl leider um einen Tag zu spaet kaeme, indem der Eibenmayer bereits nach einem Berichte, der eben heute eingelaufen, in seiner Qualitaet als Anwalt aufgetreten, und mit Einreichung der Klage bei der Wiener Staatskanzlei vorgegangen waere. Er setzte auf die betroffene Frage des Kurfuersten: wie dies ueberall in so kurzer Zeit moeglich sei? hinzu: dass bereits, seit der Abreise dieses Mannes drei Wochen verstrichen waeren, und dass die Instruktion, die er erhalten, ihm eine ungesaeumte Abmachung dieses Geschaefts, gleich nach seiner Ankunft in Wien zur Pflicht gemacht haette. Eine Verzoegerung, bemerkte der Prinz, wuerde in diesem Fall um so unschicklicher gewesen sein, da der brandenburgische Anwalt Zaeuner, gegen den Junker Wenzel von Tronka mit dem trotzigsten Nachdruck verfahre, und bereits auf eine vorlaeufige Zurueckziehung der Rappen, aus den Haenden des Abdeckers, behufs ihrer kuenftigen Wiederherstellung, bei dem Gerichtshof angetragen, und auch aller Einwendungen der Gegenpart ungeachtet, durchgesetzt habe. Der Kurfuerst, indem er die Klingel zog, sagte: "gleichviel! es haette nichts zu bedeuten!" und nachdem er sich mit gleichgueltigen Fragen: wie es sonst in Dresden stehe? und was in seiner Abwesenheit vorgefallen sei? zu dem Prinzen zurueckgewandt hatte: gruesste er ihn, unfaehig seinen innersten Zustand zu verbergen, mit der Hand, und entliess ihn. Er forderte ihm noch an demselben Tage schriftlich, unter dem Vorwande, dass er die Sache, ihrer politischen Wichtigkeit wegen, selbst bearbeiten wolle, die saemtlichen Kohlhaasischen Akten ab; und da ihm der Gedanke, denjenigen zu verderben, von dem er allein ueber die Geheimnisse des Zettels Auskunft erhalten konnte, unertraeglich war: so verfasste er einen eigenhaendigen Brief an den Kaiser, worin er ihn auf herzliche und dringende Weise bat, aus wichtigen Gruenden, die er ihm vielleicht in kurzer Zeit bestimmter auseinander legen wuerde, die Klage, die der Eibenmayer gegen den Kohlhaas eingereicht, vorlaeufig bis auf einen weitern Beschluss, zuruecknehmen zu duerfen. Der Kaiser, in einer durch die Staatskanzlei ausgefertigten Note, antwortete ihm: "dass der Wechsel, der ploetzlich in seiner Brust vorgegangen zu sein scheine, ihn aufs aeusserste befremde; dass der saechsischerseits an ihn erlassene Bericht, die Sache des Kohlhaas zu einer Angelegenheit gesamten heiligen roemischen Reichs gemacht haette; dass demgemaess er, der Kaiser, als Oberhaupt desselben, sich verpflichtet gesehen haette, als Anklaeger in dieser Sache bei dem Hause Brandenburg aufzutreten; dergestalt, dass da bereits der Hof-Assessor Franz Mueller, in der Eigenschaft als Anwalt nach Berlin gegangen waere, um den Kohlhaas daselbst, wegen Verletzung des oeffentlichen Landfriedens, zur Rechenschaft zu ziehen, die Beschwerde nunmehr auf keine Weise zurueckgenommen werden koenne, und die Sache den Gesetzen gemaess, ihren weiteren Fortgang nehmen muesse." Dieser Brief schlug den Kurfuersten voellig nieder; und da, zu seiner aeussersten Betruebnis, in einiger Zeit Privatschreiben aus Berlin einliefen, in welchen die Einleitung des Prozesses bei dem Kammergericht gemeldet, und bemerkt ward, dass der Kohlhaas wahrscheinlich, aller Bemuehungen des ihm zugeordneten Advokaten ungeachtet, auf dem Schafott enden werde: so beschloss dieser unglueckliche Herr noch einen Versuch zu machen, und bat den Kurfuersten von Brandenburg, in einer eigenhaendigen Zuschrift, um des Rosshaendlers Leben. Er schuetzte vor, dass die Amnestie, die man diesem Manne angelobt, die Vollstreckung eines Todesurteils an demselben, fueglicher Weise, nicht zulasse; versicherte ihn, dass es, trotz der scheinbaren Strenge, mit welcher man gegen ihn verfahren, nie seine Absicht gewesen waere, ihn sterben zu lassen; und beschrieb ihm, wie trostlos er sein wuerde, wenn der Schutz, den man vorgegeben haette, ihm von Berlin aus angedeihen lassen zu wollen, zuletzt, in einer unerwarteten Wendung, zu seinem groesseren Nachteile ausschlage, als wenn er in Dresden geblieben, und seine Sache nach saechsischen Gesetzen entschieden worden waere. Der Kurfuerst von Brandenburg, dem in dieser Angabe mancherlei zweideutig und unklar schien, antwortete ihm: "dass der Nachdruck, mit welchem der Anwalt kaiserlicher Majestaet verfuehre, platterdings nicht erlaube, dem Wunsch, den er ihm geaeussert, gemaess, von der strengen Vorschrift der Gesetze abzuweichen. Er bemerkte, dass die ihm vorgelegte Besorgnis in der Tat zu weit ginge, indem die Beschwerde, wegen der dem Kohlhaas in der Amnestie verziehenen Verbrechen ja nicht von ihm, der demselben die Amnestie erteilt, sondern von dem Reichsoberhaupt, das daran auf keine Weise gebunden sei, bei dem Kammergericht zu Berlin anhaengig gemacht worden waere. Dabei stellte er ihm vor, wie notwendig bei den fortdauernden Gewalttaetigkeiten des Nagelschmidt, die sich sogar schon, mit unerhoerter Dreistigkeit, bis aufs brandenburgische Gebiet erstreckten, die Statuierung eines abschreckenden Beispiels waere, und bat ihn, falls er dies alles nicht beruecksichtigen wolle, sich an des Kaisers Majestaet selbst zu wenden, indem, wenn dem Kohlhaas zu Gunsten ein Machtspruch fallen sollte, dies allein auf eine Erklaerung von dieser Seite her geschehen koenne." Der Kurfuerst, aus Gram und Aerger ueber alle diese missglueckten Versuche, verfiel in eine neue Krankheit; und da der Kaemmerer ihn an einem Morgen besuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das Leben zu fristen, und somit wenigstens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er besaesse, habhaft zu werden, an den Wiener und Berliner Hof erlassen. Der Kaemmerer warf sich auf Knieen vor ihm nieder, und bat ihn, um alles was ihm heilig und teuer sei, ihm zu sagen, was dieser Zettel enthalte? Der Kurfuerst sprach, er moechte das Zimmer verriegeln, und sich auf das Bett niedersetzen; und nachdem er seine Hand ergriffen, und mit einem Seufzer an sein Herz gedrueckt hatte, begann er folgendergestalt: "Deine Frau hat dir, wie ich hoere, schon erzaehlt, dass der Kurfuerst von Brandenburg und ich, am dritten Tage der Zusammenkunft, die wir in Jueterbock hielten, auf eine Zigeunerin trafen; und da der Kurfuerst, aufgeweckt wie er von Natur ist, beschloss, den Ruf dieser abenteuerlichen Frau, von deren Kunst, eben bei der Tafel, auf ungebuehrliche Weise die Rede gewesen war, durch einen Scherz im Angesicht alles Volks zu nichte zu machen: so trat er mit verschraenkten Armen vor ihren Tisch, und forderte, der Weissagung wegen, die sie ihm machen sollte, ein Zeichen von ihr, das sich noch heute erproben liesse, vorschuetzend, dass er sonst nicht, und waere sie auch die roemische Sibylle selbst, an ihre Worte glauben koenne. Die Frau, indem sie uns fluechtig von Kopf zu Fuss mass, sagte: das Zeichen wuerde sein, dass uns der grosse, gehoernte Rehbock, den der Sohn des Gaertners im Park erzog, auf dem Markt, worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch verlassen, entgegenkommen wuerde. Nun musst du wissen, dass dieser, fuer die Dresdner Kueche bestimmte Rehbock, in einem mit Latten hoch verzaeunten Verschlage, den die Eichen des Parks beschatteten, hinter Schloss und Riegel aufbewahrt ward, dergestalt, dass, da ueberdies anderen kleineren Wildes und Gefluegels wegen, der Park ueberhaupt und obenein der Garten, der zu ihm fuehrte, in sorgfaeltigem Beschluss gehalten ward, schlechterdings nicht abzusehen war, wie uns das Tier, diesem sonderbaren Vorgeben gemaess, bis auf dem Platz, wo wir standen, entgegenkommen wuerde; gleichwohl schickte der Kurfuerst aus Besorgnis vor einer dahinter steckenden Schelmerei, nach einer kurzen Abrede mit mir, entschlossen, auf unabaenderliche Weise, alles was sie noch vorbringen wurde, des Spasses wegen, zu Schanden zu machen, ins Schloss, und befahl, dass der Rehbock augenblicklich getoetet, und fuer die Tafel, an einem der naechsten Tage, zubereitet werden solle. Hierauf wandte er sich zu der Frau, vor welcher diese Sache laut verhandelt worden war, zurueck, und sagte: nun, Wohlan! was hast du mir fuer die Zukunft zu entdecken? Die Frau, indem sie in seine Hand sah, sprach: Heil meinem Kurfuersten und Herrn! Deine Gnaden wird lange regieren, das Haus, aus dem du stammst, lange bestehen, und deine Nachkommen gross und herrlich werden und zu Macht gelangen, vor allen Fuersten und Herren der Welt! Der Kurfuerst, nach einer Pause, in welcher er die Frau gedankenvoll ansah, sagte halblaut, mit einem Schritte, den er zu mir tat, dass es ihm jetzo fast leid taete, einen Boten abgeschickt zu haben, um die Weissagung zu nichte zu machen; und waehrend das Geld aus den Haenden der Ritter, die ihm folgten, der Frau haufenweise unter vielem Jubel, in den Schoss regnete, fragte er sie, indem er selbst in die Tasche griff, und ein Goldstueck dazu legte: ob der Gruss, den sie mir zu eroeffnen haette, auch von so silbernem Klang waere, als der seinige? Die Frau, nachdem sie einen Kasten, der ihr zur Seite stand, aufgemacht, und das Geld, nach Sorte und Menge, weitlaeufig und umstaendlich darin geordnet, und den Kasten wieder verschlossen hatte, schuetzte ihre Hand vor die Sonne, gleichsam als ob sie ihr laestig waere, und sah mich an; und da ich die Frage an sie wiederholte, und, auf scherzhafte Weise, waehrend sie meine Hand pruefte, zum Kurfuersten sagte: mir, scheint es, hat sie nichts, das eben angenehm waere, zu verkuendigen: so ergriff sie ihre Kruecken, hob sich langsam daran vom Schemel empor, und indem sie sich, mit geheimnisvoll vorgehaltenen Haenden, dicht zu mir heran draengte, fluesterte sie mir vernehmlich ins Ohr: nein!--So! sagt ich verwirrt, und trat einen Schritt vor der Gestalt zurueck, die sich, mit einem Blick, kalt und leblos, wie aus marmornen Augen, auf den Schemel, der hinter ihr stand, zuruecksetzte: von welcher Seite her droht meinem Hause Gefahr? Die Frau, indem sie eine Kohle und ein Papier zur Hand nahm und ihre Kniee kreuzte, fragte: ob sie es mir aufschreiben solle? und da ich, verlegen in der Tat, bloss weil mir, unter den bestehenden Umstaenden, nichts anders uebrig blieb, antwortete: ja! das tu! so versetzte sie: >wohlan! dreierlei schreib ich dir auf: den Namen des letzten Regenten deines Hauses, die Jahreszahl, da er sein Reich verlieren, und den Namen dessen, der es, durch die Gewalt der Waffen, an sich reissen wird.< Dies, vor den Augen allen Volks abgemacht, erhebt sie sich, verklebt den Zettel mit Lack, den sie in ihrem welken Munde befeuchtet, und drueckt einen bleiernen, an ihrem Mittelfinger befindlichen Siegelring darauf. Und da ich den Zettel, neugierig, wie du leicht begreifst, mehr als Worte sagen koennen, erfassen will, spricht sie: >mit nichten, Hoheit!< und wendet sich und hebt ihrer Kruecken eine empor: >von jenem Mann dort, der, mit dem Federhut, auf der Bank steht, hinter allem Volk, am Kircheneingang, loesest du, wenn es dir beliebt, den Zettel ein!< Und damit, ehe ich noch recht begriffen, was sie sagt, auf dem Platz, vor Erstaunen sprachlos, laesst sie mich stehen; und waehrend sie den Kasten, der hinter ihr stand, zusammenschlug, und ueber den Ruecken warf, mischt sie sich, ohne dass ich weiter bemerken konnte, was sie tut, unter den Haufen des uns umringenden Volks. Nun trat, zu meinem in der Tat herzlichen Trost, in eben diesem Augenblick der Ritter auf, den der Kurfuerst ins Schloss geschickt hatte, und meldete ihm, mit lachendem Munde, dass der Rehbock getoetet, und durch zwei Jaeger, vor seinen Augen, in die Kueche geschleppt worden sei. Der Kurfuerst, indem er seinen Arm munter in den meinigen legte, in der Absicht, mich von dem Platz hinwegzufuehren, sagte: nun, wohlan! so war die Prophezeiung eine alltaegliche Gaunerei, und Zeit und Gold, die sie uns gekostet nicht wert! Aber wie gross war unser Erstaunen, da sich, noch waehrend dieser Worte, ein Geschrei rings auf dem Platze erhob, und aller Augen sich einem grossen, vom Schlosshof herantrabenden Schlaechterhund zuwandten, der in der Kueche den Rehbock als gute Beute beim Nacken erfasst, und das Tier drei Schritte von uns, verfolgt von Knechten und Maegden, auf den Boden fallen liess: dergestalt, dass in der Tat die Prophezeiung des Weibes, zum Unterpfand alles dessen, was sie vorgebracht, erfuellt, und der Rehbock uns bis auf den Markt, obschon allerdings tot, entgegen gekommen war. Der Blitz, der an einem Wintertag vom Himmel faellt, kann nicht vernichtender treffen, als mich dieser Anblick, und meine erste Bemuehung, sobald ich der Gesellschaft in der ich mich befand, ueberhoben, war gleich, den Mann mit dem Federhut, den mir das Weib bezeichnet hatte, auszumitteln; doch keiner meiner Leute, unausgesetzt waehrend drei Tage auf Kundschaft geschickt, war im Stande mir auch nur auf die entfernteste Weise Nachricht davon zu geben: und jetzt, Freund Kunz, vor wenig Wochen, in der Meierei zu Dahme, habe ich den Mann mit meinem eigenen Augen gesehn."--Und damit liess er die Hand des Kaemmerers fahren; und waehrend er sich den Schweiss abtrocknete, sank er wieder auf das Lager zurueck. Der Kaemmerer, der es fuer vergebliche Muehe hielt, mit seiner Ansicht von diesem Vorfall die Ansicht, die der Kurfuerst davon hatte, zu durchkreuzen und zu berichtigen, bat ihn, doch irgend ein Mittel zu versuchen, des Zettels habhaft zu werden, und den Kerl nachher seinem Schicksal zu ueberlassen; doch der Kurfuerst antwortete, dass er platterdings kein Mittel dazu saehe, obschon der Gedanke, ihn entbehren zu muessen, oder wohl gar die Wissenschaft davon mit diesem Menschen untergehen zu sehen, ihn dem Jammer und der Verzweiflung nahe braechte. Auf die Frage des Freundes: ob er denn Versuche gemacht, die Person der Zigeunerin selbst auszuforschen? erwiderte der Kurfuerst, dass das Gubernium, auf einen Befehl, den er unter einem falschen Vorwand an dasselbe erlassen, diesem Weibe vergebens, bis auf den heutigen Tag, in allen Plaetzen des Kurfuerstentums nachspuere: wobei er, aus Gruenden, die er jedoch naeher zu entwickeln sich weigerte, ueberhaupt zweifelte, dass sie in Sachsen auszumitteln sei. Nun traf es sich, dass der Kaemmerer, mehrerer betraechtlichen Gueter wegen, die seiner Frau aus der Hinterlassenschaft des abgesetzten und bald darauf verstorbenen Erzkanzlers, Grafen Kallheim, in der Neumark zugefallen waren, nach Berlin reisen wollte; dergestalt, dass, da er den Kurfuersten in der Tat liebte, er ihn nach einer kurzen Ueberlegung fragte: ob er ihm in dieser Sache freie Hand lassen wolle? und da dieser, indem er seine Hand herzlich an seine Brust drueckte, antwortete: "denke, du seist ich, und schaff mir den Zettel!" so beschleunigte der Kaemmerer, nachdem er seine Geschaefte abgegeben, um einige Tage seine Abreise, und fuhr, mit Zuruecklassung seiner Frau, bloss von einigen Bedienten begleitet, nach Berlin ab. Kohlhaas, der inzwischen, wie schon gesagt, in Berlin angekommen, und, auf einen Spezialbefehl des Kurfuersten, in ein ritterliches Gefaengnis gebracht worden war, das ihn mit seinen fuenf Kindern, so bequem als es sich tun liess, empfing, war gleich nach Erscheinung des kaiserlichen Anwalts aus Wien, auf den Grund wegen Verletzung des oeffentlichen, kaiserlichen Landfriedens, vor den Schranken des Kammergerichts zur Rechenschaft gezogen worden; und ob er schon in seiner Verantwortung einwandte, dass er wegen seines bewaffneten Einfalls in Sachsen, und der dabei veruebten Gewalttaetigkeiten, kraft des mit dem Kurfuersten von Sachsen zu Luetzen abgeschlossenen Vergleichs, nicht belangt werden koenne: so erfuhr er doch, zu seiner Belehrung, dass des Kaisers Majestaet, deren Anwalt hier die Beschwerde fuehre, darauf keine Ruecksicht nehmen koenne: liess sich auch sehr bald, da man ihm die Sache auseinander setzte und erklaerte, wie ihm dagegen von Dresden her, in seiner Sache gegen den Junker Wenzel von Tronka, voellige Genugtuung widerfahren werde, die Sache gefallen. Demnach traf es sich, dass grade am Tage der Ankunft des Kaemmerers, das Gesetz ueber ihn sprach, und er verurteilt ward mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht zu werden; ein Urteil, an dessen Vollstreckung gleichwohl, bei der verwickelten Lage der Dinge, seiner Milde ungeachtet, niemand glaubte, ja, das die ganze Stadt, bei dem Wohlwollen das der Kurfuerst fuer den Kohlhaas trug, unfehlbar durch ein Machtwort desselben, in eine blosse, vielleicht beschwerliche und langwierige Gefaengnisstrafe verwandelt zu sehen hoffte. Der Kaemmerer, der gleichwohl einsah, dass keine Zeit zu verlieren sein moechte, falls der Auftrag, den ihm sein Herr gegeben, in Erfuellung gehen sollte, fing sein Geschaeft damit an, sich dem Kohlhaas, am Morgen eines Tages, da derselbe in harmloser Betrachtung der Voruebergehenden, am Fenster seines Gefaengnisses stand, in seiner gewoehnlichen Hoftracht, genau und umstaendlich zu zeigen; und da er, aus einer ploetzlichen Bewegung seines Kopfes, schloss, dass der Rosshaendler ihn bemerkt hatte, und besonders, mit grossem Vergnuegen, einen unwillkuerlichen Griff desselben mit der Hand auf die Gegend der Brust, wo die Kapsel lag, wahrnahm: so hielt er das, was in der Seele desselben in diesem Augenblick vorgegangen war, fuer eine hinlaengliche Vorbereitung, um in dem Versuch, des Zettels habhaft zu werden, einen Schritt weiter vorzuruecken. Er bestellte ein altes, auf Kruecken herumwandelndes Troedelweib zu sich, das er in den Strassen von Berlin, unter einem Tross andern, mit Lumpen handelnden Gesindels bemerkt hatte, und das ihm, dem Alter und der Tracht nach, ziemlich mit dem, das ihm der Kurfuerst beschrieben hatte, uebereinzustimmen schien; und in der Voraussetzung, der Kohlhaas werde sich die Zuege derjenigen, die ihm in einer fluechtigen Erscheinung den Zettel ueberreicht hatte, nicht eben tief eingepraegt haben, beschloss er, das gedachte Weib statt ihrer unterzuschieben, und bei Kohlhaas, wenn es sich tun liesse, die Rolle, als ob sie die Zigeunerin waere, spielen zu lassen. Dem gemaess, um sie dazu in Stand zu setzen, unterrichtete er sie umstaendlich von allem, was zwischen dem Kurfuersten und der gedachten Zigeunerin in Jueterbock vorgefallen war, wobei er, weil er nicht wusste, wie weit das Weib in ihren Eroeffnungen gegen den Kohlhaas gegangen war, nicht vergass, ihr besonders die drei geheimnisvollen, in dem Zettel enthaltenen Artikel einzuschaerfen; und nachdem er ihr auseinandergesetzt hatte, was sie, auf abgerissene und unverstaendliche Weise, fallen lassen muesse, gewisser Anstalten wegen, die man getroffen, sei es durch List oder durch Gewalt, des Zettels, der dem saechsischen Hofe von der aeussersten Wichtigkeit sei, habhaft zu werden, trug er ihr auf, dem Kohlhaas den Zettel, unter dem Vorwand, dass derselbe bei ihm nicht mehr sicher sei, zur Aufbewahrung waehrend einiger verhaengnisvollen Tage, abzufordern. Das Troedelweib uebernahm auch sogleich gegen die Verheissung einer betraechtlichen Belohnung, wovon der Kaemmerer ihr auf ihre Forderung einen Teil im voraus bezahlen musste, die Ausfuehrung des besagten Geschaefts; und da die Mutter des bei Muehlberg gefallenen Knechts Herse, den Kohlhaas, mit Erlaubnis der Regierung, zuweilen besuchte, diese Frau ihr aber seit einigen Monden her, bekannt war: so gelang es ihr, an einem der naechsten Tage, vermittelst einer kleinen Gabe an den Kerkermeister, sich bei dem Rosskamm Eingang zu verschaffen.--Kohlhaas aber, als diese Frau zu ihm eintrat, meinte, an einem Siegelring, den sie an der Hand trug, und einer ihr vom Hals herabhaengenden Korallenkette, die bekannte alte Zigeunerin selbst wieder zu erkennen, die ihm in Jueterbock den Zettel ueberreicht hatte; und wie denn die Wahrscheinlichkeit nicht immer auf Seiten der Wahrheit ist, so traf es sich, dass hier etwas geschehen war, das wir zwar berichten: die Freiheit aber, daran zu zweifeln, demjenigen, dem es wohlgefaellt, zugestehen muessen: der Kaemmerer hatte den ungeheuersten Missgriff begangen, und in dem alten Troedelweib, das er in den Strassen von Berlin aufgriff, um die Zigeunerin nachzuahmen, die geheimnisreiche Zigeunerin selbst getroffen, die er nachgeahmt wissen wollte. Wenigstens berichtete das Weib, indem sie, auf ihre Kruecken gestuetzt, die Wangen der Kinder streichelte, die sich, betroffen von ihrem wunderlichen Anblick, an den Vater lehnten: dass sie schon seit geraumer Zeit aus dem Saechsischen ins Brandenburgische zurueckgekehrt sei, und sich, auf eine, in den Strassen von Berlin unvorsichtig gewagte Frage des Kaemmerers, nach der Zigeunerin, die im Fruehjahr des verflossenen Jahres, in Jueterbock gewesen, sogleich an ihn gedraengt, und, unter einem falschen Namen, zu dem Geschaefte, das er besorgt wissen wollte, angeraten habe. Der Rosshaendler, der eine sonderbare Aehnlichkeit zwischen ihr und seinem verstorbenen Weibe Lisbeth bemerkte, dergestalt, dass er sie haette fragen koennen, ob sie ihre Grossmutter sei: denn nicht nur, dass die Zuege ihres Gesichts, ihre Haende, auch in ihrem knoechernen Bau noch schoen, und besonders der Gebrauch, den sie davon im Reden machte, ihn aufs lebhafteste an sie erinnerten: auch ein Mal, womit seiner Frauen Hals bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen--der Rosshaendler noetigte sie, unter Gedanken, die sich seltsam in ihm kreuzten, auf einen Stuhl nieder, und fragte, was sie in aller Welt in Geschaeften des Kaemmerers zu ihm fuehre? Die Frau, waehrend der alte Hund des Kohlhaas ihre Kniee umschnueffelte, und von ihrer Hand gekraut, mit dem Schwanz wedelte, antwortete: "der Auftrag, den ihr der Kaemmerer gegeben, waere, ihm zu eroeffnen, auf welche drei dem saechsischen Hofe wichtigen Fragen der Zettel geheimnisvolle Antwort enthalte; ihn vor einem Abgesandten, der sich in Berlin befinde, um seiner habhaft zu werden, zu warnen: und ihm den Zettel, unter dem Vorwande, dass er an seiner Brust, wo er ihn trage, nicht mehr sicher sei, abzufordern. Die Absicht aber, in der sie komme, sei, ihm zu sagen, dass die Drohung ihn durch Arglist oder Gewalttaetigkeit um den Zettel zu bringen, abgeschmackt, und ein leeres Trugbild sei; dass er unter dem Schutz des Kurfuersten von Brandenburg, in dessen Verwahrsam er sich befinde, nicht das Mindeste fuer denselben zu befuerchten habe, ja, dass das Blatt bei ihm weit sicherer sei, als bei ihr, und dass er sich wohl hueten moechte, sich durch Ablieferung desselben, an wen und unter welchem Vorwand es auch sei, darum bringen zu lassen.--Gleichwohl schloss sie, dass sie es fuer klug hielte, von dem Zettel den Gebrauch zu machen, zu welchem sie ihm denselben auf dem Jahrmarkt zu Jueterbock eingehaendigt, dem Antrag, den man ihm auf der Grenze durch den Junker vom Stein gemacht, Gehoer zu geben, und den Zettel, der ihm selbst weiter nichts nutzen koenne, fuer Freiheit und Leben an den Kurfuersten von Sachsen auszuliefern." Kohlhaas, der ueber die Macht jauchzte, die ihm gegeben war, seines Feindes Ferse, in dem Augenblick, da sie ihn in den Staub trat, toedlich zu verwunden, antwortete: nicht um die Welt, Muetterchen, nicht um die Welt! und drueckte der Alten Hand, und wollte nur wissen, was fuer Antworten auf die ungeheuren Fragen im Zettel enthalten waeren? Die Frau, inzwischen sie das Juengste, das sich zu ihren Fuessen niedergekauert hatte, auf den Schoss nahm, sprach: "nicht um die Welt, Kohlhaas, der Rosshaendler; aber um diesen huebschen, kleinen, blonden Jungen!" und damit lachte sie ihn an, hetzte und kuesste ihn, der sie mit grossen Augen ansah, und reichte ihm, mit ihren duerren Haenden, einen Apfel, den sie in ihrer Tasche trug, dar. Kohlhaas sagte verwirrt: dass die Kinder selbst, wenn sie gross waeren, ihn, um seines Verfahrens loben wuerden, und dass er, fuer sie und ihre Enkel nichts Heilsameres tun koenne, als den Zettel behalten. Zudem fragte er, wer ihn, nach der Erfahrung, die er gemacht, vor einem neuen Betrug sicher stelle, und ob er nicht zuletzt, unnuetzer Weise, den Zettel, wie juengst den Kriegshaufen, den er in Luetzen zusammengebracht, an den Kurfuersten aufopfern wuerde? "Wer mir sein Wort einmal gebrochen", sprach er, "mit dem wechsle ich keins mehr; und nur deine Forderung, bestimmt und unzweideutig, trennt mich, gutes Muetterchen, von dem Blatt, durch welches mir fuer alles, was ich erlitten, auf so wunderbare Weise Genugtuung geworden ist." Die Frau, indem sie das Kind auf den Boden setzte, sagte: dass er in mancherlei Hinsicht recht haette, und dass er tun und lassen koennte, was er wollte! Und damit nahm sie ihre Kruecken wieder zur Hand, und wollte gehn. Kohlhaas wiederholte seine Frage, den Inhalt des wunderbaren Zettels betreffend; er wuenschte, da sie fluechtig antwortete: "dass er ihn ja eroeffnen koenne, obschon es eine blosse Neugierde waere", noch ueber tausend andere Dinge, bevor sie ihn verliesse, Aufschluss zu erhalten; wer sie eigentlich sei, woher sie zu der Wissenschaft, die ihr inwohne, komme, warum sie dem Kurfuersten, fuer den er doch geschrieben, den Zettel verweigert, und grade ihm, unter so vielen tausend Menschen, der ihrer Wissenschaft nie begehrt, das Wunderblatt ueberreicht habe?--Nun traf es sich, dass in eben diesem Augenblick ein Geraeusch hoerbar ward, das einige Polizei-Offizianten, die die Treppe heraufstiegen, verursachten; dergestalt, dass das Weib, von ploetzlicher Besorgnis, in diesen Gemaechern von ihnen betroffen zu werden, ergriffen, antwortete: "auf Wiedersehen Kohlhaas, auf Wiedersehn! Es soll dir, wenn wir uns wiedertreffen, an Kenntnis ueber dies alles nicht fehlen!" Und damit, indem sie sich gegen die Tuer wandte, rief sie: "lebt wohl, Kinderchen, lebt wohl!" kuesste das kleine Geschlecht nach der Reihe, und ging ab. Inzwischen hatte der Kurfuerst von Sachsen, seinen jammervollen Gedanken preisgegeben, zwei Astrologen, namens Oldenholm und Olearius, welche damals in Sachsen in grossem Ansehen standen, herbeigerufen, und wegen des Inhalts des geheimnisvollen, ihm und dem ganzen Geschlecht seiner Nachkommen so wichtigen Zettels zu Rate gezogen; und da die Maenner, nach einer, mehrere Tage lang im Schlossturm zu Dresden fortgesetzten, tiefsinnigen Untersuchung, nicht einig werden konnten, ob die Prophezeiung sich auf spaete Jahrhunderte oder aber auf die jetzige Zeit beziehe, und vielleicht die Krone Polen, mit welcher die Verhaeltnisse immer noch sehr kriegerisch waren, damit gemeint sei: so wurde durch solchen gelehrten Streit, statt sie zu zerstreuen, die Unruhe, um nicht zu sagen, Verzweiflung, in welcher sich dieser unglueckliche Herr befand, nur geschaerft, und zuletzt bis auf einen Grad, der seiner Seele ganz unertraeglich war, vermehrt. Dazu kam, dass der Kaemmerer um diese Zeit seiner Frau, die im Begriff stand, ihm nach Berlin zu folgen, auftrug, dem Kurfuersten, bevor sie abreiste, auf eine geschickte Art beizubringen, wie misslich es nach einem verunglueckten Versuch, den er mit einem Weibe gemacht, das sich seitdem nicht wieder habe blicken lassen, mit der Hoffnung aussehe, des Zettels in dessen Besitz der Kohlhaas sei, habhaft zu werden, indem das ueber ihn gefaellte Todesurteil, nunmehr, nach einer umstaendlichen Pruefung der Akten, von dem Kurfuersten von Brandenburg unterzeichnet, und der Hinrichtungstag bereits auf den Montag nach Palmarum festgesetzt sei; auf welche Nachricht der Kurfuerst sich, das Herz von Kummer und Reue zerrissen, gleich einem ganz Verlorenen, in seinem Zimmer verschloss, waehrend zwei Tage, des Lebens satt, keine Speise zu sich nahm, und am dritten ploetzlich, unter der kurzen Anzeige an das Gubernium, dass er zu dem Fuersten von Dessau auf die Jagd reise, aus Dresden verschwand. Wohin er eigentlich ging, und ob er sich nach Dessau wandte, lassen wir dahin gestellt sein, indem die Chroniken, aus deren Vergleichung wir Bericht erstatten, an dieser Stelle, auf befremdende Weise, einander widersprechen und aufheben. Gewiss ist, dass der Fuerst von Dessau, unfaehig zu jagen, um diese Zeit krank in Braunschweig, bei seinem Oheim, dem Herzog Heinrich, lag, und dass die Dame Heloise, am Abend des folgenden Tages, in Gesellschaft eines Grafen von Koenigstein, den sie fuer ihren Vetter ausgab, bei dem Kaemmerer Herrn Kunz, ihrem Gemahl, in Berlin eintraf. --Inzwischen war dem Kohlhaas, auf Befehl des Kurfuersten, das Todesurteil vorgelesen, die Ketten abgenommen, und die ueber sein Vermoegen lautenden Papiere, die ihm in Dresden abgesprochen worden waren, wieder zugestellt worden; und da die Raete, die das Gericht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten, wie er es mit dem, was er besitze, nach seinem Tode gehalten wissen wolle: so verfertigte er, mit Huelfe eines Notars, zu seiner Kinder Gunsten ein Testament, und setzte den Amtmann zu Kohlhaasenbrueck, seinen wackern Freund, zum Vormund derselben ein. Demnach glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit seiner letzten Tage; denn auf eine sonderbare Spezial-Verordnung des Kurfuersten war bald darauf auch noch der Zwinger, in welchem er sich befand, eroeffnet, und allen seinen Freunden, deren er sehr viele in der Stadt besass, bei Tag und Nacht freier Zutritt zu ihm verstattet worden. Ja, er hatte noch die Genugtuung, den Theologen Jakob Freising, als einen Abgesandten Doktor Luthers, mit einem eigenhaendigen, ohne Zweifel sehr merkwuerdigen Brief, der aber verloren gegangen ist, in sein Gefaengnis treten zu sehen, und von diesem geistlichen Herrn in Gegenwart zweier brandenburgischen Dechanten, die ihm an die Hand gingen, die Wohltat der heiligen Kommunion zu empfangen. Hierauf erschien nun, unter einer allgemeinen Bewegung der Stadt, die sich immer noch nicht entwoehnen konnte, auf ein Machtwort, das ihn rettete, zu hoffen, der verhaengnisvolle Montag nach Palmarum, an welchem er die Welt, wegen des allzuraschen Versuchs, sich selbst in ihr Recht verschaffen zu wollen, versoehnen sollte. Eben trat er, in Begleitung einer starken Wache, seine beiden Knaben auf dem Arm (denn diese Verguenstigung hatte er sich ausdruecklich vor den Schranken des Gerichts ausgebeten), von dem Theologen Jakob Freising gefuehrt, aus dem Tor seines Gefaengnisses, als unter einem wehmuetigen Gewimmel von Bekannten, die ihm die Haende drueckten, und von ihm Abschied nahmen, der Kastellan des kurfuerstlichen Schlosses, verstoert im Gesicht, zu ihm herantrat, und ihm ein Blatt gab, das ihm, wie er sagte, ein altes Weib fuer ihn eingehaendigt. Kohlhaas, waehrend er den Mann der ihm nur wenig bekannt war, befremdet ansah, eroeffnete das Blatt, dessen Siegelring ihn, im Mundlack ausgedrueckt, sogleich an die bekannte Zigeunerin erinnerte. Aber wer beschreibt das Erstaunen, das ihn ergriff, als er folgende Nachricht darin fand: "Kohlhaas, der Kurfuerst von Sachsen ist in Berlin; auf den Richtplatz schon ist er vorangegangen, und wird, wenn dir daran liegt, an einem Hut, mit blauen und weissen Federbueschen kenntlich sein. Die Absicht, in der er koemmt, brauche ich dir nicht zu sagen; er will die Kapsel, sobald du verscharrt bist, ausgraben, und den Zettel, der darin befindlich ist, eroeffnen lassen. --Deine Elisabeth."--Kohlhaas, indem er sich auf das aeusserste bestuerzt zu dem Kastellan umwandte, fragte ihn: ob er das wunderbare Weib, das ihm den Zettel uebergeben, kenne? Doch da der Kastellan antwortete: "Kohlhaas, das Weib"--und in Mitten der Rede auf sonderbare Weise stockte, so konnte er, von dem Zuge, der in diesem Augenblick wieder antrat, fortgerissen, nicht vernehmen, was der Mann, der an allen Gliedern zu zittern schien, vorbrachte.--Als er auf dem Richtplatz ankam, fand er den Kurfuersten von Brandenburg mit seinem Gefolge, worunter sich auch der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau befand, unter einer unermesslichen Menschenmenge, daselbst zu Pferde halten: ihm zur Rechten der kaiserliche Anwalt Franz Mueller, eine Abschrift des Todesurteils in der Hand; ihm zur Linken, mit dem Konklusum des Dresdner Hofgerichts, sein eigener Anwalt, der Rechtsgelehrte Anton Zaeuner; ein Herold in der Mitte des halboffenen Kreises, den das Volk schloss, mit einem Buendel Sachen, und den beiden, von Wohlsein glaenzenden, die Erde mit ihren Hufen stampfenden Rappen. Denn der Erzkanzler, Herr Heinrich, hatte die Klage, die er, im Namen seines Herrn, in Dresden anhaengig gemacht, Punkt fuer Punkt, und ohne die mindeste Einschraenkung gegen den Junker Wenzel von Tronka, durchgesetzt; dergestalt, dass die Pferde, nachdem man sie durch Schwingung einer Fahne ueber ihre Haeupter, ehrlich gemacht, und aus den Haenden des Abdeckers, der sie ernaehrt, zurueckgezogen hatte, von den Leuten des Junkers dickgefuettert, und in Gegenwart einer eigens dazu niedergesetzten Kommission, dem Anwalt, auf dem Markt zu Dresden, uebergeben worden waren. Demnach sprach der Kurfuerst, als Kohlhaas von der Wache begleitet, auf den Huegel zu ihm heranschritt: Nun, Kohlhaas, heut ist der Tag, an dem dir dein Recht geschieht! Schau her, hier liefere ich dir alles, was du auf der Tronkenburg gewaltsamer Weise eingebuesst, und was ich, als dein Landesherr, dir wieder zu verschaffen, schuldig war, zurueck: Rappen, Halstuch, Reichsgulden, Waesche, bis auf die Kurkosten sogar fuer deinen bei Muehlberg gefallenen Knecht Herse. Bist du mit mir zufrieden?--Kohlhaas, waehrend er das, ihm auf den Wink des Erzkanzlers eingehaendigte Konklusum, mit grossen, funkelnden Augen ueberlas, setzte die beiden Kinder, die er auf dem Arm trug, neben sich auf den Boden nieder; und da er auch einen Artikel darin fand, in welchem der Junker Wenzel zu zweijaehriger Gefaengnisstrafe verurteilt ward: so liess er sich, aus der Ferne, ganz ueberwaeltigt von Gefuehlen, mit kreuzweis auf die Brust gelegten Haenden, vor dem Kurfuersten nieder. Er versicherte freudig dem Erzkanzler, indem er aufstand, und die Hand auf seinen Schoss legte, dass sein hoechster Wunsch auf Erden erfuellt sei; trat an die Pferde heran, musterte sie, und klopfte ihren feisten Hals; und erklaerte dem Kanzler, indem er wieder zu ihm zurueckkam, heiter: "dass er sie seinen beiden Soehnen Heinrich und Leopold schenke!" Der Kanzler, Herr Heinrich von Geusau, vom Pferde herab mild zu ihm gewandt, versprach ihm, in des Kurfuersten Namen, dass sein letzter Wille heilig gehalten werden solle: und forderte ihn auf, auch ueber die uebrigen im Buendel befindlichen Sachen, nach seinem Gutduenken zu schalten. Hierauf rief Kohlhaas die alte Mutter Hersens, die er auf dem Platz wahrgenommen hatte, aus dem Haufen des Volks hervor, und indem er ihr die Sachen uebergab, sprach er: "da, Muetterchen; das gehoert dir!"--die Summe, die, als Schadenersatz fuer ihn, bei dem im Buendel liegenden Gelde befindlich war, als ein Geschenk noch, zur Pflege und Erquickung ihrer alten Tage, hinzufuegend.--Der Kurfuerst rief: "nun, Kohlhaas, der Rosshaendler, du, dem solchergestalt Genugtuung geworden, mache dich bereit, kaiserlicher Majestaet, deren Anwalt hier steht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens, deinerseits Genugtuung zu geben!" Kohlhaas, indem er seinen Hut abnahm, und auf die Erde warf, sagte: dass er bereit dazu waere! uebergab die Kinder, nachdem er sie noch einmal vom Boden erhoben, und an seine Brust gedrueckt hatte, dem Amtmann von Kohlhaasenbrueck, und trat, waehrend dieser sie unter stillen Traenen, vom Platz hinwegfuehrte, an den Block. Eben knuepfte er sich das Tuch vom Hals ab und oeffnete seinen Brustlatz: als er, mit einem fluechtigen Blick auf den Kreis, den das Volk bildete, in geringer Entfernung von sich, zwischen zwei Rittern, die ihn mit ihren Leibern halb deckten, den wohlbekannten Mann mit blauen und weissen Federbueschen wahrnahm. Kohlhaas loeste sich, indem er mit einem ploetzlichen, die Wache, die ihn umringte, befremdenden Schritt, dicht vor ihn trat, die Kapsel von der Brust; er nahm den Zettel heraus, entsiegelte ihn, und ueberlas ihn: und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauen und weissen Federbueschen gerichtet, der bereits suessen Hoffnungen Raum zu geben anfing, steckte er ihn in den Mund und verschlang ihn. Der Mann mit blauen und weissen Federbueschen sank, bei diesem Anblick, ohnmaechtig, in Kraempfen nieder. Kohlhaas aber, waehrend die bestuerzten Begleiter desselben sich herabbeugten, und ihn vom Boden aufhoben, wandte sich zu dem Schafott, wo sein Haupt unter dem Beil des Scharfrichters fiel. Hier endigt die Geschichte vom Kohlhaas. Man legte die Leiche unter einer allgemeinen Klage des Volks in einen Sarg; und waehrend die Traeger sie aufhoben, um sie anstaendig auf den Kirchhof der Vorstadt zu begraben, rief der Kurfuerst die Soehne des Abgeschiedenen herbei und schlug sie, mit der Erklaerung an den Erzkanzler, dass sie in seiner Pagenschule erzogen werden sollten, zu Rittern. Der Kurfuerst von Sachsen kam bald darauf, zerrissen an Leib und Seele, nach Dresden zurueck, wo man das Weitere in der Geschichte nachlesen muss. Vom Kohlhaas aber haben noch im vergangenen Jahrhundert, im Mecklenburgischen, einige frohe und ruestige Nachkommen gelebt. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Ausgewaehlte Schriften, von Heinrich von Kleist. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, AUSGEWAEHLTE SCHRIFTEN *** This file should be named 7sgwh10.txt or 7sgwh10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7sgwh11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7sgwh10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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