The Project Gutenberg EBook of Angela Borgia, by Conrad Ferdinand Meyer Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Die wuerdigen Maenner schritten feierlich je vier an einer Seite des Baldachins, neben welchen andere acht gingen, um sie an den vergoldeten Stangen abzuloesen und ihrerseits des Dienstes und der Ehre teilhaftig zu werden. Hin und wieder erhob der eine und der andere den sinnenden Blick auf die zartgefaerbte, lichte Erscheinung im wehenden Goldhaar. Der Professor der Naturgeschichte erforschte und bedachte die seltene Farbe ihrer hellen Augen und fand sie unbestimmbar, waehrend der Professor der Moralwissenschaften, ein Greis mit unbestechlichen Falten, sich ernstlich fragte, ob auf dem unheimlichen, mit Schlangen gefuellten Hintergrunde einer solchen Vergangenheit ein so frohes und sorgenloses Geschoepf eine menschliche Moeglichkeit waere, oder ob Donna Lukrezia nicht eher ein unbekannten Gesetzen gehorchendes, daemonisches Zwitterding sei. Der dritte, ein Mathematiker und Astrolog, hielt die Fuerstin fuer ein natuerliches Weib, das nur, durch masslose Verhaeltnisse und den Einfluss seltsamer Konstellationen aus der Bahn getrieben, unter veraenderten Sternen und in neuer Umgebung den Lauf gewoehnlicher Weiblichkeit einhalten werde. Der vierte, ein Juengling mit krausem Haar und kuehnen Zuegen, verzehrte die ganze schwebende Gestalt vom Nacken bis zur Ferse mit der Flamme seines Blickes. Das war Herkules Strozzi, Professor der Rechte, und trotz seiner Jugend zugleich der oberste Richter in Ferrara. Waere es nicht seine Fuerstin gewesen, er haette sie als florentinischer Republikaner vor sein Tribunal geschleppt, aber gerade dieser strahlende rechtlose Triumph ueber Gesetz und Sitte nach so schmaehlichen Taten und Leiden riss ihn zu bewunderndem Erstaunen hin. Unangefochten von diesem Gedankengefolge, aber es leicht erratend, klar und klug, wie sie war, verbreitete die junge Triumphatorin Licht und Glueck ueber den Festzug mit ihrem Laecheln. Doch auch sie hing unter ihrer lieblichen Maske ernsten Betrachtungen nach, denn sie erwog die Entscheidung dieser sie nach Ferrara fuehrenden Stunde, welche die Bruecke zwischen ihr und ihrer graesslichen Vergangenheit zerstoerte. Diese wuerde noch hinter ihr drohen und die Furienhaare schuetteln, aber durfte nicht nach ihr greifen, wenn sie selbst sich nicht schaudernd umwandte und zuruecksah, und solche Kraft traute sie sich zu. Eine zarte Pflanze, aufwachsend in einem Treibhause der Suende, eine feine Gestalt in den schamlosen Saelen des Vatikans, den ersten Gatten durch Meineid abschuettelnd, einen anderen von ihrer Brust weg in das Schwert des furchtbaren und geliebteren Bruders treibend, hatte Lukrezia Muehe gehabt, in den Kreuzgaengen der Kloester, wohin sie sich mitunter nach der Sitte zu mechanischer Busse zurueckzog, die einfachsten sittlichen Begriffe wie die Laute einer fremden Sprache sich anzulernen; denn sie waren, ihrer Seele fremd. Hoechstens geschah es, dass ihr einmal ein Busse predigender Moench, den dann der Heilige Vater zur Strafe in den Tiber werfen liess, eine ploetzliche Roete in die Wangen oder einen Schauder ins Gebein jagte. Mit der von ihrem unglaublichen Vater ererbten Verjuengungsgabe erhob sie sich jeden Morgen als eine Neue vom Lager, wie nach einem Bade voelligen Vergessens. Dergestalt verwand sie ohne Muehe, was eine gerechte Seele mit den schwersten Bussen zu suehnen fuer unmoeglich erachtet, was sie zur Selbstvernichtung getrieben haette. Und wenn sie nach einer unerhoerten Tat verfolgende Stimmen und Tritte der Geisterwelt hinter sich vernahm, so verschloss sie die Ohren und gewann den Geistern den Vorsprung ab auf ihren jungen Fuessen. Nur ihr Verstand, und der war gross, ueberzeugte sie durch die Vergleichung der roemischen Dinge mit den Begriffen der ganzen uebrigen, der lebenden und der vergangenen Welt, oder durch ein irgendwo gehoertes maennliches Urteil, oder durch das von ihr wahrgenommene Erschrecken eines Unschuldigen bei ihrem Anblick--ihr Verstand allein ueberfuehrte sie nach und nach von der nicht empfundenen Verdammnis ihres Daseins, aber allmaehlich so gruendlich und unwidersprechlich, dass sie mit, Sehnsucht, und jeden Tag sehnlicher, ein neues zu beginnen und Rom wie einen boesen Traum hinter sich zu lassen verlangte. Ihr Begehren, dessen Heftigkeit sie verbarg, erfuellte ihr dritter Gemahl, der Erbe von Ferrara.. Beim Anblick dieser ruhigen, geschlossenen Miene hatte sie sich gesagt: Jetzt ist es erreicht. Mit diesem bin ich gerettet. Sicherlich kennt er meine Vergangenheit und taeuscht sich darueber, so reizend ich bin, keinen Augenblick. Es kostet ihn Ueberwindung, mit mir den Ring zu wechseln bei dem Geschrei, in dem ich stehe, und bei seiner buergerlichen Ehrsamkeit; wenn er sich nun aber entschlossen hat, mich zum Weibe zu nehmen zur Wohlfahrt seines Staates und um mit vollen Haenden aus dem Schatze des heiligen Petrus zu schoepfen--aus welchem Grunde es sei, so wird der Mann, wie er ist, einen mutigen Strich durch meine Vergangenheit ziehen und mir dieselbe niemals vorhalten, fall' ich nicht in neue Schuld... davor aber werde ich mich wahren. Und er wird meine Gaben kennenlernen, meine Regentenkunst bewundern--Donna Lukrezia hatte schon Fuerstentuemer und waehrend der Abwesenheit des Vaters selbst die apostolische Kirche verwaltet--, meine unverwirrbare Geistesgegenwart, meine Billigkeit, meine Leutseligkeit... Niemals werde ich ihm den Schatten eines Anlasses geben, Treue oder Gehorsam seines Weibes zu beargwoehnen... wenn nicht, ausser wenn--eine Furche senkte sich zwischen die froehlichen Brauen, und sie schauderte--ausser wenn der Vater befiehlt; aber der sitzt in Rom--oder der Bruder ruft; aber der liegt in seinem spanischen Kerker. Sie laechelte das Volk an, um die Schmach ihrer Abhaengigkeit tief zu verstecken, kraft deren sie mit Vater und Bruder zu einer hoellischen Figur verbunden war. Dann nahm sie ihre ganze Kraft zusammen, und mit einem kraeftigen Ruck entschlug sie sich der Sache. In diesem Augenblicke hielt der Zug vor einem Kastell, von dessen ausdrucksvoller Mauerkrone ein Seiltaenzer herabschwebte. Sie sah das Kunststueck an und sagte sich: "Du gleitest und stuerzest nicht, und ich ebensowenig." Es war ein Amor, der unten vom Seile sprang, vor ihr das Knie bog und ihr einen Myrtenkranz bot mit den huldigenden Worten: "Der keuschen Lukrezia!" Unter dem Jubel der Menge kroente sie sich und ergab sich ganz der Lust des Augenblickes. Jetzt fuhren Blitze aus der Bruestung des runden Turmes, der sich donnernd in Rauch huellte. Don Alfonso war ein leidenschaftlicher Liebhaber von Geschuetz--ganz Kanone--und konnte sich zur Zeit und zur Unzeit des Pulverknalls nicht ersaettigen. Dem Zelter Donna Lukrezias dagegen zerriss der gewaltsame Ton das feine Ohr. Er stieg, und die Fuerstin glitt sanft aus dem Sattel in die Arme der Professoren, waehrend dicht hinter ihr ein herrliches Maedchen mit krausem Haar und leuchtenden Augen ihren erschreckten Rappen ohne Zagen baendigte und beruhigte. Neben ihr klemmte ein hagerer Kavalier mit eisernen Schenkeln die Seiten seines Pferdes. Diese hoehnische Larve gehoerte Don Ferrante, der bei der Vermaehlung in Rom Don Alfonso, seinen Bruder, vertreten hatte, und den die Ferraresen kurzweg den Menschenfeind hiessen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seiner heutigen Reisegefaehrtin Ferrara und das Fuerstenhaus, dem er selbst angehoerte, auf seine Weise zu beleuchten und auf jede zu verleiden. Die sichere Reiterin aber war Angela Borgia, eine nahe Verwandte der Fuerstin und ihr Fraeulein, das sie nach Ferrara begleitete und hinter der Berueckenden bescheiden die Buehne der Welt betrat. Und dieses Theater entfaltete sich heute in ungewoehnlicher Pracht: strahlender Himmel, glaenzende Trachten, oeffentlicher Jubel, der festliche Verkehr der Beguenstigten und Gluecklichen dieser Erde, berauschende Musik, stolzierende Rosse, reizende Frauen, verliebte Juenglinge, schmeichelnde Huldigungen, klopfende Pulse, die Welt, wie sie sich schmueckt und laechelnd im Spiegel besieht, alle diese Lust und Fuelle lag vor ihr ausgebreitet und wurde ihr vergaellt durch den spottenden Teufel an ihrer Seite. "Seht, junge Herrin", so hoehnte er jetzt, "wie anmutig Donna Lukrezia faellt und wie sie von den Tugenden und Wissenschaften", er wies auf die Professoren, "feierlich wieder zu Rosse gehoben wird. Ich halte es mit dem Gaukler und preise ihre Keuschheit. Nur stand sie in der Familie vereinzelt und litt unter dem Zwange des Vaters und Bruders. Darum ergriff sie die Hand Don Alfonsos, um hier", er zeigte die nahen Tuerme und Kuppeln Ferraras, "einen passenderen Umgang zu finden; aber Donna Lukrezia irrt. Ohne uns mit Seiner Heiligkeit oder dem erlauchten Don Cesare messen zu wollen, sind wir Soehne des Herzogs und er selbst doch in unserer Art ein ruchloses Geschlecht, natuerlich jeder von uns nach seinen Kraeften und nach seinem Masse, soweit es fuer Laien tunlich ist. Ihr erstaunt, dass ich hier im Zuge des Herzogs so ungebunden rede! Aber seht, Fraeulein, es ist meine Charaktermaske, oeffentlich zu schmaehen und zu laestern, die mir der Herzog, mein Vater, erlaubt und zugesteht, insofern ich mich enthalte, mich insgeheim gegen ihn zu verschwoeren, eine Untugend, die von alters her im Blute der Familie versteckt ist. Und wisset, tapferes Maedchen, damit habet Ihr mich gleich fuer Euch gewonnen, dass Ihr nicht fade seid, sondern, wie ich, der Wahrheit Zeugnis gebt, ohne Menschenfurcht--wenn es sein muss, auf offenem Markte. Die anderen, die da hinter uns", er wies veraechtlich auf die folgenden Paare des Hofstaates, "was sind sie? Geputztes Gesindel, Schelme und Dirnen! Heuchler und Buebinnen! Nicht wert, dass sie die Sonne bescheint--mit Ausnahme selbstverstaendlich der hundert Maultiere, die den Brautschatz Donna Lukrezias tragen. Das sind redliche und verdiente Geschoepfe. Aber Muehe hat es uns gekostet, mich und den Bruder Kardinal, diesen Brautschatz dem Heiligen Vater und der Kirche unter den Krallen hervorzuziehen! Doch ich sagte: Entweder--oder! wie mich der Herzog, mein Vater, beauftragt hatte. Leichter gelang es uns, die Heiligkeit mit dem von unserem Vater Herkules der Braut zugestandenen Wittum hinter das Licht zu fuehren." Don Ferrante kicherte. "Wir schwatzten naemlich dem Heiligen Vater unsere beruehmten flavianischen Gueter auf, die zwar von unserem ferraresischen Fiskus verwaltet, aber ihm von dem Grafen Contrario gerichtlich bestritten werden. Ihr wisst, von dem liebenswuerdigen Grafen Contrario, dem zaehesten Widersprecher und Rechthaber in ganz Italien! Und das war es eigentlich, was den Herzog Herkules, unsern sparsamen Vater, an dieser Heirat am meisten erfreut hat. So wurde alles nach Gerechtigkeit geordnet! Und mit welcher Wollust schrieb ich nach der Vermaehlung die Depesche fuer den harrenden Kurier: Mitgift zugestanden. Heiligkeit ueberlistet. Donna Lukrezia getraut und gar nicht unheimlich. Das wollte sagen: diesmal traegt sie kein weisses Puelverchen in der Tasche. Und wirklich, ich glaube, Bruder Alfonso darf heute abend ohne Gefaehrde sein Haupt mit diesem Goldhaar", er wies mit dem Spitzbart unter den Thronhimmel, "auf dasselbe Kissen legen." Diese Anspielung auf die Giftmischereien der Borgia presste dem Maedchen eine Traene aus, die sie zornig von der langen Wimper schuettelte. "Eure Zunge meuchelt, Don Ferrante!" sagte sie. Angela Borgia stammte aus einer Seitenlinie des beruehmten spanischen Geschlechtes und wurde, nachdem sie, wie viele Kinder ihrer Zeit, fruehe auf tragische Weise beide Eltern verloren hatte, mit anderm weiblichen Edelblut in einem Kloster des Kirchenstaates eher aufgenaehrt als erzogen. Als beschuetzte Verwandte des Papstes erfreute sie sich der Bevorzugung der Nonnen und der Fuehrerschaft unter den Gespielinnen. Es bestand damals eine seltsame, von den grellsten Widerspruechen gepeitschte Welt, die selbst einem italienischen Maedchen, das sonst alles, was Wirklichkeit besitzt, unbefangen angreift und durchlebt, ernstlich bange machen und Kopf und Herz verwirren konnte. Der jungen Angela wurde in Bild und Predigt eine sittliche Schoenheit und Vollkommenheit vorgehalten, deren irdischer Vertreter, der Greis, auf welchem, wie der gleichzeitige Sultan sich ausdrueckt, das Christentum beruhte, milde gesagt, ein entsetzlicher Taugenichts war, ueber dessen Ruchlosigkeiten die Schwestern weinten und die Schlimmsten ihrer Gespielinnen insgeheim sich lustig machten. Angela aber erschrak und brachte es nicht ueber sich, das Leben als einen Widerspruch zu verspotten. Sie begann nun, sich schwere Bussen und Geisselungen aufzuerlegen zugunsten ihres Verwandten, des Heiligen Vaters, und ihrer Base Lukrezia, von welcher im Kloster gleichfalls mit geheimen Seitenblicken des Abscheues geredet wurde. Von diesen Peinigungen brachten sie die verstaendigen Schwestern indessen bald zurueck, indem sie ihr vorhielten, alle ihre Anstrengungen waeren einem solchen Unmass der Suende gegenueber gaenzlich unzureichend und vergeblich. Dafuer entwickelte sich in Angela gegen die herrschende Nichtswuerdigkeit ein Beduerfnis verzweifelter Gegenwehr und, mit einem zarten Flaum auf den Wangen und dem Feuer ihrer Augen, eine gewisse ritterliche Tapferkeit, nicht nach dem duldenden Vorbilde ihrer weiblichen Heiligen, sondern mehr nach dem kuehnen Beispiel der geharnischten Jungfrauen, die in der damaligen Dichtung umherschweiften, jener untadeligen Prinzessinnen, die sich der Schwaechen ihres Geschlechtes schaemten und welche zu handeln und sich zu verteidigen wussten, ohne dabei die Grazien zu beleidigen. So erwuchs Angela kraft einer edeln Natur zu einem widerstandsfaehigen und selbstbewussten Maedchen, zu dem, was das Jahrhundert in lobendem Sinne eine Virago nannte. Nun begab es sich an einem Sommertage, dass aus dem Dunkel des Eichwaldes, der den Fuss des das Kloster tragenden apenninischen Felsens umnachtete, auf weissem Zelter eine helle Waldfee mit ihren Gespielen, oder vielleicht Goettin Diana mit ihrem Jagdgefolge, oder gar die erlauchte Donna Lukrezia mit ihren Frauen emporstieg und an die Pforte klopfte. Wirklich, es war diese. Sie wurde von der Aebtissin empfangen, der sie die Hand kuesste und von welcher sie gesegnet wurde. Dann liess sie sich die Nonnen und die Klosterzoeglinge vorstellen und richtete an jede holdselig das ihr nach Rang und Stand gebuehrende Wort mit einer wohllautenden Stimme, die noch lange nachklang, nachdem sie gesprochen hatte. Zuletzt nahm sie Angela beiseite, und, Hand in Hand mit ihr durch einen Lorbeergang des Gartens auf und nieder wandelnd, sagte sie ihr froehlich, dass sie die Verlobte des Thronerben von Este sei, und dass sie Angela als ihre Verwandte und ihr Hoffraeulein nach Ferrara mitnehmen werde. "Base", laechelte sie, "ich will dein Glueck machen. Du gefaellst mir, und ich behalte dich, bis ich dich vermaehle." Ebenso vetterlich wohlwollend begruesste sie im Vatikan, den sie mit geheimem Grauen betrat, Lukrezias furchtbarer Bruder, ein Juengling von vornehmer Erscheinung und gruenschillerndem Blick. Unbefangen mit der Base taendelnd, sagte er: "Ich werde euch beide nicht nach Ferrara begleiten, die Geschaefte verbieten es; doch moechte ich euch Don Giulio empfehlen, den ihr dort finden werdet, einen juengern Bruder Don Alfonsos. Er ist ein bescheidener, aber hochbegabter Juengling, nur dass er den Sinnen noch zu viel einraeumt. Er waere es aber wert, und ich moechte es ihm goennen, dass er sich durch eine edle Frau fesseln liesse." Und jetzt ritt Angela hinter Madonna Lukrezia, und wiederholte Kanonenschlaege verkuendigten die Naehe des Tores. Don Ferrante musste sich beeilen, wenn er noch vor dem Betreten der Stadt die Brueder in der Meinung seiner jungen Begleiterin voellig entwurzeln wollte; er ging aber ruestig ans Werk. "Mich wundert", sagte er, "wie Donna Lukrezia, der die oeffentliche Stimme oder doch die Einbildungskraft der Maenner etwas Ausserordentliches und Gefluegeltes verleiht, mit meinem Bruder, ihrem kuenftigen Eheherrn, dem gewoehnlichsten aller Sterblichen, der von frueh bis spaet an Essen und Ofen Geschuetz giesst, wird haushalten koennen! Venus neben dem russigen Vulkan. Doch es mag gehen, so gut es dort ging. Sie wird seine herrlichen Fayencemalereien bewundern und ihn damit gluecklich machen. Aber sie huete sich", fuhr er fort, und seine hoehnende Stimme wurde drohend, "sie huete sich! Don Alfonso ist der Rachsuechtigste unter uns, nur dass er seine Stunde abwartet und seine Rache das Recht heisst. Doch nein, ich tue dem Bruder Kardinal unrecht. Seine Rache ist die grausamste, da er der groessere Geist ist und als der uns allen Unentbehrliche keinen Praetor zu fuerchten hat. Er ist der Diplomat unseres Hauses; die Faeden unserer Politik laufen alle durch seine gelenken Finger, und er kennt unsere schlimmsten Geheimnisse. Fuerchtet diesen Geier, junges Maedchen!" Ebendieser Kardinal Ippolito, der Staatsmann, die hagere Gestalt im Purpur, die gleichfalls zur Freite nach Rom gekommen und jetzt noch dort war, um mit dem Papste die Uebergabe der Laendermitgift zu regeln, hatte sich viel und herablassend mit Angela beschaeftigt, sie ermutigend, Ferrara mit ihrer Gegenwart zu verschoenern. Eine bange Angst bemaechtigte sich Angelas. Sonne, Staub und Laerm, die vergiftenden Reden Don Ferrantes, das vor ihr aufsteigende hagere Bild des Kardinals! Ein Gefuehl der Verlorenheit und Hilflosigkeit brachte das kraeftige Maedchen einer Ohnmacht nahe--es entfuhr ihr ein leiser Schrei. Da wandte sich die vor ihr schwebende Donna Lukrezia rasch nach ihr um, ein bleicher Blitz schoss aus ihren blaeulichen Augen, und sie rief: "Womit aengstigt er dich, Angela? Wisset, Don Ferrante, und praeget Euch ein: wer Angela zu nahe tritt, der tritt mir zu nahe. Und Lukrezia Borgia wollet Ihr nicht zur Gegnerin haben!" Das wollte Don Ferrante von ferne nicht. Er laechelte liebenswuerdig. "Keine Rede davon, erlauchte Frau! Ich tue mein moegliches, Donna Angela angenehm zu unterhalten und unserm Hause ihre Gunst zu erwerben." "Was beschreib' ich Euch noch Schoenes, junge Herrin?" fuhr er fort, nachdem sich die Fuerstin wieder abgewendet hatte. "Die unvergleichlichen und verbrecherischen Augen meines Bruders Don Giulio! Ihr kennet ihn?" fragte er, da er eine Bewegung auf ihrem Gesichte sah. "Wohl nur seinem Rufe nach! Denn der ist gross. \XDCber ein kurzes aber wird er persoenlich vor Euch stehen, wenn Ihr seinen Kerker oeffnet, Donna Lukrezia und Ihr." "Seinen Kerker oeffnen?" fragte sie erstaunt. "Gewiss! Und den aller Missetaeter", erklaerte ihr Don Ferrante lustig. "Donna Lukrezia wird durch ihr Erscheinen die Verbrecher unschuldig machen. Solches ist in Ferrara Herkommen bei jeder fuerstlichen Vermaehlung und durchaus keine Allegorie. Es sind wirkliche Verbrecher, und sie werden auch tatsaechlich freigelassen, so dass wir waehrend der Feste wohl daran tun werden, unsern Schmuck festzuhalten und nachts nicht ohne Fackeln und Bewaffnete auszugehen." "Was hat denn Don Giulio verbrochen?" fragte sie. "Oh, nichts! Er hat mit seinen Augen ein Weib bezaubert und ihrem Manne den Degen durch die Brust gerannt." "Schmachvoll!" "Er ist ein ungezogener Knabe! In den Weingarten des Lebens eingebrochen, reisst er, statt sich ordentlich eine Traube zu pfluecken, deren, so viele er mit beiden Haenden erreichen kann, vom Gelaender, zerquetscht vor Gier die suessen Beeren und besudelt sich mit dem roten Safte Brust und Antlitz." Und mit diesem frevlen Juengling hatte sie Don Cesares Gedanke zusammengestellt! Wieder donnerten die Stuecke. Beim Schalle der Zimbeln und Pauken ging es durch das Tor. Die Professoren beschleunigten den Schritt, und bald langte Lukrezias Triumphzug vor dem Schlosse an, unter dessen schwerem Bau die Kerker lagen. Der herantretende alte Herzog hob die Fuerstin vom Pferde und schritt mit den Neuvermaehlten und Angela die Stufen hinunter nach der tiefen Pforte. Dort stand der Kerkermeister und ueberreichte Donna Lukrezia auf einem Sammetkissen einen gewaltigen verrosteten Schluessel. Sie ergriff ihn, und die Tuer, kaum von ihm beruehrt, drehte sich in den Angeln und sprang wie durch Zauber weit auf. Jetzt brach die Schar der Gefangenen hervor, Lukrezia zu Fuessen stuerzend und ihr die Haende kuessend. Alle hatten sie sich zuvor gereinigt, und ihre leidenschaftliche Dankgebaerde ermangelte nicht des Anstandes. Doch gab es unter ihnen erbarmungswuerdige Jammergestalten und abschreckende Verbrechermienen. Zuletzt, nachdem der Kerker sich seines ekeln Inhalts entleert hatte, stieg noch ein Juengling von edelster Bildung mit gekreuzten Armen die dunkeln Stufen empor. Ans Tageslicht tretend, erhob er die Haende, als ob er die Sonne begruesse; dann beschirmte er mit ihnen die Augen, als blende ihn der scharfe Strahl oder die Schoenheit der oben stehenden beiden Frauen. Ein Knie vor Donna Lukrezia beugend, bedankte er sich bei ihr mit den Worten: "Erlauchte Frau und Schwaegerin, ich begruesse in Euch die Barmherzigkeit, die jedes weibliche Herz bewohnt, und die fuerstliche Gnade, vor welcher die Fesseln fallen." Mit diesen und noch schoeneren Reden huldigte er der neuvermaehlten Fuerstin, dann richteten sich seine Augen, die wirklich in ihrer tiefen Blaeue unter dem edeln Zuge der dunkeln Brauen von seltenem Zauber waren, auf die juengere Borgia, und er erstaunte aufrichtig ueber die strenge Haltung des kaum erwachsenen Maedchens. "Doch, rettende Fuerstin", fuhr er fort, "wen bringt Ihr in Euerm Gefolge? Ist es die Goettin der Gerechtigkeit, besaenftigt durch die Goettin der Huld?" Angela war schon von der Reise und durch die Bosheiten Don Ferrantes aufgeregt; jetzt empoerte sie das Gaukelspiel der Begnadigung des Suenders durch die Suenderin und der Flitter der Phrase. Wie sie nun gar in den Born dieser wunderbaren Augen blickte, wurde sie von Zorn und Jammer aufs tiefste erschuettert. Ihre innerste, starke Natur ueberwaeltigte sie, und jede Verschleierung abwerfend, trat ihr Wesen unverhuellt hervor. Ihre redlichen Augen richteten sich auf die seinigen, und es bewegte sich etwas Undeutliches auf ihren ausdrucksvollen Lippen. "Was meint die Herrin?" fragte Don Giulio. Da brach es hervor. Angela sprach deutlich vor den hundert und hundert Zeugen, und ihre Stimme klang ueber den Platz: "Schade, jammerschade um Euch, Don Giulio! Fuerchtet Gottes Gericht!"--Ein grosses Schweigen entstand. Und noch einmal erscholl die Stimme des Maedchens ueber Don Giulio: "Schade um Euch!" Seltsam! Die Ferraresen teilten vollstaendig Angelas Gefuehl und Urteil ueber das verwerfliche und gefaehrliche Treiben des Fuerstensohnes, das Bedauern seiner Entwertung und ihr Leid um ihn, den sie liebten um seiner Schoenheit und Anmut willen. Rings erhob sich ein Gemurmel und Echo: "Schade! Sie hat recht! Es ist wahr! Schade um ihn!" Donna Lukrezia aber ergriff die Hand Angelas, wie die aeltere Schwester die einer juengeren, welche sich etwas Unziemliches hat zuschulden kommen lassen. "Wie kannst du dich so vergessen?" sagte sie und fuehrte die Bewegte hinweg, die vor Scham und Aufregung in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrach, worueber auch der bisher gelassen gebliebene Don Giulio die Haltung verlor. Zweites Kapitel Da, wo der weite Park von Belriguardo in die ferraresische Ebene ohne Grenzmauer verlaeuft, sassen auf einer letzten verlorenen Bank im Schatten einer immergruenen Eiche zwei, die, aus Haltung und Miene zu schliessen, voneinander Abschied nahmen. Bald legte der junge, in die schwarze Tracht von Venedig gekleidete Mann die Hand beteuernd auf das Herz, bald betrachtete er die still in sich versunkene Gestalt Lukrezias, wie um sie sich auf ewig einzupraegen. "So gehet Ihr denn, Bembo", sagte sie, "und ich halte Euch nicht, da Ihr damit erfuellet, um was ich Euch bat, ohne es auszusprechen. Ihr geht, und wie lange wird es dauern, bis Ihr mich vergesset!" "Donna Lukrezia", erwiderte der Venezianer bewegt, "wie lange ich Euer gedenken und Euch lieben werde, wahrlich, das ist mir verborgen, denn ich kenne nicht meine Todesstunde." Er sagte es mit so trauriger Zaertlichkeit in der Stimme, dass die Herzogin geruehrt erwiderte: "Um mein Andenken in Euch zu erhalten, sollt Ihr etwas von mir mit Euch nehmen, mein Freund", und sie winkte eine schlanke, dunkle Maedchengestalt heran, die am Waldsaum auf und nieder schritt, wohl um die Herrin vor sich selber zu hueten, oder um das Nahen eines unwillkommenen Zeugen zu verraten. "Setze dich neben mich, Angela", sagte sie, "und schneide mir eine Locke vom Haupt!" Sie oeffnete ihr Gurttaeschchen, zog daraus ein kleines, scharfes Messer mit goldenem Griff hervor und bot es Angela, die, den Befehl ausfuehrend, ihr vom Ueberflusse eine flutende Locke raubte. Die Fuerstin suchte nach einer Huelle, um den Ringel hineinzulegen, fand aber nichts als in derselben Gurttasche eine in Gold und gepresstes Leder gebundene Ausgabe der sieben Busspsalmen, ein beliebtes Handbuechlein der damaligen Hofwelt. Unbefangen legte sie ihre Locke hinein und reichte Bembo das Liebespfand. Dieser drueckte es an die Brust, dann an den Mund und dankte fuer den suessen Kern in der herben Schale mit einer seelenvollen Miene, durch welche sich ein ganz leises, ironisches Laecheln schlich. "Schreibt mir", sagte sie dann, "durch sichere Gelegenheit, jedesmal, wenn Ihr ahnet, dass mir Gefahr droht und ich Eures Rates bedarf. Bleibet um mich, auch in der Ferne! Ich weiss, Ihr verlasset mich nicht, nachdem Ihr mir geholfen habt, den Bau meines neuen Glueckes in Ferrara aufzurichten." "Es war eine Freude", erwiderte Bembo, "Eure klugen Haende bauen zu sehen. Euer Werk ist untadelig und schwer zu erschuettern. Ich frage mich noch mit schmerzlichem Zweifel: Fordert Eure Sicherheit von mir das Opfer, dass ich Ferrara meide und mich Eurer Gegenwart beraube, die wie eine goldige Luft das ganze Dasein erhellt und verklaert?" "Das habe ich vom Vater", sagte sie harmlos. Der feine Venezianer zog die Brauen zusammen. "Die Bande Eures Blutes und der Daemon Eures Hauses sind Eure Gefahr", seufzte er. "Und darum verlasse ich Euch ungern. Dennoch ist es besser, ich gehe. Eure Sicherheit, Madonna, ruht auf dem Vertrauen, das Don Alfonso Euch schenkt. Unsere geistige Liebe wuerde er kaum beargwoehnen, sachlich, wie er ist; und doch ist es besser... wer liebt, der opfert sich." "Es ist besser", bestaetigte sie leise. "Erlaubt mir nun zum Abschied, geliebte Frau, ein freies und schuetzendes Wort!" bat er. "Die Verhaeltnisse liegen vor Euch im Licht Eures scharfen Verstandes, aber dieser helle Tag reicht nur bis an den Schattenkreis, wo Eure Liebe zu Vater und Bruder beginnt." Hier entfaerbte sich Lukrezia, und ihr bleiches Auge erstarrte zu einem Medusenblick. "Zuernet nicht, Madonna", rief Bembo. "Weiss ich doch, wie Ihr als unschuldiges Kind in diese schwere Verstrickung gerietet! Reden muss ich zu Euerm Heil. Erinnert Euch: Jahre waren vergangen seit Euerm Einzug, Euer Gemahl war regierender Herzog geworden, Ihr hattet Wurzeln geschlagen in Ferrara und die Liebe des Volkes gewonnen; da starb Euch der Vater. Ihr aber ergabet Euch massloser Trauer und unendlichen Traenen, bis ich kam und Euch ins Ohr fluesterte: Ihr beleidigt mit Euern Traenenerguessen Don Alfonso und vergesset die unleidlichen Dinge, denen er Euch entriss." Lukrezia hoerte ihm aufmerksam zu, und ihr Verstand musste ihm gegen ihr leidenschaftliches Gefuehl recht geben. "Wenn dergestalt Euer Urteil ueber den weiland Heiligen Vater ein verblendetes ist, so entsteht jetzt, da er dahingefahren, fuer Euch daraus kein Unheil mehr. Ein anderes aber ist es mit Caesar, Euerm furchtbaren Bruder: er lebt und besitzt noch seine Drachenkraft. Er ist ein Juengling und wird sicherlich heute oder morgen seine Fesseln durchfeilt haben und wieder aus dem Orkus steigen, um ganz Italien zu verwirren. Diese schwarze Klippe bedroht Euere Barke; moege sie nicht daran scheitern! Das Wiederkommen Caesars ist Eure Schicksalsstunde. Und Ihr werdet--" er besann sich, ob er ihr die bittere Arznei erspare, fuhr aber mit entschlossener Liebe fort: "wehe Euch, Ihr werdet folgen, wenn Euch Don Caesar ruft. Ihr werdet dem Teufel gehorchen, wie sie erzaehlen, dass Euer Vater auf dem Sterbebette sagte: 'Du rufst, ich komme'." Lukrezia bekreuzigte sich. "Teure Herrin!" Bembo machte eine Bewegung, ihr zu Fuessen zu fallen, hielt sich aber zurueck, da die wandelnde Angela sich gerade nach ihnen umwandte. "Ich beschwoere dich, Lukrezia", fluesterte er, sich zu ihr beugend, "sobald diese gefaehrlichen Stunden kommen und du fuehlst, dass du die Herrschaft ueber dich verlierst, so wirf dich vor dem Herzog nieder und bekenne, dass du sein Verbot uebertreten willst, denn sicherlich wird er seinen Untertanen bei Todesstrafe verbieten, mit Caesar zu zetteln, dessen Erscheinung Italien wie ein Erdbeben erschuettern wuerde... Doch ich beschwoere Euch vergeblich, Madonna! Denn ich weiss, Ihr werdet die Zuegel verlieren, Ihr werdet des Herzogs Verbot unter die Fuesse treten." "Werde ich?" fragte Lukrezia, wie abwesend. Doch erschien ihr glaublich, dass sie es tun werde, denn sie kannte ihre Bande. "Herrin", schluchzte der Venezianer, "wann immer ich erfahre, Caesar sei aus dem Kerker gebrochen, ich eile auf Windesfluegeln nach Ferrara und umklammere Euch, dass Ihr ihm nicht in die Arme stuerzet--doch kaeme ich zu spaet, so gedenket meines Rates, sobald Ihr Euch wieder besitzt und besinnet. Schuetzet und berget Euch vor der Strafe des Herzogs an seinem Herzen. Und habt Ihr menschliche Werkzeuge angewandt, um Euch mit dem Bruder zu verbinden, opfert sie unbedenklich und gebet sie der Rache des Herzogs preis.--Der Herzog liebt Euch..." "Ich glaube, dass er mich liebt", sagte Lukrezia, sich wieder erhellend. "Seid dessen gewiss", beteuerte der Venezianer. "Juengst an der Tafel nannte er den Namen Caesars--nicht unabsichtlich--und sprach von einem dunkeln Geruechte seiner Entweichung. Dabei beobachtete er Euch scharf... Ihr bliebet ruhig, nur Eure Hand zitterte, die den Becher hielt, daraus Ihr schluerftet. Er betrachtete Euch lange, doch wohlwollend und wie mit der gerechten Erwaegung, was Eurer Natur gemaess und welcher Widerstand Euch moeglich sei. Gewiss, er wird Euch halten und retten, wenn Euch nicht das Verhaengnis gewaltig fortreisst." Die Herzogin, die wieder voellig heiter war, sagte jetzt mit wunderbarem Leichtsinn: "Ich werde Eure Sorge beherzigen. Aber, Freund, nun genug von mir! Spendet mir lieber einen Rat fuer jene dort--", sie blickte nach der wandelnden Angela, "die mir in weit naeherer Gefahr zu schweben scheint. Seht hin!" Ein schreiender Raubvogel erhob sich aus dem Walde und kreiste ueber den Wiesen. Zugleich rauschte es im Gebuesch, und ein hagerer, in Purpur gekleideter Mann trat auf Angela zu, wandte sich aber, Bembo neben der Herzogin entdeckend, gruessend an diese. "Ihr findet uns, Eminenz", sagte die Herzogin unbefangen, "wie sich mein liebenswuerdiger venezianischer Besuch, den ich schwer missen werde, von mir verabschiedet." "Ihr verlasst uns, Bembo?" sagte der Kardinal leutselig. "Das sollte mir leid tun. Wohin gehet Ihr?" "Nach Urbino, Eminenz." "Um wieder zu uns zurueckzukehren?... Denn uns gehoeret Ihr an, und wir koennen Euch nicht entbehren, ebensowenig als eine andere, die man auch von uns fortsenden will." Die Fuerstin zog das neben ihr stehende Maedchen zu sich auf die Bank nieder und behielt seine Hand in der ihrigen, als naehme sie von Angela Besitz. "Wir bilden hier einen festgeflochtenen, farbigen Kranz", fuhr er fort, "aus dem es unrecht waere, eine Blume zu entfernen, geschweige die suesseste Knospe wegzureissen!" Lukrezia erhob ihre Augen gross gegen den Kardinal, ueberlegend, ob jetzt, da Bembo noch als Zeuge hier stehe, nicht der Augenblick gekommen sei, ein laengst im Finstern schleichendes Uebel an die Helle zu ziehen und durch das darauf fallende Tageslicht zu vernichten. Geistesgegenwaertig, wie sie war, besann sie sich nicht lange. "Kardinal", sagte sie, "wenn Ihr unter der andern uns bald Verlassenden diese hier versteht, so wisset, ich trachte danach, dass sie von uns scheide. Ihr Alter ruft der Vermaehlung, und hier weiss ich fuer sie keinen Gemahl, waehrend Graf Contrario, den Ihr kennt und der sie heimzufuehren begehrt, alle Eigenschaften besitzt, die ich als die Schuetzerin Angelas von ihrem Manne fordern darf. So ist mein Wille; doch werde ich gern noch Eure Meinung darueber in Betracht ziehen." Bembo wollte sich bescheiden entfernen, wurde aber durch einen Blick Lukrezias festgehalten. Sie kannte das Unberechenbare in der Natur des Kardinals und scheute seine Ueberraschungen. Dieser schien die Herausforderung in den Worten der Fuerstin nicht zu fuehlen; er waehlte, waehrend der Venezianer sich neben den Frauen auf eine Rasenboeschung niederliess, gelassen ihnen gegenueber einen bequemen Platz im Dunkel einer Kastanie, deren Stamm sich nahe dem Boden teilte, mit den ueppigen Aesten den Rasen bedeckend, und begann, indem er mit dem schaukelnden Fusse nach einer fluechtigen Eidechse stiess, mit ruhigen Worten: "Wie ich den Grafen Contrario kenne, taugt er nimmermehr fuer eine Borgia, denn er ist ein armer Mensch, zusammengesetzt aus peinlichen Tugenden und ewigem Widerspruch, ein Berg rechthaberischer Grundsaetze, der die Maus einer knickerischen Rechenkunst gebiert, gaenzlich unfaehig, eine Frau um ihrer selbst willen mit Groesse und Verschwendung zu lieben! Ich behaupte, seiner Werbung um dieses Schoene, dieses Liebe hier liegt ein grobes Rechenexempel zugrunde. Hier auf diese Tafel will ich es niederschreiben!" Er zog ein Taefelchen hervor, schrieb mit dem Stift und las zugleich: "Graf Ettore Contrario freit um die hochherzige Angela Borgia, weil er mit dem Fiskus in Ferrara einen von seinem Vater geerbten Prozess ueber bedeutende, auf ferraresischem Boden gelegene Laendereien fuehrt, den er aller Wahrscheinlichkeit nach bei den zustaendigen ferraresischen Gerichten verlieren wuerde ohne den Schutz eines hoechsten Einflusses, wie der, zum Beispiel, unserer erlauchten Fuerstin, fuer deren einziges Laecheln der verliebte Grossrichter Herkules Strozzi Ehre und Seele verkauft. Unsre Herzogin aber und ihr Sklave Herkules waeren zu bestechen, wenn der vollkommene Graf die Hand dieser Unschuld begehrt, welche Donna Lukrezia aus Ferrara entfernen will, weil das junge Maedchen aufs zaertlichste und rasendste von dem Kardinal Ippolito geliebt wird, waehrend sie selbst, als echtes Weib, unwissend und hoffnungslos fuer den groessten Taugenichts der Erde entflammt ist. Ohne innern Kampf wird der maessig tapfere Graf sich nicht entschliessen, zwischen diese lodernden Feuer zu greifen. Aber es ist moeglich, dass seine Habsucht staerker ist als seine Feigheit. Beurteilt Ihr ihn anders, Herzogin?" Lukrezia wunderte sich ueber dies freche Bekenntnis und diese verwegene Blosslegung der Tatsachen, die ihrer eigenen Wertung der Dinge und Personen nicht allzu fern lag, welche aber nicht gelten durfte, weil sie es nicht wollte. Ehe sie indessen antworten konnte, ergriff Ippolito, der sich nach einer von Angela aus leichten Grashalmen zusammengefuegten Kette gebueckt hatte, die eben ihren zitternden Haenden entglitten war, wiederum das Wort: "Wie diese Ringe verkettet sich Absicht mit Absicht, um Euch zu kuppeln, Angela Borgia; aber wie ich Euch kenne und liebe, werdet Ihr diese Kette zerreissen, wie ich dieses nichtige Geflecht! Denn", fluesterte er heiss, "Angela liesse sich eher von einem Daemon in die Hoelle ziehen, wenn er sie liebte, als dass sie sich dazu darboete, die Summe eines Rechenexempels zu werden!--So rede ich, wie redet Ihr, Schwaegerin?" Er wandte sich mit einem Antlitz, das drohte und trauerte, gegen Lukrezia. Sie antwortete fest: "Ich aber vermaehle diese mit dem Grafen Contrario. Berechnend ist er--zugestanden--, wie es das Leben erfordert, doch nicht unadelig. Diese aber wird er behueten, besser als ich es vermoechte. Und was wollt denn Ihr mit Angela, Kardinal?-- Euer Weib kann sie nicht werden, solange Ihr den Purpur tragt, und den werdet Ihr nicht verschleudern wollen einem Maedchen zuliebe!" "Wer weiss, Fuerstin!" entgegnete er wegwerfend. "Euer Bruder vertauschte ihn gegen ein Herzogtum, und ich achte diese fuer ein neidenswerteres Gut! Auch ist mir minder darum bange, dass sie sich Eurem Guenstling, dem Contrario, zuwende, sie wird es nicht ueber sich bringen--sie versuche es nur, es wird nicht gehen! Selbst nicht, um sich vor mir zu retten!... Denn sie gibt mir innerlich recht und findet sein Bildnis getroffen! Das Dreihellergesicht ist ihr ein Ekel. Dieser tugendsame Graf also kuemmert mich nicht. Eine andere Marter peinigt mich und dreht sich Tag und Nacht mit mir, wie das Rad des Ixion.--Hoere mich, Maedchen!" Angela hielt seinen fieberscharfen Blick mit erstaunten, aber mutigen Augen aus. "Weigerst du dich meiner Liebe, so verbiete ich dir auch die jenes andern, bei seinem und deinem Leben!--Wie du wild erroetest!... Ich hasse den, welchen du in deinem Herzen verbirgst! Reisse ihn heraus!... er beschmutzt den edlen Schrein... ich kann es nicht ertragen!... Erinnere dich, wer du bist, und wende dich mit Verachtung von dem, der dich in den Armen der Coramba, oder wie sonst die Dirne seines heutigen Tages heisst, beschimpft und vergisst!--Gehorche, oder es waechst Unheil!" Mitten in dieser erhitzten Szene betrat ein Page den verlorenen Schattenplatz und bat die Herrschaften, in den Park zurueckzukehren. Der versammelte Hof harre der Herzogin, und der Herzog wuensche, in seinem Kabinette den venezianischen Herrn zu beurlauben, dann aber die Eminenz zu sprechen. Den Grossrichter habe er eben zu seiner Hoheit gerufen und Don Giulio auf spaeter bescheiden muessen. Drittes Kapitel Im Schatten der herrlichsten Baeume wandelte die kleine Gesellschaft, die Frauen voran, der Kardinal mit Bembo harmlos plaudernd, gegen die Mine des Parkes, wo sie den in gerader Linie dem Schlosse zulaufenden Zypressengang betraten. Dieses, ein schlichtes Gebaeude von nur maessigen Verhaeltnissen, erhob sich auf dem Grunde eines schwuelen, bleiernen Julihimmels. Eben wurde ein neuer, befestigter Seitenpavillon angebaut, von dem die hoelzernen Gerueste der Maurer noch nicht entfernt worden waren. Zu der hellen, kleinen Fassade stieg eine breite Doppeltreppe empor, und der in den Parkanlagen sich ergehende Hofstaat erblickte oben auf der Rampe den unermuedlichen Herzog, wie er, seinen muessigen Hof auf sich warten lassend, den Neubau besichtigte und, von den Werkleuten zurueckgehalten, mit ihnen eifrig die Arbeit besprach. Im Schatten der Hauptallee wandelte langsam die Herzogin, welche jetzt auf den Arm des Kardinals sich stuetzte, den rechts und links vom Wege gesammelten Hof begruessend und nach sich ziehend. Vor die beiden trat ein wohlgebildeter, mittelgrosser Mann und bemuehte sich mehr noch um den Kardinal, dem er besonders ergeben schien, als um die Herzogin, so guetig sie ihm zunickte. "Man sieht, Messer Ludovico, dass Ihr aus dem Strahlenkreise der Musen kommt, so licht ist Euer Antlitz!" sagte sie. "Diesmal ist es eher der geistreiche Umgang meines morgenlaendischen Freundes, der mich erheitert", versetzte Ariost, "und, wie immer, Eure beseligende Gegenwart." Er stellte seinen Begleiter, der, ein feinerzogener Mann, die Arme auf orientalische Weise ueber der Brust kreuzend, sich ernst verneigte, der Herzogin vor. Der persische Teppichhaendler Ben Emin war in Ferrara die Mode des Tages. In Venedig voruebergehend niedergelassen, wo er in der Merceria die herrlichste Ware auslegte, hatte er einen Flug nach Ferrara getan, um dem prachtliebenden Hofe seine kostbaren Gewirke zu verkaufen, und in Wahrheit nicht minder, um Ariosto kennenzulernen, aus dessen Heldengedicht--die ersten Gesaenge hatten vor kurzem die Presse verlassen--er sein hoeheres Italienisch erlernte und ueberhaupt den mannigfaltigsten Genuss schoepfte; denn Ben Emin war ein Kenner, wusste seine grossen persischen Dichter auswendig und liebte besonders die Moral im Prachtgeschmeide der Dichtung. "Es ist eine ganz eigentuemliche Lust, Erlauchteste", begann Ariost, "mit einem gebildeten Manne aus einer fremden Nation umzugehen, die Verschiedenheiten von Gebrauch und Sitte zu belaecheln und sich an dem lieben, allgemeinen Menschenantlitz zu erfreuen, das aus den groessten Unterschieden immer wieder sieghaft hervorbricht. Doch immerhin gross und wunderbar sind diese. So, zum Beispiel", scherzte er, "scheint es ein ueberall verbreiteter Zug zu sein, dass der Mann schenkt, wo er das Weib bewundert. Nicht so mein Perser! Ben Emin denkt anders. Er ist zwar der groesste Verehrer unserer Ferraresinnen und verfolgt die raschen Bewegungen ihrer schlanken, seine Ware pruefenden Finger mit aufmerksamen und leuchtenden Augen; aber meinet Ihr, dass er der ihn am schoensten Anlaechelnden ein 'Behaltet, Sonne!' oder 'Nehmet, mein Stern!' zufluestere? Nein! Vielmehr nennt er unglaubliche Preise, so dass sich der suesseste Mund zum Schmollen verzieht. So grausam ist Ben Emin!" Die Neckerei erregte die Heiterkeit der Hoeflinge; Ben Emin aber, der unter seiner Muetze von schwarzem Lammfell mit klugen Augen blickte, wendete sich wuerdevoll an die Herzogin: "Wunder Italiens! Vollkommenste der Frauen!" sprach er in gutem Italienisch, "ich erwaehle dich zur Richterin. Da ich Ferrara erreichte, warf ich mich dir zu Fuessen, meinen schoensten Teppich vor dir ausbreitend und dich anflehend, ihn als dein Eigentum zu betreten. Du hattest die Gnade, meinen Wunsch zu erfuellen. Waere es nun nicht eine Verkennung und Beleidigung deiner Einzigkeit, waere es nicht eigentlicher Hochverrat, wenn ich mit undankbarem Herzen nach und neben dir andere und Geringere beschenken wuerde? Nicht davon zu reden, dass, was einer Fuerstin gegenueber gerechte Huldigung ist, die Tugend einer niedriger Gebornen in Verruf bringen koennte. Solches aber sei ferne von Ben Emin!" Die Hofleute beglueckwuenschten den Perser zu seiner Rede und gestanden sich heimlich, dass der schlaue Kaufmann Ben Emin in Ferrara nicht der Gefoppte sei. Da die Schwuele des Hochsommertages wuchs und sich in den dichten Zypressenhecken verfing, suchte die Herzogin mit Ariost und dem Perser das grosse Boskett in der Tiefe des Parkes auf, wo ein Ring hoher Ulmen seine Kronen wiegte und zu einer luftigen Woelbung zusammenschloss. Hier stand in der Mitte auf einem verwitterten Marmor ein eherner Kupido, der sich mit zerrissenen Fluegeln und verschuetteten Pfeilen in Fesseln wand. Dieses Bild sagte in der wunderbar freien Sprache des Jahrhunderts, dass fuer die verheiratete Lukrezia die Zeit der Leidenschaft vorueber sei, und hier in der Runde auf den Steinbaenken pflegte die Gemahlin Herzog Alfonsos im Sommer Hof zu halten. Waehrenddessen haschte in der verlassenen Hauptallee ein Juengling einen anderen, der ihm in das Gebuesch zu entschluepfen suchte. Beides waren Jugendgestalten voller Kraft und Anmut, von vollkommenem Wuchs und geschmeidigen Gliedern--zwei Koenige des Lebens. "Halt' ich dich endlich, Julius!" rief der eine und legte seinem Gefangenen den Arm um den Nacken. "Ich denke, wir sind beide zum Herzog befohlen und wandeln nun diese kurze Lebensstrecke zusammen!" Er wies auf den gruenen Gang mit dem Schloss am Ende. "Sie ist lang, Herkules", seufzte Don Giulio, "und gewaehrt dir Raum zu einer rednerischen Leistung; doch ich leide mein Schicksal." "Mein Freund", begann Strozzi, "ich werde nicht predigen, teils weil ich von der Eitelkeit solcher Zusprueche im allgemeinen und ihrer Vergeblichkeit dir gegenueber insbesondere ueberzeugt, teils weil ich zum Herzog gerufen bin, ich fuerchte, um mit ihm das juengste Aergernis zu betrachten, das du in deinem Pratello gegeben hast, wovon ihm der umstaendliche Bericht des Polizeihauptmanns Zoppo vorliegt: Tumult, Blasphemie, Entfuehrung, Blut, Gewalttat, mehrere Tote!" "Oh, so stand es nicht im Programm. Es war ein klassisches Bacchusfest beabsichtigt. Du haettest nur die Coramba mit ihren wilden Reizen als Ariadne sehen sollen! Trage ich vielleicht die Schuld, dass die Kroenung der Ariadne durch den Missverstand meiner Bauern in den Raub der Sabinerinnen und in zentaurischen Mord und Totschlag ausartete?" "Kein Wort mehr davon, Giulio! Dein ruchloser Leichtsinn koennte das treuste, das angeborne Wohlwollen erschoepfen, und ich haette mich laengst mit Ekel von dir abgewendet, so lieb du mir bist, du schoenes Laster, haettest du nur die Haelfte deiner Taten gefrevelt; aber das Ganze uebersteigt derart die Schranke, dass ich dich als eine Sondergestalt betrachte, welche jeden menschlichen Massstab verspottet. Deshalb bin ich entschlossen, statt dich von neuem in Fesseln legen zu lassen, beim Herzoge deine Verbannung aus Ferrara von wenigstens einem Jahre zu beantragen. Das verkuende ich dir. Du magst in den venezianischen Kriegsdienst zurueckkehren, den du nie haettest verlassen sollen." "Ob ich nach Venedig zurueckgehe", versetzte Don Giulio, "wer lebt, der erfaehrt's!" Und es wetterleuchtete ueber seine junge Stirn. "Doch ich bitte dich, mache mich Menschlichen nicht zum Unmenschen! Ich bin kein sittliches Ungeheuer--nicht einmal deine Donna Lukrezia ist es, deren farblose Augen dich bannen, dass du ihr sinnlos zustreben musst! Die deine Einteilungen und Faecher zerstoert und deine Goettin Gerechtigkeit stuerzt und ueberwindet! Auch sie ist nicht der Daemon, vor dem du erbebst." "Dass ich die Gesetzlose lieben muss, ist Schicksal", sagte der Richter mit einem peinvollen Laecheln. "Doch dass ich ihr zulieb' das Gesetz vergessen, das heilige Recht verletzen sollte, erscheint mir unmoeglich!" Und er seufzte, schmerzlich fuehlend, dass er nicht minder als sein genusssuechtiger Freund an einem giftigen Schlangenbisse dahinsieche. "Ich sage dir ja", troestete Don Giulio, ungeduldig bewegt von dem Schmerzensausdruck, "du uebertreibst dir das Weib ins Grosse. Das Weib, das dich entsetzt und bestrickt, ist nicht jene Lukrezia, die dort unten lustwandelt. Du erstaunst, und deine Augen befragen mich! Nun ja, ich nehme sie natuerlicher. Wo sie herstammt und wie sie aufwuchs, das wissen wir. Es scheint dir wunderbar, Praetor, dass sie die Frevel ihrer Vergangenheit verwindet ohne Gericht und Suehne. Siehst du nicht, dass es nur der Rettungsguertel ihres vom Vater ererbten Leichtsinnes ist, der sie oben haelt? Und dass sie nun ueber der toedlichen Tiefe hell und sorglos dem Porte der Tugend zukaempft, haeltst du fuer daemonische Groesse. Ich sage dir: mit Ausnahme der Anmut, die sie fuellt bis in die Fingerspitzen, ist sie ein gewoehnliches, rasch bedachtes Weib! Ein ganz gewoehnliches Weib! Glaube mir, ein menschliches Weib!" endete der Juengling mit einem uebermuetigen Gelaechter. Sie waren am Fusse des Schlosses angelangt und betraten das Freie, wo sich unter einem bleiernen Himmel in stumpfer Helle der Neptunusbrunnen erhob. Dieser stand, an das Fundament des Mittelbaues gelehnt, in dem Halbrund, das die beiden zur Schlossterrasse ansteigenden Freitreppen bildeten, und rauschte und plaetscherte in der Schwuele, genaehrt von den Wasserstrahlen, welche das Gesinde des Meergottes aus Urnen und Muscheln in die Riesenschale herabgoss. Der Richter wollte die naechste Treppe hinaufeilen, denn er wusste sich vom Herzog erwartet. Da wandte sich Don Giulio, dessen Arm ihn umfasst hielt, rasch wieder gegen den dunkeln Park zurueck und zog den widerstrebenden Freund mit sich. Er hatte noch nicht ausgeredet. Seltsam verschlangen sich auf dem hellen Kiesgrund zu ihren Fuessen zwei ringende, kurze Schatten. Strozzi sah den grotesken Kampf und lachte: "Siehe, wie du mich zwingst!" "Mein Bruder also schickt mich nach Venedig", sagte der Este, waehrend sie noch einmal den endlosen Baumgang betraten, "derselbe Bruder, der mich unlaengst aus politischen Gruenden von Venedig zurueckberief!" "Haettest du die Geringschaetzung in dem Laecheln seiner Mundwinkel gesehen, als er die Meldung deines augenblicklichen Gehorsams empfing! Ich stand daneben. Er hatte dich Papst Julius zu Gefallen zurueckrufen muessen; aber es war nur zum Schein: er erwartete, du wuerdest ihn verstehn und ihm nicht gehorchen." Eine zornige Macht leuchtete jetzt aus den sanften Augen Don Giulios. Noch war er nicht so verweichlicht, dass es ihn nicht empoert haette, sich missachtet zu sehen; doch verbarg er seinen Unwillen unter einem Laecheln. "Zu klug fuer mich! Und dann, du weisst, ich bin kein Feldherr, nicht einmal ein Soldat", sagte er. "Ich liebe Blutvergiessen nicht..." "Und vergiessest so viel, dass es dir von den Haenden traeufelt und deine Fussstapfen fuellt!" "Nur wenn ein Laestiger mein Vergnuegen stoert!" erwiderte der Este frevelmuetig. "Aber was du sagst, Herkules! Ihr schickt mich wieder nach Venedig! Halb bin ich es zufrieden, halb schmerzt es mich-- halb bin ich hier gebunden, halb streb' ich fort--mir selbst ein Raetsel!..." "Das die dunkellockige Angela loest! Du suchst und fliehst sie!" "Keineswegs", sagte Don Giulio, "sie ist mir gleichgueltig. Aber seit jenem Einzug vor zwei Jahren--du warst ja dabei und nahmst dich praechtig aus als ernsthafter Traeger einer goldenen Baldachinstange, da hast du es selbst gehoert, wie sie mich vor allem Volke bedroht und gerichtet hat... seit jenem Tage bin ich nicht mehr derselbe! Meine Sinne taumeln, und wie ein Rasender suche, wechsle ich Mund und Becher und habe nur einen Wunsch, dass jene, die sich feindselig und kalt von mir abwendet, mir noch einmal ihr hellflammendes Antlitz zukehre und mich noch einmal bedrohe--noch staerker als das erstemal... Doch ich rede Unsinn. Sendet mich nach Venedig!" Er schoepfte Atem. "Auch ist es gut fuer ihn und mich", fuhr er fort, "wenn ich dem Bruder Kardinal eine Weile aus den Augen komme. Er liebte mich einst, und jetzt beginnt er mich zu hassen auf eine unmenschliche Weise. Urteile selbst! Neulich haelt er mich fest und raunt mir mit drohender Stimme ins Ohr: 'Julius, ich verbiete dir das Antlitz Angelas! Ich verbiete dir ihre Augen! Ich verbiete dir ihren Atem! Bei deinem Leben!'" "Ich weiss", antwortete der Richter, "der Ungerechte liebt die Aermste wuetend. Und suendig wie die Welt und allmaechtig, wie er auf diesem Ferrara heissenden suendigsten Fleck derselben ist, waere sie dem Geier schon laengst ohne Erbarmen zum Raube gefallen sein, wenn nicht..." "Und du schneidest nicht dazwischen, Grossrichter? Du Liebhaber und Diener der Gerechtigkeit? Rette das Maedchen! Damit wollte ich dich betrauen, mein Herkules, bevor ich nach Venedig gehe. Ich kann es nicht, denn ich wuerde ihr Unglueck bringen..." er schwieg und traeumte--"wie sie mir! Bei jener Herausforderung des Kardinals--du weisst, ich bin ein Geniessender, aber kein Feigling!--wallte mein Blut, und ich haette ihm sein wahnsinniges Verbot ins Angesicht zurueckgeschleudert, haette es sich um eine meiner Schoenen gehandelt--aber ich ueberlegte mir", er deckte die Augen sinnend mit der Hand, "dass ich das Maedchen nicht liebe, und dass ich bei der Art meines Bruders schweres Unheil auf sie herabzoege, wenn ich mich schuetzend neben sie stellte. Und sie wuerde es nicht dulden--sie will es nicht. Sie verachtet mich, sie richtet mich--und ruft Unheil auf mich herab:--Oh, schade!"--Dann fuhr er im Zorne der Erinnerung fort: "Der Kardinal mag sein Netz ueber sie werfen, obwohl ich es grausam und abscheulich finde, abscheulich und hassenswert, wie diese ganze Welt, wenn ich nicht trunken bin oder einen Frauenmund kuesse." "Beruhige dich", sagte der Grossrichter ernst, "es wird ihr nichts geschehen, davon bin ich ueberzeugt; keine Falte des Gewandes darf ihr verschoben werden, denn sie wird beschuetzt--von Lukrezia Borgia." "Gut so! Ich ueberlasse sie dieser Heiligen", spottete der Este; "ich aber will mich in einen Myrtenschatten an eine frische Quelle setzen und darin meinen Wein kuehlen... Wenn nicht der andere Bruder, Ferrante, durch die Buesche bricht, sich neben mir ins Gras wirft und mir mit seinen Verschwoerungen und hochverraeterischen Einfluesterungen das Ohr vergiftet, wo ich dann die Wahl habe, ob ich ihn fuer einen Narren oder Boesewicht oder fuer beides halten soll. Neulich lud er mich bruederlich ein, den Herzog, wie er sich ausdrueckte, aus der Mitte zu schaffen; doch sei ueberzeugt, haette ich nur halbwegs hingehorcht, der Arge waere zur selben Stunde an mir zum Verraeter geworden. Auf diese Faehrte aber folge ich ihm nicht, sondern schliesse ihm den Mund, denn ich verehre den Herzog und hasse die Felonie. Aber sage mir, Strozzi, haeltst du Don Ferrante eines boesen Streiches fuer faehig um der Krone willen?" "Es sind Tuecken ohne Folge und Frucht", antwortete der Richter, "wenn nicht ungewoehnliche Lagen oder unerwartete Erschuetterungen die Drachensaat verhaengnisvoll zeitigen." "Macht das unter euch aus, ihr Raubtiere", lachte der leichtherzige Julius, "und wenn ich aus Venedig zurueckkehre, will ich sehen, welche Leichen auf der Hofbuehne von Ferrara herumliegen. Lebe wohl, Anbeter der Gerechtigkeit, und eile dich! Der Herzog wartet." Er umarmte den Freund und liess ihn dann mit solchem Ungestuem fahren, dass jener taumelte. Strozzi suchte mit schnellen Schritten die Villa, und Julius schlenderte ihm gelassen nach. Da er den Neptunusbrunnen erreichte, badete er sich, der Kuehle beduerftig, das Antlitz und liess den aus der Steinbrust eines Meerweibes springenden Wasserstrahl gegen seine durch die vertobte Nacht entkraeftete Stirn fahren. Da, waehrend er sich das Haupt mit seinem Tuche trocknete, wurde er eines mueden Strolches gewahr, der unbeweglich auf einer Steinbank im schmalen Schatten des Mauerrunds lagerte und, den Kopf auf den Ellbogen gestuetzt, ihn unter dem Filz hervor mit unverwandten Augen beobachtete. Jetzt sprang er rasch auf die Fuesse und verneigte sich mit der Begruessung: "Ich verehre Euch, Don Giulio!" "Bleib!" bedeutete ihn der leutselige Este, "aber ruecke! Es ist Raum fuer zwei. Ich habe Lust zu schlummern; du bewachst mich!" Der Bravo zeigte laechelnd die weissen Zaehne und lueftete den Dolch, der ihm am Gurt hing, ein wenig in der Scheide. "Du bist von den Leuten des Kardinals?" sagte Don Giulio. "Wie heissest du?"--Der Kardinal war als der Besitzer und Ernaehrer einer stattlichen Bande bekannt. "Ich nenne mich Kratzkralle", antwortete der andere untertaenig. "Aber dein christlicher Name?" "Vergessen. Er war auch ein bisschen stinkend geworden." "Den neuen hat dir wohl dein Kardinal gegeben? Und wie nennen sich die andern vom Gesinde?" "Sie heissen, mit Erlaubnis Eurer Herrlichkeit, Dornbart, Zaehnefletscher, Drachenblut, Eberzahn, Grimmrot und Firlefanz. Mit mir unser sieben--wohlgezaehlt. Wir sind die sieben Todsuenden des Kardinals, wie uns das Volk von Ferrara nennt." "Nun kenne ich auch eure Marschordnung", sagte Don Giulio, auf den fratzenhaften Teufelsmarsch in der Danteschen Hoelle anspielend, wo der Kardinal als ein Verehrer des goettlichen Dichters die Namen seiner Bande gefunden hatte. Er brach in ein helles Gelaechter aus. Don Giulio konnte noch recht kindlich lachen. Dann aber reckte er die Arme: "Wie ich muede bin!" Er warf sich auf die Bank nieder, ohne die Beruehrung des anderen zu scheuen, suchte seine Lage und war entschlummert. Der Bandit betrachtete ihn und murmelte liebevoll: "O du schoene Jugend!" Zuerst versank der Muede in eine traumlose Tiefe, Vergessen schluerfend in langen, durstigen Zuegen; dann oeffnete sich langsam sein inneres Auge, und daran vorueber eilte, aufdaemmernd, eine fluechtige Jagd, ein hastiges Gedraenge bacchischer Erscheinungen, rasende Koerper, ruecklings geworfene Haeupter, geschwungene Zimbeln, Pauke und Evoeschrei. Horch! In weiter Ferne, aus anderer Richtung, zuerst kaum hoerbar, dann schwer anschwellend, droehnende Posaunen! Unbekannte Angst befiel ihn. Da stand er ploetzlich in einer ernsten Versammlung, in einem Kreise von Richtern verschiedener Voelker und Zeiten. In der Mitte sass, grau und streng, wie aus Stein gehauen, Carolus Magnus, sein grosses Richtschwert auf die Knie gelegt; zu seiner Rechten stand der Prophet Samuel, den geisterhaften Mantel ueber der Brust mit gekreuzten Armen zusammenhaltend; zu seiner Linken der Roemer Brutus, der strenge Vater, inmitten seiner Liktoren, von denen seltsamerweise der Richter Herkules, Giulios Freund, eben gefesselt wurde. Der Traeumende erstaunte, dass ihrer beider ferraresische Suenden eines so hohen Gerichtes wuerdig erfunden seien. Jetzt ertoente die maechtige Stimme Kaiser Karls, ohne dass er die Lippen bewegte: "Julius Este, das von der Jungfrau dir verkuendigte Gericht ist da. Sie ist es selbst." Wieder droehnte die Posaune, und alles stuerzte zusammen. Nach einem raschen Durchgang durch einige dunkle Vorstellungen ruhte Don Giulio im Grase, zu der freundlich ueber ihn geneigten Angela emporblickend. "Du Tor", sagte sie, wie in einem Gespraeche fortfahrend, "darf auch ein Maedchen zu einem Juengling sagen: ich liebe dich? Sie muss ihr Inneres verlarven und verkleidet Wunsch und Gestaendnis in Zorn und Drohung. Auch, wie koennte sich irgendein reines Weib mit einiger Ruhe und Sicherheit dir zu eigen geben? Und dennoch: Gerade deine viele Suende, die ich strafen muss, ist es, die mich an dich kettet. Die Schuld liegt in deinen zauberischen Augen, mit denen du frevelst. Reisse sie aus und wirf sie von dir!" Don Giulio wunderte sich im Traume, wie frech und vertraut die stolze Angela zu ihm rede; er lauschte bange, was da noch kommen werde, und als sie schwieg, wuchs seine Angst von Augenblick zu Augenblick. Er wollte sich aufschnellen, war aber von unsichtbaren Banden an den Boden gefesselt und ausserstande, die kleinste Bewegung zu machen. "Du willst nicht?" begann jetzt die Traum-Angela wieder; "aber es ist einmal nicht anders." Damit tauchte sie den Finger in eine Schale, die sie in der Linken hielt, und traeufelte dem Aermsten, der sich umsonst zu winden und das Haupt abzuwenden suchte, einen Tropfen roter Fluessigkeit zuerst in das eine und dann in das andere Auge. Ihn durchzuckte ein entsetzlicher Schmerz, und tiefe Finsternis, dunkler als die schwaerzeste sternlose Nacht, umfing ihn. Don Giulio heulte vor Unglueck und erwachte in den Armen des Banditen, der ihn mit unverhohlenem Grauen betrachtete. "Schlimm getraeumt, Herrlichkeit!" sagte Kratzkralle. "Entsetzlich! Mir war, ich werde geblendet." "Ich sah die Sache vorgehen auf Eurem erlauchten Angesicht", meinte der Bandit. "Meine Verehrungen, Herrlichkeit! Doch nun beurlaubt mich." Er verbeugte sich, blieb aber stehen, wie durch eine gewisse Zaertlichkeit zurueckgehalten, und begann mit bedenklicher Miene und gedaempfter Stimme: "Wenn die junge Herrlichkeit einem armen Manne Glauben schenken will, so verzieht sie sich sachte von hier in dieser gegenwaertigen Stunde noch, sucht ein Kloesterlein auf--Sant Andrea in den Stauden liegt nahe, der Heilige ist gut und die dortige Bruederschaft diskret--, gibt jedem Bettler, dem sie auf dem Wege begegnet, ein Goldstueck, tut in Sant Andrea ein gewichtiges Geluebde, verschliesst sich in eine Zelle und zieht sich das Bettuch ueber die lieben bedrohten Augen. Die heilige Jungfrau bewahre sie Euch!" schloss er mit Inbrunst. "Bist du traumglaeubig?" scherzte Don Giulio, der schnell seine Sicherheit wiedergewonnen hatte. "Ich weiss, was ich weiss", versetzte der Bandit. "Mir hat einst getraeumt, ebenso eindruecklich wie Euch heute, ich ersteche meinen Schwager. Erwacht, tat ich das Moegliche von frommen Dingen; aber es musste nur sein." Er gruesste tief und war weg. Offenbar hatte er es eilig, aus der Naehe eines Menschen wegzukommen, der nach seiner festen Ueberzeugung einem dunkeln Schicksal verfallen war. Viertes Kapitel Don Giulio erstieg langsam die Treppen und suchte, den Blick aufwaerts wendend, sehnsuechtig das suesse Blau, welches er im Traume fuer immer verloren hatte. Aber er suchte vergebens; denn der Himmel war von den trueben Daempfen der Julihitze gaenzlich verduestert. Als er den Fuss auf die oberste Stufe setzte, kam ihm aus der Halle des Hauses mit ungewissen Schritten der Oberrichter entgegen, bleich wie ein Toter und mit so ungluecklich blickenden Augen, dass Don Giulio vom innigsten Mitleid ergriffen wurde und, den Arm um die Schulter des Freundes schlagend, ihn an das Terrassengelaender zog und mit ihm auf das Brunnenbecken und in das rauschende Spiel seiner Wasser niederblickte. "Was geschah denn?" fluesterte er ihm ins Ohr. "Was ist dir begegnet?" Strozzi erwiderte mit schmerzlich verzogenem Munde: "Nichts. Du verreisest fuer zwei Jahre nach Venedig. Deine Sache ist beigelegt und kommt nicht vor Gericht. Deine Orgie in Pratello bleibt ungestraft. Wiederum und noch einmal eine unverurteilte blutige Tat! Auch der Herzog beklagt es und seufzt ueber euch, seine Brueder." "Auch ueber den Kardinal?" "Ueber euch alle. Den Kardinal nannte er einen Eigenmaechtigen, einen Gesetzlosen, einen dem Staate Ferrara unentbehrlichen Frevler, und befahl mir, seine Bande, wenn er sie nicht, wie er fest zugesagt, heute noch abloehne und aufloese, mit Galgen und Rad zu verfolgen-- unnachsichtlich! Dabei erhitzte er sich", berichtete Strozzi weiter, "und sprach eifrig von dem Staate Ferrara, wie er ihn sich denke, als ein Staatswesen von unbedingter Gerechtigkeit, durchaus ohne Ansehen der Person, ohne Beguenstigung, ohne Bestechung. 'Eine Justiz, wie sie Eure Republik besitzt', sagte er, sich zur Seite wendend, und ich erblickte in einer Fensternische den Venezianer, der gekommen war, vom Herzog Urlaub zu nehmen, und bescheiden in einem Buche blaetterte, um meine Audienz nicht zu stoeren. Der Angeredete laechelte hoeflich. 'Vergebung, Bembo!' fuhr der Herzog fort. 'Ich weiss, Euer Reisezug wartet, denn Ihr wollt die Nachtkuehle benutzen zu Eurem Romritt, um der Julisonne auszuweichen. Verzeiht meinem Schreiber, dass der Langsame und Gewissenhafte Euch auf das Memorial warten laesst, das Ihr mir die Gunst erweisen wollt fuer mich in die Haende des Heiligen Vaters zu legen. Ein furchtbarer Mensch, dieser Julius. Er liebt mich nicht; empfehlt mich ihm. Und was werdet Ihr dem Schrecklichen sagen'--der Herzog laechelte--'wenn er Euch fragen wird, was Euch bewog, Ferrara zu verlassen? Er weiss, dass ich von Maennern, wie Ihr, nicht gerne verlassen werde. So gut als ich, schaetzt er Euch als einen Bedeutenden und Zukunftsvollen, den zu verkennen eine Schmach der Unbildung waere, und der jedem italienischen Hofe zur Zierde gereicht. Nun, Bembo, saget mir, was werdet Ihr der Heiligkeit antworten?' 'Die Wahrheit, Herzog', erwiderte der Venezianer mit seiner einschmeichelnden Stimme. 'Heiligkeit, werde ich sagen, ich verlasse Ferrara, weil ich den Herzog verehre, und fuerchte, die Herzogin zu lieben. Kein Sterblicher wird ihres taeglichen Umgangs geniessen, ohne von ihrem geheimnisvollen Wesen und von ihrer klaren Anmut gefesselt zu werden. Wo ist da die Grenze zwischen Bewunderung und Leidenschaft? Wo liegt das richtende Schwert, das die Koerper und die Seelen trennt? Es toetet, ohne zu blitzen! Lieber aber verendete ich in tausend Qualen, als dass ich die hohe Frau durch eine auflodernde Flamme verletzte, oder an meinem edlen Gastfreunde, auch nur im Fiebertraume, Raub veruebte. So werde ich zum Heiligen Vater reden...'" "Kuehn und auch klug gesprochen", unterbrach hier Don Giulio den Erzaehlenden, indem er zum Spiel nach einem Wasserbogen haschte, dessen fallenden Regen ein Hauch des Suedwindes ihm zutrieb. Der Richter aber fuhr fort: "Don Alfonso schien durch das Bekenntnis seines Gastes befriedigt und mit dessen Abreise einverstanden. 'Ich koennte Euch solche freimuetige Rede an den Heiligen Vater nicht verargen', sagte er, 'sie haette nichts Unziemliches, sondern ehrt uns alle. Schreibt uns zuweilen, Bembo! ' Dann aber wurde er drohend und wies auf mich. 'Dieser Mensch', sagte er, 'krankt an dem gleichen Uebel, ohne weise zu sein, wie Ihr, und ein Heilmittel zu suchen. Redet zu ihm und gebet ihm Rat.' Da erhob ich zornig das Haupt und versetzte: 'Solches, Herzog, gestehe ich nicht ein mit dem Munde; meine Gedanken aber anerkennen keinen Richter. Wenn solches waere, ich wuesste mir Rat, so gut wie Bembo. Lasst mich ziehen, Herzog! Die Luft von Ferrara erstickt mich. Ich bin noch zu jung mit meinen zwanzig Jahren, die heilige Waage der Themis zu halten; ich bin ein noch unfertiges Metall, eine fluessige Lava. Noch kaempfen um mich verschiedene Gesetze und Anbetungen! Gebt mir Urlaub! Ich will die Hochschule von Paris besuchen, wohin ich schon lange trachte, und ich werde einst Euch und dem Staate Ferrara reifer und brauchbarer zurueckkehren, als ein Mann des Rechts, den nichts mehr besticht und blendet.' Der Herzog entgegnete mir ernst: 'Keine Rede davon, dass Ihr Euer kaum angetretenes Amt verlasset. Unter meinen Augen begannet Ihr eine Reform unseres Gerichtswesens, und ich ertrage es nicht, dass in Ferrara eine unternommene oeffentliche Arbeit leichtsinnig unterbrochen und verspaetet werde. Wohin wuerde uns solche Gewissenlosigkeit fuehren?--Was aber die Sklaverei betrifft, in der Ihr schmachtet, so leugnet Ihr sie mit dem Munde, aber mit Blicken und Gebaerden legt Ihr sie auf eine aergerliche 'Weise an den Tag. Darum bitte ich unsern scheidenden Freund', er ergriff den Venezianer bei der Hand, 'Euch ueber Euern gefaehrlichen innern Zwist aufzuklaeren. Er ist Euch glaubwuerdig; denn, wie Dante im wilden Walde, ist er angstvoll den reissenden Bestien entronnen. Seid sein Fuehrer, Bembo. Redet in meiner Gegenwart ohne Zwang und Schleier. Es besteht kein Geheimnis unter uns, wir kennen unsere Gesichter und Masken.'--So quaelte uns der grausame Pedant, und wir knirschten unter der Marter!" "In der Tat, ein genialer Gedanke des Ehemannes, in seiner Gegenwart den einen Anbeter seiner Frau durch den andern abkanzeln zu lassen!" lachte Don Giulio. "Das gleicht dem Bruder! Ich sehe, wie du in verhaltenem Ingrimm die Augen rollst, und wie der schlangengewandte Venezianer seine zerrissene Seele zu einem schmerzlichen rhetorischen Meisterstuecke stimmt. Was sagte er denn?" "Zuerst zog er die feinen Brauen zusammen und schwieg eine Weile. Dann trat er zu mir und ergriff mitleidig meine Hand. 'Herkules', begann er, 'die Zeit draengt; meine Rosse stampfen vor dem Tore, und mein Geist ist schon unterwegs. Moege diese meine letzte Minute Frucht tragen mit der Hilfe Gottes! Ich habe keine Zeit, meine Worte zu waegen; und da die Hoheit selbst es ausgesprochen hat, dass hier kein Geheimnis walte, so enthuelle ich schonungslos das Antlitz der Dinge. Dein Leiden ist ein wundersamer Fall. Nicht wie mich armen Suender besiegt dich die Uebergewalt des weiblichen Reizes. Du bist weit gefaehrlicher krank; denn dein Uebel entspringt auf dem Gebiete deines stolzen und eigenwilligen Geistes. Dein strenger Rechtssinn verdammt das, was dein Auge beglueckt und das Feuer deines Herzens entzuendet. Das ist dein Widerspruch und dein Irrsal. Der Richter wird entflammt fuer die von ihm Gerichtete. Besieh dir doch ihr Schicksal! Ein kindliches Weib, in unselige Abhaengigkeiten hineingewachsen, schuldig schuldlos, wie die liebliche Frauenschwachheit ist, flieht, von innerer Klarheit erhellt, mit zitternden Fuessen aus dem Banne des Boesen und ergreift die ihr gebotene Hand eines seltenen, ja einzigen Mannes, der dein Fuerst ist, o Strozzi! und ein weiser Erforscher der Menschennatur. Er erkennt die edle Anlage Lukrezias und zieht sie in goettlicher Weise mit sich empor. Nun werden ihre Schritte taeglich sicherer, und immer groesseres Wohlgefallen gewinnt sie an der Tugend und an ihren belohnten Kaempfen. Da kommst du, Unseliger, siehst die Emporgehobene in den Armen ihres Schutzengels, verurteilst sie zu den Hoellenkreisen und stuerzest dich auf sie, um dein Urteil selbst auszufuehren. Wehe dir, du bist ihr verfallen! Du umklammerst ihre Knie; sie aber wird sich von dir loesen, und du stuerzest allein in die Tiefe! Armer Ixion, du umschlingst statt der Goettin die Wolke, und dass dein Frevel voellig unausfuehrbar und unmoeglich ist, das allein entschuldigt ihn. Frage dein Herz, Strozzi!' und der Venezianer drueckte mir in Traenen die Hand. 'Fuehlst du nicht, wie ruehrend und geschmackvoll die neue Lukrezia ist, die in ihrer stillen und bedachten Weise das schlichte Gute tut und ohne prunkende Busse sich mit den allgemeinen Troestungen der Kirche begnuegt? Wenn du die einfache Anmut dieser Erscheinung betrachtest, beschleicht dich nicht der Zweifel, ob die Verleumdung, das Laster unserer Zeit--denn wir alle verleumden und werden verleumdet--, sich nicht an diesem erlauchten Weibe mehr als an andern vergangen und das menschlich natuerliche Bild einer Dulderin ins Daemonische verzerrt habe?...'" Das laute Gelaechter seines Freundes unterbrach ihn. "Das ist stark!" rief Don Giulio. "O Jahrhundert unverschaemter Wahrheit und gruendlicher Luege!" Da zuckte er leicht zusammen, denn ein leiser Finger beruehrte seinen freien Nacken. Kurz wandte er sich um und blickte in das abgezehrte und feindliche Gesicht des Kardinals, dessen langsames Emporsteigen das Springen der Wasser uebertoent und verborgen hatte. "Ich glaube, der Herzog erwartet uns beide", sagte Ippolito, ueber das Wort seines jungen Bruders, das er noch auf gefangen hatte, unwillkuerlich laechelnd. "Folget mir ohne Verzug!" Und er verschwand in der Villa. "Ich verlasse dich, Herkules!" sagte der Este. "Nur eines muss ich noch wissen: Woher deine toedliche Blaesse, die mich erschreckte, da ich dir hier entgegentrat?" "So hoere denn das Ende des Auftritts und das Meuchelwort des Herzogs! Zuerst sagte er ruhig und finster: 'Euer Bildnis der Herzogin, Bembo, ist treffend und nicht geschmeichelt.' Er fixierte uns beide. Mit meiner Miene schien er nicht zufrieden. Es erhob sich etwas Heisses in ihm, und er wandte sich drohend gegen mich. 'Ich frage mich, Strozzi', sagte er, 'ob Eure Leidenschaft nicht gelegentlich Euern Gehorsam gegen den Fuersten und das Gesetz zu Euerm Unheil ins Wanken bringen koennte! Nicht zwar auf Euerm eigensten Boden in Rechtsfragen, da halte ich Euch fuer unbestechlich und unterordne mich Eurem Urteil. So bin ich zum Beispiel ueberzeugt, dass Ihr in dem Erbstreite meines Fiskus mit dem Grafen Contrario das Recht finden werdet. Auch wird Euch hier die Herzogin trotz ihrer Beguenstigung des Grafen nie irreleiten; aber es gibt einen Fall und eine Stunde, die sie ihres klaren Sinnes berauben werden. Ihr verderblicher Bruder wird Italien wiederum betreten und uns verwirren. Ich werde meinen Untertanen jede Verknuepfung mit ihm verbieten. Doch meine erste Untertanin, die Herzogin, wird nicht gehorchen; denn sie kann es nicht, es steht nicht in ihrer Macht. Mit den haertesten Strafen werde ich verhueten, dass sie kein Werkzeug finde, und doch wird sie eines finden... Euch wird sie ergreifen, Herkules Strozzi. Damit ist Euer Haupt verwirkt. Ich werde Euch richten. Nicht oeffentlich, denn es ist eine Familiensache und eine Staatssache, die beide das Geheimnis fordern. Man wird Euch tot auf der Strasse finden.'--Hier erblasste Bembo, und du sagst, dass auch ich blass geblieben bin.--Unbeirrt und gemessen jedoch fuhr der Herzog fort: 'Bembo, Ihr seid vor Gott und Menschen mein Zeuge, dass dieser nicht ungerichtet stirbt! Du aber, Herkules Strozzi, siehe zu, wie du der Herzogin und mir entrinnest!' Jetzt brachte ein furchtsamer Schreiber die Rolle fuer den Papst, und wir waren entlassen. Ich begleitete den Venezianer zu seinen Dienern und Pferden. Den Fuss schon im Steigbuegel, fluesterte er mir zu: 'Huete dich vor dir selber, Herkules!'" Don Giulio schauderte. Strozzi beruehrte fluechtig seine Lippen und sagte: "Nun reise auch du schnell und gluecklich!" "Diesen Abend noch!" "Nein, sobald du aus dem Schlosse trittst!" sprach der Richter und stieg die Treppe hinunter, waehrend der andere seinem Bruder, dem Kardinal, nacheilte. Fuenftes Kapitel Diesen fand er mit dem Herzog in einer schmalen, hohen Kammer, die ein einziges grosses Fenster erhellte. Es war ein geheiligter Raum, den zu betreten dem Hofe untersagt war. Die Waende waren mit Plaenen und Karten bekleidet, und in der Mitte auf dem breiten Schreibtische, an dem der Herzog, die Stirn in die Hand gelegt, sich niedergelassen hatte, ruhte ein Globus. Sowie sich die Brueder vor ihm gegenueberstanden, blitzten sie, durch den blossen Anblick ihrer Gesichter gereizt, sich feindselig an, und waehrend der Herzog mit einem Zuge der Besorgnis zuhoerte, ueberschuettete der Kardinal Don Giulio mit zornigen Worten. "Ich verlange", rief er, "dass Eure Hoheit diesem Nichtswuerdigen den Hof verbiete; ich will, dass er Ferrara meide ewiglich und uns nicht laenger das Aergernis seiner Nichtigkeit und Straflosigkeit gebe. Er beschaemt und entehrt unser Geschlecht! Stosse ihn aus, Bruder!" Unter so unerhoerter Beleidigung zuckte Don Giulio zusammen. Er baeumte sich unter dieser Geisselung; es war, als ob sich seine Zuege vergroesserten und ein edleres Urbild durchschiene, das sich empoert erhebe gegen solche Erniedrigung. "Kardinal", sagte er, "was ich suendigte, habe ich mir gesuendigt. Und ich weiss nicht, ob ein frei Geniessender nicht schuldlos ist neben einem Staatsmanne, der, wie ein Giftmischer, das Boese berechnend und wissenschaftlich zu seinen Zwecken braucht und verarbeitet." "Diese Gedankenlosigkeit ist gerade, was ich dir vorwerfe, du trauriger Gegenstand!" versetzte der Kardinal, "und dass du ohne jede geistige Freude dem gemeinsten Genusse froenst. Und darum, weil ich weiss, was du, Verworfener, Liebe nennst, verbiete ich dir Donna Angela! Beruehre sie nicht mit dem leisesten Atem, mit dem fluechtigsten Gedanken, denn--pfui deine Gedanken!" Mit Traenen erwiderte Don Giulio: "Warum stoessest du mich in den Schlamm, dass ich darin ersticke, waehrend du mich frueher emporheben wolltest? Warum hassest du mich so wild, der du einst den Knaben vaeterlich geliebt hast?" "Das will ich dir sagen, Julius. Als ich, der zehn Jahre Aeltere, dich als Kind neben mir sah, freute ich mich deines offenen Antlitzes und deines hellen Geistes. Herzgewinnend, schoen, aufmerksam und begabt, schienest du mir ein unter guenstigen Sternen geborener Este, uns geschenkt zum Gedeihen unseres Hauses und Staates, ein Labsal, eine Stuetze fuer Tausende, und es war mein stolzes Bemuehen in einer Zeit des Zerfalles, wo die Persoenlichkeit alles ist, die deinige zu entwickeln. Jetzt, nach deinem kindlichen Aufglaenzen, standest du, ein Juengling, am Scheidewege; da wandtest du dich ab von den Zielen der Ehre und Arbeit und verlorest dich voellig in Spiel und Lust. Dir gelang, deinen ganzen reichen Hort nutzlos und schaedlich zu vergeuden. Nicht der Staat, nicht die Wissenschaft, nicht einmal der die Jugend entflammende Kriegsdienst vermochte dich zu gewinnen. Du toetetest deine Tage mit grossen und kleinen Freveln... ein kleinlicher und niedriger Geist. Du hast Raub begangen an deinem Hause, und da du ihm, Wechselbalg, keine Ehre mehr machen kannst, sondern es mit lauter Schande bedeckst, saehe ich dich wahrlich lieber tot als lebendig. Hast du dich doch selbst von uns losgesagt, als du dein Pratello, an das du grenzenlose Summen verschwendet hast, nicht mit unserem erlauchten Wappen, sondern mit leeren und sinnlosen Larven verziertest, wie du selbst eine bist." "Bruder", erwiderte niedergeschlagen Don Giulio, den sein Gewissen strafte, "hoere auf, mich zu zertreten, weil ich meine Lebensfreiheit gebraucht habe. Es sind genug Este da, die dem Staate dienen! Glaube mir, die Tugendlehre steht deinem Geiergesicht uebel an!--Ueber eines aber, Ippolito d'Este, beruhige dich gaenzlich",--und Don Giulio ermannte sich, einen Boden erreichend, wo er sich schuldlos fuehlte--"ueber meinen Stand zu Donna Angela! Ich schwoere dir", er suchte nach einer gueltigen Beteuerung, "so wahr unser Fuerst und Bruder hier lebt! Angela Borgia, die der Grund ist deines grausamen Hasses gegen mich, gehoert nicht zu mir, sie geht mich nichts an, sie ist mir feind! Ich biege ihr aus, so schlank ich kann. Wuchs und Gebaerde dieser Virago sind nicht mein Stil. Auch kann sie mich nicht lieben, denn sie denkt ueber mich wie du. Und mit Recht, denn ich weiss nichts davon, dass ich mich geaendert haette, seit sie mich vor allem Volke bejammert hat!" Weit entfernt, dass dieses Gestaendnis den Kardinal beruhigt haette, blies es vielmehr anfachend in die Flamme seiner Eifersucht. Er traute den Worten Don Giulios, denn er wusste, dass dieser trotz seiner Uebertretungen eine innerlich unverfaelschte und wahrhafte Natur geblieben war, und er sagte sich, dass dieser Wunderquell, in dessen Tiefe man durch seine leuchtenden Augen hinunterblicken konnte, fuer die wahrheitsdurstige Angela eine geheime Anziehungskraft haben musste, ohne welche sie nicht hingerissen worden waere, den aus dem Kerker Steigenden auf offenem Markte zu misshandeln und zu beklagen. Seine Eifersucht wurde zur Wut, als Don Giulio unschuldig fortfuhr: "Nein, Bruder, ich rede nicht aus Neigung!" Er legte beteuernd die Hand aufs Herz. "Bei Bacchus! Das Maedchen ist mir so gleichgueltig wie Goettin Diana! Nur hat man sein Erbarmen mit jedem weiblichen Geschoepfe--was soll aus ihr werden bei deiner rasenden Liebe zu ihr? Heiraten kannst du sie nicht--du bist ein Priester! Gewinnen noch weniger, denn sie ist keusch und tapfer! Was bleibt? Was bereitest du ihr? Du wirst sie toeten!" Seine Stimme hatte einen so warmen, mitleidigen Klang, dass der Kardinal darueber in Raserei geriet. "Wer sagt dir, Bube", wuetete er, "dass ich sie toeten werde! Was hindert mich, dies hier", er packte mit beiden Faeusten den Purpur ueber seiner Brust, "in Fetzen zu reissen und Angela als mein Weib an das Herz zu druecken? Ich bin jung genug dazu, und ich speie auf das kirchliche Gaukelspiel!..." "Gelassen, Bruder!" mischte sich endlich der Herzog in den Zweikampf. "Das tust du nicht. Dass du ein Weib bis zur Raserei liebst, darf dir begegnen. Es ist eine menschliche Plage--eine Krankheit--ein Unglueck! Eine verspaetete Verweltlichung aber zum Behufe einer Heirat waere ein Aergernis--ein Spott! Und du darfst dich nicht verhoehnen lassen, du Stolzer! Was Donna Angela betrifft, die ein wertvolles Maedchen ist, so wird die Herzogin sich damit beschaeftigen, sie standesgemaess zu versorgen, wozu sie als Verwandte verpflichtet ist. Und du, Kardinal, wirst Donna Angela unter dieser Obhut in Ruhe lassen, aus Ehrerbietung fuer Donna Lukrezia, die du scheust und achtest." "Die ich scheue und achte!" wiederholte der Kardinal gedankenabwesend. "Und mit wem wird Donna Lukrezia sie vermaehlen? erkuehne ich mich zu fragen." "Das ueberlassen wir ihrer Klugheit", sagte der Herzog. "Ich fuer meinen Teil denke, es waere nicht unweislich gehandelt, sie dem Grafen Contrario zu geben." Nun war es seltsam, wie bei der Nennung dieses in Italien Reichtum und Ehrbarkeit bedeutenden Namens beide feindlichen Brueder in ein eintraechtiges und einstimmiges Hohngelaechter ausbrachen. Dann aber wandte sich der Kardinal mit erneuter Wut gegen seinen Mitlacher. "Es sei!" schrie er. "Donna Lukrezia verfuege! Sie wird etwas anderes finden, oder Donna Angela sich selbst besser beraten. Wenn nur dieser Auswurf der Este", er deutete auf den jungen Bruder, "aus dem Spiele bleibt!" Und so toetende Blicke schoss er gegen ihn, dass dieser erbleichte. Jetzt schwindelte Ippolito auf dem Gipfel seines Hasses; er fuehlte, dass er die Besinnung verliere und einer Ohnmacht nahe sei. Sich an die Stuhllehne des Herzogs klammernd, keuchte er in abgebrochenen Worten: "Wenn dir dein Leben lieb ist, Bruder, so entweiche aus meinem Gesichtskreis! Verlass Ferrara! Noch zu dieser Stunde!... Jetzt gleich!... Geh!..." Don Giulio betrachtete den Kardinal mit erschrockenen Augen. Ihm schien, dass ihn dieser unwillkuerlich und aufrichtig warne vor den moerderischen Ausbruechen seines Hasses, und er beschloss, ihm zu gehorchen. "So tue ich, Kardinal!" sagte er und wollte sich entfernen. Doch der Herzog gebot anders. "Keine Uebereilung!" hielt er ihn zurueck. "Nichts Auffallendes! Nichts, was Mutmassungen und Gerede verursachen koennte! Begebt Euch jetzt in den Kreis der Herzogin. Unterhaltet sie und lasset gelegentlich einfliessen, Eure Lust am Kriegswesen sei wieder erwacht, und da jetzt die Euerm Dienste in Venedig entgegenstehenden Staatsgruende weggefallen waeren, so kehrtet Ihr dahin zurueck. Ich haette Euch Urlaub gegeben, wenn auch ungern." Don Giulio verneigte sich gehorsam. Da liess sich draussen eine scharfe Stimme vernehmen, und alle drei wendeten sich gegen den Eingang der Kammer. Es war Don Ferrante, der Einlass begehrte und in meckernden Toenen zu rezitieren begann, denn neben andern Torheiten huldigte er auch der, zuweilen in Versen zu reden: "Holdsel'ger Anblick, selten, aber wahr: Drei Brueder schliessen liebend sich zusammen, Die von verschiednen schoenen Muettern zwar, Doch von demselben edeln Vater stammen! Sie wuergen sich, und sie ersticken gar Sich in Umarmungen und Liebesflammen. So gross ist ihr Verlangen und Entzuecken, Sich gegenseitig an die Brust zu druecken! Der vierte kommt, den dreien anzusagen, Dass im Boskett, wo Amor liegt in Banden, Wo die Gelehrten unsrer Fuerstin tagen, Ein philosophischer Disput entstanden. Es handelt sich um nadelspitze Fragen, Und eine Loesung ist noch nicht vorhanden. Erlauchte Prinzen, lasst Euch nicht verdriessen, Auch Eures Witzes Bolzen abzuschiessen. Komm, Bruederchen! Die Koenigin von Ferrara gebietet." Er fasste Don Giulio unter dem Arme und lud den Herzog und den Kardinal mit einer gezierten Handbewegung zum Vortritte ein. Sechstes Kapitel Waehrend die ernsten Gestalten des Herzogs und des Kardinals zusammen durch den langen Mittelgang des Gehoelzes schritten, stellte sich das darin lustwandelnde Hofgesinde rechts und links zu ehrerbietiger Begruessung auf, wenn es sich nicht in anstaendiger Flucht auf Nebenpfaden, die zu irgendeiner geheimen Laesterbank fuehrten, ins Dickicht verlor. Wer von ihnen haette begreifen koennen, dass der Mann im Purpur mit dem bedeutenden Kopfe und den durchgearbeiteten Zuegen, wie sie grosse politische Geschaefte auspraegen, gleich einem Verdammten leidend, in den Banden eines von ihm sich abwendenden jungen Maedchens lag. Aehnliches sagte sich der Herzog, und der Kardinal erriet dieses schweigende Urteil. "Keine Sorge, Bruder", begann er beschwichtigend, "wegen meiner und des Maedchens! Ich ueberwinde... eines von beiden: mich oder sie! Nur Don Giulio muss aus der Mitte geworfen werden. Und du schaffst mir ihn weg, den mit den vorwurfsvollen Augen!" Der Herzog blickte den noch immer vor Leidenschaft Zitternden verwundert an. Dann warf er einen Blick rueckwaerts nach den ihm folgenden Bruedern und sah Don Ferrante, der den Gehassten fast gewaltsam vom Wege in das Gebuesch zog. "Sieh dich um", sagte er zum Kardinal. "Dort schleppt der Verschwoerer Ferrante den unschuldigen Giulio in ein Versteck, um ihn in eines seiner naerrischen Komplotte gegen uns einzuweihen. Zu solchem Verrat aber, das musst du mir zugestehen, gibt sich der leichtherzige Knabe nicht her." "Je nach Umstaenden!" zischte der Kardinal. Dann raffte er sich selbst und die Falten seines Purpurs zusammen, denn sie naeherten sich dem Kreise der Herzogin. Die Hitze des Julitages hatte sich gegen Abend unter dem dichten Laubdache verfangen. Es war unertraeglich dumpf, und wo der Horizont zwischen den Staemmen sichtbar wurde, regten unaufhoerlich die lautlosen Blitze ihre Feuerschwingen. In dem daemmernden Boskette des gefesselten Kupido erhob sich beim Eintritte der beiden die Gesellschaft von den niedrigen Steinsitzen; nur die Herzogin, zu deren Fuessen Angela sich barg, blieb auf ihrer Bank ruhen, dem Herzog neben sich Raum gebend. Der Perser Emin aber stand an den ehernen Kupido gelehnt, den Kreis mit orientalischen Maerchen, wie es dem Herzoge schien, unterhaltend, waehrend Ariosto hinter seinen Schultern ihn anfeuerte und auch wohl mit dem richtigen italienischen Ausdruck unterstuetzte. "Wovon war die Rede, Madonna?" fragte der Herzog. "Herr, davon", erwiderte sie, "wie es moeglich sei, dass gewisse Lichtgestalten, die in ihrer Glorie schuetzend ueber uns stehen, auch in fremde Laender und auf andersglaeubige Voelker ihre Strahlen werfen, wenngleich wie im Spiegel eines dunkeln Gewaessers gebrochen. Davon hat uns Ben Emin eben ein schoenes persisches Beispiel erzaehlt." "Ich errate", sagte Don Alfonso, den die Frage anzuziehen schien. "Solche Besitznahme unserer Helden durch die morgenlaendische Sage kommt vor. Wenn ich nur an Kaiser Karl und seine Paladine denke. Diese freilich haben unsere Dichter--und nicht am unschuldigsten jener dort, der seine lustigen Augen hinter Kupido verbirgt--schon so abenteuerlich verkleidet, dass den Persern wenig mehr zu tun uebrig bleibt." "Auf falscher Faehrte, Herzog!" laechelte Donna Lukrezia. "So sind es denn die grossen Staufen", riet der Herzog weiter, "der Rotbart und sein Enkel, der unglaeubige Friedrich, welche beide freilich den Morgenlaendern ihre natuerlichen Angesichter gezeigt haben, und die sie nach dem Leben abbilden konnten." "Immer weiter weg!" schuettelte Lukrezia das leichte Haupt. "Doch, ich fuerchte, selber habe ich Euch irregefuehrt, indem ich einen ganz Unvergleichlichen und Unerreichbaren in die Menschheit einreihte und das Heiligste selbst in unser weltliches Gespraech verflocht. Weder Karl den Grossen und seine Paladine, noch die Staufen nannte Ben Emin, sondern unsern Herrn Christus selbst. Verzeiht meiner Unvorsicht! Es ist ferne von mir, die Kirche zu entweihen, in deren Kreis ich durch Geburt und Schicksal gebannt bin und von der allein ich mein Heil verhoffe. Die Barmherzigkeit des Himmels, die sich in Menschengestalt des abscheulichsten Elends erbarmt, das ist auch der Inhalt der persischen Erzaehlung, die mich verfuehrte. Doch ich werde unklar. Hoeret und urteilet selbst. Ben Emin berichtet: Eines Tages trat der Heiland mit seinen Juengern aus dem Tore einer Stadt. An der Landstrasse lag in der Sonne ein toter Hund, dem die Juenger mit Ekel und Schmaehungen auswichen. Der Heiland aber blieb bei dem Aase stehen, und das einzige, was daran rein geblieben war, hervorhebend, sprach er:--O sehet, wie blendend weiss seine Zaehne sind!'" Die Hofleute, welche eine Erzaehlung im Geschmacke des Boccaccio vorgezogen haetten, fanden diese persische Legende befremdend, ja unanstaendig; der Herzog aber schwieg. Donna Lukrezia, die von dem Gegenstande nicht loskommen konnte, redete in bewegter Stimmung weiter: "Und ist es nicht seltsam, mein Herzog! Wie auf einer kostbaren Tapete, gewoben nach der Zeichnung eines unserer heiligen Maler, wird auf der Rueckseite, ich meine in der heidnischen Ueberlieferung, zwar nicht das volle Bild des Weltheilandes, aber doch die Purpurfarbe seiner Barmherzigkeit sichtbar! Die heidnische Sage bestaetigt den Heiland als den, welchen die Kirche verehrt und darstellt, als einen goettlichen Brunnen der Barmherzigkeit. Selbst an dem ekelsten Gegenstande findet die Guete noch eine Schoenheit." Und schwere Traenen stuerzten ueber ihre Wangen. Die Hofleute waren erstaunt, ihre Herrin also reden zu hoeren. Es war offenbar, dass sie an sich selbst dachte und unter der Gewalt eines ploetzlich ueber sie kommenden unueberwindlichen Wahrheitsbeduerfnisses ohne Hehl und Scham unter einem durchsichtigen Schleier ihren Ursprung aus der Kirche und ihre entsetzliche roemische Suende zeigte. Der Mund des einen verzog sich in der Daemmerung zum Spott, waehrend die Stirne des andern sann und gruebelte. "Es ist schwuel, und sie fuehlt das Gewitter"--dachten sie. Die Blaesse der Herzogin schimmerte wie Marmor durch das Halbdunkel. Alfonso sprach kein Wort, aber er betrachtete sein Weib ohne Groll, mit Liebe und Teilnahme. Der Teppichhaendler Emin aber freute sich des Gleichnisses von der Tapete. In dem entstandenen Schweigen wurde die bange Schwuele noch fuehlbarer. Man hoerte in der Ferne unheimliche Unkenrufe und das Schreien eines Kaeuzleins, nach welchem der Kardinal, der an der Unterhaltung keinen Anteil genommen, aufmerksam und geaergert hinhorchte. Da trat unversehens Don Ferrante aus den Baeumen und liess seine misstoenige Stimme vernehmen. "Hier wird erbaulich gesprochen", hoehnte er, "wohl von der Eminenz! Ich lese es im Dunkel auf den kasteiten Mienen. Schade, dass ich zu spaet komme! Ich kann immer etwas Moral brauchen, und noch mehr Bruder Julius, den ich mitbrachte, der mir aber unterwegs in den Pfirsichspalieren haengen blieb. Es steckt dort eine Pica, die Tochter des neuen Gaertners, der er jetzt Pfirsiche fuer die herzogliche Abendtafel pfluecken hilft mit den ueblichen Griffen und Bissen und ehrbaren Spielen und Wortspielen, welche seit Adams Zeiten das Ergoetzen unserer edeln Menschheit sind." Diese mehr bittere als lose Rede schlug wie ein Blitz in einen Pulverturm. Donna Angela, die bisher ihr Angesicht an den Knien der Herzogin verborgen hatte, fuhr wie eine vom Pfeil getroffene Loewin in die Hoehe und wollte, durch die Buesche brechend, davoneilen, da der naechste Augenblick den Unwuerdigen in ihre Gegenwart bringen konnte; doch die dunkle Figur des Kardinals verwehrte ihr die Flucht. Er stellte sich vor sie, und es schwirrte von seinen Lippen: "Der Nazarener fand an dem ekeln Aase noch etwas Schoenes, an dem Hunde Don Giulio haette er es nicht gefunden!" Da aenderte sich ploetzlich die Haltung des aufgebrachten Maedchens. Die Brandmarkung des ausschweifenden Juenglings, zu der-- wunderbarerweise--nur sie ein Recht zu haben glaubte, kochte in ihr als Zorn und Widerspruch. Sie schuettelte ihr stolzes Haupt und bewegte die Lippen. "Es waere denn, Ihr allein, Donna Angela, wuesstet ein Lob auf ihn!" beleidigte er sie. Da sprach die Trotzige mit erhobener Stimme: "Don Giulio hat wundervolle Augen! Die muss ihm der Neid, die muesset Ihr, Kardinal, ihm lassen!" "Muss ich? Muss ich wirklich?" rief Ippolito bebend und trat in die Nacht der Baeume zurueck. Er verliess das Boskett und erschien wieder nach wenigen Minuten und einer entsetzlichen Tat. Was war geschehen? Er hatte kaum das Dunkel betreten und einen leisen Ruf hoeren lassen, so kroch Kratzkralle, der sich durch "Unke" und "Kaeuzlein", wie der Kunstausdruck lautete, angemeldet hatte, auf dem Bauche, wie eine Schlange, aus dem Dickicht, und ihm gegenueber auf der andern Seite des Pfades wurden in derselben Haltung Firlefanz und Drachenbrut sichtbar. Es waren die drei Schlimmsten seiner verabschiedeten Bande, die vor ihm aufstiegen. "Was wollt ihr von mir, Schurken?" fuhr er sie an. Die Muetzen mit den Haenden vor die Brust drueckend, wisperten die drei: "Gold, Gold, Gold, Eminenz! Wir haben Euch laenger gedient als die andern und erwarten mehr von Euch! Euer Schatzmeister aber hat uns alle gleich bedacht." Da ueberwaeltigte den Kardinal sein boeser Daemon. Er zog einen schweren Beutel hervor. "Euer!" lockte er, "wenn ihr Don Giulio..." Firlefanz macht die Gebaerde des Erstechens: "Abgemacht, Eminenz!" "Nicht so! Sondern..." das Wort zauderte in seinem Munde, "ihn blenden." Zuerst wollten ihn seine Banditen nicht verstehen. "Kennt ihr ihn?" fragte er. "Er ist mein Freund!" versetzte Kratzkralle mit Stolz. "In wenigen Minuten geht er hier vorbei. Horcht!... Ich vernehme schon seine Schritte!" In der Tat wurde ein fernes Schreiten auf dem knirschenden Kiese der Allee hoerbar. Da warf sich Kratzkralle dem Kardinal zu Fuessen und stoehnte mit dem tiefsten Selbstbedauern: "Ich Verdammter! Waer' ich nicht geboren! Herrlichkeit, befehlt mir, ihn zu erstechen! Nacken oder Herz! Nur nicht die lieben schoenen Augen!... Das tu ich nicht!" sagte er dann entschlossen. Da stiess ihn Firlefanz beiseite. "So lass uns zweie machen, Kapaun! Desto besser, wenn wir nicht mit dir teilen muessen!" Das wollte nun Kratzkralle auch nicht. Der Kardinal liess seinen Beutel fallen und ging auf dem Pfade, den er gekommen war, nach dem Boskette, ohne zurueckzulauschen. Hier aber war nicht nur der eherne Amor gefesselt, sondern alle Geister der Unterhaltung lagen in Banden. Man sass, in der Schwuele schwer atmend, zusammen und konnte bei der sinkenden Nacht kaum mehr die Zuege des Nachbars unterscheiden. Eine bleierne Muedigkeit und zugleich die beklemmende Angst einer Erwartung laehmte die Glieder, wenn auch nur das Warten auf die Flammen und Donner eines Gewittersturmes, dessen Fittiche zur Stunde noch gebunden waren. Da ploetzlich zitterte durch die Luft ein Geschrei. Solche Schreckens--und Schmerzenstoene, dass alle Herzen bebten und alle Pulse stockten! "So bruellt der Stier des Phalaris!" rief der entsetzte Ariost. "Wo bleibt Don Giulio!" Er stuerzte fort. Da kam er mit ihm zurueck, der sich, der Unglueckliche, an ihn anklammerte und von ihm vorwaerts schleifen liess. "Bruder! Herzog!" rief der vor Schmerz Sinnlose, "wo bist du? Hilf mir, raeche! strafe!" "Fasse dich, aermster Bruder! Was geschah? Was tat man dir?" sprach ihm der Herzog zu, waehrend ihn alle umringten. "Der Kardinal liess mich meuchlings ueberfallen! Er hat mir die Augen ausgerissen!" Man schrie: "Bringt Fackeln! Holt Aerzte!" waehrend Don Giulio, den ihn aufhaltenden Ariost mit sich reissend, vorwaerts strebte und die Arme nach dem Kardinal ausstreckte, der neben dem Herzog stand und dessen Gegenwart er fuehlte. Seine ungewisse Hand fuhr in die Falten des Purpurs, in den er, auf das Knie stuerzend, sich verwickelte und das blutige Haupt begrub. Er hielt sich an dem Leibe des Kardinals fest und schluchzte: "Oh, oh, warum raubst du mir das Licht? Was nimmst du mir das all und einzige weg, das ich war... ein in der Sonne Atmender!... Du, der du alles bist und hast! Dem ich nichts nahm und nichts neidete!... Ich winde mich vor dir wie ein blinder Wurm! Bruder, zertritt mich! Toete mich ganz!..." Der Kardinal erschrak. Er zog krampfhaft seinen Purpur an sich, und seine Stimme klang unnatuerlich, als er ausrief: "Nicht ich!... Das Weib verfuehrte mich!... Sie lobte deine Augen!..." Dieses Wort drang nicht mehr in das Ohr des vor Schmerz ohnmaechtig werdenden Blinden, aber vernichtend in das Herz der entsetzten Angela. Es kam Hilfe, Dienerschaft mit Fackeln und Saenften. Die verwirrte Gesellschaft verlor sich ohne Abschied in aengstlichen Gruppen und auf verschiedenen Wegen. Das dunkle Boskett war verlassen. Jetzt roetete ein Blitz den gefesselten Amor, Windstoesse sausten durch den Wald und beugten die Wipfel der Baeume. Bald war der Himmel lauter Lohe und die Luft voller Donnergetoese. Dann stuerzten die finstern Wolken auf die Erde, und schwere Regen wuschen und ueberschwemmten den mit Blut und Suende befleckten Garten. Siebentes Kapitel Geraume Zeit war verflossen seit der Missetat des Kardinals, und der erste Frevel verlangte andere zu erzeugen. Die Saat war ausgestreut und keimte. In Pratello, wohin man Don Giulio an jenem Abende noch, mitten durch das Gewitter, in einer von Pferden getragenen Saenfte zurueckgebracht hatte, bruetete der Unglueckliche in seiner Finsternis oder liess sich durch die Gaenge seiner neuangelegten Gaerten fuehren, die heissesten Sonnenstrahlen auffangend, um wenigstens das Licht zu empfinden, das er nicht mehr sehen sollte. Besucht wurde er nicht vom Hofe, denn er galt fuer in Ungnade gefallen, da der Herzog nicht daran zu denken schien, die Tat des Kardinals vor Gericht zu ziehen, nicht einmal daran, durch eine ernsthafte Verurteilung des grausamen und unerklaerlichen Verbrechens sich davon zu trennen und persoenlich loszusagen. Die drei Banditen freilich wurden, kurze Zeit nach der Tat, in Neapel, wohin sie mit ihrem Solde geflohen, wohl von ihren frueheren Kameraden umgebracht und ihre Koepfe an die Gerichte von Ferrara gesendet, die einen Preis auf die Einlieferung der lebendigen oder toten Verbrecher ausgesetzt hatten. Der eigentliche Taeter, Ippolito d'Este, kam mit einer so leichten Strafe davon, dass es schlimmer erschien, als wenn man die Schuld an ihm nicht gesehen noch gesucht haette, und dass es einer Verhoehnung des von ihm mehr als Getoeteten glich. Der Herzog begnuegte sich damit, den Kardinal fuer wenige Wochen aus seinem Angesichte zu verbannen. Nicht einmal das Gebiet von Ferrara war ihm verboten worden. Aber er haette es auch nicht verlassen koennen, denn er lag schwerkrank darnieder in der stillsten und verborgensten Kammer seines Stadtpalastes--so antwortete wenigstens seine Dienerschaft auf die vorsichtigen Fragen der Ferraresen. Ob es so sei, oder ob der Kluge sich nur sterbend stelle, um die gegen ihn empoerte oeffentliche Stimme zu besaenftigen, darueber waren die Meinungen verschieden. Von dem Geruechte der Erkrankung des Kardinals erfuhr der Blinde von Pratello nichts; denn die zwei einzigen sehr ungleichartigen Ferraresen, die ihn besuchten, Don Ferrante und Ludwig Ariost, hueteten sich aus verschiedenen Gruenden und Interessen, ihn davon zu unterhalten. Der Dichter, welcher nach Pratello kam, um nach seiner Art den Blinden zu troesten und seine Seele zu erfreuen, war ein Hoefling des Kardinals und setzte Wert auf das Wohlwollen dieses gefuerchteten Beschuetzers. Er hielt sich ohne Falsch in der Schwebe zwischen Schlaechter und Opfer; er bedauerte seinen Freund, ohne seinen Goenner zu verabscheuen, dessen Namen er in Pratello nie ueber die Lippen liess, um ihn nicht von Don Giulio verfluchen zu hoeren, um nicht das Gemuet des Blinden im Grunde aufzuwuehlen und auf lange Tage zu verfinstern. Don Ferrante dagegen kam in andrer Absicht. Er weidete sich am Schmerze des Bruders, weil er Plaene darauf baute. Er vergiftete seine Wunde, weil er sie nicht heilen lassen wollte. Sie sollte immer heftiger brennen, damit der Groll des von Natur nicht Rachsuechtigen gegen die aelteren Brueder, den schuldigen und den gleichgueltigen, immer tiefer gluehe. Er nahm sich darum in acht, dem armen Herzen mitzuteilen, dass der Kardinal auch nicht heil und ungestraft geblieben, sondern heimgesucht sei von schwerer Krankheit, und damit gar sein Mitleid zu erregen. Der Blinde sollte ihm nuetzlicher werden, als ihm der Sehende je gewesen war. Don Giulio hatte in Pratello verschiedene Stufen des Elendes ueberschritten. Nach den ersten, langen, im Dunkel verstoehnten Tagen und Naechten, sobald die Fieber des Koerpers und der Seele nachgelassen hatten, suchte er nach seiner genussbeduerftigen Natur die Beruehrung der sanften Luefte und den Geruch der Blumen. Er vergrub sich in die kuehlsten Blaetter, unter die duftigsten Zweige seines Gartens. Zu dieser Zeit fing Ariost an, den Freund zu besuchen, vor dessen unheilbarem Elend ihm anfangs unueberwindlich gegraut hatte. Er wandelte mit ihm durch die Laubgaenge von Pratello und legte sich neben ihn auf den weichen Rasen. Er war dafuer besorgt, dass die Schaffnerin Koerbe voll saftigster Fruechte und Schalen edeln Weines bringe, und liess den Blinden geniessen und schluerfen. Er klagte mit ihm das Verhaengnis als etwas Unpersoenliches an. Er lobte die Maessigung des Empfindens wie im Glueck also im Unglueck und meinte, es haenge alles von der Farbenbrechung der Seele ab; Glueck koenne schmerzen, und Unglueck--als Tragoedie betrachtet--lasse sich geniessen. Ja, er behauptete, auch der Sinnlichste besitze eine geheime stoische Ader, und ueber den Geschicken zu stehen, gewaehre eine goettliche Genugtuung. Eines Tages zog er auch beschriebene Rollen aus der Tasche und begann mit wohllautender Stimme, Strophe nach Strophe, die schlanken Gestalten und die herrlichen Entfaltungen seines Heldengedichtes in Don Giulios Ohr toenen zu lassen, bis sich nach und nach das Dunkel heller faerbte und in der entzueckten Seele des Blinden eine Sonne aufging. Im Anfange beachtete er wohl, solche Gesaenge zu waehlen, deren Grundstimmung ein heroischer Ernst oder Ergebung im Leiden war. Trennungen, Aufopferungen, Erniedrigungen und aehnliches passives Heldentum! Da ruehrte es oft den Dichter, wie tief Don Giulio den schmerzvollen Wahnsinn Rolands mitempfand, trotz der schalkhaften und grotesken Darstellung, mit welcher der Dichter seiner Frohnatur gemaess den Schmerz wieder aufhob. Das ins Komische Uebertriebene der Leidenschaft, die von Roland, wie ungeheure Ausrufungspunkte, in die Luft geschleuderten Felsstuecke stoerten das Mitgefuehl des Blinden nicht. Endlich aber, da Meister Ludwig den Freund mit seinen zweiundzwanzig Jahren so schlank und schoen neben sich ins Gras gestreckt sah, die rasch geheilten zwei Wunden im unter dem Haupte ruhenden Arme verborgen, stachelte ihn die Freude an dem von ihm eben neu Geschauten und Geschaffenen, einen Gesang vorzutragen, der nichts als Farbe, Lust und Leichtsinn war und in dem das trunkene Leben ueber flatterndem Haar die lauten Becken schlug. Da dies zum ersten Male geschah, legte der Este die feine Hand auf die des Dichters und das Manuskript zugleich. "Etwas anderes, Ludwig!" sagte er, "das ist nichts fuer einen Blinden!" Da weinte der Poet innerlich ueber diese Abwendung von der Freude, obwohl er sie hoechst erklaerlich und wuerdig fand. Auch kam sie ihm nicht ganz unerwartet, denn er hatte unlaengst einem kleinen Auftritte beigewohnt, der ihm einen Blick in die Seele des Blinden gewaehrte. Coramba, die fruehere Hausgeliebte des Este, hatte sich, nach der zugreifenden Art solcher Wesen, bei dem Verbinden der durchstochenen Augen aufs loeblichste betaetigt und ihren erblindeten Herrn gepflegt und gefuehrt, bis er sich selbst zu helfen wusste. Im Freien aber hatte er das aufdringliche Geleit nie geduldet, schon weil ihn die unterdrueckten Mitleidsrufe seiner Untergebenen: "Da kommt der arme Herr mit seiner Kreatur!" oder: "Sie huetet ihn wie eine Mutter!", die sein geschaerftes Ohr vernommen hatte, gruendlich verdrossen. Eines Tages nun erkuehnte sich die Coramba, den Blinden in Gegenwart des Ariost zu umfangen und wie ein Kind zu herzen. Der Este aber schob sie gemach und kuehl auf die Seite und sprach: "Gehe, Coramba, gehe auf immer! Du bist nichts fuer einen Blinden! Gehe, und nimm meinen Dank mit." Sie gab ihm recht und ging noch an demselben Tag, nachdem sie sich, ohne dass er es ihr wehrte, die Taschen mit seinem Golde gefuellt hatte, ein waermeres Klima aufzusuchen. Auf seinem weiten Besitztum lebten und arbeiteten fuer ihn Hunderte von laendlichen Familien, fleissige, genuegsame Leute, deren bewundernde Anhaenglichkeit das wilde und ueppige Treiben des jungen Gebieters nicht hatte zerstoeren koennen. Jetzt in seinem einsamen Unglueck traten seinen Gedanken diese treuen und harmlosen Nachbarn taeglich naeher. Er fing an, wenn er ihnen auf seinen lichtlosen Gaengen begegnete, ihre Stimmen zu unterscheiden, sich von ihrer Lage zu unterrichten und an ihrer Sorge teilzunehmen. Ihr einfaches, echtes Mitleid tat seiner kranken Seele wohl, und er sprach von ihnen zu Ariost wie von Bruedern und Schwestern. Solchen und aehnlichen Aeusserungen des Blinden entnahm der Poet, dass der Este sich in einer andern Lebensabteilung, unter einer andern Menschenklasse einzurichten begann, als die war, welcher er bisher angehoert hatte, in derjenigen der Ungluecklichen und Leidenden, der Benachteiligten und Enterbten, in einem Lebenskreise, der offenbar unter andern Bedingungen stand und andern Gesetzen folgte als die Vollsinnigen und zum Genusse Berechtigten. Auch erriet Meister Ludwig, dass der Este diese seine Herabwuerdigung und Entwertung nicht immer dem Hasse der Menschen oder dem blinden Verhaengnisse, sondern, in gewissen Augenblicken wenigstens, einer eigenen Verschuldung zuschrieb. So musste es in der Tat sein. Diese musste teil daran haben. Wenn in des Dichters sonst so hellen Bildern mitunter die Nemesis waltete--wie bisweilen ja auch in der wirklichen Welt, laut dem Sprichworte, die Strafe der Missetat auf dem Fusse folgt--, dann versank Don Giulio in Nachdenken, und Ariost vernahm wohl einen erstickten Seufzer. Bei solchen Wahrnehmungen aber huetete er sich, auf ein Gefuehl, das er an sich selbst nicht kannte und das ein fluechtiges sein konnte, unzart zu druecken, teils weil er jedes fremde Eingreifen in einen Seelenvorgang als Gewalttat verabscheute, teils auch, weil er sich, leicht beschwingt, wie er war, und immer auf die sonnige Oberflaeche der Dinge zurueckstrebend, am wenigsten dazu berufen fuehlte. Denn der Quell echter Reue, das wusste er, sprudelt in heiligen Tiefen, und nur in der einsamen Stille seines goettlichen Ursprungs waschen sich schuldige Haende und Seelen rein. Ihm aber schauderte vor dem Verharren in solcher gestaltlosen Tiefe. Alles, was er dachte und fuehlte, was ihn erschreckte und ergriff, verwandelte sich durch das bildende Vermoegen seines Geistes in Koerper und Schauspiel und verlor dadurch die Haerte und Kraft der Wirkung auf seine Seele. Meister Ludwig trug auf der Tafel seiner offenen Stirn das sittliche Gebot geschrieben, doch allerlei lustiges und luftiges Gesindel tanzte ueber die helle Woelbung und hauste in den dahinterliegenden geraeumigen Kammern, ohne dass der Dichter selbst seine Mieter alle recht gekannt haette. Auf Don Giulio aber wirkte er wohltaetig, und wenn er von ihm schied und der Este ihn begleitete, gingen sie Hand in Hand durch den Platanengang von Pratello, ohne dass der Blinde den Schauenden beneidete, oder dieser jenen bemitleidete, als zwei gute Brueder; denn die Liebe hatte fuer den Augenblick jeden Unterschied zwischen ihnen aufgehoben. Mehr Besuche aber noch als von Ariost erhielt Don Giulio von seinem Bruder Don Ferrante. So mischte sich ein dunkles stygisches Gewaesser in den hellen Einfluss des Dichters und verwuestete Don Giulios Seele in einer Tiefe, wohin Ariost nicht gelangen konnte. Don Ferrante war ein wunderlicher Zwitter, gemengt aus geistiger Armut und unerschoepflichem Erfindungstriebe. Seine Jugend war unter dem Drucke bestaendiger Furcht verkrueppelt. Als Kind schon Zeuge unzaehliger Intrigen und Komplotte in Ferrara selbst und aengstlicher Zuhoerer, so oft noch grausamere Dinge von den anderen italienischen Hoefen seiner Zeit berichtet wurden, fuehlte er sich von jeher von Schrecknissen umgeben, denen seine unehrliche und machtlose Natur keinen andern Widerstand entgegensetzen konnte als den der wechselnden Maske und der seltsamsten Erfindungen. Er verleumdete, um der Verleumdung die Spitze zu bieten; er zettelte kleine Verschwoerungen an, um keiner Familienintrige zum Opfer zu fallen. Alles aus geheimer Furcht und ohne Ernst und Folge, ausser dass er dabei immer unwahrer und verschrobener wurde. An jenem Abend aber, da derjenige seiner Brueder, gegen den er am wenigsten Misstrauen hegte, auf schauerliche Art in der Mitte des Hofstaates ueberfallen und der Augen beraubt wurde, geschah ein Riss in seinem schwachen Geiste, und von nun an stand es ihm fest, dass er selbst, als der gefaehrlichere der beiden, wie er meinte, einer noch schrecklicheren Vernichtung entgegengehe. Die krankhafte Angst, die ihm keinen harmlosen Moment mehr goennte, ihm den Schlaf raubte und ihn jede Speise, jeden Becher beargwohnen liess, steigerte seine Furcht vor seinen zwei regierenden Bruedern zum verzweiflungsvollen Hass, und er entschloss sich, sie zu entthronen und zu toeten. Dazu aber bedurfte er seines geblendeten Bruders. Don Ferrante hatte naemlich die Wahrnehmung gemacht, dass die rechtlose und gerichtlose Blendung Don Giulios gewaltig auf das oeffentliche Gefuehl gewirkt hatte, nicht zu reden von dem schaendlichen, die Einbildungskraft aufregenden Vorgange selbst. Ferrara, auf welchem ein Joch der Knechtschaft und der Befehl unbedingten Schweigens in Staats--und Hofsachen haerter als sonst irgendwo in Italien lastete, Ferrara sogar, wo sich freilich dieses Unerhoerte zugetragen hatte, geriet in Gaerung. Es musste ein besonderes Verbot erlassen werden, sich um Don Giulio zu kuemmern, nach ihm sich zu erkundigen, oder gar sich Pratello zu naehern und seine Gebuesche zu umschleichen. Natuerlich geschah es, dass das Bild des Geblendeten in den Gedanken und Gespraechen der Ferraresen sich veredelte und aus dem zuegellosen Juengling, dessen gefaehrliche Buhlschaften und leichtsinniges Blutvergiessen sie frueher verwuenscht hatten, ein bejammernswertes Opfer, ein edler Maertyrer wurde. Dies bemerkte Don Ferrante wohl, und da er auch eine starke schauspielerische Ader hatte, sann er sich eine wirkungsvolle Szene aus, welche den Umsturz von Ferrara mit Sicherheit herbeifuehren wuerde. Don Giulio, zu Ross auf einem weissen, von zwei Dienern in Trauer begleiteten Zelter, mit starrenden, leeren Augenhoehlen und einer Leidensmiene; er selbst daneben, durch die Hinweisung auf die Untat und ihre Straflosigkeit das oeffentliche Mitleid aufstachelnd. Einige Einverstandene zu werben, erschien ihm als eine geringe Schwierigkeit, denn das herkoemmliche Material eines Aufruhrs in einer kleinen italienischen Tyrannenherrschaft mangelte auch in Ferrara nicht. \XDCber das Weitere war sich Don Ferrante nicht klar geworden; aber ein schneller Ueberfall und die Ermordung des Herzogs und des Kardinals erschienen ihm unerlaesslich. Mit diesen Ausgeburten seiner Angst und Bosheit verfolgte er taeglich den armen Blinden. Dieser aber straeubte sich gegen die Ermordung der Fuersten aus Menschlichkeit und verwarf mit einer edeln Empoerung, deren er, solange er nur genoss und schwelgte, niemals faehig gewesen waere, die ihm angesonnene Rolle eines Mitleid erregenden Schauspiels. Er schaemte sich, auf den Maerkten von Ferrara sich selber auszustellen als das Baenkelsaengerbild seiner tragischen Geschichte. Und doch blieb sein Herz dem beaengstigenden Einflusse des Bruders nicht verschlossen. Was er in seinen hellen Tagen mit einem veraechtlichen Laecheln als toerichte Hirngespinste zur Seite geschoben hatte, das gewann in einer durch die Blindheit verdunkelten Gefuehlswelt Wahrscheinlichkeit und Inhalt. Konnte nicht der unglueckliche Bruder in gewissen Grenzen recht haben und ihm wirklich Schlimmes angetan worden sein? Hatte er nicht eine verstossene Kindheit verlebt? War es nicht moeglich, dass ihm noch heute nach dem Leben getrachtet wurde? War Don Giulio doch selbst, den die Hofintrigen immer angeekelt hatten, einem unbegreiflichen Attentat zum Opfer gefallen! So war er nicht ferne davon, dem Bruder beizustimmen, wenn dieser die gepriesene Gerechtigkeit des Herzogs einen Abgrund der Ungerechtigkeit nannte, nicht besser als die teuflische Bosheit des Kardinals, und den Hof von Ferrara ein Geflecht sich erwuergender oder miteinander buhlender Schlangen, einen eklen Knaeuel, den es ein Verdienst waere zu zerhauen und zu zertreten. Der arme Don Giulio war nicht imstande, seine eigene entsetzliche Erfahrung anders zu erklaeren als durch die allgemeine Verderbnis, und gab allmaehlich und unbewusst dem Bruder, welchem er sein Mitleid nicht versagen konnte, gewonnenes Spiel. Er war von dem Wahn und den Verschwoerungsgedanken Don Ferrantes mehr umsponnen, als er selbst es wusste, und ein neues Erlebnis gab den Ausschlag. Unter dem durchsichtigen Himmel eines Herbsttages ritt auf einem der von der Polizei verbotenen Waldwege, die nach Pratello fuehrten, eine Amazone, schlank von Wuchs und untadelig im Sattel, welche, wie aus einem Rittergedicht entsprungen, auf Abenteuer fuhr. Wie sie aber naeher kam, trug ihr Antlitz den Ausdruck so tiefen und unheilbaren Leides, dass sie eher mit einem ewigen Schmerz das Kloster zu suchen schien. Nun erreichte sie eine den Niederblick auf das Schloss gewaehrende Lichtung, glitt vom Pferde und schlang unter den letzten Baeumen die Zuegel ihres offenbar dem herzoglichen Marstall zugehoerigen Rappen um eine junge Ulme. Dann schritt sie vor und war wiederum eine andre. In den feurigen, von flatterndem Kraushaar beschatteten Augen wohnte Wahrheit und auf dem weichen Munde neben einem kindlichen Zuge der Trotz der Liebe, ja eine gefaehrliche Entschlossenheit. Von der Hoehe des Waldrandes, an dem sie stand, erblickte sie den ganzen ruhigen Reiz der Landschaft von Pratello. Das nur mit den notwendigsten Verteidigungswerken umgebene Schloss lag in einer unendlichen gruenen Wiese, durch welche ein breiter spiegelklarer Fluss zog, wo kleine Fischerboote ihre Segel blaehten. Gondeln lagen an dem vorragenden Halbrund der bequemen Landungstreppe, die unter den Saeulengang des inneren Hofes und zum Hauptgebaeude fuehrte. Statt der von der kriegerischen Zeit geforderten Festungsgraeben hielt der Fluss die schoene Wohnstaette mit ihren Umfassungsmauern und Rundtuermen beschuetzend in den Armen. Von der Schoenheit Pratellos ergriffen, suchte die Fahrende eine etwas tiefer im Wiesengrunde gelegene dichte Baumgruppe zu erreichen, in deren schwarzen Schatten eine breite Steinbank stand. In dieser Verborgenheit liess sie sich nieder, denn sie scheute sich, Pratello zu betreten, und liess die Stunden voruebergehen, bald das Schloss aufmerksam betrachtend, bald in ihre Gedanken versunken. Schon stand die Sonne auf der Mittagshoehe. Da sah sie, wie an der Landungstreppe von einem alten Faehrmann eine Gondel geloest wurde, an deren Steuer er sich wartend setzte. Nun trat ein schlanker Juengling in schwarzer Tracht aus dem Schlosse, dessen Gesicht ein breitkraempiger Hut beschattete, ehrerbietig beobachtet von einem Haeuflein ihm folgender Diener, und durchkreuzte den von Weinlaub umrankten Saeulengang. Auf der Landungstreppe bot ihm der Faehrmann die Hand zum Tritte in die Gondel, die er behend, aber behutsam bestieg. Dann uebergab ihm der Alte die Ruder, und waehrend sie der Juengling zu schwingen begann, lenkte der andere das kleine Fahrzeug mit dem Steuer. Als sie am jenseitigen Wiesenbord anstiessen, war es der Faehrmann, der ans Ufer sprang und dem Juengling beide Arme entgegenstreckte, den Aussteigenden eher bewahrend als ihn beruehrend. Dieser wandte sich ohne viel Besinnen in gerader oder beinahe gerader Richtung ueber die sanft ansteigenden Wiesen nach der Bank unter den Steineichen. Die Lauscherin blieb nach einem leichten Zusammenschrecken und Auffahren sitzen; sie erriet den Blinden, der sich eine taegliche Anstrengung und Uebung daraus machte, die Sehenden nachzuahmen, um diese und, soviel als moeglich, sich selber zu taeuschen, wobei ihm seine jugendliche Biegsamkeit, sein Ortssinn, sein scharfes Gehoer und die Beflissenheit seines ihm jedes Hindernis sorgfaeltig aus dem Wege raeumenden Gesindes zu Hilfe kam. Waehrend zwei teilnahmvolle Augen von der Steinbank aus den sich naehernden Gang des Blinden beobachteten, strauchelte der Aermste ueber einen im Grase liegenden Gegenstand, den die Spaehende nicht unterscheiden konnte. Er stuerzte auf das Knie, schnellte sich aber, mit der vorgestreckten Linken kaum den Boden beruehrend, leicht und geschmeidig wieder empor, ohne nur die Gerte zu verlieren, die er in der Rechten trug. Mit dieser pruefte er nun, sie leicht in der Hand fuehrend, den uebrigen Weg, einen kleinen Verdruss auf dem blassen, vom Hute verschatteten Angesicht verwindend. Die Haende ueber den Knien gefaltet, das Haupt lauschend vorgeneigt, verfolgte sie jede seiner Bewegungen. Er kam und setzte sich auf die bemooste Bank neben sie, von deren Dasein er keine Ahnung hatte. Was murmelte er? Was toente nur halblaut, nur halbverstaendlich ununterbrochen von seinen Lippen? Erhob er Klage gegen das Schicksal? Beleidigte oder verneinte er die Gottheit? Beschuldigte er seine Brueder? Oder sie, die ohne sein Wissen neben ihm sass? Beweinte er seine Verirrungen? Nichts von alledem. Die Mittagsruhe, die Stunde des Pan traeumte auf seinen Zuegen. Don Giulio trieb ein seltsames Geistesspiel, das sie erst nach und nach aus seinen abgebrochenen Worten und gefluesterten Verszeilen erriet und zusammensetzte. Nach der Zeichnung der Danteschen Hoelle, wie sie jedem italienischen Geiste innewohnt, beschaeftigte er sich damit, nicht zwar den trichterfoermigen Hoellenabgrund zu bevoelkern, sondern einen Krater des Ungluecks zu graben, dessen Stufen er auch nicht mit Verdammten und Unseligen des geisterhaften Jenseits, sondern mit den Elenden, den Leidenden, den Verzweifelnden dieses irdischen Lebens fuellte--immer eine Stufe unseliger als die andere, wobei er ohne Bedenken in die unterste, dunkelste Kluft die Blinden versetzte. Mit grausamem Genusse malte er, vor sich hin singend, diesen Ort aus. Wie sich Blinde Blinden als Fuehrer anboten und mit ihnen in den Abgrund stuerzten! Blinde Juenglinge rochen Rosenduft, aber wenn sie die Haende zum Pfluecken ausstreckten, stolperten sie ueber Totengerippe. Er sang die Terzinen reimlos, oder wie sie der Zufall reimte. Nun dachte er offenbar an seinen Bruder Ferrante, den er in einer hoeher gelegenen Kluft unter den fruchtlos Ehrgeizigen erblickte: "Du willst, o Bruder, nach der Krone greifen! Doch reckst du in die Hoehe dich vergebens! Doch wehren die Daemonen dir den Reifen! Oh harte Qual des bodenlosen Schwebens!-- Ich aber bin ein Koenig... und entthront... In Wahrheit war ich Koenig dieses Lebens! Ich hatte Goetteraugen, war gewohnt Zu herrschen--was sie sahen, war mein eigen. Doch weh, der Moerder hat mich nicht verschont... Ich bin geblendet! Elend ohnegleichen!" "Don Giulio", sagte dicht neben ihm eine weiche Stimme, "es gibt einen noch tieferen Abgrund des Elends--es gibt Unseligere als du bist! Das sind die, welche die Wonne ihres Lebens unbedacht und ungewollt selber auf ewig vernichten!" Und er hoerte gewaltsam schluchzen und spuerte einen warmen Hauch und einen Schauer von Traenen, die auf seine Haende fielen. Traeumte oder wachte er? Er streckte bebend seine Haende aus und ergriff zwei andere, die in den seinigen zitterten. "Wer bist du?" sagte er. "Wer darf sich noch ungluecklicher nennen als der verstossene Blinde?" Und die Stimme: "Ich bin Angela Borgia, die deine Augen ueber alles liebte und sie zerstoerte, dadurch, dass sie einem Boesen ihre Schoenheit lobte." Er liess ihre Haende fahren und sprang erbleichend auf, wie wenn er fliehen wollte, stiess sich aber an der Ecke der Steinbank und schwankte. Mit einem Strome von Traenen stuerzte sie vor ihm nieder und umschlang und stuetzte seine Knie: "Es ist unmoeglich, dass du mir verzeihest!... Oh, koennte ich dir meine eigenen Augen geben, ich risse sie mir aus dem Haupte!... Aber, was ich dir nahm, kann ich nie dir ersetzen!... Wo ist meine Suehne? Wie soll ich buessen?" "Arme Angela", sagte er sanft, indem er sich von ihr zu loesen suchte, "geschehen ist geschehen! Deine Schuld verstehe ich nicht--aber ich sehe, dass auch du in das Tal des Ungluecks verstossen bist. Zweimal wehe ueber ihn, der uns beide gemordet hat!... Dich und mich!... Suehnen kannst du nicht! Meine Augen kannst du nicht neu schaffen! Lass mich allein! Gehe und vergiss!" Dann wandte er sich und ging. Nicht einmal zu stuetzen wagte sie ihn, kaum mit den Augen zu begleiten. Er schien ruhig, aber seine Schritte schwankten. Der Alte bei der Barke sah es, eilte ihm besorgt entgegen, setzte ihn ueber und geleitete ihn mit den andern Dienern wie ein krankes Kind in sein Schloss. Dort warf er sich im kuehlen Saale auf sein Lager und brach in wilde Traenen aus. So war es denn Wahrheit, was er fuer eine schauerliche Verzierung und phantastische Luege Don Ferrantes gehalten, sooft ihm der Bruder die Ereignisse jenes Abends im Boskette des gefesselten Amors erzaehlte!... Der Kardinal hatte das Lob Angelas an ihm geraecht! Aber wo war die Schuld, die das Maedchen erdrueckte? Mit teuflischer Bosheit hatte er ihr das verderbliche Wort aus dem Munde gezwungen, und haette sie feige geschwiegen und ihn beschimpfen lassen, der Arge haette bald eine andre Gelegenheit gefunden, die sproede Kaelte des Maedchens an ihm, dem voellig Unbeteiligten, den der Zurueckgewiesene bevorzugt glaubte, satanisch zu raechen. Und auch sie hatte der Ruchlose toedlich getroffen! Ein rasender Zorn gegen den Schuldigen und nicht minder gegen den die Missetat ungestraft lassenden kaltherzigen Fuersten bemaechtigte sich Don Giulios, kochte in seiner Brust und brauste durch seine Adern. Er lechzte nach dem Untergange beider! Er sprang vom Lager auf, riss ein Blatt aus seinem Taschenbuch und schrieb an Don Ferrante mit zornigen, missgestalteten, durcheinanderspringenden Buchstaben, er stelle zum Morde des Herzogs und des Kardinals sich an seine Seite. Der berittene Bote war von dannen geeilt, bevor Don Giulios Blut sich beruhigte und er erwaegen konnte, was er getan. In der naechsten Fruehe erschien in Pratello der Oberrichter Strozzi mit bewaffnetem Gefolge und verhaftete den Este. "Ei, schoen! Dein erster Besuch, mein Freund, nach meinem Unglueck!" rief ihm der Blinde bei seinem Eintritt hoehnisch entgegen. "Es war mir vom Herzog untersagt", versetzte dieser in richterlichem Tone. "Vom Herzog untersagt?... Hat dir der Herzog nicht auch untersagt, Schatz, mit seinem Weibe taeglich und stuendlich im Geiste, wie du tust, die Ehe zu brechen?... Aber dein Gericht erwartet dich, du getuenchte Wand!" Mit diesen Worten streckte Don Giulio die Haende den ihn fesselnden Schergen entgegen. Achtes Kapitel Wenige Tage nach der Verhaftung Don Giulios, welcher die von Don Ferrante vorangegangen war, wurden beide Brueder vor ein vom Herzog ausgewaehltes Gericht gestellt. Er schied aus dem zwoelf Glieder zaehlenden hoechsten Gerichtshof die sechs juengeren aus, so dass ein Tribunal von Silberbaerten uebrigblieb unter dem Vorsitze eines Juenglings; denn dass der rechtskundige Roemerkopf des Herkules Strozzi die Verhandlungen leitete, verstand sich von selbst. Das strengste Geheimnis war in dem Hochverratsprozesse vom Gesetze geboten und vom Herzog noch besonders eingeschaerft. Aber es wurde, wie die meisten Geheimnisse, nur unvollstaendig bewahrt. Es ist anzunehmen, dass das eine und andre der beschneiten Haeupter gegenueber der quaelenden Neugierde einer Frau, der eigenen oder einer andern, nicht vollkommen widerstandsfest blieb. So geschah es, dass sich ueber den Prozess sowohl als ueber das Leben der Brueder im Kerker eine Legende mit ziemlich deutlichen Zuegen bildete, und diese erzaehlte: die Verschwoerung sei aus sehr verschiedenen Elementen herausgewachsen. Neben einigen beleidigten oder sich vernachlaessigt glaubenden vornehmen Geschlechtern, den Boschetti von San Cesario zum Beispiel, habe daran mancherlei abgehauster und auf alle moeglichen Auskuenfte und Einkuenfte erpichter Hofadel teilgenommen. Auch unbezahlt gebliebene Kuenstler, ein Maler, ein Bildhauer, ein stimmlos gewordener Hofsaenger, vor allem aber der durch das Spiel zugrunde gerichtete Hauptmann der Schlosswache und ein gewisser zweideutiger Kaemmerer des Herzogs, der, halb in Ungnade gefallen, noch im Amte stehengeblieben war. Diesen hatte Don Ferrante mit einer hohen Summe gekauft, und dieser verriet die Verschwoerung, als ihm, dem Zunaechststehenden, die gefaehrliche Rolle zugewiesen wurde, den Herzog Alfonso auf einem Maskenballe zu erdolchen. Er warf sich ihm reuig zu Fuessen und bekannte. Der Herzog geriet ueber das Komplott in flammenden Zorn, und der sonst seiner Maechtige vergass sich so weit, dass er dem Menschen mit einem Stocke, den er in der Hand fuehrte-- der Auftritt fand in einem Garten statt--, das Haupt blutig schlug. Dann besann er sich, begnadigte ihn und betraute den Verraeter mit der Rolle des Spions unter den Verschworenen. Im Palaste Ferrantes glueckte es dem Kaemmerer, der einwilligenden Zeilen des Blinden habhaft zu werden, die Don Ferrante den Verschworenen triumphierend mitteilte. So geriet das entscheidende Beweisstueck, Don Giulios unfoermliche zornige Schriftzuege, in die Haende des Herzogs, und dieser wies es dem Gerichte zu. Mit den Schuldigen von geringerem Range wurde kurzer Prozess gemacht. Albertino Boschetti und der Hauptmann der Schlosswache wurden nach erlittener Folter enthauptet, die drei Kuenstler aufs Rad geflochten. Mehr Umstaende machte man mit den Bruedern des Herzogs. Sie wurden eingehend und in hoeflichen Formen verhoert, ob auch ihre Schuld von Anfang an durch das unselige Schriftstueck erwiesen war. Don Giulio war vor Gericht einfach in seinen Worten, maessig im Ausdruck seiner Gefuehle und von niedergeschlagener Haltung. Er verklagte weder sich noch andre, sondern nannte seine Geschichte ein Verhaengnis, ohne damit seine Schuld mindern zu wollen. Er habe, sagte er, sich den Hass des Kardinals zugezogen durch seine unabhaengige Art und seinen wilden Wandel, nicht aber durch Beleidigung der bruederlichen Person. Er raeumte ein, dass ihm der Kardinal ueber seinen Mangel an Ehrgeiz Vorwuerfe gemacht, ihn wiederholt seiner Antipathie versichert und ihn davor gewarnt habe. Dessen erinnere er sich jetzt. Damals aber habe die an ihm veruebte Tat ihn schlimmer als Mord, eine unmenschliche Ungerechtigkeit, eine hoellische Grausamkeit gedeucht. Am tiefsten habe ihn getroffen, dass sie vom Herzog ungeahndet geblieben sei. Die Gleichgueltigkeit des regierenden Bruders habe sein Herz gebrochen, und er habe nur noch an Rache gedacht. Jetzt aber sei ihm lieber, dass diese misslungen sei, als dass neues Blut an seinen Haenden klebte, zumal das vergossene Blut seiner Brueder, seines Fuersten! Don Ferrante dagegen, erzaehlten sich die Ferraresen, habe zwar ebensowenig geleugnet, aber nach seiner zynischen Art nicht nur das Gericht, sondern auch die Hoheit des Herzogs und den Kardinal mit Schimpf und Hohn ueberschuettet. Jenen habe er einen engen Hirnkasten, diesen einen Philosophen des Verbrechens genannt. Dann habe er an das Gericht das Ansinnen gestellt, ihm aus seinen konfiszierten Schaetzen Purpur und Gold zu einem kostbaren Hofnarrenkleide mit einer Schellenkappe auszuliefern und durch den Hofschneider dieses tolle Gewand fuer ihn anfertigen zu lassen. Denn es sei, so begruendete er seine Bitte, der Narr, welcher von jeher in ihm gekauert, in die Tagesklarheit herausgebrochen, und diese seine intime Persoenlichkeit wuensche den Sprung ins Nichts in gebuehrendem Gewande und mit Schellengelaeute zu vollziehen. Dies Gesuch wurde ihm aus Ruecksicht auf den Herzog verweigert. Ganz andre Bitten habe Don Giulio gestellt. Dieser habe sich im Kerker so schlicht benommen wie vor Gericht. Zuerst habe er wie ein Kind geweint, bis der Quell der Traenen voellig versiegt war. Dann, nachdem er lange Tage seinen Bruder ertragen, dessen gottlose Laesterungen und grelle Possen ihn bis zur Qual angriffen und ermuedeten, habe er um ein eigenes Gelass gebeten und um die Gesellschaft seines Beichtigers, des Paters Mamette von Pratello. Das sei ihm gewaehrt worden. Nun lasse er sich von dem Franziskaner, der seit Jahren, aber frueher vergeblich, an seinem Gewissen geruettelt, auf ein christliches Ende vorbereiten, das er eher ersehne als fuerchte, da, wie er sage, das einzige Licht, das ihm in seine Nacht heruntergestreckt werden koenne, das ewige sei. Und er tat wohl daran, sich auf den Tod gefasst zu halten. Die Richter hatten nach dem in Ferrara gueltigen roemischen Recht, welches das Majestaetsverbrechen mit dem Tode bestraft, einstimmig das Urteil gesprochen zu Block und Beil in Ansehung des hohen Ursprungs der Schuldigen. Aber der Herzog zoegerte noch, es vollziehen zu lassen. Er zoegerte, doch niemand in Ferrara, der ihn kannte, zweifelte daran, dass der Aufschub der Hinrichtung nur eine Anstandsfrist von einigen Wochen sei. Dieses Hangen und Harren verursachte Don Giulio schlimme Tage und schlaflose Naechte. So wendete er sich wiederum an das Gericht mit dem Bekenntnis, die Geister des Dunkels missbrauchten seine Blindheit, um seine Seele zu zerruetten, und mit der Bitte, ihm, um die langen Stunden zu taeuschen, eine Handarbeit zu erlauben, wie sie ein armer Blinder betreiben koenne, ein Gewebe oder Geflecht oder etwas Aehnliches. Da beauftragte das Gericht den Kerkermeister, von Pratello ein paar Wellen Stroh bringen zu lassen, wie man es zum Flechten von feinen Matten verwendet. Nun zogen eines Tages vor den ergoetzten und geruehrten Augen der Ferraresen ein Dutzend Bauern von Pratello in ihrem Festgewand, die Schulter mit Garben des feinsten und glaenzendsten Strohes beladen, ernsthaft durch die Strassen Ferraras nach den Kerkern im Schlosse, wo ihre Gaben zwar in Empfang genommen, sie selbst aber zurueckgewiesen wurden mit einziger Ausnahme des Findelkindes Strappovero. Diesen Jungen naemlich behielt der Kerkermeister, damit er Don Giulio flechten lehre. So hatte der Blinde wieder Gesellschaft, eine harmlosere als anfangs, mit der man ihn oft kindlich lachen hoerte. Aber nur fuer kurze Zeit. Sobald er die leichte Kunst ergriffen hatte, schloss der Kerkermeister den von Giulio reichbelohnten Jungen aus dem Gefaengnis. Dieser aber sperrte sich dagegen wie ein Verzweifelnder und klammerte sich an die Gitterstaebe, ein jaemmerliches Geschrei erhebend, so dass er einen kleinen Auflauf des Mitleids verursachte in dem stillen und wohlgehueteten Ferrara. Es war unglaublich, wie die Leute von Pratello ihren geblendeten Herrn zu lieben begannen! Sei es, dass sie seine vergangenen Uebertretungen fuer reichlich gesuehnt hielten, sei es, dass fuer sie auf dem dunklen Hintergrunde seines Ungluecks das Grundbild seines warmen und ehrlichen Gemuets fesselnd und blendend hervortrat. Allen diesen aufregenden Ereignissen war die Hauptperson am Hofe des Herzogs, der groesste Schuldige aber in den Augen des Volkes, vollstaendig ferngeblieben; denn es war Wahrheit, der maechtige Kardinal rang im Daemmer eines Krankenzimmers mit seinem Gewissen und dem Tode. An jenem Ungluecksabende in Belriguardo, da Don Giulio das blutende Haupt in den Purpur des Kardinals vergrub, die erschrockenen Gaeste auseinanderstoben und der erste Windstoss durch die Wipfel fuhr, hatte Ippolito nach seinen Dienern und seinen Pferden gerufen, sich auf seinen Leibhengst geworfen und war, Belriguardo verlassend, wo er sich fuer laengere Zeit eingerichtet hatte, unter den sich kreuzenden Blitzen des Gewitters, ohne sich nach dem Gefolge und den stuerzenden Pferden umzusehen, nach Ferrara geflohen. Dort in seinem Stadtpalaste, im Fackelschein der Halle, fiel sein Blick auf seinen von den verwuesteten Augen des Bruders befleckten Purpur, den die Gewitterstroeme nicht hatten rein waschen koennen, und ein Schauder schuettelte sein Gebein! Er aber raffte seine Geister zusammen und verschloss sich in seine Kammer. Er verfiel in bleiernen Schlaf, der gegen Morgen in unheimliche Fiebergefuehle ueberging. Dennoch verliess er das Lager und begann wie sonst seine Tagesgeschaefte. Er erzwang es, sie zu verstehen und zu beherrschen wie zu andern Zeiten. So trieb er es eine Weile. Kein Verhaftbefehl erschien, ebensowenig der Herzog selber. Taeglich wuchs seine Ungewissheit und seine Unruhe. Ihn ekelte vor jeder Speise, ihm graute vor den Kissen seines Lagers; denn seine Naechte wurden immer schauerlicher, und seine Traeume jagten auf immer wilderen Rossen. Es kam eine Sonne, die ihn nicht mehr zu vollem Bewusstsein aufweckte. Er fuhr ein in einen dunkeln Schacht, der sich mit flackernden, sich draengenden Visionen bevoelkerte. Da schritt ein feierlicher Zug. Je zwei und zwei! Maenner und Weiber! Das sind die vielen, vielen Opfer seines unerbittlichen und unersaettlichen ferraresischen Ehrgeizes mit den minder zahlreichen seiner seltenen, aber rasenden persoenlichen Begierden. Da gehen ermordete Boten, verschwundene Gefangene, erdrosselte Zeugen und jetzt nebeneinander zwei schoene, traurige Frauen, die blonde mit triefenden Haaren, geschwollenem Hals und auf dem Ruecken gefesselten Armen, die dunkle mit einer blutenden Herzwunde. Aber waehrend diese alle je zu zweien schritten, wandelte allein in der Mitte des graesslichen Zuges ein Riese mit blutigen, leeren Augenhoehlen. Da ploetzlich ergoss sich eine blendende Helle, ein stechend blauer Himmel breitete sich aus, in dessen Mitte eine ungeheure Waage schwankte. Sie schwankte lange. Da wuchsen, immer deutlicher werdend, aus dem Himmel zwei grosse Augen hervor und liessen rote Traenen in die eine Waagschale fallen, deren Becken mit metallenem Klang in die Tiefe stuerzte, die andere Schale wie einen Federball hoch in die Luefte schleudernd. Endlich verschwand ihm alles in Angst und Nacht. Eines Morgens, nach Monaten, erwachte er mit bis auf das letzte Mark verzehrten Kraeften, aber trotz seiner Todesschwaeche mit voellig klaren Sinnen. Da sah er neben sich seinen Bruder den Herzog sitzen, der ihn mit besorgten Blicken behuetete. "Wo bin ich? Was geschah mit mir?" hauchte der Kranke. Der Herzog erwiderte vorsichtig, die Sommerhitze und vielleicht die Sumpfluft in Belriguardo habe, wie die paduanischen Aerzte behaupten, dem Kardinal ein verderbliches Fieber zugezogen. Gleichzeitig entdeckte der Kranke mit seinen wieder schaerfer werdenden Augen in einer Fensternische zwei sich zusammen beratende wuerdige Maenner im dunklen Professorentalar, von denen er sich erinnerte, dass sie unter seine Traumgestalten getreten waren. "Eminenz ist gerettet!" sagte jetzt der eine, und der andre nickte zustimmend mit dem Haupte. "Ich danke den gelehrten Herrschaften fuer ihren Beistand", fluesterte Ippolito mit versagender Stimme, "und ersuche sie, mich eine kurze Weile mit der Hoheit des Herzogs allein zu lassen." "Einen Moment!" erinnerte der eine der Paduaner und erhob warnend den Finger. Beide verliessen die Kammer. "Was war es in Belriguardo? Ist es wahr, habe ich den Bruder geblendet?" Der Herzog bejahte betruebt. "Lebt er?" Wiederum bejahte der Herzog. "Sieht er schrecklich aus?" "Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Zuerst, weil ich nur an dich dachte, und dann, weil er mit Ferrante sich gegen uns verschwor, da er sich raechen wollte." "Und du entdecktest das ohne mich?" "Man verriet sie. Sie liegen beide im Turme zum Tode verurteilt." Jetzt wurde leise die Tapete gehoben, und eine aerztliche Stimme bat mit Ehrfurcht um Beendigung des ersten Gespraeches. Der Herzog kuesste die herabhangende Hand des Bruders mit Zaertlichkeit; denn nicht nur liebte er den Bruder, die Rettung Ippolitos gab ihm auch den unentbehrlichen Ratgeber zurueck. "Es ist ein kalter Novembertag", sagte er, sich erhebend. "Ich gebe Befehl, Feuer in deinem Kamine anzufachen." So geschah es. Der Kardinal starrte in die steigende Glut. "Lodert auf, ihr Flammen und Peinen!" seufzte er und sank in Schlummer zurueck. Der Kranke erholte sich langsam, oder eigentlich, er erholte sich nicht, denn seine Kraft war gebrochen. Taeglich wurde er von Don Alfonso besucht und erhielt nun auch von den Aerzten die Erlaubnis, die an ihn einlaufenden Briefe zu oeffnen. Einen derselben hielt er einmal sinnend in der Hand, da der Herzog eintrat. Das Schreiben kam von dem Sforza in Mailand, Ludovico Moro, und hatte einen merkwuerdigen Inhalt, den Ippolito dem Bruder nicht vorenthielt. Der Fuerst bot dem laengst ihm befreundeten Kardinal sein Mailand zum Asyl an. Er redete zu ihm mit Bedauern, aber ohne Vorwurf von dem blutigen Vorgange in Belriguardo, welcher ihm, nach seinem Dafuerhalten, ein laengeres Bleiben in Ferrara und an der Spitze der dortigen Staatsgeschaefte unmoeglich mache; denn es habe sich wunderbarerweise in einer Zeit, die der Gewalttaten nicht entraten koenne, ein unverstaendlicher Zorn ueber die Blendung Don Giulios an den italienischen Hoefen erhoben. Dagegen gebe es nun keine Waffe, und er erwarte ihn bei sich auf seinem Kastell in Mailand. Er wisse, dass Ippolito die Hoheit des Herzogs seines Bruders und die Politik Ferraras durch seine Gegenwart nicht schaedigen wolle, und auch in Mailand waeren genug politische Verstrickungen, deren Loesung einer geschickten Hand, wie die seinige sei, beduerfe. "Der alte Fuchs hat recht", sagte der Kranke ruhig. "Du wirst dich, Bruder, ohne mich behelfen muessen!" Der Herzog erschrak. "Davon hoffe ich dich abzubringen", antwortete er. "Wie sollt' ich dich entbehren!... Oder ersetzen?" "Durch deine Herzogin", laechelte der Kardinal. Zu wiederholten Malen kam er mit dem Herzog auf die Unmoeglichkeit zurueck, dass er im ferraresischen Staatsdienste bleibe. "Ich wundere mich selbst darueber", sagte er, "doch sehe ich aus meinen Briefen, dass ganz Italien annimmt, ich werde nach der Blendung Giulios nicht mehr bei dir, dem gerechtesten Fuersten Italiens, mich halten koennen, sondern freiwillig die Verbannung suchen, um es deiner Gerechtigkeit zu ersparen, mich zu bestrafen oder ungestraft zu lassen. Sterben wie ich mich fuehle, gehorche ich der oeffentlichen Stimme. Aber so lange will ich noch leben und bleiben, bis wir den Daemon wieder gefesselt oder vernichtet haben, der in Kuerze Italien verstoeren wird. Alle meine Schreiben sind voll von Don Cesare. Aus Neapel, aus Rom, aus Frankreich wird mir berichtet, Caesar ruettle an den Gittern seines Kerkers und habe sie zerbrochen. Ich weiss aus Erfahrung, dass ein Geruecht, das die Geister durch die Luft tragen und nicht muede werden auszustreuen, sich endlich verwirklicht. In dieser Gefahr werde ich noch neben dir stehen, dann gehe ich." Endlich kam der Tag, da der Kranke sich erhob und Lust aeusserte, am Arme eines Dieners seine Schritte zu versuchen. Dieser fuehrte ihn in einen grossen anstossenden Saal, dessen kalte Fliesen man aus Vorsorge fuer den Kardinal mit feinen Strohteppichen belegt hatte. Waehrend er, auf den Diener gestuetzt, Fuss vor Fuss setzte, haftete sein Blick auf der langen Strohmatte, ueber die er wandelte und deren reinliche und geschmackvolle Arbeit ihm auffiel. "Wo wurde das gekauft?... Wer hat das geflochten?" fragte er. Und der Diener antwortete verlegen: "Beim Kerkermeister. Prinz Julius liebt solche Arbeit." Da war es dem Kardinal, als sehe er feine koenigliche Haende webend ueber die Matten huschen. Zu seiner Rechten und Linken, vor ihm, neben ihm, aller Enden webten und regten sich zu Hunderten die weissen, fleissigen Geisterhaende. Ihn schwindelte, und er fiel dem begleitenden Diener in die Arme. Neuntes Kapitel Es gab in dem aeltesten und untersten Stockwerk des herzoglichen Stadtschlosses, das ein schweres, an mehrere Bauarten und Jahrhunderte erinnerndes Gebaeude war, einen niedrigen Saal, der auf einen inneren Hof blickte, ein wenig benuetztes, einsames Gelass, das man die roemische Kammer nannte. Denn die Buesten der sieben roemischen Koenige standen auf ehernen Saeulen laengs den Waenden. Sie sahen roh und abenteuerlich aus, hatten aber einen andern als kuenstlerischen Wert, da sie, aus dem reinsten Silber gegossen, einen betraechtlichen Hausschatz ausmachten. Sie blinkten seltsam in dem fruehen Halbdunkel, denn es war heute der kuerzeste Tag des Jahres, und den Hof verschleierte ein fruehes Schneegestoeber. Den selten geoeffneten Saal machte ein im maechtigen Kamin flackernder Holzstoss auf ein paar Stunden wohnlich. Offenbar wurde ein feierlicher Akt vorbereitet, denn ein Tisch mit Schreibzeug war dem breiten dreiteiligen Fensterbogen gegenueber in die Mitte des Raumes gestellt und zwei mit Wappen gekroente Lehnstuehle waren zugerueckt. Gerade ueber dem Tische im mittleren Felde der mit Malerei geschmueckten Taefeldecke ragte ueber einem scheuenden Zweigespann die verbrecherische roemische Tullia und zerquetschte unter den Raedern ihrer Biga die Leiche des eigenen gemordeten Vaters. Aus dem naechsten Bilde aber streckte der von seinem Bruder Romulus erstochene Remus einen kolossalen Fuss heraus. Unter dieser Tullia und ueber sie pflegten Lukrezia und Angela, wenn sie im Sommer die Kuehle dieses Saales suchten, in scherzhaften Streit zu geraten. Angela drohte dann in ihrer kindlichen Weise zu der blutigen Roemerin empor und klagte sie ihrer unnatuerlichen Verbrechen an: "Boese! Warum musste man dich im Gedaechtnis behalten? Warum wissen wir von dir, du Unhold! Du bist kein Weib, Moerderin des Gatten und der Schwester... Moerderin des Vaters... Verfuehrerin des Schwagers!... Widernatuerliche! Zauberin! Teufelin!..." Dann laechelte Lukrezia, dem eifrigen Maedchen die heisse Wange streichelnd. "So ging es nicht zu", fluesterte sie ihr ins Ohr; "die beruehmte Roemerin verlor sich in einer Daemmerstunde an einen Mann, sein suendiger Geist fuhr in sie, und sie wurde sein willenloses Werkzeug. So war es, glaube mir. Ich weiss es." Leer und still war heute die roemische Kammer, nur vom Hofe her toente seit dem Mittag ein gedaempftes Haemmern und ein in unterdrueckten Lauten gefuehrtes Gespraech. Jetzt wird behutsam auf das verrostete Schloss der Eichentuer gedrueckt. Sie oeffnet sich knarrend, und auf den Zehen tritt Angela ein mit ernsten Augen, in Trauer gekleidet, um das Kraushaar einen schwarzen Schleier geschlungen. Sie eilt ans Fenster, oeffnet es und sieht im Hofe das die beiden Este erwartende Schafott sich erbauen. Drei Holzstufen, ein rohes Geruest, das man jetzt mit dunkelrotem Tuch bedeckt, der schon oben stehende Block mit schwarzem Samt ueberkleidet und, alles leicht umhuellend, ein duennes Schneegestoeber! Wollte es die Brueder in den ewigen Winter einladen? Sie starrte auf die Gerichtsstaette nieder, da weckte sie ein leiser, dringender Ruf dicht unter ihrem Fenster. "Prinzessin, nehmt Euch des armen Don Giulio an! Bittet fuer! Verlangt Gnade!" Noch ein flehender Blick unter einem breiten Arbeiterhute hervor begegnete ihren suchenden Augen, dann verlor sich der Mitleidige schleunigst unter die andern Zimmerleute. Jetzt wurde von Dienern eine zweite, der nach dem Innern des Palastes fuehrenden gegenueberliegende Tuer geoeffnet und eine richterliche Gestalt in fliessender Toga eingefuehrt. Es war der Grossrichter Herkules Strozzi, der etwas unmutig schien, Donna Angela zu erblicken statt des herzoglichen Paares, das er in der roemischen Kammer zu finden erwartet hatte. Da das Maedchen in seiner Rechten eine mit Siegeln versehene Rolle sah, rief es entsetzt: "Das Todesurteil! Ist es unwiderruflich?" Der Richter antwortete gemessen: "Es ist noch nicht unterschrieben, doch zweifle ich nicht, dass die Gerechtigkeit Don Alfonsos es bestaetigen wird." "Gerechtigkeit! Menschliche, nicht goettliche!" sprach Angela. "Habt ihr vergessen, ihr Richter, auf wem die erste Schuld liegt? Vergasset ihr die Quelle der Verschwoerung, den Greuel des Kardinals?..." "Das ist ein andrer Rechtsfall", erwiderte Strozzi, den die Aufregung des Maedchens verstimmte, "und hat mit unsrer heutigen Sache nichts zu schaffen!" "O ihr Luegner und Heuchler!" rief sie aus, "wenn jemand gerichtet werden soll, wahrlich, so bin ich schuldiger als Don Giulio!" Der Richter schuettelte ungeduldig das Haupt. "Und die Herzogin! Vertritt sie nicht die Gnade?" fuhr sie fort. "Sie, auf die ich immer noch gezaehlt habe und die so grosse Macht ueber den Herzog ausuebt?" "Nicht in diesen prinzipiellen Rechtsfragen. Hier ist der Herzog unerschuetterlich. Er ist ueberzeugt, wie von seinem Dasein, dass die Unverletzlichkeit der regierenden Person die Grundbedingung des neuen Fuerstentums ist, wie es jetzt in Italien ueberall entsteht", sagte Strozzi. "Mit der Begnadigung Don Ferrantes und Don Giulios wuerde er, glaubt der Herzog, den Untergang seiner Herrschaft besiegeln. Donna Lukrezia ist viel zu klug und hat sich von jeher gehuetet, an eine persoenliche Ueberzeugung des Herzogs zu ruehren." "Und Ihr?" reizte sie ihn, "Strozzi, teilet denn Ihr zuungunsten Eures blinden Freundes die fuerstlichen Ueberzeugungen des Herzogs?" "Ich vertrete das Recht in seiner Strenge!" versetzte der Richter stolz. Da wurde die breite, ins Innere des Palastes gehende Tuer auseinandergeworfen, und es erschien der Herzog mit der Herzogin. Waehrend sich Angela in die bergende Fensternische zurueckzog, nahmen die Hoheiten nebeneinander auf den Sesseln Platz, und ihnen gegenueber stand am Tische der Oberrichter und entfaltete seine Rolle. "Das Urteil ist mir zwar bekannt", begann Don Alfonso, "und ich habe es Punkt um Punkt erwogen. Aber um den Formen zu genuegen, Strozzi, leset es uns, bevor ich unterzeichne, noch einmal langsam!" Dieser, den die Gegenwart der Herzogin berauschte, trug, nicht ohne sich mitunter aergerlich zu missreden, zum Verdruss des jedesmal den Irrtum verbessernden Herzogs, das Erkenntnis feierlich vor. Unterdessen ertoente von ferne aus dem Gefaengnisturme das Totengloecklein, und Angela erblickte durch das Fenster den Hinrichtungszug und sah, wie die beiden Este mit einem Franziskanermoench und den Scharfrichtern das Blutgeruest betraten. "Gebt, Oberrichter, damit ich unterzeichne", sagte Don Alfonso und tunkte die Feder ein. Da verliess Angela ihr Versteck und warf sich dem Herzog, seine die Feder fuehrende Hand mit ihren beiden festhaltend, zu Fuessen! "Nein, Don Alfonso! Nicht Euern Bruder, sondern mich lasset bluten!... Ich bin die Schuldige! Bis heute schwieg ich, weil ich immer noch auf Euer und auf Lukrezias Erbarmen hoffte! Jetzt aber sei's gesagt! Zweimal war ich Don Giulios Verderben! Das erste, da ich mit meinem Lobe seiner Augen seinen Bruder, den Teufel, reizte--das zweite, da ich Eurem Gebote zuwider in seinem Pratello den Geblendeten aufsuchte und, mein Leid auf seines haeufend, ihn zur Verzweiflung trieb!..." Der Herzog mass die seine Knie umfassende Borgia mit erstauntem, missbilligendem Blicke, doch ehe er ihr antworten konnte, wurde die Tuer wieder geoeffnet und es erschien, allen unerwartet und von niemand geladen, der kranke Kardinal. Verzehrt bis zur Entkoerperung, leicht gebueckt, mit durchdringenden Augen unter der kahl und hoch gewordenen Stirn, schien er lauter Geist zu sein, grausam und allwissend. Seine Diener rueckten ihm einen Stuhl an den Herd, und er setzte sich neben die Flamme, waehrend die Herrlichkeiten sich ihm zuwandten. "Ich bin zum Hochgericht gekommen, obgleich mich niemand rief", sagte er mit leiser Stimme... "Doch ich habe eine Bitte an dich, Bruder!..." Schon aber hatte sich die verzweifelte Angela von den Knien erhoben, stand vor dem Feuer und unterbrach ihn... "Trittst du immer der Gnade in den Weg, Widersacher! Beruhige dich, du wirst Blut trinken! Hier ist keine Gnade... Hier ist die Hoelle!... Um dich, mit dir, in dir war die Hoelle von Anfang an! Ist es doch ein Wort des Heilands, das dich zum Greuel trieb! Das uns beide in die Verdammnis wirft! Die Purpurfarbe des goettlichen Erbarmens dringt durch bis in das persische Maerchen, sagte diese hier",--sie ergriff Lukrezias Hand-- "aus deinem Purpur aber, Kardinal, bricht Hass und Blut hervor, sobald man den heiligsten der Namen nur nennt!..." "Schweige, toerichtes Maedchen!" bebte es von den Lippen des Kardinals. "Ich koennte dich erwuergen! Ich bin deiner--ohne Gewaehrung-- uebersatt. Du bist mir ein Abscheu!... Du hast mir die Augen meines Bruders verhasst gemacht, die Himmelsaugen, die mich frueher voll Vertrauen anschauten!" "Krank, und immer noch grausam, Ippolito?" sagte die Herzogin und zog Angela in ihre Arme. "Hat diese nicht recht, wenn sie sagt, dass die Fabel Ben Emins etwas an alledem verschuldet hat?" Der Kardinal wandte sich langsam gegen seine Schwaegerin, und seine Augen brannten. "Was weiss man von dem Nazarener?" sagte er. "Was man von seinen Reden und Taten erzaehlt, ist unglaublich und unwichtig. Ich kenne ihn nicht. Wird ein Gott gekreuzigt?... Ich weiss nur von dem durch die Kirche in den Himmel erhoehten Koenig, von dem durch die Theologie geschaffenen zweiten Gotte der Dreifaltigkeit. Sein der Himmel! Unser die Erde! Unser ist hier die Gewalt und das Reich! Und es ist Herrscherpflicht, das Schaedliche und Unnuetze, das uns widersteht, zu vernichten. Doch wir philosophieren hier, und draussen erwarten zwei den Tod... Mit einem Worte, Bruder, sie duerfen nicht sterben!... Du gibst sie mir! Schuette kein Blut mehr ueber mein Haupt... Es verwirrt und erstickt mich.--Sehen darfst du die Fuerstenmoerder nicht mehr! Verbirg sie im Kerker, aber lass sie leben um meinetwillen!" Der Herzog sann mit geneigtem Haupte, dann sagte er: "Ich tue es ungern, es schaedigt mein Fuerstenrecht. Aber ich will es lieber, als dass dich zwei abgeschlagene Haeupter aengstigen und zwei Tote in die Gruft nachziehen. Ich tue es dir um des vielen willen, was du fuer Ferrara getan hast. Man oeffne den Balkon! Wir treten hinaus, und Ihr, Grossrichter, leset das Urteil mit dem Zusatze der ueblichen Begnadigungsformel." Sie erhoben sich; der Kardinal aber blieb an der heruntergebrannten Glut sitzen. Er liess sich eine Decke ueber die Knie legen, lehnte sich in seinem Stuhle zurueck und schloss die Augen. Er wuenschte nicht, als Zeuge der ihm gewaehrten Begnadigung gesehen zu werden. Diener brachten Maentel, Kopfbedeckungen und Ueberwuerfe, um die ins Freie tretenden Herrschaften vor der Winterkaelte zu schuetzen. Waehrend Lukrezia sich in die Kapuze eines blendend weissen, aus der feinsten flaemischen Wolle verfertigten Nonnenmantels huellte und Donna Angela ihr dabei behilflich war, naeherte sich ein Page mit unschuldigem Gesicht, bog rasch, wie ein Chorknabe vor dem Altar, das Knie vor der Herzogin und ueberreichte ihr in einer silbernen Schale zwei verschiedene Briefe, ein umfaengliches Schreiben und ein leicht zu verbergendes Briefchen. Lukrezia liess einen schnellen Blick auf ihre Ueberschriften fallen. Es war die schoenfliessende Handschrift Bembos und auf dem kleinen Briefchen--Lukrezia erschrak zu Tode--das feine Frauenschriftchen Caesar Borgias. Sie liess beides in ihren weiten weissen Aermel gleiten, und da Angela sie mit aengstlicher Frage anblickte, legte sie, Schweigen fordernd, den Finger an den Mund. Die Frauen traten auf den Balkon hinaus und erblickten in dem engen Hofe auf dem Schafott ganz nahe unter sich die beiden Brueder. Das Schneegestoeber hatte aufgehoert, und ein lichter Abendhimmel blickte von hoch oben zwischen Mauern und Tuermen herab. Das wimmernde Gloecklein schwieg, und Herkules Strozzi, der zwischen dem mit beiden Haenden auf den eisernen Korb des Balkons sich stuetzenden Herzog und Lukrezia stand, begann das Urteil mit voelliger Gedankenlosigkeit vorzulesen. Denn das wunderbare Weib an seiner Seite zitterte unerklaerlich unter der weissen Wolle, und ihre blassen und doch feurigen Augen schauten gross und geisterhaft unter der Kapuze hervor. Er empfand jene seltsame Angst, welche die Begleiterin der hoechsten Leidenschaft ist. Waehrend er die Begnadigungsformel verlas, welche die Todesstrafe in ewigen Kerker verwandelt, und die also beginnt: "Die Hoheit, aus der Fuelle ihrer Macht und zugleich aus dem Born ihrer Gnade schoepfend..." erhoben die Begnadigten ihre Haeupter und schickten sich an, dem Herzog zu danken. Don Ferrante hatte sich mit veraendertem Entschlusse wuerdig in schwarzen Sammet gekleidet, und seine Zuege, frei von den Zuckungen und Verzerrungen, die sie zu entstellen pflegten, waren ernst und gelassen. "Ich danke dir, Bruder Herzog", begann er, "aber ich nehme deine Gnade nicht an. Ich habe mein Leben stets verabscheut; warum, weiss ich nicht. Und da ich es nicht liebte, habe ich es missbraucht und mich und andere verachtet. \XDCberall, wohin ich darin zurueckblicke, sehe ich nichts als toerichte Larven, Hohlheit, Neid und Nichtigkeit... nirgends eine reinliche Stapfe, wo Erinnerung den Fuss hinsetzen koennte, ohne ihn zu beschmutzen! Ich fuerchte mich vor dem Leben, das du mir schenkst! Und ich sehne mich, meines Ichs und seiner Angst ledig zu sein.--Lebet wohl, Brueder!" Er zog eine kleine, mit fluessigem Gift gefuellte Phiole, die er sich mit Gold fuer alle Faelle erkauft hatte, aus dem Busen und zerdrueckte sie zwischen den Zaehnen, bevor ihn jemand daran hindern konnte. Er stuerzte ruecklings nieder und begann schmerzlich zu roecheln. Waehrend der erschrockene Pater Mamette sich ueber den schon Entseelten beugte, brachten die Scharfrichter einen der bereitgehaltenen Saerge, der Moench bettete den Toten hinein, und sie trugen ihn weg. Der Blinde war ganz allein auf dem Blutgerueste stehengeblieben und weinte, denn er hatte gehoert und erraten, was vorging. Dann wandte er das Haupt nach der Zinne, wo seine Begnadigung verkuendigt worden war, hinauf zu dem schweigenden Don Alfonso, den er dort vermutete: "Herzog, ich bin dankbarer fuer das Leben. Nicht wie Don Ferrante vergelt ich deine Gabe! Ich habe den Reichtum meines Daseins wie ein Unsinniger verschwendet. Nun ich blind bin und unter die Aermsten der Armen gehoere, schaetze ich das Almosen und halte es teuer. Ich bin von den Reichen zu den Armen gegangen. Ich bin gestuerzt und an der andern Seite der Kluft emporgeklommen, welche die Geniessenden und Satten der Erde von den Hungrigen und Durstigen trennt. Die Freude und ihre Genossen habe ich verlassen--ich gehe zu den Leidensbruedern. Ja, redlich leiden und dulden will ich, und darum dank ich fuer das neue Leben!" Da richtete der Herzog fast guetig das Wort an seinen blinden Bruder: "Ich habe nicht alles begriffen, was Ihr geredet habt, Don Giulio; aber ich entnehme daraus, dass Ihr leben und Euch bessern wollt. Das ist ebenso verstaendig als christlich. So reut es mich nicht, dass ich Euch begnadigt habe." Und er gab das Zeichen, den Este in sein Gefaengnis zurueckzufuehren, das im Eckturme eines andern Hofes lag. Er hatte noch nicht geendet, so verliess Donna Angela, die unter einer leichten schwarzen Halbmaske der Begnadigung beigewohnt hatte, auf fliegenden Sohlen die roemische Kammer, um, ueber Gaenge und Stiegen eilend, ihr abgelegenes Turmgemach zu erreichen. Unter ihrem Erker musste der Gefangene vorbeigefuehrt werden, und dort pflegte sie duftende Rosen. Davon brach sie die schoenste und oeffnete leise das Fenster. Jetzt kam er mit Pater Mamette, der ihn an der Hand fuehrte. Sie warf ihm die Rose zu. "Da fliegt eine rote Rose auf Euch nieder", sagte der Franziskaner, indem er sie geschickt auffing und dem Blinden ueberreichte. "Eine Guete Gottes begleitet Euch ins Gefaengnis!"--und als der Blinde nach der falschen Seite hin sich verbeugte: "Nach rechts, Herrlichkeit! Die Blume fiel vom Fenster der Prinzessin Angela." Da winkte Don Giulio mit beiden Armen empor und rief: "Ich gruesse dich, geliebtes Unglueck!" Auf dem Balkon des Urteils hatte waehrend der Rede Don Alfonsos Lukrezia mit feinen Fingern den Brief Don Cesares geoeffnet und in verborgener Eile gelesen. Er lautete ehrgeizig und unheimlich fromm: "Schwester, vernimm, dass es nach so vielen Widerwaertigkeiten Gott unserm Herrn gefallen hat, mich aus dem Kerker zu ziehen. Moege diese herrliche Gnade zu seiner groessern Ehre gedeihen! Ich strebe nach allem und verzweifle an nichts. Sende mir einen Mann nach Deiner Wahl, den besten und begabtesten, den Du finden kannst, der mir in Italien dazu behilflich sei. Nimm von ihm, wie Du es kannst, fuer mich Besitz. Du wirst wagen, denn Du liebst mich. Schicke mir ihn zu meinem Schwager dem Herzoge von Navarra. Ich umarme Dich." Mit brennenden Wangen, in der Schoenheit des Wahnsinns, unfaehig, dem Daemonenruf zu widerstehen, unempfindlich in diesem Moment fuer Furcht und Ehre, bestrickte Lukrezia den Richter, Leib und Seele, mit einem Blicke der Verfuehrung. Sie hielt ihn auf dem Balkone zurueck, waehrend der Herzog ins Gemach trat und sich an den Tisch setzte, der sich inzwischen mit eben angelangten, alle von Rom oder Neapel kommenden, an ihn und den Kardinal gerichteten Briefen bedeckt hatte. Der beim Eintritte der Boten auflebende Ippolito hatte sich erhoben und gesellte sich seinem Bruder. Sie entsiegelten die Botschaften und waren bald in das wichtigste Gespraech versunken; denn alle diese Papiere handelten nur von einem Gegenstande, der Befreiung des Cesare Borgia und der Aussicht auf seine baldige Erscheinung in Italien. Der fernblickende Kardinal war von der Groesse der politischen Gefahr ueberzeugt und hingenommen, doch entging ihm auch das Naechste nicht, er ahnte den Zusammenhang. Sein Auge streifte den jetzt mit der Herzogin in einer Fensternische sich unterhaltenden Grossrichter und verfolgte die reizenden Biegungen und Wendungen ihres zarten Schlangenhalses. Mit dem frevelhaftesten Mut nahm in Gegenwart des Herzogs Lukrezia Borgia von Herkules Strozzi fuer den Bruder Besitz. Der verwildernde Strozzi verlangte noch frevelhafter seines Wunsches gewaehrt zu sein, bevor er in so gefaehrlicher Sendung das Leben wage. Da bebte Lukrezia vor Zorn und Abneigung. "Geh!" fluesterte sie ihm zu, und das Licht ihres Verstandes durchblitzte ihre Leidenschaft. "Geh zu Cesare! Schiebe nicht auf!... Willst du warten, Tor, bis der Herzog das Kommen meines Bruders erfaehrt und uns allen bei Lebensstrafe verbietet, mit ihm zu verkehren?... Dann erst ist dein Leben verwirkt. Eile!... Sieh hinueber... jetzt vernimmt er das Ereignis! Fort aus den Toren von Ferrara!" Strozzi zoegerte aus schlimmen Absichten, und schon kam der Rat zu spaet. Vor dem Herzog stand sein Haushofmeister, dem er den Auftrag gab, sofort den ganzen Hofstaat und alles Ingesinde des Palastes in die roemische Kammer zusammenzurufen. In wenigen Minuten fuellte sich diese. Der Herzog trat in die Mitte der Versammlung und redete, Lukrezia fest an der Hand haltend: "Ihr alle! Eben erhielt ich gewisse Nachricht, dass Don Cesare Borgia, den sie den Herzog der Romagna nannten, aus Spanien entflohen ist und jeden Augenblick unter uns erscheinen kann. Dieser Mann ist ein Zerstoerer und Verderber Italiens. Wer von euch mit ihm sich einlaesst, auf welche Weise immer es sei, buesst dafuer mit dem Leben. Ohne Unterschied! Ohne Gnade! All dieses unbeschadet meiner Hochachtung und eurer Verehrung fuer Donna Lukrezia, eure erlauchte Fuerstin, der ich traue wie mir selbst, und der ihr zu gehorchen habt wie mir selbst." Er drueckte ihr die Hand und sie gab ihm einen warmen Dankesblick, obgleich sie ihn verriet. Bei dem allgemeinen Aufbruch begleitete der Oberrichter den Kardinal, der sich, die Treppe hinabsteigend, auf ihn stuetzte, bis zu seiner Saenfte, und dieser scherzte: "Eigentlich ist es kein Wintergespraech... aber sagt mir, Strozzi, wie stellt Ihr Euch das Gefuehl einer Muecke vor, die sich die Fluegel an einer brennenden Kerze versengt? Meint Ihr, dass sie Schmerz fuehle? Ich meine, kaum, sonst wuerde sie sich nicht immer von neuem in die glaenzende Flamme stuerzen! Ich denke, sie stirbt in Rausch und Taumel!... Nicht?" Zehntes Kapitel Nachdem Lukrezia auf jenem Balkon ueber dem Blutgeruest der beiden Este, von dem Triumphschrei und Hilferuf Don Cesares erschreckt und ueberwaeltigt, in ploetzlichem Liebesgehorsam gegen ihren Bruder den Richter Strozzi zu ihrem Mitschuldigen gemacht hatte, fiel sie ein paar Stunden spaeter, aus dem Zauber halb erwachend, in Reue und fuehlte sich voll Bitterkeit gegen den feigen Mann, der, statt vor ihrer Schwaeche enthaltsam zurueckzutreten, das Verhaengnis ihrer alten Knechtschaft missbrauchte, um, der Niedrige, Forderungen zu stellen, die sie, solange sie ihrer selbst und ihrer vollen Besinnung maechtig blieb, niemals gewaehren konnte. Ein toedlicher Widerwille gegen den seiner Leidenschaft blind gehorchenden Richter, der ihr, seiner Fuerstin, einen gemeinen Handel antrug, bemaechtigte sich ihrer. Sie war schuld daran, und sie hasste ihn darum. An jenem Abend entfaltete Lukrezia in der Heimlichkeit ihres Schlafgemachs ihren zweiten Brief. Hier meldete ihr der treue Bembo von Rom aus die Wiedererscheinung Don Cesares in Italien und beschwor sie kniefaellig, so schrieb er, nicht einen Augenblick zu zoegern, sondern sich ihrem Gemahl flehend in die Arme zu werfen und dort durch das Bekenntnis ihrer Schwaeche Schutz gegen sich selbst zu suchen. Ueber dem Brief war sie todesmuede bei brennenden Kerzen in Schlummer gesunken, aber aus den beginnenden Traeumen wieder aufgefahren. Es hauchten Geisterwinde und bewegten die Flaemmchen der Kerzen. Sie starrte in eine dunkle Ecke, bis ihre unverwandten Blicke dort die Erscheinung Caesars gestalteten. Jetzt, jetzt trat er hervor und schritt auf ihr Lager zu, die Samtmaske, die er immer trug, von den wohlbekannten, bleichen Zuegen hebend. Da stiess Lukrezia durchdringende Schreie aus und weckte damit die in der Kammer nebenan schlafende Angela, die ihr zu Hilfe eilte und bis zum Hahnenschrei neben ihr sass. Im ersten Morgenschimmer las die Herzogin den Brief Bembos zum andern und zum dritten Male. Dann erhob sie sich schleunig und lief im Schlafgewand auf nackten Sohlen ueber die kalten Steinplatten der Schlossgaenge in die Kammer Don Alfonsos. Sein Lager war leer. Er war in noch frueherer Stunde verreist, eine Zeile zuruecklassend, er eile nach Bologna, um bei der Gefahr dieser Zeit an der Seite seines Lehnsherrn, mit dem nicht zu scherzen sei, der Heiligkeit Julius' des Zweiten, in Treue gefunden zu werden. Er gebe seiner Gemahlin die Regentschaft und zum Berater den Kardinal Ippolito. Hilflos, schutzlos, weinend wie ein Kind, kehrte Lukrezia in ihre Kammer zurueck. Im hellen Tageslicht wichen die Gespenster, doch die Herzogin, deren der Bruder sich nach und nach wieder voellig bemaechtigte, begann mit allen Kraeften ihres Geistes fuer ihn zu wirken und jede Stunde ihres Lebens in seinem Dienste zu verwenden, indem sie sich einbildete, sie tue aus treuer Schwesterliebe, die das Natuerlichste in der Welt sei, Erlaubtes und Unerlaubtes fuer einen grossen und ungluecklichen Fuersten, ihren geliebten Bruder. War er nicht noch ein Juengling mit unendlicher Zukunft? Von seiner Berechtigung aber, in seinen verlorenen Besitz zurueckzukehren und in Italien die Herrscherrolle zu spielen, kraft seiner Geburt und seiner seltenen koeniglichen Begabung, war sie voellig ueberzeugt. Dem Grossrichter hatte sie eine Zeile geschrieben, welche die geheime Botin, ihre Kammerzofe, ihr wieder zurueckbringen musste und worin sie ihm sagte, sie habe gestern in der roemischen Kammer in Freude und Bestuerzung ueber den unerwartet befreiten Bruder Worte geredet, auf die sie sich nicht mehr besinne, und deren sich Strozzi auch nicht erinnere, warum sie ihn nicht einmal bitte, weil sich das bei einem Edelmanne von selbst verstehe. Der Anfang des neuen Jahres war eine Zeit der Angst und Gefahr fuer ganz Italien. Die Voelker waren aufgeregt. Die Hoefe lauschten in atemloser Spannung ueber die Meeresalpen und die Pyrenaeen, waehrend Caesar anfangs wenig von sich hoeren liess und sich, wie der Drache seiner Helmzier, aus seinen eigenen Ringen langsam emporhob. Welche Moeglichkeiten! Er konnte aus der herrenlosen Romagna als Kondottiere der Venezianer den Papst verjagen. Er konnte, als Verwandter des Koenigs von Frankreich, durch irgendeine Wandlung der Dinge, von diesem an die Spitze eines seiner in Italien liegenden Heere gestellt werden. Man wusste, es war eine Tatsache, dass Cesare Borgia in Italien beliebt war. Der Instinkt des Volkes und die Begeisterung der Kriegsleute feierten ihn als den Beguenstiger der heimischen Waffen und den grausamen, aber nuetzlichen Vertilger der kleinen Stadttyrannen. In der Romagna, ja selbst im Ferraresischen, dem Eigentum der Este, vergoetterte ihn die Volksmasse und kroente sein Andenken, wie einst das unterste Rom das Andenken Neros bekraenzte, an dessen Untergang es auch niemals hatte glauben wollen. Es war ein unheimliches Fruehjahr. In den Staatskanzleien wachten die Schreiber ueber der Feder, und naechtlicherweile flogen auf den sturmgepeitschten Landstrassen die Pferde vermummter Boten. Die Herzogin erschien blass und angegriffen; denn auch sie legte die Feder nicht aus der Hand. Es galt, die befreundeten italienischen Hoefe von den guten Absichten Cesare Borgias zu ueberzeugen. Sie versicherte sowohl mit den heiligsten Beteuerungen als mit den feinsten und anmutigsten Wendungen, er komme mit edlen, friedlichen Gedanken und gerechten Absichten. Und dies tat sie aus eigener Klugheit noch vor der Ankunft des zweiten Boten ihres Bruders. Dieser, ein gewisser Federigo, kam mit einem Schreiben an die Herzogin von Ferrara und in einer Sendung an Papst Julius, den Eroberer von Bologna. Der Heilige Vater aber warf den Gesandten Caesars in den Kerker, und Lukrezia gab sich viele vergebliche Muehe, den Kanzler ihres Bruders, wie sie den Abenteurer betitelte, von der gestrengen Heiligkeit loszubitten. Auch den eigenen Gemahl bat sie dringend, ihr in dieser Sache beizustehen. Doch Don Alfonso riet dem Papste im Gegenteil, den zweideutigen Gesandten in der Stille erdrosseln zu lassen--ebenfalls vergeblich, denn der Bote entschluepfte. Dergestalt hatte die Herzogin hundert Anliegen und Geschaefte zugunsten ihres Bruders. Alle mit der hoechsten Klugheit eingeleitet, gefoerdert oder aus Vorsicht geschickt wieder abgebrochen. Durch wenige Zimmerbreiten von ihr getrennt, bemuehte sich in demselben Schlosse bis tief in die Nacht der leidende Kardinal, ihre Verbindungen mit Don Cesare aufs genaueste zu ueberwachen und alle ihre Plaene zu studieren, um sie bis auf einen gewissen Punkt reifen zu lassen und dann zu vereiteln. Vor seinem Zuruecktritte aus dem ferraresischen Staatsdienst und der Entlassung seiner ausgesuchten und vorzueglich geschulten polizeilichen Werkzeuge reizte es ihn, sein diplomatisches Meisterstueck zu liefern. So ueberblickte er das ganze Gewebe Lukrezias und bewunderte in der Stille seiner Arbeitsraeume den Vorrat schaerfsten Verstandes und unerschoepflicher Auskuenfte, welchen die Herzogin in einer zum voraus verlorenen Sache anwendete. Denn er fing ihre Briefe auf, las sie, versiegelte sie wieder kunstvoll und schickte sie dann gewissenhaft an ihre Bestimmung mit sie begleitenden Schreiben entgegengesetzten Inhalts aus seinem Interessenkreise, welche die Wirkung der ihrigen vollstaendig zerstoerten. Und das tat er, ohne dass Lukrezia eine Ahnung davon hatte. So hatte es der Herzog angeordnet, der die Gemahlin mehr als je liebte und um jeden Preis schonen, in keiner Weise blossstellen wollte; denn er wusste, dass die kluge und reizende Lukrezia bei der Annaeherung Caesars ihrer selbst nicht mehr maechtig war und, wieder in den Bann ihres alten Wesens, ihrer frueheren Natur gezogen, schuldvoll und schuldlos suendigte. Demselben Wohlwollen gegenueber dem verfuehrerischen Weibe verfiel auch der Kardinal. Er bewunderte den schuetzenden Zauber des von ihr ausgehenden Liebreizes und verbuendete sich, soweit es in Alfonsos Interesse moeglich war, mit dieser seltsamen Macht, welche Lukrezia von jung an aus begrabenen Wellen gehoben und wie auf Schwingen ueber zerschmetternde Abgruende hinweggetragen hatte. So genoss er, die Kluge stuendlich taeuschend, kein Vergnuegen der Bosheit, sondern er glich dem Arzte, der von einer lieben Kranken, die an Wahnsinn leidet, Gift und toetende Waffen entfernt. Auch die Regentin, obgleich sie das Gegenspiel des Kardinals teilweise zu erraten begann, blieb ihm aus Klugheit und unbewusster Achtung einer verwandten Anlage gleicherweise gewogen. Sie zog ihn oft zur Tafel, und dann entspann sich bald das anregendste Gespraech, in welchem eines das andre zu entraetseln und zu erhaschen suchte, dem feinsten Schachspiele vergleichbar. Nur dass die Herzogin jeden Vorteil emsig benuetzte, waehrend der ueberlegene Kardinal sie mitunter laechelnd auf einen von ihr begangenen Fehler aufmerksam machte oder eine von ihm genommene Figur grossmuetig stehen liess. Federigo, Caesars Bote, hatte der Herzogin, bevor er nach Bologna zu der Heiligkeit des Papstes zog und von ihm gefesselt wurde, im Geheimnis den zweiten Brief des Bruders uebergeben. Es war ein Schreiben von wenigen dringenden Linien, zwischen denen, nur dem Auge Lukrezias sichtbar, verruchte Anschlaege und teuflische Einfluesterungen liefen. Nachdem der Verfuehrer gemeldet, er habe mit dem Koenige von Frankreich angeknuepft, bis jetzt zwar ohne Erfolg, den er abwarten koenne, da er fuers erste nach Italien strebe, schrieb Caesar: Um dort Fuss zu fassen, beduerfe er durchaus eines Gehilfen, eines ungewoehnlichen Mannes von bedeutenden Eigenschaften und ebenso gefaelliger als imponierender Erscheinung. Er wisse einen, wahrlich wie gemacht, ihm zu dienen, den Richter Herkules Strozzi. Er kenne ihn wohl, denn der Vater ihres Gemahles, weiland Herzog Herkules, habe ihm diesen Strozzi, einen Juengling von klassischen Zuegen und strengem Betragen, als seinen Geschaeftstraeger in die Romagna gesendet, damals, da er auf dem Gipfel seiner Macht gestanden, welchen er mit Gottes und des Schicksals Gunst und der geliebten Schwester Hilfe wieder zu ersteigen hoffe. "Teuerste", schloss er, "tue, was Dir moeglich ist, das Groesste und Aeusserste, um diesen einzigen, den ich als einen Bruder schaetze, fuer mich zu gewinnen." Lukrezia erbleichte ueber dem Briefe. Aber sie hatte jetzt seit Wochen wieder mit Cesare in seinen vielen, auch seinen jugendlichen und liebenswuerdigen Gestalten zusammengelebt. So hatte er sich, obschon ein Abwesender, wieder mit ihrem ganzen Denken verschmolzen und ihre Seele mit seinem Frevelsinn verpestet. Zwar sie widerstrebte kraeftiger als frueher dieser schmachvollen Sklaverei. Aber war sie nicht an Caesar, als an ihr Schicksal, geschmiedet, seit er sie vom Sterbelager ihres zweiten, von ihm gemordeten Gemahles wegriss, und sie den Widerstand vergass? Sie gehorchte ihm wiederum. Sie berief den Richter, hielt aber Angela neben sich und fasste sie bei der Hand, um nicht einen Augenblick mit ihm allein zu sein. Herkules Strozzi wurde in das enge Oratorium der Herzogin gefuehrt, die ihm schweigend den Brief ihres Bruders bot. Nachdem er ihn gelesen--nur einmal, denn die tueckischen Worte, die seine Leidenschaft stachelten und ihr schmaehliche Dienste zu leisten schienen, hatten sich ihm schon auf ewig eingebrannt--, schwieg er und schwelgte in gluehenden Traeumen. Er sah Cesare siegreich nach der Krone Italiens greifen. Er sah sich selbst als seinen Kanzler an seiner Seite. Der Herzog von Ferrara war verschwunden, wohl von Cesare Borgia ausgeloescht und aus der Mitte getan. Lukrezia wiederum Braut, jugendlicher und heller als je, stand vor seinen trunkenen Augen in derselben triumphierenden Lichtgestalt, wie er sie bei ihrem Einzuge in Ferrara geschaut hatte. Er sah sie mit den Blicken seiner taumelnden Sinne, denn, die vor ihm stand, war eine andre. Zwar laechelte sie auf das Geheiss des Bruders, doch die grossen lichten Augen starrten versteinernd, wie die der Meduse. Er aber sah sein Verderben nicht. Heuchlerisch redete er, der geborene Republikaner, von Caesar Borgias Gerechtigkeit, die er immer bewundert habe. Die Kleinen und Schwachen habe der Grossmuetige geschuetzt und gehegt, wie der Blitz Jupiters habe er nur die stolzen Zinnen getroffen. Er pries die Tugend der Staerke. Er lobte die Gewalttat, die durch die Unterdrueckung des Rechts in das hoehere Recht zurueckfuehre. So erschoepfte er das ganze ekle Woerterbuch des Tyrannenlobs; und er waere ein Abscheulicher gewesen, wenn er geglaubt haette, was er sagte; aber er redete unueberzeugt und leer, waehrend er nur ein Begehr hatte, der vor ihm stehenden Lukrezia irgendeine Gewaehrung, einen Lohn abzulocken oder abzuzwingen. Zuweilen stammelte er dieses Ziel verfolgende, irre Worte, unheimlich gemischt mit dem Lobliede der Gewaltherrschaft. Dann aber sah er ploetzlich auf dem Munde Lukrezias ein Laecheln zucken, bitter wie der Tod. Er sah die ernsten und tieftraurigen Augen Angelas unter richtenden Brauen auf sich geheftet. Und, mehr als der Prunk der ihn umgebenden Kruzifixe und heiligen Bilder, erschreckte ihn der stumme Vorwurf des unschuldigen Maedchens. Er musste darauf verzichten, das kleinste gewaehrende Wort mit sich zu nehmen. Da sann er eine Weile mit verschraenkten Armen und ungluecklichem Antlitz. "Ich gehe zu Don Cesare!" sagte er dann. "Was schickt Ihr ihm durch mich, Madonna?" "Euch selbst!" antwortete Lukrezia. "So sieht der Bruder, dass ich ihm gehorche." "Darf ich sagen, dass Ihr ihm willig gehorchet?" Lukrezia antwortete nur mit einem schwachen Laecheln. Rasch verschwand er. Da umschlang das Maedchen die Schultern Lukrezias und fragte sie, Auge in Auge: "Was wollte der Mensch mit seinem Lallen immer und immer wieder sagen? Was erhaelt er zum Lohn? Was gibst du ihm?--Den Tod?..." Die Herzogin laechelte wiederum und liess die Fragerin allein. Diese warf sich auf den Betschemel nieder. Aber, das Vaterunser fluesternd, konnte sie den Gedanken nicht loswerden: "Mit einem unueberlegten Worte habe ich einen Menschen geblendet und kann es nie verwinden! Diese aber laechelt, indem sie einen Menschen ueberlegterweise in den sicheren Tod sendet." Doch hielt sie sich darum nicht fuer die Bessere, sondern verschloss das gemeinsame Elend in ihrer barmherzigen Brust. Es war an einem Maerztage nach Mitte des Monats, dass der Kardinal bei schon geoeffneten, mit dem blausten Lenzhimmel gefuellten Fenstern bei der Herzogin speiste. Da fiel das Gespraech gelegentlich auf den Grossrichter Herkules Strozzi, von dem der Kardinal behauptete, er habe Ferrara heimlich verlassen. Darauf aeusserte die Herzogin, unmerklich erbleichend, ihre Verwunderung, dass ein so gewissenhafter Beamter eine laengere Reise ohne Urlaub unternommen habe, welchen zu erteilen die Sache der Regentin sei, wie sie glaube. Der Kardinal erwiderte, Herkules habe sich bei seinen zwoelf Kollegen beurlaubt, wohl mit dem Gedanken, in Abwesenheit des Herzogs duerfte das genuegen. \XDCbrigens habe er vorgewendet, eine Familiensache der Strozzi verlange seinen schleunigen Besuch in Florenz. Die Herzogin und der Kardinal ergingen sich dann in allerlei Vermutungen ueber die wahre Ursache dieser Abreise; da sie aber eine einleuchtende nicht finden konnten, vereinigten sie sich dahin, die vorgegebene koennte am Ende die wahre sein. Beide wussten mit voller Gewissheit, dass Herkules Strozzi bei Caesar Borgia war. Wenn ihre Augen haetten den Raum durchdringen koennen, so haetten sie die beiden gesehen, den gefuerchteten Herzog und den Richter, vom Wirbel bis zur Zehe gepanzert, wie sie unter einem glorreichen Suedhimmel durch bluehendes und duftendes Heidekraut an den Kruemmungen eines Absturzes emporkrochen, ueber sich die vier steilen Tuerme einer gotischen Burg mit Mordgaengen und Schiessscharten, sie beschleichend, nebst vielen andern Bewaffneten. Sie haetten gesehen, wie ein Steinregen von den belagerten Zinnen sprang und manchen Klimmenden in den Abgrund warf. Gesehen, wie jetzt ein Block sich von der Burg herabwaelzte, in gewaltigen Saetzen von Fels zu Fels sprang, den schrecklichen Sohn des Papstes traf und ihn zerschmettert in die Tiefe stuerzte. Elftes Kapitel April kam und ueberschuettete Ferrara mit Blueten. Lukrezia liess die Maeuler der herzoglichen Staelle bepacken, denn sie wollte nach einem ihrer Landhaeuser hinausziehen. An einem schon die Siesta verlangenden Nachmittage sass sie mit Donna Angela an dem offenen Fenster laessig vor dem Schachbrett und lauschte dem Singen ihres im Hofe beschaeftigten Gesindes und der Treiber. Es war ein Liebeslied, welches der ueppige Lenz erregte, aber die Ehrfurcht daempfte. Jetzt verstummte dieses voellig, und unter dem Hoftore klirrte der Hufschlag von Pferden. "Gaeste!" sagte Donna Lukrezia, und die Frauen erhoben sich. Die Diener, welche ihm die Tuer oeffneten, wegdraengend, trat der Herzog ein. "Ich komme von Rom", begann der Staubbedeckte, "und bin scharf geritten, da ich mich nach Euerm Antlitz sehnte, liebe Frau"--er ergriss und kuesste ihre Hand--"und bin herzlich froh, wieder bei Euch zu sein! Doch bedaure ich, Euch eine Trauerbotschaft zu bringen. Euer erlauchtester Bruder, der Herzog von Romagna, ist nicht mehr unter den Lebenden. Die Nachricht ist sicher. Sie kam ueber Neapel und fand mich in Rom." Er zog einen Brief aus dem Wams und entfaltete ihn. "An den Iden des Maerzes, wie einst der roemische Julius Caesar, sein Vorbild und Namenspatron, fiel Don Cesare in einer Schlucht vor dem spanischen Schlosse Viana, das er im Dienste seines Schwagers, des Koenigs von Navarra, mit grosser Tapferkeit berannte.--Also steht hier geschrieben." Solches berichtete der Herzog mit diplomatischer Genauigkeit. Doch fuegte er bei: "Ein frueher und ritterlicher Tod!" Dann schloss er mit Froemmigkeit: "Requiescat in pace! Requiem aeternam dona ei, domine!" Waehrend dieser Rede beobachtete er die Herzogin aufmerksam. Diese war eine Weile versteinert gestanden. Dann brach sie mit einem Schrei zusammen und sank in die Knie. Nicht anders als ein geraubtes Weib, welches ihr von einem Pfeile durchbohrter Entfuehrer ploetzlich fallen laesst. Auch der Herzog, der keine Daemonen kannte, sah sie aus unsichtbaren, sie umklammert haltenden Armen stuerzen. Er hob die Gesunkene an seine Brust, die sie mit ungezaehmten Traenen ueberstroemte. "Du musst wissen... lass dir's sagen... ich verriet dich... ich missgehorchte dir...", schluchzte sie erstickend. Der Herzog aber beruhigte sie liebevoll. "Jetzt, Lukrezia", sagte er, "erst heute wirst du ganz und voellig die Meinige. Siehe, bis dahin besass dich der Geist deines Hauses, der mein Gefuehl beleidigt und mein Urteil herausfordert. Ich habe mich mit dir vermaehlt aus Staatsgruenden und aus Gehorsam gegen meinen Vater, ohne dich zu kennen, ausser durch das unheimlichste Geruecht. Hoechst widerwillig! Als ich dich aber erblickte, bezaubertest du mich! Denn welcher Sterbliche mag dir widerstehen? Auch erfuellte mich dein guter Wille, den ich wohl unterschied, und dein ernstes Bestreben, dich von den unmoeglichen Sitten und dem gesetzlosen Denken deiner Familie zu trennen und den schuetzenden Boden eines rechtlichen Daseins zu betreten, mit Sympathie, ja mit Ehrerbietung. Das Blut der Borgia begehrte taeglich in dir aufzuleben und dich zurueckzufordern. Doch, siehe, nun bist du frei geworden. Die Deinigen alle sind verstummt und bewohnen die Unterwelt, woher keine Stimme mehr verwirrend zu den Lebenden dringt." Lukrezia seufzte schwer. Es war ein tiefer Schmerzenston und zugleich ein Aufatmen der Erleichterung und Entbuerdung. Und dann kam, wie das Blut aus einer Wunde sprudelt, ein reuiges Klagen, ein verzweifeltes Sichgehenlassen, ein nacktes Gestaendnis dessen, was sie von jeher fuer Caesar gesuendigt und von ihm erlitten. Don Alfonso erfuhr nichts Neues. Aber Angela, deren Gegenwart Lukrezia unter der Uebermacht ihres Gefuehles vergass oder fuer nichts achtete, wechselte die Farbe und erduldete fuer die andere alles Entsetzen des Frevels und alle Qualen der Schande. Jetzt umfing Lukrezia, vor dem Herzog niederstuerzend, seine Knie, ergriff seine Haende und bedeckte sie mit Kuessen. "Ich bin die Maria Magdalena", schluchzte sie. "Mein Herr hat mir vergeben, und jetzt ist kein Teilchen meines Wesens mehr, das nicht sein eigen waere... Ich habe das Leben verwirkt, dein Gebot uebertretend, aber du schenkst es mir! Und nun darf es nicht mehr mein, sondern es soll das deinige werden!... Herr", sagte sie unversehens mit einer schmeichelnden Gebaerde, "ich habe ein Anliegen an Euch." Der Herzog glaubte, sie wolle ihm von Strozzi reden und zog die Brauen zusammen. "Gestattet mir", bat sie, "dass ich von nun an den Bussguertel trage!" Don Alfonso laechelte. "Ich erwartete ein anderes Ansinnen", sagte er. "Und welches?" fragte sie. "Eure Fuersprache, Madonna", erwiderte der Herzog, "fuer einen Schuldigen, der seinen Kopf aufs Spiel gesetzt und ihn verloren hat." "Wen meint Ihr?" fragte Lukrezia, ehrlich verwundert. Herkules Strozzi war ihrem Gemuete gaenzlich entfallen, seit er ihr durch den Tod des Bruders entbehrlich und gleichgueltig geworden war, und der Herzog empfand die Genugtuung, dass der stolze Roemerkopf nicht im Gedaechtnisse seines Weibes, noch weniger aber in ihrem Herzen hafte, ja, dass Strozzi unmoeglich jemals den geringsten Wert fuer Lukrezia besessen haben konnte. Das stimmte ihn gnaedig, so strenge er sonst jeden Ungehorsam zu ahnden pflegte. Er betrachtete sein Weib, das er nun als ein gesichertes Eigentum besass, mit einer Art von Ruehrung. Noch nie hatte er sie schoener gesehen. Die Goldhaare, die sich waehrend ihres leidenschaftlichen Bekenntnisses geloest hatten, ringelten sich um ihre vollkommenen Schultern, und die zartblauen Augen brannten feurig. Er hob eine ihrer blonden Lockenschlangen zum Munde und kuesste sie mit Inbrunst. Dann sagte er, als der Mann der Ordnung, der er war: "Ruhet vor dem Mahl ein wenig, Herzogin, und rufet Eure Frauen, dass sie Euch zurechtmachen. Denn, wenn Ihr so seid, werde ich auf das Licht und die Luft, die Euch umgeben, eifersuechtig." Angela zitterte vor Empoerung, dass Lukrezia in unglaublicher Selbstsucht ihren Mitschuldigen vergass, und in ihrem innern Jammer warf sie sich vor, dass auch sie ihren ungluecklichen Blinden in seinem Kerker vergesse. Es war ein ungerechter Vorwurf, den sie sich machte, denn sie drueckte, bildlich gesprochen, ihre Stirn, und deren Gedanken, ohne Unterlass und bis zum Schmerze an die Eisenstaebe seines Kerkerfensters. Als sie bei Kerzenschein neben der Herzogin am Spaetmahl sass, ueberwaeltigte sie dies Jammergefuehl, und da sie Lukrezia die Speisen, welche sie dem Herzog zaertlich vorlegte, kosten und ihm roten Neapolitaner, zuerst davon schluerfend, kredenzen sah, war es ihr, als trinke Lukrezia Menschenblut. "Base", fluesterte sie ihr zu, "vergesst Ihr das verwirkte Haupt?" Lukrezia erschrak und erinnerte sich. Des Herzogs Schulter mit den zarten Fingern beruehrend, fragte sie leichthin: "Schenkst du mir den Strozzi, Alfonso?" Der Herzog, der eben aus weichem Brot ein kleines Geschuetz knetete, warf es weg, lehnte sich in seinen Stuhl zurueck und sann ein wenig. Dann sprach er: "Herrin, da ich auf Strozzi gerechterweise nicht eifersuechtig sein kann, und seine Anbetung Eurer Person eine Schuld ist, die er mit allen Maennern teilt, so bleibt mir nur sein Ungehorsam gegen mein ausdrueckliches Gebot zu bestrafen.--In der andern Waagschale liegt Euer Fuerwort, Madonna, und die ungewoehnliche Fachtuechtigkeit des Mannes. In Wahrheit, es widerstrebt mir, ihn aus einer Welt wegzuraeumen, welche so viel Geschmeiss unnuetzer und nichtiger Menschen ernaehrt. Betrachtet den Fall, meine Kluge. Es ist unmoeglich, den Menschen zu begnadigen, ohne dass ich ihn vorher richte. Richte ich ihn aber, so kann ich es nicht verantworten, einen so frevelhaften Ungehorsam meiner ersten Magistratsperson zu verzeihen. Eines aber kann ich-- ihn vergessen. Sendet nach ihm, Herzogin, heute noch! sogleich!" Er rief einen Diener und gab ihm den Befehl. "Sprecht zu ihm, Lukrezia; pruefet ihn! Bringet ihn dazu, dass er aus Ferrara vor der naechsten Sonne verschwinde. Er gehe, wohin es sei--nach Florenz, wenn er will, da er florentinischen Ursprungs ist. Sein Wissen buergert ihn ueberall ein. Nicht einmal aus Italien verbanne ich ihn; er tue, als sei er niemals nach Ferrara zurueckgekehrt. Wisset, ich begegnete ihm durch einen aergerlichen Zufall an der Zollstelle des Suedtors, wo ich, einreitend, seine Gestalt aus den Zollbeamten hervorragen sah, mit denen er sich herumstritt. Weder begruesste er mich, noch verbarg er sich. Die Vermessenheit seiner Haltung hatte etwas Beleidigendes. Eure Muehe wird umsonst sein, fuerchte ich, Madonna. Der Verlorene wird nicht weichen wollen--so stirbt er.--Schade um ihn. Er ist ein vorzueglicher Jurist." Der Herzog erhob sich von der Tafel und verabschiedete sich bei der Herzogin, die der Uebung gemaess sich fuer eine Woche zu den Klarissen zurueckzog, um fuer das Seelenheil des verblichenen Bruders zu beten. Dann verabredete er mit ihr noch leise, unter welchen Worten verborgen sie ihm durch den Haushofmeister das Ergebnis ihrer Unterredung mit Strozzi melden sollte. Diese fand in einem kleinen Rundzimmer unter den drei Flaemmchen einer schwebenden Ampel in Gegenwart Angelas statt und war kurz und stuermisch. Ungestuem trat Strozzi auf, mit flammenden Augen und eherner Stirn, gebraeunt von Wind und Sonne des Feldzugs. Ungeladen rueckte er sich einen Schemel zu Fuessen der Herzogin. Diese war voellig ohne Furcht. Ihr von den reichlich vergossenen Traenen gebadetes Angesicht war hell und friedlich. Strozzi taeuschte sich keinen Augenblick darueber, dass er mit dem Tode Don Cesares fuer sie zu einem Schatten, zu einem Nichts geworden war. Und doch war er gesonnen, durch den Gefallenen ewig mit ihr verbunden, nicht von ihr zu weichen. "Erzaehle ich Euch", fragte er, "die letzten Augenblicke des Bruders?" "Nein, Strozzi. Ich weiss, dass er nach der Art seines Hauses tapfer unterging, und weiss, dass er in Pampelona mit allen christlichen Gebraeuchen bestattet wurde--der Aermste." Von jetzt an nannte Lukrezia den Daemon, der ihr Bruder gewesen war, nicht anders mehr als den Aermsten, so wie sie ihr Ungeheuer von Vater laengst den Guten nannte. Dann fuhr sie mit einem Seufzer fort: "Der arme Bruder bedarf der Fuerbitte! Und noch heute nacht werde ich mich, um dieser Pflicht zu genuegen, zu den Klarissen zurueckziehen, in Uebereinstimmung mit dem Ermessen meines erlauchten und geliebten Gemahls." So sagte sie, und es war ihr Ernst, ohne sich von dem Hohngelaechter in den Augen des Richters ueber die Froemmigkeit Lukrezia Borgias und ihre Liebe zu Don Alfonso im mindesten stoeren zu lassen. Eine Pause entstand. "Ich habe einen Auftrag meines Gemahls an Euch", sagte die Herzogin. "Ihr habt Euch schwer gegen ihn vergangen, Strozzi, seinem Befehl geradezu entgegenhandelnd. Auch gegen mich, indem Ihr meiner Torheit gehorchtet, obwohl Ihr sehen musstet, dass mich die flehende Forderung meines Bruders aus den Schranken der Pflicht geschleudert hatte. Wehe dem Manne, der einer Pflichtlosen traut! Die Engel haben mich Stuerzende gerettet, und ich, mit der Gnade Gottes, moechte Euch retten. Der Herzog will Euch die zweifache Schuld gegen ihn und mich vergeben, unter einer einzigen Bedingung, Strozzi! einer leichten Bedingung... dass Ihr Ferrara verlasset noch diese Nacht und nimmermehr zurueckkehret. Benuetzet diese seltene Gunst! Es ist ganz gegen die Weise des Herzogs, einen vorzueglichen Diener, wie Ihr seid, zu entlassen und einem andern italienischen Staate zu goennen! Denn nicht einmal Italien sollt Ihr meiden..." "Du verlierst deine Muehe, Lukrezia", unterbrach sie Strozzi zuegellos, "ich weiche nicht aus Ferrara, noch von dir! Wir gehoeren zusammen, Don Caesars Wille hat uns vermaehlt!" Lukrezia laechelte schwach. Dann flehte sie, den durchsichtigen Schleier der Scheinheiligkeit, in den sie sich verhuellt hatte, abwerfend, mit bittenden und trauernden Augen: "Wenn ich dir wert bin, Herkules, so rette dich! Ich mag und will dich nicht auf der Seele haben!... Liebst du mich", lispelte sie, "so fliehe!" Da empoerte sich die stille Angela gegen diese Verfuehrung--selbst zum Guten, zur Rettung. "Richter", wandte sie sich mit heissen Wangen gegen Strozzi, "es ist schmachvoll, dass Ihr zaudert. Fort aus Ferrara! Wie? Ein Mann, den die Jugend als ihr Vorbild bewundert, ein Lehrer des Rechts, hat nicht die Kraft, mit dem Boesen zu brechen und den Zauber eines armen Weibes zu fliehen!--Erroetet!..." "Was traeumt diese da von Gut und Boese?" ueberschaeumte Strozzi und sprang in die Hoehe. "Was phantasiert sie von Recht und Unrecht?... Es gibt kein Recht!... Dieser schoene Frevel hier", er blickte auf Lukrezia, "hat es getoetet! Du aber, Maedchen, schweige! Was verstehst du von Liebe! Eine, die den Liebsten blendet--einkerkern laesst--seinen Kerkermeister nicht besticht--sich nicht in seine Arme schleicht--nicht sein Weib, seine Magd wird--was weiss eine solche von Liebe! Denn Liebe", fluesterte er geheimnisvoll, "laesst ihr Ziel nicht! Nimmermehr! Nimmerdar! Morde mich, Lukrezia! Hier!" und er zeigte auf sein Herz. Sie starrte den Richter mit bleichen Augen an, und alle Lieblichkeit war von ihr gewichen. In diesem Augenblick ging der Tuervorhang auseinander, und auf der Schwelle stand der hoechst wuerdevolle Haushofmeister mit dreierlei Anliegen. Er meldete die Saenfte der Herzogin; dann trug er die Frage vor, ob sie schon morgen bei den Klarissen den Besuch des Herzogs erwarte. Sie verneinte, und dieses Nein mochte wohl fuer den Herzog bedeuten, dass der Richter seine Gnade von sich stosse. Zuletzt wendete sich der Haushofmeister noch an diesen und ersuchte ihn, das Schloss nicht zu verlassen, ohne dem Herzog im Archiv aufgewartet zu haben. Strozzi fragte schroff, ob es gleich sein duerfe, und der Greis ging ihm voran, nachdem er das Haupt bejahend gebeugt hatte. Die Herzogin aber liess sich von Angela stillschweigend an die Saenfte geleiten. "Ich nehme nicht von dir Abschied", sagte sie. "Du folgst mir, lieber heute noch, nach." Sie haette ihr gerne erspart, was kommen musste, wie sie selber davor auf die Seite wich. Wenn ihr Dienst sie nicht an die Herzogin fesselte, bewohnte Angela das einsame Erkerzimmer eines festen Eckturmes, der einen inneren Hof beherrschte und in dem unteren Teile seiner undurchdringlichen Mauern das Privatarchiv des Herzogs barg. Um diesen Zufluchtsort zu erreichen, eilte die bange Angela die Schlosstreppen hinan. Seitengaenge und eine schmale Stiege fuehrten sie in den Turm und durch den kleinen Vorraum, wo die Drehbank des Herzogs stand. Hier wunderte sie sich, die schwere Eichentuer des Archivs offen zu sehen, so dass die lauten Stimmen Don Alfonsos und des Grossrichters sie verfolgten, waehrend sie eine weitere Stiege erklomm. Wie erschrak sie, als sie, angelangt, nicht eintreten konnte! Ihr Soeller, den sie eine Weile nicht benuetzt hatte, war verschlossen. Der Schluessel mochte im Archiv liegen. Nun musste sie das Weggehen Strozzis abwarten und duckte sich, wieder die Treppe herabgestiegen, eine widerwillige Lauscherin, nicht von Neugierde, nur von Angst gepeinigt, harrend in eine Nische der dicken Mauer. "Dieser Rechtshandel", plauderte der Herzog bequem, "ist eine langweilige Sache. Wir sollten sie endlich zu Schlusse bringen. Ich habe die fraglichen Akten gruendlich studiert", er schlug mit der Hand auf einen Stoss Pergament, dass Angela den Staub einzuatmen glaubte. "Ihr wisst, Richter, ich fuerchte mich nicht vor Akten, aber diesmal habe ich meine Muehe und das Oel meiner Lampe verloren. Sagt Ihr mir lieber kurz, wer recht hat, der Graf Contrario als Erbe der Flavier, oder ich und der Fiskus von Ferrara. Wie spricht Euer richterliches Gewissen?" Es erschien Angela, als betonte der Herzog das letzte Wort auf ironische Weise; aber sie musste sich taeuschen, denn Strozzi antwortete voellig unbeirrt. "Hoheit", sagte er, "der Witz ist, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden: Das gehoert nicht zur Sache, und das nicht--so bleibt noch das, und das ist einfach. Der innerste Kern des vor Alter vergilbten und von Tuecke und Kniffen verdrehten Prozesses ist aber dieser: Nachdem die Flavier und Contrarier sich jahrhundertelang als Vettern gequaelt und versoehnt, befeindet und zu Erben eingesetzt hatten, entschloss sich der letzte kinderlose Flavier, namens Nestor, aus unbekannten Gruenden, seinen bedeutenden Besitz seinem Vetter, dem Grafen Mario Contrario, dem Vater unsres jetzigen anmutigen Grafen, testamentarisch zu hinterlassen. Nun verbietet aber unser ferraresisches Recht, sein Gut einem Fremden zu vererben, ohne die vorher erlangte Ermaechtigung des Herzogs. Diese Einwilligung Eures Vaters aber, obwohl niedergeschrieben und von diesem anerkannt, wurde niemals durch seinen Namenszug perfekt gemacht. Denn da der letzte Flavier zu Pferde stieg und nach Ferrara fuhr, um durch sein persoenliches Erscheinen jene Unterschrift von Eurem Vater zu erlangen, sprang der Tod grinsend hinter ihm aufs Ross und schnitt mit der. Sense dazwischen. Er ward auf der Reise vom Schlage geruehrt. Wie lag nun die Sache? Das Testament war formell nichtig, da die Unterschrift des Herzogs mangelte, und Euer Vater, Herr Herkules, fand sich nicht bewogen, sie darunterzusetzen. Er konfiszierte die flavianischen Gueter. Euer Zutun, erhabener Herr, ist nun keine Rechtssache mehr, sondern eine Sache Eurer Grossmut, in die ich mich nicht mische." "Wisse, Richter", versetzte der Herzog, ohne den achtungslosen Ton Strozzis zu ruegen, langmuetig, "dass ich nicht viel anders denke, noch denken darf, als mein Vater Herkules! Wo es ein rechtlich zulaessiges Mittel gibt, den Staatsschatz zu fuellen, darf ich es aus sogenannter grosser Gesinnung nicht verschmaehen und dafuer meine Kaufleute und Bauern belasten. Auf der andern Seite freilich ist mir unlieb, dass die Contrarier so unbestreitbar das innere Recht fuer sich haben, als ich das aeussere." "Evident!" spottete der Richter. "Da duenkt mich", fuhr der Herzog gelassen fort, "waere ein Kompromiss am Platze. Was meinst du, Richter? Wir steuern mit den flavianischen Guetern Donna Angela Borgia aus und vermaehlen sie mit dem Erben der Rechtsansprueche der Contrarier, dem liebenswuerdigen Grafen Ettore. Unter uns, ich wuensche das Maedchen weg. Sie bringt mich und den Staat Ferrara um unsern unvergleichlichen und unersetzlichen Kardinal Ippolito." "Ich mag sie auch nicht und wuensche sie in den Mond! Kuppeln wir sie mit dem Pedanten!..." scherzte der Richter mit wuester Heiterkeit, nicht anders, als waere er trunken. "Du musst wissen, mein Herkules", fuhr der Herzog fort, anscheinend ohne sich an dem aergerlichen Benehmen des Richters zu stossen, "dass es eigentlich Donna Lukrezia ist, welche ihre Base aussteuert. Die flavianischen Gueter bilden ihr Wittum, aber es ist ein unsicherer Besitz, da unsre Gerichte noch nicht endgueltig gesprochen haben... Du hast davon gehoert, mein Herkules?" "Wie sollt ich nicht?" hoehnte der Richter, "da ganz Italien davon widerhallte! Wer kann vergessen, wie Papst Alexander von Herzog Herkules ueberlistet wurde, wie masslos das alte Laster sich gebaerdete und welche unnachsprechlichen Worte es ausstiess, als es sich geprellt sah!" Und Strozzis Lache droehnte unter der niederen Woelbung. Zugleich hoerte Angela durch die Mauerluke, an der sie sass, aus dem naechtlich stillen Hofe herauf den weichen Tenor wieder, dessen Kantilene sie bewegt hatte, als sie in der Siestastunde vor der Ankunft des Herzogs mit Lukrezia am Fenster sass. Es war dasselbe Liebeslied... "Ist es ein mit dem Herzog verabredetes Zeichen, dass Strozzis Moerder bereit stehen?" fragte sie sich mit klopfendem Herzen. Von diesem Moment an schien des Richters herausforderndes Wesen dem Herzog zuviel zu werden. "So unterhaltend deine Gesellschaft ist, mein Strozzi", sagte er freundlich, "ich muss dich nun entlassen. Du weisst, ich bin heute scharf geritten und, in der Tat, ich fuehle mich muede. Wir kommen wohl auf unsern Gegenstand zurueck. Glueckselige Nacht!" Und er beurlaubte das Opfer. Da Strozzi an der im Halbdunkel sitzenden Angela vorueberging und sich hinuntersteigend in die schwacherhellten Schlossgaenge vertiefte, blieb diese wie versteinert, denn die unheimliche Lustigkeit Strozzis war ihr ein Vorzeichen seines Untergangs, und die unerschoepfliche Geduld des Herzogs erfuellte sie mit Grauen. Als sie eine Weile spaeter mit ihrem gefundenen Schluessel neben dem Herzog stand, der aus dem Archiv getreten war und es abschloss, kehrte der Richter, wie tastend, wieder zurueck. "Ich weiss nicht, wie mir geschieht, Hoheit", stotterte Strozzi, dessen Lustigkeit verschwunden war, "ich finde den Ausgang nicht und bitte um eine Fackel." Der Herzog rief nach einer, die ein Diener dem Richter vortrug, welcher ihr wankend folgte. Nun floh Angela in ihre Kammer, die sie in verwirrender Angst fest verrammelte, mit ihren klopfenden Pulsen den Lebensrest des Richters zaehlend und seinen Todesschrei erwartend. Da ertoente er--entsetzlich und lang--und drang ihr durch das innerste Mark. Mit zitternden Haenden warf sie einen Mantel um, ergriff ihre kleine Leuchte, glitt die einsamen Stiegen hinunter und stuerzte aus dem Palast. Hilfe zu bringen?... Nein, sie zu suchen bei Lukrezia, im Kloster!... Sie wusste nicht, was sie wollte. An der Ecke der Burg stiess ihre Fussspitze an den Toten. Sie leuchtete ihm ins Antlitz, konnte aber die bleichen, verzerrten Zuege nicht lange betrachten. Sie kniete nieder, machte ueber ihm das Zeichen des Kreuzes und verhuellte ihm das grause Haupt barmherzig mit seinem Mantel. Dann floh sie weiter zu den Klarissen, deren Haus, nur zwei kurze Gaesschen entfernt, auf dem Boden der alten Stadtumwallung stand. In der Mitte des zweiten hoerte sie Schritte hinter sich, wandte sich um und sah einen ihren fliegenden Gang verfolgenden Schatten. Sie meinte, der Tote habe sich erhoben, und verdoppelte ihre Eile. Doch ihre schnellen Fuesse wurden durch ein andres Nachtgesicht aufgehalten. Dicht vor dem Kloster naemlich sprang ein fester Turm mit seiner gewaltigen Rundung vor, den das Gaesschen umkreiste, und der mit dem Kloster aufs seltsamste baulich verwachsen und durch den ueppigsten Efeu verwoben war. Seine ewig verschlossene, hohe, schmale Pforte war wunderbarerweise geoeffnet, und davor hielt ein Reitergedraeng. In der Mitte sass auf einem Schimmel ein schlanker Juengling mit einer Binde ueber den Augen. Angela erblickte Don Giulio, von dem sie doch wusste, dass ihn der Herzog nach Fenestrella, auf eine Insel in den Pomuendungen, hatte bringen lassen. Lebte dieser Don Giulio? War er ein Traum? Nachdem die, einer hinter dem andern, Einreitenden das Gaesschen geraeumt hatten, klopfte Angela an das Klostertor und wurde von der Pfoertnerin, der raschen Schwester Consolazione, ohne Verzug in den Klosterfrieden eingelassen. "Ihr seid erwartet", sagte sie. "Aber wie? Ihr kommt zu Fuss und allein? Wie Euer Herz pocht, Erlauchte! Wahrlich, wie einem geaengstigten Vogel..." "Fuehrt mich zur Herzogin!" unterbrach die Borgia. Da ihr Schwester Consolazione sachte die noch erhellte Zelle oeffnete, lag Lukrezia im sanften Licht einer Ampel schon entkleidet auf dem reinlichen Lager in weissem Nachtgewand, fest entschlummert, ruhig atmend wie Ebbe und Flut, mit einem Kinderlaecheln auf dem halbgeoeffneten Munde, waehrend Natur leise verjuengend ueber ihrem Lieblinge waltete. Als Angela aus dem Schlosse floh, hatte sie der Wunsch getrieben, sich schluchzend an die Brust der Freundin zu werfen und ihren Geblendeten neben den Getoeteten Lukrezias zu legen. Nun betrachtete sie die schoene Schlummernde aufmerksam, verlor den Mut, sie zu wecken, und seufzte: "Wie bin ich eine andre!" Letztes Kapitel Nach soviel Trauer waren fuenf Jahre ueber Ferrara gegangen, ohne dass die tragische Muse von neuem das Herrscherhaus besucht haette. Ja, das Leben wollte sich zur Idylle gestalten, immerhin die Unruhe eines kurzen Krieges ausgenommen, der aber rasch ueber den ferraresischen Boden dahinfuhr. Der Moerder des Grossrichters Herkules Strozzi war, ungeachtet vielfacher polizeilicher Nachforschungen und der augenscheinlichen Bemuehungen des Herzogs selber, unentdeckt geblieben. Der Oberrichter wurde mit der groessten Feierlichkeit bestattet, und der Herzog liess es sich nicht nehmen, als erster der Trauernden vor dem geruehrten Volke dem mit Lorbeer ueberschuetteten Sarge nachzuschreiten. Auch die junge Witwe, denn der Anbeter Lukrezias hatte in standesmaessiger Ehe gelebt, besuchte Don Alfonso mit fuerstlicher Teilnahme und trachtete ihren wilden Schmerz mit weiser Rede zu daempfen. Die bluehende Barbara Torelli aber war untroestlich und redete mit heftiger Gebaerde bald davon, ihren Gemahl an seinem Moerder zu raechen, wenn sie ihn finde, bald verlangte sie, sich in ein Kloster zu begraben; in beiden Faellen aber gelobte sie dem toten Gatten ewige Treue. Wenn nun der Herzog nichts ueber sie vermochte, so war es Ludwig Ariost vorbehalten, diese leidtragende Barbara aufzurichten. Er war ein Freund Strozzis gewesen und hatte schon dessen Mutter, eine stattliche Frau, herzlich verehrt. Jetzt bemuehte er sich um die Witwe seines verblichenen Freundes und suchte sie mit dem Leben zu versoehnen. Diese freundliche Aufgabe loeste er in Jahresfrist so vollkommen, dass Barbara Torelli sich erbitten liess, dem Dichter in sein neuerbautes Heim zu folgen und an seiner Seite jenes einfache Haus zu bewohnen, dessen Bescheidenheit Ariosto in einem weltbekannten Distichon gepriesen hat. Gleichgeblieben war sich auch das Gefaengnis Don Giulios in dem "vergessenen" Turm, welcher von dem fruehern engeren Mauerkreis als ein unzerstoerbares Wahrzeichen alter Wehrkraft stehengeblieben war und spaeter von dem wachsenden Klosterhof der Klarissen eingeschlossen wurde. Dieser fast unzugaengliche Turm war selten bewohnt. Fensterlos nach dem Gaesschen, und auf der Seite des Nonnengartens von verwilderten Brombeerstauden und kletternden Schlingpflanzen bis zu seiner halben Hoehe ueberwuchert, war er in das unbeachtete Weben der Natur zurueckgekehrt. Nur selten wurde er fuer ungefaehrliche Staatsgefangene benuetzt, deren Andenken sich verlor und deren Dasein in dem "vergessenen" Turm vergessen werden sollte. Lange hatte sich die Oberin der Klarissen dagegen gestraeubt, in den auf ihrem Gebiete stehenden Turm eine hohe Person mit unerbaulicher Legende, wie Don Giulio, eintun zu lassen. Sie kannte die Schwaechen des leeren Nonnenherzens: Neugier, Mitleid, Lust an Heimlichkeiten, und fuerchtete deshalb den gefaehrlichen Nachbar. Auch war ihr der wahre Grund der Entfernung des blinden Este aus Fenestrella nicht unbekannt geblieben. Zwar wurde ihr gesagt, die vor der Muendung des Po im Meere liegende kleine Festung sei in diesem Zeitlaufe gefaehrdet und werde sowohl von der Flotte des heiligen Markus als von den Schiffen St. Petri bedroht: aber sie hatte noch eine ganz andre Geschichte in Erfahrung gebracht. Die junge Frau des Gefangenwaerters, sagte man ihr, habe sich in den huebschen Prinzen trotz seiner Blindheit sterblich verliebt und ihren Mann bewogen, Don Giulio in einem Boot nach Venedig zu entfuehren. Darueber habe sie der Schlossvogt, ein Hauptmann aus der strengen Schule des weiland Don Cesare, ueberrascht und die Schuldigen, Mann und Weib, in das Meer versenkt. In ein ebenso tiefes Stillschweigen wurde jetzt das Dasein Don Giulios im "vergessenen" Turme begraben. Der Herzog hatte bei den schwersten Strafen sowohl dem Reisegefolge als dem neuen Kerkermeister seines Bruders verboten, die Gegenwart des Gefangenen zu verraten oder auch nur seinen Namen zu nennen. Und dass die Aebtissin und der Beichtiger des Klosters, welcher auch der Don Giulios war, schwiegen wie das Grab, darum war der Herzog unbesorgt. Auch Angela schwieg von ihrer traumhaften Begegnung mit dem Blinden an der Turmpforte, als von etwas, das ihrem Herzen allein gehoerte. So wurde es moeglich, dass die kluge Donna Lukrezia von der Rueckkehr Don Giulios nach Ferrara nichts erfuhr, auch durch den Herzog nicht, dem die Herberge des blinden Bruders eine stete Sorge war. Ihn in den Kerkern seiner Stadtburg, gleichsam unter seinen Fuessen, zu verwahren und ueber dem Haupte des Geblendeten ein heiteres Dasein zu fuehren, das brachte er doch nicht ueber sich. Legte er ihn aber in eine Landfestung, so war er gewiss, Don Giulios Leiden, seine Guete und die ihn umwebende Sage werde ihn bald so beliebt machen, dass ein Befreier nicht lange ausbleiben koenne. Der "vergessene" Turm neben den Klarissen war seine letzte Auskunft gewesen. Haette Lukrezia ihn ueber das Verbleiben Don Giulios befragt, sie wuerde die Wahrheit erfahren haben; aber sie huetete sich wohl, die wunden Punkte in der Seele ihres Gemahls, den Verlust Ippolitos und den Kerker des Blinden, unnoetig zu beruehren. So fuhr sie fort, ohne zu ahnen, wer in ihrer Naehe wohne, sich jaehrlich wenigstens in der Adventszeit auf einige Tage zu den Klarissen zurueckzuziehen, wohin sie Donna Angela jedesmal begleitete. Ja, diese suchte sie dort, so lange als moeglich, zurueckzuhalten, denn die Zusprueche des Beichtigers der Klarissen, Pater Mamette, hatten den Sturm ihrer warmen Seele auf immer beruhigt, wie auch Donna Lukrezia viel von der einfachen Seelsorge des Franziskaners hielt. Der Herzog irrte nicht, wenn er glaubte, dass das Wohl Don Giulios viele Seelen beschaeftigte. Nicht nur der ferraresische Dichter legte damals an der bekraenzten Pforte eines der Gesaenge seines "Rasenden Rolands" ein ruehrendes Fuerwort fuer den im Kerker schmachtenden Blinden ein, auch ein Geringerer im Reiche der Geister ergab sich diesem mit Leib und Seele. Eines Tages naemlich erschien an dem Tore des "vergessenen" Turmes ein kleiner duerrer Greis, der unter jedem seiner Arme einen gewichtigen Folianten trug. Er legte seine Last auf die hohe Steinschwelle nieder und begann mit einem dicken Kiesel, den er aufraffte, an die stumme Pforte zu pochen. Vergeblich! Denn diese oeffnete sich nicht, und inwendig ruehrte sich nichts Lebendiges. Der Alte setzte seine Bemuehungen so beharrlich fort, dass er nicht bemerkte, wie eine kleine Schar herzoglicher Soeldner in den Halbkreis des einsamen Gaesschens einlenkte, bis er von ihnen umringt und ergriffen war. Jammernd bat er um Schonung fuer seine Buecher, die sie mit ihren Spiessen untersuchen wollten, und deckte seinen Schatz mit dem Leibe. Zu seinem Heil erschien in diesem Augenblicke der Herzog hoch zu Ross, der mit einem kleinen Gefolge von Sachkundigen einen Pulverturm auf seine Feuerfestigkeit hin untersucht hatte und jetzt auf dem kuerzesten Wege in seine Stadtburg zurueckkehrte. Der Greis warf sich vor ihm nieder: "Erhabener Herr, den ich erzogen habe", rief er, "befreie mich mit meinen Freunden Plutarch und Seneca aus den Haenden deiner Krieger!" "Was hast du hier zu schaffen, Magister?" fragte der Herzog streng und zog die Brauen zusammen. "Ich fuehle mich berufen, einen erblindeten Zoegling zu besuchen und seine Nacht mit der Weisheit der Alten zu erhellen!" "Woher weisst du, dass der Blinde hier sitzt?" fuhr ihn der Herzog an. "Von Liebe zu dem abtruennigen Sohne der Wissenschaft erfuellt, und nachdem ich erfahren, dass er in Unglueck und Dunkel gestuerzt sei, verfolgte ich seine Spur bis nach Fenestrella. Dort sagten sie mir, dass er nach einer unverschuldeten Tragoedie weggefuehrt worden sei, und das Geruecht berichte, er sei in deine Naehe und unter deine persoenliche Hut zurueckgekehrt. Hier in Ferrara pochte ich, von meinem sokratischen Daemon gefuehrt, an die Tuer jedes Turmes, und dieser 'vergessene' ist der letzte, den ich finde." Ein geheimes Laecheln stahl sich in die Augen des Herzogs, und der Gedanke durchblitzte ihn, seinem ungluecklichen Bruder die Gesellschaft ihres gemeinsamen, wie er wohl wusste, vollkommen harmlosen alten Lehrers zu goennen. Er sagte: "Wenn hier wirklich ein blinder Schueler von dir wohnt, Mirabili, so magst du ihn meinetwegen allwoechentlich einmal besuchen und mit ihm deine unterbrochenen Lektionen fortsetzen." Auf seinen Wink stiess ein Leibwaechter mit dem Holze seiner Lanze unter dem Rufe: "Auf! Im Namen des Herzogs!" so nachdruecklich gegen die verschlossene Tuer, dass innen die Schluessel augenblicklich rasselten und die Riegel zurueckgingen. Der Herzog liess den erstaunten Kerkermeister an sein Pferd treten und befahl ihm leise und streng: "Einmal woechentlich oeffne dem Alten diese Pforte zu Einlass und Auslass. Niemals am Tage, sondern vor Morgengrauen oder nach dem Ave Maria." Von Don Giulio mit Dank und Ruehrung empfangen, enthielt sich Mirabili, das zerstoerte Angesicht, dessen Schoenheit in frueherer Zeit ihn beglueckt hatte, lange zu pruefen. Ohne Zoegern machte er sich ans Werk, den Gefangenen in die Herrlichkeiten der stoischen Schule einzufuehren und ihm die Triumphe der Selbstueberwindung zu zeigen. Wenn er ihm dann nach langer Sitzung die hohen Vorbilder pries, die ihn begeisterten, einen Zeno, einen Epiktet und vor allen den Kaiser mit dem Philosophenbart, den goettlichen Marc Aurel, sagte wohl der Blinde, der indessen an seinem Strohgeflecht gesessen hatte, traurig und muede: "Ach, Mirabili, ich kenne diese vornehmen Herren nicht, und es will mir nicht gelingen, mich mit ihnen auf den Thron der Tugend zu setzen." Einen kraeftigeren Trost reichte dem Blinden der Sohn des heiligen Franziskus, Pater Mamette. Auch er, wie der alte Mirabili, obwohl ein noch gruenender, feuriger Mann, gehoerte zu Don Giulios Jugenderinnerungen. Aus einer Bauernfamilie Pratellos gebuertig, wurde er als ein verwaistes, ganz junges Blut von seinen aelteren Bruedern, die nicht gesonnen waren, ihr Erbe mit ihm zu teilen, ins nahe Kloster geliefert, wo das unschuldige Kind unbeachtet, aber von den Moenchen wohlgelitten, aufwuchs. Dem Kleinen geriet, wie dem verkauften Joseph, alles zum besten, und sein von freudigen Augen beleuchtetes Angesicht war das Wohlgefallen und der Trost aller, die ihn kannten. Als Don Giulio zum Juengling erwuchs und sein praechtiges Pratello baute, war Mamette im Laufe guter und boeser Tage zum Manne geworden und ein fertiger Franziskaner. Don Giulio sah ihn eines Tages unter seinen Bauleuten, als er einem verunglueckten Maurer beistand, ihn in seine Arme nahm und den Sterbenden mit mehr als muetterlicher Liebe in den Himmel hob. Damit fiel er dem Este auf und beruehrte die wohllautendste Saite seiner Seele. Weil aber der Leichtfertige nach der Hofsitte einen Beichtvater haben sollte und man ihn laengst beschuldigte, dieses Herkommen zu vernachlaessigen, so entschloss er sich kurz und waehlte Pater Mamette. Ausser zu den kirchlich gebraeuchlichen Zeiten hatte er ihn uebrigens nie rufen lassen, auch nach seinem Sturze ins Elend nicht. Erst da er das Todesurteil erwartete, liess er ihn zu sich in den Kerker kommen und sich dann von ihm auf das Schafott begleiten. Nach seiner Rueckkehr aus Fenestrella wurde nun Pater Mamette der beste Freund seiner Gefangenschaft, und der von allen Seiten Gerufene und Begehrte zaehlte die Stunden nicht, die er zur Troestung des Ungluecklichen im "vergessenen Turme" zubrachte. Da geschah es oft, dass der Pater den Blinden bei beiden Haenden ergriff und ihm sagte: "Ihr kennt noch nicht den unerschoepflichen Born des Gluecks: es ist das Geheimnis der Armut. Mein heiliger Franziskus, der mit ihr aufs innigste vermaehlt war, offenbarte es mir einst zur Rettung aus den Abgruenden der Seele. Erst wenn Ihr nichts mehr zu eigen habt, koennt Ihr die Liebe Gottes empfangen. Und wenn Ihr empfanget, koennt Ihr geben. Das ist meine Pforte zum Glueck und zur Freiheit! Tretet mit mir ein! Werdet arm und aermer, damit Ihr empfangen und geben koennt, wie ein Brunnen, der Schale um Schale ueberfliessend fuellt." Don Giulio fand anfangs, dass es fuer ihn, einen Beraubten und aus dem Lichte Gestossenen, schwer sei, noch aermer zu werden; er verstand nicht, dass er sich auch des Reichtums seiner selbstsuechtigen Schmerzen entschlagen muesse--immerhin drang das Geheimnis des heiligen Franziskus in eine Tiefe seiner liebedurstigen Seele, die weder Ariost noch Mirabili, weder der Dichter noch der Philosoph, hatten erreichen koennen. So vergingen drei der Kerkerjahre, aber auch Jugendfrische und Gesundheit des Blinden verging. Er welkte. Die dumpfe Luft des Sommers und die Feuchtigkeit des Winters, die Klosterspeise, die ihm geboten wurde und die er, anders gewoehnt, oft unberuehrt liess, die Entbehrung heftiger Leibesuebungen, wilder Ritte, des Ballspiels, der Fechtkunst, und, mehr als alles das, die Aussichtslosigkeit der Befreiung erschlaffte und laehmte ihn; denn er wusste--das Wort des Herzogs stand fest--, dass er bei dessen Leben den Kerker nicht verlassen werde. Er selbst ergab sich in sein Los, aber dem alten Mirabili schnitt es in die Seele. Der zerfallende Greis konnte nicht sterben, ohne seinen Liebling befreit zu haben. So entschloss er sich, ohne das Wissen und die nicht zu erhaltende Einwilligung Don Giulios, etwas Wirksames, zur Entscheidung Fuehrendes zu unternehmen. Nach vielem Denken und einigen schlummerlosen Naechten brachte er das wichtige Werk zustande. Es war ein im reinsten Latein verfasstes Schreiben, denn die italienische Schriftsprache war ihm nicht gelaeufig, noch erschien sie ihm zu seinem grossen Zwecke erhaben genug. Nachdem Mirabili alle beruehmten Gefangenen des Altertums, besonders alle unschuldig von Tyrannen in grausamen Kerkern gehaltenen, erwaehnt hatte, ging er auf Don Giulio ueber, den Liebenswuerdigsten und Unschuldigsten von allen, und beschwor den Herzog bei dem Gerichte der Unterwelt und der Nachwelt, seinen leiblichen Bruder zu befreien, indem er persoenlich seine Ketten loese und sich auf oeffentlichem Markt vor dem Volke mit ihm versoehne. Kurz, es war ein herzlich ungeschickter und unheilvoller Brief, welcher den Herzog aufbringen musste und leider dieses ungewollte Ziel nicht verfehlte. Schlimmer noch! Der Herzog wurde misstrauisch. Er sah hinter dem Anschlage des Alten den des gefangenen Bruders, was freilich ein grosser Irrtum war. Er liess Don Giulio seine herzogliche Ungnade und die Unwiderruflichkeit seines Kerkers wissen und stuerzte diesen, dem damals auf einer andern Seite ein suesser Stern der Hoffnung aufgegangen war, in tieferes Elend und auf das Krankenlager. Gleichgeblieben, wie der Kerker Don Giulios, war sich auch der Stand der flavianischen Gueter, die der Fiskus zu geniessen fortfuhr, da die Gerichte ueber deren endgueltigen Besitz noch nicht gesprochen hatten. Gleichgeblieben war sich die muehselige Werbung des Grafen Contrario um Donna Angela. Gleichgeblieben, nein, gestiegen war ihre Abneigung gegen diesen unstraeflichen Freier, dem sie, aufs aeusserste getrieben, verzweiflungsvoll erklaerte: sie liebe die Gerechten und Tugendhaften gar nicht--mehr schon die ringenden Boesen--am meisten aber die Barmherzigen, wenn sie die Suender mit starken Armen emporziehen; ueber welche unerhoerte Rede Graf Contrario sich mit Recht entsetzte. Auch der Herzog hatte zuzeiten an der Gruendlichkeit des Wissens und an der kritischen Ader des Grafen kein Vergnuegen mehr, besonders wenn dieser mit Kennermiene das nach neuen Erfindungen gegossene Geschuetz seines Gastfreundes pruefend umwandelte und jeden einzelnen Teil des Stueckes einer eingehenden und vernichtenden Kritik unterwarf. Dann presste der Herzog den strengen Mund zusammen und liess den Grafen allein. Nur der Wunsch, Donna Angela, dieses Hindernis der Rueckkehr des Kardinals, zu verheiraten und damit wegzuraeumen, verlieh ihm die Geduld, den unermuedlichen Tadler zu ertragen, solange es sein musste. Selbst im Bereiche Lukrezias bestrebte sich der Graf unliebenswuerdig zu werden; doch alle diese Versuche wurden an ihrer anmutigen Geschicklichkeit zunichte, wie sich eine streitsuechtige Brandung. an einem sanften Ufer verliert. Da ihm Lukrezia ihr Wittum, die flavianischen Gueter, als moegliche Mitgift ihrer jungen Base vorspiegelte, ueberkam ihn aus Widerspruchsgeist ein grosser Aerger, das, was in seinen Augen der rechtmaessige Besitz war, einem Weibe danken zu muessen, und er erhob sich gegen dieses Ansinnen mit maennlicher Wuerde. Lukrezia aber, die diese Entruestung nicht fuer seinen Ernst hielt, antwortete laechelnd: "Und wenn wir beide, die wir uns darum streiten, die flavianischen Gueter in zwei Haelften schnitten und friedlich unter uns teilten, den Richtern zum Verdruss?... Ich sage es nicht versuchungsweise, wie einst Koenig Salomo, um Euer Herz zu pruefen, Ettore! Ist doch die Erde kein lebendes Kind mit einem unteilbaren Blut und Leben in den Adern, sondern bestimmt, in Stuecke zerrissen, verteilt oder geraubt zu werden!" Der Graf haette sogleich zugegriffen, waere er sich selbst ueber seine Gefuehle fuer Donna Angela klar gewesen. Am liebsten haette er die flavianischen Gueter ohne sie besessen. Er hatte das edle Maedchen von Anfang an als ein eigenwilliges und unerzogenes Geschoepf betrachtet-- doch, o Wunder, seit einiger Zeit geschah etwas mit Angela. Ihre Haerte und Herbigkeit verschwand wie die einer schwellenden Frucht, die an der Sonne reift, und welche andre Sonne konnte sie gezeitigt haben als die Sonne der Liebe? Welcher Sterbliche aber konnte dieses stolze Herz besitzen, wenn nicht Graf Contrario? Im Streite seiner Gedanken erbat er sich ein Jahr Bedenkzeit. Waehrend Angela, immer stiller werdend, am Hofe von Ferrara in der demuetigenden Gewissheit lebte, dass der Herzog ihr Dasein als ein Uebel empfand, dessen er sich gern entledigt haette, trat Donna Lukrezia auf die Hoehe ihres Gluecks. Sie hatte Don Alfonso zwei wohlgebildete und begabte Knaben gegeben, und er war ihr dafuer, sie taeglich hoeher haltend, von Herzen dankbar. Fast ebensosehr liebte er die wunderbare Klugheit, mit welcher sie in der denkbar schwierigsten Lage, waehrend des venezianischen Krieges, da der Herzog im Lager und die Fortdauer des Staates Ferrara bedroht war, ohne den Beistand des genialen Kardinals die Regentschaft fuehrte. Nicht dass dieser fuer das Schicksal Ferraras gleichgueltig geworden waere. Er riet und wirkte von Mailand her mit bruederlicher Gesinnung zugunsten des Herzogs, soweit seine Macht reichte. Seine Koerperkraefte aber verzehrten sich darueber, und er litt an haeufigen Rueckfaellen seines verderblichen Fiebers. Donna Lukrezia lenkte indessen auch ohne ihn das Staatsruder nicht nur mit weitester Umsicht, sondern im entscheidenden Augenblick auch mit maennlicher Entschlossenheit. So war es kein Wunder, dass Ferrara und sein Herzog Lukrezia Borgia fast vergoetterten. Aber die kuehle, besonnene Fuerstin fuehrte mit Bescheidenheit ihren Triumphwagen und hoerte den hinter ihr stehenden laesternden Sklaven wohl, der, nach dem Gebrauche des roemischen Triumphes, ihr jegliche Schmach ihrer Vergangenheit ins Ohr raunte und nichts vergass, was sie beschaemen konnte. Da sie nun ihren Ruf vor der Welt gereinigt und wiederhergestellt hatte, war sie auch darauf bedacht, sich den Himmel zu versoehnen. Um so mehr gehorchte sie diesem Antrieb, da sie ihre Kinder mit Schmerzen gebar und oft von einer Ahnung fruehen Todes beschlichen wurde. Sie unternahm auch dieses Werk auf eine ganz sachliche Weise. Gleichwie ihr Vater in ungeheuerlicher 'Naivitaet nie an den Dogmen und Wundern einer Kirche gezweifelt hatte, deren Haupt und Schande er war, hatte sich auch Lukrezia in einer geistig heidnischen Welt niemals von den kirchlichen Formen und Vorstellungen entfernt. Verstaendig wie sie war, taeuschte sie sich nicht ueber die Summe und Schwere ihrer Suenden und dachte bescheiden von ihren Verdiensten, den frommen Uebungen und Almosen, die sie zwar taeglich zu vermehren trachtete, die aber gegenueber der Art und Groesse ihrer Schuld vor ihren klugen und scharfen Augen taeglich wieder zerrannen. Sie war eine Danaide, die unermuedlich Wasser in ein rinnendes Gefaess schoepfte. Nur der Verdammnis zu entgehen hoffte sie und mit Hilfe der kirchlichen Rettungsmittel einen untersten Raum des Fegefeuers zu gewinnen. Einmal dort, so ueberredete sich die Kluge in liebenswuerdiger Torheit, wuerde es ihr durch die Vermittelung der Heiligen gelingen, eine hoehere Stufe zu erreichen. Pater Mamette, den die Herzogin, sooft sie bei den Klarissen wohnte, als einen Sachkundigen in den Angelegenheiten ihrer Seele zu Rate zog, war in der goettlichen Mathematik erfahren, nach welcher die Grossen klein sind und die Armen alles besitzen, und sah wohl, dass sie zu den Reichen gehoerte, die schwerlich ins Himmelreich kommen. Ihr Ursprung schon, im Schosse der Kirche, musste ihm ein Herzeleid sein. Doch nicht hierin, noch in ihrer schauerlichen Jugend, sah er den Felsblock, der ihr die niedrige Pforte der goettlichen Armut verschloss. Wohl aber in ihrer Schlangenklugheit, mit der sie sich selbsttaetig durch alle Spalten emporwand. Doch erkannte er dankbar den Segen, den ihre geschmeidige Lebensweisheit und Staatskunst dem ferraresischen Hause und Staate brachte, und im uebrigen getroestete er sich mitleidig damit, dass bei Gott kein Ding unmoeglich sei. Und wenn sie ihm klagte, sie koenne Gott nicht lieben, sagte er ihr, der Anfang der Werbung gebuehre dem Manne, und sie muesse in Geduld und Almosen ausharren, bis Gottes Liebe um sie freie. Im vertrauten Umgange mit dem Franziskaner liess es sich die Herzogin nicht entgehen, ihn auch ueber Angelas Herz zu beraten. Sie klagte ueber der jungen Base eigenartiges und gegen die Kirche unbotmaessiges Gewissen, das ihr einrede, sie sei der Ursprung und die Verkettung einer Menge von Unheil, das durch keine kirchliche Busse zu suehnen sei. Diese hochmuetige Trauer ueber eine eingebildete oder willkuerlich vergroesserte Schuld sei das Hindernis einer glaenzenden Versorgung, die sie fuer das Maedchen im Auge habe. Es sei die Pflicht Pater Mamettes, dieses uebertriebene Gewissen zur Bescheidenheit zurueckzufuehren und ihr den Verstand des Lebens beizubringen. Des Paters dunkle Augen lachten, als er erwiderte: "Es ist wahr, Erlaucht, das Gewissen Eurer Base ist vorlaut und aufrichtig, wie der erste Schlag der Morgenglocke, der zur Messe ruft. Doch in einem irrt Ihr, sie scheut die kirchliche Busse nicht... ich habe ihr die richtige auferlegt." Und er beurlaubte sich, der Herzogin den Segen erteilend. Lukrezia ergriff in kloesterlicher Demut die Hand des Franziskaners, um sie zu kuessen, streifte dann aber, nachdem sie fluechtig zwischen der Hand und dem Aermel gezaudert, mit dem zarten Munde die eigenen Finger. Im fuenften Lenz der Gefangenschaft Don Giulios suchte die Herzogin zu ungewoehnlicher Zeit die Klosterstille. Sie hatte ein totes Kind geboren und zog sich zu den Klarissen zurueck, um zu trauern ueber das verlorene und zu danken fuer ihr eigenes, gerettetes Leben. Doch nach einer Reihe stiller Tage wurde ihr Aufenthalt unversehens gestoert und abgekuerzt. Die Ereignisse bewegten sich um den "vergessenen" Turm, der bisher in seiner Blaetterwildnis von ihr unbeachtet geblieben war. Eines Tages fehlte die alte Aebtissin im Refektorium bei der Hauptmahlzeit, an welcher die Herzogin mit Angela aus besonderer Guete teilzunehmen pflegte. Sie lag krank. Infolge eines ploetzlichen Schreckens war ihr die Gicht aus den geschwollenen Fuessen in die Brust gestiegen, und sie atmete muehsam. Die Schwestern aber waren verstoert wie eine Schar hirtenloser Schafe. In der Verwirrung vergassen sie sogar die Klosterregel des Schweigens und erzaehlten sich wispernd die unglaublichsten Geschichten, die im Fruehlicht dieses Tages sich im "vergessenen Turme" ereignet und die hochwuerdige Mutter dem Tode nahegebracht haben sollten. Der verlarvte Prinz, der dort seit Jahren sein Wesen treibe, sei in der vergangenen Nacht entfuehrt, andre sagten--erdrosselt worden. Eines sei sicher, der alte Mirabili, der allein in das Verlies sich habe einschleichen koennen, sei vor Sonnenaufgang mit schweren Ketten beladen und mit sterbendem Angesicht am Klostertore voruebergefuehrt worden. Schwester Consolazione habe mit eigenen Augen gesehen, wie der jammernde Greis, mit Eisen belastet, sich kaum habe weiterschleppen koennen. Er habe unter unverstaendlichen Hilferufen die gefesselten Haende nach ihr ausgestreckt. Sie haette blutige Traenen darueber weinen moegen. "Wer ist dieser Vermummte, das Gespenst des 'vergessenen Turmes'?" wandte sich die Herzogin an Angela, indem sie sich mit ihr aus der verwirrten Nonnenschar des Refektoriums in ihre Zelle zurueckzog. "Mirabili? Ist das nicht der Name des alten Lehrers meines Herrn und der Prinzen, seiner Brueder?... Sollte Don Giulio..." Eine schnelle Entdeckung erhellte und beschaemte ihren Geist. "Taucht der Verschollene wieder auf? Und hier? Und sie sagen, dass er schon lange da ist! Wie konnte mir das entgehen und so lange verborgen bleiben!" Ohne sich weiter um die tief erroetete Angela zu kuemmern, schloss sie sich in ihre Zelle ein und schrieb an den Herzog. Sie meldete ihm, der Friede des Klosters sei durch eine Verhaftung gestoert worden. Ein raetselhaftes Begegnis, dessen Erklaerung allein seine Hoheit ihr geben koenne, mache eine Zwiesprache zwischen ihr und ihrem Gemahl wuenschbar und beendige ihren Aufenthalt bei den Klarissen. Er moege sie morgen in der ersten Abendstunde zurueckerwarten. Lukrezia verliess an jenem Abend ihre Zelle nicht mehr. Sie erkundigte sich durch eine Zofe nach dem Befinden der Aebtissin und erfuhr, Donna Angela besuche eben die Kranke, der es besser gehe. Pater Mamette sei angekommen und das Kloster in seine Ruhe zurueckgekehrt. Lukrezia wollte die Klarissen nicht verlassen, ohne den Wolf zu kennen, der die fromme Herde in Aufruhr gebracht hatte. So beschied sie auf eine Fruehstunde des naechsten Tages statt der kranken Aebtissin Pater Mamette, dessen Ankunft ihr gelegen kam, auf ihre Zelle. Sie wollte ihn ueber seine geheime Mitwissenschaft an diesen Dingen, die sie vermutete und die sie ihm verdachte, zur Rede stellen und, wenn es noetig waere, ihn mit den verfaenglichsten Fragen martern. Die Lenznacht war schwuel und mit dem Dufte unzaehliger Blueten beladen. Die Herzogin fand keine Ruhe, sie erhob sich und setzte sich an das geoeffnete Fenster. Der die weiten Gastzellen enthaltende Anbau bildete eine Seite des vergroesserten Klosterhofes und war durch dessen suedlichen, mit dem ueppigen Laube der Feigen und Limonen dichtgefuellten Winkel von dem "vergessenen" Turme getrennt. \XDCber dem Blaetterdache trat die schwere, durch Verfall und Ueberwucherung formlos gewordene Masse des gewaltigen Rundbaues in den Hof hinein. Lukrezia erinnerte sich, frueher zur Nachtzeit eines der kleinen zwei oder drei kaum sichtbaren, auf ungleicher Hoehe in die Mauer gebrochenen Fensterchen schwach erhellt gesehen zu haben. Heute war das Innere des Turmes dunkel. Von aussen aber war er ueberglaenzt von den hohen Sternbildern und an seinem Fusse umschwaermt und umtanzt vom Funkenspiele zahlloser Leuchtkaefer. Stundenlang belauschte die Schlaflose die Stille der Nacht und das Rauschen des Hofbrunnens. Da war es, als knickten die Zweige und rauschten leichte Tritte auf dem Rasen. Es wurde wieder still. Jetzt praeludierte leise eine Laute. Und jetzt vernahm Lukrezias Ohr aus der Tiefe des Turmes und einer maennlichen Brust einen sanft beginnenden und in Sehnsucht anschwellenden Gesang: "Ich glaube, dass im Maienduft der reine Gestirnte Himmel glaenzt, ich kann's nicht schauen! Ein einz'ger Stern darf meinen Himmel zieren... Und, wehe, meinen Stern muss ich verlieren, Dich, treues Weib, die Liebende, die Meine! Mein Leben kehrt zurueck in stummes Grauen! Der Freund war mein Verderben, Ich muss vergehn und sterben, Missguenstig schickt der Bruder mich von dannen, In oede, fremde Kerker mich zu bannen." Lukrezia war nicht im Zweifel, dass sie Don Giulios markige Stimme hoerte; bevor sie aber die Bedeutung dieser in Wohllaut klagenden Worte erfassen konnte, antwortete eine andre Nachtigall aus den Feigenbaeumen empor. Auch diese weiche Altstimme war ihr wohlbekannt. Angela sang: "Getrost! An diesem Tag, der schon im Osten Den Himmel bleicht, geb ich Lukrezien Kunde Von unsrer Treu', zerreissend feige Schleier, Und wir begehen unsre Hochzeitsfeier, Gemeinsam fuerder Lieb' und Leid zu kosten, Und waer' es auch in eines Kerkers Grunde! Willkommen, junge Klarheit! Willkommen, Tag der Wahrheit! Von Haft zu Haft bis in das Reich der Schatten Begleit ich den geliebtesten der Gatten." Nach einer grossen Ueberraschung und einer Aufwallung von Aerger, die ebensosehr ihrer eigenen jahrelangen Unaufmerksamkeit als dem Geschehenen galt, empfand die Herzogin, lebensklug, wie sie war, jene Beruhigung, die in der vollendeten Tatsache liegt. Denn, wie sie die Base kannte, war es fuer sie Gewissheit, dass der Zwiegesang am "vergessenen" Turme ein entschlossenes Opfer Angelas und eine vorangegangene Trauung bedeutete, und sie ahnte auch mit Sicherheit, welcher Priester diesen unwiderruflichen Akt vollzogen habe. "Der gottlose Franziskaner", schalt sie ganz im Ernste, indem sie sich auf ihr Lager zurueckzog, wo sie, ihr leichtes Haupt auf das Kissen legend und ihre Gedanken abwerfend, entschlummerte. Sie schlief in den hellen Morgen hinein, und als sie erwachte, erblickte sie Angela, die mit bittenden Augen an ihrem Lager kniete. Sie aber schloss ihre Lider noch einmal, legte das blonde Haupt auf das Polster zurueck und sprach abwehrend: "Verschone mich mit deiner Bitte, die ich ungesagt kenne... Du willst mich wieder bei den Klarissen zurueckhalten, weil du der geistlichen Uebungen nicht satt wirst, du Fromme! Diesmal kann es nicht sein... ich erwarte die Verfuegung des Herzogs. Und liegt dort nicht schon ein Schreiben Don Alfonsos? Du hast es mir waehrend meines Schlummers gebracht? Gib es mir gleich!" Sie loeste das Siegel und ueberflog die Botschaft mit raschem Blicke. Ihr Gemahl hatte geschrieben: "Geliebte Herzogin! Beruhigt Euch ueber den Vorfall im Kloster. Es handelt sich einfach um eine Torheit des altersschwachen Mirabili. Er verkehrte mit dem Blinden, der, wie Ihr vielleicht nicht wusstet, seit einigen Jahren den 'vergessenen' Turm bewohnte, ihn aber heute verlaesst. Der Alte hatte sich in den Gedanken verbohrt, den Blinden, dem die Verfuehrungskunst geblieben ist, in Freiheit zu setzen. Nachdem er vor zwei Jahren schon ein wunderliches und unehrerbietiges Schreiben an mich gerichtet, hat er vor kurzem, Torheit auf Torheit haeufend, mit einer erbaermlichen Summe den Torwart zu bestechen versucht und nach einem Abdruck in Wachs einen Schluessel des Turmes bei meinem Hofschlosser bestellt. Wenige Stunden spaeter lag Bestechungssumme und Wachsabdruck auf meinem Tische. Ferne sei von mir, ueber meinen weiland Lehrer, der bei gruenen Kraeften mich zu meinem Heile und mit gutem Erfolg gezuechtigt hat, strenges Gericht zu halten! Er sitzt nun bei meinen Benediktinern in Modena, die ihn mit ihren Manuskripten in ihrem festen Hause aufbewahren. Es ist gut, dass Ihr heute kommet. Graf Contrario wird mir von Stunde zu Stunde unleidlicher. Nicht genug, dass er in meiner armen Fayencemalerei ein falsches Kunstprinzip erkennt, ist er mir gestern hinter meine Drehbank geraten und hat mir mit seinen eigensinnigen Fingern eine Hauptschraube verkruemmt. Kommet, bevor er mir alles verdirbt, und bringet das Maedchen mit, dass wir sie heute noch zusammengeben und beide, nebst den flavianischen Guetern, endgueltig loswerden. Inzwischen Euer gnaediger und Euch herzlich liebender Gemahl." Lukrezia las diese Zeilen zwischen Laecheln und Besorgnis. "Grosse", sagte sie--so pflegte sie die hoeher gewachsene Angela scherzend zu nennen--, "reiche mir das Morgengewand und mache mich fertig, dass wir mit lauterm Antlitz und geordneten Gedanken dein Bestes erwaegen, denn, wisse, von deiner Zukunft handelt dieser Brief. Der Herzog wuenscht dich noch heute mit Graf Contrario zu vermaehlen." Als Angela zusammenschrak, laechelte die Herzogin: "Frauenschicksal!... Bist du denn ein Heiligtum, dass du eine redliche Werbung als Beleidigung empfindest, nicht anders, als schaende dein Freier einen geweihten, oder betrete wenigstens einen fremden, verbotenen Boden? Ich habe dich aus Rom nach Ferrara mitgenommen, um dir in dieser gewalttaetigen Zeit durch eine ehrenvolle Heirat eine feste und hohe Stellung zu geben, und der Graf, den wir fuer dich erwaehlt haben, bietet dir, bei einigen unangenehmen Eigenschaften, alle diese bedeutenden Vorteile. Dazu ist er ein vollkommener Edelmann." "Edelmann?" spottete Angela, "und er wuerde mich heimfuehren ohne Liebe? Als Anhaengsel der flavianischen Gueter?" "Was forderst du denn?" antwortete Lukrezia erbittert: "Willst du es anders haben, als wir alle? Was ist Maennerliebe? Reiz, List, Begier, Gewalttat, Hass, Ekel!... Ich habe nie einen Mann geliebt!" So bekannte Lukrezia Borgia. Angela schwieg. Sie wusste es anders und besser. Dann sagte sie einfach: "Aber die Liebe, die aus Reue und Mitleid stammt?" "Das ist die himmlische", meinte Lukrezia, "ganz nach dem Katechismus!" "Himmlisch oder irdisch!" bekannte Angela, "aus dieser Liebe bin ich das Weib Don Giulios geworden." Die Herzogin stellte sich erstaunter und erzuernter, als sie war: "So konntest du dich gegen mich und den Herzog vergehen, du Arge! Du stuerzest dich in die Schmach und das Dunkel, statt, wie es jedem edeln Weibe geziemt und angeboren ist, hoch und hoeher zu streben und durch verborgene Klugheit das Leben zu beherrschen! Du aber, Niedrige, suchst den Kerker eines Blinden und Verurteilten." "Wie ich mich so erniedrigen konnte, will ich dir erzaehlen, Lukrezia", sagte Angela stolz und demuetig. "Am Abend, da Strozzi ermordet wurde, und ich zu dir ins Kloster floh, sah ich, wie Don Giulio in den 'vergessenen' Turm gebracht wurde, und schon damals hafteten meine Blicke an den erbarmungslosen Mauern und trugen mich meine Fuesse unter das im Gruen verborgene Gitterfenster. Schon damals haette ich gerne zu ihm geredet, aber die Stimme versagte mir. Im Herbste dann, zur Adventszeit, erreichte sie ihn. Der Nordwind hatte einen Haufen welken Laubes ergriffen, wirbelte es empor und jagte es durch das Kerkerfenster zu dem Este hinein, so dass die morschen BIaetter ihn raschelnd ueberschuetteten und, wenn er danach tastete, in seinen Haenden zerbrechen mussten. Da erschien es mir unendlich grausam, dass die Natur dem Elenden ihren Tod ueber das Haupt streute. Ich erhob meine Stimme und rief: 'Don Giulio, Euer Unglueck ist da! Es folgt Euch in Liebe.' Er aber erkannte meine Stimme und antwortete: 'Sei mir willkommen!...' Damals und spaeter, sooft ich mich ihm naehern konnte, erklaerte er mir sein Inneres folgendermassen: 'Als du mich einst in Pratello aufstoertest' sagte ich dir, du koenntest Vergangenes nicht aendern und meine Augen nicht wiederschaffen; aber jetzt sind mir geistige aufgegangen. Ich sehe' --er laechelte--'ich sehe mit ihnen, dass, wenn mich dein zufaelliges Wort geblendet hat, es zu meinem Heile geschah; zwar auf eine schmerzliche und gewaltsame Weise, wie eine Mutter ihr schreiendes Kind einem Raeuber aus den Armen reisst! Denn ich waere in dumpfer Lust zugrunde gegangen, waehrend ich jetzt mit hellen Sinnen lebe, wenn auch als ein Verminderter, da mir das edle Augenlicht genommen ist und ich beschraenkt bin auf ein dunkles Tagewerk. Nur sehne ich mich freilich nach der Waldluft und dem Erdgeruch meines Pratello und auch nach den Hunderten, die es bebauen und denen ich gerne ein guter und gerechter Vater waere.'" Und Angela begann mit ueberschwenglichen Worten Don Giulios neues Wesen zu preisen und auch, ihr Glueck... Doch das Unaussprechliche liess sich nicht sagen, und sie schloss damit, Lukrezia zu umhalsen und bis zum Ersticken zu kuessen. Waehrend sich diese der Umarmung zu entziehen suchte, trat Pater Mamette mit schuldlosem und hellem Angesicht ein. Die Herzogin aber wandte sich entruestet gegen ihn. "Ruchloser Moench!" redete sie ihn an, "wie durftest du es wagen, deinen Herzog mit so frechem Eingriff in seine vormundschaftliche Macht ueber diese hier zu beleidigen?" "Ihr meint, erlauchte Frau, damit, dass ich Don Giulio d'Este mit Donna Angela Borgia getraut habe?" sagte er bescheiden. "Ich tat es im Dienst einer hoeheren Gewalt als der des Herzogs. Es handelte sich um das Leben Don Giulios und um den Frieden dieses Herzens"--er blickte auf Donna Angela. "Im Grunde des 'vergessenen' Turmes liegt eine enge Kapelle, die zum Dienste der Gefangenen bestimmt ist und durch ein hochgelegenes, schmales, mit schweren Eisenstaeben vergittertes Fenster kaum erhellt wird. Dorthin fuehre ich allsonntaeglich Don Giulio und lese fuer ihn die Messe. Da erhob ich einmal vor Jahren waehrend der heiligen Gebraeuche den Blick zum Fenster, wo sich etwas, wie die Schwinge eines Vogels, geregt hatte. Zwischen dem gruenen Blattwerk sah ich braunes Kraushaar und zwei andaechtig leuchtende Augen. Es konnte ein Engel sein, welcher der heiligen Messe beiwohnte... er stoerte mich nicht. Als ich dann den Kerker verliess, begegnete mir in der Klosterkirche Donna Angela, deren Beichte ich hoeren sollte. Ich erschrak bei ihrem Anblick; denn ihre Stirne trug in tiefen blutroten Striemen das 'Zeichen des Kreuzes. Was konnte es anders sein als der Eindruck des Fenstergitters der Turmkapelle? Ich erriet, dass die Jugendliche, das verschlungene Geaest der Feigenbaeume benuetzend, im Laubdunkel verborgen, die Stirn auf die harten Eisenstaebe gestuetzt hatte, um in die Kapelle hinunterzublicken. In ihrer Beichte quoll ihr Elend empor. Tiefer und blutiger, als es auf ihrer Stirne stand, hatte sich das Gefaengnis Don Giulios in ihr Herz eingeschnitten. Die ganze Schuld an der Blendung des Este und nicht minder die Schuld seines Hochverrats lag auf ihrem Gewissen. Sie war die Ursache seines Kerkers. Sehnsuechtig verlangte sie nach einer Suehne, die unmoeglich war, und nach einer Busse, welche die Hoehe ihrer Schuld niemals erreichen konnte. Seine Augen konnte sie nicht neu schaffen, und ihr Verlangen, wenigstens, mit ihm verurteilt, sein Kerkerdunkel zu teilen, konnte ihr die irdische Gerechtigkeit nicht gewaehren. Aus diesem Inhalt ihres Herzens erkannte ich ihre grosse Liebe zu Don Giulio: Denn Liebe schlaegt gering an, was sie gibt, hoch, was sie verschuldet, und bedarf einer grossen Vergebung. Was aber das Recht nicht verleihen kann, das gewaehrt die Barmherzigkeit der Kirche. So musste und durfte ich unwuerdiger Priester durch das Sakrament der Ehe die beiden in eine Schuld und in eine Busse vermaehlen. Das Staatsgesetz uebertraten sie bei der Trauung in keiner Weise. Der Gefangene verliess den Turm nicht, er stand in der Kapelle, und Donna Angela stuetzte wieder ihre Stirne an das Gitterkreuz, durch welches die von mir gesegneten Ringe gewechselt wurden..." "Solche Ehe ist verwerflich und ungueltig", behauptete die Herzogin empoert. "So blieb es", fuhr der Franziskaner ruhig fort, "bis Don Giulio nach dem ungluecklichen Briefe Mirabilis von einem verderblichen Fieber aufs Lager gestreckt wurde. Wie war es moeglich, die Eines Gewordenen im Sterben zu trennen!... Er genas unter Donna Angelas Pflege. Die Ehe blieb verborgen, da Angela damals laenger als sonst und allein bei den Klarissen blieb, waehrend Eure Erlaucht zur Zeit des venezianischen Krieges in Abwesenheit des Herzogs vom Morgen bis zum Abend dem Wohle des Staates lebte. Die Stunde der Entdeckung stellte ich, wie unser ganzes Los, in Gottes Hand." "Das Eurige koennte leicht ein schlimmes werden, ehrwuerdiger Vater, wenn ich mich nicht herablasse, bei Don Alfonso fuer Euch einzutreten und fuerzusprechen!" sagte Donna Lukrezia mit einem Zuge der Verachtung um den feinen Mund. "Tut, was Ihr duerft!" erwiderte der Franziskaner und beurlaubte sich. Als am Abend in der Daemmerung die Saenfte der scheidenden Herzogin, aus dem Kreise der Nonnen fortgehoben, ins Freie trat, erschien vor dem Tore des "vergessenen" Turmes der Pater noch einmal. Mit erbleichtem Angesicht hielt er die Traeger auf und fluesterte der Herzogin zu: "Der Gefangene ist verschwunden. Ich weiss, dass der Hauptmann der herzoglichen Leibwache verlarvt bei ihm erschien und ihn unter einer dunkeln Maske weggefuehrt hat. Tretet fuer ihn ein, Madonna, wie Ihr es mir verhiesset!" Als die beiden Frauen den erleuchteten Festsaal der Burg betraten, fanden sie dort Don Alfonso, der, die Herzogin erwartend, auf und nieder schritt und sich zuweilen mit einem Blick und einem Rat an der Schachpartie beteiligte, welche ein grauer Hoefling mit langer ehrwuerdiger Nase gegen den Grafen Contrario spielte. "Schach und matt!" kraehte der Graf triumphierend und trat, waehrend sein Gegenpart vernichtet auf das verlorene Spiel starrte, den Frauen ritterlich entgegen. Aber schon hatte der Herzog Donna Lukrezia zu einem entfernten Ruhesitz gefuehrt und begann, nachdem er sie kurz begruesst hatte, ihr ein Schreiben mitzuteilen. Es kam aus Mailand. Der Kardinal Ippolito hatte es mit zitternder Hand geschrieben, und es lautete: "Geliebtester Bruder, ich bereite mich zum Sterben. Ein inneres Geschwuer toetet mich. Ich leide unertraeglich. Mich quaelt der Gedanke: Vielleicht koennte ich leichter scheiden, wenn Don Giulio, mit dem ich mich oft beschaeftige, seinen Kerker verliesse. Erweise mir diesen letzten Dienst und lebe wohl." "Du begreifst", sagte der Herzog, "dass ich sofort willfahrte. Aber wohin nun mit dem Blinden? Gib mir deinen Rat, Lukrezia, was ich mit ihm anfange. Er wird sogleich hier erscheinen. Ich habe Befehl gegeben, mir ihn vorzufuehren." "Das Schicksal hat sich seiner angenommen", sagte sie. "Erstaune! Seit zwei Jahren ist er vermaehlt. Zur Schande meiner Klugheit sei es eingestanden, mit meiner aus der Art geschlagenen Base, die im Schatten unseres Kloesterchens den 'vergessenen' Turm besuchte. Strafe gehoert ihr. Wir grenzen die beiden im Gebiete von Pratello ein und geben ihm Angela zur Hueterin." Ein wunderliches Gemisch von Entruestung und Befriedigung erschien auf den Zuegen des Herzogs. "Doch was fangen wir mit diesem an?" sagte er hoehnend und deutete auf die Mitte des Saals, wo der Graf in laengerer und sorgfaeltig begruendeter Rede um die Hand der verstummten Angela warb. Jetzt aber oeffnete sich die Tuer, und der Blinde erschien auf der Schwelle. "Vergebt, Herr--da ist mein Gemahl!" rief Angela selig und eilte zu ihm. Don Giulio trat ein mit einer leichten Binde ueber den Augen, aber mit sicheren maennlichen Schritten, von Angela unmerklich an der Hand gefuehrt. Er erreichte den Herzog, bog das Knie, fasste seine Hand und sprach: "Bruder, ich habe mich schwer an dir vergangen, da ich dir..." vielleicht wollte er sagen "nach dem Leben stand"--aber der Bruder liess den Bruder nicht ausreden, sondern hob ihn zu seinem Munde empor, und die Maenner kuessten sich und ueberschwemmten sich mit Traenen. Der Herzog fasste sich bald. "Mein Wort bleibt!" sagte er. "Du bist mein Gefangener im Umkreis deines weiten Pratello, und diese setze ich dir zur Hueterin." "Er wird Euer Gebot nicht uebertreten", sagte Angela. "Weder dort noch anderswo; denn seinen dunkeln Kerker kann er niemals verlassen. Er traegt ihn ueberall mit sich." "Nicht wahr, Bruder", bat Don Giulio, "du toetest mir meinen alten Mirabili nicht?" "Was denkst du von mir, Julius? Ich sollte einen Mann toeten, der uns die stoische Weisheit gelehrt hat!... Er sitzt wie im Paradiese bei unsern gelehrten Benediktinern in Modena!" Graf Contrario hatte Muehe, an das zu glauben, was er vor sich sah. Er empfand nur den dunkeln Trieb, dem leidensvollen Paare etwas Unangenehmes zu sagen. So warf er noch zwei Steine, die sich aber in Rosen verwandelten. Er wandte sich zuerst an den Blinden. "Ich wuensche Glueck, Prinz!" sagte er. "Aber erlaubt mir den Mut meiner Meinung. Ich denke, ein wahrer Edelmann, ein ganz vollendeter Edelmann haette sich wohl gefragt, ob es zart gehandelt sei, wenn ein Blinder eine Sehende an sich fesselt und sie mit verliebten Armen selbstsuechtig in sein Grab niederzieht. Blieb Euch das verborgen oder von Euch unerwogen?" "Graf!" antwortete Don Giulio gluecklich, "sie nahm mir die Augen und gibt mir dafuer die ihrigen. Sie gibt gern, und ich nehme gern. Sie ist selig im Geben und ich im Nehmen." Angela aber jubelte im Uebermass der Liebe: "Deine schoenen blauen Augen werden wieder erstrahlen, mein Geliebter:... Du schicktest mich einst fort aus Pratello, weil ich sie nicht neu schaffen koenne. Deine Augen werden heller und juenger leuchten als zuvor... aus dem Angesichte deiner Kinder, wenn sie mir Gott gibt!" Sie erschrak ueber ihre Kuehnheit und wurde Glut. Darauf warf der Graf seinen zweiten Stein. "Madonna", tadelte er, "es gibt Dinge, die eine gebildete Dame kaum zu denken wagt, geschweige, dass sie solche ausspricht!" Angela antwortete mit festlichen Augen--schade, dass der Blinde nicht hineinblicken konnte!--: "Was wollet Ihr, Graf? Ich bin eine Borgia und bleibe eine Borgia, da muesset Ihr mir schon etwas zugute halten." Es entstand eine Pause. Graf Contrario aber wandte sich mit edelm Entschlusse an die Herzogin. "Erlauchte Frau", sagte er, "ich willige in die von Euch vorgeschlagene Teilung der flavianischen Gueter." *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ANGELA BORGIA *** This file should be named 7ngbr10.txt or 7ngbr10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7ngbr11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7ngbr10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! 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