The Project Gutenberg EBook of Die Leute von Seldwyla, Vol. 1, by Gottfried Keller Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Ein Maerchen EINLEITUNG Seldwyla bedeutet nach der aelteren Sprache einen wonnigen und sonnigen Ort, und so ist auch in der Tat die kleine Stadt dieses Namens gelegen irgendwo in der Schweiz. Sie steckt noch in den gleichen alten Ringmauern und Tuermen, wie vor dreihundert Jahren, und ist also immer das gleiche Nest; die urspruengliche tiefe Absicht dieser Anlage wird durch den Umstand erhaertet, dass die Gruender der Stadt dieselbe eine gute halbe Stunde von einem schiffbaren Flusse angepflanzt, zum deutlichen Zeichen, dass nichts daraus werden solle. Aber schoen ist sie gelegen mitten in gruenen Bergen, die nach der Mittagseite zu offen sind, so dass wohl die Sonne herein kann, aber kein rauhes Lueftchen. Deswegen gedeiht auch ein ziemlich guter Wein rings um die alte Stadtmauer, waehrend hoeher hinauf an den Bergen unabsehbare Waldungen sich hinziehen, welche das Vermoegen der Stadt ausmachen; denn dies ist das Wahrzeichen und sonderbare Schicksal derselben, dass die Gemeinde reich ist und die Buergerschaft arm, und zwar so, dass kein Mensch zu Seldwyla etwas hat und niemand weiss, wovon sie seit Jahrhunderten eigentlich leben. Und sie leben sehr lustig und guter Dinge, halten die Gemuetlichkeit fuer ihre besondere Kunst und, wenn sie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz brennt, so kritisieren sie zuerst die dortige Gemuetlichkeit und meinen, ihnen tue es doch niemand zuvor in dieser Hantierung. Der Kern und der Glanz des Volkes besteht aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis fuenf-, sechsunddreissig Jahren, und diese sind es, welche den Ton angeben, die Stange halten und die Herrlichkeit von Seldwyla darstellen. Denn waehrend dieses Alters ueben sie das Geschaeft, das Handwerk, den Vorteil oder was sie sonst gelernt haben, d. h. sie lassen, solange es geht, fremde Leute fuer sich arbeiten und benutzen ihre Profession zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres, der eben die Grundlage der Macht, Herrlichkeit und Gemuetlichkeit der Herren von Seldwyla bildet und mit einer ausgezeichneten Gegenseitigkeit und Verstaendnisinnigkeit gewahrt wird; aber wohlgemerkt, nur unter dieser Aristokratie der Jugend. Denn sowie einer die Grenze der besagten bluehenden Jahre erreicht, wo die Maenner anderer Staedtlein etwa anfangen, erst recht in sich zu gehen und zu erstarken, so ist er in Seldwyla fertig; er muss fallen lassen und haelt sich, wenn er ein ganz gewoehnlicher Seldwyler ist, ferner am Orte auf, als ein Entkraefteter und aus dem Paradies des Kredites Verstossener, oder wenn noch etwas in ihm steckt, das noch nicht verbraucht ist, so geht er in fremde Kriegsdienste und lernt dort fuer einen fremden Tyrannen, was er fuer sich selbst zu ueben verschmaeht hat, sich einzuknoepfen und steif aufrechtzuhalten. Diese kehren als tuechtige Kriegsmaenner nach einer Reihe von Jahren zurueck und gehoeren dann zu den besten Exerziermeistern der Schweiz, welche die junge Mannschaft zu erziehen wissen, dass es eine Lust ist. Andere ziehen noch anderwaerts auf Abenteuer aus gegen das vierzigste Jahr hin, und in den verschiedensten Weltteilen kann man Seldwyler treffen, die sich alle dadurch auszeichnen, dass sie sehr geschickt Fische zu essen verstehen, in Australien, in Kalifornien, in Texas, wie in Paris oder Konstantinopel. Was aber zurueckbleibt und am Orte alt wird, das lernt dann nachtraeglich arbeiten, und zwar jene krabbelige Arbeit von tausend kleinen Dingen, die man eigentlich nicht gelernt, fuer den taeglichen Kreuzer, und die alternden verarmten Seldwyler mit ihren Weibern und Kindern sind die emsigsten Leutchen von der Welt, nachdem sie das erlernte Handwerk aufgegeben, und es ist ruehrend anzusehen, wie taetig sie dahinter her sind, sich die Mittelchen zu einem guten Stueckchen Fleisch von ehedem zu erwerben. Holz haben alle Buerger die Fuelle und die Gemeinde verkauft jaehrlich noch einen guten Teil, woraus die grosse Armut unterstuetzt und genaehrt wird, und so steht das alte Staedtchen in unveraenderlichem Kreislauf der Dinge bis heute. Aber immer sind sie im ganzen zufrieden und munter, und wenn je ein Schatten ihre Seele truebt, wenn etwa eine allzu hartnaeckige Geldklemme ueber der Stadt weilt, so vertreiben sie sich die Zeit und ermuntern sich durch ihre grosse politische Beweglichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der Seldwyler ist. Sie sind naemlich leidenschaftliche Parteileute, Verfassungsrevisoren und Antragsteller, und wenn sie eine recht verrueckte Motion ausgeheckt haben und durch ihr Grossratsmitglied stellen lassen, oder wenn der Ruf nach Verfassungsaenderung in Seldwyla ausgeht, so weiss man im Lande, dass im Augenblicke dort kein Geld zirkuliert. Dabei lieben sie die Abwechselung der Meinungen und Grundsaetze und sind stets den Tag darauf, nachdem eine Regierung gewaehlt ist, in der Opposition gegen dieselbe. Ist es ein radikales Regiment, so scharen sie sich, um es zu aergern, um den konservativen froemmlichen Stadtpfarrer, den sie noch gestern gehaenselt, und machen ihm den Hof, indem sie sich mit verstellter Begeisterung in seine Kirche draengen, seine Predigten preisen und mit grossem Geraeusch seine gedruckten Traktaetchen und Berichte der Baseler Missionsgesellschaft umherbieten, natuerlich ohne ihm einen Pfennig beizusteuern. Ist aber ein Regiment am Ruder, welches nur halbwegs konservativ aussieht, stracks draengen sie sich um die Schullehrer der Stadt und der Pfarrer hat genug an den Glaser zu zahlen fuer eingeworfene Scheiben. Besteht hingegen die Regierung aus liberalen Juristen, die viel auf die Form halten, und aus haecklichen Geldmaennern, so laufen sie flugs dem naechstwohnenden Sozialisten zu und aergern die Regierung, indem sie denselben in den Rat waehlen mit dem Feldgeschrei: Es sei nun genug des politischen Formenwesens und die materiellen Interessen seien es, welche allein das Volk noch kuemmern koennten. Heute wollen sie das Veto haben und sogar die unmittelbarste Selbstregierung mit permanenter Volksversammlung, wozu freilich die Seldwyler am meisten Zeit haetten, morgen stellen sie sich uebermuedet und blasiert in oeffentlichen Dingen und lassen ein halbes Dutzend alte Stillstaender, die vor dreissig Jahren falliert und sich seither stillschweigend rehabilitiert haben, die Wahlen besorgen; alsdann sehen sie behaglich hinter den Wirtshausfenstern hervor die Stillstaender in die Kirche schleichen und lachen sich in die Faust, wie jener Knabe, welcher sagte: Es geschieht meinem Vater schon recht, wenn ich mir die Haende verfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe! Gestern schwaermten sie allein fuer das eidgenoessische Bundesleben und waren hoechlich empoert, dass man Anno achtundvierzig nicht gaenzliche Einheit hergestellt habe; heute sind sie ganz versessen auf die Kantonalsouveraenitaet und haben nicht mehr in den Nationalrat gewaehlt. Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Motionen der Landesmehrheit stoerend und unbequem wird, so schickt ihnen die Regierung gewoehnlich als Beruhigungsmittel eine Untersuchungskommission auf den Hals, welche die Verwaltung des Seldwyler Gemeindegutes regulieren soll; dann haben sie vollauf mit sich selbst zu tun und die Gefahr ist abgeleitet. Alles dies macht ihnen grossen Spass, der nur ueberboten wird, wenn sie allherbstlich ihren jungen Wein trinken, den gaerenden Most, den sie Sauser nennen; wenn er gut ist, so ist man des Lebens nicht sicher unter ihnen, und sie machen einen Hoellenlaerm; die ganze Stadt duftet nach jungem Wein und die Seldwyler taugen dann auch gar nichts. Je weniger aber ein Seldwyler zu Hause was taugt, um so besser haelt er sich sonderbarerweise, wenn er ausrueckt, und ob sie einzeln oder in Kompanie ausziehen, wie z.B. in frueheren Kriegen, so haben sie sich doch immer gut gehalten. Auch als Spekulant und Geschaeftsmann hat schon mancher sich ruestig umgetan, wenn er nur erst aus dem warmen sonnigen Tale herauskam, wo er nicht gedieh. In einer so lustigen und seltsamen Stadt kann es an allerhand seltsamen Geschichten und Lebenslaeufen nicht fehlen, da Muessiggang aller Laster Anfang ist. Doch nicht solche Geschichten, wie sie in dem beschriebenen Charakter von Seldwyla liegen, will ich eigentlich in diesem Buechlein erzaehlen, sondern einige sonderbare Abfaellsel, die so zwischendurch passierten, gewissermassen ausnahmsweise, und doch auch gerade nur zu Seldwyla vor sich gehen konnten. * * * * * PANKRAZ, DER SCHMOLLER Auf einem stillen Seitenplaetzchen, nahe an der Stadtmauer, lebte die Witwe eines Seldwylers, der schon lange fertig geworden und unter dem Boden lag. Dieser war keiner von den schlimmsten gewesen, vielmehr fuehlte er eine so starke Sehnsucht, ein ordentlicher und fester Mann zu sein, dass ihn der herrschende Ton, dem er als junger Mensch nicht entgehen konnte, angriff; und als seine Glanzzeit voruebergegangen und er der Sitte gemaess abtreten musste von dem Schauplatz der Taten, da erschien ihm alles wie ein wuester Traum und wie ein Betrug um das Leben, und er bekam davon die Auszehrung und starb unverweilt. Er hinterliess seiner Witwe ein kleines baufaelliges Haeuschen, einen Kartoffelacker vor dem Tore und zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Mit dem Spinnrocken verdiente sie Milch und Butter, um die Kartoffeln zu kochen, die sie pflanzte, und ein kleiner Witwengehalt, den der Armenpfleger jaehrlich auszahlte, nachdem er ihn jedesmal einige Wochen ueber den Termin hinaus in seinem Geschaefte benutzt, reichte gerade zu dem Kleiderbedarf und einigen anderen kleinen Ausgaben hin. Dieses Geld wurde immer mit Schmerzen erwartet, indem die aermlichen Gewaender der Kinder gerade um jene verlaengerten Wochen zu frueh gaenzlich schadhaft waren und der Buttertopf ueberall seinen Grund durchblicken liess. Dieses Durchblicken des gruenen Topfbodens war eine so regelmaessige jaehrliche Erscheinung, wie irgendeine am Himmel, und verwandelte ebenso regelmaessig eine Zeitlang die kuehle, kuemmerlich-stille Zufriedenheit der Familie in eine wirkliche Unzufriedenheit. Die Kinder plagten die Mutter um besseres und reichlicheres Essen; denn sie hielten sie in ihrem Unverstande fuer maechtig genug dazu, weil sie ihr ein und alles, ihr einziger Schutz und ihre einzige Oberbehoerde war. Die Mutter war unzufrieden, dass die Kinder nicht entweder mehr Verstand, oder mehr zu essen, oder beides zusammen erhielten. Besagte Kinder aber zeigten verschiedene Eigenschaften. Der Sohn war ein unansehnlicher Knabe von vierzehn Jahren, mit grauen Augen und ernsthaften Gesichtszuegen, welcher des Morgens lang im Bette lag, dann ein wenig in einem zerrissenen Geschichts- und Geographiebuche las, und alle Abend, Sommers wie Winters, auf den Berg lief, um dem Sonnenuntergang beizuwohnen, welches die einzige glaenzende und pomphafte Begebenheit war, welche sich fuer ihn zutrug. Sie schien fuer ihn etwa das zu sein, was fuer die Kaufleute der Mittag auf der Boerse; wenigstens kam er mit ebenso abwechselnder Stimmung von diesem Vorgang zurueck, und wenn es recht rotes und gelbes Gewoelk gegeben, welches gleich grossen Schlachtheeren in Blut und Feuer gestanden und majestaetisch manoevriert hatte, so war er eigentlich vergnuegt zu nennen. Dann und wann, jedoch nur selten, beschrieb er ein Blatt Papier mit seltsamen Listen und Zahlen, welches er dann zu einem kleinen Buendel legte, das durch ein Endchen alte Goldtresse zusammengehalten wurde. In diesem Buendelchen stak hauptsaechlich ein kleines Heft, aus einem zusammengefalteten Bogen Goldpapier gefertigt, dessen weisse Rueckseiten mit allerlei Linien, Figuren und aufgereihten Punkten, dazwischen Rauchwolken und fliegende Bomben, gefuellt und beschrieben waren. Dies Buechlein betrachtete er oft mit grosser Befriedigung und brachte neue Zeichnungen darin an, meistens um die Zeit, wenn das Kartoffelfeld in voller Bluete stand. Er lag dann im bluehenden Kraut unter dem blauen Himmel, und wenn er eine weisse beschriebene Seite betrachtet hatte, so schaute er dreimal so lange in das gegenueberstehende glaenzende Goldblatt, in welchem sich die Sonne brach. Im uebrigen war es ein eigensinniger und zum Schmollen geneigter Junge, welcher nie lachte und auf Gottes lieber Welt nichts tat oder lernte. Seine Schwester war zwoelf Jahre alt und ein bildschoenes Kind mit langem und dickem braunen Haar, grossen braunen Augen und der allerweissesten Hautfarbe. Dies Maedchen war sanft und still, liess sich vieles gefallen und murrte weit seltener als sein Bruder. Es besass eine helle Stimme und sang gleich einer Nachtigall; doch obgleich es mit alle diesem freundlicher und lieblicher war, als der Knabe, so gab die Mutter doch diesem scheinbar den Vorzug und beguenstigte ihn in seinem Wesen, weil sie Erbarmen mit ihm hatte, da er nichts lernen und es ihm wahrscheinlicherweise einmal recht schlecht ergehen konnte, waehrend nach ihrer Ansicht das Maedchen nicht viel brauchte und schon deshalb unterkommen wuerde. Dieses musste daher unaufhoerlich spinnen, damit das Soehnlein desto mehr zu essen bekaeme und recht mit Musse sein einstiges Unheil erwarten koenne. Der Junge nahm dies ohne weiteres an und gebaerdete sich wie ein kleiner Indianer, der die Weiber arbeiten laesst, und auch seine Schwester empfand hiervon keinen Verdruss und glaubte, das muesse so sein. Die einzige Entschaedigung und Rache nahm sie sich durch eine allerdings arge Unzukoemmlichkeit, welche sie sich beim Essen mit List oder Gewalt immer wieder erlaubte. Die Mutter kochte naemlich jeden Mittag einen dicken Kartoffelbrei, ueber welchen sie eine fette Milch oder eine Bruehe von schoener brauner Butter goss. Diesen Kartoffelbrei assen sie alle zusammen aus der Schuessel mit ihren Blechloeffeln, indem jeder vor sich eine Vertiefung in das feste Kartoffelgebirge heineingrub. Das Soehnlein, welches bei aller Seltsamkeit in Essangelegenheiten einen strengen Sinn fuer militaerische Regelmaessigkeit beurkundete und streng daraufhielt, dass jeder nicht mehr noch weniger nahm, als was ihm zukomme, sah stets darauf, dass die Milch oder die gelbe Butter, welche am Rande der Schuessel umherfloss, gleichmaessig in die abgeteilten Gruben laufe; das Schwesterchen hingegen, welches viel harmloser war, suchte, sobald ihre Quellen versiegt waren, durch allerhand kuenstliche Stollen und Abzugsgraeben die wohlschmeckenden Baechlein auf ihre Seite zu leiten, und wie sehr sich auch der Bruder dem widersetzte und ebenso kuenstliche Daemme aufbaute und ueberall verstopfte, wo sich ein verdaechtiges Loch zeigen wollte, so wusste sie doch immer wieder eine geheime Ader des Breies zu eroeffnen oder langte kurzweg in offenem Friedensbruch mit ihrem Loeffel und mit lachenden Augen in des Bruders gefuellte Grube. Alsdann warf er den Loeffel weg, lamentierte und schmollte, bis die gute Mutter die Schuessel zur Seite neigte und ihre eigene Bruehe voll in das Labyrinth der Kanaele und Daemme ihrer Kinder stroemen liess. So lebte die kleine Familie einen Tag wie den andern, und indem dies immer so blieb, waehrend doch die Kinder sich auswuchsen, ohne dass sich eine guenstige Gelegenheit zeigte, die Welt zu erfassen und irgend etwas zu werden, fuehlten sich alle immer unbehaglicher und kuemmerlicher in ihrem Zusammensein. Pankraz, der Sohn, tat und lernte fortwaehrend nichts, als eine sehr ausgebildete und kuenstliche Art zu schmollen, mit welcher er seine Mutter, seine Schwester und sich selbst quaelte. Es ward dies eine ordentliche und interessante Beschaeftigung fuer ihn, bei welcher er die muessigen Seelenkraefte fleissig uebte im Erfinden von hundert kleinen haeuslichen Trauerspielen, die er veranlasste und in welchen er behende und meisterlich den steten Unrechtleider zu spielen wusste. Estherchen, die Schwester, wurde dadurch zu reichlichem Weinen gebracht, durch welches aber die Sonne ihrer Heiterkeit schnell wieder hervorstrahlte. Diese Oberflaechlichkeit aergerte und kraenkte dann den Pankraz so, dass er immer laengere Zeitraeume hindurch schmollte und aus selbstgeschaffenem Aerger selbst heimlich weinte. Doch nahm er bei dieser Lebensart merklich zu an Gesundheit und Kraeften, und als er diese in seinen Gliedern anwachsen fuehlte, erweiterte er seinen Wirkungskreis und strich mit einer tuechtigen Baumwurzel oder einem Besenstiel in der Hand durch Feld und Wald, um zu sehen, wie er irgendwo ein tuechtiges Unrecht auftreiben und erleiden koenne. Sobald sich ein solches zur Not dargestellt und entwickelt, pruegelte er unverweilt seine Widersacher auf das jaemmerlichste durch, und er erwarb sich und bewies in dieser seltsamen Taetigkeit eine solche Gewandtheit, Energie und feine Taktik, sowohl im Ausspueren und Aufbringen des Feindes, als im Kampfe, dass er sowohl einzelne ihm an Staerke weit ueberlegene Juenglinge als ganze Trupps derselben entweder besiegte, oder wenigstens einen ungestraften Rueckzug ausfuehrte. War er von einem solchen wohlgelungenen Abenteuer zurueckgekommen, so schmeckte ihm das Essen doppelt gut und die Seinigen erfreuten sich dann einer heitern Stimmung. Eines Tages aber war es ihm doch begegnet, dass er, statt welche auszuteilen, betraechtliche Schlaege selbst geerntet hatte, und als er voll Scham, Verdruss und Wut nach Hause kam, hatte Estherchen, welche den ganzen Tag gesponnen, dem Gelueste nicht widerstehen koennen und sich noch einmal ueber das fuer Pankraz aufgehobene Essen hergemacht und davon einen Teil gegessen, und zwar, wie es ihm vorkam, den besten. Traurig und wehmuetig, mit kaum verhaltenen Traenen in den Augen, besah er das unansehnliche, kaltgewordene Restchen, waehrend die schlimme Schwester, welche schon wieder am Spinnraedchen sass, unmaessig lachte. Das war zu viel und nun musste etwas Gruendliches geschehen. Ohne zu essen, ging Pankraz hungrig in seine Kammer, und als ihn am Morgen seine Mutter wecken wollte, dass er doch zum Fruehstueck kaeme, war er verschwunden und nirgends zu finden. Der Tag verging, ohne dass er kam, und ebenso der zweite und dritte Tag. Die Mutter und Estherchen gerieten in grosse Angst und Not; sie sahen wohl, dass er vorsaetzlich davongegangen, indem er seine Habseligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klagten unaufhoerlich, wenn alle Bemuehungen fruchtlos blieben, eine Spur von ihm zu entdecken, und als nach Verlauf eines halben Jahres Pankrazius verschwunden war und blieb, ergaben sie sich mit trauriger Seele in ihr Schicksal, das ihnen nun doppelt einsam und arm erschien. Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht weiss, wo diejenigen, die man liebt, jetzt stehn und gehn, wenn eine solche Stille darueber durch die Welt herrscht, hab allnirgends auch nur der leiseste Hauch von ihrem Namen ergeht, und man weiss doch, sie sind da und atmen irgendwo. So erging es der Mutter und dem Estherlein fuenf Jahre, zehn Jahre und fuenfzehn Jahre, einen Tag wie den andern, und sie wussten nicht, ob ihr Pankrazius tot oder lebendig sei. Das war ein langes und gruendliches Schmollen, und Estherchen, welches eine schoene Jungfrau geworden, wurde darueber zu einer huebschen und feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kindestreue bei der alternden Mutter blieb, sondern ebensowohl aus Neugierde, um ja in dem Augenblicke da zu sein, wo der Bruder sich endlich zeigen wuerde, und zu sehen, wie die Sache eigentlich verlaufe. Denn sie war guter Dinge und glaubte fest, dass er eines Tages wiederkaeme und dass es dann etwas Rechtes auszulachen gaebe. Uebrigens fiel es ihr nicht schwer, ledig zu bleiben, da sie klug war und wohl sah, wie bei den Seldwylern nicht viel dahintersteckte an dauerhaftem Lebensgluecke und sie dagegen mit ihrer Mutter unveraenderlich in einem kleinen Wohlstaendchen lebte, ruhig und ohne Sorgen; denn sie hatten ja einen tuechtigen Esser weniger und brauchten fuer sich fast gar nichts. Da war es einst ein heller schoener Sommernachmittag, mitten in der Woche, wo man so an gar nichts denkt und die Leute in den kleinen Staedten fleissig arbeiten. Der Glanz von Seldwyla befand sich saemtlich mit dem Sonnenschein auf den uebergruenten Kegelbahnen vor dem Tore oder auch in kuehlen Schenkstuben in der Stadt. Die Falliten und Alten aber haemmerten, naeheten, schusterten, klebten, schnitzelten und bastelten gar emsig darauf los, um den langen Tag zu benutzen und einen vergnuegten Abend zu erwerben, den sie nunmehr zu wuerdigen verstanden. Auf dem kleinen Platze, wo die Witwe wohnte, war nichts als die stille Sommersonne auf dem begrasten Pflaster zu sehen; an den offenen Fenstern aber arbeiteten ringsum die alten Leute und spielten die Kinder. Hinter einem bluehenden Rosmaringaertchen auf einem Brette sass die Witwe und spann, und ihr gegenueber Estherchen und naehete. Es waren schon einige Stunden seit dem Essen verflossen und noch hatte niemand eine Zwiesprache gehalten von der ganzen Nachbarschaft. Da fand der Schuhmacher wahrscheinlich, dass es Zeit sei, eine kleine Erholungspause zu eroeffnen, und nieste so laut und mutwillig: Hupschi! dass alle Fenster zitterten und der Buchbinder gegenueber, der eigentlich kein Buchbinder war, sondern nur so aus dem Stegreif allerhand Pappkaestchen zusammenleimte und an der Tuere ein verwittertes Glaskaestchen haengen hatte, in welchem eine Stange Siegellack an der Sonne krumm wurde, dieser Buchbinder rief: Zur Gesundheit! und alle Nachbarsleute lachten. Einer nach dem andern steckte den Kopf durch das Fenster, einige traten sogar vor die Tuere und gaben sich Prisen, und so war das Zeichen gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung und zu einem froehlichen Gelaechter waehrend des Vesperkaffees, der schon aus allen Haeusern duftete und zichorierte. Diese hatten endlich gelernt, sich aus wenigem einen Spass zu machen. Da kam in dies Vergnuegen herein ein fremder Leiermann mit einem schoenpolierten Orgelkasten, was in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit ist, da sie keine eingeborenen Leiermaenner besitzt. Er spielte ein sehnsuechtiges Lied von der Ferne und ihren Dingen, welches die Leute ueber die Massen schoen duenkte und besonders der Witwe Traenen entlockte, da sie ihres Pankraezchens gedachte, das nun schon viele Jahre verschwunden war. Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer, er zog ab und das Plaetzchen wurde wieder still. Aber nicht lange nachher kam ein anderer Herumtreiber mit einem grossen fremden Vogel in einem Kaefig, den er unaufhoerlich zwischen dem Gitter durch mit einem Staebchen anstach und erklaerte, so dass der traurige Vogel keine Ruhe hatte. Es war ein Adler aus Amerika; und die fernen blauesten Laender, ueber denen er in seiner Freiheit geschwebt, kamen der Witwe in den Sinn und machten sie um so trauriger, als sie gar nicht wusste, was das fuer Laender waeren, noch wo ihr Soehnchen sei. Um den Vogel zu sehen, hatten die Nachbarn auf das Plaetzchen hinaustreten muessen, und als er nun fort war, bildeten sie eine Gruppe, steckten die Nasen in die Luft und lauerten auf noch mehr Merkwuerdigkeiten, da sie nun doch die Lust ankam, den uebrigen Tag zu vertroedeln. Diese Lust wurde denn auch erfuellt und es dauerte nicht lange, bis das allergroesste Spektakel sich mit grossem Laerm naeherte unter dem Zulauf aller Kinder des Staedtchens. Denn ein maechtiges Kamel schwankte auf den Platz, von mehreren Affen bewohnt; ein grosser Baer wurde an seinem Nasenringe herbeigefuehrt; zwei oder drei Maenner waren dabei, kurz ein ganzer Baerentanz fuehrte sich auf und der Baer tanzte und machte seine possierlichen Kuenste, indem er von Zeit zu Zeit unwirsch brummte, dass die friedlichen Leute sich fuerchteten und in scheuer Entfernung dem wilden Wesen zuschauten. Estherchen lachte und freute sich unbaendig ueber den Baeren, wie er so zierlich umherwatschelte mit seinem Stecken, ueber das Kamel mit seinem selbstvergnuegten Gesicht und ueber die Affen. Die Mutter dagegen musste fortwaehrend weinen; denn der boese Baer erbarmte sie, und sie musste wiederum ihres verschollenen Sohnes gedenken. Als endlich auch dieser Aufzug wieder verschwunden und es wieder still geworden, indem die aufgeregten Nachbarn sich mit seinem Gefolge ebenfalls aus dem Staube gemacht, um da oder dort zu einem Abendschoeppchen unterzukommen, sagte Estherchen: "Mir ist es nun zumute, als ob der Pankraz ganz gewiss heute noch kommen wuerde, da schon so viele unerwartete Dinge geschehen und solche Kamele, Affen und Baeren dagewesen sind!" Die Mutter ward boese darueber, dass sie den armen Pankraz mit diesen Bestien sozusagen zusammenzaehlte und auslachte, und hiess sie schweigen, nicht innewerdend, dass sie ja selbst das gleiche getan in ihren Gedanken. Dann sagte sie seufzend: "Ich werde es nicht erleben, dass er wiederkommt!" Indem sie dies sagte, begab sich die groesste Merkwuerdigkeit dieses Tages und ein offener Reisewagen mit einem Extrapostillion fuhr mit Macht auf das stille Plaetzchen, das von der Abendsonne noch halb bestreift war. In dem Wagen sass ein Mann, der eine Muetze trug wie die franzoesischen Offiziere sie tragen, und ebenso trug er einen Schnurr- und Kinnbart und ein gaenzlich gebraeuntes und ausgedoerrtes Gesicht zur Schau, das ueberdies einige Spuren von Kugeln und Saebelhieben zeigte. Auch war er in einen Burnus gehuellt, alles dies, wie es franzoesische Militaers aus Afrika mitzubringen pflegen, und die Fuesse stemmte er gegen eine kolossale Loewenhaut, welche auf dem Boden des Wagens lag; auf dem Ruecksitze vor ihm lag ein Saebel und eine halblange arabische Pfeife neben anderen fremdartigen Gegenstaenden. Dieser Mann sperrte ungeachtet des ernsten Gesichtes, das er machte, die Augen weit auf und suchte mit denselben rings auf dem Platze ein Haus, wie einer, der aus einem schweren Traume erwacht. Beinahe taumelnd, sprang er aus dem Wagen, der von ungefaehr auf der Mitte des Plaetzchens stillhielt; doch ergriff er die Loewenhaut und seinen Saebel und ging sogleich sicheren Schrittes in das Haeuschen der Witwe, als ob er erst vor einer Stunde aus demselben gegangen waere. Die Mutter und Estherchen sahen dies voll Verwunderung und Neugierde und horchten auf, ob der Fremde die Treppe heraufkaeme; denn obgleich sie kaum noch von Pankrazius gesprochen, hatten sie in diesem Augenblick keine Ahnung, dass er es sein koennte, und ihre Gedanken waren von der ueberraschten Neugierde himmelweit von ihm weggefuehrt. Doch urploetzlich erkannten sie ihn an der Art, wie er die obersten Stufen uebersprang und ueber den kurzen Flur weg fast gleichzeitig die Klinke der Stubentuer ergriff, nachdem er wie der Blitz vorher den lose steckenden Stubenschluessel fester ins Schloss gestossen, was sonst immer die Art des Verschwundenen gewesen, der in seinem Muessiggange eine seltsame Ordnungsliebe bewaehrt hatte. Sie schrien laut auf und standen festgebannt vor ihren Stuehlen, mit offenem Munde nach der aufgehenden Tuere sehend. Unter dieser stand der fremde Pankrazius mit dem duerren und harten Ernste eines fremden Kriegsmannes, nur zuckte es ihm seltsam um die Augen, indessen die Mutter erzitterte bei seinem Anblick und sich nicht zu helfen wusste und selbst Estherchen zum erstenmal gaenzlich verbluefft war und sich nicht zu regen wagte. Doch alles dies dauerte nur einen Augenblick; der Herr Oberst, denn nichts Geringeres war der verlorene Sohn, nahm mit der Hoeflichkeit und Achtung, welche ihn die wilde Not des Lebens gelehrt, sogleich die Muetze ab, was er nie getan, wenn er frueher in die Stube getreten; eine unaussprechliche Freundlichkeit, wenigstens wie es den Frauen vorkam, die ihn nie freundlich gesehen noch also denken konnten, verbreitete sich ueber das gefurchte und doch noch nicht alte Soldatengesicht und liess schneeweisse Zaehne sehen, als er auf sie zueilte und beide mit ausbrechendem Herzensweh in die Arme schloss. Hatte die Mutter erst vor dem martialischen und vermeintlich immer noch boesen Sohne sonderbar gezittert, so zitterte sie jetzt erst recht in scheuer Seligkeit, da sie sich in den Armen dieses wiedergekehrten Sohnes fuehlte, dessen achtungsvolles Muetzenabnehmen und dessen aufleuchtende nie gesehene Anmut, wie sie nur die Ruehrung und die Reue gibt, sie schon wie mit einem Zauberschlage beruehrt hatten. Denn noch ehe das Buerschchen sieben Jahre alt gewesen, hatte es schon angefangen, sich ihren Liebkosungen zu entziehen und seither hatte Pankraz in bitterer Sproedigkeit und Verstockung sich gehuetet, seine Mutter auch nur mit der Hand zu beruehren, abgesehen davon, dass er unzaehlige Male schmollend zu Bett gegangen war, ohne Gutenacht zu sagen. Daher beduenkte es sie nun ein unbegreiflicher und wundersamer Augenblick, in welchem ein ganzes Leben lag, als sie jetzt nach wohl dreissig Jahren sozusagen zum erstenmal sich von dem Sohne umfangen sah. Aber auch Estherchen beduenkte dieses veraenderte Wesen so ernsthaft und wichtig, dass sie, die den Schmollenden tausendmal ausgelacht hatte, jetzt nicht im mindesten den bekehrten Freundlichen anzulachen vermochte, sondern mit klaren Traenen in den Augen nach ihrem Sesselchen ging und den Bruder unverwandt anblickte. Pankraz war der erste, der sich nach mehreren Minuten wieder zusammennahm und als ein guter Soldat einen Uebergang und Ausweg dadurch bewerkstelligte, dass er sein Gepaeck heraufbefoerderte. Die Mutter wollte mit Estherchen helfen; aber er fuehrte sie aeusserst holdselig zu ihrem Sitze zurueck und duldete nur, dass Estherchen zum Wagen herunterkam und sich mit einigen leichten Sachen belud. Den weiteren Verlauf fuehrte indessen Estherchen herbei, welche bald ihren guten Humor wiedergewann und nicht laenger unterlassen konnte, die Loewenhaut an dem langen gewaltigen Schwanze zu packen und auf dem Boden herumzuziehen, indem sie sich kranklachen wollte und einmal ueber das andere rief: "Was ist dies nur fuer ein Pelz? Was ist dies fuer ein Ungeheuer?" "Dies ist," sagte Pankraz, seinen Fuss auf das Fell stossend, "vor drei Monaten noch ein lebendiger Loewe gewesen, den ich getoetet habe. Dieser Bursche war mein Lehrer und Bekehrer und hat mir zwoelf Stunden lang so eindringlich gepredigt, dass ich armer Kerl endlich von allem Schmollen und Boessein fuer immer geheilt wurde. Zum Andenken soll seine Haut nicht mehr aus meiner Hand kommen. Das war eine schoene Geschichte!" setzte er mit einem Seufzer hinzu. In der Voraussicht, dass seine Leutchen, im Fall er sie noch lebendig antraefe, jedenfalls nicht viel Kostbares im Hause haetten, hatte er in der letzten groesseren Stadt, wo er durchgereist, einen Korb guten Weines eingekauft, sowie einen Korb mit verschiedenen guten Speisen, damit in Seldwyla kein Gelaufe entstehen sollte und er in aller Stille mit der Mutter und der Schwester ein Abendbrot einnehmen konnte. So brauchte die Mutter nur den Tisch zu decken und Pankraz trug auf, einige gebratene Huehner, eine herrliche Suelzpastete und ein Paket feiner kleiner Kuchen; ja noch mehr! Auf dem Wege hatte er bedacht, wie dunkel einst das armselige Tranlaempchen gebrannt und wie oft er sich ueber die kuemmerliche Beleuchtung geaergert, wobei er kaum seine muessigen Siebensachen handhaben gekonnt, ungeachtet die Mutter, die doch aeltere Augen hatte, ihm immer das Laempchen vor die Nase geschoben, wiederum zum grossen Ergoetzen Estherchens, die bei jeder Gelegenheit ihm die Leuchte wieder wegzupraktizieren verstanden. Ach, einmal hatte er sie zornig weinend ausgeloescht, und als die Mutter sie bekuemmert wieder angezuendet, blies sie Estherchen lachend wieder aus, worauf er zerrissenen Herzens ins Bett gerannt. Dies und noch anderes war ihm auf dem Wege eingefallen, und indem er schmerzlich und bang kaum erleben mochte, ob er die Verlassenen wiedersehen wuerde, hatte er auch noch einige Wachskerzen eingekauft, und zuendete jetzo zwei derselben an, so dass die Frauensleute sich nicht zu lassen wussten vor Verwunderung ob all der Herrlichkeit. Dergestalt ging es wie aus einer kleinen Hochzeit in dem Haeuschen der Witwe, nur viel stiller, und Pankraz benutzte das helle Licht der Kerzen, die gealterten Gesichter seiner Mutter und Schwester zu sehen, und dies Sehen ruehrte ihn staerker, als alle Gefahren, denen er ins Gesicht geschaut. Er verfiel in ein tiefes trauriges Sinnen ueber die menschliche Art und das menschliche Leben, und wie gerade unsere kleineren Eigenschaften, eine freundliche oder herbe Gemuetsart, nicht nur unser Schicksal und Glueck machen, sondern auch dasjenige der uns Umgebenden und uns zu diesen in ein strenges Schuldverhaeltnis zu bringen vermoegen, ohne dass wir wissen wie es zugegangen, da wir uns ja unser Gemuet nicht selbst gegeben. In diesen Betrachtungen ward er jedoch gestoert durch die Nachbarn, welche jetzt ihre Neugierde nicht laenger unterdruecken konnten und einer nach dem andern in die Stube drangen, um das Wundertier zu sehen, da sich schon in der ganzen Stadt das Geruecht verbreitet hatte, der verschollene Pankrazius sei erschienen, und zwar als ein franzoesischer General in einem vierspaennigen Wagen. Dies war nun ein hoechst verwickelter Fall fuer die in ihren Vergnuegungslokalen versammelten Seldwyler, sowohl fuer die Jungen als wie fuer die Alten, und sie kratzten sich verdutzt hinter den Ohren. Denn dies war gaenzlich wider die Ordnung und wider den Strich zu Seldwyl, dass da einer wie vom Himmel geschneit als ein gemachter Mann und General herkommen sollte gerade in dem Alter, wo man zu Seldwyl sonst fertig war. Was wollte der denn nun beginnen? Wollte er wirklich am Orte bleiben, ohne ein Herabgekommener zu sein die uebrige Zeit seines Lebens hindurch, besonders wenn er etwa alt wuerde? Und wie hatte er es angefangen? Was zum Teufel hatte der unbeachtete und unscheinbare junge Mensch betrieben die lange Jugend hindurch, ohne sich aufzubrauchen? Das war die Frage, die alle Gemueter bewegte, und sie fanden durchaus keinen Schluessel, das Raetsel zu loesen, weil ihre Menschen- oder Seelenkunde zu klein war, um zu wissen, dass gerade die herbe und bittere Gemuetsart, welche ihm und seinen Angehoerigen so bittere Schmerzen bereitet, sein Wesen im uebrigen wohl konserviert, wie der scharfe Essig ein Stueck Schoepfenfleisch, und ihm ueber das gefaehrliche Seldwyler Glanzalter hinweggeholfen hatte. Um die Frage zu loesen, stellte man ueberhaupt die Wahrheit des Ereignisses in Frage und bestritt dessen Moeglichkeit, und um diese Auffassung zu bestaetigen, wurden verschiedene alte Falliten nach dem Plaetzchen abgesandt, so dass Pankraz, dessen schon versammelte Nachbarn ohnehin diesem Stande angehoerten, sich von einer ganzen Versammlung neugieriger und gemuetlicher Falliten umgeben sah, wie ein alter Heros in der Unterwelt von den herbeieilenden Schatten. Er zuendete nun seine tuerkische Pfeife an und erfuellte das Zimmer mit dem fremden Wohlgeruch des morgenlaendischen Tabaks; die Schatten oder Falliten witterten immer neugieriger in den blauen Duftwolken umher, und Estherchen und die Mutter bestaunten unaufhoerlich die Leutseligkeit und Geschicklichkeit des Pankraz, mit welcher er die Leute unterhielt, und zuletzt die freundliche, aber sichere Gewandtheit, mit welcher er die Versammlung endlich entliess, als es ihm Zeit dazu schien. Da aber die Freuden, welche auf dem Familienglueck und auf frohen Ereignissen unter Blutsverwandten beruhen, auch nach den laengsten Leiden die Beteiligten ploetzlich immer jung und munter machen, statt sie zu erschoepfen, wie die Aufregungen der weitern Welt es tun, so verspuerte die alte Mutter noch nicht die geringste Muedigkeit und Schlaflust, so wenig als ihre Kinder, und von dem guten Weine erwaermt, den sie mit Zufriedenheit genossen, verlangte sie endlich mit ihrer noch viel ungeduldigeren Tochter etwas Naeheres von Pankrazens Schicksal zu wissen. "Ausfuehrlich," erwiderte dieser, "kann ich jetzt meine truebselige Geschichte nicht mehr beginnen und es findet sich wohl die Zeit, wo ich euch nach und nach meine Erlebnisse im einzelnen vorsagen werde. Fuer heute will ich euch aber nur einige Umrisse angeben, soviel als noetig ist, um auf den Schluss zu kommen, naemlich auf meine Wiederkehr und die Art, wie diese veranlasst wurde, da sie eigentlich das rechte Seitenstueck bildet zu meiner ehemaligen Flucht und aus dem gleichen Grundtone geht. Als ich damals auf so schnoede Weise entwich, war ich von einem unvertilgbaren Groll und Weh erfuellt; doch nicht gegen euch, sondern gegen mich selbst, gegen diese Gegend hier, diese unnuetze Stadt, gegen meine ganze Jugend. Dies ist mir seither erst deutlich geworden. Wenn ich hauptsaechlich immer des Essens wegen boes wurde und schmollte, so war der geheime Grund hiervon das nagende Gefuehl, dass ich mein Essen nicht verdiente, weil ich nichts lernte und nichts tat, ja weil mich gar nichts reizte zu irgendeiner Beschaeftigung und also keine Hoffnung war, dass es je anders wuerde; denn alles was ich andere tun sah, kam mir erbaermlich und albern vor; selbst euer ewiges Spinnen war mir unertraeglich und machte mir Kopfweh, obgleich es mich Muessigen erhielt. So rannte ich davon in einer Nacht in der bittersten Herzensqual und lief bis zum Morgen, wohl sieben Stunden weit von hier. Wie die Sonne aufging, sah ich Leute, die auf einer grossen Wiese Heu machten; ohne ein Wort zu sagen oder zu fragen, legte ich mein Buendel an den Rand, ergriff einen Rechen oder eine Heugabel und arbeitete wie ein Besessener mit den Leuten und mit der groessten Geschicklichkeit; denn ich hatte mir waehrend meines Herumlungerns hier alle Handgriffe und Uebungen derjenigen, welche arbeiteten, wohlgemerkt, sogar oefter dabei gedacht, wie sie dies und jenes ungeschickt in die Hand naehmen und wie man eigentlich die Haende ganz anders muesste fliegen lassen, wenn man erst einmal ein Arbeiter heissen wolle. "Die Leute sahen mir erstaunt zu und niemand hinderte mich an meiner Arbeit; als sie das Morgenbrot assen, wurde ich dazu eingeladen; dieses hatte ich bezweckt und so arbeitete ich weiter, bis das Mittagessen kam, welches ich ebenfalls mit grossem Appetit verzehrte. Doch nun erstaunten die Bauersleute noch viel mehr und sandten mir ein verdutztes Gelaechter nach, als ich, anstatt die Heugabel wieder zu ergreifen, ploetzlich den Mund wischte, mein Buendelchen wieder ergriff und ohne ein Wort weiter zu verlieren, meines Weges weiterzog. In einem dichten kuehlen Buchenwaeldchen legte ich mich hin und schlief bis zur Abenddaemmerung; dann sprang ich auf, ging aus dem Waeldchen hervor und guckte am Himmel hin und her, an welchem die Sterne hervorzutreten begannen. Die Stellung der Sterne gehoerte auch zu den wenigen Dingen, die ich waehrend meines Muessigganges gemerkt, und da ich darin eine grosse Ordnung und Puenktlichkeit gefunden, so hatte sie mir immer wohlgefallen, und zwar um so mehr, als diese glaenzenden Geschoepfe solche Puenktlichkeit nicht um Taglohn und um eine Portion Kartoffelsuppe zu ueben schienen, sondern damit nur taten, was sie nicht lassen konnten, wie zu ihrem Vergnuegen, und dabei wohl bestanden. Da ich nun durch das allmaehliche Auswendiglernen unsres Geographiebuches, so einfach dieses war, auch auf dem Erdboden Bescheid wusste, so verstand ich meine Richtung wohl zu nehmen und beschloss in diesem Augenblick, nordwaerts durch ganz Deutschland zu laufen, bis ich das Meer erreichte. Also lief ich die Nacht hindurch wieder acht gute Stunden und kam mit der Morgensonne an eine wilde und entlegene Stelle am Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Kornsaecken beladenes Schiff an einer Untiefe aufstiess, indessen doch das Wasser ueber einen Teil der Ladung wegstroemte. Da sich nur drei Maenner bei dem Schiffe befanden und weit und breit in dieser Fruehe und in dieser Wildnis niemand zu ersehen war, so kam ich sehr willkommen, als ich sogleich Hand anlegte und den Schiffern die schwere Ladung ans Ufer bringen und das Fahrzeug wieder flottmachen half. Was von dem Korne nassgeworden, schuetteten wir auf Bretter, die wir an die Sonne legten, und wandten es fleissig um, und zuletzt beluden wir das Schiff wieder. Doch nahm dies alles den groessten Teil des Tages weg, und ich fand dabei Gelegenheit, mit den Schiffsleuten unterschiedliche tuechtige Mahlzeiten zu teilen; ja, als wir fertig waren, gaben sie mir sogar noch etwas Geld und setzten mich auf mein Verlangen an das andere Ufer ueber mittelst des kleinen Kaehnchens, das sie hinter dem grossen Kahne angebunden hatten. "Drueben befand ich mich in einem grossen Bergwald und schlief sofort bis es Nacht wurde, worauf ich mich abermals auf die Fuesse machte und bis zum Tagesanbruch lief. Mit wenig Worten zu sagen: auf diese naemliche Art gelangte ich in wenig mehr als zwei Monaten nach Hamburg, indem ich, ohne je viel mit den Leuten zu sprechen, ueberall des Tages zugriff, wo sich eine Arbeit zeigte, und davonging, sobald ich gesaettigt war, um die Nacht hindurch wiederum zu wandern. Meine Art ueberraschte die Leute immer, so dass ich niemals einen Widerspruch fand, und bis sie sich etwa widerhaarig oder neugierig zeigen wollten, war ich schon wieder weg. Da ich zugleich die Staedte vermied und meinen Arbeitsverkehr immer im freien Felde, auf Bergen und in Waeldern betrieb, wo nur urspruengliche und einfache Menschen waren, so reisete ich wirklich wie zu der Zeit der Patriarchen. Ich sah nie eine Spur von dem Regiment der Staaten, ueber deren Boden ich hinlief, und mein einziges Denken war, ueber eben diesen Boden wegzukommen, ohne zu betteln oder fuer meine noetige Leibesnahrung jemandem verpflichtet sein zu muessen, im uebrigen aber zu tun, was ich wollte, und insbesondere zu ruhen, wenn es mir gefiel, und zu wandern, wenn es mir beliebte. Spaeter habe ich freilich auch gelernt, mich an eine feste ausser mir liegende Ordnung und an eine regelmaessige Ausdauer zu halten, und wie ich erst urploetzlich arbeiten gelernt, lernte ich auch dies sogleich ohne weitere Anstrengung, sobald ich nur einmal eine erkleckliche Notwendigkeit einsah. "Uebrigens bekam mir dies Leben in der freien Luft, bei der steten Abwechslung von schwerer Arbeit, tuechtigem Essen und sorgloser Ruhe vortrefflich und meine Glieder wurden so geuebt, dass ich als ein kraeftiger und ruehriger Kerl in der grossen Handelsstadt Hamburg anlangte, wo ich alsbald dem Wasser zulief und mich unter die Seeleute mischte, welche sich da umtrieben und mit dem Befrachten ihrer Schiffe beschaeftigt waren. Da ich ueberall zugriff und ohne albernes Gaffen doch aufmerksam war, ohne ein Wort dabei zu sprechen, noch je den Mund zu verziehen, so duldeten die einsilbigen derben Gesellen mich bald unter sich und ich brachte eine Woche unter ihnen zu, worauf sie mich auf einem englischen Kauffahrer einschmuggelten, dessen Kapitaen mich aufnahm unter der Bedingung, dass ich ihm in seinem Privatgeschaefte helfe, das er waehrend seiner Fahrten betrieb. Dieses bestand naemlich im Zusammensetzen und Herstellen von allerhand Feuerwaffen und Pistolen aus alten abgenutzten Bestandteilen, die er in grosser Menge zusammenkaufte, wenn er in der Alten Welt vor Anker ging. Es waren seltsame und fabelhafte Todeswerkzeuge, die er so mit schrecklicher Leidenschaft zusammenfuegte und dann bei Gelegenheit an wilden Kuesten gegen wertvolle Friedensprodukte und sanfte Naturgegenstaende austauschte. Ich hielt mich still zu der Arbeit, uebte mich ein und war bald ueber und ueber mit Oel, Schmirgel und Feilenstaub beschmiert als ein wilder Buechsenmacher, und wenn ein solches Pistolengeschuetz notduerftig zusammenhielt, so wurde es mit einem starken Knall probiert; doch nie zum zweitenmal, dieses wurde dem rothaeutigen oder schwarzen Kaeufer ueberlassen auf den entlegenen Eilanden. Diesmal fuhr er aber nur nach Neuyork und von da nach England zurueck, wo ich, der Buechsenmacherei nun genugsam kundig, mich von ihm entfernte und sogleich in ein Regiment anwerben liess, das nach Ostindien abgehen sollte. "In Neuyork hatte ich zwar den Fuss an das Land gesetzt und auf einige Stunden dies amerikanische Leben gesehen, welches mir eigentlich nun recht haette zusagen muessen, da hier jeder tat, was er wollte, und sich gaenzlich nach Beduerfnis und Laune ruehrte von einer Beschaeftigung zur andern abspringend, wie es ihm eben besser schien, ohne sich irgendeiner Arbeit zu schaemen, oder die eine fuer edler zu halten als die andere. Doch weiss ich nicht wie es kam, dass ich mich schleunig wieder auf unser Schiff sputete und so, statt in der Neuen Welt zu bleiben, in den aeltesten, traeumerischen Teil unsrer Welt geriet, in das uralte heisse Indien, und zwar in einem roten Rocke, als ein stiller englischer Soldat. Und ich kann nicht sagen, dass mir das neue Leben missfiel, das schon auf dem grossen Linienschiffe begann, auf welchem das Regiment sich befand. Schon der Umstand, dass wir alle, so viel wir waren, mit der groessten Puenktlichkeit und Abgemessenheit ernaehrt wurden, indem jeder seine Ration so sicher bekam, wie die Sterne am Himmel gehen, keiner mehr noch minder als der andere, und ohne dass einer den andern beeintraechtigen konnte, behagte mir ausserordentlich und um so mehr, als keiner dafuer zu danken brauchte und alles nur unserm blossen wohlgeordneten Dasein gebuehrte. Wenn wir Rekruten auch schon auf dem Schiffe eingeschult wurden und taeglich exerzieren mussten, so gefiel mir doch diese Beschaeftigung ueber die Massen, da wir nicht das Bajonett herumschwenken mussten, um etwa mit Gewandtheit eine Kartoffel daran zu spiessen, sondern es war lediglich eine reine Uebung, welche mit dem Essen zunaechst gar nicht zusammenhing, und man brauchte nichts als puenktlich und aufmerksam beim einen und dem andern zu sein und sich um weiter nichts zu kuemmern. Schon am zweiten Tage unserer Fahrt sah ich einen Soldaten pruegeln, der wider einen Vorgesetzten gemurrt, nachdem er schon verschiedene Unregelmaessigkeiten begangen. Sogleich nahm ich mir vor, dass dies mir nie widerfahren solle, und nun kam mir mein Schmollwesen sehr gut zustatten, indem es mir eine vortreffliche lautlose Puenktlichkeit und Aufmerksamkeit erleichterte und es mir fortwaehrend moeglich machte, mir in keiner Weise etwas zu vergeben. "So wurde ich ein ganz ordentlicher und brauchbarer Soldat; es machte mir Freude, alles recht zu begreifen und so zu tun, wie es als mustergueltig vorgeschrieben war, und da es mir gelang, so fuehlte ich mich endlich ziemlich zufrieden, ohne jedoch mehr Worte zu verlieren als bisher. Nur selten wurde ich beinahe ein wenig lustig und beging etwa einen naerrischen halben Spass, was mir vollends den Anstrich eines Soldaten gab, wie er sein soll, und zugleich verhinderte, dass man mich nicht leiden konnte, und so war kaum ein Jahr vergangen in dem heissen, seltsamen Lande, als ich anfing, vorzuruecken und zuletzt ein ansehnlicher Unteroffizier wurde. Nach einem Verlauf von Jahren war ich ein grosses Tier in meiner Art, war meistenteils in den Bureaus des Regimentskommandeurs beschaeftigt und hatte mich als ein guter Verwalter herausgestellt, indem ich die notwendigen Kuenste, die Schreibereien und Rechnereien aus dem Gange der Dinge mir augenblicklich aneignete ohne weiteres Kopfzerbrechen. Es ging mir jetzt alles nach der Schnur und ich schien mir selbst zufrieden zu sein, da ich ohne Muehe und Sorgen da sein konnte unter dem warmen blauen Himmel; denn was ich zu verrichten hatte, geschah wie von selbst, und ich fuehlte keinen Unterschied, ob ich in Geschaeften oder muessig umherging. Das Essen war mir jetzt nichts Wichtiges mehr, und ich beachtete kaum, wann und was ich ass. Zweimal waehrend dieser Zeit hatte ich Nachricht an euch abgesandt nebst einigen ersparten Geldmitteln; allein beide Schiffe gingen sonderbarerweise mit Mann und Maus zugrunde und ich gab die Sache auf, aergerlich darueber, und nahm mir vor, sobald als tunlich selber heimzukehren und meine erworbene Arbeitsfaehigkeit und feste Lebensart in der Heimat zu verwenden. Denn ich gedachte damit etwas Besseres nach Seldwyla zu bringen, als wenn ich eine Million dahin braechte, und malte mir schon aus, wie ich die Haselanten und Fischesser da anfahren wollte, wenn sie mir ueber den Weg liefen. "Doch damit hatte es noch gute Wege und ich sollte erst noch solche Dinge erfahren und so in meinem Wesen veraendert und aufgeruettelt werden, dass mir die Lust verging, andere Leute anfahren zu wollen. Der Kommandeur hatte mich gaenzlich zu seinem Faktotum gemacht und ich musste fast die ganze Zeit bei ihm zubringen. Er war ein seltsamen Mann von etwa fuenfzig Jahren, dessen Gattin in Irland lebte auf einem alten Turm, da sie womoeglich noch wunderlicher sein musste, als er; solange sie zusammengelebt, hatten sie sich fortwaehrend angeknurrt, wie zwei wilde Katzen, und sie litten beide an der fixen Idee, dass sie sich gegenseitig ineinander getaeuscht haetten, obwohl niemand besser fuereinander geschaffen war. Auch waren sie gesund und munter und lebten behaglich in dieser Einbildung, ohne welche keines mehr haette die Zeit verbringen koennen, und wenn sie weit auseinander waren, so sorgte eines fuer das andere mit ruehrender Aufmerksamkeit. Die einzige Tochter, die sie hatten, und die Lydia heisst, lebte dagegen meistenteils bei dem Vater und war ihm ergeben und zugetan, da der Unterschied des Geschlechtes selbst zwischen Vater und Tochter diese mehr zaertliches Mitleid fuer den Vater empfinden liess, als fuer die Mutter, obgleich diese ebenso wenig oder so viel taugen mochte als jener in dem vermeintlich ungluecklichen Verhaeltnis. Der Kommandeur hatte eine reizvolle luftige Wohnung bezogen, die ausserhalb der Stadt in einem ganz mit Palmen, Zypressen, Sykomoren und anderen Baeumen angefuellten Tale lag. Unter diesen Baeumen, rings um das leichte weisse Haus herum, waren Gaerten angelegt, in denen teils jederzeit frisches Gemuese, teils eine Menge Blumen gezogen wurden, welche zwar hier in allen Ecken wild wuchsen, die aber der Alte liebte beisammen zu haben in naechster Naehe und in moeglichster Menge, so dass in dem gruenen Schatten der Baeume es ordentlich leuchtete von grossen purpurroten und weissen Blumen. Wenn es nun im Dienste nichts mehr zu tun gab, so musste ich als ein militaerischer zuverlaessiger Vertrauensmann diese Gaerten in Ordnung halten, oder um darueber nicht etwa zu verweichlichen, mit dem Oberst auf die Jagd gehen, und ich wuerde darueber zu einem gewandten Jaeger; denn gleich hinter dem Tale begann eine wilde, unfruchtbare Landschaft, welche zuletzt gaenzlich in eine Gebirgswildnis verlief, die nicht nur Schwaerme und Scharen unschuldigeren Gewildes, sondern auch von Zeit zu Zeit reissende Tiere, besonders grosse Tiger beherbergte. Wenn ein solcher sich spueren liess, so gab es einen grossen Auszug gegen ihn, und ich lernte bei diesen Gelegenheiten die Gefahr lange kennen, ehe ich in das Gefecht mit Menschen kam. War aber weiter gar nichts zu tun, so musste ich mit dem alten Herrn Schach spielen und dadurch seine Tochter Lydia ersetzen, welche, da sie gar keinen Sinn und Geschick dazu besass und ganz kindisch spielte, ihm zu wenig Vergnuegen verschaffte. Ich hingegen hatte mich bald soweit eingeuebt, dass ich ihm einigermassen die Stange halten konnte, ohne ihn des oefteren Sieges zu berauben, und wenn mein Kopf nicht durch andere Dinge verwirrt worden waere, so wuerde ich dem grimmigen Alten bald ueberlegen geworden sein. "Dergestalt war ich nun das merkwuerdigste Institut von der Welt; ich ging unter diesen Palmen einher gravitaetisch und wortlos in meiner Scharlachuniform, ein leichtes Schilfstoeckchen in der Hand und ueber dem Kopfe ein weisses Tuch zum Schutze gegen die heisse Sonne. Ich war Soldat, Verwaltungsmann, Gaertner, Jaeger, Hausfreund und Zeitvertreiber, und zwar ein ganz sonderbarer, da ich nie ein Wort sprach; denn obgleich ich jetzt nicht mehr schmollte und leidlich zufrieden war, so hatte ich mir das Schweigen doch so angewoehnt, dass meine Zunge durch nichts zu bewegen war, als etwa durch ein Kommandowort oder einen Fluch gegen unordentliche Soldaten. Doch diente gerade diese Weise dem Kommandeur, ich blieb so an die fuenf Jahre bei ihm einen Tag wie den andern und konnte, wenn ich freie Zeit hatte, im uebrigen tun, was mir beliebte. Diese Zeit benutzte ich dazu, das Dutzend Buecher, so der alte Herr besass, immer wieder durchzulesen und aus denselben, da sie alle dickleibig waren, ein sonderbares Stueck von der Welt kennenzulernen. Ich war so ein eifriger und stiller Leser, der sich eine Weisheit ausbildete, von der er nicht recht wusste, ob sie in der Welt galt oder nicht galt, wie ich bald erfahren sollte; denn obschon ich bereits vieles gesehen und erfahren, so war dies doch nur gewissermassen strichweise und das meiste, was es gab, lag zur Seite des Striches, den ich passiert. "Mein Kommandeur wurde endlich zum Gouverneur des ganzen Landstriches ernannt, wo wir bisher gestanden; er wuenschte mich in seiner Naehe zu behalten und veranlasste meine Versetzung aus dem Regiment, welches wieder nach England zurueckging, in dasjenige, welches dafuer ankam, und so fand sich wieder Gelegenheit, dass ich als Militaerperson sowohl wie in allen uebrigen Eigenschaften um ihn sein konnte, was mir ganz recht war; denn so blieb ich ein auf mich selbst gestellter Mensch, der keinen andern Herrn, als seine Fahne ueber sich hatte. "Um die gleiche Zeit kam auch die Tochter aus dem alten irlaendischen Turme an, um von nun an bei ihrem Vater, dem Gouverneur, zu leben. Es war ein wohlgestaltetes Frauenzimmer von grosser Schoenheit; doch war sie nicht nur eine Schoenheit, sondern auch eine Person, die in ihren eigenen feinen Schuhen stand und ging und sogleich den Eindruck machte, dass es fuer den, der sich etwa in sie verliebte, nicht leicht hinter jedem Hag einen Ersatz oder einen Trost fuer diese gaebe, eben weil es eine ganze und selbstaendige Person schien, die so nicht zum zweiten Male vorkomme. Und zwar schien diese edle Selbstaendigkeit gepaart mit der einfachsten Kindlichkeit und Guete des Charakters und mit jener Lauterkeit und Rueckhaltlosigkeit in dieser Guete, welche, wenn sie so mit Entschiedenheit und Bestimmtheit verbunden ist, eine wahre Ueberlegenheit verleiht und dem, was im Grunde nur ein unbefangenes urspruengliches Gemuetswesen ist, den Schein einer weihevollen und genialen Ueberlegenheit gibt. Indessen war sie sehr gebildet in allen schoenen Dingen, da sie nach Art solcher Geschoepfe die Kindheit und bisherige Jugend damit zugebracht, alles zu lernen, was irgend wohl ansteht, und sie kannte sogar fast alle neueren Sprachen, ohne dass man jedoch viel davon bemerkte, so dass unwissende Maenner ihr gegenueber nicht leicht in jene schreckliche Verlegenheit gerieten, weniger zu verstehen, als ein muessiges Ziergewaechs von Jungfraeulein. Ueberhaupt schien ein gesunder und wohldurchgebildeter Sinn in ihr sich mehr dadurch zu zeigen, dass sie die vorkommenden kleineren oder groesseren Dinge, Vorfaelle oder Gegenstaende durchaus treffend beurteilte und behandelte, und dabei waren ihre Gedanken und Worte so einfach und lieblich und bestimmt, wie der Ton ihrer Stimme und die Bewegungen ihres Koerpers. Und ueber alles dies war sie, wie gesagt, so kindlich, so wenig durchtrieben, dass sie nicht imstande war, eine ueberlegte Partie Schach spielenzulernen, und dennoch mit der froehlichsten Geduld am Brette sass, um sich von ihrem Vater unaufhoerlich ueberrumpeln zu lassen. So ward es einem sogleich heimatlich und wohl zumute in ihrer Naehe; man dachte unverweilt, diese waere der wahre Jakob unter den Weibern und keine bessere gaebe es in der Welt. Ihre schoenen blonden Locken und die dunkelblauen Augen, die fast immer ernst und frei in die Welt sahen, taten freilich auch das ihrige dazu, ja um so mehr, als ihre Schoenheit, so sehr sie auffiel, von echt weiblicher Bescheidenheit und Sittsamkeit durchdrungen war und dabei gaenzlich den Eindruck von etwas Einzigem und Persoenlichem machte; es war eben kurz und abermals gesagt: eine Person. Das heisst, ich sage es schien so, oder eigentlich, weiss Gott, ob es am Ende doch so war und es nur an mir lag, dass es ein solcher truegerischer Schein schien, kurz--" Pankrazius vergass hier weiterzureden und verfiel in ein schwermuetiges Nachdenken, wozu er ein ziemlich unkriegerisches und beinahe einfaeltiges Gesicht machte. Die beiden Wachslichter waren ueber die Haelfte heruntergebrannt, die Mutter und die Schwester hatten die Koepfe gesenkt und nickten, schon nichts mehr sehend und hoerend, schlaftrunken mit ihren Koepfen, denn schon seit Pankrazius die Schilderung seiner vermutlichen Geliebten begonnen, hatten sie angefangen, schlaefrig zu werden, liessen ihn jetzt gaenzlich im Stich und schliefen wirklich ein. Zum Glueck fuer unsere Neugierde bemerkte der Oberst dies nicht, hatte ueberhaupt vergessen, vor wem er erzaehlte, und fuhr, ohne die niedergeschlagenen Augen zu erheben, fort, vor den schlafenden Frauen zu erzaehlen, wie einer, der etwas lange Verschwiegenes endlich mitzuteilen sich nicht mehr enthalten kann. "Ich hatte," sagte er, "bis zu dieser Zeit noch kein Weib naeher angesehen und verstand oder wusste von ihnen ungefaehr soviel, wie ein Nashorn vom Zitherspiel. Nicht dass ich solche etwa nicht von jeher gern gesehen haette, wenn ich unbemerkt und ohne Aufwand von Muehe nach ihnen schielen konnte; doch war es mir aeusserst zuwider, mit irgendeiner mich in den geringsten Wortwechsel einzulassen, da es mir von jeher schien, als ob es saemtlichen Weibern gar nicht um eine vernunftgemaesse, klare und richtige Sache zu tun waere, dass es ihnen unmoeglich sei, nur sechs Worte lang in guter Ordnung bei der Sache zu bleiben, sondern dass sie einzig darauf ausgingen, wenn sie in diesem Augenblicke etwas Zweckmaessiges und Gutes gesagt haben, gleich darauf eine grosse Albernheit oder Verdrehtheit einzuwerfen, was sie dann als ihre weibliche Anmut und Beweglichkeit ausgaeben, im Grunde aber eine Unredlichkeit sei, und um so abscheulicher, als sie halb und halb von bewusster Absicht begleitet sei, um hinter diesem Durcheinander allen schlechten Instinkten und Querkoepfigkeiten desto bequemer zu froenen. Deshalb schmollte und grollte ich von vornherein mit allem Weibervolk und wuerdigte keines eines offenkundigen Blickes. In Indien, als ich mehr zufrieden war und keinen Groll fuerder hegte, gab es zwar viel Frauensleute, sowohl indischen Gebluetes, als auch eine Menge englischer, da viele Kaufleute, Offiziere und Soldaten ihre Familie bei sich hatten. Doch diese Indierinnen, die schoen waren wie die Blumen und gut wie Zucker aussahen und sprachen, waren eben nichts weiter als dies und ruehrten mich nicht im mindesten, da Schoenheit und Guete ohne Salz und Wehrbarkeit, mir langweilig vorkamen, und es war mir peinlich zu denken, wie eine solche Frau, wenn sie mein waere, sich auf keine Weise gegen meine etwaigen schlimmen Launen zu wehren vermoechte. Die europaeischen Weiber dagegen, die ich sah, welche groesstenteils aus Grossbritannien herstammten, schienen schon eher wehrhaft zu sein, jedoch waren sie weniger gut und selbst wenn sie es waren, so betrieben sie die Guete und Ehrbarkeit wie ein abscheulich nuechternes und hausbackenes Handwerk, und selbst die edle Weiblichkeit, auf die sich diese selbstbewussten respektablen Weibsen so viel zugute taten, handhabten sie eher als Wuerzkraemer, denn als Weiber. Hier wird ein Quentchen ausgewogen und dort ein Quentchen sorglich in die loeschpapierne Duete der Philisterhaftigkeit gewickelt. Ueberdies war mir immer, als ob durch das Innerste aller dieser abendlaendischen Schoenen und Unschoenen ein tiefer Zug von Gemeinheit zoege, die Krankheit unserer Zeit, welche sie zwar nur von unserem Geschlechte, von uns Herren Europaeern, ueberkommen konnten, aber die gerade bei den anderen wieder zu einem neuen verdoppelten UEbel wird. Denn es sind ueble Zeiten, wo die Geschlechter ihre Krankheiten austauschen und eines dem andern seine angeborenen Schwachheiten mitteilt. Dies waren so meine unwissenden hypochondrischen Gedanken ueber die Weiber, welche meinem Verhalten gegen sie zugrunde lagen und mit welchen ich meiner Wege ging, ohne mich um eine zu bekuemmern. "Als nun die schoene Lydia bei uns anlangte und ich mich taeglich in ihrer Naehe befand, erhielt meine ganze Weisheit einen Stoss und fiel zusammen. Es war mir gleich von Grund aus wohl zumute, wenn sie zugegen war, und ich wusste nicht, was ich hieraus machen sollte. Hoechlich verwundert war ich, weder Groll noch Verachtung gegen diese zu empfinden, weder Geringschaetzung, noch jene Lust, doch verstohlen nach ihr hinzuschielen; vielmehr freute ich mich ganz unbefangen ueber ihr Dasein und sah sie ohne Unbescheidenheit, aber frei und offen an, wenn ich in ihrer Naehe zu tun hatte. Dies fiel mir um so leichter, als ich in meiner Stellung als armer Soldat kein Wort an sie zu richten brauchte, ohne gefragt zu werden, und also kein anderes Benehmen zu beobachten hatte, als dasjenige eines sich aufrechthaltenden ernsthaften Unteroffiziers. Auch war mir das Schweigen, besonders gegenueber den Weibern, so zur andern Natur geworden durch das langjaehrige Kopfhaengen, dass ich beim besten Willen jetzt nicht haette eine Ausnahme machen koennen, auch wenn es sich geschickt haette. Dennoch fuehlte ich ein grosses und ungewoehnliches Wohlwollen fuer diese Person, war in meinem Herzen sehr gut auf sie zu sprechen und ihr zu Gefallen veraenderte ich meine schlechten Ansichten von den Frauen und dachte mir, es muesste doch nicht so uebel mit ihnen stehen, wenigstens sollten sie um dieser einen willen von nun an mehr Gnade finden bei mir. Ich war sehr froh, wenn Lydia zugegen war oder wenn ich Veranlassung fand, mich dahin zu verfuegen, wo sie eben war; doch tat ich deswegen nicht einen Schritt mehr, als im natuerlichen Gange der Dinge lag; nicht einmal blickte oder ging ich, wenn ich mich im gleichen Raume mit ihr befand, ohne einen bestimmten vernuenftigen Grund nach ihr hin und fuehlte ueberhaupt eine solche Ruhe in mir, wie das kuehle Meerwasser, wenn kein Wind sich regt und die Sonne obenhin daraufscheint. "Dies verhielt sich so ungefaehr ein halbes Jahr, ein Jahr oder auch etwas darueber, ich weiss es nicht mehr genau; denn die ganze Zeitrechnung von damals ist mir verlorengegangen, der ganze Zeitraum schwebt mir nur noch wie ein schwueler von Traeumen durchzogener Sommertag vor. Waehrend dieses Anfanges nun, dessen laengere oder kuerzere Dauer ich nicht mehr weiss, ging so alles gut und ruhig vonstatten. Die Dame, obgleich sie mich oefters sehen musste, hatte nicht besonders viel mit mir zu verkehren oder zu sprechen, wenn sie es aber tat, so war sie ausserordentlich freundlich und tat es nie, ohne mit einem kindlichen harmlosen Lachen ihres schoenen Gesichtes, was ich dann dankbarst damit erwiderte, dass ich ein um so ehrbareres Gesicht machte und den Mund nicht verzog, indem ich sagte: Sehr wohl, mein Fraeulein! oder auch unbefangen widersprach, wenn sie sich irrte, was indes selten geschah. War sie aber nicht zugegen oder ich allein, so dachte ich wohl vielfaeltig an sie, aber nicht im mindesten wie ein Verliebter, sondern wie ein guter Freund oder Verwandter, welcher aufrichtig um sie bekuemmert war, ihr alles Wohlergehen wuenschte und allerlei gute Dinge fuer sie ausdachte. Kaum ging eine leise Veraenderung dadurch mit mir vor, wenn ich mich recht entsinne, dass ich gegenueber dem Gouverneur ein wenig mehr auf mich hielt, ein wenig mehr den Soldaten hervorkehrte, der nichts als seine Pflicht kennt, und in meinen uebrigen Dienstleistungen mehr den Schein der Unabhaengigkeit wahrte, wie ich denn auch in keinerlei Lohnverhaeltnis zu ihm stand und, nachdem die eigentliche Arbeit auf seinem Bureau getan, wofuer ich besoldet war, alles uebrige als ein guter Vertrauter mitmachte und nur, da es die Gelegenheit mit sich brachte, etwa mit ihm ass und trank. Und so war ich, wie schon gesagt, vollkommen ruhig und zufrieden, was sich freilich auf meine besondere Weise ausnehmen mochte. "Da geschah es eines Tages, als ich unter den schattigen Baeumen mir zu tun machte, dass die Lydia innerhalb einer kurzen Stunde dreimal herkam, ohne dass sie etwas da zu tun oder auszurichten hatte. Das erstemal setzte sie sich auf einen umgestuerzten Korb und ass ein kleines Koerbchen voll roter Kirschen auf, indem sie fortwaehrend mit mir plauderte und mich zum Reden veranlasste. Das andere Mal kam sie und rueckte den Korb ganz nahe an das Rosenbaeumchen, das ich eben saeuberte, setzte sich abermals darauf und naehte ein weisses seidenes Band auf ein zierliches Nachthaeubchen oder was es war; denn genau konnte ich es nicht unterscheiden, da ich diesmal kaum hinsah und ihr nur wenig Bescheid gab, indem ich etwas verlegen wurde. Sie ging bald wieder fort und kam zum dritten Male mit einem feinen kunstvoll in Elfenbein gearbeiteten Geduldspiel aus China, packte den alten Korb und schleppte ihn wieder weg, indem sie sich in einiger Entfernung daraufsetzte, mir den Ruecken zuwendend, und ganz still das Spiel zu loesen versuchte. Ich blickte jetzt unverwandt nach ihr hin, bis sie, das Spielzeug in die Tasche steckend, unversehens sich erhob und einen seltsamen wohllautenden Triller singend davonging, ohne sich wieder nach mir umzusehen. Dies alles wollte mir nicht klar sein noch einleuchten, und meine Seele ruempfte leise die Nase zu diesem Tun; aber von Stund an war ich verliebt in Lydia. "In der wunderbarsten gelinden Aufregung liess ich mein Baeumchen stehen, holte die Doppelbuechse und streifte in den Abend hinaus weit in die Wildnis. Viele Tiere sah ich wohl, aber alle vergass ich zu schiessen; denn wie ich auf eines anschlagen wollte, dachte ich wieder an das Benehmen dieser Dame und verlor so das Tier aus den Augen. "Was will sie von dir, dachte ich, und was soll das heissen? Indem ich aber hierueber hin und her sann, entstand und lohete schon eine grosse Dankbarkeit in mir fuer alles moegliche und unmoegliche, was irgend in dem Vorfalle liegen mochte, wogegen mein Ordnungssinn und das Bewusstsein meiner geringen und wenig anmutigen Person den widerwaertigsten Streit erhob. Als ich hieraus nicht klug wurde, verfielen meine Gedanken ploetzlich auf den Ausweg, dass diese scheinbar so schoene und tuechtige Frau am Ende ganz einfach ein leichtfertiges und verbuhltes Wesen sei, das sich zu schaffen mache, mit wem es sei, und selbst mit einem armen Unteroffizier eine schlechte Geschichte anzuheben nicht verschmaehe. Diese verwuenschte Ansicht tat mir so weh und traf mich so unvermutet, dass ich wutentbrannt einen ungeheuren rauhen Eber niederschoss, der eben durch die hohen Bergkraeuter heranbrach, und meine Kugel sass fast gleichzeitig und ebenso unvermutet und unwillkommen in seinem Gehirn, wie jener niedertraechtige Gedanke in dem meinigen, und schon war mir zumute, als ob das wilde Tier noch zu beneiden waere um seine Errungenschaft im Vergleich zu der meinigen. Ich setzte mich auf die tote Bestie; vor meinen Gedanken ging die schoene Gestalt vorueber und ich sah sie deutlich, wie sie die drei Male gekommen war, mit jeder ihrer Bewegungen, und jedes Wort toente noch nach. Aber merkwuerdigerweise ging dies gute Gedaechtnis noch ueber diesen Tag hinaus und zurueck ueberhaupt bis auf den ersten Tag, wo ich sie gesehen, den ganzen Zeitraum hindurch, wo ich doch gaenzlich ruhig gewesen. Wie man bei ganz durchsichtiger Luft, wenn es Regen geben will, an entfernten Bergen viele Einzelheiten deutlich sieht, die man sonst nicht wahrnimmt, und in stiller Nacht die fernsten Glocken schlagen hoert, so entdeckte ich jetzt mit Verwunderung, dass aus jenem ganzen Zeitraume jede Art und Wendung ihrer Erscheinung, jedes einzelne Auftreten sich ohne mein Wissen mir eingepraegt hatte, und fast jedes ihrer Worte, selbst das gleichgueltigste und voruebergehendste, hoerte ich mit klar vernehmlichem Ausdruck in der Stille dieser Wildnis wieder toenen. Diese saemtliche Herrlichkeit hatte also gleichsam schlafend oder heimlicherweise sich in mir aufgehalten und der heutige Vorgang hatte nur den Riegel davor weggeschoben oder eine Fackel in ein Bund Stroh geworfen. Ich vergass ueber diesen Dingen wieder meinen schlechten Zorn und beschaeftigte mich rueckhaltlos mit der Ausbeutung meines guten Gedaechtnisses und schenkte demselben nicht den kleinsten Zug, den es mir von dem Bilde Lydias irgend liefern konnte. Auf diese Weise schlenderte ich denn auch wieder der Behausung zu und ueberliess mich allein diesen angenehmen Vorstellungen; jedoch vermochte ich nun nicht mehr so unbefangen und ruhig in ihrer Naehe zu sein, und da ich nichts anderes anzufangen wusste noch gesonnen war, so vermied ich moeglichst jeden Verkehr mit ihr, um desto eifriger an sie zu denken. So vergingen drei oder vier Wochen, ohne dass etwas weiteres vorfiel, als dass ich bemerkte, dass sie bei aller Zurueckhaltung, die sie nun beobachtete, dennoch keine Gelegenheit versaeumte, irgend etwas zu meinen Gunsten zu tun oder zu sagen, und sie fing an, mir voellig nach dem Munde oder zu Gefallen zu sprechen, da sie Ausdruecke brauchte, welche ich etwa gebraucht, und die Dinge so beurteilte, wie ich es zu tun gewohnt war. Dies schien nun erst nichts Besonderes, weil es mich eben von jeher angenehm duenkte, in ihr ganz dieselben Ansichten vom Zweckmaessigen oder vom Verkehrten zu entdecken, deren ich mich selber befleissigte; auch lachte sie ueber dieselben Dinge, ueber welche ich lachen musste, oder aergerte sich ueber die naemlichen Unschicklichkeiten, so etwa vorfielen. Aber zuletzt ward es so auffaellig, dass sie mir, da ich kaum ein Wort mit ihr zu sprechen hatte, zu Gefallen zu leben suchte, und zwar nicht wie eine schelmische Kokette, sondern wie ein einfaches argloses Kind, dass ich in die groesste Verwirrung geriet und vollends nicht mehr wusste, wie ich mich stellen sollte. So fand ich denn, um mich zu salvieren, unverfaenglich mein Heil in meiner alten wohlhergestellten Schmollkunst und verhaertete mich vollkommen in derselben, zumal ich mich nichts weniger als gluecklich fuehlte in diesem sonderbaren Verhaeltnis. Nun schien sie wahrhaft bekuemmert und niedergeschlagen, kleinlaut und schuechtern zu werden, was zu ihrem sonstigen resoluten und tuechtigen Wesen eine verfuehrerische Wirkung hervorbrachte, da man an den gewoehnlichen Weibern und, je kleinlicher sie sind, desto weniger gewohnt ist, sie durch solche schuechterne Bescheidenheit glaenzen und bestechen zu sehen. Vielmehr glauben sie, nichts stehe ihnen besser zu Gesicht, als eine schreckliche Sicherheit und Unverschaemtheit. Da nun sogar noch der alte Gouverneur anfing, in einer mir unverstaendlichen und wenig delikaten Laune zu sticheln und zu scherzen und zehnmal des Tages sagte: 'Wahrhaftig, Lydia, du bist verliebt in den Pankrazius!' so ward mir das Ding zu bunt; denn ich hielt das fuer einen sehr schlechten Spass, in betreff auf seine Tochter fuer geschmacklos und vom ordinaersten Tone, in bezug auf mich aber fuer gewissenlos und roh, und ich war oft im Begriff, es ihm offen zu sagen und mich den Teufel um ihn weiter zu kuemmern. Letzteres tat ich auch insofern, als ich mich nun gaenzlich zusammennahm und in mich selber verschloss. Lydia wurde eintoenig, ja sie schien nun sogar bleich und leidend zu werden, was mich tief bekuemmerte, ohne dass ich daraus etwas Kluges zu machen wusste. Als sie aber trotz meines Verhaltens wieder anfing, mir nachzugehen und sich fortwaehrend zu schaffen machte, wo ich mich aufhielt, geriet ich in Verzweiflung und in der Verzweiflung begann ich, abgebrochene und ungeschickte Unterhaltungen mit ihr zu pflegen. Es war gar nichts, was wir sprachen, ganz unartikuliertes jaemmerliches Zeug, als ob wir beide bloedsinnig waeren; allein beide schienen gar nicht hieran zu denken, sondern lachten uns an wie Kinder; denn auch ich vergass darueber alles andere und war endlich froh, nur diese kurzen Reden mit ihr zu fuehren. Allein das Glueck dauerte nie laenger als zwei Minuten, da wir den Faden aus Mangel an Ruhe und Besonnenheit sogleich wieder verloren und dann zwei Kindern glichen, die ein Perlenband aufgezettelt haben und mit Betruebnis die schoenen Perlen entgleiten sehen. Alsdann dauerte es wieder wochenlang, bis eine dieser grossen Unternehmungen wieder gelang, und nie tat ich den ersten Schritt dazu, da ich gleich darauf wieder nur bedacht war, mir nichts zu vergeben und keine Dummheiten zu begehen bei diesen etwas ungewoehnlichen Leuten. Hundertmal war ich entschlossen, auf und davonzugehen, allein die Zeit verging mir so eilig, dass ich die Tat immer wieder hinausschieben musste. Denn meine Gedanken waren jetzt ausschliesslich mit dieser Sache beschaeftigt und es ging mir dabei aeusserst seltsam. "Mit den Buechern des Gouverneurs war ich endlich so ziemlich fertig geworden und wusste nichts mehr aus denselben zu lernen. Lydia, welche mich so oft lesen sah, benutzte diese Gelegenheit und gab mir von den ihrigen. Darunter war ein dicker Band wie eine Handbibel und er sah auch ganz geistlich aus, denn er war in schwarzes Leder gebunden und vergoldet. Es waren aber lauter Schauspiele und Komoedien darin mit der kleinsten englischen Schrift gedruckt. Dies Buch nannte man den Shakespeare, welches der Verfasser desselben und dessen Kopf auch vorne drin zu sehen war. Dieser verfuehrerische falsche Prophet fuehrte mich schoen in die Patsche. Er schildert naemlich die Welt nach allen Seiten hin durchaus einzig und wahr wie sie ist, aber nur wie sie es in den ganzen Menschen ist, welche im Guten und im Schlechten das Metier ihres Daseins und ihrer Neigungen vollstaendig und charakteristisch betreiben und dabei durchsichtig wie Kristall, jeder vom reinsten Wasser in seiner Art, so dass, wenn schlechte Skribenten die Welt der Mittelmaessigkeit und farblosen Halbheit beherrschen und malen und dadurch Schwachkoepfe in die Irre fuehren und mit tausend unbedeutenden Taeuschungen anfuellen, dieser hingegen eben die Welt des Ganzen und Gelungenen in seiner Art, d. h. wie es sein soll, beherrscht, und dadurch gute Koepfe in die Irre fuehrt, wenn sie in der Welt dies wesentliche Leben zu sehen und wiederzufinden glauben. Ach es ist schon in der Welt, aber nur niemals da, wo wir eben sind oder dann, wann wir leben. Es gibt noch verwegene schlimme Weiber genug, aber ohne den schoenen Nachtwandel der Lady Macbeth und das bange Reiben der kleinen Hand. Die Giftmischerinnen, die wir treffen, sind nur frech und reulos und schreiben gar noch ihre Geschichte oder legen einen Kramladen an, wenn sie ihre Strafe ueberstanden. Es gibt noch Leute genug, die waehnen Hamlet zu sein, und sie ruehmen sich dessen, ohne eine Ahnung zu haben von den grossen Herzensgruenden eines wahren Hamlet. Hier ist ein Blutmensch, ohne Macbeths daemonische und doch wieder so menschliche Mannhaftigkeit, und dort ein Richard der Dritte, ohne dessen Witz und Beredsamkeit. Hier ist eine Porzia, die nicht schoen, dort eine, die nicht geistreich, dort wieder eine, die geistreich, aber nicht klug ist und wohl versteht, Leute ungluecklich zu machen, nicht aber sich selbst zu begluecken. Unsere Shylocks moechten uns wohl das Fleisch ausschneiden, aber sie werden nun und nimmer eine Barauslage zu diesem Behuf wagen, und unsere Kaufleute von Venedig geraten nicht wegen eines lustigen Habenichts von Freund in Gefahr, sondern wegen einfaeltigen Aktienschwindels und halten dann nicht im mindesten so schoene melancholische Reden, sondern machen ein ganz dummes Gesicht dazu. Doch eigentlich sind, wie gesagt, alle solche Leute wohl in der Welt, aber nicht so huebsch beisammen, wie in jenen Gedichten; nie trifft ein ganzer Schurke auf einen ganzen wehrbaren Mann, nie ein vollstaendiger Narr auf einen unbedingt klugen Froehlichen, so dass es zu keinem rechten Trauerspiel und zu keiner guten Komoedie kommen kann. "Ich aber las nun die ganze Nacht in diesem Buche und verfing mich ganz in demselben, da es mir gar so gruendlich und sachgemaess geschrieben schien und mir ausserdem eine solche Arbeit ebenso neu als verdienstlich vorkam. Weil nun alles uebrige so trefflich, wahr und ganz erschien und ich es fuer die eigentliche und richtige Welt hielt, so verliess ich mich insbesondere auch bei den Weibern, die es vorbrachte, ganz auf ihn, verlockt und geleitet von dem schoenen Sterne Lydia, und ich glaubte, hier ginge mir ein Licht auf und sei die Loesung meiner zweifelvollen Verwirrung und Qual zu finden. "Gut! dachte ich, wenn ich diese schoenen Bilder der Desdemona, der Helena, der Imogen und anderer sah, die alle aus der hohen Selbstherrlichkeit ihres Frauentums heraus so seltsamen Kaeuzen nachgingen und anhingen, rueckhaltlos wie unschuldige Kinder, edel, stark und treu wie Helden, unwandelbar und treu wie die Sterne des Himmels: gut! hier haben wir unsern Fall! Denn nichts anderes als ein solches festes, schoengebautes und gradausfahrendes Frauenfahrzeug ist diese Lydia, die ihren Anker nur einmal und dann in eine unergruendliche Tiefe auswirft und wohl weiss, was sie will. Diese Meinung ging gleich einer strahlenden heissen Sonne in mir auf und in deren Licht sah ich nun jede Bewegung und jede kleinste Handlung, jedes Wort des schoenen Geschoepfes, und es dauerte nicht lange, so ueberbot sie in meinen Augen alles, was der gute Dichter mit seiner maechtigen Einbildungskraft erfunden, da dies lebendige Gedicht im Lichte der Sonne umherging in Fleisch und Blut, mit wirklichen Herzschlaegen und einem tatsaechlichen Nacken voll goldener Locken. "Das unheimliche Raetsel war nun geloest und ich hatte nichts weiter zu tun, als mich in diese mit dem Shakespeare in die Wette zusammengedichtete Seligkeit zu finden und mit Muehe meine geringfuegige und unliebliche Person fuer eine solche Laune des Schicksals oder des koeniglich grossmuetigen Frauengemuetes einigermassen leidlich zurechtzustutzen mittelst hundertfacher Plaene und Aussichten, welche sich an das grosse schoene Luftschloss anbaueten. Die unendliche Dankbarkeit und Verehrung, welche ich solchergestalt gegen die Geliebte empfand, hatte allerdings zum guten Teil ihren Grund in meiner sich geschmeichelt fuehlenden Eigenliebe; aber gewiss auch zum noch groesseren Teile darin, dass diese Erklaerungsweise die einzige war, welche mir moeglich schien, ohne dies teuerste Wesen verachten und bemitleiden zu muessen; denn eine hohe Achtung, die ich fuer sie empfand, war mir zum Lebensbeduerfnis geworden und mein Herz zitterte vor ihr, das noch vor keinem Menschen und vor keinem wilden Tiere gezittert hatte. "So ging ich wohl ein halbes Jahr lang herum wie ein Nachtwandler, von Traeumen so vollhaengend, wie ein Baum voll Aepfel, alles, ohne mit Lydia um einen Schritt weiterzukommen. Ich fuerchtete mich vor dem kleinsten moeglichen Ereignis, etwa wie ein guter Christ vor dem Tode, den er zagend scheut, obgleich er durch selbigen in die ewige Seligkeit einzugehen gewiss ist. Desto bunter ging es in meinem Gehirn zu und die Ereignisse und aufregendsten Geschichten, alles aufs schoenste und unzweifelhafteste sich begebend, draengten und bluehten da durcheinander. Ich versaeumte meine Geschaefte und war zu nichts zu gebrauchen. Das Aergste war mir, wenn ich stundenlang mit dem Alten Schach spielen musste, wo ich dann gezwungen war, meine Aufmerksamkeit an das Spiel zu fesseln, und die einzige Musse fuer meine schweren Liebesgedanken gewaehrte mir die kurze Zeit, wenn ein Spiel zu Ende war und die Figuren wieder aufgestellt wurden. Ich liess mich daher sobald als immer moeglich, ohne dass es zu sehr auffiel, matt machen und hielt mich so lange mit dem Aufstellen des Koenigs und der Koenigin, der Laeufer, Springer und Bauern auf und rueckte so lange an den Tuermen hin und her, dass der Gouverneur glaubte, ich sei kindisch geworden und taendle mit den Figuerchen zu meinem Vergnuegen. "Endlich aber drohete meine ganze Existenz sich in muessige Traumseligkeit aufzuloesen, und ich lief Gefahr, ein Tollhaeusler zu werden. Zudem war ich trotz aller dieser goldenen Luftschloesser unsaeglich kleinmuetig und traurig, da, ehe das letzte Wort gesprochen ist, die solchen wuchernden Traeumen gegenueber immer zurueckstehende Wirklichkeit niederdrueckt und die leibhafte Gegenwart etwas Abkuehlendes und Abwehrendes behaelt. Es ist das gewissermassen die schuetzende Dornenruestung, womit sich die schoene Rose des koerperlichen Lebens umgibt. Je freundlicher und zutunlicher Lydia wurde, desto ungewisser und zweifelhafter wurde ich, weil ich an mir selbst entnahm, wie schwer es einem moeglich wird, eine wirkliche Liebe zu zeigen, ohne sie ganz bei ihrem Namen zu nennen. Nur wenn sie streng, traurig und leidend schien, schoepfte ich wieder einen halben Grund zu einer vernuenftigen Hoffnung, aber dies quaelte mich alsdann noch viel tiefer und ich hielt mich nicht wert, dass sie nur eine schlimme Minute um meinetwillen erleiden sollte, der ich gern den Kopf unter ihre Fuesse gelegt haette. Dann aergerte ich mich wieder, dass sie, um guter Dinge zu sein, verlangte, ich sollte etwa aussehen wie ein verliebter naerrischer Schneider, da ich doch kein solcher war und ich auf meine Weise schon gedachte, beweglich zu werden zu ihrem Wohlgefallen. Kurz, ich ging einer gaenzlichen Verwirrung entgegen, war nicht mehr imstande, ein einziges Geschaeft ordnungsgemaess zu verrichten, und lief Gefahr, als Soldat rueckwaerts zu kommen oder gar verabschiedet zu werden, wenn ich nicht als ein abhaengiger dienstbarer Lueckenbuesser, der zu weiter nichts zu brauchen, mich an das Haus des Gouverneurs haengen wollte. "Als daher die Englaender in bedenkliche Feindseligkeiten mit indischen Voelkern gerieten und ein Feldzug eroeffnet wurde, der nachher ziemlich blutig fuer sie ausfiel, entschloss ich mich kurz und trat wieder in meine Kompanie als guter Kombattant, vom Gouverneur meinen Abschied nehmend. Derselbe wollte zwar nichts davon wissen, sondern polterte, bat und schmeichelte mir, dass ich bleiben moechte, wie alle solche Leute, die glauben, alles stehe mit seinem Leib und Leben, mit seinem Wohl und Wehe nur zu ihrer Verfuegung da, um ihnen die Zeit zu vertreiben und zur Bequemlichkeit zu dienen. Lydia hingegen liess sich waehrend der drei oder vier Tage, waehrend welcher von meinem Abzug die Rede war, kaum sehen. Geschah es aber, so sah sie mich nicht an oder warf einen kurzen Blick voll Zornes auf mich, wie es schien; aber nur das Auge schien zornig, ihr Gang und die uebrigen Bewegungen waren dabei so still, edel und an sich haltend, dass dieser schoene Zorn mir das Herz zerriss. Auch hoerte ich, dass sie des Morgens sehr spaet zum Vorschein kaeme und dass man sich darueber den Kopf zerbraeche; denn es deutete darauf, dass sie des Nachts nicht schlafe, und als ich sie am letzten Tage zufaellig hinter ihrem Fenster sah, glaubte ich zu bemerken, dass sie ganz verweinte Augen hatte; auch zog sie sich schnell zurueck, als ich vorueberging. Nichtsdestominder schritt ich meinen steifen Feldwebelsgang ruhig fort und verrichtete alles, weder rechts noch links sehend. So ging ich auch gegen Abend mit einem Burschen noch einmal durch die Pflanzungen, um ihm die Obhut derselben einigermassen zu zeigen und ihn, so gut es ging, zu einem provisorischen Gaertner zuzustutzen, bis sich ein tauglicheres Subjekt zeigen wuerde. Wir standen eben in einem schlanken Rosenwaeldchen, das ich gezogen hatte; die Baeumen ragten just in die Hoehe des Gesichtes und waren so dicht, dass, wenn man darin herumging, die Rosen einem an der Nase streiften, was sehr artig und bequem war und wozu der Gouverneur sehr gelacht hatte, da er sich nun nicht mehr zu buecken brauchte, um an den Rosen zu riechen. Als ich dem Burschen meine Anweisungen erteilte, kam Lydia herbei und schickte ihn mit irgendeinem Auftrage weg, und indem sie gleich mitzugehen willens schien, zoegerte sie doch eine kurze Zeit, einige Rosen brechend, bis der Diener weg war. Ich zerrte ebenfalls noch ein Weilchen an einem Zweige herum und wie ich mich umdrehte, um zu gehen, sah ich, dass ihr Traenen aus den Augen fielen. Ich hatte Muehe, mich zu bezwingen, doch tat ich, als ob ich nichts gesehen, und eilte hinweg. Doch kaum war ich zehn Schritte gegangen, als ich hoerte und fuehlte, wie sie, bald laufend, bald stehenbleibend, hinter mir herkam, und so eine ganze Strecke weit. Ich hielt dies nicht mehr aus, wandte mich ploetzlich um und sagte zu ihr, die kaum noch drei Schritte von mir entfernt war: 'Warum gehen Sie mir nach, Fraeulein?' "Sie stand still, wie von einer Schlange erschreckt, und wurde, den Blick zur Erde gesenkt, gluehendrot im Gesicht; dann wurde sie bleich und weiss und zitterte am ganzen Leibe, waehrend sie die grossen blauen Augen zu mir aufschlug und nicht ein Wort hervorbrachte. Endlich sagte sie mit einer Stimme, in welcher empoerter Stolz mit gern ertragener Demuetigung rang: 'Ich denke, ich kann in meinem Besitztume herumgehen, wo ich will!' "'Gewiss!' erwiderte ich kleinlaut und setzte meinen Weg fort. Sie war jetzt an meiner Seite und ging neben mir her. Ich ging aber in meiner heftigen Aufregung mit so langen und raschen Schritten, dass sie trotz ihrer kraeftigen Bewegungen mir mit Muehe folgen konnte, und doch tat sie es. Ich sah sie mehrmals gross an von der Seite und sah, dass ihr die Augen wieder voll Wasser standen, indessen dieselben wie kummervoll und demuetig auf den Boden gerichtet waren. Mir brannte es ebenfalls siedendheiss im Gesicht und meine Augen wurden auch nass. Die Sache stand jetzt dergestalt auf der Spitze, dass ich entweder eine Dummheit oder eine Gewissenlosigkeit zu begehen im Begriffe stand, wovon ich weder das eine noch das andere zu tun gesonnen war. Doch dachte ich, indem ich so neben ihr herschritt, in meinen armen Gedanken: Wenn dies Weib dich liebt und du jemals mit Ehren an ihre Hand gelangest, so sollst du ihr auch dienen bis in den Tod, und wenn sie der Teufel selbst waere! "Indem erreichten wir eine Staette, wo ein oder zwei Dutzend Orangenbaeume standen und die Luft mit Wohlgeruch erfuellten, waehrend ein suesser frischer Lufthauch durch die reinlichen edelgeformten Staemme wehte. Ich glaube diesen betoerenden Hauch und Duft noch jetzt zu fuehlen, wenn ich daran denke, wahrscheinlich uebte er eine aehnliche Wirkung auf das Geschoepf, das neben mir ging, dass es seine wundersame Leidenschaft, welche die Liebe zu sich selbst war, so aufs aeusserste empfand und darstellte, als ob es eine wirkliche Liebe zu einem Manne waere; denn sie liess sich auf eine Bank unter den Orangen nieder und senkte das schoene Haupt auf die Haende; die goldenen Haare fielen darueber und reiche Traenen quollen durch ihre Finger. "Ich stand vor ihr still und sagte mit versagender Stimme: 'Was wollen Sie denn, was ist Ihnen, Fraeulein Lydia?' "'Was wollen Sie denn!' sagte sie, 'ist es je erhoert, eine schoene und feine Dame so zu quaelen und zu misshandeln! Aus welchem barbarischen Lande kommen Sie denn? Was tragen Sie fuer ein Stueck Holz in der Brust?' "'Wie quaele, wie misshandle ich denn?' erwiderte ich unschluessig und betreten; denn obgleich sie einen guten Sinn haben konnte, schien mir diese Sprache dennoch nicht die rechte zu sein. "'Sie sind ein grober und uebermuetiger Mensch!' sagte sie, ohne aufzublicken. "Nun konnte ich nicht mehr an mich halten und erwiderte, 'Sie wuerden dies nicht sagen, mein Fraeulein, wenn Sie wuessten, wie wenig grob und uebermuetig ich in meinem Herzen gegen Sie gesinnt bin! Und es ist gerade meine grosse Hoeflichkeit und Demut, welche--' "Sie blickte, als ich wieder verstummte, auf, und das Gesicht mit einem schmerzlichen, bittenden Laecheln aufgehellt, sagte sie hastig: 'Nun?' Wobei sie mir einen Blick zuwarf, der mich jetzt um den letzten Rest von Ueberlegung brachte. Ich, der ich es nie fuer moeglich gehalten haette, selbst dem geliebtesten Weibe zu Fuessen zu fallen, da ich solches fuer eine Torheit und Ziererei ansah, ich wusste jetzt nicht, wie ich dazu kam, ploetzlich vor ihr zu liegen und meinen Kopf ganz hinzugeben und zerknirscht in den Saum ihres Gewandes zu verbergen, den ich mit heissen Traenen benetzte. Sie stiess mich jedoch augenblicklich zurueck und hiess mich aufstehen; doch als ich dies tat, hatte sich ihr Laecheln noch vermehrt und verschoenert und ich rief nun: 'Ja--so will ich es Ihnen nur sagen', und so weiter, und erzaehlte ihr meine ganze Geschichte mit einer Beredsamkeit, die ich mir kaum je zugetraut. Sie horchte begierig auf, waehrend ich ihr gar nichts verschwieg vom Anfang bis zu dieser Stunde und besonders ihr auch aus ueberstroemendem Herzen das Bild entwarf, das von ihr in meiner Seele lebte und wie ich es seit einem halben Jahre oder mehr so emsig und treu ausgearbeitet und vollendet. Sie lachte, vor sich niedersehend und voll Zufriedenheit lauschend, die Hand unter das Kinn stuetzend, und sah immer mehr einem seligen Kinde gleich, dem man ein gewuenschtes Spielzeug gegeben, als sie hoerte und vernahm, wie nicht einer ihrer Vorzuege und Reize und nicht eines ihrer Worte bei mir verlorengegangen war. Dann reichte sie mir die Hand hin und sagte, freundlich erroetend, doch mit zufriedener Sicherheit: 'Ich danke Ihnen sehr, mein Freund, fuer Ihre herzliche Zuneigung! Glauben Sie, es schmerzt mich, dass Sie um meinetwillen so lange besorgt und eingenommen waren; aber Sie sind ein ganzer Mann und ich muss Sie achten, da Sie einer so schoenen und tiefen Neigung faehig sind!' "Diese ruhige Rede fiel zwar wie ein Stueck Eis in mein heisses Blut; doch gedachte ich sogleich, es ihr wohl und von Herzen zu goennen, wenn sie jetzt die gefasste und sich zierende Dame machen wolle, und mich in alles zu ergeben, was sie auch vornehmen und welchen Ton sie auch anschlagen wuerde. "Doch erwiderte ich bekuemmert: 'Wer spricht denn von mir, schoene, schoene Lydia! Was hat alles, was ich leide oder nicht leide, erlitten habe oder noch erleiden werde, zu sagen, gegenueber auch nur einer unmutigen oder gequaelten Minute, die Sie erleiden? Wie kann ich unwerter und ungefueger Geselle eine solche je ersetzen oder vergueten?' "'Nun,' sagte sie, immer vor sich niederblickend und immer noch laechelnd, doch schon in einer etwas veraenderten Weise, 'nun, ich muss allerdings gestehen, dass mich Ihr schroffes und ungeschicktes Benehmen sehr geaergert und sogar gequaelt hat; denn ich war an so etwas nicht gewoehnt, vielmehr dass ich ueberall, wo ich hinkam, Artigkeit und Ergebenheit um mich verbreitete. Ihre scheinbare grobe Fuehllosigkeit hat mich ganz schaendlich geaergert, sage ich Ihnen, und um so mehr, als mein Vater und ich viel von Ihnen hielten. Um so lieber ist es mir nun, zu sehen, dass Sie doch auch ein bisschen Gemuet haben, und besonders, dass ich an meinem eigenen Werte nicht laenger zu zweifeln brauche; denn was mich am meisten kraenkte, war tiefer Zweifel an mir selbst, an meinem persoenlichen Wesen, der in mir sich zu regen begann. Uebrigens, bester Freund, empfinde ich keine Neigung zu Ihnen, so wenig als zu jemand anderm, und hoffe, dass Sie sich mit aller Hingebung und Artigkeit, die Sie soeben beurkundet, in das Unabaenderliche fuegen werden, ohne mir gram zu sein!' "Wenn sie geglaubt, dass ich nach dieser unbefangenen Eroeffnung gaenzlich rat- und wehrlos vor ihr darniederliegen werde, so hatte sie sich getaeuscht. Vor dem vermeintlich guten und liebevollen Weibe hatte mein Herz gezittert, vor dem wilden Tiere dieser falschen gefaehrlichen Selbstsucht zitterte ich so wenig mehr, als ich es vor Tigern und Schlangen zu tun gewohnt war. Im Gegenteil, anstatt verwirrt und verzweifelt zu sein und die Taeuschung nicht aufgeben zu wollen, wie es sonst wohl geschieht in dergleichen Auftritten, war ich ploetzlich so kalt und besonnen, wie nur ein Mann es sein sonnte, der auf das schmaehlichste beleidigt und beschimpft worden ist, oder wie ein Jaeger es sein kann, der statt eines edlen scheuen Rehes urploetzlich eine wilde Sau vor sich sieht. Ein seltsam gemischtes, unheimliches Gefuehl von Kaelte freilich, wenn ich bei alledem die Schoenheit ansehen musste, die da vor mir glaenzte. Doch dieses ist das unheimliche Geheimnis der Schoenheit. "Indessen, waere ich nicht von der Sonne ganz braungebrannt gewesen, so wuerde ich jetzt dennoch so weiss ausgesehen haben, wie die Orangenblueten ueber mir, als ich ihr nach einigem Schweigen erwiderte. 'Und also um Ihren edlen Glauben an Ihre Persoenlichkeit herzustellen, war es Ihnen moeglich, alle Zeichen der reinen und tiefen Liebe und Selbstentaeusserung zu verwenden? Zu diesem Zwecke gingen Sie mir nach, wie ein unschuldiges Kind, das seine Mutter sucht, redeten Sie mir fortwaehrend nach dem Munde, wurden Sie bleich und leidend, vergossen Sie Traenen und zeigten eine so goldene und rueckhaltlose Freude, wenn ich mit Ihnen nur ein Wort sprach?' "'Wenn es so ausgesehen hat, was ich tat,' sagte sie noch immer selbstzufrieden, 'so wird es wohl so sein. Sie sind wohl ein wenig boese, eitler Mann! dass Sie nun doch nicht der Gegenstand einer gar so demutvollen und grenzenlosen weiblichen Hingebung sind?' 'Dass ich Aermste nicht das sehnlich bloekende Laemmlein bin, fuer das Sie mich in Ihrer Vergnuegtheit gehalten?' "'Ich war nicht vergnuegt, Fraeulein!' erwiderte ich. 'Indessen wenn die Goetter, wenn Christus selbst einer unendlichen Liebe zu den Menschen vielfach sich hingaben und wenn die Menschheit von jeher ihr hoechstes Glueck darin fand, dieser rueckhaltlosen Liebe der Goetter wert zu sein und ihr nachzugehen: warum sollte ich mich schaemen, mich aehnlich geliebt gewaehnt zu haben? Nein, Fraeulein Lydia! Ich rechne es mir sogar zur Ehre an, dass ich mich von Ihnen fangen liess, dass ich eher an die einfache Liebe und Guete eines unbefangenen Gemuetes glaubte, bei so klaren und entschiedenen Zeichen, als dass ich verdorbenerweise nichts als eine einfaeltige Komoedie dahinter gefuerchtet. Denn einfaeltig ist die Geschichte! Welche Garantie haben Sie denn nun fuer Ihren Glauben an sich selbst, da Sie solche Mittel angewendet, um nur den aermsten aller armen Kriegsleute zu gewinnen, Sie, die schoene und vornehme englische Dame?' "'Welche Garantie?' antwortete Lydia, die nun allmaehlich blass und verlegen wurde, 'ei! Ihre verliebte Neigung, zu deren Erklaerung ich Sie endlich gezwungen habe! Sie werden mir doch nicht leugnen wollen, dass Sie hingerissen waren und mir soeben erzaehlten, wie ich Ihnen von jeher gefallen? Warum liessen Sie das in Ihrer Grobheit nicht ein klein weniges merken, so wie es dem schlichtesten und anspruchslosesten Menschen wohl ansteht, und wenn er ein Schafhirt waere, so wurde uns diese ganze Komoedie, wie Sie es nennen, erspart worden sein und ich haette mich begnuegt!' "'Haetten Sie mich in meiner Ruhe gelassen, meine Schoene', erwiderte ich, 'so haetten Sie mehr gewonnen. Denn Sie scheinen zu vergessen, dass dies Wohlgefallen sich jetzt notwendig in sein Gegenteil verkehren muss, zu meinen eigenen Schmerzen!' "'Hilft Ihnen nichts,' sagte sie, 'ich weiss einmal, dass ich Ihnen wohlgefallen habe und in Ihrem Blute wohne! Ich habe Ihr Gestaendnis angehoert und bin meiner Eroberung versichert. Alles uebrige ist gleichgueltig; so geht es zu, bester Herr Pankrazius, und so werden diejenigen bestraft, die sich vergehen im Reiche der Koenigin Schoenheit!' 'Das heisst,' sagte ich, 'es scheint dies Reich eher einer Zigeunerbande zu gleichen. Wie koennen Sie eine Feder auf den Hut stecken, die Sie gestohlen haben, wie eine gemeine Ladendiebin? gegen den Willen des Eigentuemers?' "Sie antwortete: 'Auf diesem Felde, bester Herr Eigentuemer, gereicht der Diebstahl der Diebin zum Ruhm, und Ihr Zorn beweist nur aufs neue, wie gut ich Sie getroffen habe!' "So zankten wir noch eine gute halbe Stunde herum in dem suessen Orangenhaine, aber mit bittern harten Worten, und ich suchte vergeblich ihr begreiflich zu machen, wie diese abgestohlene und erschlichene Liebesgeschichte durchaus nicht den Wert fuer sie haben koennte, den sie ihr beilegte. Ich fuehrte diesen Beweis nicht nur aus philisterhafter Verletztheit und Dummheit, sondern auch um irgendeinen Funken vom Gefuehl ihres Unrechtes und der Unsittlichkeit ihrer Handlungsweise in ihr zu erwecken. Aber umsonst! Sie wollte nicht einsehen, dass eine rechte Gemuetsverfassung erst dann in der vollen und rueckhaltlosen Liebe aufflammt, wenn sie Grund zur Hoffnung zu haben glaubt; und also diesen Grund zu geben, ohne etwas zu fuehlen, immer ein grober und unsittlicher Betrug bleibt, und um so gewissenloser, als der Betrogene einfacher, ehrlicher und argloser Art ist. Immer kam sie auf das Faktum meiner Liebeserklaerung zurueck, und zwar warf sie, die sonst ein so gesundes Urteil zu haben schien, die unsinnigsten, kleinlichsten und unanstaendigsten Reden und Argumente durcheinander und tat einen wahren Kindskopf kund. Waehrend der ganzen Jahre unsers Zusammenseins hatte ich nicht so viel mit ihr gesprochen, wie in dieser letzten zaenkischen Stunde, und nun sah ich, o gerechter Gott! dass es ein Weib war von einem grossangelegten Wesen, mit den Manieren, Bewegungen und Kennzeichen eines wirklich edeln und seltenen Weibes, und bei alledem mit dem Gehirn--einer ganz gewoehnlichen Soubrette, wie ich sie nachmalen zu Dutzenden gesehen habe auf den Vaudevilletheatern zu Paris! Waehrend dieses Zankes aber verschlang ich sie dennoch fortwaehrend mit den Augen und ihre unbegreifliche grundlose, so persoenlich scheinende Schoenheit quaelte mein Herz in die Wette mit dem Wortwechsel, den wir fuehrten. Als sie aber zuletzt ganz sinnlose und unverschaemte Dinge sagte, rief ich, in bittere Traenen ausbrechend: 'O Fraeulein! Sie sind ja der groesste Esel, den ich je gesehen habe!' "Sie schuettelte heftig die Wucht ihrer Locken und sah bleich und erstaunt zu mir auf, wobei ein wilder schiefer Zug um ihren sonst so schoenen Mund schwebte. Es sollte wohl ein hoehnisches Laecheln sein, ward aber zu einem Zeichen seltsamer Verlegenheit. "'Ja,' sagte ich, mit den Faeusten meine Traenen zerreibend, 'nur wir Maenner koennen sonst Esel sein, dies ist unser Vorrecht, und wenn ich Sie auch so nenne, so ist es noch eine Art Auszeichnung und Ehre fuer Sie. Waeren Sie nur ein bisschen gewoehnlicher und geringer, so wuerde ich Sie einfach eine schlechte Gans schelten!' "Mit diesen Worten wandte ich mich endlich von ihr ab und ging, ohne ferner nach ihr hinzublicken, aber mit dem Gefuehle, dass ich das, was mir jemals in meinem Leben von reinem Glueck beschieden sein mochte, jetzt fuer immer hinter mir lasse, und dass es jetzt vorbei waere mit meiner glaeubigen Froemmigkeit in solchen Dingen. "Das hast du nun von deinem unglueckseligen Schmollwesen! sagte ich zu mir selbst, haettest du von Anbeginn zuweilen nur halb so lange mit ihr freundlich gesprochen, so haette es dir nicht verborgen bleiben koennen, wes Geistes Kind sie ist, und du haettest dich nicht so groeblich getaeuscht! Fahr hin und zerfliesse denn, du schoenes Luftgebilde! "Als ich mich nun mit zerrissenen Gedanken vom Gouverneur verabschiedete, sah mich derselbe vergnueglich und verschmitzt an und blinzelte spoettisch mit den Augen. Ich merkte, dass er meine Affaere wohl kannte, ueberhaupt dieselbe von jeher beobachtet hatte und eine Art von schadenfrohem Spass darueber empfand. Da er sonst ein ganz biederer und honetter Mann war, so konnte das nichts anderes sein, als die einfaeltige Freude aller Philister an grausamen und schlechten Bratenspaessen. Im vorigen Jahrhundert belustigten sich grosse Herren daran, ihre Narren, Zwerge und sonstigen Untergebenen betrunken zu machen und dann mit Wasser zu begiessen oder koerperlich zu misshandeln. Heutzutage wird dies bei den Gebildeten nicht mehr beliebt; dagegen unterhaelt man sich mit Vorliebe damit, allerlei feine Verwirrungen anzuzetteln, und je weniger solche Philisterseelen selber einer starken und gruendlichen Leidenschaft faehig sind, desto mehr fuehlen sie das Beduerfnis, dergleichen mit mehr oder weniger plumpen Mitteln in denen zu erwecken, die sich dazu eignen, in solche herzlos aufgestellte Mausefallen zu geraten. Wenn nun der Gouverneur seinerseits es nicht verschmaehte, seine eigene Tochter als gebratenen Speck zu verwenden, so war hiergegen nichts weiter zu sagen, und ich nahm, obschon noch ein guter Gepaeckwagen abfuhr, eigensinnig meinen schweren Tornister und die Muskete auf den Ruecken und fuehrte einen zurueckgebliebenen Trupp in die Nacht hinaus dem Regimente nach, das schon in der Fruehe abmarschiert war. "Ich sah mich nach einem muehseligen und heissen Marsch nun in eine neue Welt versetzt, als die Kampagne eroeffnet war und die Truppen der ostindischen Kompanie sich mit den wilden Bergstaemmen an der aeussersten Grenze des indo-britischen Reiches herumschlugen. Einzelne Kompanien unseres Regimentes waren fortwaehrend vorgeschoben; eines Tages aber wurde die meinige so moerderisch umzingelt, dass wir uns mitten in einem Knaeuel von banditenaehnlichen Reitern, Elefanten und sonderbar bemalten und vergoldeten Wagen befanden, auf denen stille schoene hindostanische Scheinfuersten sassen, von den wilden Haeuptlingen als Puppen mitgefuehrt. Unsere saemtlichen Offiziere fielen an diesen Tagen und die Kompanie schmolz auf ein Drittel zusammen. Da ich mich ordentlich hielt und einige Dienste leistete, so erlangte ich das Patent des ersten Leutnants der Kompanie und nach Beendigung des Feldzuges war ich deren Kapitaen. "Als solcher hielt ich mit etwa hundertundfuenfzig Mann zwei Jahre lang einen kleinen Grenzbezirk besetzt, welcher zur Abrundung unseres Gebietes erobert worden, und war waehrend dieser Zeit der oberste Machthaber in dieser heidnischen Wildnis. Ich war nun so einsam, als ich je in meinem Leben gewesen, misstrauisch gegen alle Welt und ziemlich streng in meinem Dienstverkehr, ohne gerade boese oder ungerecht zu sein. Meine Haupttaetigkeit bestand darin, christliche Polizei einzufuehren und unsern Religionsleuten nachdruecklichen Schutz zu gewaehren, damit sie ungefaehrdet arbeiten konnten. Hauptsaechlich aber hatte ich das Verbrennen indischer Weiber zu verhueten, wenn ihre Maenner gestorben, und da die Leute eine foermliche Sucht hatten, unser englisches Verbot zu uebertreten und einander bei lebendigem Leibe zu braten zu Ehren der Gattentreue, so mussten wir stets auf den Beinen sein, um dergleichen zu hintertreiben. Sie waren dann ebenso muerrisch und missvergnuegt, wie wenn hierzulande die Polizei ein unerlaubtes Vergnuegen stoert. Einmal hatten sie in einem entfernten Dorfe die Sache ganz schlau und heimlich soweit gebracht, dass der Scheiterhaufen schon lichterloh brannte, als ich atemlos herzugeritten kam und das Voelkchen auseinanderjagte. Auf dem Feuer lag die Leiche eines uralten, gaenzlich vertrockneten Gockelhahns, welcher schon ein wenig brenzelte. Neben ihm aber lag ein bildschoenes Weibchen von kaum sechzehn Jahren, welches mit laechelndem Munde und silberner Stimme seine Gebete sang. Gluecklicherweise hatte das Geschoepfchen noch nicht Feuer gefangen und ich fand gerade noch Zeit, vom Pferde zu springen und sie bei den zierlichen Fuesschen zu packen und vom Holzstoss zu ziehen. Sie gebaerdete sich aber wie besessen und wollte durchaus verbrannt sein mit ihrem alten Staenker, so dass ich die groesste Muehe hatte, sie zu baendigen und zu beschwichtigen. Freilich gewannen diese armen Witwen nicht viel durch solche Rettung; denn sie fielen hernach unter den Ihrigen der aeussersten Schande und Verlassenheit anheim, ohne dass das Gouvernement etwas dafuer tat, ihnen das gerettete Leben auch leichtzumachen. Diese Kleine gelang es mir indessen zu versorgen, indem ich ihr eine Aussteuer verschaffte und an einen getauften Hindu verheiratete der bei uns diente, dem sie auch getreulich anhing. "Allein diese wunderlichen Vorfaelle beschaeftigten meine Gedanken und erweckten allmaehlich in mir den Wunsch nach dem Genusse solcher unbedingten Treue, und da ich fuer diese Laune kein Weib zu meiner Verfuegung hatte, verfiel ich einer ganz weichlichen Sehnsucht, selber so treu zu sein, und damit zugleich einer heissen Sehnsucht nach Lydia. Da ich nun Rang und gute Aussichten besass, schien es mir nicht unmoeglich, bei einem klugen Benehmen die schoene Person, falls sie noch zu haben waere, dennoch erlangen zu koennen, und in dieser tollen Idee bestaerkte mich noch der Umstand, dass sie sich doch so viel aufrichtige und sorgenvolle Muehe gegeben, mir den Kopf zu verdrehen. Irgendeinen Wert musst du doch, dachte ich, in ihren Augen gehabt haben, sonst haette sie gewiss nicht so viel darangesetzt. Also gedacht, getan; naemlich ich geriet jetzt auf die fixe Idee, die Lydia, wenn sie mich moechte, zu heiraten, wie sie eben waere, und ihr um ihrer schoenen Persoenlichkeit willen, fuer die es nichts Aehnliches gab, treu und ergeben zu sein ohne Schranken noch Ziel, auch ihre Verkehrtheit und schlimmen Eigenschaften als Tugenden zu betrachten und dieselben zu ertragen, als ob sie das suesseste Zuckerbrot waeren. Ja, ich phantasierte mich wieder so hinein, dass mir ihre Fehler, selbst ihre teilweise Dummheit zum wuenschbarsten aller irdischen Gueter wurden, und in tausend erfundenen Variationen wandte ich dieselben hin und her und malte mir ein Leben aus, wo ein kluger und geschickter Mann die Verkehrtheiten und Maengel einer liebenswuerdigen Frau taeglich und stuendlich in ebensoviel artige und erfreuliche Abenteuer zu verwandeln und ihren Dummheiten mittels einer von Liebe und Treue getragenen Einbildungskraft einen goldenen Wert zu verleihen wisse, so dass sie lachend auf dieselben sich noch etwas zugut tun koenne. Gott weiss, wo ich diese geschaeftige Einbildungskraft hernahm, wahrscheinlich immer noch aus dem ungluecklichen Shakespeare, den mir die Hexe gegeben und womit sie mich doppelt vergiftet hatte. Es nimmt mich nur wunder, ob sie auch selbst je mit Andacht darin gelesen hat! "Kurz, als ich hinlaenglich wieder berauscht war von meinen Traeumen und von meinem entlegenen Posten zugleich abgeloest wurde, nahm ich Urlaub und begab mich Hals ueber Kopf zu dem Gouverneur. Er lebte noch in den alten Verhaeltnissen und empfing mich ganz gut und auch die Tochter war noch bei ihm und empfing mich freundlicher, als ich erwartet. Kaum hatte ich sie wieder gesehen und einige Worte sprechen gehoert, so war ich wieder ganz in sie vernarrt und in meiner fixen Idee vollends bestaerkt, und es schien mir unmoeglich, ohne die Verwirklichung derselben je frohzuwerden. "Allein sie betrieb nun das Geschaeft in krankhafter Ueberreizung ganz offen und grossartig und froente ihrer ungluecklichen Selbstsucht ohne allen Rueckhalt. Sie war jetzt umgeben von einer Schar ziemlich roher und eitler Offiziere, die ihr auf ganz ordinaere Weise den Hof machten und sagten, was sie gern hoeren mochte, kam es auch heraus, wie es wollte. Es war eine vollstaendige Hetzjagd von Trivialitaeten und hohlem Wesen, und die derbsten Zudringlichkeiten wurden am liebsten angenommen, wenn sie nur aus gaenzlicher Ergebenheit herzuruehren schienen und die Unglueckliche in ihrem Glauben an sich selbst aufrecht erhielten. Ausserdem hatte sie zur Zeit einem armen Tambour mit einem einzigen Blick den Kopf verdreht, der nun ganz aufgeblasen umherging und sich ihr ueberall in den Weg stellte; und einen Schuster, der fuer sie arbeitete, hatte sie dermassen betoert, dass er jedesmal, wenn er ihr Schuhe brachte, auf dem Hausflur ein Buerstchen mit einem Spiegelchen hervorzog und sich sorgfaeltig den Kopf putzte, wie eine Katze, da er zuverlaessig erwartete, es wuerde diesmal etwas vorgehen. Wenn man ihn kommen sah, so begab sich die ganze Gesellschaft auf eine verdeckte Galerie, um dem armen Teufel in seinem feierlichen Werke zuzusehen. Das Sonderbarste war, dass niemand an diesem Wesen ein Aergernis nahm, man also nichts Besseres von Lydia zu erwarten schien und ihre Auffuehrung ihrer wuerdig hielt und also ich der einzige war, der so grosse Meinungen von ihr im Herzen trug, so dass alle diese Hausnarren, die ich verachtete, die sie aber nahmen, wie sie war, klueger zu sein schienen, als ich in meiner tiefsinnigen Leidenschaft. Aber nein! rief ich, sie ist doch so, wie ich sie denke, und eben weil das alles Strohkoepfe sind, sind sie so frech gegen sie und wissen nicht, was an ihr ist oder sein koennte! Und ich zitterte danach, ihr noch einmal den Spiegel vorzuhalten, aus dem ihr besseres Bild zurueckstrahlte und alles Wertlose um sie her wegblendete. Allein der aeussere Anstand und die Haltung, welche ich auch bei aller Anstrengung nicht aufgeben konnte, machten es mir unmoeglich, mich unter diese Affenschwaenze zu mischen und nur den kleinsten Schritt gegen Lydia zu tun. Ich ward abermals konfus, ungeduldig, nahm ploetzlich meinen Abschied aus der indischen Armee und machte mich davon, um heimzukehren und die Unselige zu vergessen. "So gelangte ich nach Paris und hielt mich daselbst einige Wochen auf. Da ich eine grosse Menge schoener und kluger Weiber sah, dachte ich, es waere das beste Mittel, meine unglueckliche Geschichte loszuwerden, in recht viele huebsche Frauengesichter zu blicken, und ging daher von Theater zu Theater, und an alle Orte, wo dergleichen beisammen waren; liess mich auch in verschiedene gute Haeuser und Gesellschaften einfuehren. Ich sah in der Tat viele tuechtige Gestalten von edlem Schwung und Zuschnitt und in deren Augen nicht unebene Gedanken lagen; aber alles was ich sah, fuehrte mich nur auf Lydia zurueck und diente zu deren Gunsten. Sie war nicht zu vergessen und ich war und blieb aufs neue elend verliebt in sie. Ich hatte das allerunheimlichste, sonderbarste Gefuehl, wenn ich an sie dachte. Es war mir zumute, als ob notwendigerweise ein weibliches Wesen in der Welt sein muesste, welches genau das Aeussere und die Manieren dieser Lydia, kuerz deren bessere Haelfte besaesse, dazu aber auch die entsprechende andere Haelfte, und dass ich nur dann wuerde zur Ruhe kommen, wenn ich diese ganze Lydia faende; oder es war mir, als ob ich verpflichtet waere, die rechte Seele zu diesem schoenen halben Gespenste zu suchen; mit einem Worte, ich wurde abermals krank vor Sehnsucht nach ihr, und da es doch nicht anging, zurueckzukehren, suchte ich neue Sonnenglut, Gefahr und Taetigkeit und nahm Dienste in der franzoesisch- afrikanischen Armee. Ich begab mich sogleich nach Algier und befand mich bald am aeussersten Saume der afrikanischen Provinz, wo ich im Sonnenbrand und auf dem gluehenden Sande mich herumtummelte und mit den Kabylen herumschlug." Da in diesem Augenblick das schlafende Estherchen, das immer einen Unfug machen musste, traeumte, es falle eine Treppe hinunter, und demgemaess auf seinem Stuhle ein ploetzliches Geraeusch erregte, blickte der erzaehlende Pankrazius endlich auf und bemerkte, dass seine Zuhoererinnen schliefen. Zugleich entdeckte er erst jetzt, dass er denselben eigentlich nichts als eine Liebesgeschichte erzaehlt, schaemte sich dessen und wuenschte, dass sie gar nichts davon gehoert haben moechten. Er weckte die Frauen auf und hiess sie ins Bett gehen, und er selbst suchte ebenfalls das Lager auf, wo er mit einem langen, aber gemuetlichen Seufzer einschlief. Er lag wohl so lange im Bette, wie einst, als er der faule und unnuetze Pankraezlein gewesen, so dass ihn die Mutter wie ehedem wecken musste. Als sie nun zusammen beim Fruehstueck sassen und Kaffee tranken, sagte er, mit seinem Bericht fortfahrend: "Wenn ihr nicht geschlafen haettet, so wuerdet ihr gehoert haben, wie ich in Ostindien im Begriffe war, aus einem Murrkopf ein aeusserst zutunlicher und wohlwollender Mensch zu werden um eines schoenen Frauenzimmers willen, wie aber eben meine Schmollerei mir einen argen Streich gespielt hat, da sie mich verhinderte, besagtes Frauenzimmer naeher zu kennen und mich blindlings in selbe verlieben liess; wie ich dann betrogen wurde und als ein neugestaehlter Schmoller aus Indien nach Afrika ging zu den Franzosen, um dort den Burnustraegern die laecherlichen turmartigen Strohhuete herunterzuschlagen und ihnen die Koepfe zu zerblaeuen, was ich mit so grimmigem Eifer tat, dass ich auch bei den Franzosen avancierte und Oberst ward, was ich geblieben bin bis jetzt. Ich war wieder so einsilbig und truebselig als je und kannte nur zwei Arten, mich zu vergnuegen: die Erfuellung meiner Pflicht als Soldat und die Loewenjagd. Letztere betrieb ich ganz allein, indem ich mit nichts als mit einer guten Buechse bewaffnet zu Fuss ausging und das Tier aufsuchte, worauf es dann darauf ankam, dasselbe sicher zu treffen, oder zugrunde zu gehen. Die stete Wiederholung dieser einen grossen Gefahr und das moegliche Eintreffen eines endlichen Fehlschusses sagte meinem Wesen zu und nie war ich behaglicher, als wenn ich so seelenallein auf den heissen Hoehen herumstreifte und einem starken wilden Burschen auf der Spur war, der mich gar wohl bemerkte und ein aehnliches schmollendes Spiel trieb mit mir, wie ich mit ihm. So war vor jetzt ungefaehr vier Monaten ein ungewoehnlich grosser Loewe in der Gegend erschienen, dieser, dessen Fell hier liegt, und lichtete den Beduinen ihre Herden, ohne dass man ihm beikommen konnte; denn er schien ein durchtriebener Geselle zu sein und machte taeglich grosse Maersche kreuz und quer, so dass ich bei meiner Weise zu Fuss zu jagen lange Zeit brauchte, bis ich ihn nur von ferne zu Gesicht bekam. Als ich ihn zwei- oder dreimal gesehen, ohne zum Schuss zu kommen, kannte er mich schon und merkte, dass ich gegen ihn etwas im Schilde fuehre. Er fing gewaltig an zu bruellen und verzog sich, um mir an einer andern Stelle wieder zu begegnen, und wir gingen so umeinander herum waehrend mehreren Tagen wie zwei Kater, die sich zausen wollen, ich lautlos, wie das Grab, und er mit einem zeitweiligen wilden Geknurre. "Eines Tages war ich vor Sonnenaufgang aufgebrochen und nach einer noch nie eingeschlagenen Richtung hingegangen, weil der Loewe tags vorher sich auf der entgegengesetzten Seite herumgetrieben und einen vergeblichen Raubversuch gemacht; da die dortigen Leute mit ihren Tieren abgezogen waren, so vermutete ich, der hungrige Herr werde vergangene Nacht wohl diesen Weg eingeschlagen haben, wie es sich denn auch erwies. Als die Sonne aufging, schlenderte ich gemaechlich ueber ein huegeliges gold-gelbes Gefilde, dessen Unebenheiten lange himmelblaue Schatten ueber den goldenen Boden hinstreckten. Der Himmel war so dunkelblau wie Lydias Augen, woran ich unversehens dadurch erinnert wurde; in weiter Ferne zogen sich blaue Berge hin, an welchen das arabische Staedtchen lag, das ich bewohnte, und am andern Rande der Aussicht einige Waelder und gruene Fluren, auf denen man den Rauch und selbst die Zelte der Beduinen wie schwarze Punkte sehen konnte. Es war totenstill ueberall und kein lebendes Wesen zu erspaehen. Da stiess ich an den Rand einer Schlucht, welche sich durch die ganze steinige Gegend hinzog und nicht zu sehen war, bis man dicht an ihr stand. Es floss ein kuehler, frischer Bach auf ihrem Grunde, und wo ich eben stand, war die Vertiefung ganz mit gluehendem Oleandergebuesch angefuellt. Nichts war schoener zu sehen, als das frische Gruen dieser Straeucher und ihre tausendfaeltigen rosenroten Blueten und zu unterst das fliessende klare Waesserlein. Der Anblick liess eine verjaehrte Sehnsucht in mir aufsteigen und ich vergass, warum ich hier herumstrich. Ich wuenschte, in den Oleander hinabzugehen und aus dem Bach zu trinken, und in diesen zerstreuten Gedanken legte ich mein Gewehr auf den Boden und kletterte eiligst in die Schlucht hinunter, wo ich mich zur Erde warf, aus dem Bache trank, mein Gesicht benetzte und dabei an die schoene Lydia dachte. Ich gruebelte, wo sie wohl sein moechte, wo sie jetzt herumwandle und wie es ihr ueberhaupt gehen moechte? Da hoerte ich ganz nah den Loewen ein kurzes Gebruell ausstossen, dass der Boden zitterte. Wie besessen sprang ich auf und schwang mich den Abhang hinauf, blieb aber wie angenagelt oben stehen, als ich sah, dass das grosse Tier, kaum zehn Schritte von mir, eben bei meinem Gewehr angekommen war. Und wie ich dastand, so blieb ich auch stehen, die Augen auf die Bestie geheftet. Denn als er mich erblickte, kauerte er zum Sprunge nieder, gerade ueber meiner Doppelbuechse, dass sie quer unter seinem Bauche lag, und wenn ich mich nur geruehrt haette, so wuerde er gesprungen sein und mich unfehlbar zerrissen haben. Aber ich stand und stand so einige lange Stunden, ohne ein Auge von ihm zu verwenden und ohne dass er eines von mir verwandte. Er legte sich gemaechlich nieder und betrachtete mich. Die Sonne stieg hoeher; aber waehrend die furchtbarste Hitze mich zu quaelen anfing, verging die Zeit so langsam, wie die Ewigkeit der Hoelle. Weiss Gott was mir alles durch den Kopf ging: ich verwuenschte die Lydia, deren blosses Andenken mich abermals in dieses Unheil gebracht, da ich darueber meine Waffe vergessen hatte. Hundertmal war ich versucht, allem ein Ende zu machen und auf das wilde Tier loszuspringen mit blossen Haenden; allein die Liebe zum Leben behielt die Oberhand und ich stand und stand wie das versteinerte Weib des Loth oder wie der Zeiger einer Sonnenuhr; denn mein Schatten ging mit den Stunden um mich herum, wurde ganz kurz und begann schon wieder sich zu verlaengern. Das war die bitterste Schmollerei, die ich je verrichtet, und ich nahm mir vor und gelobte, wenn ich dieser Gefahr entraenne, so wolle ich umgaenglich und freundlich werden, nach Hause gehen und mir und andern das Leben so angenehm als moeglich machen. Der Schweiss lief an mir herunter, ich zitterte vor krampfhafter Anstrengung, um mich auf selbem Fleck unbeweglich aufrechtzuhalten, leise an allen Gliedern, und wenn ich nur die vertrockneten Lippen bewegte, so richtete sich der Loewe halb auf, wackelte mit seinem Hintergestell, funkelte mit den Augen und bruellte, so dass ich den Mund schnell wieder schloss und die Zaehne aufeinander biss. Indem ich aber so eine lange Minute um die andere abwickeln und erleben musste, verschwand der Zorn und die Bitterkeit in mir, selbst gegen den Loewen, und je schwaecher ich wurde, desto geschickter ward ich in einer mich angenehm duenkenden, lieblichen Geduld, dass ich alle Pein aushielt und tapfer ertrug. Es wuerde aber, als endlich der Tag schon vorgerueckt war, doch nicht mehr lange gegangen sein, als eine unverhoffte Rettung sich auftat. Das Tier und ich waren so ineinander vernarrt, dass keiner von uns zwei Soldaten bemerkte, welche im Ruecken des Loewen hermarschiert kamen, bis sie auf hoechstens dreissig Schritte nahe waren. Es war eine Patrouille, die ausgesandt war, mich zu suchen, da sich Geschaefte eingestellt hatten. Sie trugen ihre Ordonnanzgewehre auf der Schulter und ich sah gleichzeitig dieselben vor mir aufblitzen gleich einer himmlischen Gnadensonne, als auch mein Widersacher ihre Schritte hoerte in der Stille der Landschaft; denn sie hatten schon von weitem etwas bemerkt und waren so leise als moeglich gegangen. Ploetzlich schrien sie jetzt: 'Schau die Bestie! Hilf dem Oberst!' Der Loewe wandte sich um, sprang empor, sperrte wuetend den Rachen auf, erbost wie ein Satan, und war einen Augenblick lang unschluessig, auf wen er sich zuerst stuerzen solle. Als aber die zwei Soldaten als brave lustige Franzosen, ohne sich zu besinnen, auf ihn zusprangen, tat er einen Satz gegen sie. Im gleichen Augenblick lag auch der eine unter seinen Tatzen und es waere ihm schlecht ergangen, wenn nicht der andere im gleichen Augenblicke dem Tier, zugleich den Schuss abfeuernd, das Bajonett ein halbes Dutzendmal in die Flanke gestossen haette. Aber auch diesem wuerde es schliesslich schlimm ergangen sein, wenn ich nicht endlich auf meine Buechse zugesprungen, auf den Kampfplatz getaumelt waere und dem Loewen, ohne weitere Vorsicht, beide Kugeln in das Ohr geschossen haette. Er streckte sich aus und sprang wieder auf, es war noch der Schuss aus der andern Muskete noetig, ihn abermals hinzustrecken, und endlich zerschlugen wir alle drei unsere Kolben an dem Tiere, so zaeh und wild war sein Leben. Es hatte merkwuerdigerweise keiner Schaden genommen, selbst der nicht, der unter dem Loewen gelegen, ausgenommen seinen zerrissenen Rock und einige tuechtige Schrammen auf der Schulter. So war die Sache fuer diesmal gluecklich abgelaufen und wir hatten obenein den lange gesuchten Loewen erlegt. Ein wenig Wein und Brot stellte meinen guten Mut vollends wieder her, und ich lachte wie ein Narr mit den guten Soldaten, welche ueber die Freundlichkeit und Gespraechigkeit ihres boesen Obersten sehr verwundert und erbaut waren. "Noch in selber Woche aber fuehrte ich mein Geluebde aus, kam um meine Entlassung ein, und so bin ich nun hier." So lautete die Geschichte von Pankrazens Leben und Bekehrung, und seine Leutchen waren hoechlich verwundert ueber seine Meinungen und Taten. Er verliess mit ihnen das Staedtchen Seldwyla und zog in den Hauptort des Kantons, wo er Gelegenheit fand, mit seinen Erfahrungen und Kenntnissen ein dem Lande nuetzlicher Mann zu sein und zu bleiben, und er ward sowohl dieser Tuechtigkeit, als seiner unverwuestlichen ruhigen Freundlichkeit wegen geachtet und beliebt; denn nie mehr zeigte sich ein Rueckfall in das fruehere Wesen. Nur aergerten sich Estherchen und die Mutter, dass ihnen die Geschichte mit der Lydia entgangen war, und wuenschten unaufhoerlich deren Wiederholung. Allein Pankraz sagte, haetten sie damals nicht geschlafen, so haetten sie dieselbe erfahren; er habe sie einmal erzaehlt und werde es nie wieder tun, es sei das erste und letzte Mal, dass er ueberhaupt gegen jemanden von diesem Liebeshandel gesprochen, und damit Punktum. Die Moral von der Geschichte sei einfach, dass er in der Fremde durch ein Weib und ein wildes Tier von der Unart des Schmollens entwoehnt worden sei. Nun wollten sie wenigstens den Namen jener Dame wissen, welcher ihnen wegen seiner Fremdartigkeit wieder entfallen war, und fragten unaufhoerlich: "Wie hiess sie denn nur?" Aber Pankraz erwiderte ebenso unaufhoerlich: "Haettet ihr aufgemerkt! Ich nenne diesen Namen nicht mehr!" Und er hielt Wort; niemand hoerte ihn jemals wieder das Wort aussprechen und er schien es endlich selbst vergessen zu haben. * * * * * ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE Diese Geschichte zu erzaehlen, wuerde eine muessige Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte, zum Beweise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf welche die grossen alten Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist maessig; aber stets treten sie in neuem Gewande wieder in die Erscheinung und zwingen alsdann die Hand, sie festzuhalten. An dem schoenen Flusse, der eine halbe Stunde entfernt an Seldwyl vorueberzieht, erhebt sich eine weitgedehnte Erdwelle und verliert sich, selber wohlbebaut, in der fruchtbaren Ebene. Fern an ihrem Fusse liegt ein Dorf, welches manche grosse Bauernhoefe enthaelt, und ueber die sanfte Anhoehe lagen vor Jahren drei praechtige lange Aecker weithingestreckt, gleich drei riesigen Baendern nebeneinander. An einem sonnigen Septembermorgen pfluegten zwei Bauern auf zweien dieser Aecker, und zwar auf jedem der beiden aeussersten; der mittlere schien seit langen Jahren brach und wuest zu liegen, denn er war mit Steinen und hohem Unkraut bedeckt und eine Welt von gefluegelten Tierchen summte ungestoert ueber ihm. Die Bauern aber, welche zu beiden Seiten hinter ihrem Pfluge gingen, waren lange, knochige Maenner von ungefaehr vierzig Jahren und verkuendeten auf den ersten Blick den sichern, gutbesorgten Bauersmann. Sie trugen kurze Kniehosen von starkem Zwillich, an dem jede Falte ihre unveraenderliche Lage hatte und wie in Stein gemeisselt aussah. Wenn sie, auf ein Hindernis stossend, den Pflug fester fassten, so zitterten die groben Hemdaermel von der leichten Erschuetterung, indessen die wohlrasierten Gesichter ruhig und aufmerksam, aber ein wenig blinzelnd in den Sonnenschein vor sich hinschauten, die Furche bemassen, oben auch zuweilen sich umsahen, wenn ein fernes Geraeusch die Stille des Landes unterbrach. Langsam und mit einer gewissen natuerlichen Zierlichkeit setzten sie einen Fuss um den andern vorwaerts und keiner sprach ein Wort, ausser wenn er etwa dem Knechte, der die stattlichen Pferde antrieb, eine Anweisung gab. So glichen sie einander vollkommen in einiger Entfernung; denn sie stellten die urspruengliche Art dieser Gegend dar, und man haette sie auf den ersten Blick nur daran unterscheiden koennen, dass der eine den Zipfel seiner weissen Kappe nach vorn trug, der andere aber hinten im Nacken haengen hatte. Aber das wechselte zwischen ihnen ab, indem sie in der entgegengesetzten Richtung pfluegten; denn wenn sie oben auf der Hoehe zusammentrafen und aneinander vorueberkamen, so schlug dem, welcher gegen den frischen Ostwind ging, die Zipfelkappe nach hinten ueber, waehrend sie bei dem andern, der den Wind im Ruecken hatte, sich nach vorne straeubte. Es gab auch jedesmal einen mittleren Augenblick, wo die schimmernden Muetzen aufrecht in der Luft schwankten und wie zwei weisse Flammen gen Himmel zuengelten. So pfluegten sie beide ruhevoll und es war schoen anzusehen in der stillen goldenen Septembergegend, wenn sie so auf der Hoehe aneinander vorbeizogen, still und langsam und sich maehlich voneinander entfernten, immer weiter auseinander, bis beide wie zwei untergehende Gestirne hinter die Woelbung des Huegels hinabgingen und verschwanden, um eine gute Weile darauf wieder zu erscheinen. Wenn sie einen Stein in ihren Furchen fanden, so warfen sie denselben auf den wuesten Acker in der Mitte mit laessig kraeftigem Schwunge, was aber nur selten geschah, da derselbe schon fast mit allen Steinen belastet war, welche ueberhaupt auf den Nachbaraeckern zu finden gewesen. So war der lange Morgen zum Teil vergangen, als von dem Dorfe her ein kleines artiges Fuhrwerklein sich naeherte, welches kaum zu sehen war, als es begann, die gelinde Hoehe heranzukommen. Das war ein gruenbemaltes Kinderwaegelchen, in welchem die Kinder der beiden Pflueger, ein Knabe und ein kleines Ding von Maedchen, gemeinschaftlich den Vormittagsimbiss heranfuhren. Fuer jeden Teil lag ein schoenes Brot, in eine Serviette gewickelt, eine Kanne Wein mit Glaesern und noch irgendein Zutaetchen in dem Wagen, welches die zaertliche Baeuerin fuer den fleissigen Meister mitgesandt, und ausserdem waren da noch verpackt allerlei seltsam gestaltete angebissene Aepfel und Birnen, welche die Kinder am Wege aufgelesen, und eine voellig nackte Puppe mit nur einem Bein und einem verschmierten Gesicht, welches wie ein Fraeulein zwischen den Broten sass und sich behaglich fahren liess. Dies Fuhrwerk hielt nach manchem Anstoss und Aufenthalt endlich auf der Hoehe im Schatten eines jungen Lindengebuesches, welches da am Rande des Feldes stand, und nun konnte man die beiden Fuhrleute naeher betrachten. Es war ein Junge von sieben Jahren und ein Dirnchen von fuenfen, beide gesund und munter, und weiter war nichts Auffaelliges an ihnen, als dass beide sehr huebsche Augen hatten und das Maedchen dazu noch eine braeunliche Gesichtsfarbe und ganz krause, dunkle Haare, welche ihm ein feuriges und treuherziges Ansehen gaben. Die Pflueger waren jetzt auch wieder oben angekommen, steckten den Pferden etwas Klee vor und liessen die Pfluege in der halbvollendeten Furche stehen, waehrend sie als gute Nachbarn sich zu dem gemeinschaftlichen Imbiss begaben und sich da zuerst begruessten; denn bislang hatten sie sich noch nicht gesprochen an diesem Tage. Wie nun die Maenner mit Behagen ihr Fruehstueck einnahmen, und mit zufriedenem Wohlwollen den Kindern mitteilten, die nicht von der Stelle wichen, solange gegessen und getrunken wurde, liessen sie ihre Blicke in der Naehe und Ferne herumschweifen und sahen das Staedtchen raeucherig glaenzend in seinen Bergen liegen; denn das reichliche Mittagsmahl, welches die Seldwyler alle Tage bereiteten, pflegte ein weithin scheinendes Silbergewoelk ueber ihre Daecher emporzutragen, welches lachend an ihren Bergen hinschwebte. "Die Lumpenhunde zu Seldwyl kochen wieder gut!" sagte Manz, der eine der Bauern, und Marti, der andere, erwiderte: "Gestern war einer bei mir wegen des Ackers hier." "Aus dem Bezirksrat? bei mir ist er auch gewesen!" sagte Manz. "So? und meinte wahrscheinlich auch, du solltest das Land benutzen und den Herren die Pacht zahlen?" "Ja, bis es sich entschieden habe, wem der Acker gehoere und was mit ihm anzufangen sei. Ich habe mich aber bedankt, das verwilderte Wesen fuer einen anderen herzustellen, und sagte, sie sollten den Acker nur verkaufen und den Ertrag aufheben, bis sich ein Eigentuemer gefunden, was wohl nie geschehen wird; denn was einmal auf der Kanzlei zu Seldwyl liegt, hat da gute Weile, und ueberdem ist die Sache schwer zu entscheiden. Die Lumpen moechten indessen gar zu gern etwas zu naschen bekommen durch den Pachtzins, was sie freilich mit der Verkaufssumme auch tun koennten; allein wir wuerden uns hueten, dieselbe zu hoch hinaufzutreiben, und wir wuessten dann doch, was wir haetten und wem das Land gehoert!" "Ganz so meine ich auch und habe dem Steckleinspringer eine aehnliche Antwort gegeben!" Sie schwiegen eine Weile, dann fing Manz wiederum an: "Schade ist es aber doch, dass der gute Boden so daliegen muss, es ist nicht zum Ansehen, das geht nun schon in die zwanzig Jahre so, und keine Seele fragt danach; denn hier im Dorf ist niemand, der irgendeinen Anspruch auf den Acker hat, und niemand weiss auch, wo die Kinder des verdorbenen Trompeters hingekommen sind!" "Hm!" sagte Marti, "das waere so eine Sache! Wenn ich den schwarzen Geiger ansehe, der sich bald bei den Heimatlosen aufhaelt, bald in den Doerfern zum Tanz aufspielt, so moechte ich darauf schwoeren, dass er ein Enkel des Trompeters ist, der freilich nicht weiss, dass er noch einen Acker hat. Was taete er aber damit? Einen Monat lang sich besaufen und dann nach wie vor! Zudem, wer duerfte da einen Wink geben, da man es doch nicht sicher wissen kann!" "Da koennte man eine schoene Geschichte anrichten!" antwortete Manz, "wir haben so genug zu tun, diesem Geiger das Heimatsrecht in unserer Gemeinde abzustreiten, da man uns den Fetzel fortwaehrend aufhalsen will. Haben sich seine Eltern einmal unter die Heimatlosen begeben, so mag er auch dableiben und dem Kesselvolk das Geigelein streichen. Wie in aller Welt koennen wir wissen, dass er des Trompeters Sohnessohn ist? Was mich betrifft, wenn ich den Alten auch in dem dunklen Gesicht vollkommen zu erkennen glaube, so sage ich: Irren ist menschlich, und das geringste Fetzchen Papier, ein Stuecklein von einem Taufschein wuerde meinem Gewissen besser tun als zehn suendhafte Menschengesichter!" "Eia, sicherlich!" sagte Marti, "er sagt zwar, er sei nicht schuld, dass man ihn nicht getauft habe! Aber sollen wir unseren Taufstein tragbar machen und in den Waeldern herumtragen? Nein, er steht fest in der Kirche, und dafuer ist die Totenbahre tragbar, die draussen an der Mauer haengt. Wir sind schon uebervoelkert im Dorf und brauchen bald zwei Schulmeister!" Hiermit war die Mahlzeit und das Zwiegespraech der Bauern geendet, und sie erhoben sich, den Rest ihrer heutigen Vormittagsarbeit zu vollbringen. Die beiden Kinder hingegen, welche schon den Plan entworfen hatten, mit den Vaetern nach Hause zu ziehen, zogen ihr Fuhrwerk unter den Schutz der jungen Linden und begaben sich dann auf einen Streifzug in dem wilden Acker, da derselbe mit seinen Unkraeutern, Stauden und Steinhaufen eine ungewohnte und merkwuerdige Wildnis darstellte. Nachdem sie in der Mitte dieser gruenen Wildnis einige Zeit hingewandert, Hand in Hand, und sich daran belustigt, die verschlungenen Haende ueber die hohen Distelstauden zu schwingen, liessen sie sich endlich im Schatten einer solchen nieder, und das Maedchen begann, seine Puppe mit den langen Blaettern des Wegekrautes zu bekleiden, so dass sie einen schoenen gruenen und ausgezackten Rock bekam; eine einsame rote Mohnblume, die da noch bluehte, wurde ihr als Haube ueber den Kopf gezogen und mit einem Grase festgebunden, und nun sah die kleine Person aus wie eine Zauberfrau, besonders nachdem sie noch ein Halsband und einen Guertel von kleinen roten Beerchen erhalten. Dann wurde sie hoch in die Stengel der Distel gesetzt und eine Weile mit vereinten Blicken angeschaut, bis der Knabe sie genugsam besehen und mit einem Steine herunterwarf. Dadurch geriet aber ihr Putz in Unordnung, und das Maedchen entkleidete sie schleunigst, um sie aufs neue zu schmuecken; doch als die Puppe eben wieder nackt und bloss war und nur noch der roten Haube sich erfreute, entriss der wilde Junge seiner Gefaehrtin das Spielzeug und warf es hoch in die Luft. Das Maedchen sprang klagend danach, allein der Knabe fing die Puppe zuerst wieder auf, warf sie aufs neue empor, und indem das Maedchen sie vergeblich zu haschen bemuehte, neckte er es auf diese Weise eine gute Zeit. Unter seinen Haenden aber nahm die fliegende Puppe Schaden, und zwar am Knie ihres einzigen Beines, allwo ein kleines Loch einige Kleiekoerner durchsickern liess. Kaum bemerkte der Peiniger dies Loch, so verhielt er sich maeuschenstill und war mit offenem Munde eifrig beflissen, das Loch mit seinen Naegeln zu vergroessern und dem Ursprung der Kleie nachzuspueren. Seine Stille erschien dem armen Maedchen hoechst verdaechtig, und es draengte sich herzu und musste mit Schrecken sein boeses Beginnen gewahren. "Sieh mal!" rief er und schlenkerte ihr das Bein vor der Nase herum, dass ihr die Kleie ins Gesicht flog, und wie sie danach langen wollte und schrie und flehte, sprang er wieder fort und ruhte nicht eher, bis das ganze Bein duerr und leer herabhing als eine traurige Huelse. Dann warf er das misshandelte Spielzeug hin und stellte sich hoechst frech und gleichgueltig, als die Kleine sich weinend auf die Puppe warf und dieselbe in ihre Schuerze huellte. Sie nahm sie aber wieder hervor und betrachtete wehselig die Aermste, und als sie das Bein sah, fing sie abermals an laut zu weinen, denn dasselbe hing an dem Rumpfe nicht anders, denn das Schwaenzchen an einem Molche. Als sie gar so unbaendig weinte, ward es dem Missetaeter endlich etwas uebel zumut, und er stand in Angst und Reue vor der Klagenden, und als sie dies merkte, hoerte sie ploetzlich auf und schlug ihn einigemal mit der Puppe, und er tat, als ob es ihm weh taete, und schrie au! so natuerlich, dass sie zufrieden war und nun mit ihm gemeinschaftlich die Zerstoerung und Zerlegung fortsetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den Marterleib und liessen aller Enden die Kleie entstroemen, welche sie sorgfaeltig auf einem flachen Steine zu einem Haeufchen sammelten, umruehrten und aufmerksam betrachteten. Das einzige Feste, was noch an der Puppe bestand, war der Kopf und musste jetzt vorzueglich die Aufmerksamkeit der Kinder erregen; sie trennten ihn sorgfaeltig los von dem ausgequetschten Leichnam und guckten erstaunt in sein hohles Innere. Als sie die bedenkliche Hoehlung sahen und auch die Kleie sahen, war es der naechste und natuerlichste Gedankensprung, den Kopf mit der Kleie auszufuellen, und so waren die Fingerchen der Kinder nun beschaeftigt, um die Wette Kleie in den Kopf zu tun, so dass zum erstenmal in seinem Leben etwas in ihm steckte. Der Knabe mochte es aber immer noch fuer ein totes Wissen halten, weil er ploetzlich eine grosse blaue Fliege fing und, die Summende zwischen beiden hohlen Haenden haltend, dem Maedchen gebot, den Kopf von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die Fliege hineingesperrt und das Loch mit Gras verstopft. Die Kinder hielten den Kopf an die Ohren und setzten ihn dann feierlich auf einen Stein; da er noch mit der roten Mohnblume bedeckt war, so glich der Toenende jetzt einem weissagenden Haupte, und die Kinder lauschten in tiefer Stille seinen Kunden und Maerchen, indessen sie sich umschlungen hielten. Aber jeder Prophet erweckt Schrecken und Undank; das wenige Leben in dem duerftig geformten Bilde erregte die menschliche Grausamkeit in den Kindern, und es wurde beschlossen, das Haupt zu begraben. So machten sie ein Grab und legten den Kopf, ohne die gefangene Fliege um ihre Meinung zu befragen, hinein und errichteten ueber dem Grabe ein ansehnliches Denkmal von Feldsteinen. Dann empfanden sie einiges Grauen, da sie etwas Geformtes und Belebtes begraben hatten und entfernten sich ein gutes Stueck von der unheimlichen Staette. Auf einem ganz mit gruenen Kraeutern bedeckten Plaetzchen legte sich das Dirnchen auf den Ruecken, da es muede war, und begann in eintoeniger Weise einige Worte zu singen, immer die naemlichen, und der Junge kauerte daneben und half, indem er nicht wusste, ob er auch vollends umfallen solle, so laessig und muessig war er. Die Sonne schien dem singenden Maedchen in den geoeffneten Mund, beleuchtete dessen blendend weisse Zaehnchen und durchschimmerte die runden Purpurlippen. Der Knabe sah die Zaehne, und dem Maedchen den Kopf haltend und dessen Zaehnchen neugierig untersuchend, rief er: "Rate, wieviel Zaehne hat man?" Das Maedchen besann sich einen Augenblick, als ob es reiflich nachzaehlte, und sagte dann aufs Geratewohl: "Hundert!" "Nein, zweiunddreissig!" rief er, "wart', ich will einmal zaehlen!" Da zaehlte er die Zaehne des Kindes, und weil er nicht zweiunddreissig herausbrachte, so fing er immer wieder von neuem an. Das Maedchen hielt lange still, als aber der eifrige Zaehler nicht zu Ende kam, raffte es sich auf und rief: "Nun will ich deine zaehlen!" Nun legte sich der Bursche hin ins Kraut, das Maedchen ueber ihn, umschlang seinen Kopf, er sperrte das Maul auf, und es zaehlte: "Eins, zwei, sieben, fuenf, zwei, eins;" denn die kleine Schoene konnte noch nicht zaehlen. Der Junge verbesserte sie und gab ihr Anweisung, wie sie zaehlen solle, und so fing auch sie unzaehligemal von neuem an, und das Spiel schien ihnen am besten zu gefallen von allem, was sie heut unternommen. Endlich aber sank das Maedchen ganz auf den kleinen Rechenmeister nieder, und die Kinder schliefen ein in der hellen Mittagssonne. Inzwischen hatten die Vaeter ihre Aecker fertig gepfluegt und in frischduftende braune Flaeche umgewandelt. Als nun, mit der letzten Furche zu Ende gekommen, der Knecht des einen halten wollte, rief sein Meister: "Was haeltst du? Kehr' noch einmal um!" "Wir sind ja fertig!" sagte der Knecht. "Halt's Maul, und tu, wie ich dir sage!" der Meister. Und sie kehrten um und rissen eine tuechtige Furche in den mittleren herrenlosen Acker hinein, dass Kraut und Steine flogen. Der Bauer hielt sich aber nicht mit der Beseitigung derselben auf, er mochte denken, hierzu sei noch Zeit genug vorhanden, und er begnuegte sich, fuer heute die Sache nur aus dem Groebsten zu tun. So ging es rasch die Hoehe empor in sanftem Bogen, und als man oben angelangt und das liebliche Windeswehen eben wieder den Kappenzipfel des Mannes zurueckwarf, pfluegte auf der anderen Seite der Nachbar vorueber, mit dem Zipfel nach vorn, und schnitt ebenfalls eine ansehnliche Furche vom mittleren Acker, dass die Schollen nur so zur Seite flogen. Jeder sah wohl, was der andere tat, aber keiner schien es zu sehen, und sie entschwanden sich wieder, indem jedes Sternbild still am andern vorueberging und hinter diese runde Welt hinabtauchte. So gehen die Weberschiffchen des Geschickes aneinander vorbei, und "was er webt, das weiss kein Weber!" Es kam eine Ernte um die andere, und jede sah die Kinder groesser und schoener und den herrenlosen Acker schmaeler zwischen seinen breitgewordenen Nachbarn. Mit jedem Pfluegen verlor er hueben und drueben eine Furche, ohne dass ein Wort darueber gesprochen worden waere und ohne dass ein Menschenauge den Frevel zu sehen schien. Die Steine wurden immer mehr zusammengedraengt und bildeten schon einen ordentlichen Grat auf der ganzen Laenge des Ackers, und das wilde Gestraeuch darauf war schon so hoch, dass die Kinder, obgleich sie gewachsen waren, sich nicht mehr sehen konnten, wenn eines dies- und das andere jenseits ging. Denn sie gingen nun nicht mehr gemeinschaftlich auf das Feld, da der zehnjaehrige Salomon oder Sali, wie er genannt wurde, sich schon wacker auf Seite der groesseren Burschen und der Maenner hielt; und das braune Vrenchen, obgleich es ein feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts gehen, sonst waere es von den andern als ein Bubenmaedchen ausgelacht worden. Dennoch nahmen sie waehrend jeder Ernte, wenn alles auf den Aeckern war, einmal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der sie trennte, zu besteigen und sich gegenseitig von demselben herunterzustossen. Wenn sie auch sonst keinen Verkehr mehr miteinander hatten, so schien diese jaehrliche Zeremonie um so sorglicher gewahrt zu werden, als sonst nirgends die Felder ihrer Vaeter zusammenstiessen. Indessen sollte der Acker doch endlich verkauft und der Erloes einstweilen amtlich aufgehoben werden. Die Versteigerung fand an Ort und Stelle statt, wo sich aber nur einige Gaffer einfanden ausser den Bauern Manz und Marti, da niemand Lust hatte, das seltsame Stueckchen zu erstehen und zwischen den zwei Nachbarn zu bebauen. Denn obgleich diese zu den besten Bauern des Dorfes gehoerten und nichts weiter getan hatten, als was zwei Drittel der uebrigen unter diesen Umstaenden auch getan haben wuerden, so sah man sie doch jetzt stillschweigend darum an, und niemand wollte zwischen ihnen eingeklemmt sein mit dem geschmaelerten Waisenfelde. Die meisten Menschen sind faehig oder bereit, ein in den Lueften umgehendes Unrecht zu verueben, wenn sie mit der Nase daraufstossen; sowie es aber von einem begangen ist, sind die uebrigen froh, dass sie es doch nicht gewesen sind, dass die Versuchung nicht sie betroffen hat, und sie machen nun den Auserwaehlten zu dem Schlechtigkeitsmesser ihrer Eigenschaften und behandeln ihn mit zarter Scheu als einen Ableiter des Uebels, der von den Goettern gezeichnet ist, waehrend ihnen zugleich noch der Mund waessert nach den Vorteilen, die er dabei genossen. Manz und Marti waren also die einzigen, welche ernstlich auf den Acker boten; nach einem ziemlich hartnaeckigen Ueberbieten erstand ihn Manz, und er wurde ihm zugeschlagen. Die Beamten und die Gaffer verloren sich vom Felde; die beiden Bauern, welche sich auf ihren Aeckern noch zu schaffen gemacht, trafen beim Weggehen wieder zusammen, und Marti sagte: "Du wirst nun dein Land, das alte und das neue, wohl zusammenschlagen und in zwei gleiche Stuecke teilen? Ich haette es wenigstens so gemacht, wenn ich das Ding bekommen haette." "Ich werde es allerdings auch tun," antwortete Manz, "denn als ein Acker wuerde mir das Stueck zu gross sein. Doch was ich sagen wollte: Ich habe bemerkt, dass du neulich noch am unteren Ende dieses Ackers, der jetzt mir gehoert, schraeg hineingefahren bist und ein gutes Dreieck abgeschnitten hast. Du hast es vielleicht getan in der Meinung, du werdest das ganze Stueck an dich bringen, und es sei dann sowieso dein. Da es nun aber mir gehoert, so, wirst du wohl einsehen, dass ich eine solche ungehoerige Einkruemmung nicht brauchen noch dulden kann, und wirst nichts dagegen haben, wenn ich den Strich wieder grad mache! Streit wird das nicht abgeben sollen!" Marti erwiderte ebenso kaltbluetig, als ihn Manz angeredet hatte: "Ich sehe auch nicht, wo der Streit herkommen soll! Ich denke, du hast den Acker gekauft, wie er da ist, wir haben ihn alle gemeinschaftlich besehen, und er hat sich seit einer Stunde nicht um ein Haar veraendert!" "Larifari!" sagte Manz, "was frueher geschehen, wollen wir nicht aufruehren! Was aber zu viel ist, ist zu viel, und alles muss zuletzt eine ordentliche grade Art haben; diese drei Aecker sind von jeher so gerade nebeneinander gelegen, wie nach dem Richtscheit gezeichnet; es ist ein ganz absonderlicher Spass von dir, wenn du nun einen solchen laecherlichen und unvernuenftigen Schnoerkel dazwischen bringen willst, und wir beide wuerden einen Uebernamen bekommen, wenn wir den krummen Zipfel da bestehen liessen. Er muss durchaus weg!" Marti lachte und sagte: "Du hast ja auf einmal eine merkwuerdige Furcht vor dem Gespoette der Leute! Das laesst sich aber ja wohl machen; mich geniert das Krumme gar nicht; aergert es dich, gut, machen wir es grad, aber nicht auf meiner Seite, das geb' ich dir schriftlich, wenn du willst!" "Rede doch nicht so spasshaft," sagte Manz, "es wird wohl grad gemacht, und zwar auf deiner Seite, darauf kannte du Gift nehmen!" "Das werden wir ja sehen und erleben!" sagte Marti, und beide Maenner gingen auseinander, ohne sich weiter anzublicken; vielmehr starrten sie nach verschiedener Richtung ins Blaue hinaus, als ob sie da wunder was fuer Merkwuerdigkeiten im Auge haetten, die sie betrachten muessten mit Aufbietung aller ihrer Geisteskraefte. Schon am naechsten Tage schickte Manz einen Dienstboten, ein Tageloehnermaedchen und sein eigenes Soehnchen Sali auf den Acker hinaus, um das wilde Unkraut und Gestruepp auszureuten und auf Haufen zu bringen, damit nachher die Steine um so bequemer weggefahren werden konnten. Dies war eine Aenderung in seinem Wesen, dass er den kaum elfjaehrigen Jungen, der noch zu keiner Arbeit angehalten worden, nun mit hinaussandte, gegen die Einsprache der Mutter. Es schien, da er es mit ernsthaften und gesalbten Worten tat, als ob er mit dieser Arbeitsstrenge gegen sein eigenes Blut das Unrecht betaeuben wollte, in dem er lebte, und welches nun begann, seine Folgen ruhig zu entfalten. Das ausgesandte Voelklein jaetete inzwischen lustig an dem Unkraut und hackte mit Vergnuegen an den wunderlichen Stauden und Pflanzen aller Art, die da seit Jahren wucherten. Denn da es eine ausserordentliche gleichsam wilde Arbeit war, bei der keine Regel und keine Sorgfalt erheischt wurde, so galt sie als eine Lust. Das wilde Zeug, an der Sonne gedoerrt, wurde aufgehaeuft und mit grossem Jubel verbrannt, dass der Qualm weithin sich verbreitete, und die jungen Leutchen dann herumsprangen wie besessen. Dies war das letzte Freudenfest auf dem Ungluecksfelde, und das junge Vrenchen, Martis Tochter, kam auch hinausgeschlichen und half tapfer mit. Das Ungewoehnliche dieser Begebenheit und die lustige Aufregung gaben einen guten Anlass, sich seinem kleinen Jugendgespielen wieder einmal zu naehern, und die Kinder waren recht gluecklich und munter bei ihrem Feuer. Es kamen noch andere Kinder hinzu, und es sammelte sich eine ganz vergnuegte Gesellschaft; doch immer, sobald sie getrennt wurden, suchte Sali alsobald wieder neben Vrenchen zu gelangen, und dieses wusste desgleichen immer vergnuegt laechelnd zu ihm zu schluepfen, und es war beiden Kreaturen, wie wenn dieser herrliche Tag nie enden muesste und koennte. Doch der alte Manz kam gegen Abend herbei, um zu sehen, was sie ausgerichtet, und obgleich sie fertig waren, so schalt er doch ob dieser Lustbarkeit und scheuchte die Gesellschaft auseinander. Zugleich zeigte sich Marti auf seinem Grund und Boden und, seine Tochter gewahrend, pfiff er derselben schrill und gebieterisch durch den Finger, dass sie erschrocken hineilte, und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, also dass beide Kinder in grosser Traurigkeit und weinend nach Hause gingen, und sie wussten jetzt eigentlich so wenig, warum sie so traurig waren, als warum sie vorhin so vergnuegt gewesen; denn die Rauheit der Vaeter, an sich ziemlich neu, war von den arglosen Geschoepfen noch nicht begriffen und konnte sie nicht tiefer bewegen. Die naechsten Tage war es schon eine haertere Arbeit, zu welcher Mannsleute gehoerten, als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren liess. Es wollte kein Ende nehmen, und alle Steine der Welt schienen da beisammen zu sein. Er liess sie aber nicht ganz vom Felde wegbringen, sondern jede Fuhre auf jenem streitigen Dreiecke abwerfen, welches von Marti schon saeuberlich umgepfluegt war. Er hatte vorher einen geraden Strich gezogen als Grenzscheide und belastete nun dies Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche beide Maenner seit unvordenklichen Zeiten heruebergeworfen, so dass eine gewaltige Pyramide entstand, die wegzubringen sein Gegner bleibenlassen wuerde, dachte er. Marti hatte dies am wenigsten erwartet; er glaubte, der andere werde nach alter Weise mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflueger ausziehen saehe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hoerte er von dem schoenen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wut hinaus, sah die Bescherung, rannte zurueck und holte den Gemeindeammann, um vorlaeufig gegen den Steinhaufen zu protestieren und den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Prozess miteinander und ruhten nicht, ehe sie beide zugrunde gerichtet waren. Die Gedanken der sonst so wohlweisen Maenner waren nun so kurz geschnitten wie Haecksel; der beschraenkteste Rechtssinn von der Welt erfuellte jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmaessig und unwillkuerlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel an sich reissen koenne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn fuer Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fuehlte sich wahrhaft gekraenkt durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem Dasein des unsinnigsten und mutwilligsten Schnoerkels beharrte. Beide aber trafen zusammen in der UEberzeugung, dass der andere, den anderen so frech und plump uebervorteilend, ihn notwendig fuer einen veraechtlichen Dummkopf halten muesse, da man dergleichen etwa einem armen haltlosen Teufel, nicht aber einem aufrechten, klugen und wehrhaften Manne gegenueber sich erlauben koenne, und jeher sah sich in seiner wunderlichen Ehre gekraenkt und gab sich rueckhaltlos der Leidenschaft des Streites und dem daraus erfolgenden Verfalle hin, und ihr Leben glich fortan der traeumerischen Qual zweier Verdammten, welche auf einem schmalen Brette einen dunklen Strom hinabtreibend sich befehden, in die Luft hauen und sich selber anpacken und vernichten, in der Meinung, sie haetten ihr Unglueck gefasst. Da sie eine faule Sache hatten, so gerieten beide in die allerschlimmsten Haende von Tausendkuenstlern, welche ihre verdorbene Phantasie auftrieben zu ungeheuren Blasen, die mit den nichtsnutzigsten Dingen angefuellt wurden. Vorzueglich waren es die Spekulanten aus der Stadt Seldwyla, welchen dieser Handel ein gefundenes Essen war, und bald hatte jeder der Streitenden einen Anhang von Unterhaendlern, Zutraegern und Ratgebern hinter sich, die alles bare Geld auf hundert Wegen abzuziehen wussten. Denn das Fleckchen Erde mit dem Steinhaufen darueber, auf welchem bereits wieder ein Wald von Nesseln und Disteln bluehte, war nur noch der erste Keim oder der Grundstein einer verworrenen Geschichte und Lebensweise, in welcher die zwei Fuenfzigjaehrigen noch neue Gewohnheiten und Sitten, Grundsaetze und Hoffnungen annahmen, als sie bisher geuebt. Je mehr Geld sie verloren, desto sehnsuechtiger wuenschten sie welches zu haben, und je weniger sie besassen, desto hartnaeckiger dachten sie reich zu werden und es dem andern zuvorzutun. Sie liessen sich zu jedem Schwindel verleiten und setzten auch jahraus, jahrein in alle fremden Lotterien, deren Lose massenhaft in Seldwyla zirkulierten. Aber nie bekamen sie einen Taler Gewinn zu Gesicht, sondern hoerten nur immer vom Gewinnen anderer Leute und wie sie selbst beinahe gewonnen haetten, indessen diese Leidenschaft ein regelmaessiger Geldabfluss fuer sie war. Bisweilen machten sich die Seldwyler den Spass, beide Bauern, ohne ihr Wissen, am gleichen Lose teilnehmen zu lassen, so dass beide die Hoffnung auf Unterdrueckung und Vernichtung des andern auf ein und dasselbe Los setzten. Sie brachten die Haelfte ihrer Zeit in der Stadt zu, wo jeder in einer Spelunke sein Hauptquartier hatte, sich den Kopf heissmachen und zu den laecherlichsten Ausgaben und einem elenden und ungeschickten Schlemmen verleiten liess, bei welchem ihm heimlich doch selber das Herz blutete, also dass beide, welche eigentlich nur in diesem Hader lebten, um fuer keine Dummkoepfe zu gelten, nun solche von der besten Sorte darstellten und von jedermann dafuer angesehen wurden. Die andere Haelfte der Zeit lagen sie verdrossen zu Hause oder gingen ihrer Arbeit nach, wobei sie dann durch ein tolles boeses Ueberhasten und Antreiben das Versaeumte einzuholen suchten und damit jeden ordentlichen und zuverlaessigen Arbeiter verscheuchten. So ging es gewaltig rueckwaerts mit ihnen, und ehe zehn Jahre vorueber, steckten sie beide von Grund aus in Schulden und standen wie die Stoerche auf einem Beine auf der Schwelle ihrer Besitztuemer, von der jeder Lufthauch sie herunterwehte. Aber wie es ihnen auch erging, der Hass zwischen ihnen wurde taeglich groesser, da jeder den andern als den Urheber seines Unsterns betrachtete, als seinen Erbfeind und ganz unvernuenftigen Widersacher, den der Teufel absichtlich in die Welt gesetzt habe, um ihn zu verderben. Sie spien aus, wenn sie sich nur von weitem sahen; kein Glied ihres Hauses durfte mit Frau, Kind oder Gesinde des andern ein Wort sprechen, bei Vermeidung der groebsten Misshandlung. Ihre Weiber verhielten sich verschieden bei dieser Verarmung und Verschlechterung des ganzen Wesens. Die Frau des Marti, welche von guter Art war, hielt den Verfall nicht aus, haermte sich ab und starb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre alt war. Die Frau des Manz hingegen bequemte sich der veraenderten Lebensweise an, und um sich als eine schlechte Genossin zu entfalten, hatte sie nichts zu tun, als einigen weiblichen Fehlern, die ihr von jeher angehaftet, den Zuegel schiessen zu lassen und dieselben zu Lastern auszubilden. Ihre Naschhaftigkeit wurde zu wilder Begehrlichkeit, ihre Zungenfertigkeit zu einem grundfalschen und verlogenen Schmeichel- und Verleumdungewesen, mit welchem sie jeden Augenblick das Gegenteil von dem sagte, was sie dachte, alles hintereinanderhetzte, und ihrem eigenen Manne ein X fuer ein U vormachte; ihre urspruengliche Offenheit, mit der sie sich der unschuldigeren Plauderei erfreut, ward nun zur abgehaerteten Schamlosigkeit, mit der sie jenes falsche Wesen betrieb, und so, statt unter ihrem Manne zu leiden, drehte sie ihm eine Nase; wenn er es arg trieb, so machte sie es bunt, liess sich nichts abgehen und gedieh zu der dicksten Bluete einer Vorsteherin des zerfallenden Hauses. So war es nun schlimm bestellt um die armen Kinder, welche weder eine gute Hoffnung fuer ihre Zukunft fassen konnten, noch sich auch nur einer lieblich frohen Jugend erfreuten, da ueberall nichts als Zank und Sorge war. Vrenchen hatte anscheinend einen schlimmeren Stand als Sali, da seine Mutter tot und es einsam in einem wuesten Hause der Tyrannei eines verwilderten Vaters anheimgegeben war. Als es sechzehn Jahre zaehlte, war es schon ein schlank gewachsenes, ziervolles Maedchen; seine dunkelbraunen Haare ringelten sich unablaessig fast bis ueber die blitzenden braunen Augen, dunkelrotes Blut durchschimmerte die Wangen des braeunlichen Gesichtes und glaenzte als tiefer Purpur auf den frischen Lippen, wie man es selten sah und was dem dunklen Kinde ein eigentuemliches Ansehen und Kennzeichen gab. Feurige Lebenslust und Froehlichkeit zitterte in jeder Fiber dieses Wesens; es lachte und war aufgelegt zu Scherz und Spiel, wenn das Wetter nur im mindesten lieblich war, d. h. wenn es nicht zu sehr gequaelt wurde und nicht zu viel Sorgen ausstand. Diese plagten es aber haeufig genug; denn nicht nur hatte es den Kummer und das wachsende Elend des Hauses mit zu tragen, sondern es musste noch sich selber in acht nehmen und mochte sich gern halbwegs ordentlich und reinlich kleiden, ohne dass der Vater ihm die geringsten Mittel dazu geben wollte. So hatte Vrenchen die groesste Not, ihre anmutige Person einigermassen auszustaffieren, sich ein allerbescheidenstes Sonntagskleid zu erobern und einige bunte, fast wertlose Halstuechelchen zusammenzuhalten. Darum war das schoene wohlgemute junge Blut in jeder Weise gedemuetigt und gehemmt und konnte am wenigsten der Hoffart anheimfallen. Ueberdies hatte es bei schon erwachendem Verstande das Leiden und den Tod seiner Mutter gesehen, und dies Andenken war ein weiterer Zuegel, der seinem lustigen und feurigen Wesen angelegt war, so dass es nun hoechst lieblich, unbedenklich und ruehrend sich ansah, wenn trotz alledem das gute Kind bei jedem Sonnenblick sich ermunterte und zum Laecheln bereit war. Sali erging es nicht so hart auf den ersten Anschein; denn er war nun ein huebscher und kraeftiger junger Bursche, der sich zu wehren wusste und dessen aeussere Haltung wenigstens eine schlechte Behandlung von selbst unzulaessig machte. Er sah wohl die ueble Wirtschaft seiner Eltern und glaubte sich erinnern zu koennen, dass es einst nicht so gewesen; ja er bewahrte noch das fruehere Bild seines Vaters wohl in seinem Gedaechtnisse als eines festen, klugen und ruhigen Bauers, desselben Mannes, den er jetzt als einen grauen Narren, Haendelfuehrer und Muessiggaenger vor sich sah, der mit Toben und Prahlen auf hundert toerichten und verfaenglichen Wegen wandelte und mit jeder Stunde rueckwaerts ruderte, wie ein Krebs. Wenn ihm nun dies missfiel und ihn oft mit Scham und Kummer erfuellte, waehrend es seiner Unerfahrenheit nicht klar war, wie die Dinge so gekommen, so wurden seine Sorgen wieder betaeubt durch die Schmeichelei, mit der ihn die Mutter behandelte. Denn um in ihrem Unwesen ungestoerter zu sein und einen guten Parteigaenger zu haben, auch um ihrer Grosstuerei zu genuegen, liess sie ihm zukommen, was er wuenschte, kleidete ihn sauber und prahlerisch und unterstuetzte ihn in allem, was er zu seinem Vergnuegen vornahm. Er liess sich dies gefallen ohne viel Dankbarkeit, da ihm die Mutter viel zu viel dazu schwatzte und log; und indem er so wenig Freude daran empfand, tat er laessig und gedankenlos, was ihm gefiel, ohne dass dies jedoch etwas Uebles war, weil er fuer jetzt noch unbeschaedigt war von dem Beispiele der Alten und das jugendliche Beduerfnis fuehlte, im ganzen einfach, ruhig und leidlich tuechtig zu sein. Er war ziemlich genau so, wie sein Vater in diesem Alter gewesen war, und dieses floesste demselben eine unwillkuerliche Achtung vor dem Sohne ein, in welchem er mit verwirrtem Gewissen und gepeinigter Erinnerung seine eigene Jugend achtete. Trotz dieser Freiheit, welche Sali genoss, ward er seines Lebens doch nicht froh und fuehlte wohl, wie er nichts Rechtes vor sich hatte und ebensowenig etwas Rechtes lernte, da von einem zusammenhaengenden und vernunftgemaessen Arbeiten in Manzens Hause laengst nicht mehr die Rede war. Sein bester Trost war daher, stolz auf seine Unabhaengigkeit und einstweilige Unbescholtenheit zu sein, und in diesem Stolze liess er die Tage trotzig verstreichen und wandte die Augen von der Zukunft ab. Der einzige Zwang, dem er unterworfen, war die Feindschaft seines Vaters gegen alles, was Marti hiess und an diesen erinnerte. Doch wusste er nichts anderes, als dass Marti seinem Vater Schaden zugefuegt und dass man in dessen Hause ebenso feindlich gesinnt sei, und es fiel ihm daher nicht schwer, weder den Marti noch seine Tochter anzusehen und seinerseits auch einen angehenden, doch ziemlich zahmen Feind vorzustellen. Vrenchen hingegen, welches mehr erdulden musste als Sali und in seinem Hause viel verlassener war, fuehlte sich weniger zu einer foermlichen Feindschaft aufgelegt und glaubte sich nur verachtet von dem wohlgekleideten und scheinbar gluecklicheren Sali; deshalb verbarg sie sich vor ihm, und wenn er irgendwo nur in der Naehe war, so entfernte sie sich eilig, ohne dass er sich die Muehe gab, ihr nachzublicken. So kam es, dass er das Maedchen schon seit ein paar Jahren nicht mehr in der Naehe gesehen und gar nicht wusste, wie es aussah, seit es herangewachsen. Und doch wunderte es ihn zuweilen ganz gewaltig, und wenn ueberhaupt von den Martis gesprochen wurde, so dachte er unwillkuerlich nur an die Tochter, deren jetziges Aussehen ihm nicht deutlich und deren Andenken ihm gar nicht verhasst war. Doch war sein Vater Manz nun der erste von den beiden Feinden, der sich nicht mehr halten konnte und von Haus und Hof springen musste. Dieser Vortritt ruehrte daher, dass er eine Frau besass, die ihm geholfen, und einen Sohn, der doch auch einiges mit brauchte, waehrend Marti der einzige Verzehrer war in seinem wackeligen Koenigreich, und seine Tochter durfte wohl arbeiten wie ein Haustierchen, aber nichts gebrauchen. Manz aber wusste nichts anderes anzufangen, als auf den Rat seiner Seldwyler Goenner in die Stadt zu ziehen und da sich als Wirt aufzutun. Es ist immer betrueblich anzusehen, wenn ein ehemaliger Landmann, der auf dem Felde alt geworden ist, mit den Truemmern seiner Habe in eine Stadt zieht und da eine Schenke oder Kneipe auftut, um als letzten Rettungsanker den freundlichen und gewandten Wirt zu machen, waehrend es ihm nichts weniger als freundlich zumut ist. Als die Manzen vom Hofe zogen, sah man erst, wie arm sie bereits waren; denn sie luden lauter alten und zerfallenden Hausrat auf, dem man es ansah, dass seit vielen Jahren nichts erneuert und angeschafft worden war. Die Frau legte aber nichtsdestominder ihren besten Staat an, als sie sich oben auf die Geruempelfuhre setzte, und machte ein Gesicht voller Hoffnungen, als kuenftige Stadtfrau schon mit Verachtung auf die Dorfgenossen herabsehend, welche voll Mitleid hinter den Hecken hervor dem bedenklichen Zuge zuschauten. Denn sie nahm sich vor, mit ihrer Liebenswuerdigkeit und Klugheit die ganze Stadt zu bezaubern, und was ihr versimpelter Mann nicht machen koenne, das wolle sie schon ausrichten, wenn sie nur erst einmal als Frau Wirtin in einem stattlichen Gasthofe saesse. Dieser Gasthof bestand aber in einer truebseligen Winkelschenke in einem abgelegenen schmalen Gaesschen, auf der eben ein anderer zugrunde gegangen war und welche die Seldwyler dem Manz verpachteten, da er noch einige hundert Taler einzuziehen hatte. Sie verkauften ihm auch ein paar Faesschen angemachten Weines und das Wirtschaftsmobiliar, das aus einem Dutzend weissen geringen Flaschen, ebensoviel Glaesern und einigen tannenen Tischen und Baenken bestand, welche einst blutrot angestrichen gewesen und jetzt vielfaeltig abgescheuert waren. Vor dem Fenster knarrte ein eiserner Reifen in einem Haken, und in dem Reifen schenkte eine blecherne Hand Rotwein aus einem Schoeppchen in ein Glas. Ueberdies hing ein verdorrter Busch von Stechpalme ueber der Haustuere, was Manz alles mit in die Pacht bekam. Um deswillen war er nicht so wohlgemut wie seine Frau, sondern trieb mit schlimmer Ahnung und voll Ingrimm die magern Pferde an, welche er vom neuen Bauern geliehen. Das letzte schaebige Knechtchen, das er gehabt, hatte ihn schon seit einigen Wochen verlassen. Als er solcherweise abfuhr, sah er wohl, wie Marti voll Hohn und Schadenfreude sich unfern der Strasse zu schaffen machte, fluchte ihm und hielt denselben fuer den alleinigen Urheber seines Unglueckes. Sali aber, sobald das Fuhrwerk im Gange war, beschleunigte seine Schritte, eilte voraus und ging allein auf Seitenwegen nach der Stadt. "Da waeren wir!" sagte Manz, als die Fuhre vor dem Spelunkelein anhielt. Die Frau erschrak darueber, denn das war in der Tat ein trauriger Gasthof. Die Leute traten eilfertig unter die Fenster und vor die Haeuser, um sich den neuen Bauernwirt anzusehen, und machten mit ihrer Seldwyler Ueberlegenheit mitleidig spoettische Gesichter. Zornig und mit nassen Augen kletterte die Manzin vom Wagen herunter und lief, ihre Zunge vorlaeufig wetzend, in das Haus, um sich heute vornehm nicht wieder blicken zu lassen; denn sie schaemte sich des schlechten Geraetes und der verdorbenen Betten, welche nun abgeladen wurden. Sali schaemte sich auch, aber er musste helfen und machte mit seinem Vater einen seltsamen Verlag in dem Gaesschen, auf welchem alsbald die Kinder der Falliten herumsprangen und sich ueber das verlumpte Bauernpack lustig machten. Im Hause aber sah es noch truebseliger aus, und es glich einer vollkommenen Raeuberhoehle. Die Waende waren schlechtgeweisstes, feuchtes Mauerwerk, ausser der dunklen, unfreundlichen Gaststube mit ihren ehemals blutroten Tischen waren nur noch ein paar schlechte Kaemmerchen da, und ueberall hatte der ausgezogene Vorgaenger den trostlosesten Schmutz und Kehricht zurueckgelassen. So war der Anfang, und so ging es auch fort. Waehrend der ersten Woche kamen, besonders am Abend, wohl hin und wieder ein Tisch voll Leute aus Neugierde, den Bauernwirt zu sehen, und ob es da vielleicht einigen Spass absetzte. Am Wirt hatten sie nicht viel zu betrachten, denn Manz war ungelenk, starr, unfreundlich und melancholisch und wusste sich gar nicht zu benehmen, wollte es auch nicht wissen. Er fuellte langsam und ungeschickt die Schoeppchen, stellte sie muerrisch vor die Gaeste und versuchte etwas zu sagen, brachte aber nichts heraus. Desto eifriger warf sich nun seine Frau ins Geschirr und hielt die Leute wirklich einige Tage zusammen, aber in einem ganz anderen Sinne, als sie meinte. Die ziemlich dicke Frau hatte sich eine eigene Haustracht zusammengesetzt, in der sie unwiderstehlich zu sein glaubte. Zu einem leinenen, ungefaerbten Landrock trug sie einen alten, gruenseidenen Spenzer, eine baumwollene Schuerze und einen schlimmen, weissen Halskragen. Von ihrem nicht mehr dichten Haar hatte sie an den Schlaefen possierliche Schnecken gewickelt und in das Zoepfchen hinten einen hohen Kamm gesteckt. So schwaenzelte und taenzelte sie mit angestrengter Anmut herum, spitzte laecherlich das Maul, dass es suess aussehen sollte, huepfte elastisch an die Tische hin, und das Glas oder den Teller mit gesalzenem Kaese hinsetzend, sagte sie laechelnd: "So so? so soli! herrlich, herrlich, ihr Herren!" und solches dummes Zeug mehr; denn obwohl sie sonst eine geschliffene Zunge hatte, so wusste sie jetzt doch nichts Gescheites vorzubringen, da sie fremd war und die Leute nicht kannte. Die Seldwyler von der schlechtesten Sorte, die da hockten, hielten die Hand vor den Mund, wollten vor Lachen ersticken, stiessen sich unter dem Tisch mit den Fuessen und sagten: "Potz tausig! Das ist ja eine Herrliche!" "Eine Himmlische!" sagte ein anderer, "beim ewigen Hagel! Es ist der Muehe wert, hierherzukommen, so eine haben wir lang nicht gesehen!" Ihr Mann bemerkte das wohl mit finsterem Blicke; er gab ihr einen Stoss in die Rippen und fluesterte: "Du alte Kuh! Was machst du denn?" "Stoere mich nicht," sagte sie unwillig, "du alter Tolpatsch! Siehst du nicht, wie ich mir Muehe gebe und mit den Leuten umzugehen weiss? Das sind aber nur Lumpen von deinem Anhang! Lass mich nur machen, ich will bald vornehmere Kundschaft hier haben!" Dies alles war beleuchtet von einem oder zwei duennen Talglichten; Sali, der Sohn, aber ging hinaus in die dunkle Kueche, setzte sich auf den Herd und weinte ueber Vater und Mutter. Die Gaeste hatten aber das Schauspiel bald satt, welches ihnen die gute Frau Manz gewaehrte, und blieben wieder, wo es ihnen wohler war und sie ueber die wunderliche Wirtschaft lachen konnten; nur dann und wann erschien ein einzelner, der ein Glas trank und die Waende angaehnte, oder es kam ausnahmsweise eine ganze Bande, die armen Leute mit einem voruebergehenden Trubel und Laerm zu taeuschen. Es ward ihnen angst und bange in dem engen Mauerwinkel, wo sie kaum die Sonne sahen; und Manz, welcher sonst gewohnt war, tagelang in der Stadt zu liegen, fand es jetzt unertraeglich zwischen diesen Mauern. Wenn er an die freie Weite der Felder dachte, so stierte er finster bruetend an die Decke oder auf den Boden, lief unter die enge Haustuere und wieder zurueck, da die Nachbarn den boesen Wirt, wie sie ihn schon nannten, angafften. Nun dauerte es aber nicht mehr lange und sie verarmten gaenzlich und hatten gar nichts mehr in der Hand; sie mussten, um etwas zu essen, warten, bis einer kam und fuer wenig Geld etwas von dem noch vorhandenen Wein verzehrte, und wenn er eine Wurst oder dergleichen begehrte, so hatten sie oft die groesste Angst und Sorge, dieselbe beizutreiben. Bald hatten sie auch den Wein nur noch in einer grossen Flasche verborgen, die sie heimlich in einer andern Kneipe fuellen liessen, und so sollten sie nun die Wirte machen ohne Wein und Brot und freundlich sein, ohne ordentlich gegessen zu haben. Sie waren beinahe froh, wenn nur niemand kam, und hockten so in ihrem Kneipchen, ohne leben noch sterben zu koennen. Als die Frau diese traurigen Erfahrungen machte, zog sie den gruenen Spenzer wieder aus und nahm abermals eine Veraenderung vor, indem sie nun, wie frueher die Fehler, so nun einige weibliche Tugenden aufkommen liess und mehr ausbildete, da Not an den Mann ging. Sie uebte Geduld und suchte den Alten aufrechtzuhalten und den Jungen zum Guten anzuweisen; sie opferte sich vielfaeltig in allerlei Dingen, kurz sie uebte in ihrer Weise eine Art von wohltaetigem Einfluss, der zwar nicht weit reichte und nicht viel besserte, aber immerhin besser war als gar nichts oder als das Gegenteil und die Zeit wenigstens verbringen half, welche sonst viel frueher haette brechen muessen fuer diese Leute. Sie wusste manchen Rat zu geben nunmehr in erbaermlichen Dingen, nach ihrem Verstande, und wenn der Rat nichts zu taugen schien und fehlschlug, so ertrug sie willig den Grimm der Maenner, kurzum, sie tat jetzt alles, da sie alt war, was besser gedient haette, wenn sie es frueher geuebt. Um wenigstens etwas Beissbares zu erwerben und die Zeit zu verbringen, verlegten sich Vater und Sohn auf die Fischerei, d. h. mit der Angelrute, soweit es fuer jeden erlaubt war, sie in den Fluss zu haengen. Dies war auch eine Hauptbeschaeftigung der Seldwyler, nachdem sie falliert hatten. Bei guenstigem Wetter, wenn die Fische gern anbissen, sah man sie dutzendweise hinauswandern mit Rute und Eimer, und wenn man an den Ufern des Flusses wandelte, hockte alle Spanne lang einer, der angelte, der eine in einem langen, braunen Buergerrock, die blossen Fuesse im Wasser, der andere in einem spitzen, blauen Frack auf einer alten Weide stehend, den alten Filz schief auf dem Ohre; weiterhin angelte gar einer im zerrissenen, grossblumigen Schlafrock, da er keinen andern mehr besass, die lange Pfeife in der einen, die Rute in der andern Hand, und wenn man um eine Kruemmung des Flusses bog, stand ein alter, kahlkoepfiger Dickbauch faselnackt auf einem Stein und angelte; dieser hatte, trotz des Aufenthaltes am Wasser, so schwarze Fuesse, dass man glaubte, er habe die Stiefel anbehalten. Jeder hatte ein Toepfchen oder ein Schaechtelchen neben sich, in welchem Regenwuermer wimmelten, nach denen sie zu andern Stunden zu graben pflegten. Wenn der Himmel mit Wolken bezogen und es ein schwueles, daemmeriges Wetter war, welches Regen verkuendete, so standen diese Gestalten am zahlreichsten an dem ziehenden Strome, regungslos gleich einer Galerie von Heiligen, oder Prophetenbildern. Achtlos zogen die Landleute mit Vieh und Wagen an ihnen vorueber, und die Schiffer auf dem Flusse sahen sie nicht an, waehrend sie leise murrten ueber die stoerenden Schiffe. Wenn man Manz vor zwoelf Jahren, als er mit einem schoenen Gespann pfluegte auf dem Huegel ueber dem Ufer, geweissagt haette, er wuerde sich einst zu diesen wunderlichen Heiligen gesellen und gleich ihnen Fische fangen, so waere er nicht uebel aufgefahren. Auch eilte er jetzt hastig an ihnen vorueber hinter ihrem Ruecken und eilte stromaufwaerts gleich einem eigensinnigen Schatten der Unterwelt, der sich zu seiner Verdammnis ein bequemes, einsames Plaetzchen sucht an den dunkeln Waessern. Mit der Angelrute zu stehen hatten er und sein Sohn indessen keine Geduld, und sie erinnerten sich der Art, wie die Bauern auf manche andere Weise etwa Fische fangen, wenn sie uebermuetig sind, besonders mit den Haenden in den Baechen; daher nahmen sie die Ruten nur zum Schein mit und gingen an den Borden der Baeche hinauf, wo sie wussten, dass es teure und gute Forellen gab. Dem auf dem Lande zurueckgebliebenen Marti ging es inzwischen auch immer schlimmer, und es war ihm hoechst langweilig dabei, so dass er, anstatt auf seinem vernachlaessigten Felde zu arbeiten, ebenfalls auf das Fischen verfiel und tagelang im Wasser herumplaetscherte. Vrenchen durfte nicht von seiner Seite und musste ihm Eimer und Geraete nachtragen durch nasse Wiesengruende, durch Baeche und Wassertuempel aller Art, bei Regen und Sonnenschein, indessen sie das Notwendigste zu Hause liegenlassen musste. Denn es war sonst keine Seele mehr da und wurde auch keine gebraucht, da Marti das meiste Land schon verloren hatte und nur noch wenige Aecker besass, die er mit seiner Tochter liederlich genug oder gar nicht bebaute. So kam es, dass, als er eines Abends einen ziemlich tiefen und reissenden Bach entlang ging, in welchem die Forellen fleissig sprangen, da der Himmel voll Gewitterwolken hing, er unverhofft auf seinen Feind Manz traf, der an dem andern Ufer daherkam. Sobald er ihn sah, stieg ein schrecklicher Groll und Hohn in ihm auf; sie waren sich seit Jahren nicht so nahe gewesen, ausgenommen vor den Gerichtsschranken, wo sie nicht schelten durften, und Marti rief jetzt voll Grimm: "Was tust du hier, du Hund? Kannst du nicht in deinem Lotterneste bleiben, du Seldwyler Lumpenhund?" "Wirst naechstens wohl auch ankommen, du Schelm!" rief Manz. "Fische faengst du ja auch schon und wirst deshalb nicht viel mehr zu versaeumen haben!" "Schweig, du Galgenhund!" schrie Marti, da hier die Wellen des Baches staerker rauschten, "du hast mich ins Unglueck gebracht!" Und da jetzt auch die Weiden am Bache gewaltig zu rauschen anfingen im aufgehenden Wetterwind, so musste Manz noch lauter schreien: "Wenn dem nur so waere, so wollte ich mich freuen, du elender Tropf!" "O du Hund!" schrie Marti herueber und Manz hinueber: "O du Kalb, wie dumm tust du!" Und jener sprang wie ein Tiger den Bach entlang und suchte herueberzukommen. Der Grund, warum er der Wuetendere war, lag in seiner Meinung, dass Manz als Wirt wenigstens genug zu essen und zu trinken haette und gewissermassen ein kurzweiliges Leben fuehre, waehrend es ungerechterweise ihm so langweilig waere auf seinem zertruemmerten Hofe. Manz schritt indessen auch grimmig genug an der andern Seite hin, hinter ihm sein Sohn, welcher, statt auf den boesen Streit zu hoeren, neugierig und verwundert nach Vrenchen hinuebersah, welche hinter ihrem Vater ging, vor Scham in die Erde sehend, dass ihr die braunen, krausen Haare ins Gesicht fielen. Sie trug einen hoelzernen Fischeimer in der einen Hand, in der andern hatte sie Schuh und Struempfe getragen und ihr Kleid der Naesse wegen aufgeschuerzt. Seit aber Sali auf der andern Seite ging, hatte sie es schamhaft sinken lassen und war nun dreifach belaestigt und gequaelt, da sie all das Zeug tragen, den Rock zusammenhalten und des Streites wegen sich graemen musste. Haette sie aufgesehen und nach Sali geblickt, so wuerde sie entdeckt haben, dass er weder vornehm noch sehr stolz mehr aussah und selbst bekuemmert genug war. Waehrend Vrenchen so ganz beschaemt und verwirrt auf die Erde sah und Sali nur diese in allem Elende schlanke und anmutige Gestalt im Auge hatte, die so verlegen und demuetig dahinschritt, beachteten sie dabei nicht, wie ihre Vaeter stillgeworden, aber mit verstaerkter Wut einem hoelzernen Stege zueilten, der in kleiner Entfernung ueber den Bach fuehrte und eben sichtbar wurde. Es fing an zu blitzen und erleuchtete seltsam die dunkle, melancholische Wassergegend; es donnerte auch in den grauschwarzen Wolken mit dumpfem Grolle, und schwere Regentropfen fielen, als die verwilderten Maenner gleichzeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Bruecke stuerzten, sich gegenseitig packten und die Faeuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen, zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Anmutiges und nichts weniger als artig, wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Uebermut, Unbedacht oder Notwehr unter allerhand Volk, das sie nicht naeher beruehrt, Schlaege auszuteilen oder welche zu bekommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen ueberwaeltigt, die sich wohl kennen und seit lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Haenden anfassen und mit Faeusten schlagen. So taten jetzt diese beiden ergrauten Maenner; vor fuenfzig Jahren vielleicht hatten sie sich als Buben zum letztenmal gerauft, dann aber fuenfzig lange Jahre mit keiner Hand mehr beruehrt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Grusse die Haende geschuettelt, und auch dies nur selten bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nachdem sie ein= oder zweimal geschlagen, hielten sie inne und rangen still zitternd miteinander, nur zuweilen aufstoehnend und elendiglich knirschend, und einer suchte den andern ueber das knackende Gelaender ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den erbaermlichen Auftritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater beizustehen und ihm zu helfen, dem gehassten Feinde den Garaus zu machen, der ohnehin der schwaechere schien und eben zu unterliegen drohte: Aber auch Vrenchen sprang, alles wegwerfend, mit einem langen Aufschrei herzu und umklammerte ihren Vater, um ihn zu schuetzen, waehrend sie ihn dadurch nur hinderte und beschwerte. Traenen stroemten aus ihren Augen, und sie sah flehend den Sali an, der im Begriff war, ihren Vater ebenfalls zu fassen und vollends zu ueberwaeltigen. Unwillkuerlich legte er aber seine Hand an seinen eigenen Vater und suchte denselben mit festem Arm von dem Gegner loszubringen und zu beruhigen, so dass der Kampf eine kleine Weile ruhte oder vielmehr die ganze Gruppe unruhig hin und her draengte, ohne auseinander zu kommen. Darueber waren die jungen Leute, sich mehr zwischen die Alten schiebend, in dichte Beruehrung gekommen, und in diesem Augenblicke erhellte ein Wolkenriss, der den grellen Abendschein durchliess, das nahe Gesicht des Maedchens, und Sali sah in dies ihm so wohlbekannte und doch so viel anders und schoener gewordene Gesicht. Vrenchen sah in diesem Augenblicke auch sein Erstaunen, und es laechelte ganz kurz und geschwind mitten in seinem Schrecken und seinen Traenen ihn an. Doch ermannte sich Sali, geweckt durch die Anstrengungen seines Vaters, ihn abzuschuetteln, und brachte ihn mit eindringlich bittenden Worten und fester Haltung endlich ganz von seinem Feinde weg. Beide alten Gesellen atmeten hoch auf und begannen jetzt wieder zu schelten und zu schreien, sich voneinander abwendend; ihre Kinder aber atmeten kaum und waren still wie der Tod, gaben sich aber im Wegwenden und Trennen, ungesehen von den Alten, schnell die Haende, welche vom Wasser und von den Fischen feucht und kuehl waren. Als die grollenden Parteien ihrer Wege gingen, hatten die Wolken sich wieder geschlossen, es dunkelte mehr und mehr und der Regen goss nun in Baechen durch die Luft. Manz schlenderte voraus auf den dunklen, nassen Wegen, er duckte sich, beide Haende in den Taschen, unter den Regenguessen, zitterte noch in seinen Gesichtszuegen und mit den Zaehnen, und ungesehene Traenen rieselten ihm in den Stoppelbart, die er fliessen liess, um sie durch das Wegwischen nicht zu verraten. Sein Sohn hatte aber nichts gesehen, weil er in glueckseligen Bildern verloren daherging. Er merkte weder Regen noch Sturm, weder Dunkelheit, noch Elend; sondern leicht, hell und warm war es ihm innen und aussen, und er fuehlte sich so reich und wohlgeborgen wie ein Koenigssohn. Er sah fortwaehrend das sekundenlange Laecheln des nahen schoenen Gesichtes und erwiderte dasselbe erst jetzt, eine gute halbe Stunde nachher, indem er voll Liebe in Nacht und Wetter hinein und das liebe Gesicht anlachte, das ihm allerwegen aus dem Dunkel entgegentrat, so dass er glaubte, Vrenchen muesse auf seinen Wegen dies Lachen notwendig sehen und seiner innewerden. Sein Vater war des andern Tags wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der ganze Handel und das vieljaehrige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an und breitete sich dunkel aus in der drueckenden Luft der Spelunke, also dass Mann und Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen Kaemmerchen, von da in die Kueche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten, in welcher kein Gast sich sehen liess. Zuletzt hockte jedes in einem Winkel und begann den Tag ueber ein muedes, halbtotes Zanken und Vorhalten mit dem andern, wobei sie zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagtraeumen geplagt, welche aus dem Gewissen kamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hoerte nichts davon, denn er dachte nur an Vrenchen. Es war ihm immer noch zumut, nicht nur als ob er unsaeglich reich waere, sondern auch was Rechtes gelernt haette und unendlich viel Schoenes und Gutes wuesste, da er nun so deutlich und bestimmt um das wusste, was er gestern gesehen. Diese Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen, und er war in einer unaufhoerlichen gluecklichen Verwunderung darueber; und doch war es ihm, als ob er es eigentlich von jeher gewusst und gekannt haette, was ihn jetzt mit so wundersamer Suessigkeit erfuellte. Denn nichts gleicht dem Reichtum und der Unergruendlichkeit eines Glueckes, das an den Menschen herantritt in einer so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfaefflein getauft und wohlversehen mit einem eigenen Namen, der nicht toent wie andere Namen. Sali fuehlte sich an diesem Tage weder muessig noch ungluecklich, weder arm noch hoffnungslos; vielmehr war er vollauf beschaeftigt, sich Vrenchens Gesicht und Gestalt vorzustellen, unaufhoerlich, eine Stunde wie die andere; ueber dieser aufgeregten Taetigkeit aber verschwand ihm der Gegenstand derselben fast vollstaendig, das heisst, er bildete sich endlich ein, nun doch nicht zu wissen, wie Vrenchen recht genau aussehe, er habe wohl ein allgemeines Bild von ihr im Gedaechtnis, aber wenn er sie beschreiben sollte, so koennte er das nicht. Er sah fortwaehrend dies Bild, als ob es vor ihm staende, und fuehlte seinen angenehmen Eindruck, und doch sah er es nur, wie etwas, das man eben nur einmal gesehen, in dessen Gewalt man liegt und das man doch noch nicht kennt. Er erinnerte sich genau der Gesichtszuege, welche das kleine Dirnchen einst gehabt, mit grossem Wohlgefallen, aber nicht eigentlich derjenigen, welche er gestern gesehen. Haette er Vrenchen nie wieder zu sehen bekommen, so haetten sich seine Erinnerungskraefte schon behelfen muessen und das liebe Gesicht saeuberlich wieder zusammengetragen, dass nicht ein Zug daran fehlte. Jetzt aber versagten sie schlau und hartnaeckig ihren Dienst, weil die Augen nach ihrem Recht und ihrer Lust verlangten, und als am Nachmittage die Sonne warm und hell die oberen Stockwerke der schwarzen Haeuser beschien, strich Sali aus dem Tore und seiner alten Heimat zu, welche ihm jetzt erst ein himmlisches Jerusalem zu sein schien mit zwoelf glaenzenden Pforten, und die sein Herz klopfen machte, als er sich ihr naeherte. Er stiess auf dem Wege auf Vrenchens Vater, welcher nach der Stadt zu gehen schien. Der sah sehr wild und liederlich aus, sein graugewordener Bart war seit Wochen nicht geschoren, und er sah aus wie ein recht boeser, verlorener Bauersmann, der sein Feld verscherzt hat und nun geht, um andern Uebles zuzufuegen. Dennoch sah ihn Sali, als sie sich voruebergingen, nicht mehr mit Hass, sondern voll Furcht und Scheu an, als ob sein Leben in dessen Hand staende und er es lieber von ihm erflehen als ertrotzen moechte. Marti aber mass ihn mit einem boesen Blicke von oben bis unten und ging seines Weges. Das war indessen dem Sali recht, welchem es nun, da er den Alten das Dorf verlassen sah, deutlicher wurde, was er eigentlich da wolle, und er schlich sich auf altbekannten Pfaden so lange um das Dorf herum und durch dessen verdeckte Gaesschen, bis er sich Martis Haus und Hof gegenueber befand. Seit mehreren Jahren hatte er diese Staette nicht mehr so nah gesehen; denn auch als sie noch hier wohnten, hueteten sich die verfeindeten Leute gegenseitig, sich ins Gehege zu kommen. Deshalb war er nun erstaunt ueber das, was er doch an seinem eigenen Vaterhause erlebt, und starrte voll Verwunderung in die Wuestenei, die er vor sich sah. Dem Marti war ein Stueck Ackerland um das andere abgepfaendet worden, er besass nichts mehr als das Haus und den Platz davor nebst etwas Garten und dem Acker auf der Hoehe am Flusse, von welchem er hartnaeckig am laengsten nicht lassen wollte. Es war aber keine Rede mehr von einer ordentlichen Bebauung, und auf dem Acker, der einst so schoen im gleichmaessigen Korne gewogt, wenn die Ernte kam, waren jetzt allerhand abfaellige Samenreste gesaet und aufgegangen, aus alten Schachteln und zerrissenen Tueten zusammengekehrt, Rueben, Kraut und dergleichen und etwas Kartoffeln, so dass der Acker aussah wie ein recht uebel gepflegter Gemueseplatz, und eine wunderliche Musterkarte war, dazu angelegt, um von der Hand in den Mund zu leben, hier eine Handvoll Rueben auszureissen, wenn man Hunger hatte und nichts Besseres wusste, dort eine Tracht Kartoffeln oder Kraut, und das uebrige fortwuchern oder verfaulen zu lassen, wie es mochte. Auch lief jedermann darin herum, wie es ihm gefiel, und das schoene breite Stueck Feld sah beinahe so aus, wie einst der herrenlose Acker, von dem alles Unheil herkam. Deshalb war um das Haus nicht eine Spur von Ackerwirtschaft zu sehen. Der Stall war leer, die Tuere hing nur in einer Angel, und unzaehlige Kreuzspinnen, den Sommer hindurch halbgross geworden, liessen ihre Faeden in der Sonne glaenzen vor dem dunklen Eingang. An dem offenstehenden Scheunentor, wo einst die Fruechte des festen Landes eingefahren, hing schlechtes Fischergeraete, zum Zeugnis der verkehrten Wasserpfuscherei; auf dem Hofe war nicht ein Huhn und nicht eine Taube, weder Katze noch Hund zu sehen; nur der Brunnen war noch als etwas Lebendiges da, aber er floss nicht mehr durch die Roehre, sondern sprang durch einen Riss nahe am Boden ueber diesen hin und setzte ueberall kleine Tuempel an, so dass er das beste Sinnbild der Faulheit abgab. Denn waehrend mit wenig Muehe des Vaters das Loch zu verstopfen und die Roehre herzustellen gewesen waere, musste sich Vrenchen nun abquaelen, selbst das lautere Wasser dieser Verkommenheit abzugewinnen und seine Waescherei in den seichten Sammlungen am Boden vorzunehmen, statt in dem vertrockneten und zerspellten Troge. Das Haus selbst war ebenso klaeglich anzusehen; die Fenster waren vielfaeltig zerbrochen und mit Papier verklebt, aber doch waren sie das Freundlichste an dem Verfall; denn sie waren, selbst die zerbrochenen Scheiben, klar und sauber gewaschen, ja foermlich poliert und glaenzten so hell, wie Vrenchens Augen, welche ihm in seiner Armut ja auch allen uebrigen Staat ersetzen mussten. Und wie die krausen Haare und die rotgelben Kattunhalstuecher zu Vrenchens Augen, stand zu diesen blinkenden Fenstern das wilde gruene Gewaechs, was da durcheinander rankte um das Haus, flatternde Bohnenwaeldchen und eine ganze duftende Wildnis von rotgelbem Goldlack. Die Bohnen hielten sich, sogut sie konnten, hier an einem Harkenstiel, oben an einem verkehrt in die Erde gesteckten Stumpfbesen, dort an einer von Rost zerfressenen Helbarte oder Sponton, wie man es nannte, als Vrenchens Grossvater das Ding als Wachtmeister getragen, welches es jetzt aus Not in die Bohnen gepflanzt hatte; dort kletterten sie wieder lustig eine verwitterte Leiter empor, die am Hause lehnte seit undenklichen Zeiten, und hingen von da an in die klaren Fensterchen hinunter wie Vrenchens Kraeuselhaare in seine Augen. Dieser mehr malerische als wirtliche Hof lag etwas beiseit und hatte keine naeheren Nachbarhaeuser, auch liess sich in diesem Augenblicke nirgends eine lebendige Seele wahrnehmen; Sali lehnte daher in aller Sicherheit an einem alten Scheunchen, etwa dreissig Schritte entfernt, und schaute unverwandt nach dem stillen, wuesten Hause hinueber. Eine geraume Zeit lehnte und schaute er so, als Vrenchen unter die Haustuer kam und lange vor sich hinblickte, wie mit allen ihren Gedanken an einem Gegenstande haengend. Sali ruehrte sich nicht und wandte kein Auge von ihr. Als sie endlich zufaellig in dieser Richtung hinsah, fiel er ihr in die Augen. Sie sahen sich eine Weile an, herueber und hinueber, als ob sie eine Lufterscheinung betrachteten, bis sich Sali endlich aufrichtete und langsam ueber die Strasse und ueber den Hof ging auf Vrenchen los. Als er dem Maedchen nahe war, streckte es seine Haende gegen ihn aus und sagte: "Sali!" Er ergriff die Haende und sah ihr immerfort ins Gesicht. Traenen stuerzten aus ihren Augen, waehrend sie unter seinen Blicken vollends dunkelrot wurde, und sie sagte: "Was willst du hier?" "Nur dich sehen!" erwiderte er, "wollen wir nicht wieder gute Freunde sein?" "Und unsere Eltern?" fragte Vrenchen, sein weinendes Gesicht zur Seite neigend, da es die Haende nicht frei hatte, um es zu bedecken. "Sind wir schuld an dem, was sie getan und geworden sind?" sagte Sali, "vielleicht koennen wir das Elend nur gutmachen, wenn wir zwei zusammenhalten und uns recht lieb sind!" "Es wird nie gut kommen," antwortete Vrenchen mit einem tiefen Seufzer, "geh in Gottes Namen deiner Wege, Sali!" "Bist du allein?" fragte dieser, "kann ich einen Augenblick hineinkommen?" "Der Vater ist zur Stadt, wie er sagte, um deinem Vater irgend etwas anzuhaengen; aber hereinkommen kannst du nicht, weil du spaeter vielleicht nicht so ungesehen weggehen kannst wie jetzt. Noch ist alles still und niemand um den Weg, ich bitte dich, geh jetzt!" "Nein, so geh' ich nicht! Ich musste seit gestern immer an dich denken, und ich geh' nicht so fort, wir muessen miteinander reden, wenigstens eine halbe Stunde lang oder eine Stunde, das wird uns gut tun!" Vrenchen besann sich ein Weilchen und sagte dann: "Ich geh' gegen Abend auf unsern Acker hinaus, du weisst welchen, wir haben nur noch den, und hole etwas Gemuese. Ich weiss, dass niemand weiter dort sein wird, weil die Leute anderswo schneiden; wenn du willst, so komm dorthin, aber jetzt geh und nimm dich in acht, dass dich niemand sieht! Wenn auch kein Mensch hier mehr mit uns umgeht, so wuerden sie doch ein solches Gerede machen, dass es der Vater sogleich vernaehme." Sie liessen sich jetzt die Haende frei, ergriffen sie aber auf der Stelle wieder, und beide sagten gleichzeitig: "Und wie geht es dir auch?" Aber statt sich zu antworten, fragten sie das gleiche aufs neue, und die Antwort lag nur in den beredten Augen, da sie nach Art der Verliebten die Worte nicht mehr zu lenken wussten und ohne sich weiter etwas zu sagen, endlich halb selig und halb traurig auseinanderhuschten. "Ich komme recht bald hinaus, geh nur gleich hin!" rief Vrenchen noch nach. Sali ging auch alsobald auf die stille, schoene Anhoehe hinaus, ueber welche die zwei Aecker sich erstreckten, und die praechtige, stille Junisonne, die fahrenden, weissen Wolken, welche ueber das reife, wallende Kornfeld wegzogen, der glaenzende, blaue Fluss, der unten vorueberwallte, alles dies erfuellte ihn zum ersten Male seit langen Jahren wieder mit Glueck und Zufriedenheit, statt mit Kummer, und er warf sich der Laenge nach in den durchsichtigen Halbschatten des Kornes, wo dasselbe Martis wilden Acker begrenzte, und guckte glueckselig in den Himmel. Obgleich es kaum eine Viertelstunde waehrte, bis Vrenchen nachkam und er an nichts anderes dachte, als an sein Glueck und dessen Namen, stand es doch ploetzlich und unverhofft vor ihm, auf ihn niederlaechelnd, und froh erschreckt sprang er auf. "Vreeli!" rief er, und dieses gab ihm still und laechelnd beide Haende, und Hand in Hand gingen sie nun das fluesternde Korn entlang bis gegen den Fluss hinunter und wieder zurueck, ohne viel zu reden; sie legten zwei- oder dreimal den Hin- und Herweg zurueck, still, glueckselig und ruhig, so dass dieses einige Paar nun auch einem Sternbilde glich, welches ueber die sonnige Rundung der Anhoehe und hinter derselben niederging, wie einst die sichergehenden Pflugzuege ihrer Vaeter. Als sie aber einsmals die Augen von den blauen Kornblumen aufschlugen, an denen sie gehaftet, sahen sie ploetzlich einen andern dunkeln Stern vor sich hergehen, einen schwaerzlichen Kerl, von dem sie nicht wussten, woher er so unversehens gekommen. Er musste im Korne gelegen haben; Vrenchen zuckte zusammen, und Sali sagte erschreckt: "Der schwarze Geiger!" In der Tat trug der Kerl, der vor ihnen herstrich, eine Geige mit dem Bogen unter dem Arm und sah uebrigens schwarz genug aus; neben einem schwarzen Filzhuetchen und einem schwarzen, russigen Kittel, den er trug, war auch sein Haar pechschwarz, so wie der ungeschorene Bart, das Gesicht und die Haende aber ebenfalls geschwaerzt; denn er trieb allerlei Handwerk, meistens Kesselflicken, half auch den Kohlenbrennern und Pechsiedern in den Waeldern und ging mit der Geige nur auf einen guten Schick aus, wenn die Bauern irgendwo lustig waren und ein Fest feierten. Sali und Vrenchen gingen maeuschenstill hinter ihm drein und dachten, er wuerde vom Felde gehen und verschwinden, ohne sich umzusehen, und so schien es auch zu sein, denn er tat, als ob er nichts von ihnen merkte. Dazu waren sie in einem seltsamen Bann, dass sie nicht wagten, den schmalen Pfad zu verlassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkuerlich folgten, bis an das Ende des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige Ackerzipfelchen bedeckte. Eine zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen hatte sich darauf angesiedelt, weshalb der kleine Berg feuerrot aussah zurzeit. Ploetzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die rotgekleidete Steinmasse hinauf, kehrte sich und sah ringsum. Das Paerchen blieb stehen und sah verlegen zu dem dunklen Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, weil der Weg in das Dorf fuehrte, und umkehren mochten sie auch nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an und rief: "Ich kenne euch, ihr seid die Kinder derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiss noch erleben, dass ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, ihr zwei Spatzen! Gefaellt euch meine Nase, wie?" In der Tat besass er eine schreckbare Nase, welche wie ein grosses Winkelmass aus dem duerren, schwarzen Gesicht ragte oder eigentlich mehr einem tuechtigen Knebel oder Pruegel glich, welcher in dies Gesicht geworfen worden war, und unter dem ein kleines, rundes Loechelchen von einem Munde sich seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er unaufhoerlich pustete, pfiff und zischte. Dazu stand das kleine Filzhuetchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht eckig und so sonderlich geformt war, dass es alle Augenblicke seine Gestalt zu veraendern schien, obgleich es unbeweglich sass, und von den Augen des Kerls war fast nichts als das Weisse zu sehen, da die Sterne unaufhoerlich auf einer blitzschnellen Wanderung begriffen waren und wie zwei Hasen im Zickzack umhersprangen. "Seht mich nur an," fuhr er fort, "eure Vaeter kennen mich wohl, und jedermann in diesem Dorfe weiss, wer ich bin, wenn er nur meine Nase sieht. Da haben sie vor Jahren ausgeschrieben, dass ein Stueck Geld fuer den Erben dieses Ackers bereitliege; ich habe mich zwanzigmal gemeldet, aber ich habe keinen Taufschein und keinen Heimatschein, und meine Freunde, die Heimatlosen, die meine Geburt gesehen, haben kein gueltiges Zeugnis, und so ist die Frist laengst verlaufen, und ich bin um den blutigen Pfennig gekommen, mit dem ich haette auswandern koennen! Ich habe eure Vaeter angefleht, dass sie mir bezeugen moechten, sie muessten mich nach ihrem Gewissen fuer den rechten Erben halten; aber sie haben mich von ihren Hoefen gejagt, und nun sind sie selbst zum Teufel gegangen! Item, das ist der Welt Lauf, mir kann's recht sein, ich will euch doch geigen, wenn ihr tanzen wollt!" Damit sprang er auf der andern Seite von den Steinen hinunter und machte sich dem Dorfe zu, wo gegen Abend der Erntesegen eingebracht wurde und die Leute guter Dinge waren. Als er verschwunden, liess sich das Paar ganz mutlos und betruebt auf die Steine nieder; sie liessen ihre verschlungenen Haende fahren und stuetzten die traurigen Koepfe darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte hatten sie aus der gluecklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder auf und ab gewandelt; und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elendes sassen, verdunkelte sich das heitere Lebenslicht, und ihre Gemueter wurden so schwer wie Steine. Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Gestalt und der Nase des Geigers, es musste ploetzlich hell auslachen und rief: "Der arme Kerl sieht gar zu spasshaft aus! Was fuer eine Nase!" und eine allerliebste, sonnenhelle Lustigkeit verbreitete sich ueber des Maedchens Gesicht, als ob sie nur geharrt haette, bis des Geigers Nase die trueben Wolken wegstiesse. Sali sah Vrenchen an und sah diese Froehlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon wieder vergessen und lachte nur noch auf eigene Rechnung dem Sali ins Gesicht. Dieser, verbluefft und erstaunt, starrte unwillkuerlich mit lachendem Munde auf die Augen, gleich einem Hungrigen, der ein suesses Weizenbrot erblickt, und rief: "Bei Gott, Vreeli! Wie schoen bist du!" Vrenchen lachte ihn nur noch mehr an und hauchte dazu aus klangvoller Kehle einige kurze, mutwillige Lachtoene, welche dem armen Sali nicht anders duenkten, als der Gesang einer Nachtigall. "O du Hexe!" rief er, "wo hast du das gelernt? Welche Teufelskuenste treibst du da?" "Ach du lieber Gott!" sagte Vrenchen mit schmeichelnder Stimme und nahm Salis Hand, "das sind keine Teufelskuenste! Wie lange haette ich gern einmal gelacht! Ich habe wohl zuweilen, wenn ich ganz allein war, ueber irgend etwas lachen muessen, aber es war nichts Rechtes dabei; jetzt aber moechte ich dich immer und ewig anlachen, wenn ich dich sehe, und ich moechte dich wohl immer und ewig sehen! Bist du mir auch ein bisschen recht gut?" "O Vreeli!" sagte er und sah ihr ergeben und treuherzig in die Augen, "ich habe noch nie ein Maedchen angesehen, es war mir immer, als ob ich dich einst liebhaben muesste, und ohne dass ich wollte oder wusste, hast du mir doch immer im Sinn gelegen!" "Und du mir auch," sagte Vrenchen, "und das noch viel mehr; denn du hast mich nie angesehen und wusstest nicht, wie ich geworden bin; ich aber habe dich zuzeiten aus der Ferne und sogar heimlich aus der Naehe recht gut betrachtet und wusste immer, wie du aussiehst! Weisst du noch, wie oft wir als Kinder hierhergekommen sind? Denkst du noch des kleinen Wagens? Wie kleine Leute sind wir damals gewesen und wie lang ist es her! Man sollte denken, wir waeren recht alt." "Wie alt bist du jetzt?" fragte Sali voll Vergnuegen und Zufriedenheit, "du musst ungefaehr siebzehn sein?" "Siebzehn und ein halbes Jahr bin ich alt!" erwiderte Vrenchen, "und wie alt bist du? Ich weiss aber schon, du bist bald zwanzig?" "Woher weisst du das?" fragte Sali. "Gelt, wenn ich es sagen wollte!" "Du willst es nicht sagen?" "Nein!" "Gewiss nicht?" "Nein, nein!" "Du sollst es sagen!" "Willst du mich etwa zwingen?" "Das wollen wir sehen!" Diese einfaeltigen Reden fuehrte Sali, um seine Haende zu beschaeftigen und mit ungeschickten Liebkosungen, welche wie eine Strafe aussehen sollten, das schoene Maedchen zu bedraengen. Sie fuehrte auch, sich wehrend, mit vieler Langmut den albernen Wortwechsel fort, der trotz seiner Leerheit beide witzig und suess genug duenkte, bis Sali erbost und kuehn genug war, Vrenchens Haende zu bezwingen und es in die Mohnblumen zu druecken. Da lag es nun und zwinkerte in der Sonne mit den Augen; seine Wangen gluehten wie Purpur und sein Mund war halb geoeffnet und liess zwei Reihen weisse Zaehne durchschimmern. Fein und schoen flossen die dunklen Augenbrauen ineinander und die junge Brust hob und senkte sich mutwillig unter saemtlichen vier Haenden, welche sich kunterbunt darauf streichelten und bekriegten. Sali wusste sich nicht zu lassen vor Freuden, das schlanke schoene Geschoepf vor sich zu sehen, es sein eigen zu wissen, und es duenkte ihm ein Koenigreich. "Alle deine weissen Zaehne hast du noch!" lachte er, "weisst du noch, wie oft wir sie einst gezaehlt haben? Kannst du jetzt zaehlen?" "Das sind ja nicht die gleichen, du Kind!" sagte Vrenchen, "jene sind laengst ausgefallen!" Sali wollte nun in seiner Einfalt jenes Spiel wieder erneuern und die glaenzenden Zahnperlen zaehlen; aber Vrenchen verschloss ploetzlich den roten Mund, richtete sich auf und begann einen Kranz von Mohnrosen zu winden, den es sich auf den Kopf setzte. Der Kranz war voll und breit und gab der braeunlichen Dirne ein fabelhaftes, reizendes Ansehen, und der arme Sali hielt in seinem Arm, was reiche Leute teuer bezahlt haetten, wenn sie es nur gemalt an ihren Waenden haetten sehen koennen. Jetzt sprang sie aber empor und rief: "Himmel, wie heiss ist es hier! Da sitzen wir wie die Narren und lassen uns versengen! Komm, mein Lieber! lass uns ins hohe Korn sitzen!" Sie schluepften hinein so geschickt und sachte, dass sie kaum eine Spur zurueckliessen, und bauten sich einen engen Kerker in den goldenen Aehren, die ihnen hoch ueber den Kopf ragten, als sie drin sassen, so dass sie nur den tiefblauen Himmel ueber sich sahen und sonst nichts von der Welt. Sie umhalsten sich und kuessten sich unverweilt und so lange, bis sie einstweilen muede waren, oder wie man es nennen will, wenn das Kuessen zweier Verliebter auf eine oder zwei Minuten sich selbst ueberlebt und die Vergaenglichkeit alles Lebens mitten im Rausche der Bluetezeit ahnen laesst. Sie hoerten die Lerchen singen hoch ueber sich und suchten dieselben mit ihren scharfen Augen, und wenn sie glaubten, fluechtig eine in der Sonne aufblitzen zu sehen, gleich einem ploetzlich aufleuchtenden oder hinschiessenden Stern am blauen Himmel, so kuessten sie sich wieder zur Belohnung und suchten einander zu uebervorteilen und zu taeuschen, soviel sie konnten. "Siehst du, dort blitzt eine!" fluesterte Sali und Vrenchen erwiderte ebenso leise: "Ich hoere sie wohl, aber ich sehe sie nicht!" "Doch, pass nur auf, dort, wo das weisse Woelkchen steht, ein wenig rechts davon!" Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorlaeufig ihre Schnaebel auf, wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unverzueglich aufeinanderzuheften, wenn sie sich einbildeten, die Lerche gesehen zu haben. Auf einmal hielt Vrenchen inne und sagte: "Dies ist also eine ausgemachte Sache, dass jedes von uns einen Schatz hat, duenkt es dich nicht so?" "Ja," sagte Sali, "es scheint mir auch so!" "Wie gefaellt dir denn dein Schaetzchen," sagte Vrenchen, "was ist es fuer ein Ding, was hast du von ihm zu melden?" "Es ist ein gar feines Ding," sagte Sali, "es hat zwei braune Augen, einen roten Mund und laeuft auf zwei Fuessen; aber seinen Sinn kenn' ich weniger, als den Papst zu Rom! Und was kannst du von deinem Schatz berichten?" "Er hat zwei blaue Augen, einen nichtsnutzigen Mund und braucht zwei verwegene starke Arme; aber seine Gedanken sind mir unbekannter, als der tuerkische Kaiser!" "Es ist eigentlich wahr," sagte Sali, "dass wir uns weniger kennen, als wenn wir uns nie gesehen haetten, so fremd hat uns die lange Zeit gemacht, seit wir gross geworden sind! Was ist alles vorgegangen in deinem Koepfchen, mein liebes Kind?" "Ach, nicht viel! Tausend Narrenspossen haben sich wollen regen, aber es ist mir immer so truebselig ergangen, dass sie nicht aufkommen konnten!" "Du armes Schaetzchen," sagte Sali, "ich glaube aber, du hast es hinter den Ohren, nicht?" "Das kannst du ja nach und nach erfahren, wenn du mich recht lieb hast!" "Wenn du einst meine Frau bist?" Vrenchen zitterte leis bei diesem letzten Worte und schmiegte sich tiefer in Salis Arme, ihn von neuem lange und zaertlich kuessend. Es traten ihr dabei Traenen in die Augen und beide wurden auf einmal traurig, da ihnen ihre hoffnungsarme Zukunft in den Sinn kam und die Feindschaft ihrer Eltern. Vrenchen seufzte und sagte: "Komm, ich muss nun gehen!" und so erhoben sie sich und gingen Hand in Hand aus dem Kornfeld, als sie Vrenchens Vater spaehend vor sich sahen. Mit dem kleinlichen Scharfsinn des muessigen Elends hatte dieser, als er dem Sali begegnet, neugierig gegruebelt, was der wohl allein im Dorfe zu suchen ginge, und sich des gestrigen Vorfalles erinnernd, verfiel er, immer nach der Stadt zu schlendernd, endlich auf die richtige Spur, rein aus Groll und unbeschaeftigter Bosheit, und nicht so bald gewann der Verdacht eine bestimmte Gestalt, als er mitten in den Gassen von Seldwyla umkehrte und wieder in das Dorf hinaustrollte, wo er seine Tochter in Haus und Hof und rings in den Hecken vergeblich suchte. Mit wachsender Neugier rannte er auf den Acker hinaus, und als er da Vrenchens Korb liegen sah, in welchem es die Fruechte zu holen pflegte, das Maedchen selbst aber nirgends erblickte, spaehte er eben am Korne des Nachbars herum, als die erschrockenen Kinder herauskamen. Sie standen wie versteinert und Marti stand erst auch da und beschaute sie mit boesen Blicken, bleich wie Blei; dann fing er fuerchterlich an zu toben in Gebaerden und Schimpfworten und langte zugleich grimmig nach dem jungen Burschen, um ihn zu wuergen; Sali wich aus und floh einige Schritte zurueck, entsetzt ueber den wilden Mann, sprang aber sogleich wieder zu, als er sah, dass der Alte statt seiner nun das zitternde Maedchen fasste, ihm eine Ohrfeige gab, dass der rote Kranz herunterflog, und seine Haare um die Hand wickelte, um es mit sich fortzureissen und weiter zu misshandeln. Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit demselben den Alten gegen den Kopf, halb in Angst um Vrenchen und halb im Jaehzorn. Marti taumelte erst ein wenig, sank dann bewusstlos auf den Steinhaufen nieder und zog das erbaermlich aufschreiende Vrenchen mit. Sali befreite noch dessen Haare aus der Hand des Bewusstlosen und richtete es auf; dann stand er da wie eine Bildsaeule, ratlos und gedankenlos. Das Maedchen, als es den wie tot daliegenden Vater sah, fuhr sich mit den Haenden ueber das erbleichende Gesicht, schuettelte sich und sagte: "Hast du ihn erschlagen?" Sali nickte lautlos und Vrenchen schrie: "O Gott, du lieber Gott! Es ist mein Vater! Der arme Mann!" und sinnlos warf es sich ueber ihn und hob seinen Kopf auf, an welchem indessen kein Blut floss. Es liess ihn wieder sinken; Sali liess sich auf der andern Seite den Mannes nieder, und beide schauten, still wie das Grab und mit erlahmten, reglosen Haenden in das leblose Gesicht. Um nur etwas anzufangen, sagte endlich Sali: "Er wird doch nicht gleich tot sein muessen? Das ist gar nicht ausgemacht!" Vrenchen riss ein Blatt von einer Klatschrose ab und legte es auf die erblassten Lippen und es bewegte sich schwach. "Er atmet noch," rief es, "so lauf doch ins Dorf und hol' Hilfe." Als Sali aufsprang und laufen wollte, streckte es ihm die Hand nach und rief ihn zurueck: "Komm aber nicht mit zurueck und sage nichts, wie es zugegangen, ich werde auch schweigen, man soll nichts aus mir herausbringen!" sagte es und sein Gesicht, das es dem armen, ratlosen Burschen zuwandte, ueberfloss von schmerzlichen Traenen. "Komm, kuess' mich noch einmal! Nein, geh, mach' dich fort! Es ist aus, es ist ewig aus, wir koennen nicht zusammenkommen!" Es stiess ihn fort und er lief willenlos dem Dorfe zu. Er begegnete einem Knaebchen, das ihn nicht kannte; diesem trug er auf, die naechsten Leute zu holen, und beschrieb ihm genau, wo die Hilfe noetig sei. Dann machte er sich verzweifelt fort und irrte die ganze Nacht im Gehoelze herum. Am Morgen schlich er in die Felder, um zu spaehen, wie es gegangen sei, und hoerte von fruehen Leuten, welche miteinander sprachen, dass Marti noch lebe, aber nichts von sich wisse, und wie das eine seltsame Sache waere, da kein Mensch wisse, was ihm zugestossen. Erst jetzt ging er in die Stadt zurueck und verbarg sich in dem dunkeln Elend des Hauses. Vrenchen hielt ihm Wort; es war nichts aus ihm herauszufragen, als dass es selbst den Vater so gefunden habe, und da er am andern Tage sich wieder tuechtig regte und atmete, freilich ohne Bewusstsein, und ueberdies kein Klaeger da war, so nahm man an, er sei betrunken gewesen und auf die Steine gefallen, und liess die Sache auf sich beruhen. Vrenchen pflegte ihn und ging nicht von seiner Seite, ausser um die Arzneimittel zu holen beim Doktor und etwa fuer sich selbst eine schlechte Suppe zu kochen; denn es lebte beinahe von nichts, obgleich es Tag und Nacht wach sein musste und niemand ihm half. Es dauerte beinahe sechs Wochen, bis der Kranke allmaehlich zu seinem Bewusstsein kam, obgleich er vorher schon wieder ass und in seinem Bette ziemlich munter war. Aber es war nicht das alte Bewusstsein, das er jetzt erlangte, sondern es zeigte sich immer deutlicher, je mehr er sprach, dass er bloedsinnig geworden, und zwar auf die wunderlichste Weise. Er erinnerte sich nur dunkel an das Geschehene und wie an etwas sehr Lustiges, was ihn nicht weiter beruehre, lachte immer wie ein Narr und war guter Dinge. Noch im Bette liegend, brachte er hundert naerrische, sinnlos mutwillige Redensarten und Einfaelle zum Vorschein, schnitt Gesichter und zog sich die schwarzwollene Zipfelmuetze in die Augen und ueber die Nase herunter, dass diese aussah, wie ein Sarg unter einem Bahrtuch. Das bleiche und abgehaermte Vrenchen hoerte ihm geduldig zu, Traenen vergiessend ueber das toerichte Wesen, welches die arme Tochter noch mehr aengstigte, als die fruehere Bosheit; aber wenn der Alte zuweilen etwas gar zu Drolliges anstellte, so musste es mitten in seiner Qual laut auflachen, da sein unterdruecktes Wesen immer zur Lust aufzuspringen bereit war, wie ein gespannter Bogen, worauf dann eine um so tiefere Betruebnis erfolgte. Als der Alte aber aufstehen konnte, war gar nichts mehr mit ihm anzustellen; er machte nichts als Dummheiten, lachte und stoeberte um das Haus herum, setzte sich in die Sonne und streckte die Zunge heraus oder hielt lange Reden in die Bohnen hinein. Um die gleiche Zeit aber war es auch aus mit den wenigen UEberbleibseln seines ehemaligen Besitzes und die Unordnung so weit gediehen, dass auch sein Haus und der letzte Acker, seit geraumer Zeit verpfaendet, nun gerichtlich verkauft wurden. Denn der Bauer, welcher die zwei Aecker des Manz gekauft, benutzte die gaenzliche Verkommenheit Martis und seine Krankheit und fuehrte den alten Streit wegen des streitigen Steinfleckes kurz und entschlossen zu Ende, und der verlorene Prozess trieb Martis Fass vollends den Boden aus, indessen er in seinem Bloedsinne nichts mehr von diesen Dingen wusste. Die Versteigerung fand statt; Marti wurde von der Gemeinde in einer Stiftung fuer dergleichen arme Troepfe auf oeffentliche Kosten untergebracht. Diese Anstalt befand sich in der Hauptstadt des Laendchens; der gesunde und essbegierige Bloedsinnige wurde noch gut gefuettert, dann auf ein mit Ochsen bespanntes Waegelchen geladen, das ein aermlicher Bauersmann nach der Stadt fuehrte, um zugleich einen oder zwei Saecke Kartoffeln zu verkaufen, und Vrenchen setzte sich zu dem Vater auf das Fuhrwerk, um ihn auf diesem letzten Gange zu dem lebendigen Begraebnis zu begleiten. Es war eine traurige und bittere Fahrt, aber Vrenchen wachte sorgfaeltig ueber seinen Vater und liess es ihm an nichts fehlen, und es sah sich nicht um und ward nicht ungeduldig, wenn durch die Kapriolen des Ungluecklichen die Leute aufmerksam wurden und dem Waegelchen nachliefen, wo sie durchfuhren. Endlich erreichten sie das weitlaeufige Gebaeude in der Stadt, wo die langen Gaenge, die Hoefe und ein freundlicher Garten von einer Menge aehnlicher Troepfe belebt waren, die alle in weisse Kittel gekleidet waren und dauerhafte Lederkaeppchen auf den harten Koepfen trugen. Auch Marti wurde noch vor Vrenchens Augen in diese Tracht gekleidet, und er freute sich wie ein Kind darueber und tanzte singend umher. "Gott gruess euch, ihr geehrten Herren!" rief er seine neuen Genossen an, "ein schoenes Haus habt ihr hier! Geh heim, Vrenggel, und sag' der Mutter, ich komme nicht mehr nach Haus, hier gefaellt's mir bei Gott! Juchhei! Es kreucht ein Igel ueber den Hag, ich hab' ihn hoeren bellen! O Meitli, kuess' kein' alten Knab', kuess' nur die jungen Gesellen! Alle die Waesserlein laufen in Rhein, die mit dem Pflaumenaug', die muss es sein! Gehst du schon, Vreeli? Du siehst ja aus wie der Tod im Haefelein und geht es mir doch so erfreulich! Die Fuechsin schreit im Felde: Halleo, halleo! Das Herz tut ihr weho! hoho!" Ein Aufseher gebot ihm Ruhe und fuehrte ihn zu einer leichten Arbeit, und Vrenchen ging das Fuhrwerk aufzusuchen. Es setzte sich auf den Wagen, zog ein Stueckchen Brot hervor und ass dasselbe; dann schlief es, bis der Bauer kam und mit ihm nach dem Dorfe zurueckfuhr. Sie kamen erst in der Nacht an. Vrenchen ging nach dem Hause, in dem es geboren und nur zwei Tage bleiben durfte, und es war jetzt zum erstenmal in seinem Leben ganz allein darin. Es machte ein Feuer, um das letzte Restchen Kaffee zu kochen, das es noch besass, und setzte sich auf den Herd, denn es war ihm ganz elendiglich zumut. Es sehnte sich und haermte sich ab, den Sali nur ein einziges Mal zu sehen, und dachte inbruenstig an ihn; aber die Sorgen und der Kummer verbitterten seine Sehnsucht und diese machten die Sorgen wieder viel schwerer. So sass es und stuetzte den Kopf in die Haende, als jemand durch die offenstehende Tuer hereinkam. "Sali!" rief Vrenchen, als es aufsah, und fiel ihm um den Hals; dann sahen sich aber beide erschrocken an und riefen: "Wie siehst du elend aus!" Denn Sali sah nicht minder als Vrenchen bleich und abgezehrt aus. Alles vergessend, zog es ihn zu sich auf den Herd und sagte: "Bist du krank gewesen, oder ist es dir auch so schlimm gegangen?" Sali antwortete: "Nein, ich bin gerade nicht krank, ausser vor Heimweh nach dir! Bei uns geht es jetzt hoch und herrlich zu; der Vater hat einen Einzug und Unterschleif von auswaertigem Gesindel und ich glaube, soviel ich merke, ist er ein Diebeshehler geworden. Deshalb ist jetzt einstweilen Huelle und Fuelle in unserer Taverne, solang es geht und bis es ein Ende mit Schrecken nimmt. Die Mutter hilft dazu, aus bitterlicher Gier, nur etwas im Hause zu sehen, und glaubt den Unfug noch durch eine gewisse Aufsicht und Ordnung annehmlich und nuetzlich zu machen! Mich fragt man nicht und ich konnte mich nicht viel darum kuemmern; denn ich kann nur an dich denken Tag und Nacht. Da allerhand Landstreicher bei uns einkehren, so haben wir alle Tage gehoert, was bei euch vorgeht, worueber mein Vater sich freut wie ein kleines Kind. Dass dein Vater heute nach dem Spittel gebracht wurde, haben wir auch vernommen; ich habe gedacht, du werdest jetzt allein sein, und bin gekommen, um dich zu sehen!" Vrenchen klagte ihm jetzt auch alles, was sie drueckte und was sie erlitt, aber mit so leichter, zutraulicher Zunge, als ob sie ein grosses Glueck beschriebe, weil sie gluecklich war, Sali neben sich zu sehen. Sie brachte inzwischen notduerftig ein Becken voll warmen Kaffee zusammen, welchen mit ihr zu teilen sie den Geliebten zwang. "Also uebermorgen musst du hier weg?" sagte Sali, "was soll denn ums Himmels willen werden?" "Das weiss ich nicht," sagte Vrenchen, "ich werde dienen muessen und in die Welt hinaus! Ich werde es aber nicht aushalten ohne dich, und doch kann ich dich nie bekommen, auch wenn alles andere nicht waere, bloss weil du meinen Vater geschlagen und um dem Verstand gebracht hast! Dies wuerde immer ein schlechter Grundstein unserer Ehe sein und wir beide nie sorglos werden, nie!" Sali seufzte und sagte: "Ich wollte auch schon hundertmal Soldat werden oder mich in einer fremden Gegend als Knecht verdingen, aber ich kann noch nicht fortgehen, solange du hier bist, und hernach wird es mich aufreiben. Ich glaube, das Elend macht meine Liebe zu dir staerker und schmerzhafter, so dass es um Leben und Tod geht! Ich habe von dergleichen keine Ahnung gehabt!" Vrenchen sah ihn liebevoll laechelnd an; sie lehnten sich an die Wand zurueck und sprachen nichts mehr, sondern gaben sich schweigend der glueckseligen Empfindung hin, die sich ueber allen Gram erhob, dass sie sich im groessten Ernste gut waeren und geliebt wuessten. Darueber schliefen sie friedlich ein auf dem unbequemen Herde, ohne Kissen und Pfuehl, und schliefen so sanft und ruhig wie zwei Kinder in einer Wiege. Schon graute der Morgen, als Sali zuerst erwachte; er weckte Vrenchen, so sacht er konnte; aber es duckte sich immer wieder an ihn, schlaftrunken, und wollte sich nicht ermuntern. Da kuesste er es heftig auf den Mund und Vrenchen fuhr empor, machte die Augen weit auf, und als es Sali erblickte, rief es: "Herrgott! Ich habe eben noch von dir getraeumt! Es traeumte mir, wir tanzten miteinander auf unserer Hochzeit, lange, lange Stunden! und waren so gluecklich, sauber geschmueckt und es fehlte uns an nichts. Da wollten wir uns endlich kuessen und duersteten danach, aber immer zog uns etwas auseinander und nun bist du es selbst gewesen, der uns gestoert und gehindert hat! Aber wie gut, dass du gleich da bist!" Gierig fiel es ihm um den Hals und kuesste ihn, als ob es kein Ende nehmen sollte. "Und was hast du denn getraeumt?" fragte sie und streichelte ihm Wangen und Kinn. "Mir traeumte, ich ginge endlos auf einer langen Strasse durch einen Wald und du in der Ferne immer vor mir her; zuweilen sahest du nach mir um, winktest mir und lachtest und dann war ich wie im Himmel. Das ist alles!" Sie traten unter die offengebliebene Kuechentuere, die unmittelbar ins Freie fuehrte, und mussten lachen, als sie sich ins Gesicht sahen. Denn die rechte Wange Vrenchens und die linke Salis, welche im Schlafe aneinandergelehnt hatten, waren von dem Drucke ganz rotgefaerbt, waehrend die Blaesse der andern durch die kuehle Nachtluft noch erhoeht war. Sie rieben sich zaertlich die kalte bleiche Seite ihrer Gesichter, um sie auch rot zu machen; die frische Morgenluft, der tauige stille Frieden, der ueber der Gegend lag, das junge Morgenrot machten sie froehlich und selbstvergessen und besonders in Vrenchen schien ein freundlicher Geist der Sorglosigkeit gefahren zu sein. "Morgen abend muss ich also aus diesem Hause fort," sagte es, "und ein anderes Obdach suchen. Vorher aber moechte ich einmal, nur einmal recht lustig sein, und zwar mit dir; ich moechte recht herzlich und fleissig mit dir tanzen irgendwo, denn das Tanzen aus dem Traume steckt mir immerfort im Sinn!" "Jedenfalls will ich dabei sein und sehen, wo du unterkommst," sagte Sali, "und tanzen wollte ich auch gerne mit dir, du herziges Kind! Aber wo?" "Es ist morgen Kirchweih an zwei Orten nicht sehr weit von hier," erwiderte Vrenchen, "da kennt und beachtet man uns weniger; draussen am Wasser will ich auf dich warten und dann koennen wir gehen, wohin es uns gefaellt, um uns lustig zu machen, einmal, Einmal nur! Aber je, wir haben ja gar kein Geld!" setzte es traurig hinzu, "da kann nichts daraus werden!" "Lass nur," sagte Sali, "ich will schon etwas mitbringen!" "Doch nicht von deinem Vater, von--von dem Gestohlenen?" "Nein, sei nur ruhig! Ich habe noch meine silberne Uhr bewahrt bis dahin, die will ich verkaufen." "Ich will dir nicht abraten," sagte Vrenchen erroetend, "denn ich glaube, ich muesste sterben, wenn ich nicht morgen mit dir tanzen koennte." "Es waere das beste, wir beide koennten sterben!" sagte Sali; sie umarmten sich wehmuetig und schmerzlich zum Abschied, und als sie voneinanderliessen, lachten sie sich doch freundlich an in der sicheren Hoffnung auf den naechsten Tag. "Aber wann willst du denn kommen?" rief Vrenchen noch. "Spaetestens um elf Uhr mittags," erwiderte er, "wir wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen!" "Gut, gut! Komm lieber um halb elf schon!" Doch als Sali schon im Gehen war, rief sie ihn noch einmal zurueck und zeigte ein ploetzlich veraendertes verzweiflungsvolles Gesicht. "Es wird doch nichts daraus," sagte sie bitterlich weinend, "ich habe keine Sonntagsschuhe mehr. Schon gestern habe ich diese groben hier anziehen muessen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiss keine Schuhe aufzubringen!" Sali stand ratlos und verbluefft. "Keine Schuhe!" sagte er, "da musst du halt in diesen kommen!" "Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen!" "Nun, so muessen wir welche kaufen!" "Wo, mit was?" "Ei, in Seldwyl da gibt es Schuhlaeden genug! Geld werde ich in minder als zwei Stunden haben." "Aber, ich kann doch nicht mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch noch Schuhe zu kaufen!" "Es muss! Und ich will die Schuhe kaufen und morgen mitbringen!" "O du Naerrchen, sie werden ja nicht passen, die du kaufst!" "So gib mir einen alten Schuh mit, oder halt, noch besser, ich will dir das Mass nehmen, das wird doch kein Hexenwerk sein!" "Das Mass nehmen? Wahrhaftig, daran hab' ich nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnuerchen suchen!" Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurueck und streifte den Schuh vom Fusse, der noch von der gestrigen Reise her mit einem weissen Strumpfe bekleidet war. Sali kniete nieder und nahm, so gut er es verstand, das Mass, indem er den zierlichen Fuss der Laenge und Breite nach umspannte mit dem Schnuerchen und sorgfaeltig Knoten in dasselbe knuepfte. "Du Schuhmacher!" sagte Vrenchen und lachte erroetend und freundschaftlich zu ihm nieder. Sali wurde aber auch rot und hielt den Fuss fest in seinen Haenden, laenger als noetig war, so dass Vrenchen ihn noch tiefer erroetend zurueckzog, den verwirrten Sali aber noch einmal stuermisch umhalste und kuesste, dann aber fortschickte. Sobald er in der Stadt war, trug er seine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs oder sieben Gulden dafuer gab; fuer die silberne Kette bekam er auch einige Gulden, und er duenkte sich nun reich genug, denn er hatte, seit er gross war, nie so viel Geld besessen auf einmal. Wenn nur erst der Tag vorueber und der Sonntag angebrochen waere, um das Glueck damit zu erkaufen, das er sich von dem Tage versprach, dachte er; denn wenn das Uebermorgen auch um so dunkler und unbekannter hereinragte, so gewann die ersehnte Lustbarkeit von morgen nur einen seltsamern erhoehten Glanz und Schein. Indessen brachte er die Zeit noch leidlich hin, indem er ein Paar Schuhe fuer Vrenchen suchte, und dies war ihm das vergnuegteste Geschaeft, das er je betrieben. Er ging von einem Schuhmacher zum andern, liess sich alle Weiberschuhe zeigen, die vorhanden waren, und endlich handelte er ein leichtes und feines Paar ein, so huebsch, wie sie Vrenchen noch nie getragen. Er verbarg die Schuhe unter seiner Weste und tat sie die uebrige Zeit des Tages nicht mehr von sich; er nahm sie sogar mit ins Bett und legte sie unter das Kopfkissen. Da er das Maedchen heute frueh noch gesehen und morgen wieder sehen sollte, so schlief er fest und ruhig, war aber in aller Fruehe munter und begann seinen duerftigen Sonntagsstaat zurechtzumachen und auszuputzen, so gut es gelingen wollte. Es fiel seiner Mutter auf und sie fragte verwundert, was er vorhabe, da er sich schon lange nicht mehr so sorglich angezogen. Er wolle einmal ueber Land gehen und sich ein wenig umtun, erwiderte er, er werde sonst krank in diesem Hause. "Das ist mir die Zeit her ein merkwuerdiges Leben," murrte der Vater, "und ein Herumschleichen!" "Lass ihn nur gehen," sagte aber die Mutter, "es tut ihm vielleicht gut, es ist ja ein Elend, wie er aussieht!" "Hast du Geld zum Spazierengehen? Woher hast du es?" fragte der Alte. "Ich brauche keines!" sagte Sali. "Da hast du einen Gulden!" versetzte der Alte und warf ihm denselben hin. "Du kannst im Dorf ins Wirtshaus gehen und ihn dort verzehren, damit sie nicht glauben, wir seien hier so uebel dran." "Ich will nicht ins Dorf und brauche den Gulden nicht, behaltet ihn nur!" "So hast du ihn gehabt, es waere schad, wenn du ihn haben muesstest, du Starrkopf!" rief Manz und schob seinen Gulden wieder in die Tasche. Seine Frau aber, welche nicht wusste, warum sie heute ihres Sohnes wegen so wehmuetig und geruehrt war, brachte ihm ein grosses schwarzes Mailaender Halstuch mit rotem Rande, das sie nur selten getragen und er schon frueher gern gehabt haette. Er schlang es um den Hals und liess die langen Zipfel fliegen; auch stellte er zum erstenmal den Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und maennlich in die Hoehe, bis ueber die Ohren hinauf, in einer Anwandlung laendlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verliess, draengte ihn ein seltsames Gefuehl, Vater und Mutter die Hand zu geben, und auf der Strasse sah er sich noch einmal nach dem Hause um. "Ich glaube am Ende," sagte Manz, "der Bursche streicht irgendeinem Weibsbild nach; das haetten wir gerade noch noetig!" Die Frau sagte: "O wollte Gott! dass er vielleicht ein Glueck machte! Das taete dem armen Buben gut!" "Richtig!" sagte der Mann, "das fehlt nicht! Das wird ein himmlisches Glueck geben, wenn er nur erst an eine solche Maultasche zu geraten das Unglueck hat! Das taete dem armen Buebchen gut! Natuerlich!" Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterwegs ward er anderen Sinnes und ging geradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause selbst abzuholen, weil es ihm zu lang waehrte bis halb elf! "Was kuemmern uns die Leute!" dachte er. "Niemand hilft uns und ich bin ehrlich und fuerchte niemand!" So trat er unerwartet in Vrenchens Stube und ebenso unerwartet fand er es schon vollkommen angekleidet und geschmueckt dasitzen und der Zeit harren, wo es gehen koenne, nur die Schuhe fehlten ihm noch. Aber Sali stand mit offenem Munde still in der Mitte der Stube, als er das Maedchen erblickte, so schoen sah es aus. Es hatte nur ein einfaches Kleid an von blaugefaerbter Leinwand, aber dasselbe war frisch und sauber und sass ihm sehr gut um den schlanken Leib. Darueber trug es ein schneeweisses Musselinehalstuch und dies war der ganze Anzug. Das braune gekraeuselte Haar war sehr wohl geordnet und die sonst so wilden Loeckchen lagen nun fein und lieblich um den Kopf; da Vrenchen seit vielen Wochen fast nicht aus dem Hause gekommen, so war seine Farbe zarter und durchsichtiger geworden, so wie auch vom Kummer; aber in diese Durchsichtigkeit goss jetzt die Liebe und die Freude ein Rot um das andere, und an der Brust trug es einen schoenen Blumenstrauss von Rosmarin, Rosen und praechtigen Astern. Es sass am offenen Fenster und atmete still und hold die frischdurchsonnte Morgenluft; wie es aber Sali erscheinen sah, streckte es ihm beide huebsche Arme entgegen, welche vom Ellbogen an bloss waren, und rief: "Wie recht hast du, dass du schon jetzt und hierher kommst! Aber hast du mir Schuhe gebracht? Gewiss? Nun steh' ich nicht auf, bis ich sie anhabe!" Er zog die ersehnten aus der Tasche und gab sie dem begierigen schoenen Maedchen; es schleuderte die alten von sich, schluepfte in die neuen und sie passten sehr gut. Erst jetzt erhob es sich vom Stuhl, wiegte sich in den neuen Schuhen und ging eifrig einigemal auf und nieder. Es zog das lange, blaue Kleid etwas zurueck und beschaute wohlgefaellig die roten wollenen Schleifen, welche die Schuhe zierten, waehrend Sali unaufhoerlich die feine reizende Gestalt betrachtete, welche da in lieblicher Aufregung vor ihm sich regte und freute. "Du beschaust meinen Strauss?" sagte Vrenchen, "hab' ich nicht einen schoenen zusammengebracht? Du musst wissen, dies sind die letzten Blumen, die ich noch aufgefunden in dieser Wuestenei. Hier war noch ein Roeschen, dort eine Aster, und wie sie nun gebunden sind, wuerde man es ihnen nicht ansehen, dass sie aus einem Untergange zusammengesucht sind! Nun ist es aber Zeit, dass ich fortkomme, nicht ein Bluemchen mehr im Garten und das Haus auch leer!" Sali sah sich um und bemerkte erst jetzt, dass alle Fahrhabe, die noch dagewesen, weggebracht war. "Du armes Vreeli!" sagte er, "haben sie dir schon alles genommen?" "Gestern," erwiderte es, "haben sie's weggeholt, was sich von der Stelle bewegen liess, und mir kaum mehr als mein Bett gelassen. Ich hab's aber auch gleich verkauft und hab' jetzt auch Geld, sieh!" Es holte einige neue glaenzende Talerstuecke aus der Tasche seines Kleides und zeigte sie ihm. "Damit," fuhr es fort, "sagte der Waisenvogt, der auch hier war, solle ich mir einen Dienst suchen in einer Stadt und ich solle mich heute gleich auf den Weg machen!" "Da ist aber auch gar nichts mehr vorhanden," sagte Sali, nachdem er in die Kueche geguckt hatte, "ich sehe kein Hoelzchen, kein Pfaennchen, kein Messer! Hast du denn auch nicht zu Morgen gegessen?" "Nichts!" sagte Vrenchen, "ich haette mir etwas holen koennen, aber ich dachte, ich wolle lieber hungrig bleiben, damit ich recht viel essen koenne mit dir zusammen, denn ich freue mich so sehr darauf, du glaubst nicht, wie ich mich freue!" "Wenn ich dich nur anruehren duerfte," sagte Sali, "so wollte ich dir zeigen, wie es mir ist, du schoenes, schoenes Ding!" "Du hast recht, du wuerdest meinen ganzen Staat verderben, und wenn wir die Blumen ein bisschen schonen, so kommt es zugleich meinem armen Kopf zugut, den du mir uebel zuzurichten pflegst!" "So komm, jetzt wollen wir ausruecken!" "Noch muessen wir warten, bis das Bett abgeholt wird; denn nachher schliesse ich das leere Haus zu und gehe nicht mehr hierher zurueck! Mein Buendelchen gebe ich der Frau aufzuheben, die das Bett gekauft hat." Sie setzten sich daher einander gegenueber und warteten; die Baeuerin kam bald, eine vierschroetige Frau mit lautem Mundwerk, und hatte einen Burschen bei sich, welcher die Bettstelle tragen sollte. Als diese Frau Vrenchens Liebhaber erblickte und das geputzte Maedchen selbst, sperrte sie Mund und Augen auf, stemmte die Arme unter und schrie: "Ei, sieh da, Vreeli! Du treibst es ja schon gut! Hast einen Besucher und bist geruestet wie eine Prinzess?" "Gelt aber!" sagte Vrenchen freundlich lachend, "wisst Ihr auch, wer das ist?" "Ei, ich denke, das ist wohl der Sali Manz? Berg und Tal kommen nicht zusammen, sagt man, aber die Leute! Aber nimm dich doch in acht, Kind, und denk, wie es euren Eltern ergangen ist!" "Ei, das hat sich jetzt gewendet und alles ist gut geworden," erwiderte Vrenchen laechelnd und freundlich mitteilsam, ja beinahe herablassend, "seht, Sali ist mein Hochzeiter!" "Dein Hochzeiter! Was du sagst!" "Ja und er ist ein reicher Herr, er hat hunderttausend Gulden in der Lotterie gewonnen! Denket einmal, Frau!" Diese tat einen Sprung, schlug ganz erschrocken die Haende zusammen und schrie: "Hund--hunderttausend Gulden!" "Hunderttausend Gulden!" versicherte Vrenchen ernsthaft. "Herr du meines Lebens! Es ist aber nicht wahr, du luegst mich an, Kind!" "Nun, glaubt was Ihr wollt!" "Aber, wenn es wahr ist und du heiratest ihn, was wollt ihr denn machen mit dem Gelde? Willst du wirklich eine vornehme Frau werden?" "Versteht sich, in drei Wochen halten wir die Hochzeit!" "Geh mir weg, du bist eine haessliche Luegnerin!" "Das schoenste Haus hat er schon gekauft in Seldwyl mit einem grossen Garten und Weinberg; Ihr muesst mich auch besuchen, wenn wir eingerichtet sind, ich zaehle darauf!" "Allweg, du Teufelshexlein, was du bist!" "Ihr werdet sehen, wie schoen es da ist! Einen herrlichen Kaffee werde ich machen und Euch mit seinem Eierbrot aufwarten, mit Butter und Honig!" "O du Schelmenkind! Zaehl' drauf, dass ich komme!" rief die Frau mit luesternem Gesicht und der Mund waesserte ihr. "Kommt Ihr aber um die Mittagszeit und seid ermuedet vom Markt, so soll Euch eine kraeftige Fleischbruehe und ein Glas Wein immer bereitstehen!" "Das wird mir bass tun!" "Und an etwas Zuckerwerk oder weissen Wecken fuer die lieben Kinder zu Hause soll es Euch auch nicht fehlen!" "Es wird mir ganz schmachtend!" "Ein artiges Halstuechelchen oder ein Restchen Seidenzeug oder ein huebsches altes Band fuer Eure Roecke, oder ein Stueck Zeug zu einer neuen Schuerze wird gewiss auch zu finden sein, wenn wir meine Kisten und Kasten durchmustern in einer vertrauten Stunde!" Die Frau drehte sich auf den Hacken herum und schuettelte jauchzend ihre Roecke. "Und wenn Euer Mann ein vorteilhaftes Geschaeft machen koennte mit einem Land- oder Viehhandel, und er mangelt des Geldes, so wisst Ihr, wo Ihr anklopfen sollt. Mein lieber Sali wird froh sein, jederzeit ein Stueck Bares sicher und erfreulich anzulegen! Ich selbst werde auch etwa einen Sparpfennig haben, einer vertrauten Freundin beizustehen!" Jetzt war der Frau nicht mehr zu helfen, sie sagte geruehrt: "Ich habe immer gesagt, du seiest ein braves und gutes und schoenes Kind! Der Herr wolle es dir wohlergehen lassen immer und ewiglich und es dir gesegnen, was du an mir tust!" "Dagegen verlange ich aber auch, dass Ihr es gut mit mir meint!" "Allweg kannst du das verlangen!" "Und dass Ihr jederzeit Eure Ware, sei es Obst, seien es Kartoffeln, sei es Gemuese, erst zu mir bringet und mir anbietet, ehe Ihr auf den Markt gehet, damit ich sicher sei, eine rechte Baeuerin an der Hand zu haben, auf die ich mich verlassen kann! Was irgendeiner gibt fuer die Ware, werde ich gewiss auch geben mit tausend Freuden, Ihr kennt mich ja! Ach, es ist nichts Schoeneres, als wenn eine wohlhabende Stadtfrau, die so ratlos in ihren Mauern sitzt und doch so vieler Dinge benoetigt ist, und eine rechtschaffene ehrliche Landfrau, erfahren in allem Wichtigen und Nuetzlichen, eine gute und dauerhafte Freundschaft zusammen haben! Es kommt einem zugut in hundert Faellen, in Freud und Leid, bei Gevatterschaften und Hochzeiten, wenn die Kinder unterrichtet werden und konfirmiert, wenn sie in die Lehre kommen und wenn sie in die Fremde sollen! Bei Misswachs und UEberschwemmungen, bei Feuersbruensten und Hagelschlag, wofuer uns Gott behuete!" "Wofuer uns Gott behuete!" sagte die gute Frau schluchzend und trocknete mit ihrer Schuerze die Augen; "welch ein verstaendiges und tiefsinniges Braeutlein bist du, ja, dir wird es gut gehen, da muesste keine Gerechtigkeit in der Welt sein! Schoen, sauber, klug und weise bist du, arbeitsam und geschickt zu allen Dingen! Keine ist feiner und besser als du, in und ausser dem Dorfe, und wer dich hat, der muss meinen, er sei im Himmelreich, oder er ist ein Schelm und hat es mit mir zu tun. Hoer', Sali! Dass du nur recht artlich bist mit meinem Vreeli, oder ich will dir den Meister zeigen, du Glueckskind, das du bist, ein solches Roeslein zu brechen!" "So nehmt jetzt auch hier noch mein Buendel mit, wie Ihr mir versprochen habt, bis ich es abholen lassen werde! Vielleicht komme ich aber selbst in der Kutsche und hole es ab, wenn Ihr nichts dagegen habt! Ein Toepfchen Milch werdet Ihr mir nicht abschlagen alsdann, und etwa eine schoene Mandeltorte dazu werde ich schon selbst mitbringen!" "Tausendskind! Gib her den Buendel!" Vrenchen lud ihr auf das zusammengebundene Bett, das sie schon auf dem Kopfe trug, einen langen Sack, in welchen es sein Plunder und Habseliges gestopft, so dass die arme Frau mit einem schwankenden Turme auf dem Haupte dastand. "Es wird mir doch fast zu schwer auf einmal," sagte sie, "koennte ich nicht zweimal dran machen?" "Nein, nein! Wir muessen jetzt augenblicklich gehen, denn wir haben einen weiten Weg, um vornehme Verwandte zu besuchen, die sich jetzt gezeigt haben, seit wir reich sind! Ihr wisst ja, wie es geht!" "Weiss wohl! So behuet' dich Gott, und denk' an mich in deiner Herrlichkeit!" Die Baeuerin zog ab mit ihrem Buendelturme, mit Muehe das Gleichgewicht behauptend, und hinter ihr drein ging ihr Knechtchen, das sich in Vrenchens einst buntbemalte Bettstatt hineinstellte, den Kopf gegen den mit verblichenen Sternen bedeckten Himmel derselben stemmte und, ein zweiter Simson, die zwei vorderen zierlich geschnitzten Saeulen fasste, welche diesen Himmel trugen. Als Vrenchen, an Sali gelehnt, dem Zuge nachschaute und den wandelnden Tempel zwischen den Gaerten sah, sagte es: "Das gaebe noch ein artiges Gartenhaeuschen oder eine Laube, wenn man's in einen Garten pflanzte, ein Tischchen und ein Baenklein dreinstellte und Winden drum herumsaete! Wolltest du mit darin sitzen, Sali?" "Ja, Vreeli! Besonders wenn die Winden aufgewachsen waeren!" "Was stehen wir noch?" sagte Vrenchen, "nichts haelt uns mehr zurueck!" "So komm und schliess das Haus zu!" "Wem willst du denn den Schluessel uebergeben?" Vrenchen sah sich um. "Hier an die Helbart wollen wir ihn haengen; sie ist ueber hundert Jahr in diesem Hause gewesen, habe ich den Vater oft sagen hoeren, nun steht sie da als der letzte Waechter!" Sie hingen den rostigen Hausschluessel an einen rostigen Schnoerkel der alten Waffe, an welcher die Bohnen rankten, und gingen davon. Vrenchen wurde aber bleicher und verhuellte ein Weilchen die Augen, dass Sali es fuehren musste, bis sie ein Dutzend Schritte entfernt waren. Es sah aber nicht zurueck. "Wo gehen wir nun zuerst hin?" fragte es. "Wir wollen ordentlich ueber Land gehen," erwiderte Sali, "wo es uns freut den ganzen Tag, uns nicht uebereilen, und gegen Abend werden wir dann schon einen Tanzplatz finden!" "Gut!" sagte Vrenchen, "den ganzen Tag werden wir beisammensein und gehen, wo wir Lust haben. Jetzt ist mir aber elend, wir wollen gleich im andern Dorf einen Kaffee trinken!" "Versteht sich!" sagte Sali, "mach' nur, dass wir aus diesem Dorf wegkommen!" Bald waren sie auch im freien Felde und gingen still nebeneinander durch die Fluren; es war ein schoener Sonntagmorgen im September, keine Wolke stand am Himmel, die Hoehen und die Waelder waren mit einem zarten Duftgewebe bekleidet, welches die Gegend geheimnisvoller und feierlicher machte, und von allen Seiten toenten die Kirchenglocken herueber, hier das harmonische tiefe Gelaeute einer reichen Ortschaft, dort die geschwaetzigen zwei Bimmelgloecklein eines kleinen armen Doerfchens. Das liebende Paar vergass, was am Ende dieses Tages werden sollte, und gab sich einzig der hochaufatmenden wortlosen Freude hin, sauber gekleidet und frei, wie zwei Glueckliche, die sich von Rechts wegen angehoeren, in den Sonntag hineinzuwandeln. Jeder in der Sonntagsstille verhallende Ton oder ferne Ruf klang ihnen erschuetternd durch die Seele; denn die Liebe ist eine Glocke, welche das Entlegenste und Gleichgueltigste widertoenen laesst und in eine besondere Musik verwandelt. Obgleich sie hungrig waren, duenkte sie die halbe Stunde Weges bis zum naechsten Dorfe nur ein Katzensprung lang zu sein und sie betraten zoegernd das Wirtshaus am Eingange des Ortes. Sali bestellte ein gutes Fruehstueck, und waehrend es bereitet wurde, sahen sie maeuschenstill der sichern und freundlichen Wirtschaft in der grossen reinlichen Gaststube zu. Der Wirt war zugleich ein Baecker, das eben Gebackene durchduftete angenehm das ganze Haus, und Brot aller Art wurde in gehaeuften Koerben herbeigetragen, da nach der Kirche die Leute hier ihr Weissbrot holten oder ihren Fruehschoppen tranken. Die Wirtin, eine artige und saubere Frau, putzte gelassen und freundlich ihre Kinder heraus, und sowie eines entlassen war, kam es zutraulich zu Vrenchen gelaufen, zeigte ihm seine Herrlichkeiten und erzaehlte von allem, dessen es sich erfreute und ruehmte. Wie nun der wohlduftende starke Kaffee kam, setzten sich die zwei Leutchen schuechtern an den Tisch, als ob sie da zu Gast gebeten waeren. Sie ermunterten sich jedoch bald und fluesterten bescheiden, aber glueckselig miteinander; ach, wie schmeckte dem aufbluehenden Vrenchen der gute Kaffee, der fette Rahm, die frischen noch warmen Broetchen, die schoene Butter und der Honig, der Eierkuchen und was alles noch fuer Leckerbissen da waren! Sie schmeckten ihm, weil es den Sali dazu ansah, und es ass so vergnuegt, als ob es ein Jahr lang gefastet haette. Dazu freute es sich ueber das feine Geschirr, ueber die silbernen Kaffeeloeffelchen; denn die Wirtin schien sie fuer rechtliche junge Leutchen zu halten, die man anstaendig bedienen muesse, und setzte sich auch ab und zu plaudernd zu ihnen, und die beiden gaben ihr verstaendigen Bescheid, welches ihr gefiel. Es war dem guten Vrenchen so waehlig zumut, dass es nicht wusste, mochte es lieber wieder ins Freie, um allein mit seinem Schatz herumzuschweifen durch Auen und Waelder, oder mochte es lieber in der gastlichen Stube bleiben, um wenigstens auf Stunden sich an einem stattlichen Orte zu Hause zu traeumen. Doch Sali erleichterte die Wahl, indem er ehrbar und geschaeftig zum Aufbruch mahnte, als ob sie einen bestimmten und wichtigen Weg zu machen haetten. Die Wirtin und der Wirt begleiteten sie bis vor das Haus und entliessen sie auf das wohlwollendste wegen ihres guten Benehmens, trotz der durchscheinenden Duerftigkeit, und das arme junge Blut verabschiedete sich mit den besten Manieren von der Welt und wandelte sittig und ehrbar von hinnen. Aber auch als sie schon wieder im Freien waren und einen stundenlangen Eichwald betraten, gingen sie noch in dieser Weise nebeneinander her, in angenehme Traeume vertieft, als ob sie nicht aus zank- und elenderfuellten vernichteten Haeusern herkaemen, sondern guter Leute Kinder waeren, welche in lieblicher Hoffnung wandelten. Vrenchen senkte das Koepfchen tiefsinnig gegen seine blumengeschmueckte Brust und ging, die Haende sorglich an das Gewand gelegt, einher auf dem glatten feuchten Waldboden; Sali dagegen schritt schlank aufgerichtet, rasch und nachdenklich, die Augen auf die festen Eichenstaemme geheftet wie ein Bauer, der ueberlegt, welche Baeume er am vorteilhaftesten faellen soll. Endlich erwachten sie aus diesen vergeblichen Traeumen, sahen sich an und entdeckten, dass sie immer noch in der Haltung gingen, in welcher sie das Gasthaus verlassen, erroeteten und liessen traurig die Koepfe haengen. Aber Jugend hat keine Tugend, der Wald war gruen, der Himmel blau und sie allein in der weiten Welt, und sie ueberliessen sich alsbald wieder diesem Gefuehle. Doch blieben sie nicht lange mehr allein, da die schoene Waldstrasse sich belebte mit lustwandelnden Gruppen von jungen Leuten, sowie mit einzelnen Paaren, welche schaekernd und singend die Zeit nach der Kirche verbrachten. Denn die Landleute haben so gut ihre ausgesuchten Promenaden und Lustwaelder, wie die Staedter, nur mit dem Unterschied, dass dieselben keine Unterhaltung kosten und noch schoener sind; sie spazieren nicht nur mit einem besonderen Sinn des Sonntags durch ihre bluehenden und reifenden Felder, sondern sie machen sehr gewaehlte Gaenge durch Gehoelze und an gruenen Halden entlang, setzen sich hier auf eine anmutige, fernsichtige Hoehe, dort an einen Waldrand, lassen ihre Lieder ertoenen und die schoene Wildnis ganz behaglich auf sich einwirken; und da sie dies offenbar nicht zu ihrer Poenitenz tun, sondern zu ihrem Vergnuegen, so ist wohl anzunehmen, dass sie Sinn fuer die Natur haben, auch abgesehen von ihrer Nuetzlichkeit. Immer brechen sie was Gruenes ab, junge Bursche wie alte Muetterchen, welche die alten Wege ihrer Jugend aufsuchen, und selbst steife Landmaenner in den besten Geschaeftsjahren, wenn sie ueber Land gehen, schneiden sich gern eine schlanke Gerte, sobald sie durch einen Wald gehen, und schaelen die Blaetter ab, von denen sie nur oben ein gruenes Bueschel stehenlassen. Solche Rute tragen sie wie ein Zepter vor sich hin; wenn sie in eine Amtsstube oder Kanzlei treten, so stellen sie die Gerte ehrerbietig in einen Winkel, vergessen aber auch nach den ernstesten Verhandlungen nie, dieselbe saeuberlich wieder mitzunehmen und unversehrt nach Hause zu tragen, wo es erst dem kleinsten Soehnchen gestattet ist, sie zugrunde zu richten.--Als Sali und Vrenchen die vielen Spaziergaenger sahen, lachten sie ins Faeustchen und freuten sich, auch gepaart zu sein, schluepften aber seitwaerts auf engere Waldpfade, wo sie sich in tiefen Einsamkeiten verloren. Sie hielten sich auf, wo es sie freute, eilten vorwaerts und ruhten wieder, und wie keine Wolke am reinen Himmel stand, truebte auch keine Sorge in diesen Stunden ihr Gemuet; sie vergassen, woher sie kamen und wohin sie gingen, und benahmen sich so fein und ordentlich dabei, dass trotz aller frohen Erregung und Bewegung Vrenchens niedlicher einfacher Aufputz so frisch und unversehrt blieb, wie er am Morgen gewesen war. Sali betrug sich auf diesem Wege nicht wie ein beinahe zwanzigjaehriger Landbursche oder der Sohn eines verkommenen Schenkwirtes, sondern wie wenn er einige Jahre juenger und sehr wohlerzogen waere, und es war beinahe komisch, wie er nur immer sein feines lustiges Vrenchen ansah, voll Zaertlichkeit, Sorgfalt und Achtung. Denn die armen Leutchen mussten an diesem einen Tage, der ihnen vergoennt war, alle Manieren und Stimmungen der Liebe durchleben und sowohl die verlorenen Tage der zarteren Zeit nachholen als das leidenschaftliche Ende vorausnehmen mit der Hingabe ihres Lebens. So liefen sie sich wieder hungrig und waren erfreut, von der Hoehe eines schattenreichen Berges ein glaenzendes Dorf vor sich zu sehen, wo sie Mittag halten wollten. Sie stiegen rasch hinunter, betraten dann ebenso sittsam diesen Ort, wie sie den vorigen verlassen. Es war niemand um den Weg, der sie erkannt haette; denn besonders Vrenchen war die letzten Jahre hindurch gar nicht unter die Leute und noch weniger in andere Doerfer gekommen. Deshalb stellten sie ein wohlgefaelliges ehrsames Paerchen vor, das irgendeinen angelegentlichen Gang tut. Sie gingen ins erste Wirtshaus des Dorfes, wo Sali ein erkleckliches Mahl bestellte; ein eigener Tisch wurde ihnen sonntaeglich gedeckt, und sie sassen wieder still und bescheiden daran und beguckten die schoengetaefelten Waende von gebohntem Nussbaumholz, das laendliche aber glaenzende und wohlbestellte Buefett von gleichem Holze, und die klaren weissen Fenstervorhaenge. Die Wirtin trat zutulich herzu und setzte ein Geschirr voll frischer Blumen auf den Tisch. "Bis die Suppe kommt", sagte sie, "koennt ihr, wenn es euch gefaellig ist, einstweilen die Augen saettigen an dem Strausse. Allem Anschein nach, wenn es erlaubt ist zu fragen, seit ihr ein junges Brautpaar, das gewiss nach der Stadt geht, um sich morgen kopulieren zu lassen?" Vrenchen wurde rot und wagte nicht aufzusehen, Sali sagte auch nichts, und die Wirtin fuhr fort: "Nun, ihr seid freilich beide noch wohl jung, aber jung geheiratet lebt lang, sagt man zuweilen, und ihr seht wenigstens huebsch und brav aus und braucht euch nicht zu verbergen. Ordentliche Leute koennen etwas zuwege bringen, wenn sie so jung zusammenkommen und fleissig und treu sind. Aber das muss man freilich sein, denn die Zeit ist kurz und doch lang, und es kommen viele Tage, viele Tage! Je nun, schoen genug sind sie und amuesant dazu, wenn man gut haushaelt damit! Nichts fuer ungut, aber es freut mich, euch anzusehen, so ein schmuckes Paerchen seid ihr!" Die Kellnerin brachte die Suppe, und da sie einen Teil dieser Worte noch gehoert und lieber selbst geheiratet haette, so sah sie Vrenchen mit scheelen Augen an, welches nach ihrer Meinung so gedeihliche Wege ging. In der Nebenstube liess die unliebliche Person ihren Unmut frei und sagte zur Wirtin, welche dort zu schaffen hatte, so laut, dass man es hoeren konnte: "Das ist wieder ein rechtes Hudelvoelkchen, das wie es geht und steht nach der Stadt laeuft und sich kopulieren laesst, ohne einen Pfennig, ohne Freunde, ohne Aussteuer und ohne Aussicht, als auf Armut und Bettelei! Wo soll das noch hinaus, wenn solche Dinger heiraten, die die Jueppe noch nicht allein anziehen und keine Suppe kochen koennen? Ach, der huebsche junge Mensch kann mich nur dauern, der ist schoen petschiert mit seiner jungen Gungeline!" "Bscht! Willst du wohl schweigen, du gehaessiges Ding!" sagte die Wirtin, "denen lasse ich nichts geschehen! Das sind gewiss zwei recht ordentliche Leutlein aus den Bergen, wo die Fabriken sind; duerftig sind sie gekleidet, aber sauber, und wenn sie sich nur gernhaben und arbeitsam sind, so werden sie weiter kommen, als du mit deinem boesen Maul! Du kannst freilich noch lang warten, bis dich einer abholt, wenn du nicht freundlicher bist, du Essighafen!" So genoss Vrenchen alle Wonnen einer Braut, die zur Hochzeit reiset: die wohlwollende Ansprache und Aufmunterung einer sehr vernuenftigen Frau, den Neid einer heiratslustigen boesen Person, welche aus Aerger den Geliebten lobte und bedauerte, und ein leckeres Mittagsmahl an der Seite eben dieses Geliebten. Es gluehte im Gesicht, wie eine rote Nelke, das Herz klopfte ihm, aber es ass und trank nichtsdestominder mit gutem Appetit und war mit der aufwartenden Kellnerin nur um so artiger, konnte aber nicht unterlassen, dabei den Sali zaertlich anzusehen und mit ihm zu lispeln, so dass es diesem auch ganz kraus im Gemuet wurde. Sie sassen indessen lang und gemaechlich am Tische, wie wenn sie zoegerten und sich scheuten, aus der halben Taeuschung herauszugehen. Die Wirtin brachte zum Nachtisch suesses Backwerk, und Sali bestellte feineren und staerkeren Wein dazu, welcher Vrenchen feurig durch die Adern rollte, als es ein wenig davon trank; aber es nahm sich in acht, nippte bloss zuweilen und sass so zuechtig und verschaemt da, wie eine wirkliche Braut. Halb spielte es aus Schalkheit diese Rolle und aus Lust, zu versuchen, wie es tue, halb war es ihm in der Tat so zumut und vor Bangigkeit und heisser Liebe wollte ihm das Herz brechen, so dass es ihm zu eng ward innerhalb der vier Waende und es zu gehen begehrte. Es war, als ob sie sich scheuten, auf dem Wege wieder so abseits und allein zu sein; denn sie gingen unverabredet auf der Hauptstrasse weiter, mitten durch die Leute und sahen weder rechts noch links. Als sie aber aus dem Dorfe waren und auf das naechstgelegene zugingen, wo Kirchweih war, hing sich Vrenchen an Salis Arm und fluesterte mit zitternden Worten: "Sali! warum sollen wir uns nicht haben und gluecklich sein!" "Ich weiss auch nicht warum!" erwiderte er und heftete seine Augen an den milden Herbstsonnenschein, der auf den Auen webte, und er musste sich bezwingen und das Gesicht ganz sonderbar verziehen. Sie standen still, um sich zu kuessen; aber es zeigten sich Leute und sie unterliessen es und zogen weiter. Das grosse Kirchdorf, in dem Kirchweih war, belebte sich schon von der Lust des Volkes; und aus dem stattlichen Gasthofe toente eine pomphafte Tanzmusik, da die jungen Doerfler bereits um Mittag den Tanz angehoben, und auf dem Platz vor dem Wirtshause war ein kleiner Markt aufgeschlagen, bestehend aus einigen Tischen mit Suessigkeiten und Backwerk und ein paar Buden mit Flitterstaat, um welche sich die Kinder und dasjenige Volk draengten, welches sich einstweilen mehr mit Zusehen begnuegte. Sali und Vrenchen traten auch zu den Herrlichkeiten und liessen ihre Augen darueberfliegen; denn beide hatten zugleich die Hand in der Tasche und jedes wuenschte dem andern etwas zu schenken, da sie zum ersten und einzigen Male miteinander zu Markt waren; Sali kaufte ein grosses Haus von Lebkuchen, das mit Zuckerguss freundlich geweisst war, mit einem gruenen Dach, auf welchem weisse Tauben sassen und aus dessen Schornstein ein Amoerchen guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbaeckige Leutchen mit winzig kleinen roten Muendchen, die sich recht eigentlich kuessten, da der fluechtige praktische Maler mit einem Kleckschen gleich zwei Muendchen gemacht, die so ineinander verflossen. Schwarze Puenktchen stellten muntere AEuglein vor. Auf der rosenroten Haustuer aber waren diese Verse zu lesen: Tritt in mein Haus, o Liebste! Doch sei dir unverhehlt: Drin wird allein nach Kuessen Gerechnet und gezaehlt! Die Liebste sprach: "O Liebster, Mich schrecket nichts zurueck! Hab' alles wohl erwogen: In dir nur lebt mein Glueck! Und wenn ich's recht bedenke, Kam ich deswegen auch!" Nun denn, spazier' mit Segen Herein und ueb' den Brauch! Ein Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen komplimentierten sich diesen Versen gemaess in das Haus hinein, links und rechts an die Mauer gemalt. Vrenchen schenkte Sali dagegen ein Herz, auf dessen einer Seite ein Zettelchen klebte mit den Worten: Ein suesser Mandelkern steckt in dem Herze hier, Doch suesser als der Mandelkern ist meine Lieb' zu dir! Und auf der andern Seite: Wenn du dies Herz gegessen, vergiss dies Spruechlein nicht! Viel eh'r als meine Liebe mein braunes Auge bricht! Sie lasen eifrig die Sprueche und nie ist etwas Gereimtes und Gedrucktes schoener befunden und tiefer empfunden worden, als diese Pfefferkuchensprueche; sie hielten, was sie lasen, in besonderer Absicht auf sich gemacht, so gut schien es ihnen zu passen. "Ach," seufzte Vrenchen, "du schenkst mir ein Haus! Ich habe dir auch eines und erst das wahre geschenkt; denn unser Herz ist jetzt unser Haus, darin wir wohnen, und wir tragen so unsere Wohnung mit uns, wie die Schnecken! Andere haben wir nicht!" "Dann sind wir aber zwei Schnecken, von denen jede das Haeuschen der andern traegt!" sagte Sali, und Vrenchen erwiderte: "Desto weniger duerfen wir voneinander gehen, damit jedes seiner Wohnung nahbleibt!" Doch wussten sie nicht, dass sie in ihren Reden ebensolche Witze machten, als auf den vielfach geformten Lebkuchen zu lesen waren, und fuhren fort, diese suesse einfache Liebesliteratur zu studieren, die da ausgebreitet lag und besonders auf vielfach verzierte kleine und grosse Herzen geklebt war. Alles duenkte sie schoen und einzig zutreffend; als Vrenchen auf einem vergoldeten Herzen, das wie eine Lyra mit Saiten bespannt war, las: Mein Herz ist wie ein Zitherspiel, ruehrt man es viel, so toent es viel! ward ihm so musikalisch zumut, dass es glaubte, sein eigenes Herz klingen zu hoeren. Ein Napoleonsbild war da, welches aber auch der Traeger eines verliebten Spruches sein musste, denn es stand darunter geschrieben: Gross war der Held Napoleon, sein Schwert von Stahl, sein Herz von Ton; meine Liebe traegt ein Roeslein frei, doch ist ihr Herz wie Stahl so treu!--Waehrend sie aber beiderseitig in das Lesen vertieft schienen, nahm jedes die Gelegenheit wahr, einen heimlichen Einkauf zu machen. Sali kaufte fuer Vrenchen ein vergoldetes Ringelchen mit einem gruenen Glassteinchen, und Vrenchen einen Ring von schwarzem Gemshorn, auf welchem ein goldenes Vergissmeinnicht eingelegt war. Wahrscheinlich hatten sie die gleichen Gedanken, sich diese armen Zeichen bei der Trennung zu geben. Waehrend sie in diese Dinge sich versenkten, waren sie so vergessen, dass sie nicht bemerkten, wie nach und nach ein weiter Ring sich um sie gebildet hatte von Leuten, die sie aufmerksam und neugierig betrachteten. Denn da viele junge Burschen und Maedchen aus ihrem Dorfe hier waren, so waren sie erkannt worden, und alles stand jetzt in einiger Entfernung um sie herum und sah mit Verwunderung auf das wohlgeputzte Paar, welches in andaechtiger Innigkeit die Welt um sich her zu vergessen schien. "Ei seht!" hiess es, "das ist ja wahrhaftig das Vrenchen Marti und der Sali aus der Stadt! Die haben sich ja saeuberlich gefunden und verbunden! Und welche Zaertlichkeit und Freundschaft, seht doch, seht! Wo die wohl hinauswollen?" Die Verwunderung dieser Zuschauer war ganz seltsam gemischt aus Mitleid mit dem Unglueck, aus Verachtung der Verkommenheit und Schlechtigkeit der Eltern und aus Neid gegen das Glueck und die Einigkeit des Paares, welches auf eine ganz ungewoehnliche und fast vornehme Weise verliebt und aufgeregt war und in dieser rueckhaltlosen Hingebung und Selbstvergessenheit dem rohen Voelkchen ebenso fremd erschien, wie in seiner Verlassenheit und Armut. Als sie daher endlich aufwachten und um sich sahen, erschauten sie nichts als gaffende Gesichter von allen Seiten; niemand gruesste sie und sie wussten nicht, sollten sie jemand gruessen, und diese Verfremdung und Unfreundlichkeit war von beiden Seiten mehr Verlegenheit als Absicht. Es wurde Vrenchen bang und heiss, es wurde bleich und rot, Sali nahm es aber bei der Hand und fuehrte das arme Wesen hinweg, das ihm mit seinem Haus in der Hand willig folgte, obgleich die Trompeten im Wirtshause lustig schmetterten und Vrenchen so gern tanzen wollte. "Hier koennen wir nicht tanzen!" sagte Sali, als sie sich etwas entfernt hatten, "wir wuerden hier wenig Freude haben, wie es scheint!" "Jedenfalls," sagte Vrenchen traurig, "es wird auch am besten sein, wir lassen es ganz bleiben und ich sehe, wo ich ein Unterkommen finde!" "Nein," rief Sali, "du sollst einmal tanzen, ich habe dir darum Schuhe gebracht! Wir wollen gehen, wo das arme Volk sich lustig macht, zu dem wir jetzt auch gehoeren, da werden sie uns nicht verachten; im Paradiesgaertchen wird jedesmal auch getanzt, wenn hier Kirchweih ist, da es in die Kirchgemeinde gehoert, und dorthin wollen wir gehen, dort kannst du zur Not auch uebernachten." Vrenchen schauerte zusammen bei dem Gedanken, nun zum erstenmal an einem unbekannten Ort zu schlafen; doch folgte es willenlos seinem Fuehrer, der jetzt alles war, was es in der Welt hatte. Das Paradiesgaertlein war ein schoengelegenes Wirtshaus an einer einsamen Berghalde, das weit ueber das Land wegsah, in welchem aber an solchen Vergnuegungstagen nur das aermere Volk, die Kinder der ganz kleinen Bauern und Tageloehner und sogar mancherlei fahrendes Gesinde verkehrte. Vor hundert Jahren war es als ein kleines Landhaus von einem reichen Sonderling gebaut worden, nach welchem niemand mehr da wohnen mochte, und da der Platz sonst zu nichts zu gebrauchen war, so geriet der wunderliche Landsitz in Verfall und zuletzt in die Haende eines Wirtes, der da sein Wesen trieb. Der Name und die demselben entsprechende Bauart waren aber dem Hause geblieben. Es bestand nur aus einem Erdgeschoss, ueber welchem ein offener Estrich gebaut war, dessen Dach an den vier Ecken von Bildern aus Sandstein getragen wurde, so die vier Erzengel vorstellten und gaenzlich verwittert waren. Auf dem Gesimse des Daches sassen ringsherum kleine musizierende Engel mit dicken Koepfen und Baeuchen, den Triangel, die Geige, die Floete, Zimbel und Tamburin spielend, ebenfalls aus Sandstein, und die Instrumente waren urspruenglich vergoldet gewesen. Die Decke inwendig, sowie die Brustwehr des Estrichs und das uebrige Gemaeuer des Hauses waren mit verwaschenen Freskomalereien bedeckt, welche lustige Engelscharen, sowie singende und tanzende Heilige darstellten. Aber alles war verwischt und undeutlich wie ein Traum und ueberdies reichlich mit Weinreben uebersponnen, und blaue reifende Trauben hingen ueberall in dem Laube. Um das Haus herum standen verwilderte Kastanienbaeume, und knorrige starke Rosenbuesche, auf eigene Hand fortlebend, wuchsen da und dort so wild herum, wie anderswo die Holunderbaeume. Der Estrich diente zum Tanzsaal; als Sali mit Vrenchen daherkam, sahen sie schon von weitem die Paare unter dem offenen Dache sich drehen und rund um das Haus zechten und laermten eine Menge lustiger Gaeste. Vrenchen, welches andaechtig und wehmuetig sein Liebeshaus trug, glich einer heiligen Kirchenpatronin auf alten Bildern, welche das Modell eines Domes oder Klosters auf der Hand haelt, so sie gestiftet; aber aus der frommen Stiftung, die ihr im Sinne lag, konnte nichts werden. Als es aber die wilde Musik hoerte, welche vom Estrich ertoente, vergass es sein Leid und verlangte endlich nichts, als mit Sali zu tanzen. Sie draengten sich durch die Gaeste, die vor dem Hause sassen und in der Stube, verlumpte Leute aus Seldwyla, die eine billige Landpartie machten, armes Volk von allen Enden, und stiegen die Treppe hinauf, und sogleich drehten sie sich im Walzer herum, keinen Blick voneinander abwendend. Erst als der Walzer zu Ende, sahen sie sich um, Vrenchen hatte sein Haus zerdrueckt und zerbrochen und wollte eben betruebt darueber werden, als es noch mehr erschrak ueber den schwarzen Geiger, in dessen Naehe sie standen. Er sass auf einer Bank, die auf einem Tische stand, und sah so schwarz aus wie gewoehnlich; nur hatte er heute einen gruenen Tannenbusch auf sein Huetchen gesteckt, zu seinen Fuessen hatte er eine Flasche Rotwein und ein Glas stehen, welche er nie umstiess, obgleich er fortwaehrend mit den Beinen strampelte, wenn er geigte, und so eine Art von Eiertanz damit vollbrachte. Neben ihm sass noch ein schoener aber trauriger junger Mensch mit einem Waldhorn, und ein Buckliger stand an einer Bassgeige. Sali erschrak auch, als er den Geiger erblickte; dieser gruesste sie aber auf das freundlichste und rief: "Ich habe doch gewusst, dass ich euch noch einmal aufspielen werde! So macht euch nur recht lustig, ihr Schaetzchen, und tut mir Bescheid!" Er bot Sali das volle Glas und Sali trank und tat ihm Bescheid. Als der Geiger sah, wie erschrocken Vrenchen war, suchte er ihm freundlich zuzureden und machte einige fast anmutige Scherze, die es zum Lachen brachten. Es ermunterte sich wieder, und nun waren sie froh, hier einen Bekannten zu haben und gewissermassen unter dem besonderen Schutze des Geigers zu stehen. Sie tanzten nun ohne Unterlass, sich und die Welt vergessend in dem Drehen, Singen und Laermen, welches in und ausser dem Hause rumorte und vom Berge weit in die Gegend hinausschallte, welche sich allmaehlich in den silbernen Duft des Herbstabends huellte. Sie tanzten, bis es dunkelte und der groessere Teil der lustigen Gaeste sich schwankend und johlend nach allen Seiten entfernte. Was noch zurueckblieb, war das eigentliche Hudelvoelkchen, welches nirgends zu Hause war und sich zum guten Tag auch noch eine gute Nacht machen wollte. Unter diesen waren einige, welche mit dem Geiger gut bekannt schienen und fremdartig aussahen in ihrer zusammengewuerfelten Tracht. Besonders ein junger Bursche fiel auf, der eine gruene Manchesterjacke trug und einen zerknitterten Strohhut, um den er einen Kranz von Ebereschen oder Vogelbeerbuescheln gebunden hatte. Dieser fuehrte eine wilde Person mit sich, die einen Rock von kirschrotem, weissgetuepfeltem Kattun trug und sich einen Reifen von Rebenschossen um den Kopf gebunden, so dass an jeder Schlaefe eine blaue Traube hing. Dies Paar war das ausgelassenste von allen, tanzte und sang unermuedlich und war in allen Ecken zugleich. Dann war noch ein schlankes huebsches Maedchen da, welches ein schwarzseidenes abgeschossenes Kleid trug und ein weisses Tuch um den Kopf, dass der Zipfel ueber den Ruecken fiel. Das Tuch zeigte rote, eingewobene Streifen und war eine gute leinene Handzwehle oder Serviette. Darunter leuchteten aber ein Paar veilchenblaue Augen hervor. Um den Hals und auf der Brust hing eine sechsfache Kette von Vogelbeeren auf einen Faden gezogen und ersetzte die schoenste Korallenschnur. Diese Gestalt tanzte fortwaehrend allein mit sich selbst und verweigerte hartnaeckig, mit einem der Gesellen zu tanzen. Nichtsdestominder bewegte sie sich anmutig und leicht herum und laechelte jedesmal, wenn sie sich an dem traurigen Waldhornblaeser vorueberdrehte, wozu dieser immer den Kopf abwandte. Noch einige andere vergnuegte Frauensleute waren da mit ihren Beschuetzern, alle von duerftigem Aussehen, aber sie waren um so lustiger und in bester Eintracht untereinander. Als es gaenzlich dunkel war, wollte der Wirt keine Lichter anzuenden, da er behauptete, der Wind loesche sie aus, auch ginge der Vollmond sogleich auf und fuer das, was ihm diese Herrschaften einbraechten, sei das Mondlicht gut genug. Diese Eroeffnung wurde mit grossem Wohlgefallen aufgenommen; die ganze Gesellschaft stellte sich an die Bruestung des luftigen Saales und sah dem Aufgange des Gestirnes entgegen, dessen Roete schon am Horizonte stand; und sobald der Mond aufging und sein Licht quer durch den Estrich des Paradiesgaertels warf, tanzten sie im Mondschein weiter, und zwar so still, artig und seelenvergnuegt, als ob sie im Glanze von hundert Wachskerzen tanzten. Das seltsame Licht machte alle vertrauter und so konnten Sali und Vrenchen nicht umhin, sich unter die gemeinsame Lustbarkeit zu mischen und auch mit andern zu tanzen. Aber jedesmal, wenn sie ein Weilchen getrennt gewesen, flogen sie zusammen und feierten ein Wiedersehen, als ob sie sich jahrelang gesucht und endlich gefunden. Sali machte ein trauriges und unmutiges Gesicht, wenn er mit einer andern tanzte, und drehte fortwaehrend das Gesicht nach Vrenchen hin, welches ihn nicht ansah, wenn es vorueberschwebte, gluehte wie eine Purpurrose und uebergluecklich schien, mit wem es auch tanzte. "Bist du eifersuechtig, Sali?" fragte es ihn, als die Musikanten muede waren und aufhoerten. "Gott bewahre!" sagte er, "ich wuesste nicht, wie ich es anfangen sollte!" "Warum bist du denn so boes, wenn ich mit andern tanze?" "Ich bin nicht darueber boes, sondern weil ich mit andern tanzen muss! Ich kann kein anderes Maedchen ausstehen, es ist mir, als wenn ich ein Stueck Holz im Arm habe, wenn du es nicht bist! Und du? Wie geht es dir?" "Oh, ich bin immer wie im Himmel, wenn ich nur tanze und weiss, dass du zugegen bist! Aber ich glaube, ich wuerde sogleich tot umfallen, wenn du weggingest und mich daliessest!" Sie waren hinabgegangen und standen vor dem Hause! Vrenchen umschloss ihn mit beiden Armen, schmiegte seinen schlanken zitternden Leib an ihn, drueckte seine gluehende Wange, die von heissen Traenen feucht war, an sein Gesicht und sagte schluchzend: "Wir koennen nicht zusammensein und doch kann ich nicht von dir lassen, nicht einen Augenblick mehr, nicht eine Minute!" Sali umarmte und drueckte das Maedchen heftig an sich und bedeckte es mit Kuessen. Seine verwirrten Gedanken rangen nach einem Ausweg, aber er sah keinen. Wenn auch das Elend und die Hoffnungslosigkeit seiner Herkunft zu ueberwinden gewesen waeren, so war seine Jugend und unerfahrene Leidenschaft nicht beschaffen, sich eine lange Zeit der Pruefung und Entsagung vorzunehmen und zu ueberstehen, und dann waere erst noch Vrenchens Vater dagewesen, welchen er zeitlebens elend gemacht. Das Gefuehl, in der buergerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewissenfreien Ehe gluecklich sein zu koennen, war in ihm ebenso lebendig wie in Vrenchen, und in beiden verlassenen Wesen war es die letzte Flamme der Ehre, die in frueheren Zeiten in ihren Haeusern geglueht hatte und welche die sich sicher fuehlenden Vaeter durch einen unscheinbaren Missgriff ausgeblasen und zerstoert hatten, als sie, eben diese Ehre zu aeufnen waehnend durch Vermehrung ihres Eigentums, so gedankenlos sich das Gut eines Verschollenen aneigneten, ganz gefahrlos, wie sie meinten. Das geschieht nun freilich alle Tage; aber zuweilen stellt das Schicksal ein Exempel auf und laesst zwei solche Aeufner ihrer Hausehre und ihres Gutes zusammentreffen, die sich dann unfehlbar aufreiben und auffressen wie zwei wilde Tiere. Denn die Mehrer des Reiches verrechnen sich nicht nur auf den Thronen, sondern zuweilen auch in den niedersten Huetten und langen ganz am entgegengesetzten Ende an, als wohin sie zu kommen trachteten, und der Schild der Ehre ist im Umsehen eine Tafel der Schande. Sali und Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hauses gesehen in zarten Kinderjahren und erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen und dass ihre Vaeter ausgesehen wie andere Maenner, geachtet und sicher. Dann waren sie auf lange getrennt worden, und als sie sich wiederfanden, sahen sie in sich zugleich das verschwundene Glueck des Hauses, und beider Neigung klammerte sich nur um so heftiger ineinander. Sie mochten so gern froehlich und gluecklich sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, waehrend ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengestroemt waere. "Nun ist es Nacht," rief Vrenchen, "und wir sollen uns trennen!" "Ich soll nach Hause gehen und dich allein lassen?" rief Sali, "nein, das kann ich nicht!" "Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns stehen!" "Ich will euch einen Rat geben, ihr naerrischen Dinger!" toente eine schrille Stimme hinter ihnen, und der Geiger trat vor sie hin. "Da steht ihr," sagte er, "wisst nicht wo hinaus und haettet euch gern. Ich rate euch, nehmt euch, wie ihr seid, und saeumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als eueren guten Willen! Es ist gar nicht so uebel bei uns, gesunde Luft und genug zu essen, wenn man taetig ist; die gruenen Waelder sind unser Haus, wo wir uns liebhaben, wie es uns gefaellt, und im Winter machen wir uns die waermsten Schlupfwinkel oder kriechen den Bauern ins warme Heu. Also kurz entschlossen, haltet gleich hier Hochzeit und kommt mit uns, dann seid ihr aller Sorgen los und habt euch fuer immer und ewiglich, solang es euch gefaellt wenigstens; denn alt werdet ihr bei unserem freien Leben, das koennt ihr glauben! Denkt nicht etwa, dass ich euch nachtragen will, was eure Alten an mir getan! Nein! Es macht mir zwar Vergnuegen, euch da angekommen zu sehen, wo ihr seid; allein damit bin ich zufrieden und werde euch behilflich und dienstfertig sein, wenn ihr mir folgt." Er sagte das wirklich in einem aufrichtigen und gemuetlichen Tone. "Nun, besinnt euch ein bisschen, aber folget mir, wenn ich euch gut zum Rat bin! Lasst fahren die Welt und nehmet euch und fraget niemandem was nach! Denkt an das luftige Hochzeitbett im tiefen Wald oder auf einem Heustock, wenn es euch zu kalt ist!" Damit ging er ins Haus. Vrenchen zitterte in Salis Armen und dieser sagte: "Was meinst du dazu? Mich duenkt, es waere nicht uebel, die ganze Welt in den Wind zu schlagen und uns dafuer zu lieben ohne Hindernis und Schranken!" Er sagte es aber mehr als einen verzweifelten Scherz, denn im Ernst. Vrenchen aber erwiderte ganz treuherzig und kuesste ihn: "Nein, dahin moechte ich nicht gehen, denn da geht es auch nicht nach meinem Sinne zu. Der junge Mensch mit dem Waldhorn und das Maedchen mit dem seidenen Rocke gehoeren auch so zueinander und sollen sehr verliebt gewesen sein. Nun sei letzte Woche die Person ihm zum erstenmal untreu geworden, was ihm nicht in den Kopf wolle, und deshalb sei er so traurig und schmolle mit ihr und mit den andern, die ihn auslachen. Sie aber tut eine mutwillige Busse, indem sie allein tanzt und mit niemandem spricht, und lacht ihn auch nur aus damit. Dem armen Musikanten sieht man es jedoch an, dass er sich noch heute mit ihr versoehnen wird. Wo es aber so hergeht, moechte ich nicht sein, denn nie moecht' ich dir untreu werden, wenn ich auch sonst noch alles ertragen wuerde, um dich zu besitzen !" Indessen aber fieberte das arme Vrenchen immer heftiger an Salis Brust; denn schon seit dem Mittag, wo jene Wirtin es fuer eine Braut gehalten und es eine solche ohne Widerrede vorgestellt, lohte ihm das Brautwesen im Blute, und je hoffnungsloser es war, um so wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es ebenso schlimm, da die Reden des Geigers, so wenig er ihnen folgen mochte, dennoch seinen Kopf verwirrten, und er sagte mit ratlos stockender Stimme: "Komm herein, wir muessen wenigstens noch was essen und trinken." Sie gingen in die Gaststube, wo niemand mehr war, als die kleine Gesellschaft der Heimatlosen, welche bereits um einen Tisch sass und eine spaerliche Mahlzeit hielt. "Da kommt unser Hochzeitpaar!" rief der Geiger, "jetzt seid lustig und froehlich und lasst euch zusammengeben!" Sie wurden an den Tisch genoetigt und fluechteten sich vor sich selbst an denselben hin; sie waren froh, nur fuer den Augenblick unter Leuten zu sein. Sali bestellte Wein und reichlichere Speisen, und es begann eine grosse Froehlichkeit. Der Schmollende hatte sich mit der Untreuen versoehnt, und das Paar liebkoste sich in begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar sang und trank und liess es ebenfalls nicht an Liebesbezeigungen fehlen, und der Geiger nebst dem buckligen Bassgeiger laermten ins Blaue hinein. Sali und Vrenchen waren still und hielten sich umschlungen; auf einmal gebot der Geiger Stille und fuehrte eine spasshafte Zeremonie auf, welche eine Trauung vorstellen sollte. Sie mussten sich die Haende geben und die Gesellschaft stand auf und trat der Reihe nach zu ihnen, um sie zu beglueckwuenschen und in ihrer Verbruederung willkommen zu heissen. Sie liessen es geschehen, ohne ein Wort zu sagen, und betrachteten es als einen Spass, waehrend es sie doch kalt und heiss durchschauerte. Die kleine Versammlung wurde jetzt immer lauter und aufgeregter, angefeuert durch den staerkeren Wein, bis ploetzlich der Geiger zum Aufbruch mahnte. "Wir haben weit," rief er, "und Mitternacht ist vorueber! Auf! Wir wollen dem Brautpaar das Geleit geben und ich will vorausgeigen, dass es eine Art hat!" Da die ratlosen Verlassenen nichts Besseres wussten und ueberhaupt ganz verwirrt waren, liessen sie abermals geschehen, dass man sie voranstellte und die uebrigen zwei Paare einen Zug hinter ihnen formierten, welchen der Bucklige abschloss mit seiner Bassgeige ueber der Schulter. Der Schwarze zog voraus und spielte auf seiner Geige wie besessen den Berg hinunter, und die andern lachten, sangen und sprangen hintendrein. So strich der tolle naechtliche Zug durch die stillen Felder und durch das Heimatdorf Salis und Vrenchens, dessen Bewohner laengst schliefen. Als sie durch die stillen Gassen kamen und an ihren verlorenen Vaterhaeusern vorueber, ergriff sie eine schmerzhaft wilde Laune und sie tanzten mit den andern um die Wette hinter dem Geiger her, kuessten sich, lachten und weinten. Sie tanzten auch den Huegel hinauf, ueber welchen der Geiger sie fuehrte, wo die drei Aecker lagen, und oben strich der schwaerzliche Kerl die Geige noch einmal so wild, sprang und huepfte wie ein Gespenst, und seine Gefaehrten blieben nicht zurueck in der Ausgelassenheit, so dass es ein wahrer Blocksberg war auf der stillen Hoehe; selbst der Bucklige sprang keuchend mit seiner Last herum und keines schien mehr das andere zu sehen. Sali fasste Vrenchen fester in den Arm und zwang es, stillzustehen; denn er war zuerst zu sich gekommen. Er kuesste es, damit es schweige, heftig auf den Mund, da es sich ganz vergessen hatte und laut sang. Es verstand ihn endlich, und sie standen still und lauschend, bis ihr tobendes Hochzeitsgeleite das Feld entlang gerast war und, ohne sie zu vermissen, am Ufer des Stromes hinauf sich verzog. Die Geige, das Gelaechter der Maedchen und die Jauchzer der Burschen toenten aber noch eine gute Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang und still wurde. "Diesen sind wir entflohen," sagte Sali, "aber wie entfliehen wir uns selbst? Wie meiden wir uns?" Vrenchen war nicht imstande zu antworten und lag hochaufatmend an seinem Halse. "Soll ich dich nicht lieber ins Dorf zurueckbringen und Leute wecken, dass sie dich aufnehmen? Morgen kannst du ja dann deinen Weges ziehen und gewiss wird es dir wohlgehen, du kommst ueberall fort!" "Fortkommen, ohne dich!" "Du musst mich vergessen!" "Das werde ich nie! Koenntest denn du es tun?" "Darauf kommt's nicht an, mein Herz!" sagte Sali und streichelte ihm die heissen Wangen, je nachdem es sie leidenschaftlich an seiner Brust herumwarf, "es handelt sich jetzt nur um dich; du bist noch so ganz jung und es kann dir noch auf allen Wegen gut gehen!" "Und dir nicht auch, du alter Mann?" "Komm!" sagte Sali und zog es fort. Aber sie gingen nur einige Schritte und standen wieder still, um sich bequemer zu umschlingen und zu herzen. Die Stille der Welt sang und musizierte ihnen durch die Seelen, man hoerte nur den Fluss unten sacht und lieblich rauschen im langsamen Ziehen. "Wie schoen ist es da ringsherum! Hoerst du nicht etwas toenen, wie ein schoener Gesang oder ein Gelaeute!" "Es ist das Wasser, das rauscht! Sonst ist alles still." "Nein, es ist noch etwas anderes, hier, dort, hinaus ueberall toent's!" "Ich glaube, wir hoeren unser eigenes Blut in unsern Ohren rauschen!" Sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten oder wirklichen Toene, welche von der grossen Stille herruehrten, oder welche sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten, welches nah und fern ueber die weissen Herbstnebel wallte, welche tief auf den Gruenden lagen. Ploetzlich fiel Vrenchen etwas ein: es suchte in seinem Brustgewand und sagte: "Ich habe dir noch ein Andenken gekauft, das ich dir geben wollte!" Und es gab ihm den einfachen Ring und steckte ihm denselben selbst an den Finger. Sali nahm sein Ringlein auch hervor und steckte ihn an Vrenchens Hand, indem er sagte: "So haben wir die gleichen Gedanken gehabt!" Vrenchen hielt seine Hand in das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring. "Ei, wie ein feiner Ring!" sagte es lachend; "nun sind wir aber doch verlobt und versprochen, du bist mein Mann und ich deine Frau, wir wollen es einmal einen Augenblick lang denken, nur bis jener Nebelstreif am Mond vorueber ist, oder bis wir zwoelf gezaehlt haben! Kuesse mich zwoelfmal!" Sali liebte gewiss ebenso stark als Vrenchen, aber die Heiratsfrage war in ihm doch nicht so leidenschaftlich lebendig, als ein bestimmtes Entweder--Oder, als ein unmittelbares Sein oder Nichtsein, wie in Vrenchen, welches nur das eine zu fuehlen faehig war und mit leidenschaftlicher Entschiedenheit unmittelbar Tod oder Leben darin sah. Aber jetzt ging ihm endlich ein Licht auf und das weibliche Gefuehl des jungen Maedchens ward in ihm auf der Stelle zu einem wilden und heissen Verlangen und eine gluehende Klarheit erhellte ihm die Sinne. So heftig er Vrenchen schon umarmt und liebkost hatte, tat er es jetzt doch ganz anders und stuermischer und uebersaete es mit Kuessen. Vrenchen fuehlte trotz aller eigenen Leidenschaft auf der Stelle diesen Wechsel und ein heftiges Zittern durchfuhr sein ganzes Wesen, aber ehe jener Nebelstreif am Monde vorueber war, war es auch davon ergriffen. Im heftigen Schmeicheln und Ringen begegneten sich ihre ringgeschmueckten Haende und fassten sich fest, wie von selbst eine Trauung vollziehend, ohne den Befehl eines Willens. Salis Herz klopfte halb wie mit Haemmern, bald stand es still, er atmete schwer und sagte leise: "Es gibt eines fuer uns, Vrenchen, wir halten Hochzeit zu dieser Stunde und gehen dann aus der Welt--dort ist das tiefe Wasser--dort scheidet uns niemand mehr und wir sind zusammengewesen--ob kurz oder lang, das kann uns dann gleich sein."-- Vrenchen sagte sogleich: "Sali--was du da sagst, habe ich schon lang bei mir gedacht und ausgemacht, naemlich, dass wir sterben koennten und dann alles vorbei waere--so schwoere mir es, dass du es mit mir tun willst!" "Es ist schon so gut wie getan, es nimmt dich niemand mehr aus meiner Hand, als der Tod!" rief Sali ausser sich. Vrenchen aber atmete hoch auf, Traenen der Freude entstroemten seinen Augen; es raffte sich auf und sprang leicht wie ein Vogel ueber das Feld gegen den Fluss hinunter. Sali eilte ihm nach; denn er glaubte, es wolle ihm entfliehen, und Vrenchen glaubte, er wolle es zurueckhalten, so sprangen sie einander nach und Vrenchen lachte wie ein Kind, welches sich nicht will fangen lassen. "Bereust du es schon?" rief eines zum andern, als sie am Flusse angekommen waren und sich ergriffen; "nein, es freut mich immer mehr!" erwiderte ein jedes. Aller Sorgen ledig, gingen sie am Ufer hinunter und ueberholten die eilenden Wasser, so astig suchten sie eine Staette, um sich niederzulassen; denn ihre Leidenschaft sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Wert und Inhalt des uebrigen Lebens draengte sich in diesem zusammen; was danach kam, Tod und Untergang, war ihnen ein Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den anderen Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt. "Meine Blumen gehen mir voraus," rief Vrenchen, "sieh, sie sind ganz dahin und verwelkt!" Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: "Doch suesser als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu dir!" "Halt!" rief Sali, "hier ist dein Brautbett!" Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluss fuehrte, und hier war eine Landungsstelle, wo ein grosses Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: "Was willst du tun? Wollen mir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt?" "Das soll die Aussteuer sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden ueberdies ihr Eigentum unten wieder finden, wo es ja dochhin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon schwankt es und will hinaus!" Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkoste ihn so heftig ungebaerdig und zappelte wie ein Fisch, dass er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte Gesicht und Haende ins Wasser zu tauchen und rief: "Ich will auch das kuehle Wasser versuchen! Weisst du noch, wie kalt und nass unsere Haende waren, als wir sie uns zum erstenmal gaben? Fische fingen wir damals, jetzt werden wir selber Fische sein und zwei schoene grosse!" "Sei ruhig, du lieber Teufel!" sagte Sali, der Muehe hatte, zwischen dem tobenden Liebchen und den Wellen sich aufrechtzuhalten, "es zieht mich sonst fort!" Er hob seine Last in das Schiff und schwang sich nach; er hob sie auf die hochgebettete weiche und duftende Ladung und schwang sich auch hinauf, und als sie oben sassen, trieb das Schiff allmaehlich in die Mitte des Stromes hinaus und schwamm dann, sich langsam drehend, zu Tal. Der Fluss zog bald durch hohe dunkle Waelder, die ihn ueberschatteten, bald durch offenes Land; bald an stillen Doerfern vorbei, bald an einzelnen Huetten; hier geriet er in eine Stille, dass er einem ruhigen See glich und das Schiff beinah stillhielt, dort stroemte er um Felsen und liess die schlafenden Ufer schnell hinter sich; und als die Morgenroete auf stieg, tauchte zugleich eine Stadt mit ihren Tuermen aus dem silbergrauen Strome. Der untergehende Mond, rot wie Gold, legte eine glaenzende Bahn den Strom hinauf und auf dieser kam das Schiff langsam ueberquer gefahren. Als es sich der Stadt naeherte, glitten im Froste des Herbstmorgens zwei bleiche Gestalten, die sich fest umwanden, von der dunklen Masse herunter in die kalten Fluten. Das Schiff legte sich eine Weile nachher unbeschaedigt an eine Bruecke und blieb da stehen. Als man spaeter unterhalb der Stadt die Leichen fand und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war in den Zeitungen zu lesen, zwei junge Leute, die Kinder zweier blutarmen zugrunde gegangenen Familien, welche in unversoehnlicher Feindschaft lebten, haetten im Wasser den Tod gesucht, nachdem sie einen ganzen Nachmittag herzlich miteinander getanzt und sich belustigt auf einer Kirchweih. Es sei dies Ereignis vermutlich in Verbindung zu bringen mit einem Heuschiff aus jener Gegend, welches ohne Schiffsleute in der Stadt gelandet sei, und man nehme an, die jungen Leute haben das Schiff entwendet, um darauf ihre verzweifelte und gottverlassene Hochzeit zu halten, abermals ein Zeichen von der umsichgreifenden Entsittlichung und Verwilderung der Leidenschaften. * * * * * FRAU REGEL AMRAIN UND IHR JUENGSTER Regula Amrain war die Frau eines abwesenden Seldwylers; dieser hatte einen grossen Steinbruch hinter dem Staedtchen besessen und eine Zeitlang ausgebeutet, und zwar auf Seldwyler Art. Das ganze Nest war beinahe aus dem guten Sandstein gebaut, aus welchem der Berg bestand; aber das Schuldenwesen, das auf den Haeusern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich schon mit den Steinen begonnen, aus denen sie gebaut waren; denn nichts schien den Seldwylern so wohlgeeignet, als Stoff und Gegenstand eines muntern Verkehrs, als ein solcher Steinbruch, und derselbe glich einer in Felsen gehauenen roemischen Schaubuehne, ueber welche die Besitzer emsig hinwegliefen, einer den andern jagend. Herr Amrain, ein ansehnlicher Mann, der eine ansehnliche Menge Fleisch, Fische und Wein verzehren musste und maechtige Stuecke Seidenzeug zu seinen breiten schoenen Westen brauchte, himmelblaue, kirschrote und grossartig gewuerfelte, war urspruenglich ein Knopfmacher gewesen und hatte auch die eine und andere Stunde des Tages Knoepfe besponnen. Als er aber mit den Jahren gar so fest und breit wurde, sagte ihm die sitzende Lebensart nicht mehr zu, und als er ueberhaupt den rechten Phaeakenaufschwung genommen: die rote Sammetweste, die goldene Uhrkette und den Siegelring, liquidierte er die Knopfmacherei und uebernahm in einer wichtigen Hauptsitzung der Seldwyler Spekulanten jenen Steinbruch. Nun hatte er die angemessene bewegliche Lebensweise gefunden, indem er mit einer roten Brieftasche voll Papiere und einem eleganten Spazierstock, auf welchem mit silbernen Stiften ein Zollmass angebracht war, etwa in den Steinbruch hinaus lustwandelte, wenn das Wetter lieblich war, und dort mit dem besagten Stocke an den verpfaendeten Steinlagern herumstocherte, den Schweiss von der Stirn wischte, in die schoene Gegend hinausschaute und dann schleunigst in die Stadt zurueckkehrte, um den eigentlichen Geschaeften nachzugehen, dem Umsatz der verschiedenen Papiere in der Brieftasche, was in den kuehlen Gaststuben auf das beste vor sich ging. Kurz, er war ein vollkommener Seldwyler, bis auf die politische Veraenderlichkeit, welche aber die Ursache seines zu fruehen Falles wurde. Denn ein konservativer Kapitalist aus einer Finanzstadt, welcher keinen Spass verstand, hatte auf den Steinbruch einiges Geld hergegeben und damit geglaubt, einem wackern Parteigenossen unter die Arme zu greifen. Als daher Herr Amrain in einem Anfall gaenzlicher Gedankenlosigkeit eines Tages hoechst verfaengliche liberale Redensarten vernehmen liess, welche ruchbar wurden, erzuernte sich jener Herr mit Recht; denn nirgends ist politische Gesinnungslosigkeit widerwaertiger, als an einem grossen dicken Manne, der eine bunte Sammetweste traegt! Der erboste Goenner zog daher jaehlings sein Geld zurueck, als kein Mensch daran dachte, und trieb dadurch vor der Zeit den bestuerzten Amrain vom Steinbruch in die Welt hinaus. Man wird selten sehen, dass es grossen schweren Maennern schlecht ergeht, weil sie eine durchgreifende und ueberzeugende Gabe besitzen, fuer ihren anspruchsvollen Koerperbau zu sorgen, und die Nahrungsmittel koennen sich demselben nicht lange entziehen, sondern werden von dem Magnetgebirge des Bauches maechtig angezogen. So frass sich der landfluechtige Amrain auch gluecklich durch die Fernen; und obgleich er nichts Grosses mehr wurde, ass und trank er doch irgendwo in der Fremde so weidlich wie zu Hause. Doch den Seldwylern, welche jetzt ratschlagten, welcher von ihnen nun am tauglichsten waere, eine Zeitlang die Honneurs am Steinbruch zu machen, wurde abermals ein Strich durch die Rechnung gezogen, als die zurueckgebliebene Ehefrau des Herrn Amrain unerwartet ihren Fuss auf den Sandstein setzte und kraft ihres herzugebrachten Weibergutes den Steinbruch an sich zog und erklaerte, das Geschaeft fortsetzen und moeglicherweise die Glaeubiger ihres Mannes befriedigen zu wollen. Sie tat dies erst, als derselbe schon jenseits des Atlantischen Weltmeers war und nicht mehr zurueckkommen konnte. Man suchte sie auf jede Weise von diesem Vorhaben abzubringen und zu hindern; allein sie zeigte eine solche Entschlossenheit, Ruehrigkeit und Besonnenheit, dass nichts gegen sie auszurichten war und sie wirklich die Besitzerin des Steinbruches wurde. Sie liess fleissig und ordentlich darin arbeiten unter der Leitung eines guten fremden Werkfuehrers und gruendete zum erstenmal die Unternehmung, statt auf den Scheinverkehr, auf wirkliche Produktion. Hieran wollte man sie nun erst recht behindern; allein, es war nicht gegen sie aufzukommen, da sie als Frau und sparsame Mutter keine Ausgaben hatte, im Vergleich zu den Herren von Seldwyla, und daher auf die einfachste Weise imstande war, alle Stuerme abzuschlagen und alle begruendeten Forderungen zu bezahlen. Aber dennoch hielt es schwer, und sie musste Tag und Nacht mit Mut, List und Kraft bei der Hand sein, sinnen und sorgen, um sich zu behaupten. Frau Regel hatte von auswaerts in das Staedtchen geheiratet und war eine sehr frische, grosse und handfeste Dame mit kraeftigen schwarzen Haarflechten und einem festen, dunklen Blick. Von ihrem Manne hatte sie drei Buben von ungefaehr zehn, acht und fuenf Jahren, welche sie oftmals aufmerksam und ernsthaft betrachtete, darueber sinnend, ob dieselben auch wert seien, dass sie das Haus fuer sie aufrechthalte, da sie ja doch Seldwyler waeren und bleiben wuerden. Doch weil die Burschen einmal ihre Kinder waren, so liess die Eigenliebe und die Mutterliebe sie immer wieder einen guten Mut fassen, und sie traute sich zu, auch in dieser Sache das Steuer am Ende anders zu lenken, als es zu Seldwyl Mode war. In solche Gedanken versunken, sass sie einst nach dem Nachtessen am Tische und hatte das Geschaeftsbuch und eine Menge Rechnungen vor sich liegen. Die Buben lagen im Bette und schliefen in der Kammer, deren Tuere offen stand, und sie hatte eben die drei schlafenden kleinen Gesellen mit der Lampe in der Hand betrachtet und besonders den kleinsten Kerl ins Auge gefasst, der ihr am wenigsten glich. Er war blond, hatte ein keckes Stumpfnaeschen, waehrend sie eine ernsthafte gerade, lange Nase besass, und statt ihres strenggeschnittenen Mundes zeigte der kleine Fritz trotzig aufgeworfene Lippen, selbst wenn er schlief. Dies hatte er alles vom Vater, und es war das gewesen, was ihr eben so wohlgefallen hatte, als sie ihn heiratete, und was ihr jetzt auch an dem kleinen Burschen so wohlgefiel und doch schwere Sorgen machte. Wenn eine Gesichtsart einem einmal wohlgefaellt, so hilft hiergegen kein Kraut; deswegen war Frau Amrain froh, dass der Alte weg war und sie ihn nicht mehr sah; aber er hatte ihr in dem juengsten Kinde ein treues Abbild seiner aeusseren Art hinterlassen, welches sie nie genug ansehen konnte. Ueber diesen Sorgen traf sie der Werkfuehrer oder oberste Arbeiter, der jetzt eintrat, um mit ihr die Angelegenheiten und den Bestand der Geschaefte durchzusehen und manche wichtige Dinge zu besprechen. Es war ein huebscher und unternehmender Bursche von schlankem, kraeftigem Koerperbau, maessig in seiner Lebensweise, fleissig und ausdauernd und dabei in seinen Gedanken von einer gewissen einfachen Schlauheit, welche zusammen mit den erklecklichen Eigenschaften seiner Meisterin eben das Geschaeft in gutem Gange erhielt und die gedankenlosen Spitzfindigkeiten der Seldwyler zu schanden werden liess. Inzwischen war er aber ein Mensch und dachte daher vor allem an sich selber und in diesem Denken hatte er es nicht uebel gefunden, selber der Herr und Meister hier zu sein und sich eine bleibende Staette zu gruenden, daher auch in aller Ehrerbietung der Frau Regula wiederholt nahegelegt, eine gesetzliche Scheidung von ihrem abwesenden Manne herbeizufuehren. Sie hatte ihn wohl verstanden; doch widerstrebte es ihrem Stolz, sich oeffentlich und mit schimpflichen Beweisgruenden von einem Manne zu trennen, der ihr einmal wohlgefallen, mit dem sie gelebt und von dem sie drei Kinder hatte; und in der Sorge fuer diese Kinder wollte sie auch keinen fremden Mann ueber das Haus setzen und wenigstens die aeussere Einheit desselben bewahren, bis die Soehne herangewachsen waeren und ein unzersplittertes Erbe aus ihrer Hand empfangen koennten; denn ein solches gedachte sie trotz aller Schwierigkeiten zusammenzubringen und den Hiesigen zu zeigen, was da Brauch sei, wo sie hergekommen. Sie hielt daher den Werkfuehrer knapp im Zuegel und brachte sich dadurch nur in groessere Verlegenheit; denn als derselbe ihren Widerstand und ihren festen Charakter ersah, verliebte er sich foermlich in sie und gedachte erst recht seine Wuensche zu erreichen. Er aenderte sein Benehmen, also dass er, statt wie bisher ehrbar um ihre Hand als Meisterin sich zu bewerben, nun um ihre Person schmachtete, wo sie ging, und sie stets mit verliebten Augen ansah, wo es immer tunlich war. Dies schien fuer ihn eine zweckdienliche Veraenderung, da die eigentliche Verliebtheit in die Person eines Menschen denselben viel mehr besticht und bezwingt, als alle noch so ehrbaren Heiratsabsichten. Wenn nun Frau Regel auch nicht die Haltung verlor und sich in ihn nicht wieder verliebte, so wurde es doch schwerer fuer sie, ihn abzuwehren, ohne mit ihm zu brechen und ihn zu verlieren, und es ist bekanntlich eine Hauptliebhaberei der Frauen, sich nuetzliche Freunde und Parteigaenger zu erhalten, wenn es immer geschehen kann, ohne grosse Opfer. Als der Werkfuehrer in die Stube trat, funkelten seine Augen mit ungewoehnlichem Glanze, denn er hatte im Verkehr mit einigen Geschaeftsleuten, mit denen er sich zum Vorteil der Frau wacker herumgeschlagen, eine Flasche kraeftigen Wein getrunken. Waehrend er ihr Bericht erstattete und dann in den Papieren mit ihr rechnete, blickte er sie oftmals unversehens an und wurde zerstreut und aufgeregt, wie einer, der etwas vorhat. Sie rueckte mit ihrem Sessel etwas zur Seite und begann sich in acht zu nehmen, dabei kaum ein feines Laecheln unterdrueckend, wie aus Spott ueber die ploetzliche Unternehmungslust des jungen Mannes. Dieser aber fasste unversehens ihre beiden Haende und suchte die huebsche Frau an sich zu ziehen, indem er sogleich in demselben halblauten Tone, in welchem sie der schlafenden Kinder wegen die ganze Verhandlung gefuehrt hatten, so heftig und feurig anfing zu schmeicheln und zuzureden, ihr Leben doch nicht so oede und unbenutzt entfliehen zu lassen, sondern klug zu sein und sich seiner treuen Ergebenheit zu erfreuen. Sie wagte keine rasche Bewegung und kein lautes Wort, aus Furcht, die Kinder zur Unzeit zu wecken; doch fluesterte sie voll Zorn, er solle ihre Haende freilassen und augenblicklich hinausgehen. Er liess sie aber nicht frei, sondern fasste sie nur um so fester und hielt ihr mit eindringlichen Worten ihre Jugend und schoene Gestalt vor und ihre Torheit, so gute Dinge ungenossen vergehen zu lassen. Sie durchschaute ihren Feind wohl, dessen Augen ebenso stark von Schlauheit als von Lebenslust glaenzten, und merkte, dass er auf diesem leidenschaftlich-sinnlichen Wege nur beabsichtigte, sie sich zu unterwerfen und dienstbar zu machen, also dass ihre Selbstaendigkeit ein schlimmes Ende naehme. Sie gab ihm dies auch mit hoehnischen Blicken zu verstehen, waehrend sie fortfuhr, so still als moeglich sich von ihm loszumachen, was er nur mit vermehrter Kraft und Eindringlichkeit erwiderte. Auf diese Weise rang sie mit dem starken Gesellen eine gute Weile hin und her, ohne dass es dem einen oder andern Teile gelang, weiter zu kommen, waehrend nur zuweilen der erschuetterte Tisch oder ein unterdrueckter zorniger Ausruf oder ein Seufzer ein Geraeusch verursachte, und so schwebte die brave Frau peinvoll zwischen ihrer in der Kammer dreifach schlafenden Sorge und zwischen dem heissen Anstuermen des wachen Lebens. Sie war kaum dreissig Jahre alt und schon seit einigen Jahren von ihrem Manne verlassen und ihr Blut floss so rasch und warm, wie eines; was Wunder, dass sie daher endlich einen Augenblick innehielt und tief aufseufzte, und dass ihr in diesem Augenblick der Zweifel durch den Kopf ging, ob es sich auch der Muehe lohne, so treu und ausdauernd in Entbehrung und Arbeit zu sein, und ob nicht das eigene Leben am Ende die Hauptsache und es klueger sei, zu tun wie die andern und, nicht dem verwegenen und frechen Andringling, sondern sich selbst zu gewaehren, was ihr Lust und Erfrischung bieten koenne; die Dinge gingen zu Seldwyla vielleicht so oder so ihren Weg! Indem sie einen Augenblick dies bedachte, zitterten ihre Haende in denjenigen des Werkfuehrers, und nicht sobald fuehlte dieser solche liebliche Aenderung des Wetters, als er seine Anstrengungen erneuerte und vielleicht trotz der abermaligen Gegenwehr der tapfern Frau gesiegt haben wuerde, wenn nicht jetzt eine unerwartete Hilfe erschienen waere. Denn mit dem bangen, zornigen Ausruf: "Mutter! Es ist ein Dieb da!" sprang der juengste Knabe, der kleine Fritzchen, in die Stube und glich vollstaendig einem kleinen Sankt Georg. Seine goldenen Ringellocken flogen um das vom Schlafe geroetete Gesicht; feurig blickten aber die blauen Augen in lieblichem Zorn und mutig warf sich der trotzige Mund auf. Das kurze schneeige Hemdchen flatterte wie die Tunika eines Kreuzfahrers und in den nackten Aermchen schwang der kleine Rittersmann eine lange Gardinenstange mit dickem vergoldeten Knopf, den er auch mit aller erdenklichen Kraft dem aufspringenden Werkmeister auf den Kopf schlug, dass sich dieser die entstehende Beule verlegen rieb und ihm ordentlich die Augen uebergingen. Frau Amrain aber hielt den Knaben auf, tief erroetend, und rief: "Was ist dir denn, Fritzchen? Es ist ja nur der Florian und tut uns nichts!" Der Knabe fing bitterlich an zu weinen, sich voll Verlegenheit an die Knie der Mutter klammernd; diese hob ihn auf den Arm und das Kind an sich drueckend, entliess sie mit einem kaum verhaltenen Lachen den verbluefften Florian, der, obgleich er den Kleinen gern geohrfeigt haette, gute Miene zum boesen Spiel machte und sich verlegen zurueckzog. Sie riegelte die Tuer rasch hinter ihm zu; dann stand sie tief aufatmend und nachdenklich mitten in der Stube, das tapfere Kind auf dem Arm, welches das linke Aermchen um ihren Hals schlang und mit dem rechten Haendchen die lange Stange mit dem glaenzenden Knopf, die es noch immer umfasst hielt, gegen den Boden stemmte. Dann sah sie aufmerksam in das nahe Gesicht des Kindes und bedeckte es mit Kuessen, und endlich ergriff sie abermals die Lampe und ging in die Kammer, um nach den beiden aeltesten Knaben zu sehen. Dieselben schliefen wie Murmeltiere und hatten von allem nichts gehoert. Also schienen sie Nachtmuetzen zu sein, obschon sie ihr selbst glichen; der Juengste aber, der dem Vater glich, hatte sich als wachsam, feinfuehlend und mutvoll erwiesen, und schien das werden zu wollen, was der Alte eigentlich sein sollte und was sie einst auch hinter ihm gesucht. Indem sie ueber dies geheimnisvolle Spiel der Natur nachdachte und nicht wusste, ob sie froh sein sollte, dass das Abbild des einst geliebten Mannes besser schien, als ihre eigenen so traege daliegenden Bilder, legte sie das Kind in sein Bettchen zurueck, deckte es zu und beschloss, von Stund an alle ihre Treue und Hoffnung auf den kleinen Sankt Georg zu setzen und ihm seine junge Ritterlichkeit zu vergelten. "Wenn die zwei Schlafkappen," dachte sie, "welche nichtsdestominder meine Kinder sind, dann auch mitgehen wollen auf einem guten Wege, so moegen sie es tun." Am naechsten Morgen schien Fritzchen den Vorfall schon vergessen zu haben, und so alt auch die Mutter und der Sohn wurden, so ward doch nie mehr mit einer Silbe desselben erwaehnt zwischen ihnen. Der Sohn behielt ihn nichtsdestoweniger in deutlicher Erinnerung, obgleich er viel spaetere Erlebnisse mit der Zeit gaenzlich vergass. Er erinnerte sich genau, schon bei dem Eintritte des Werkmeisters erwacht zu sein, da er trotz eines gesunden Schlafes alles hoerte und ein wachsames Buerschchen war. Er hatte sodann jedes Wort der Unterredung, bis sie bedenklich wurde, gehoert, und ohne etwas davon zu verstehen, doch etwas Gefaehrliches und Ungehoeriges geahnt und war in eine heftige Angst um seine Mutter verfallen, so dass er, als er das leise Ringen mehr fuehlte als hoerte, aufsprang, um ihr zu helfen. Und dann, wer verfolgt die geheimen Wege der Faehigkeiten, wie sie im Menschenkind sich verlieren? Als er den Werkfuehrer recht wohl erkannt: wer lehrte den kleinen Bold die unbewusste blitzschnelle Heuchelei des Zartgefuehles, mit der er sich stellte, als ob er einen Dieb saehe, und die ihn so unbefangen den Widersacher vor den Kopf schlagen liess? Seine Mutter aber hielt ihr Wort und erzog ihn so, dass er ein braver Mann wurde in Seldwyl und zu den wenigen gehoerte, die aufrecht blieben, solange sie lebten. Wie sie dies eigentlich anfing und bewirkte, waere schwer zu sagen; denn sie erzog eigentlich so wenig als moeglich und das Werk bestand fast lediglich darin, dass das junge Baeumchen, so vom gleichen Holze mit ihr war, eben in ihrer Naehe wuchs und sich nach ihr richtete. Tuechtige und wohlgeartete Leute haben immer weit weniger Muehe, ihre Kinder ordentlich zu ziehen, wie es hinwieder einem Toelpel, der selbst nicht lesen kann, schwer faellt, ein Kind lesen zu lehren. Im ganzen lief ihre Erziehungskunst darauf hinaus, dass sie das Soehnchen ohne Empfindsamkeit merken liess, wie sehr sie es liebte, und dadurch dessen Beduerfnis, ihr immer zu gefallen, erweckte und so erreichte, dass es bei jeder Gelegenheit an sie dachte. Ohne dessen freie Bewegungen einzeln zu hindern, hatte sie den Kleinen viel um sich, so dass er ihre Manieren und ihre Denkungsart annahm und bald von selbst nichts tat, was nicht im Geschmack der Mutter lag. Sie hielt ihn stets einfach, aber gut und mit einem gewissen gewaehlten Geschmack in der Kleidung: dadurch fuehlte er sich sicher, bequem und zufrieden in seinem Anzuge und wurde nie veranlasst, an denselben zu denken, wurde mithin nicht eitel und lernte gar nie die Sucht kennen, sich besser oder anders zu kleiden, als er eben war. Aehnlich hielt sie es mit dem Essen; sie erfuellte alle billigen und unschaedlichen Wuensche aller drei Kinder und niemand bekam in ihrem Hause etwas zu essen, wovon diese nicht auch ihren Teil erhielten; aber trotz aller Regelmaessigkeit und Ausgiebigkeit behandelte sie die Nahrungsmittel mit solcher Leichtigkeit und Geringschaetzung, dass Fritzchen abermals von selbst lernte, kein besonderes Gewicht auf dieselben zu legen und, wenn er satt war, nicht von neuem an etwas unerhoert Gutes zu denken. Nur die entsetzliche Wichtigtuerei und Breitspurigkeit, mit welcher die meisten guten Frauen die Lebensmittel und deren Bereitung behandeln, erweckt gewoehnlich in den Kindern jene Geluestigkeit und Tellerleckerei, die, wenn sie gross werden, zum Hang nach Wohlleben und zur Verschwendung wird. Sonderbarerweise gilt durch den ganzen germanischen Voelkerstrich diejenige fuer die beste und tugendhafteste Hausfrau, welche am meisten Geraeusch macht mit ihren Schuesseln und Pfannen und nie zu sehen ist, ohne dass sie etwas Essbares zwischen den Fingern herumzerrt; was Wunder, dass die Herren Germanen dabei die groessten Esser werden, das ganze Lebensglueck auf eine wohlbestellte Kueche gegruendet wird und man ganz vergisst, welche Nebensache eigentlich das Essen auf dieser schnellen Lebensfahrt sei. Ebenso verfuhr sie mit dem, was sonst von den Eltern mit einer schrecklich ungeschickten Heiligkeit behandelt wird, mit dem Gelde. Sobald als tunlich liess sie ihren Sohn ihren Vermoegensstand mitwissen, fuer sie Geldsummen zaehlen und in das Behaeltnis legen, und sobald er nur imstande war, die Muenzen zu unterscheiden, liess sie ihm eine kleine Sparbuechse zu gaenzlich freier Verfuegung. Wenn er nun eine Dummheit machte oder eine arge Nascherei beging, so behandelte sie das nicht wie ein Kriminalverbrechen, sondern wies ihm mit wenig Worten die Laecherlichkeit und Unzweckmaessigkeit nach. Wenn er etwas entwendete oder sich aneignete, was ihm nicht zukam, oder einen jener heimlichen Ankaeufe machte, welche die Eltern so sehr erschrecken, machte sie keine Katastrophe daraus, sondern beschaemte ihn einfach und offen als einen toerichten und gedankenlosen Burschen. Desto strenger war sie gegen ihn, wenn er in Worten oder Gebaerden sich unedel und kleinlich betrug, was zwar nur selten vorkam; aber dann las sie ihm hart und schonungslos den Text und gab ihm so derbe Ohrfeigen, dass er die leidige Begebenheit nie vergass. Dies alles pflegt sonst entgegengesetzt behandelt zu werden. Wenn ein Kind mit Geld sich vergeht oder gar etwas irgendwo wegnimmt, so befaellt die Eltern und Lehrer eine ganz sonderbare Furcht vor einer verbrecherischen Zukunft, als ob sie selbst wuessten, wie schwierig es sei, kein Dieb oder Betrueger zu werden! Was unter hundert Faellen in neunundneunzig nur die momentan unerklaerlichen Einfaelle und Gelueste des traeumerisch wachsenden Kindes sind, das wird zum Gegenstand eines furchtbaren Strafgerichtes gemacht und von nichts als Galgen und Zuchthaus gesprochen. Als ob alle diese lieben Pflaenzchen bei erwachender Vernunft nicht von selbst durch die menschliche Selbstliebe, sogar bloss durch die Eitelkeit, davor gesichert wuerden, Diebe und Schelme sein zu wollen. Dagegen wie milde und freundschaftlich werden da tausend kleinere Zuege und Zeichen des Neides, der Missgunst, der Eitelkeit, der Anmassung, der moralischen Selbstsucht und Selbstgefaelligkeit behandelt und gehaetschelt! Wie schwer merken die wackern Erziehungsleute ein frueh verlogenes und verbluemtes inneres Wesen an einem Kinde, waehrend sie mit hoellischem Zeter ueber ein anderes herfahren, das aus Uebermut oder Verlegenheit ganz naiv eine vereinzelte derbe Luege gesagt hat. Denn hier haben sie eine greifliche bequeme Handhabe, um ihr donnerndes: Du sollst nicht luegen! dem kleinen erstaunten Erfindungsgenie in die Ohren zu schreien. Wenn Fritzchen eine solche derbe Luege vorbrachte, so sagte Frau Regel einfach, indem sie ihn gross ansah: "Was soll denn das heissen, du Affe? Warum luegst du solche Dummheiten? Glaubst du die grossen Leute zum Narren halten zu koennen? Sei du froh, wenn dich niemand anluegt, und lass dergleichen Spaesse!" Wenn er eine Notluege vorbrachte, um eine begangene Suende zu vertuschen, zeigte sie ihm mit ernsten aber liebevollen Worten, dass die Sache deswegen nicht ungeschehen sei, und wusste ihm klarzumachen, dass er sich besser befinde, wenn er offen und ehrlich einen begangenen Fehler eingestehe; aber sie baute keinen neuen Strafprozess auf die Luege, sondern behandelte die Sache ganz abgesehen davon, ob er gelogen oder nicht gelogen habe, so, dass er das Zwecklose und Kleinliche des Herausluegens bald fuehlte und hierfuer zu stolz wurde. Wenn er dagegen nur die leiseste Neigung verriet, sich irgend Eigenschaften beizulegen, die er nicht besass, oder etwas zu uebertreiben, was ihm gut zu stehen schien, oder sich mit etwas zu zieren, wozu er das Zeug nicht hatte, so tadelte sie ihn mit schneidenden harten Worten und versetzte ihm selbst einige Knueffe, wenn ihr die Sache zu arg und widerlich war. Ebenso, wenn sie bemerkte, dass er andere Kinder beim Spielen belog, um sich kleine Vorteile zu erwerben, strafte sie ihn haerter, als wenn er ein erkleckliches Vergehen abgeleugnet haette. Diese ganze Erzieherei kostete indessen kaum soviel Worte, als hier gebraucht wurden, um sie zu schildern, und sie beruhte allerdings mehr im Charakter der Frau Amrain, als in einem vorbedachten oder gar angelesenen System. Daher wird ein Teil ihres Verfahrens von Leuten, die nicht ihren Charakter besitzen, nicht befolgt werden koennen, waehrend ein anderer Teil, wie z. B. ihr Verhalten mit den Kleidern, mit der Nahrung und mit dem Gelde, von ganz armen Leuten nicht kann angewendet werden. Denn wo z. B. gar nichts zu essen ist, da wird dieses natuerlich jeden Augenblick zur naechsten Hauptsache, und Kindern, unter solchen Umstaenden erzogen, wird man schwer die Geluestigkeit abgewoehnen koennen, da alles Sinnen und Trachten des Hauses nach dem Essen gerichtet ist. Besonders waehrend der kleineren Jugend des Knaben war die Erziehungsmuehe seiner Mutter sehr gering, da sie, wie gesagt, weniger mit der Zunge, als mit ihrer ganzen Person erzog, wie sie leibte und lebte, und es also in einem zu ging mit ihrem sonstigen Dasein. Sollte man fragen, worin denn bei dieser leichten Art und Muehelosigkeit ihre besondere Treue und ihr Vorsatz bestand? so waere zu antworten: lediglich in der zugewandten Liebe, mit welcher sich das Wesen ihrer Person dem seinigen einpraegte und sie ihre Instinkte die seinigen werden liess. Doch blieb die Zeit nicht aus, wo sie allerdings einige vorsaetzliche und kraeftige Erziehungsmassregeln anwenden musste, als naemlich der gute Fritz herangewachsen war und sich fuer allbereits erzogen hielt, die Mutter aber erst recht auf der Wacht stand, da es sich nun entscheiden sollte, ob er in das gute oder schlechte Fahrwasser einlaufen wuerde. Es waren nur wenige Momente, wo sie etwas Entscheidendes und Energisches gegen seine junge Selbstaendigkeit unternahm, aber jedesmal zur rechten Zeit und so ploetzlich, einleuchtend und bedeutsam, dass es nie seiner bleibenden Wirkung ermangelte. Als Fritz bald achtzehn Jahre zaehlte, war er ein schoenes junges Buerschchen, fein anzusehen mit seinem blonden Haare und seinen blauen Augen, und von einer grossen Selbstaendigkeit und Sicherheit in allem was er tat. Er hatte bereits die Leitung des Geschaeftes uebernommen, was die Arbeit im Freien betraf, nachdem er schon vom vierzehnten Jahre an im Steinbruch tuechtig gearbeitet. Er machte ein ernsthaftes und kluges Gesicht und war dennoch aufgeraeumt und guter Dinge, und was seiner Mutter am besten gefiel, war seine Faehigkeit, mit allen Leuten umzugehen, ohne ihre Art anzunehmen. Sie hielt ihn nicht ab auszugehen, wenn es ihm langweilig war zu Hause, und mit anderen jungen Burschen zu verkehren; aber die scharf Aufmerkende sah mit Vergnuegen, dass er an der Weise der jungen Seldwyler, mit denen er abwechselnd verkehrte, bald mit diesem, bald mit jenem, keinen sonderlichen Geschmack gewann, sie ueberschaute und nur sich etwas mit ihnen die Zeit vertrieb, wie und solange er es fuer gut fand. Mit Vergnuegen sah sie auch, dass er sich nicht lumpen liess und bei Gelagen manche Flasche zum besten gab, ohne je fuer sich selbst schlimme Folgen davonzutragen, und dass er nicht in einen schlimmen oder schimpflichen Handel verwickelt wurde, obgleich er ueberall sich zu schaffen machte und wusste, wie es zugegangen, ohne dass er uebrigens ein Duckmaeuser und Aufpasser war. Auch hielt er was auf sich, ohne hochmuetig zu sein, und wusste s ich zu wehren, wenn es galt. Frau Regula war daher guten Mutes und dachte, das waere gerade die rechte Weise und ihr Soehnchen sei nicht auf den Kopf gefallen. Da bemerkte sie, dass er anfing zu erroeten, wenn schoene Maedchen ihm in den Weg kamen, dass er selbst haessliche Maedchen aufmerksam und kritisch betrachtete und dass er verlegen wurde, wenn eine huebsche runde und muntere Frau in der Stube war, waehrend er dieselbe doch heimlicherweise mit den Augen verschlang. Aus diesen drei Zeichen entnahm sie zwei Dinge: erstens, dass noch nichts an ihm verdorben sei, zweitens aber, dass wenn eine Gefahr fuer ihn vorhanden waere, auf den breiten Weg der Stadt zu toelpeln, diese Gefahr nur von seiten der Damen von Seldwyla herkommen koenne, und sie sagte sogleich in ihrem Herzen: Also da willst du hinaus, du Schuft? Die Schoenen dieser Stadt waren nicht schlimmer gesinnt als ihre Maenner und sie hielten, wenn sie erst zu Jahren kamen, noch manches zusammen, was diese lieber auch noch zerstreut haetten. Allein, da die Maenner sich gern lustig machten, so wollten sie, solange es ihnen gut erging, auch nicht zurueckbleiben, und bei dem schoenen Geschlecht laufen bekanntlich alle Abirrungen und Unzukoemmlichkeiten zuletzt nur auf ein und dasselbe Ende hinaus, jene alte Geschichte, welche vielfaeltige Rueckwirkungen auf das Wohl oder Weh der Herren Mitschuldigen mit sich fuehrt. Sonach ging es auch in dieser Hinsicht zu Seldwyla etwas lustiger zu, als an anderen Orten. Wie nun Frau Amrain ihre schwarzen Augen offenhielt und mit zorniger Bangigkeit aufmerkte, wann und wie man etwa ihr Kind verderben wolle, ergab sich bald eine Gelegenheit fuer ihr muetterliches Einschreiten. Es wurde eine grosse Hochzeit gefeiert auf dem Rathause und das neuvermaehlte Paar gehoerte den geraeuschvollsten und lustigsten Kreisen an, die gerade im Flor waren. Wie an anderen Orten der Schweiz, gibt es an den Hochzeiten zu Seldwyl, wenn Bankett und Ball am Abend stattfinden, zweierlei Gaeste: die eigentlichen geladenen Hochzeitsgaeste und dann die Freunde oder Verwandten dieser, welche ihnen scherzhafte Hochzeit- oder Tafelgeschenke ueberbringen mit allerlei Witzen, Gedichten und Anspielungen. Sie verkleiden sich zu diesem Ende hin in allerhand lustige Trachten, welche dem zu ueberbringenden Geschenk entsprechen, und sind maskiert, indem jeder seinen Freund oder seine Verwandte aufsucht, sich hinter deren Stuhl begibt, seine Gabe ueberreicht und seine Rede haelt. Fritz Amrain hatte sich schon vorgenommen, einem kleinen Baeschen einige Geschenke zu bringen, und die Mutter nichts dagegen gehabt, da das Maedchen noch sehr jung und sonst wohlgeartet war. Allein, weniger das Baeschen lockte ihn, als ein dunkles Verlangen, sich unter den lustigen Damen von Seldwyl einmal recht herumzutummeln, deren Froehlichkeit, wenn viele beisammen waren, ihm schon oft sehr anmutig geschildert worden. Er war nur noch unschluessig, welche Verkleidung er waehlen sollte, um auf der Hochzeit zu erscheinen, und erst am Abend entschloss er sich auf den Rat einiger Bekannten, sich als Frauenzimmer zu kleiden. Seine Mutter war eben ausgegangen, als er mit diesem lustigen Vorsatz nach Hause gelaufen kam und denselben sogleich ins Werk setzte. Ohne Schlimmes zu ahnen, geriet er ueber den Kleiderschrank seiner Mutter und warf da so lange alles durcheinander, von einem lachenden Dienstmaedchen unterstuetzt, bis er die besten und buntesten Toilettenstuecke zusammengesucht und sich angeeignet hatte. Er zog das schoenste und beste Kleid der Mutter an, das sie selbst nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, und wuehlte dazu aus den reichlichen Schachteln Krausen, Baender und sonstigen Putz hervor. Zum Ueberfluss hing er sich noch die Halskette der Mutter um und zog so, aus dem Groebsten geputzt, zu seinen Genossen, die sich inzwischen ebenfalls angekleidet. Dort vollendeten zwei muntere Schwestern seinen Anzug, indem sie vornehmlich seinen blonden Kopf auf das zierlichste frisierten und seine Brust mit einem sachgemaessen Frauenbusen ausschmueckten. Indem er so auf seinem Stuhle sass und diese Bemuehungen der wenig schuechternen Maedchen um sich geschehen liess, erroetete er einmal um das andere und das Herz klopfte ihm vor erwartungsvollem Vergnuegen, waehrend zugleich das boese Gewissen sich regte und ihm anfing zuzufluestern, die Sache mochte doch nicht so recht in der Ordnung sein. Als er daher mit seiner Gesellschaft dem Rathause zuzog, ein Koerbchen mit den Geschenken tragend, sah er so verschaemt und verwirrt aus, wie ein wirkliches Maedchen, und schlug die Augen nieder, und als er so auf der Hochzeit erschien, erregte er den allgemeinen Beifall besonders der versammelten Frauen. Waehrend der Zeit war aber seine Mutter nach Hause zurueckgekehrt und sah ihren offenstehenden Kleiderschrank sowie die Verwuestung, die er in Schachteln und Kaesten angerichtet. Als sie vollends vernahm, zu welchem Ende hin dies geschehen und dass ihre Hoffnung in Weiberkleidern, und noch dazu in ihren besten, ausgezogen sei, ueberfiel sie erst ein grosser Zorn, dann aber eine noch groessere Unruhe; denn nichts schien ihr geeigneter, einen jungen Menschen in das Lotterleben zu bringen, als wenn er in Weiberkleidern auf eine Seldwyler Hochzeit ging. Sie liess daher ihr Abendessen ungenossen stehen und ging eine Stunde lang in der groessten Unruhe umher, nicht wissend, wie sie ihren Sohn den drohenden Gefahren entreissen sollte. Es widerstrebte ihr, ihn kurzweg abrufen zu lassen und dadurch zu beschaemen; auch fuerchtete sie nicht mit Unrecht, dass er wuerde zurueckgehalten werden oder aus eigenem Willen nicht kommen duerfte. Und dennoch fuehlte sie wohl, wie er durch diese einzige Nacht auf eine entscheidende Weise auf die schlechte Seite verschlagen werden koenne. Sie entschloss sich endlich kurz, da es ihr nicht Ruhe liess, ihren Sohn selbst wegzuholen, und da sie mannigfacher Beziehungen wegen einen halben Vorwand hatte, selbst etwa ein Stuendchen auf der Hochzeit zu erscheinen, kleidete sie sich rasch um und waehlte einen Anzug, ein wenig besser als der alltaegliche und doch nicht festlich genug, um etwa zu hohe Achtung vor der lustigen Versammlung zu verraten. So begab sie sich also nach dem Rathaus, nur von dem Dienstmaedchen begleitet, welches ihr eine Laterne vorantrug. Sie betrat zuerst den Speisesaal; allein die erste Tafel und die Lustbarkeit mit den Geschenken war schon vorueber und die Ueberbringer derselben hatten ihre Masken abgenommen und sich unter die uebrigen Gaeste gemischt. In dem Saale war nichts zu sehen als einige Herrengesellschaften, die teils Karten spielten, teils zechten, und so stieg sie die Treppe nach einer altertuemlichen Galerie hinauf, von wo man den Saal uebersehen konnte, in welchem getanzt wurde. Diese Galerie war mit allerlei Volk angefuellt, das nicht im Flor war und hier dem Tanze zusehen durfte wie etwa die Einwohner einer Residenz einer Fuerstenhochzeit. Frau Regula konnte daher unbemerkt den Ball uebersehen, der so ziemlich feierlich vor sich ging und die allgemeine Luesternheit und Begehrlichkeit mit seinem steifen und laecherlichen Zeremoniell zur Not verdeckte. Denn dies haetten die Seldwyler nicht anders getan; sie huldigten vielmehr dem Spruch: Alles zu seiner Zeit! und wenn sie mit wenig Muehe das Schauspiel eines nach ihren Begriffen noblen Balles geben oder geniessen konnten, warum sollten sie es unterlassen? Fritzchen Amrain aber war unter den Tanzenden nicht zu erblicken, und je laenger ihn seine Mutter mit den Augen suchte, desto weniger fand sie ihn. Je laenger sie ihn aber nicht fand, desto mehr wuenschte sie ihn zu sehen, nicht allein mehr aus Besorgnis, sondern auch um wirklich zu schauen, wie er sich eigentlich ausnaehme und ob er in seiner Dummheit nicht noch die Laecherlichkeit zum Leichtsinn hinzugefuegt habe, indem er als eine ungeschickt angezogene schlottrige Weibsperson sich weiss Gott wo herumtreibe? In diesen Untersuchungen geriet sie auf einen Seitengang der hohen Galerie, welcher mit einem Fenster endigte, das mit einem Vorhang versehen und bestimmt war, Licht in eben diesen Gang einzulassen. Das Fenster aber ging in das kleinere Ratszimmer, ein altes gotisches Gemach, und war hoch an dessen Wand zu sehen. Wie sie nun jenen Vorhang ein wenig lueftete und in das tiefe Gemach hinunterschaute, welches durch einen seltsamen Firlefanz von Kronleuchtern ziemlich schwach erleuchtet war, erblickte sie eine kleinere Gesellschaft, die da in aller Stille und Froehlichkeit sich zu unterhalten schien. Als Frau Regel genauer hinsah, erkannte sie sieben bis acht verheiratete, Frauen, deren Maenner sie schon in dem Speisesaal hatte spielen sehen zu einem hohen und prahlerischen Satze. Diese Frauen sassen in einem engen Halbkreise und vor ihnen ebensoviel junge Maenner, die ihnen den Hof machten. Unter letzteren war Fritz abermals nicht zu finden und seine Mutter hierueber sehr froh, da der Kreis dieser Damen nichts weniger als beruhigend anzusehen war. Denn als sie dieselben einzeln musterte, waren es lauter juengere Frauen, welche jede auf ihre Weise fuer gefaehrlich galt und in der Stadt, wenn auch nicht eines schlimmen, doch eines geheimnisvollen Rufes genoss, was bei der herrschenden Duldsamkeit immer noch genug war. Da sass erstens die nicht haessliche Adele Anderau, welche ueppig und verlockend anzusehen war, ohne dass man recht wusste, woran es lag, und welche alle jungen Leute jezuweilen mit halbgeschlossenen Augen so anzublicken wusste in einem windstillen Augenblick, dass sie einen seltsamen Funken von hoffnungsreichem Verlangen in ihr Herz schleuderte. Aber zehn derselben liess sie schonungslos und mit Aufsehen abziehen, um desto regelmaessiger den elften in einer sichern Stunde zu begluecken. Da war ferner die leidenschaftliche Julie Haider, welche ihren Mann oeffentlich und vor so vielen Zeugen als moeglich stuermisch liebkoste, die gluehendste Eifersucht auf ihn an den Tag legte und fortwaehrend der Untreue anklagte, dies alles solange, bis irgendein dritter den fuehllosen Gatten beneidete und solcher Leidenschaftlichkeit teilhaftig zu werden trachtete. Da trauerte auch die sanfte Emmeline Ackerstein, welche eine Dulderin war und von ihrem Manne misshandelt wurde, weil sie gar nichts gelernt hatte und das Hauswesen vernachlaessigte; diese sah bleich und schmachtend aus und sank mit Traenen dem in die Arme, der sie troesten mochte. Auch die schlimme Lieschen Aufdermaur war da, welche solange Klatschereien und Zaenkereien anrichtete, bis irgendein Aufgebrachter, den sie verleumdet, sie unter vier Augen in die Klemme brachte und sich an ihr raechte. Dann folgte, ausser zwei oder drei aufgeweckten Wesen, welche ohne weitere Begruendungen schlechtweg taten was sie mochten, die stille Theresa Gut, welche aeusserst teilnahmlos weder rechts noch links sah, niemandem entgegenkam und kaum antwortete, wenn man sie anredete, welche aber, zufaellig in ein Abenteuer verwickelt und angegriffen, unerwarteterweise lachte wie eine Naerrin und alles geschehen liess. Endlich sass auch dort das leichtsinnige Kaethchen Amhag, welches immer eine Menge heimlicher Schulden zu tragen hatte. Nachdem Frau Amrain die Beschaffenheit dieses weiblichen Kreises erkannt, wollte sie eben Gott danken, dass ihr Sohn wenigstens auch da nicht zu erblicken sei, als sie noch eine weibliche Gestalt zwischen ihnen entdeckte, die sie im ersten Augenblick nicht kannte, obgleich sie dieselbe schon gesehen zu haben glaubte. Es war ein grosses praechtig gewachsenes Wesen von amazonenhafter Haltung und mit einem kecken blonden Lockenkopfe, das aber hold verschaemt und verliebt unter den lustigen Frauen sass und von ihnen sehr aufmerksam behandelt wurde. Beim zweiten Blick erkannte sie jedoch ihren Sohn und ihr violettes Seidenkleid zugleich und sah, wie trefflich ihm dasselbe sass, und musste sich auch gestehen, dass er ganz geschickt und reizend ausgeputzt sei. Aber im gleichen Augenblicke sah sie auch, wie ihn seine eine Nachbarin kuesste, infolge irgendeines Unterhaltungsspieles, das die froehliche Gesellschaft eben beschaeftigte, und wie er gleichzeitig die andere Nachbarin kuesste, und nun hielt sie den Zeitpunkt fuer gekommen, wo sie ihrem Sohne den Dienst, welchen er ihr als fuenfjaehriges Knaeblein geleistet, erwidern konnte. Sie stieg ungesaeumt die Treppe hinunter und trat in das Zimmer, die ueberraschte Gesellschaft bescheiden und hoeflich begruessend. Alles erhob sich verlegen; denn obgleich sie sattsam durchgehechelt wurde in der Stadt, so floesste sie doch Achtung ein, wo sie erschien. Die jungen Maenner gruessten sie mit aufrichtig verlegener Ehrerbietung, und um so aufrichtiger, je wilder sie sonst waren; von den Frauen aber wollte keine scheinen, als ob sie mit der achtbarsten Frau der Stadt etwa schlecht staende und nicht mit ihr umzugehen wuesste, weshalb sie sich mit grossem Geraeusch um sie draengten, als sie sich von ihrer UEberraschung etwas erholt. Am verbluefftesten war jedoch Fritz, welcher nicht mehr wusste, wie er sich in dem Kleide seiner Mutter zu gebaerden habe; denn dies war jetzt ploetzlich sein erster Schrecken und er bezog den ernsten Blick, den sie einstweilen auf ihn geworfen, nur auf die gute Seide dieses Kleides. Andere Bedenken waren noch nicht ernstlich in ihm aufgestiegen, da in der allgemeinen Lust der Scherz zu gewoehnlich und erlaubt schien. Als alle sich wieder gesetzt hatten und nachdem sich Frau Amrain ein Viertelstuendchen freundlich mit den jungen Leuten unterhalten, winkte sie ihren Sohn zu sich und sagte ihm, er moechte sie nach Hause begleiten, da sie gehen wolle. Als er sich dazu ganz bereit erklaerte, fluesterte sie ihm aber mit strengem Tone zu: "Wenn ich von einem Weibe will begleitet sein, so konnte ich die Grete hier behalten, die mir hergeleuchtet hat! Du wirst so gut sein und erst heimlaufen, um Kleider anzuziehen, die dir besser stehen, als diese hier!" Erst jetzt merkte er, dass die Sache nicht richtig sei; tief erroetend machte er sich fort, und als er ueber die Strasse eilte und das rauschende Kleid ihm so ungewohnt gegen die Fuesse schlug, waehrend der Nachtwaechter ihm verdaechtig nachsah, merkte er erst recht, dass das eine ungeeignete Tracht waere fuer einen jungen Republikaner, in der man niemandem ins Gesicht sehen duerfe. Als er aber, zu Hause angekommen, sich hastig umkleidete, fiel es ihm ein, dass nun die Mutter allein unter dem Volke auf dem Rathause sitze, und dieser Gedanke machte ihn ploetzlich und sonderbarerweise so zornig und besorgt um ihre Ehre, dass er sich beeilte nur wieder hinzukommen und sie abzuholen. Auch glaubte er ihr einen rechten Ritterdienst damit zu erweisen, dass er so puenktlich wieder erschien, und alle etwaigen Unebenheiten dadurch aufs schoenste ausgeglichen. Frau Amrain aber empfahl sich der Gesellschaft und ging ernst und schweigsam neben ihrem Sohne nach Hause. Dort setzte sie sich seufzend auf ihren gewohnten Sessel und schwieg eine Weile; dann aber stand sie auf, ergriff das daliegende Staatskleid und zerriss es in Stuecken, indem sie sagte: "Das kann ich nun wegwerfen, denn tragen werde ich es nie mehr!" "Warum denn?" sagte Fritz erstaunt und wieder kleinlaut. "Wie werde ich," erwiderte sie, "ein Kleid ferner tragen, in welchem mein Sohn unter liederlichen Weibern gesessen hat, selber einem gleichsehend?" Und sie brach in Traenen aus und hiess ihn zu Bette gehen. "Hoho", sagte er, als er ging, "das wird denn doch nicht so gefaehrlich sein." Er konnte aber nicht einschlafen, da sein Kopf sowohl von der unterbrochenen Lustbarkeit als auch von den Worten der Mutter aufgeregt war; es gab also Musse, ueber die Sache nachzudenken, und er fand, dass die Mutter einigermassen recht habe, aber er fand dies nur insofern, als er selbst die Leute verachtete, mit denen er sich eben vergnuegt hatte. Auch fuehlte er sich durch diese Auslegung eher geschmeichelt in seinem Stolze, und erst, als die Mutter am Morgen und die folgenden Tage ernst und traurig blieb, kam er dem Grunde der Sache naeher. Es wurde kein Wort mehr darueber gesprochen; aber Fritz war fuer einmal gerettet, denn er schaemte sich vor seiner Mutter mehr, als vor der ganzen uebrigen Welt. Waehrend einiger Monate fand sie keine Ursache, neue Besorgnisse zu hegen, bis eines Tages, als ein bluehendes junges Landmaedchen sich einfand, um den Dienst bei ihr nachzusuchen, Fritz dasselbe unverwandt betrachtete und endlich auf es zutrat und, alles andere vergessend, ihm die Wangen streichelte. Er erschrak sogleich selbst darueber und ging hinaus; die Mutter erschrak auch und das Maedchen wurde rot und zornig und wandte sich, ohne weitern Aufenthalt zu gehen. Als Frau Amrain dies sah, hielt sie es zurueck und nahm es mit einiger UEberredung in ihren Dienst. Nun muss es biegen oder brechen, dachte sie und fuehlte gleichzeitig, dass auf dem bisherigen, bloss verneinenden Wege dies Blut sich nicht laenger meistern liess. Sie naeherte sich deshalb noch am selben Tage ihrem Sohne, als er mit seinem Vesperbrote sich unter eine schattige Rebenlaube gesetzt hatte hinter dem Hause, von wo man zum Teil hinaus in die Ferne sah nach blauen Hoehenstrichen, wo andere Leute wohnten. Sie legte ihren Arm um seine Schultern, sah ihm freundlich in die Augen und sagte: "Lieber Fritz! Sei mir jetzt nur noch zwei oder drei Jaehrchen brav und gehorsam, und ich will dir das schoenste und beste Frauchen verschaffen aus meinem Ort, dass du dir was darauf einbilden kannst!" Fritz schlug erroetend die Augen nieder, wurde ganz verlegen und erwiderte muerrisch: "Wer sagt denn, dass ich eine Frau haben wolle?" "Du sollst aber eine haben!" versetzte sie, "und wie ich sage, eine von guter und schoener Art; aber nur, wenn du sie verdienst; denn ich werde mich hueten, eine rechtschaffene Tochter hierher ins Elend zu bringen!" Damit kuesste sie ihren Sohn, wie sie seit undenklicher Zeit nicht getan, und ging ins Haus zurueck. Es ward ihm aber auf einmal ganz seltsam zumute und von Stund an waren seine Gedanken auf eine solche gute und schoene Frau gerichtet, und diese Gedanken schmeichelten ihm so sehr und beschaeftigten ihn so anhaltend, dass er darueber keine Frauensperson in Seldwyla mehr ansah. Die Zaertlichkeit, mit welcher die Mutter ihm solche Ideen beigebracht, gab seinen Wuenschen eine innigere und edlere Richtung, und er fuehlte sich wohlgeborgen, da man es so gut mit ihm meine. Er wartete aber die zwei Jahre und die Anstalten seiner Mutter nicht ab, sondern fing schon in der naechsten Zeit an, an schoenen Sonntagen ins Land hinaus zu gehen und insbesondere in der Heimat der Mutter herumzukreuzen. Er war bis jetzt kaum einmal dort gewesen und wurde von den Verwandten und Freunden seiner Mutter um so freundlicher aufgenommen, als sie grosses Wohlgefallen an dem huebschen Juengling fanden und er zudem eine Art Merkwuerdigkeit war als ein wohlgeratener, fester und nicht prahlerischer Seldwyler. Er machte sich ordentlich heimisch in jenen Gegenden, was seine Mutter wohl merkte und geschehen liess, aber sie ahnte nicht, dass er, ehe sie es vermutete, schon in bester Form einen Schatz hatte, der ihm allen von der Mutter ihm gemachten Vorspiegelungen vollkommen zu entsprechen schien. Als sie davon erfuhr, machte sie sich dahinter her, voll Besorgnis, wer es sein moechte, und fand zu ihrer frohen Verwunderung, dass er nun gaenzlich auf einem guten Wege sei; denn sie musste den Geschmack und das Urteil des Sohnes nur loben und ebenso dessen ungetruebte Treue und Froehlichkeit, mit welcher er dem erwaehlten Maedchen anhing, so dass sie sich aller weitern Zucht und aller Listen endlich enthoben sah. Diese Klippe war unterdessen kaum gluecklich umschifft, als sich eine andere zeigte, welche noch gefaehrlicher zu werden drohte, und der Frau Regula abermals Gelegenheit gab, ihre Klugheit zu erproben. Denn die Zeit war nun da, wo Fritz, der Sohn, anfing zu politisieren und damit mehr als durch alles andere in die Gemeinschaft seiner Mitbuerger gezogen wurde. Er war ein liberaler Gesell, wegen seiner Jugend, seines Verstandes, seines ruhigen Gewissens in Hinsicht seiner persoenlichen Pflichterfuellung und aus anererbtem Mutterwitz. Obgleich man nach gewoehnlicher oberflaechlicher Anschauungsweise etwa haette meinen koennen, Frau Amrain waere aristokratischer Gesinnung gewesen, weil sie die meisten Leute verachten musste, unter denen sie lebte, so war dem doch nicht also; denn hoeher und feiner als die Verachtung ist die Achtung vor der Welt im ganzen. Wer freisinnig ist, traut sich und der Welt etwas Gutes zu und weiss mannhaft von nichts anderem, als dass man hierfuer einzustehen vermoege, waehrend der Unfreisinn oder der Konservatismus auf Zaghaftigkeit und Beschraenktheit gegruendet ist. Diese lassen sich aber schwer mit wahrer Maennlichkeit vereinigen. Vor tausend Jahren begann die Zeit, da nur derjenige fuer einen vollkommenen Helden und Rittersmann galt, der zugleich ein frommer Christ war; denn im Christentum lag damals die Menschlichkeit und Aufklaerung. Heute kann man sagen: sei einer so tapfer und resolut, als er wolle, wenn er nicht vermag freisinnig zu sein, so ist er kein ganzer Mann. Und die Frau Regula hatte, nachdem sie sich einmal an ihrem Eheherrn so getaeuscht, zu strenge Regeln in ihrem Geschmack betreffs der Mannestugend angenommen, als dass sie eine feste und sichere Freisinnigkeit daran vermissen wollte. UEbrigens, als ihr Mann um sie geworben, hatte er in allem Flor eines jugendlichen Radikalismus geglaenzt, welchen er freilich mehr in der Weise handhabte, wie ein Lehrling die erste silberne Sackuhr. Abgesehen von diesen Geschmacksgruenden aber war sie aus einem Orte gebuertig, wo seit unvordenklichen Zeiten jedermann freisinnig gewesen und der im Laufe der Zeit bei jeder Gelegenheit sich als ein entschlossenes, tatkraeftiges und sich gleichbleibendes Buergernest hervorgetan, so dass, wenn es hiess: die von So und So haben dies gesagt oder jenes getan! sie gleich einen ganzen Landstrich mitnahmen und einen kraeftigen Anstoss gaben. Wenn also Frau Amrain in den Fall kam, ihre Meinung ueber einen Streit festzustellen, so hoerte sie nicht auf das, was die Seldwyler, sondern auf das, was die Leute ihrer Jugendheimat sagten, und richtete ihre Gedanken dorthin. Alles das waren Gruende genug fuer Fritz, ein guter Liberaler zu sein, ohne absonderliche Studien gemacht zu haben. Was nun die naechste Gefahr anbelangt, welche da, wo das Wort und die rechtlichen Handlungen frei sind und die Leute sich das Wetter selbst machen, fuer einen politisch Aufgeregten entsteht, naemlich die Gefahr, ein Muessiggaenger und Schenkelaeufer zu werden, so war dieselbe zu Seldwyla allerdings noch groesser, als an anderen Schweizerorten, welche mit der ganzen Alten Welt noch an der gemuetlichen ostlaendischen Weise festhalten, das Wichtigste in breiter halbtraeumender Ruhe an den Quellen des Getraenkes oder bei irgendeinem Genusse zu verhandeln und immer wieder zu verhandeln. Und doch sollte das nicht so sein; denn ein gutes Glas in froehlicher Ruhe zu trinken, ist ein Zweck, ein Lohn oder eine Frucht, und, wenn man das in einem tiefern Sinne nimmt, das Ausueben politischer Rechte bloss ein Mittel, dazu zu gelangen. Indessen war fuer Fritz diese Gefahr nicht betraechtlich, weil er schon zu sehr an Ordnung und Arbeit gewoehnt war und es ihn gerade zu Seldwyla nicht reizte, den anderen nachzufahren. Groesser war schon die Gefahr fuer ihn, ein Schwaetzer und Prahler zu werden, der immer das gleiche sagt und sich selbst gern reden hoert; denn in solcher Jugend verfuehrt nichts so leicht dazu, als das lebendige Empfinden von Grundsaetzen und Meinungen, welche man zur Schau stellen darf ohne Rueckhalt, da sie gemeinnuetzig sind und das Wohl aller betreffen. Als er aber wirklich begann, Tag und Nacht von Politik zu sprechen, ein und dieselbe Sache ewig herumzerrte und jene kindische Manier annahm, durch blindes Behaupten sich selbst zu betaeuben und zu tun, als ob es wirklich so gehen muesse, wie man wuenscht und behauptet, da sagte seine Mutter ein einzigesmal, als er eben im schoensten Eifer war, ganz unerwartet: "Was ist denn das fuer ein ewiges Schwatzen und Kannegiessern? Ich mag das nicht hoeren! Wenn du es nicht lassen kannst, so geh auf die Gasse oder ins Wirtshaus, hier in der Stube will ich den Laerm nicht haben!" Dies war ein Wort zur rechten Zeit gesprochen; Fritz blieb in seiner also durchschnittenen Rede ganz verbluefft stecken und wusste gar nichts zu sagen. Er ging hinaus, und indem er ueber dies wunderliche Ereignis nachgruebelte, fing er an sich zu schaemen, so dass er erst eine gute halbe Stunde nachher rot wurde bis hinter die Ohren, von Stund an geheilt war und seine Politik mit weniger Worten und mehr Gedanken abzumachen sich gewoehnte. So gut traf ihn der einmalige Vorwurf aus Frauenmund, ein Schwaetzer und Kannegiesser zu sein. Um so groesser erwies sich nun die dritte, entgegengesetzte Gefahr, an uebel gewendeter Tatkraft zu verderben. So wetterwendisch naemlich sonst die Seldwyler in ihren politischen Stimmungen waren, so beharrlich blieben sie in der Teilnahme an allem Freischaren- und Zuzuegerwesen, und wenn irgendwo in der Nachbarschaft es galt, gewaltsam ein widerstehendes Regiment zu sprengen, eine schwache Mehrheit einzuschuechtern oder einer trotzigen ungefuegigen Minderheit bewaffnet beizuspringen, so zog jedesmal, mochte nun die herrschende Stimmung sein, welche sie wollte, von Seldwyla ein Trupp bewaffneter Leute aus, nach dem aufgeregten Punkte hin, bald bei Nacht und Nebel auf Seitenwegen, bald am hellen Tage auf offener Landstrasse, je nachdem ihnen die Luft sicher schien. Denn nichts duenkte sie so ergoetzlich, als bei schoenem Wetter einige Tage im Lande herumzustreichen, so sechzig oder siebenzig, wohlbewaffnet mit feinen Zielgewehren, versehen mit gewichtigen drohenden Bleikugeln und silbernen Talern, mittelst letzterer sich in den besetzten Wirtshaeusern guetlich zu tun und mit tuechtigem Hallo, das Glas in der Hand, auf andere Zuzuege zu stossen, denen es ebenfalls mehr oder minder Ernst war. Da nun das Gesetzliche und das Leidenschaftliche, das Vertragsmaessige und das urspruenglich Naturwuechsige, der Bestand und das Revolutionaere zusammen erst das Leben ausmachen und es vorwaerts bringen, so war hiergegen nichts zu sagen, als: seht euch vor, was ihr ausrichtet! Nun aber erfuhren die Seldwyler den eigenen Unstern, dass sie bei ihren Auszuegen immerdar entweder zu frueh oder zu spaet und am unrechten Orte eintrafen und gar nicht zum Schusse kamen, wenn sie nicht auf dem Heimwege, der dann nach mannigfachem Hin- und Herreden und genugsamem Trinken eingeschlagen wurde, zum Vergnuegen wenigstens einige Patronen in die Luft schossen. Doch dies genuegte ihnen, sie waren gewissermassen dabei gewesen und es hiess im Lande, die Seldwyler seien auch ausgerueckt in schoener Haltung, lauter Maenner mit gezogenen Buechsen und goldenen Uhren in der Tasche. Als es das erstemal begegnete, dass Fritz Amrain von einem solchen Ausruecken hoerte und zugleich seines Alters halber faehig war mitzugehen, lief er, da es soweit eine gute Sache betraf, sogleich nach Hause, denn es war eben die hoechste Zeit und der Trupp im Begriff aufzubrechen. Zu Hause zog er seine besten Kleider an, steckte genugsam Geld zu sich, hing seine Patronentasche um und ergriff sein wohl instand gehaltenes Infanteriegewehr, denn da er bereits ein ordentlicher und handfester junger Fluegelmann war, dachte er nicht daran, mit einer kostbaren Schuetzenwaffe zu prahlen, die er nicht zu handhaben verstand, sondern aufrichtig und emsig sein leichtes Gewehr zu laden und loszubrennen, sobald er irgend vor den Mann kommen wuerde; und er sah sehnsuechtig im Geiste schon nichts anderes mehr, als den letzten Huegel, die letzte Strassenecke, um welche herumbiegend man den verhassten Gegner erblicken und es losgehen wuerde mit Puffen und Knallen. Er nahm nicht das geringste Gepaeck mit und verabschiedete sich kaum bei der Mutter, die ihm aufgebracht und mit klopfendem Herzen, aber schweigend zusah. "Adieu!" sagte er, "morgen oder uebermorgen frueh spaetestens sind wir wieder hier!" und ging weg, ohne ihr nur die Hand zu geben, als ob er nur in den Steinbruch hinausginge, um die Arbeiter anzutreiben. So liess sie ihn auch gehen ohne Einwendung, da es ihr widerstand, den huebschen jungen Burschen von solcher ersten Mutesaeusserung abzuhalten, ehe die Zeit und die Erfahrung ihn selber belehrt. Vielmehr sah sie ihm durch das Fenster wohlgefaellig nach, als er so leicht und froh dahinschritt. Doch ging sie nicht einmal ganz an das Fenster, sondern blieb in der Mitte der Stube stehen und schaute von da aus hin. Uebrigens war sie selbst mutigen Charakters und hegte nicht sonderliche Sorgen, zumal sie wohl wusste, wie diese Auszuege von Seldwyla abzulaufen pflegten. Fritz kam denn auch richtig schon am anderen Morgen ganz in der Fruehe wieder an und stahl sich ziemlich verschaemt in das Haus. Er war ermuedet, ueberwacht, von vielem Weintrinken abgespannt und schlechter Laune und hatte nicht das mindeste erlebt oder ausgerichtet, ausser dass er seinen feinen Rock verdorben durch das Herumlungern und sein Geldbeutel geleert war. Als seine Mutter dies bemerkte und als sie ueberdies sah, dass er nicht wie die anderen, die inzwischen auch gruppenweise zurueckgeschlendert kamen, nur die Kleider wechselte, neues Geld zu sich steckte und nach dem Wirtshause eilte, um da den misslungenen Feldzug auseinanderzusetzen und sich nach den ermuedenden Nichttaten zu staerken, sondern dass er eine Stunde lang schlief und dann schweigend an seine Geschaefte ging, da ward sie in ihrem Herzen froh und dachte, dieser merke von selber, was die Glocke geschlagen. Indessen dauerte es kaum ein halbes Jahr, als sich eine neue Gelegenheit zeigte, auszuziehen nach einer anderen Seite hin, und die Seldwyler auch wirklich wieder auszogen. Eine benachbarte Regierung sollte gestuerzt werden, welche sich auf eine ganz kleine Mehrheit eines andaechtigen gutkatholischen Landvolkes stuetzte. Da aber dies Landvolk seine andaechtige Gesinnung und politische Meinung ebenso handlich, munter und leidenschaftlich betrieb und bei den Wahlvorgaengen ebenso geschlossen und pruegelfertig zusammenhielt, wie die aufgeklaerten Gegner, so empfanden diese einen heftigen und ungeduldigen Verdruss, und es wurde beschlossen, jenen vernagelten Dummkoepfen durch einen mutigen Handstreich zu zeigen, wer Meister im Lande sei, und zahlreiche Parteigenossen umliegender Kantone hatten ihren Zuzug zugesagt, als ob ein Hering zu einem Lachs wuerde, wenn man ihm den Kopf abbeisst und sagt: dies soll ein Lachs sein! Aber in Zeiten des Umschwunges, wenn ein neuer Geist umgeht, hat die alte Schale des gewohnten Rechtes keinen Wert mehr, da der Kern heraus ist, und ein neues Rechtsbewusstsein muss erst erlernt und angewoehnt werden, damit "rechtlich am laengsten waere", das heisst, solange der neue Geist lebt und waehrt, bis er wiederum veraltet ist und das Auslegen und Zanken um die Schale des Rechtes von neuem angeht. Als gewohnterweise wieder einige Dutzend Seldwyler beisammen waren, um als ein tapferes Haeuflein auszuruecken und der verhassten Nachbarregierung vom Amte zu helfen, war Frau Regel Amrain guter Laune, indem sie dachte, diese bewaffneten Kannegiesser waeren diesmal recht angefuehrt, wenn sie glaubten, dass ihr Sohn mitginge; denn nach ihren bisherigen Erfahrungen, laut welchen das wackere Blut stets durch eine einmalige Lehre sich gebessert, musste es ihm jetzt nicht einfallen mitzugehen. Aber siehe da! Fritz erschien unversehens; als sie ihn bei seinen Geschaeften glaubte, im Hause, buerstete seine starken Werkeltagskleider wohl aus und steckte die Buerste nebst anderen Ausruestungsgegenstaenden und einige Waesche in eine Reisetasche, welche er umhing, kreuzweise mit der wohlgefuellten Patrontasche; dann ergriff er abermals sein Gewehr und senkte es zum Gehen, nachdem er mit dem Daumen einige Male den Hahn hin und her gezogen, um die Federkraft des Schlosses zu erproben. "Diesmal", sagte er, "wollen wir die Sache anders angreifen, adieu!" und so zog er ab, ungehindert von der Mutter, welcher es abermals unmoeglich war, ihn von seinem Tun abzuhalten, da sie Wohl sah, dass es ihm Ernst war. Um so besorgter war sie jetzt ploetzlich und sie erbleichte einen Augenblick lang, waehrend sie abermals mit Wohlgefallen seine Entschlossenheit bemerkte. Die Seldwyler Schar kehrte am naechsten Tage ganz in der alten Weise zurueck, ohne noch zu wissen, wie es auf dem Kampfplatze ergangen; denn da sie die Grenze ein bisschen ueberschritten hatten, fanden sie das dasige Laendchen sehr aufgeregt und die Bauern darueber erbost, dass man solchergestalt auf ihrem Territorium erscheine, wie zu den Zeiten des Faustrechtes. Sie stellten jedoch kein Hindernis entgegen, sondern standen nur an den Wegen mit spoettischen Gesichtern, welche zu sagen schienen, dass sie die Eindringlinge einstweilen vorwaerts spazieren lassen, aber auf dem Rueckwege dann naeher ansehen wollten. Dies kam den Seldwylern gar nicht geheuer vor und sie beschlossen deshalb, das versprochene Eintreffen anderer Zuzuege abzuwarten, ehe sie weiter gingen. Als diese aber nicht kamen und ein Geruecht sich verbreitete, der Putsch sei schon vorueber und guenstig abgelaufen, machten sie sich endlich wieder auf den Rueckweg mit Ausnahme des Fritz Amrain, welcher seelenallein und trotzig verwegen sich von ihnen trennte und mitten durch das gegnerische Gebiet wegmarschierte auf dessen Hauptstadt zu. Denn er hatte, indem er seine Gefaehrten zechen und schwatzen liess, sich erkundigt und vernommen, dass ein Haeuflein Bursche aus dem Geburtsorte seiner Mutter einige Stunden von da eintreffen wuerde, und zu diesen gedachte er zu stossen. Er erreichte sie auch ohne Gefaehrde, weil er rasch und unbekuemmert seinen Weg ging, und drang mit ihnen ungesaeumt vorwaerts. Allein die Sache schlug fehl, jene schwankhafte Regierung behauptete sich fuer diesmal wieder durch einige guenstige Zufaelle, und sobald diese sich deutlich entwickelt, tat sich das Landvolk zusammen, stroemte der Hauptstadt zu in die Wette mit den Freizuegern und versperrte diesen die Wege, so dass Fritz und seine Genossen, noch ehe sie die Stadt erreichten, zwischen zwei grossen Haufen bewaffneter Bauern gerieten, und, da sie sich mannlich durchzuschlagen gedachten, ein Gefecht sich unverweilt entspann. So sah sich denn Fritz angesichts fremder Dorfschaften und Kirchtuerme ladend, schiessend und wieder ladend, indessen die Glocken stuermten und heulten ueber den verwegenen Einbruch und den Verdruss des beleidigten Bodens auszuklagen schienen. Wo sich die kleine Schar hinwandte, wichen die Landleute mit grossem Laerm etwas zurueck; denn ihre junge Mannschaft war im Soldatenrock schon nach der Stadt gezogen worden, und was sich hier den Angreifern entgegenstellte, bestand mehr aus alten und ganz jungen unerwachsenen Leuten, von Priestern, Kuestern und selbst Weibern angefeuert. Aber sie zogen sich dennoch immer dichter zusammen, und nachdem erst einige unter ihnen verwundet waren, stellte gerade dieser dunkle Saum erschreckter alter Menschen, Weiber und Priester, die sich zusammen den Landsturm nannten, das aufgebrachte und beleidigte Gebiet vor und die Glocken schrien den Zorn ueber alles Getoese hinweg weit in das Land hinaus. Aber der drohende Saum zog sich immer enger und enger um die fechtenden Parteigaenger, einige entschlossene und erfahrene Alte gingen voran, und es dauerte nicht mehr lange, so waren die Freischaerler gefangen. Sie ergaben sich ohne weiteres, als sie sahen, dass sie alles gegen sich hatten, was hier wohnte. Wenn man im offenen Kriege vom Reichsfeind gefangen wird, so ist das ein Unstern wie ein anderer und kraenkt den Mann nicht tiefer; aber von seinen Mitbuergern als ein gewalttaetiger politischer Widersacher gefangen zu werden, ist so demuetigend und kraenkend, als irgend etwas auf Erden sein kann. Kaum waren sie entwaffnet und von dem Volke umringt, als alle moeglichen Ehrentitel auf sie niederregneten: Landfriedenbrecher, Freischaerler, Raeuber, Buben waren noch die mildesten Ausrufe, die sie zu hoeren bekamen. Zudem wurden sie von vorn und hinten betrachtet wie wilde Tiere, und je solider sie in ihrer Tracht und Haltung aussahen, desto erboster schienen die Bauern darueber zu werden, dass solche Leute solche Streiche machten. So hatten sie nun nichts weiter zu tun, als zu stehen oder zu gehen, wo und wie man ihnen befahl, hierhin, dorthin, wie es dem vielkoepfigen Souveraen beliebte, welchem sie sein Recht hatten nehmen wollen. Und er uebte es jetzt in reichlichem Masse aus und es fehlte nicht an Knueffen und Pueffen, wenn die Herren Gefangenen sich trotzig zeigten oder nicht gehorchen wollten. Jeder schrie ihnen eine gute Lehre zu: "Waeret ihr zu Hause geblieben, so brauchtet ihr uns nicht zu gehorchen! Wer hat euch hergerufen? Da ihr uns regieren wolltet, so wollen wir nun euch auch regieren, ihr Spitzbuben! Was bezieht ihr fuer Gehalt fuer euer Geschaeft, was fuer Sold fuer euer Kriegswesen? Wo habt ihr eure Kriegskasse und wo euren General? Pflegt ihr oft auszuziehen ohne Trompeter, so in der Stille? Oder habt ihr den Trompeter heimgeschickt, um euren Sieg zu verkuenden? Glaubtet ihr, die Luft in unserm Gebiet sei schlechter als eure, da ihr kamet, sie mit Bleikugeln zu peitschen? Habt ihr schon gefruehstueckt, ihr Herren? Oder wollt ihr ins Gras beissen? Verdienen wuerdet ihr es wohl! Habt ihr geglaubt, wir haetten hier keinen ordentlichen Staat, wir stellten gar nichts vor in unserem Laendchen, dass ihr da rottenweise herumstreicht ohne Erlaubnis? Wolltet ihr Fuechse fangen oder Kaninchen? Schoene Bundesgenossen, die uns mit dem Schiesspruegel in der Hand unser gutes Recht stellen wollen! Ihr koennt euch bei denen bedanken, die euch hergerufen; denn man wird euch eine schoene Mahlzeit anrichten! Ihr duerfet einstweilen unsere Zuchthauskost versuchen; es ist eine ganz entschiedene Majoritaet von gesunden Erbsen, gewuerzt mit dem Salze eines handlichen Strafgesetzes gegen Hochverrat, und wenn ihr Jahr und Tag gesessen habt, so wird man euch erlauben, zur Feier eures glorreichen Einzuges auch eine kleine Minoritaet von Speck zu ueberwaeltigen, aber beisst euch alsdann die Zaehne nicht daran aus! Es geht allerdings nichts ueber einen gesunden Spaziergang und ist zutraeglich fuer die Gesundheit, insbesondere wenn man keine regelmaessige Arbeit und Bewegung zu haben scheint; aber man muss sich doch immer in acht nehmen, wo man spazieren geht, und es ist unhoeflich, mit dem Hut auf dem Kopfe in eine Kirche und mit dem Gewehr in der Hand in ein friedfertiges Staatswesen hereinzuspazieren! Oder habt ihr geglaubt, wir stellen keinen Staat vor, weil wir noch Religion haben und unsere Pfaffen zu ehren belieben? Dieses gefaellt uns einmal so, und wir wohnen gerade so lang im Lande, als ihr, ihr Maulaffen, die ihr nun dasteht und euch nicht zu helfen wisst!" So toente es unaufhoerlich um sie her, und die Beredsamkeit der Sieger war um so unerschoepflicher, als sie das gleiche, dessen sie ihre Gegner nun anklagten, entweder selbst schon getan oder es jeden Augenblick zu tun bereit waren, wenn die Umstaende und die persoenliche Ruestigkeit es erlaubten, gleich wie ein Dieb die beredteste Entruestung verlauten laesst, wenn ein Kleinod, das er selbst gestohlen, ihm abermals entfremdet wird. Denn der Mensch traegt die unbefangene Schamlosigkeit des Tieres geradeswegs in das moralische Gebiet hinueber und gebaerdet sich da im guten Glauben an das nuetzliche Recht seiner Willkuer so naiv, wie die Huendlein auf den Gassen. Die gefangenen Freischaerler mussten indessen alles ueber sich ergehen lassen und waren nur bedacht, durch keinerlei Herausforderung eine koerperliche Misshandlung zu veranlassen. Dies war das einzige, was sie tun konnten und die Aelteren und Erfahreneren unter ihnen ertrugen das Uebel mit moeglichstem Humor, da sie voraussahen, dass die Sache nicht so gefaehrlich abliefe, als es schien. Der eine oder andere merkte sich ein schimpfendes Baeuerlein, das in seinem Laden etwa eine Sense oder ein Mass Kleesamen gekauft und schuldig geblieben war, und gedachte, demselben seinerzeit seine beissenden Anmerkungen mit Zinsen zurueckzugeben, und wenn ein solches Baeuerlein solchen Blick bemerkte und den Absender erkannte, so hoerte es darum nicht ploetzlich auf zu schelten, aber richtete unvermerkt seine Augen und seine Worte anderswohin in den Haufen und verzog sich allmaehlich hinter die Front; so gemuetlich und seltsam spielen die Menschlichkeiten durcheinander. Fritz Amrain aber war im hoechsten Grade niedergeschlagen und trostlos. Zwei oder drei seiner Gefaehrten waren gefallen und lagen noch da, andere waren verwundet und er sah den Boden um sich her mit Blut gefaerbt; sein Gewehr und seine Taschen waren ihm abgenommen, ringsum erblickte er drohende Gesichter, und so war er ploetzlich aus seiner bedachtlosen und fieberhaften Aufregung erwacht, der Sonnenschein des lustigen Kampftages war verwischt und verdunkelt, das lustige Knallen der Schuesse und die angenehme Musik des kurzen Gefechtslaermens verklungen, und als nun gar endlich die Behoerden oder Landesautoritaeten sich hervortaten aus dem Wirrsal und eine trockene geschaeftliche Einteilung und Abfuehrung der Gefangenen begann, war es ihm zumute wie einem Schulknaben, welcher aus einer mutwilligen Herrlichkeit, die ihm fuer die Ewigkeit gegruendet und hoechst rechtmaessig schien, unversehens von dem haesslichsten Schulmeister aufgeruettelt und beigesteckt wird, und der nun in seinem Gram alles verloren und das Ende der Welt herbeigekommen waehnt. Er schaemte sich, ohne zu wissen vor wem, er verachtete seine Feinde und war doch in ihrer Hand. Er war begeistert gewesen, gegen sie auszuziehen, und doch waren sie jetzt in jeder Hinsicht in ihrem Rechte; denn selbst ihre Beschraenktheit oder ihre Dummheit war ihr gutes rechtliches Eigentum und es gab kein Mandat dagegen, als dasjenige des Erfolges, der nun leider ausgeblieben war. Die leidenschaftlich erbosten Gesichter aller dieser bejahrten und gefurchten Landleute, welche auf ihren gefundenen Sieg trotzten, traten ihm in seiner helldunklen Trostlosigkeit mit einer seltsamen Deutlichkeit vor die Augen; ueberall, wo er durchgefuehrt wurde, gab es neue Gesichter, die er nie gesehen, die er nicht einzeln und nicht mit Willen ansah, und die sich ihm dennoch scharf und trefflich beleuchtet einpraegten als ebenso viele Vorwuerfe, Beleidigungen und Strafgerichte. Je naeher der Zug der Gefangenen der Stadt kam, desto lebendiger wurde es; die Stadt selbst war mit Soldaten und bewaffneten Landleuten angefuellt, welche sich um die neu befestigte Regierung scharten, und die Gefangenen wurden im Triumphe durchgefuehrt. Von der Opposition, welche gestern noch so maechtig gewesen, dass sie um die Herrschaft ringen konnte, und sich bewegte, wie es ihr gefiel, war nicht die leiseste Spur mehr zu erblicken; es war eine ganz andere grobe und widerstehende Welt, als sich Fritz gedacht hatte, welche sich fuer unzweifelhaft und aufs beste begruendet ausgab und nur verwundert schien, wie man sie irgend habe in Frage stellen und angreifen koennen. Denn jeder tanzt, wenn seine Geige gestrichen wird, und wenn viele Menschen zusammen sich was einbilden, so blaehet sich eine Unendlichkeit in dieser Einbildung. Endlich aber waren die Gefangenen in Tuermen und andern Baulichkeiten untergebracht, alle schon bewohnt von aehnlichen Unternehmungslustigen, und so befand sich auch Fritz hinter Schloss und Riegel und war es erklaerlich, dass er nicht mit den Seldwylern zurueckgekehrt war. Diese raechten sich fuer ihren misslungenen Zug dadurch, dass sie den sieghaften Gegnern auf der Stelle die abscheulichste und ruecksichtsloseste Rachsucht zuschrieben und dass jeder, der entkommen war, es als fuer gewiss annahm, die Gefangenen wuerden erschossen werden. Es gab Leute, die sonst nicht ganz unklug waren, welche allen Ernstes glaubten und wieder sagten, dass die fanatisierten Bauern gefangene Freischaerler zwischen zwei Bretter gebunden und entzweigesaegt oder auch etliche derselben gekreuzigt haetten. Sobald Frau Regula diese Uebertreibungen und dies unmaessige Misstrauen vernahm, verlor sie die Haelfte des Schreckens, welchen sie zuerst empfunden, da die Torheit der Leute ihren Einfluss auf die Wohlbestellten immer selbst reguliert und unschaedlich macht. Denn haetten die Seldwyler nur etwa die Befuerchtung ausgesprochen, die Gefangenen koennten vielleicht wohl erschossen werden nach dem Standrecht, so waere sie in toedlicher Besorgnis geblieben; als man aber sagte, sie seien entzweigesaegt und gekreuzigt, glaubte sie auch jenes nicht mehr. Dagegen erhielt sie bald einen kurzen Brief von ihrem Sohne, laut welchem er wirklich eingetuermt war und sie um die sofortige Erlegung einer Geldbuergschaft bat, gegen welche er entlassen wuerde. Mehrere Kameraden seien schon auf diese Weise freigegeben worden. Denn die sieghafte Regierung war in grossen Geldnoeten und verschaffte sich auf diese Weise einige willkommene ausserordentliche Einkuenfte, da sie nachher nur die hinterlegten Summen in ebenso viele Geldbussen zu verwandeln brauchte. Frau Amrain steckte den Brief ganz vergnuegt in ihren Busen und begann gemaechlich und ohne sich zu uebereilen, die erforderlichen Geldmittel beizubringen und zurechtzulegen, so dass wohl acht Tage vergingen, ehe sie Anstalt machte, damit abzureisen. Da kam ein zweiter Brief, welchen der Sohn Gelegenheit gefunden, heimlich abzuschicken und worin er sie beschwor, sich ja zu eilen, da es ganz unertraeglich sei, seinen Leib dergestalt in der Gewalt verhasster Menschen zu sehen. Sie waeren eingesperrt wie wilde Tiere, ohne frische Luft und Bewegung, und muessten Habermus und Erbsenkost aus einer hoelzernen Buette gemeinschaftlich essen mit hoelzernen Loeffeln. Da schob sie laechelnd ihre Abreise noch um einige Tage auf, und erst als der eingepferchte Tatkraeftige volle vierzehn Tage gesessen, nahm sie ein Gefaehrt, packte die Erloesungsgelder nebst frischer Waesche und guten Kleidern ein und begab sich auf den Weg. Als sie aber ankam, vernahm sie, dass ehestens eine Amnestie ausgesprochen wuerde ueber alle, die nicht ausgezeichnete Raedelsfuehrer seien, und besonders ueber die Fremden, da man diese nicht unnuetz zu fuettern gedachte und jetzt keine eingehenden Gelder mehr erwartete. Da blieb sie noch zwei oder drei Tage in einem Gasthofe, bereit, ihren Sohn jeden Augenblick zu erloesen, der uebrigens seiner Jugend wegen nicht sehr beachtet wurde. Die Amnestie wuerde auch wirklich verkuendet, da diesmal die siegende Partei aus Sparsamkeit die wahre Weise befolgte: im Siege selbst, und nicht in der Rache oder Strafe, ihr Bewusstsein und ihre Genugtuung zu finden. So fand denn der verzweifelte Fritz seine Mutter an der Pforte des Gefaengnisses seiner harrend. Sie speiste und traenkte ihn, gab ihm neue Kleider und fuhr mit ihm nebst der geretteten Buergschaft von dannen. Als er sich nun wohlgeborgen und gestaerkt neben seiner Mutter sah, fragte er sie, warum sie ihn denn so lange habe sitzen lassen? Sie erwiderte kurz und ziemlich vergnuegt, wie ihm schien, dass das Geld eben nicht frueher waere aufzutreiben gewesen. Er kannte aber den Stand ihrer Angelegenheiten nur zu wohl und wusste genau, wo die Mittel zu suchen und zu beziehen waren. Er liess also diese Ausflucht nicht gelten und fragte abermals. Sie meinte, er moechte sich nur zufrieden geben, da er durch sein Sitzen in dem Turme ein gutes Stueck Geld verdient und ueberdies Gelegenheit erhalten, eine schoene Erfahrung zu machen. Gewiss habe er diesen oder jenen vernuenftigen Gedanken zu fassen die Musse gehabt. "Du hast mich am Ende absichtlich stecken lassen," erwiderte er und sah sie gross an, "und hast mir in deinem muetterlichen Sinne das Gefaengnis foermlich zuerkannt?" Hierauf antwortete sie nichts, sondern lachte laut und lustig in dem rollenden Wagen, wie er sie noch nie lachen gesehen. Als er hierauf nicht wusste, welches Gesicht er machen sollte, und seltsam die Nase ruempfte, umhalste sie ihn noch lauter lachend und gab ihm einen Kuss. Er sagte aber kein Wort mehr, und es zeigte sich von nun an, dass er in dem Gefaengnis in der Tat etwas gelernt habe. Denn er hielt sich in seinem Wesen jetzt viel ernster und geschlossener zusammen und geriet nie wieder in Versuchung, durch eine unrechtmaessige oder leichtsinnige Tatlust eine Gewalt herauszufordern und seine Person in ihre Hand zu geben zu seiner Schmach und niemand zu Nutzen. Er nahm sich nicht gerade vor, nie mehr auszuziehen, da die Ereignisse nicht zum voraus gezaehlt werden koennen und niemand seinem Blut gebieten kann, stille zu stehn, wenn es rascher fliesst; aber er war nun sicher vor jeder nur aeusserlichen und unbedachten Kampflust. Diese Erfahrung wirkte ueberhaupt dermassen auf den jungen Mann, dass er mit verdoppeltem Fortschritt an Tuechtigkeit in allen Dingen zuzunehmen schien und den Sachen schon mit voller Maennlichkeit vorstand, als er kaum zwanzig Jahre alt war. Frau Amrain gab ihm deswegen nun die junge Frau, welche er wuenschte, und nach Verlauf eines Jahres, als er bereits ein kleines huebsches Soehnchen besass, war er zwar immer wohlgemut, aber um so ernsthafter und gemessener in seinen fleissigen Geschaeften, als seine Frau lustig, voll Gelaechter und guter Dinge war; denn es gefiel ihr ueber die Massen in diesem Hause und sie kam vortrefflich mit ihrer Schwiegermutter aus, obgleich sie von dieser verschieden und wieder eine andere Art von gutem Charakter war. So schien nun das Erziehungswerk der Frau Regula auf das beste gekroent, um der Zukunft mit Ruhe entgegenzusehen; denn auch die beiden aelteren Soehne, welche zwar traegen Wesens, aber sonst gutartig waren, hatte sie hinter dem wackeren Fritz her leidlich durchgeschleppt, und als dieselben herangewachsen, die Vorsicht gebraucht, sie in anderen Staedten in die Lehre zu geben, wo sie denn auch blieben und ihr ferneres Leben begruendeten als ziemlich bequemliche, aber sonst ordentliche Menschen, von denen nachher so wenig zu sagen war, wie vorher. Fritz aber, da er bereits ein wuerdiger Familienvater war, musste doch noch einmal in die Schule genommen werden von der Mutter, und zwar in einer Sache, um die sich manche Mutter vom gemeinen Schlage wenig bekuemmert haette. Der Sohn war ungefaehr zwei Jahre schon verheiratet, als das Laendchen, welchem Seldwyla angehoerte, seinen obersten massgebenden Rat neu zu bestellen und deshalben die vierjaehrigen Wahlen vorzunehmen hatte, infolge deren denn auch die verwaltenden und richterlichen Behoerden bestellt wurden. Bei den letzten Hauptwahlen war Fritz noch nicht stimmfaehig gewesen und es war jetzt das erstemal, wo er dergleichen beiwohnen sollte. Es war aber eine grosse Stille im Lande. Die Gegensaetze hatten sich einigermassen ausgeglichen und die Parteien einander abgeschliffen; es wurde in allen Ecken fleissig gearbeitet, man lichtete die alten Winkeleien in der Gesetzsammlung und machte fleissig neue, gute und schlechte, bauete oeffentliche Werke, uebte sich in einer geschickten Verwaltung ohne Unbesonnenheit, doch auch ohne Zopf, und ging darauf aus, jeden an seiner Stelle zu verwenden, die er verstand und treulich versah, und endlich gegen jedermann artig und gerecht zu sein, der es in seiner Weise gut meinte und selbst kein Zwinger und Hasser war. Dies alles war nun den Seldwylern hoechst langweilig, da bei solcher stillgewordenen Entwicklung keine Aufregung stattfand. Denn Wahlen ohne Aufregung, ohne Vorversammlungen, Zechgelage, Reden, Aufrufe, ohne Umtriebe und heftige schwankende Krisen, waren ihnen so gut wie gar keine Wahlen, und so war es diesmal entschieden schlechter Ton zu Seldwyla, von den Wahlen nur zu sprechen, wogegen sie sehr beschaeftigt taten mit Errichtung einer grossen Aktienbierbrauerei und Anlegung einer Aktienhopfenpflanzung, da sie ploetzlich auf den Gedanken gekommen waren, eine solche stattliche Bieranstalt mit weitlaeufigen guten Kellereien, Trinkhallen und Terrassen werde der Stadt einen neuen Aufschwung geben und dieselbe beruehmt und vielbesucht machen. Fritz Amrain nahm an diesen Bestrebungen eben keinen Anteil, allein er kuemmerte sich auch wenig um die Wahlen, so sehr er sich vor vier Jahren gesehnt hatte, daran teilzunehmen. Er dachte sich, da alles gut ginge im Lande, so sei kein Grund, den oeffentlichen Dingen nachzugehen, und die Maschine wuerde deswegen nicht stille stehen, wenn er schon nicht waehle. Es war ihm unbequem, an dem schoenen Tage in der Kirche zu sitzen mit einigen alten Leuten; und, wenn man es recht betrachtete, schien sogar ein Anflug von philisterhafter Laecherlichkeit zu kleben an den diesjaehrigen Wahlen, da sie eine gar so stille und regelmaessige Pflichterfuellung waren. Fritz scheuete die Pflicht nicht; wohl aber hasste er nach Art aller jungen Leute kleinere Pflichten, welche uns zwingen, zu ungelegener Stunde den guten Rock anzuziehen, den besseren Hut zu nehmen und uns an einen hoechst langweiligen oder truebseligen Ort hinzubegeben, als wie ein Taufstein, ein Kirchhof oder ein Gerichtszimmer. Frau Amrain jedoch hielt gerade diese Weise der Seldwyler, die sie nun angenommen, fuer unertraeglich und unverschaemt, und weil eben niemand hinging, so wuenschte sie doppelt, dass ihr Sohn es taete. Sie steckte es daher hinter seine Frau und trug dieser auf, ihn zu ueberreden, dass er am Wahltage ordentlich in die Versammlung ginge und einem tuechtigen Manne seine Stimme gebe, und wenn er auch ganz allein staende mit derselben. Allein mochte nun das junge Weibchen nicht die noetige Beredsamkeit besitzen in einer Sache, die es selber nicht viel kuemmerte, oder mochte der junge Mann nicht gesonnen sein, sich in ihr eine neue Erzieherin zu naehren und grosszuziehen, genug, er ging an dem betreffenden Morgen in aller Fruehe in seinen Steinbruch hinaus und schaffte dort in der warmen Maisonne so eifrig und ernsthaft herum, als ob an diesem einen Tage noch alle Arbeit der Welt abgetan werden muesste und nie wieder die Sonne aufginge hernach. Da ward seine Mutter ungehalten und setzte ihren Kopf darauf, dass er dennoch in die Kirche gehen solle; und sie band ihre immer noch glaenzend schwarzen Zoepfe auf, nahm einen breiten Strohhut darueber und Fritzens Rock und Hut an den Arm und wanderte rasch hinter das Staedtchen hinaus, wo der weitlaeufige Steinbruch an der Hoehe lag. Als sie den langen krummen Fahrweg hinanstieg, auf welchem die Steinlasten herabgebracht wurden, bemerkte sie, wie tief der Bruch seit zwanzig Jahren in den Berg hineingegangen, und ueberschlug das unzweifelhafte gute Erbtum, das sie erworben und zusammengehalten. Auf verschiedenen Abstufungen haemmerten zahlreiche Arbeiter, welchen Fritz laengst ohne Werkfuehrer vorstand, und zu oberst, wo gruenes Buchenholz die frischen weissen Brueche kroente, erkannte sie ihn jetzt selbst an seinem weisseren Hemde, da er Weste und Jacke weggeworfen, wie er mit einem Trueppchen Leute die Koepfe zusammensteckte ueber einem Punkte. Gleichzeitig aber sah man sie und rief ihr zu, sich in acht zu nehmen. Sie duckte sich unter einen Felsen, worauf in der Hoehe nach einer kleinen Stille ein starker Schlag erfolgte und eine Menge kleiner Steine und Erde rings herniederregneten. "Da glaubt er nun," sagte sie zu sich selbst, "was er fuer Heldenwerk verrichtet, wenn er hier Steine gen Himmel sprengt, statt seine Pflicht als Buerger zu tun!" Als sie oben ankam und verschnaufte, schien er, nachdem er fluechtig auf den Rock und Hut geschielt, den sie trug, sie nicht zu bemerken, sondern untersuchte eifrig die Loecher, die er eben gesprengt, und fuhr mit dem Zollstock an den Steinen herum. Als er sie aber nicht mehr vermeiden konnte, sagte er: "Guten Tag, Mutter! Spazierest ein wenig? Schoen ist das Wetter dazu!" und wollte sich wieder wegmachen. Sie ergriff ihn aber bei der Hand und fuehrte ihn etwas zur Seite, indem sie sagte: "Hier habe ich dir Rock und Hut gebracht, nun tu mir den Gefallen und geh zu den Wahlen! Es ist eine wahre Schande, wenn niemand geht aus der Stadt!" "Das fehlte auch noch," erwiderte Fritz ungeduldig, "jetzt abermals bei diesem Wetter in der langweiligen Kirche zu sitzen und Stimmzettel umherzubieten. Natuerlich wirst du dann fuer den Nachmittag schon irgendein Leichenbegaengnis in Bereitschaft haben, wo ich wieder mithumpeln soll, damit der Tag ja ganz verschleudert werde! Dass ihr Weibsleute unsereinen immer an Begraebnisse und Kindertaufen hinspediert, ist begreiflich; dass ihr euch aber so sehr um die Politik bekuemmert, ist mir ganz etwas Neues!" "Schande genug," sagte sie, "dass die Frauen euch vermahnen sollen zu tun, was sich gebuehrt und was eine verschworene Pflicht und Schuldigkeit ist!" "Ei so tue doch nicht so," erwiderte Fritz, "seit wann wird denn der Staat stille stehn, wenn einer mehr oder weniger mitgeht, und seit wann ist es denn noetig, dass ich gerade ueberall dabei bin?" "Dies ist keine Bescheidenheit, die dies sagt," antwortete die Mutter, "dies ist vielmehr verborgener Hochmut! Denn ihr glaubt wohl, dass ihr muesst dabei sein, wenn es irgend darauf ankaeme, und nur weil ihr den gewohnten stillen Gang der Dinge verachtet, so haltet ihr euch fuer zu gut, dabei zu sein!" "Es ist aber in der Tat laecherlich, allein dahin zu gehen," sagte Fritz, "jedermann sieht einen hingehen, wo dann niemand als die Kirchenmaus zu sehen ist." Frau Amrain liess aber nicht nach und erwiderte: "Es genuegt nicht, dass du unterlassest, was du an den Seldwylern laecherlich findest! Du musst ausserdem noch tun grade, was sie fuer laecherlich halten; denn was diesen Eseln so vorkommt, ist gewiss etwas Gutes und Vernuenftiges! Man kennt die Voegel an den Federn, so die Seldwyler an dem, was sie fuer laecherlich halten. Bei allen kleinen Angelegenheiten, bei allen schlechten Geschichten, eitlen Vergnuegungen und Dummheiten, bei allem Gevatter- und Geschnatterwesen befleissigt man sich der groessten Puenktlichkeit; aber alle vier Jahre einmal sich puenktlich und vollzaehlig zu einer Wahlhandlung einzufinden, welche die Grundlage unsers ganzen oeffentlichen Wesens und Regimentes ist, das soll langweilig, unausstehlich und laecherlich sein! Das soll in dem Belieben und in der Bequemlichkeit jedes einzelnen stehen, der immer nach seinem Rechte schreit, aber sobald dies Recht nur ein bisschen auch nach Pflicht riecht, sein Recht darin sucht, keines zu ueben! Wie, ihr wollt einen freien Staat vorstellen und seid zu faul, alle vier Jahre einen halben Tag zu opfern, einige Aufmerksamkeit zu bezeigen und eure Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Regiment, das ihr vertragsmaessig eingesetzt, zu offenbaren? Sagt nicht, dass ihr immer da waeret, wenn es sein muesste! Wer nur da ist, wenn es ihn belustigt und seine Leidenschaft kitzelt, der wird einmal ausbleiben und sich eine Nase drehen lassen, grade wenn er am wenigsten daran denkt. "Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, und so auch der, welcher fuer das Wohl des Landes arbeitet und dessen oeffentliche Dinge besorgt, die in jedem Hause in Einrichtungen und Gesetzen auf das tiefste eingreifen. Schon die alleraeusserlichste Artigkeit und Hoeflichkeit gegen die betrauten Maenner erforderte es, wenigstens an diesem Tage sich vollzaehlig einzufinden, damit sie sehen, dass sie nicht in der Luft stehen. Der Anstand vor den Nachbarn und das Beispiel fuer die Kinder verlangen es ebenfalls, dass diese Handlung mit Kraft und Wuerde begangen wird, und da finden es diese Helden unbequem und laecherlich, die gleichen, welche taeglich die groesste Puenktlichkeit innehalten, um einer Kegelpartie oder einer nichtssagenden aberwitzigen Geschichte beizuwohnen. "Wie, wenn nun die saemtlichen Behoerden, ueber solche Unhoeflichkeit erbittert, euch den Sack vor die Tuer wuerfen und auf einmal abtreten wuerden? Sag' nicht, dass dies nie geschehen werde! Es waere doch immer moeglich, und alsdann wuerde eure Selbstherrlichkeit dastehen, wie die Butter an der Sonne; denn nur durch gute Gewoehnung, Ordnung und regelrechte Abloesung oder kraeftige Bestaetigung ist in Friedenszeiten diese Selbstherrlichkeit zu brauchen und bemerklich zu machen. Wenigstens ist es die allerverkehrteste Anwendung oder Offenbarung derselben, sich gar nicht zu zeigen, warum? weil es ihr so beliebt! "Nimm mir nicht uebel, das sind Kindesgedanken und Weibernuecken; wenn ihr glaubt, dass solche Auffuehrung euch wohl anstehe, so seid ihr im Irrtum. Aber ihr beneidet euch selbst um die Ruhe und um den Frieden, und damit die Dinge, obgleich ihr nichts dagegen einzuwenden wisst, und nur auf alle Faelle hin so ins Blaue hinein schlecht begruendet erscheinen, so waehlt ihr nicht oder ueberlasst die Handlung den Nachtwaechtern, damit, wie gesagt; vorkommendenfalls von eurem Neste Seldwyla ausgeschrien werden koenne, die oeffentliche Gewalt habe keinen festen Fuss im Volke. Buebisch ist aber dieses und es ist gut, dass eure Macht nicht weiter reicht, als eure lotterige Stadtmauer!" "Ihr und immer ihr!" sagte Fritz ungehalten, "was hab' ich denn mit diesen Leuten zu schaffen? Wenn dieselben solche elende Launen und Beweggruende haben, was geht das mich an?" "Gut denn," rief Frau Regel, "so benimm dich auch anders als sie in dieser Sache und geh' zu den Wahlen!" "Damit", wandte ihr Sohn laechelnd ein, "man ausserhalb sage, der einzige Seldwyler, welcher denselben beigewohnt, sei noch von den Weibern hingeschickt worden?" Frau Amrain legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: "Wenn es heisst, dass deine Mutter dich hingeschickt habe, so bringt dir dies keine Schande und mir bringt es Ehre, wenn ein solcher tuechtiger Gesell sich von seiner Mutter schicken laesst! Ich wuerde wahrhaftig stolz darauf sein und du kannst mir am Ende den kleinen Gefallen zu meinem Vergnuegen erweisen, nicht so?" Fritz wusste hiergegen nichts mehr vorzubringen und zog den Rock an und setzte den Buergerhut auf. Als er mit der trefflichen Frau den Berg hinunterging, sagte er: "Ich habe dich in meinem Leben nie so viel politisieren hoeren, wie soeben, Mutter! Ich habe dir so lange Reden gar nicht zugetraut!" Sie lachte, erwiderte dann aber ernsthaft: "Was ich gesagt, ist eigentlich weniger politisch gemeint, als gut hausmuetterlich. Wenn du nicht bereits Frau und Kind haettest, so wuerde es mir vielleicht nicht eingefallen sein, dich zu ueberreden; so aber, da ich ein wohlerhaltenes Haus von meinem Gebluete in Aussicht sehe, so halte ich es fuer ein gutes Erbteil solchen Hauses, wenn darin in allen Dingen das rechte Mass gehalten wird. Wenn die Soehne eines Hauses beizeiten sehen und lernen, wie die oeffentlichen Dinge auf rechte Weise zu ehren sind, so bewahrt sie vielleicht gerade dies vor unrechten und unbesonnenen Streichen. Ferner, wenn sie das eine ehren und zuverlaessig tun, so werden sie es auch mit dem andern so halten, und so, siehst du, habe ich am Ende nur als fuersichtige haeusliche Grossmutter gehandelt, waehrend man sagen wird, ich sei die aergste alte Kannegiesserin!" In der Kirche fand Fritz statt einer Zahl von sechs- oder siebenhundert Maennern kaum deren vier Dutzend, und diese waren beinahe ausschliesslich Landleute aus umliegenden Gehoeften, welche mit den Seldwylern zu waehlen hatten. Diese Landleute haetten zwar auch eine sechsmal staerkere Zahl zu stellen gehabt; aber da die Ausgebliebenen wirklich im Schweisse ihres Angesichts auf den Feldern arbeiteten, so war ihr Wegbleiben mehr eine harmlose Gedankenlosigkeit und ein baeuerlicher Geiz mit dem schoenen Wetter, und weil sie einen weiten Weg zu machen hatten, erschien das Dasein der Anwesenden um so loeblicher. Aus der Stadt selbst war niemand da als der Gemeindepraesident, die Wahlen zu leiten, der Gemeindeschreiber, das Protokoll zu fuehren, dann der Nachtwaechter und zwei oder drei arme Teufel, welche kein Geld hatten, um mit den lachenden Seldwylern den Fruehschoppen zu trinken. Der Herr Praesident aber war ein Gastwirt, welcher vor Jahren schon falliert hatte und seither die Wirtschaft auf Rechnung seiner Frau fortbetrieb. Hierin wurde er von seinen Mitbuergern reichlich unterstuetzt, da er ganz ihr Mann war, das grosse Wort zu fuehren wusste und bei allen Haendeln als ein erfahrener Wirt auf dem Posten war. Dass er aber in Amt und Wuerden stand und hier den Wahlen praesidierte, gehoerte zu jenen Suenden der Seldwyler, die sich zeitweise so lange anhaeuften, bis ihnen die Regierung mit einer Untersuchung auf den Leib rueckte. Die Landleute wussten teilweise wohl, dass es nicht ganz richtig war mit diesem Praesidenten, allein sie waren viel zu langsam und zu haecklich, als dass sie etwas gegen ihn unternommen haetten, und so hatte er sich bereits in einem Handumdrehen mit seinen drei oder vier Mitbuergern das Geschaeft des Tages zugeeignet, als Fritz ankam. Dieser, als er das Haeuflein rechtlicher Landleute sah, freute sich, wenigstens nicht ganz allein da zu sein, und es fuhr ploetzlich ein unternehmender Geist in ihn, dass er unversehens das Wort verlangte und gegen den Praesidenten protestierte, da derselbe falliert und buergerlich tot sei. Dies war ein Donnerschlag aus heiterm Himmel. Der ansehnliche Gastwirt machte ein Gesicht, wie einer, der tausend Jahre begraben lag und wieder auferstanden ist; jedermann sah sich nach dem kuehnen Redner um; aber die Sache war so kindlich einfach, dass auch nicht ein Laut dagegen ertoenen konnte, in keiner Weise; nicht die leiseste Diskussion liess sich eroeffnen. Je unerhoerter und unverhoffter das Ereignis war, um so begreiflicher und natuerlicher erschien es jetzt, und je begreiflicher es erschien, um so zorniger und empoerter waren die paar Seldwyler gerade ueber diese Begreiflichkeit, ueber sich selbst, ueber den jungen Amrain, ueber die heimtueckische Trivialitaet der Welt, welche das Unscheinbarste und Naheliegendste ergreift, um Grosse zu stuerzen und die Verhaeltnisse umzukehren. Der Herr Praesident Usurpator sagte nach einer minutenlangen Verblueffung, nach welcher er wieder so klug wie zu Anfang war, gar nichts, als: "Wenn-- wenn man gegen meine Person Einwendungen--allerdings, ich werde mich nicht aufdringen, so ersuche ich die geehrte Versammlung, zu einer neuen Wahl des Praesidenten zu schreiten, und die Stimmenzaehler, die betreffenden Stimmzettel auszuteilen." "Ihr habt ueberhaupt weder etwas vorzuschlagen hier, noch den Stimmenzaehlern etwas aufzutragen!" rief Fritz Amrain, und dem grossen Magnaten und Gastwirt blieb nichts anderes uebrig, als das Unerhoerte abermals so begreiflich zu finden, dass es ans Triviale grenzte, und ohne ein Wort weiter zu sagen, verliess er die Kirche, gefolgt von dem bestuerzten Nachtwaechter und den andern Lumpen. Nur der Schreiber blieb, um das Protokoll weiterzufuehren, und Fritz Amrain begab sich in dessen Naehe und sah ihm auf die Finger. Die Bauern aber erholten sich endlich aus ihrer Verwunderung und benutzten die Gelegenheit, das Wahlgeschaeft rasch zu beendigen und statt der bisherigen zwei Mitglieder zwei tuechtige Maenner aus ihrer Gegend zu waehlen, die sie schon lange gerne im Rate gesehen, wenn die Seldwyler ihnen irgend Raum gegoennt haetten. Dies lag nun am wenigsten im Plane der nichterschienenen Seldwyler; denn sie hatten sich doch gedacht, dass ihr Praesident und der Nachtwaechter unfehlbar die alten zwei Popanze waehlen wuerden, wie es auch ausgemacht war in einer fluechtigen Viertelstunde in irgendeinem Hinterstuebchen. Wie erstaunten sie daher, als sie nun, durch den heimgeschickten falschen Praesidenten aufgeschreckt, in hellen Haufen dahergerannt kamen und das Protokoll rechtskraeftig geschlossen fanden samt dem Resultat. Ruhig laechelnd gingen die Landleute auseinander; Fritz Amrain aber, welcher nach seiner Behausung schritt, wurde von den Buergern aufgebracht, verlegen und wild hoehnisch betrachtet, mit halbem Blicke oder weit aufgesperrten Augen. Der eine rief ein abgebrochenes Ha! der andere ein Ho! Fritz fuehlte, dass er jetzt zum ersten Male wirkliche Feinde habe, und zwar gefaehrlicher als jene, gegen welche er einst mit Blei und Pulver ausgezogen. Auch wusste er, da er so unerbittlich ueber einen Mann gerichtet, der zwanzig Jahre aelter war als er, dass er sich nun doppelt wehren muesse, selber nicht in die Grube zu fallen, und so hatte das Leben nun wieder ein ganz anderes Gesicht fuer ihn, als noch vor kaum zwei Stunden. Mit ernsten Gedanken trat er in sein Haus und gedachte, um sich aufzuheitern, seine Mutter zu pruefen, ob ihr diese Wendung der Dinge auch genehm sei, da sie ihn allein veranlasst hatte, sich in die Gefahr zu begeben. Allein da er den Hausflur betrat, kam ihm seine Mutter entgegen, fiel ihm weinend um den Hals und sagte nichts als: "Dein Vater ist wiedergekommen!" Da sie aber sah, dass ihn dieser Bericht noch verlegener und ungewisser machte, als sie selbst war, fasste sie sich, nachdem sie den Sohn an sich gedrueckt, und sagte: "Nun, er soll uns nichts anhaben! Sei nur freundlich gegen ihn, wie es einem Kinde zukommt!" So hatten sich in der Tat die Dinge abermals veraendert; noch vor wenig Augenblicken, da er auf der Strasse ging, schien es ihm hoechst bedenklich, sich eine ganze Stadt verfeindet zu wissen, und jetzt, was war dies Bedenken gegen die Lage, urploetzlich sich einem Vater gegenueberzusehen, den er nie gekannt, von dem er nur wusste, dass er ein eitler, wilder und leichtsinniger Mann war, der zudem die ganze Welt durchzogen waehrend zwanzig Jahren und nun weiss der Himmel welch ein fremdartiger und erschrecklicher Kumpan sein mochte. "Wo kommt er denn her? Was will er, wie sieht er denn aus, was will er denn?" sagte Fritz, und die Mutter erwiderte: "Er scheint irgendein Glueck gemacht und was erschnappt zu haben und nun kommt er mit Gebaerden dahergefahren, als ob er uns in Gnaden auffressen wollte! Fremd und wild sieht er aus, aber er ist der Alte, das hab' ich gleich gesehen." Fritz war aber jetzt doch neugierig und ging festen Schrittes die Treppe hinauf und auf die Wohnstube zu, waehrend die Mutter in die Kueche huschte und auf einem andern Wege fast gleichzeitig in die Stube trat; denn das duenkte sie nun der beste Lohn und Triumph fuer alle Muehsal, zu sehen, wie ihrem Manne der eigne Sohn, den sie erzogen, entgegentrat. Als Fritz die Tuere oeffnete und eintrat, sah er einen grossen schweren Mann am Tische sitzen, der ihm wohl er selbst zu sein schien, wenn er zwanzig Jahre aelter waere. Der Fremde war fein, aber unordentlich gekleidet, hatte etwas Ruhig-Trotziges in seinem Wesen und doch etwas Unstetes in seinem Blicke, als er jetzt aufstand und ganz erschrocken sein junges Ebenbild eintreten sah, hoch aufgerichtet und nicht um eine Linie kuerzer als er selbst. Aber um das Haupt des Jungen wehten starke goldene Locken, und waehrend sein Angesicht ebenso ruhig-trotzig dreinsah, wie das des Alten, erroetete er bei aller Kraft doch in Unschuld und Bescheidenheit. Als der Alte ihn mit der verlegenen Unverschaemtheit der Zerfahrenen ansah und sagte: "So wirst du also mein Sohn sein?" schlug der Junge die Augen nieder und sagte: "Ja, und Ihr seid also mein Vater? Es freut mich, Euch endlich zu sehen!" Dann schaute er neugierig empor und betrachtete gutmuetig den Alten; als dieser aber ihm nun die Hand gab und die seinige mit einem prahlerischen Druck schuettelte, um ihm seine grosse Kraft und Gewalt anzukuenden, erwiderte der Sohn unverweilt diesen Druck, so dass die Gewalt wie ein Blitz in den Arm des Alten zurueckstroemte und den ganzen Mann gelinde erschuetterte. Als aber vollends der Junge nun mit ruhigem Anstand den Alten zu seinem Stuhle zurueckfuehrte und ihn mit freundlicher Bestimmtheit zu sitzen noetigte, da ward es dem Zurueckgekehrten ganz wunderlich zumut, ein solch wohlgeratenes Ebenbild vor sich zu sehen, das er selbst und doch wieder ganz ein anderer war. Frau Regula sprach beinahe kein Wort und ergriff den klugen Ausweg, den Mann auf seine Weise zu ehren, indem sie ihn reichlich bewirtete und sich mit dem Vorweisen und Einschenken ihres besten Weines zu schaffen machte. Dadurch wurde seine Verlegenheit, als er so zwischen seiner Frau und seinem Sohne sass, etwas gemildert, und das Loben des guten Weines gab ihm Veranlassung, die Vermutung auszusprechen, dass es also mit ihnen gut stehen muesse, wie er zu seiner Befriedigung ersehe, was denn den besten Uebergang gab zu der Auseinandersetzung ihrer Verhaeltnisse. Frau und Sohn suchten nun nicht aengstlich zurueckzuhalten und heimlich zu tun, sondern sie legten ihm offen den Stand ihres Hauses und ihres Vermoegens dar; Fritz holte die Buecher und Papiere herbei und wies ihm die Dinge mit solchem Verstand und Klarheit nach, dass er erstaunt die Augen aufsperrte ueber die gute Geschaeftsfuehrung und ueber die Wohlhabenheit seiner Familie. Indessen reckte er sich empor und sprach: "Da steht ihr ja herrlich im Zeuge und habt euch gut gehalten, was mir lieb ist. Ich komme aber auch nicht mit leeren Haenden und habe mir einen Pfennig erworben, durch Fleiss und Ruehrigkeit!" Und er zog einige Wechselbriefe hervor, sowie einen mit Gold angefuellten Gurt, was er alles auf den Tisch warf, und es waren allerdings einige Tausend Gulden oder Taler. Allein er hatte sie nicht nach und nach erworben und verschwieg weislich, dass er diese Habe auf einmal durch irgendeinen Gluecksfall erwischt, nachdem er sich lange genug aermlich herumgetrieben in allen nordamerikanischen Staaten. "Dies wollen wir", sagte er, "nun sogleich in das Geschaeft stecken und mit vereinten Kraeften weiter schaffen; denn ich habe eine ordentliche Lust, hier, da es nun geht, wieder ans Zeug zu gehen und den Hunden etwas vorzuspielen, die mich damals fortgetrieben." Sein Sohn schenkte ihm aber ruhig ein anderes Glas Wein ein und sagte: "Vater, ich wollte Euch raten, dass Ihr vorderhand Euch ausruhet und es Euch wohl sein lasset. Eure Schulden sind laengst bezahlt und so koennet Ihr Euer Geldchen gebrauchen, wie es Euch gutduenkt, und ohnedies soll es Euch an nichts bei uns fehlen! Was aber das Geschaeft betrifft, so habe ich selbiges von Jugend auf gelernt und weiss nun, woran es lag, dass es Euch damals misslang. Ich muss aber freie Hand darin haben, wenn es nicht abermals rueckwaerts gehen soll. Wenn es Euch Lust macht, hier und da ein wenig mitzuhelfen und Euch die Sache anzusehen, so ist es zu Eurem Zeitvertreib hinreichend, dass Ihr es tut. Wenn Ihr aber nicht nur mein Vater, sondern sogar ein Engel vom Himmel waeret, so wuerde ich Euch nicht zum foermlichen Anteilhaber annehmen, weil Ihr das Werk nicht gelernt habt und, verzeiht mir meine Unhoeflichkeit, nicht versteht!" Der Alte wurde durch diese Rede hoechst verstimmt und verlegen, wusste aber nichts darauf zu erwidern, da sie mit grosser Entschiedenheit gesprochen war und er sah, dass sein Sohn wusste, was er wollte. Er packte seine Reichtuemer zusammen und ging aus, sich in der Stadt umzusehen. Er trat in verschiedene Wirtshaeuser; allein er fand da ein neues Geschlecht an der Tagesordnung und seine alten Genossen waren laengst in die Dunkelheit verschwunden. Zudem hatte er in Amerika doch etwas andere Manieren bekommen. Er hatte sich gewoehnen muessen, sein Glaeschen stehend zu trinken, um unverweilt dem Drange und der einsilbigen Jagd des Lebens wieder nachzugehen; er hatte ein tuechtiges rastloses Arbeiten wenigstens mit angesehen und sich unter den Amerikanern ein wenig abgerieben, so dass ihm diese ewige Sitzerei und Schwaetzerei nun selbst nicht mehr zusagte. Er fuehlte, dass er in seinem wohlbestellten Hause doch besser aufgehoben waere, als in diesen Wirtshaeusern, und kehrte unwillkuerlich dahin zurueck, ohne zu wissen, ob er dort bleiben oder wieder fortgehen solle? So ging er in die Stube, die man ihm eingeraeumt; dort warf der alternde Mann seine Barschaft unmutig in einen Winkel, setzte sich rittlings auf einen Stuhl, senkte den grossen betruebten Kopf auf die Lehne und fing ganz bitterlich an zu weinen. Da trat seine Frau herein, sah, dass er sich elend fuehlte, und musste sein Elend achten. Sowie sie aber wieder etwas an ihm achten konnte, kehrte ihre Liebe augenblicklich zurueck. Sie sprach nicht mit ihm, blieb aber den uebrigen Teil des Tages in der Kammer, ordnete erst dies und jenes zu seiner Bequemlichkeit und setzte sich endlich mit ihrem Strickzeug schweigend ans Fenster, indem sich erst nach und nach ein Gespraech zwischen den lange getrennten Eheleuten entwickelte. Was sie gesprochen, waere schwer zu schildern, aber es ward beiden wohler zumut, und der alte Herr liess sich von da an von seinem wohlerzogenen Sohne nachtraeglich noch ein bisschen erziehen und leiten ohne Widerrede und ohne dass der Sohn sich eine Unkindlichkeit zuschulden kommen liess. Aber der seltsame Kursus dauerte nicht einmal sehr lange, und der Alte ward doch noch ein gelassener und zuverlaessiger Teilnehmer an der Arbeit, mit manchen Ruhepunkten und kleinen Abschweifungen, aber ohne dem bluehenden Hausstande Nachteile oder Unehre zu bringen. Sie lebten alle zufrieden und wohlbeguetert und das Glueck der Frau Regula Amrain wucherte so kraeftig in diesem Hause, dass auch die zahlreichen Kinder des Fritz vor dem Untergang gesichert blieben. Sie selbst streckte sich, als sie starb, im Tode noch stolz aus, und noch nie ward ein so langer Frauensarg in die Kirche getragen und der eine so edle Leiche barg zu Seldwyla. * * * * * DIE DREI GERECHTEN KAMMACHER Die Leute von Seldwyla haben bewiesen, dass eine ganze Stadt von Ungerechten oder Leichtsinnigen zur Not fortbestehen kann im Wechsel der Zeiten und des Verkehrs; die drei Kammacher aber, dass nicht drei Gerechte lang unter einem Dache leben koennen, ohne sich in die Haare zu geraten. Es ist hier aber nicht die himmlische Gerechtigkeit gemeint oder die natuerliche Gerechtigkeit des menschlichen Gewissens, sondern jene blutlose Gerechtigkeit, welche aus dem Vaterunser die Bitte gestrichen hat: Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern! weil sie keine Schulden macht und auch keine ausstehen hat; welche niemandem zuleid lebt, aber auch niemandem zu Gefallen, wohl arbeiten und erwerben, aber nichts ausgeben will und an der Arbeitstreue nur einen Nutzen, aber keine Freude findet. Solche Gerechte werfen keine Laternen ein, aber sie zuenden auch keine an und kein Licht geht von ihnen aus; sie treiben allerlei Hantierung und eine ist ihnen so gut wie die andere, wenn sie nur mit keiner Faehrlichkeit verbunden ist; am liebsten siedeln sie sich dort an, wo recht viele Ungerechte in ihrem Sinne sind; denn sie untereinander, wenn keine solche zwischen ihnen waeren, wuerden sich bald abreiben, wie Muehlsteine, zwischen denen kein Korn liegt. Wenn diese ein Unglueck betrifft, so sind sie hoechst verwundert und jammern, als ob sie am Spiesse staeken, da sie doch niemanden etwas zuleid getan haben; denn sie betrachten die Welt als eine grosse wohlgesicherte Polizeianstalt, wo keiner eine Kontraventionsbusse zu fuerchten braucht, wenn er vor seiner Tuere fleissig kehrt, keine Blumentoepfe unverwahrt vor das Fenster stellt und kein Wasser aus demselben giesst. Zu Seldwyl bestand ein Kammachergeschaeft, dessen Inhaber gewohnterweise alle fuenf bis sechs Jahre wechselten, obgleich es ein gutes Geschaeft war, wenn es fleissig betrieben wurde; denn die Kraemer, welche die umliegenden Jahrmaerkte besuchten, holten da ihre Kammwaren. Ausser den notwendigen Hornstriegeln aller Art wurden auch die wunderbarsten Schmuckkaemme fuer die Dorfschoenen und Dienstmaegde verfertigt aus schoenem, durchsichtigem Ochsenhorn, in welches die Kunst der Gesellen (denn die Meister arbeiteten nie) ein tuechtiges braunrotes Schildpattgewoelke beizte, je nach ihrer Phantasie, so dass, wenn man die Kaemme gegen das Licht hielt, man die herrlichsten Sonnenauf- und Niedergaenge zu sehen glaubte, rote Schaefchenhimmel, Gewitterstuerme und andere gesprenkelte Naturerscheinungen. Im Sommer, wenn die Gesellen gerne wanderten und rar waren, wurden sie mit Hoeflichkeit behandelt und bekamen guten Lohn und gutes Essen; im Winter aber, wenn sie ein Unterkommen suchten und haeufig zu haben waren, mussten sie sich ducken, Kaemme machen, was das Zeug halten wollte, fuer geringen Lohn; die Meisterin stellte einen Tag wie den andern eine Schuessel Sauerkraut auf den Tisch und der Meister sagte: "Das sind Fische!" Wenn dann ein Geselle zu sagen wagte: "Bitt' um Verzeihung, es ist Sauerkraut!" so bekam er auf der Stelle den Abschied und musste wandern in den Winter hinaus. Sobald aber die Wiesen gruen wurden und die Wege gangbar, sagten sie: "Es ist doch Sauerkraut!" und schnuerten ihr Buendel. Denn wenn dann auch die Meisterin auf der Stelle einen Schinken auf das Kraut warf, und der Meister sagte: "Meiner Seel'! ich glaubte, es waeren Fische! Nun, dies es ist doch gewiss ein Schinken!" so sehnten sie sich doch hinaus, da alle drei Gesellen in einem zweispaennigen Bett schlafen mussten und sich den Winter durch herzlich satt bekamen wegen der Rippenstoesse und erfrorenen Seiten. Einsmals aber kam ein ordentlicher und sanfter Geselle angereist aus irgendeinem der saechsischen Lande, der fuegte sich in alles, arbeitete wie ein Tierlein und war nicht zu vertreiben, so dass er zuletzt ein bleibender Hausrat wurde in dem Geschaeft und mehrmals den Meister wechseln sah, da es die Jahre her gerade etwas stuermischer herging als sonst. Jobst streckte sich in dem Bette so steif er konnte und behauptete seinen Platz zunaechst der Wand Winter und Sommer; er nahm das Sauerkraut willig fuer Fische und im Fruehjahr mit bescheidenem Dank ein Stueckchen von dem Schinken. Den kleineren Lohn legte er so gut zur Seite, wie den groesseren; denn er gab nichts aus, sondern sparte sich alles auf. Er lebte nicht wie andere Handwerksgesellen, trank nie einen Schoppen, verkehrte mit keinem Landsmann noch mit anderen jungen Gesellen, sondern stellte sich des Abends unter die Haustuere und schaekerte mit den alten Weibern, hob ihnen die Wassereimer auf den Kopf, wenn er besonders freigebiger Laune war, und ging mit den Huehnern zu Bett, wenn nicht reichliche Arbeit da war, dass er fuer besondere Rechnung die Nacht durcharbeiten konnte. Am Sonntag arbeitete er ebenfalls bis in den Nachmittag hinein, und wenn es das herrlichste Wetter war; man denke aber nicht, dass er dies mit Frohsinn und Vergnuegen tat, wie Johann der muntere Seifensieder; vielmehr war er bei dieser freiwilligen Muehe niedergeschlagen und beklagte sich fortwaehrend ueber die Muehseligkeit des Lebens. War dann der Sonntagnachmittag gekommen, so ging er in seinem Arbeitsschmutz und in den klappernden Pantoffeln ueber die Gasse und holte sich bei der Waescherin das frische Hemd und das geglaettete Vorhemdchen, den Vatermoerder oder das bessere Schnupftuch, und trug diese Herrlichkeiten auf der flachen Hand mit elegantem Gesellenschritt vor sich her nach Hause. Denn im Arbeitsschurz und in den Schlappschuhen beobachten manche Gesellen immer einen eigentuemlich gezierten Gang, als ob sie in hoeheren Sphaeren schwebten, besonders die gebildeten Buchbinder, die lustigen Schuhmacher und die seltenen sonderbaren Kammacher. In seiner Kammer bedachte sich Jobst aber noch wohl, ob er das Hemd oder das Vorhemdchen auch wirklich anziehen wolle, denn er war bei aller Sanftmut und Gerechtigkeit ein kleiner Schweinigel, oder ob es die alte Waesche noch fuer eine Woche tun muesse und er bei Hause bleiben und noch ein bisschen arbeiten wolle. In diesem Falle setzte er sich mit einem Seufzer ueber die Schwierigkeit und Muehsal der Welt von neuem dahinter und schnitt verdrossen seine Zaehne in die Kaemme oder er wandelte das Horn in Schildkroetschalen um, wobei er aber so nuechtern und phantasielos verfuhr, dass er immer die gleichen drei trostlosen Kleckse darauf schmierte; denn wenn es nicht unzweifelhaft vorgeschrieben war, so wandte er nicht die kleinste Muehe an eine Sache. Entschloss er sich aber zu einem Spaziergang, so putzte er sich eine oder zwei Stunden lang peinlich heraus, nahm sein Spazierstoeckchen und wandelte steif ein wenig vors Tor, wo er demuetig und langweilig herumstand und langweilige Gespraeche fuehrte mit andern Herumstaendern, die auch nichts Besseres zu tun wussten, etwa alte arme Seldwyler, welche nicht mehr ins Wirtshaus gehen konnten. Mit solchen stellte er sich dann gern vor ein im Bau begriffenes Haus, vor ein Saatfeld, vor einen wetterbeschaedigten Apfelbaum oder vor eine neue Zwirnfabrik und tueftelte auf das angelegentlichste ueber diese Dinge, deren Zweckmaessigkeit und den Kostenpunkt, ueber die Jahrshoffnungen und den Stand der Feldfruechte, von was allem er nicht den Teufel verstand. Es war ihm auch nicht darum zu tun; aber die Zeit verging ihm so auf die billigste und kurzweiligste Weise nach seiner Art und die alten Leute nannten ihn nur den artigen und vernuenftigen Sachsen, denn sie verstanden auch nichts. Als die Seldwyler eine grosse Aktienbrauerei anlegten, von der sie sich ein gewaltiges Leben versprachen, und die weitlaeufigen Fundamente aus dem Boden ragten, stoeckerte er manchen Sonntagabend darin herum, mit Kennerblicken und mit dem scheinbar lebendigsten Interesse die Fortschritte des Baues untersuchend, wie wenn er ein alter Bauverstaendiger und der groesste Biertrinker waere. "Aber nein!" rief er einmal um das andere, "des is ein fameses Wergg! Des gibt eine grossartigte Anstalt! Aber Geld kosten duht's, na das Geld! Aber schade, hier misste mir des Gewehlbe doch en bissgen diefer sein und die Mauer um eine Idee staerger!" Bei alledem dachte er sich gar nichts, als dass er noch rechtzeitig zum Abendessen wolle, eh' es dunkel werde; denn dieses war der einzige Tort, den er seiner Frau Meisterin antat, dass er nie das Abendbrot versaeumte am Sonntag, wie etwa die anderen Gesellen, sondern dass sie seinetwegen allein zu Hause bleiben oder sonstwie Bedacht auf ihn nehmen musste. Hatte er sein Stueckchen Braten oder Wurst versorgt, so wurmisierte er noch ein Weilchen in der Kammer herum und ging dann zu Bett; dies war dann ein vergnuegter Sonntag fuer ihn gewesen. Bei all diesem anspruchlosen, sanften und ehrbaren Wesen ging ihm aber nicht ein leiser Zug von innerlicher Ironie ab, wie wenn er sich heimlich ueber die Leichtsinnigkeit und Eitelkeit der Welt lustig machte, und er schien die Groesse und Erheblichkeit der Dinge nicht undeutlich zu bezweifeln und sich eines viel tieferen Gedankenplanes bewusst zu sein. In der Tat machte er auch zuweilen ein so kluges Gesicht, besonders wenn er die sachverstaendigen sonntaeglichen Reden fuehrte, dass man ihm wohl ansah, wie er heimlich viel wichtigere Dinge im Sinne trage, wogegen alles, was andere unternahmen, bauten und aufrichteten, nur ein Kinderspiel waere. Der grosse Plan, welchen er Tag und Nacht mit sich herumtrug und welcher sein stiller Leitstern war die ganzen Jahre lang, waehrend er in Seldwyl Geselle war, bestand darin, sich so lange seinen Arbeitslohn aufzusparen, bis er hinreiche, eines schoenen Morgens das Geschaeft, wenn es gerade vakant wuerde, anzukaufen und ihn selbst zum Inhaber und Meister zu machen. Dies lag all seinem Tun und Trachten zugrunde, da er wohl bemerkt hatte, wie ein fleissiger und sparsamer Mann allhier wohl gedeihen muesste, ein Mann, welcher seinen eigenen stillen Weg ginge und von der Sorglosigkeit der andern nur den Nutzen, aber nicht die Nachteile zu ziehen wuesste. Wenn er aber erst Meister waere, dann wollte er bald so viel erworben haben, um sich auch einzubuergern, und dann erst gedachte er so klug und zweckmaessig zu leben, wie noch nie ein Buerger in Seldwyl, sich um gar nichts zu kuemmern, was nicht seinen Wohlstand mehre, nicht einen Deut auszugeben, aber deren so viele als moeglich an sich zu ziehen in dem leichtsinnigen Strudel dieser Stadt. Dieser Plan war ebenso einfach als richtig und begreiflich, besonders da er ihn auch ganz gut und ausdauernd durchfuehrte; denn er hatte schon ein huebsches Suemmchen zurueckgelegt, welches er sorgfaeltig verwahrte und sicherer Berechnung nach mit der Zeit gross genug werden musste zur Erreichung dieses Zieles. Aber das Unmenschliche an diesem so stillen und friedfertigen Plane war nur, dass Jobst ihn ueberhaupt gefasst hatte; denn nichts in seinem Herzen zwang ihn, gerade in Seldwyla zu bleiben, weder eine Vorliebe fuer die Gegend, noch fuer die Leute, weder fuer die politische Verfassung dieses Landes, noch fuer seine Sitten. Dies alles war ihm so gleichgueltig, wie seine eigene Heimat, nach welcher er sich gar nicht zuruecksehnte; an hundert Orten in der Welt konnte er sich mit seinem Fleiss und mit seiner Gerechtigkeit ebensowohl festhalten, wie hier; aber er hatte keine freie Wahl und ergriff in seinem oeden Sinne die erste zufaellige Hoffnungsfaser, die sich ihm bot, um sich daran zu haengen und sich daran gross zu saugen. Wo es mir wohl geht, da ist mein Vaterland! heisst es sonst und dieses Sprichwort soll unangetastet bleiben fuer diejenigen, welche auch wirklich eine bessere und notwendige Ursache ihres Wohlergehens im neuen Vaterlande haben, welche in freiem Entschlusse in die Welt hinausgegangen, um sich ruestig einen Vorteil zu erringen und als geborgene Leute zurueckzukehren, oder welche einem unwohnlichen Zustande in Scharen entfliehen und, dem Zuge der Zeit gehorchend, die neue Voelkerwanderung ueber die Meere mitwandern; oder welche irgendwo treuere Freunde gefunden haben als daheim, oder ihren eigensten Neigungen mehr entsprechende Verhaeltnisse oder durch irgendein schoeneres menschliches Band festgebunden werden. Aber auch das neue Land ihres Wohlergehens werden alle diese wenigstens lieben muessen, wo sie immerhin sind, und auch da zur Not einen Menschen vorstellen. Aber Jobst wusste kaum, wo er war; die Einrichtungen und Gebraeuche der Schweizer waren ihm unverstaendlich, und er sagte bloss zuweilen: "Ja, ja, die Schweizer sind politische Leute! Es ist gewisslich, wie ich glaube, eine schoene Sache um die Politik, wenn man Liebhaber davon ist! Ich fuer meinen Teil bin kein Kenner davon, wo ich zu Haus bin, da ist es nicht der Brauch gewesen." Die Sitten der Seldwyler waren ihm zuwider und machten ihn aengstlich, und wenn sie einen Tumult oder Zug vorhatten, hockte er zitternd zu hinterst in der Werkstatt und fuerchtete Mord und Totschlag. Und dennoch war es sein einziges Denken und sein grosses Geheimnis, hier zu bleiben bis an das Ende seiner Tage. Auf alle Punkte der Erde sind solche Gerechte hingestreut, die aus keinem anderen Grunde sich dahin verkruemelten, als weil sie zufaellig an ein Saugeroehrchen des guten Auskommens gerieten, und sie saugen still daran ohne Heimweh nach dem alten, ohne Liebe zu dem neuen Lande, ohne einen Blick in die Weite und ohne einen fuer die Naehe, und gleichen daher weniger dem freien Menschen, als jenen niederen Organismen, wunderlichen Tierchen und Pflanzensamen, die durch Luft und Wasser an die zufaellige Staette ihres Gedeihens getragen worden. So lebte er ein Jaehrchen um das andere in Seldwyla und aeufnete seinen heimlichen Schatz, welchen er unter einer Fliese seines Kammerbodens vergraben hielt. Noch konnte sich kein Schneider ruehmen, einen Batzen an ihm verdient zu haben, denn noch war der Sonntagsrock, mit dem er angereist, im gleichen Zustande wie damals. Noch hatte kein Schuster einen Pfennig von ihm geloest, denn noch waren nicht einmal die Stiefelsohlen durchgelaufen, die bei seiner Ankunft das Aeussere seines Felleisens geziert; denn das Jahr hat nur zweiundfuenfzig Sonntage, und von diesen wurde nur die Haelfte zu einem kleinen Spaziergange verwandt. Niemand konnte sich ruehmen, je ein kleines oder grosses Stueck Geld in seiner Hand gesehen zu haben; denn wenn er seinen Lohn empfing, verschwand dieser auf der Stelle auf die geheimnisvollste Weise, und selbst wenn er vor das Tor ging, steckte er nicht einen Deut zu sich, so dass es ihm gar nicht moeglich war, etwas auszugeben. Wenn Weiber mit Kirschen, Pflaumen oder Birnen in die Werkstatt kamen und die anderen Arbeiter ihre Gelueste befriedigten, hatte er auch tausend und ein Gelueste, welche er dadurch zu beruhigen wusste, dass er mit der groessten Aufmerksamkeit die Verhandlung mit fuehrte, die huebschen Kirschen und Pflaumen streichelte und betastete und zuletzt die Weiber, welche ihn fuer den eifrigsten Kaeufer genommen, verbluefft abziehen liess, sich seiner Enthaltsamkeit freuend; und mit zufriedenem Vergnuegen, mit tausend kleinen Ratschlaegen, wie sie die gekauften Aepfel braten oder schaelen sollten, sah er seine Mitgesellen essen. Aber so wenig jemand eine Muenze von ihm zu besehen kriegte, ebensowenig erhielt jemand von ihm je ein barsches Wort, eine unbillige Zumutung oder ein schiefes Gesicht; er wich vielmehr allen Haendeln auf das sorgfaeltigste aus und nahm keinen Scherz uebel, den man sich mit ihm erlaubte; und so neugierig er war, den Verlauf von allerlei Klatschereien und Streitigkeiten zu betrachten und zu beurteilen, da solche jederzeit einen kostenfreien Zeitvertreib gewaehrten, waehrend andere Gesellen ihren rohen Gelagen nachgingen, so huetete er sich wohl, sich in etwas zu mischen und ueber einer Unvorsichtigkeit betreffen zu lassen. Kurz, er war die merkwuerdigste Mischung von wahrhaft heroischer Weisheit und Ausdauer und von sanfter schnoeder Herz- und Gefuehllosigkeit. Einst war er schon seit vielen Wochen der einzige Geselle in dem Geschaeft und es ging ihm so wohl in dieser Ungestoertheit wie einem Fisch im Wasser. Besonders des Nachts freute er sich des breiten Raumes im Bette und benutzte sehr oekonomisch diese schoene Zeit, sich fuer die kommenden Tage zu entschaedigen und seine Person gleichsam zu verdreifachen, indem er unaufhoerlich die Lage wechselte und sich vorstellte, als ob drei zumal im Bette laegen, von denen zwei den Dritten ersuchten, sich doch nicht zu genieren und es sich bequem zu machen. Dieser Dritte war er selbst und er wickelte sich auf die Einladung hin wolluestig in die ganze Decke oder spreizte die Beine weit auseinander, legte sich quer ueber das Bett oder schlug in harmloser Lust Purzelbaeume darin. Eines Tages aber, als er noch beim Abendscheine schon im Bette lag, kam unverhofft noch ein fremder Geselle zugesprochen und wurde von der Meisterin in die Schlafkammer gewiesen. Jobst lag eben in wohligem Behagen mit dem Kopfe am Fussende und mit den Fuessen auf den Pfuelmen, als der Fremde eintrat, sein schweres Felleisen abstellte und unverweilt anfing, sich auszuziehen, da er muede war. Jobst schnellte blitzschnell herum und streckte sich steif an seinen urspruenglichen Platz an der Wand, und er dachte: "Der wird bald wieder ausreissen, da es Sommer ist und lieblich zu wandern!" In dieser Hoffnung ergab er sich mit stillen Seufzern in sein Schicksal und war der naechtlichen Rippenstoesse und des Streites um die Decke gewaertig, die es nun absetzen wuerde. Aber wie erstaunt war er, als der Neuangekommene, obgleich es ein Bayer war, sich mit hoeflichem Grusse zu ihm ins Bett legte, sich ebenso friedlich und manierlich, wie er selbst, am andern Ende des Bettes verhielt und ihn waehrend der ganzen Nacht nicht im mindesten belaestigte. Dies unerhoerte Abenteuer brachte ihn so um alle Ruhe, dass er, waehrend der Bayer wohlgemut schlief, diese Nacht kein Auge zutat. Am Morgen betrachtete er den wundersamen Schlafgefaehrten mit aeusserst aufmerksamen Mienen und sah, dass es ein ebenfalls nicht mehr junger Geselle war, der sich mit anstaendigen Worten nach den Umstaenden und dem Leben hier erkundigte, ganz in der Weise, wie er es etwa selbst getan haben wuerde. Sobald er dies nur bemerkte, hielt er an sich und verschwieg die einfachsten Dinge, wie ein grosses Geheimnis, trachtete aber dagegen das Geheimnis des Bayers zu ergruenden; denn dass derselbe ebenfalls eines besass, war ihm von weitem anzusehen; wozu sollte er sonst ein so verstaendiger, sanftmuetiger und gewiegter Mensch sein, wenn er nicht irgend etwas Heimliches, sehr Vorteilhaftes vorhatte? Nun suchten sie sich gegenseitig die Wuermer aus der Nase zu ziehen, mit der groessten Vorsicht und Friedfertigkeit, in halben Worten und auf anmutigen Umwegen. Keiner gab eine vernuenftige klare Antwort und doch wusste nach Verlauf einiger Stunden jeder, dass der andere nichts mehr oder minder als sein vollkommener Doppelgaenger sei. Als im Laufe des Tages Fridolin, der Bayer, mehrmals nach der Kammer lief und sich dort zu schaffen machte, nahm Jobst die Gelegenheit wahr, auch einmal hinzuschleichen, als jener bei der Arbeit sass, und durchmusterte im Fluge die Habseligkeiten Fridolins; er entdeckte aber nichts weiter, als fast die gleichen Siebensaechelchen, die er selbst besass, bis auf die hoelzerne Nadelbuechse, welche aber hier einen Fisch vorstellte, waehrend Jobst scherzhafterweise ein kleines Wickelkindchen besass, und statt einer zerrissenen franzoesischen Sprachlehre fuer das Volk, welche Jobst bisweilen durchblaetterte, war bei dem Bayer ein gut gebundenes Buechlein zu finden, betitelt: Die kalte und warme Kuepe, ein unentbehrliches Handbuch fuer Blaufaerber. Darin war aber mit Bleistift geschrieben: Unterfand fuer die 3 Kreizer, welche ich dem Nassauer geborgt. Hieraus schloss er, dass es ein Mann war, der das Seinige zusammenhielt, und spaehete unwillkuerlich am Boden herum, und bald entdeckte er eine Fliese, die ihm gerade so vorkam, als ob sie kuerzlich herausgenommen waere, und unter derselben lag auch richtig ein Schatz in ein altes halbes Schnupftuch und mit Zwirn umwickelt, fast ganz so schwer wie der seinige, welcher zum Unterschied in einem zugebundenen Socken steckte. Zitternd drueckte er die Backsteinplatte wieder zurecht, zitternd aus Aufregung und Bewunderung der fremden Groesse und aus tiefer Sorge um sein Geheimnis. Stracks lief er hinunter in die Werkstatt und arbeitete, als ob es gelte, die Welt mit Kaemmen zu versehen, und der Bayer arbeitete, als ob der Himmel noch dazu gekaemmt werden muesste. Die naechsten acht Tage bestaetigten durchaus diese erste gegenseitige Auffassung; denn war Jobst fleissig und genuegsam, so war Fridolin taetig und enthaltsam mit den gleichen bedenklichen Seufzern ueber das Schwierige solcher Tugend; war aber Jobst heiter und weise, so zeigte sich Fridolin spasshaft und klug; war jener bescheiden, so war dieser demuetig, jener schlau und ironisch, dieser durchtrieben und beinahe satirisch, und machte Jobst ein friedlich einfaeltiges Gesicht zu einer Sache, die ihn aengstigte, so sah Fridolin unuebertrefflich wie ein Esel aus. Es war nicht sowohl ein Wettkampf, als die Uebung wohlbewusster Meisterschaft, die sie beseelte, wobei keiner verschmaehte, sich den andern zum Vorbild zu nehmen und ihm die feinsten Zuege eines vollkommenen Lebenswandels, die ihm etwa noch fehlten, nachzuahmen. Sie sahen sogar so eintraechtig und verstaendnisinnig aus, dass sie eine gemeinsame Sache zu machen schienen, und glichen so zwei tuechtigen Helden, die sich ritterlich vertragen und gegenseitig staehlen, ehe sie sich befehden. Aber nach kaum acht Tagen kam abermals einer zugereist, ein Schwabe, namens Dietrich, worueber die beiden eine stillschweigende Freude empfanden, wie ueber einen lustigen Massstab, an welchem ihre stille Groesse sich messen konnte, und sie gedachten das arme Schwaebchen, welches gewiss ein rechter Taugenichts war, in die Mitte zwischen ihre Tugenden zu nehmen, wie zwei Loewen ein Aeffchen, mit dem sie spielen. Aber wer beschreibt ihr Erstaunen, als der Schwabe sich gerade so benahm, wie sie selbst, und sich die Erkennung, die zwischen ihnen vorgegangen, noch einmal wiederholte zu dritt, wodurch sie nicht nur dem Dritten gegenueber in eine unverhoffte Stellung gerieten, sondern sie selbst unter sich in eine ganz veraenderte Lage kamen. Schon als sie ihn im Bette zwischen sich nahmen, zeigte sich der Schwabe als vollkommen ebenbuertig und lag wie ein Schwefelholz so strack und ruhig, so dass immer noch ein bisschen Raum zwischen jedem der Gesellen blieb und das Deckbett auf ihnen lag, wie ein Papier auf drei Heringen. Die Lage wurde nun ernster, und indem alle drei gleichmaessig sich gegenueberstanden, wie die Winkel eines gleichseitigen Dreiecks, und kein vertrauliches Verhaeltnis mehr zwischen zweien moeglich war, kein Waffenstillstand oder anmutiger Wettstreit, waren sie allen Ernstes beflissen, einander aus dem Bett und dem Haus hinaus zu dulden. Als der Meister sah, dass diese drei Kaeuze sich alles gefallen liessen, um nur dazubleiben, brach er ihnen am Lohn ab und gab ihnen geringere Kost; aber desto fleissiger arbeiteten sie und setzten ihn in den Stand, grosse Vorraete von billigen Waren in Umlauf zu bringen und vermehrten Bestellungen zu genuegen, also dass er ein Heidengeld durch die stillen Gesellen verdiente und eine wahre Goldgrube an ihnen besass. Er schnallte sich den Gurt um einige XXX Loecher weiter und spielte eine grosse Rolle in der Stadt, waehrend die toerichten Arbeiter in der dunklen Werkstatt Tag und Nacht sich abmuehten und sich gegenseitig hinausarbeiten wollten. Dietrich, der Schwabe, welcher der juengste war, erwies sich als ganz vom gleichen Holze geschnitten, wie die zwei andern, nur besass er noch keine Ersparnis, denn er war noch zu wenig gereist. Dies waere ein bedenklicher Umstand fuer ihn gewesen, da Jobst und Fridolin einen zu grossen Vorsprung gewannen, wenn er nicht als ein erfindungsreiches Schwaeblein eine neue Zaubermacht heraufbeschworen haette, um den Vorteil der andern aufzuwiegen. Da sein Gemuet naemlich von jeglicher Leidenschaft frei war, so frei wie dasjenige seiner Nebengesellen, ausser von der Leidenschaft, gerade hier und nirgends anders sich anzusiedeln und den Vorteil wahrzunehmen, so erfand er den Gedanken, sich zu verlieben und um die Hand einer Person zu werben, welche ungefaehr so viel besass, als der Sachse und der Bayer unter den Fliesen liegen hatten. Es gehoerte zu den besseren Eigentuemlichkeiten der Seldwyler, dass sie um einiger Mittel willen keine haesslichen oder unliebenswuerdigen Frauen nahmen; in grosse Versuchung gerieten sie ohnehin nicht, da es in ihrer Stadt keine reichen Erbinnen gab, weder schoene noch unschoene, und so behaupteten sie wenigstens die Tapferkeit, auch die kleineren Brocken zu verschmaehen und sich lieber mit lustigen und huebschen Wesen zu verbinden, mit welchen sie einige Jahre Staat machen konnten. Daher wurde es dem ausspaehenden Schwaben nicht schwer, sich den Weg zu einer tugendhaften Jungfrau zu bahnen, welche in derselben Strasse wohnte und von der er, im klugen Gespraeche mit alten Weibern, in Erfahrung gebracht, dass sie einen Gueltbrief von siebenhundert Gulden ihr Eigentum nenne. Dies war Zues Buenzlin, eine Tochter von achtundzwanzig Jahren, welche mit ihrer Mutter, der Waescherin, zusammenlebte, aber ueber jenes vaeterliche Erbteil unbeschraenkt herrschte. Sie hatte den Brief in einer kleinen lackierten Lade liegen, wo sie auch die Zinsen davon, ihren Taufzettel, ihren Konfirmationsschein und ein bemaltes und vergoldetes Osterei bewahrte; ferner ein halbes Dutzend silberne Teeloeffel, ein Vaterunser mit Gold auf einen roten durchsichtigen Glasstoff gedruckt, den sie Menschenhaut nannte, einen Kirschkern, in welchen das Leiden Christi geschnitten war, und eine Buechse aus durchbrochenem und mit rotem Taft unterlegtem Elfenbein, in welcher ein Spiegelchen war und ein silberner Fingerhut; ferner war darin ein anderer Kirschkern, in welchem ein winziges Kegelspiel klapperte, eine Nuss, worin eine kleine Muttergottes hinter Glas lag, wenn man sie oeffnete, ein silbernes Herz, worin ein Riechschwaemmchen steckte, und eine Bonbonbuechse aus Zitronenschale, auf deren Deckel eine Erdbeere gemalt war, und in welcher eine goldene Stecknadel auf Baumwolle lag, die ein Vergissmeinnicht vorstellte, und ein Medaillon mit einem Monument von Haaren; ferner ein Buendel vergilbter Papiere mit Rezepten und Geheimnissen, ein Flaeschchen mit Hoffmannstropfen, ein anderes mit Koelnischem Wasser und eine Buechse mit Moschus; eine andere, worin ein Endchen Marderdreck lag, und ein Koerbchen, aus wohlriechenden Halmen geflochten, sowie eines, aus Glasperlen und Gewuerznaegelein zusammengesetzt; endlich ein kleines Buch, in himmelblaues geripptes Papier gebunden mit silbernem Schnitt, betitelt: Goldene Lebensregeln fuer die Jungfrau als Braut, Gattin und Mutter; und ein Traumbuechlein, ein Briefsteller, fuenf oder sechs Liebesbriefe und ein Schnepper zum Aderlassen; denn einst hatte sie ein Verhaeltnis mit einem Barbiergesellen oder Chirurgiegehilfen gepflogen, welchen sie zu ehelichen gedachte; und da sie eine geschickte und ueberaus verstaendige Person war, so hatte sie von ihrem Liebhaber gelernt, die Ader zu schlagen, Blutegel und Schroepfkoepfe anzusetzen und dergleichen mehr und konnte ihn selbst sogar schon rasieren. Allein er hatte sich als ein unwuerdiger Mensch gezeigt, bei welchem leichtlich ihr ganzes Lebensglueck aufs Spiel gesetzt war, und so hatte sie mit trauriger, aber weiser Entschlossenheit das Verhaeltnis geloest. Die Geschenke wurden von beiden Seiten zurueckgegeben mit Ausnahme des Schneppers; diesen vorenthielt sie als ein Unterpfand fuer einen Gulden und achtundvierzig Kreuzer, welche sie ihm einst bar geliehen; der Unwuerdige behauptete aber, solche nicht schuldig zu sein, da sie das Geld ihm bei Gelegenheit eines Balles in die Hand gegeben, um die Auslagen zu bestreiten, und sie haette zweimal soviel verzehrt als er. So behielt er den Gulden und die achtundvierzig Kreuzer und sie den Schnepper, mit welchem sie unter der Hand allen Frauen ihrer Bekanntschaft Ader liess und manchen schoenen Batzen verdiente. Aber jedesmal, wenn sie das Instrument gebrauchte, musste sie mit Schmerzen der niedrigen Gesinnungsart dessen gedenken, der ihr so nahegestanden und beinahe ihr Gemahl geworden waere! Dies alles war in der lackierten Lade enthalten, wohlverschlossen, und diese war wiederum in einem alten Nussbaumschrank aufgehoben, dessen Schluessel die Zues Buenzlin allfort in der Tasche trug. Die Person selbst hatte duenne roetliche Haare und wasserblaue Augen, welche nicht ohne Reiz waren und zuweilen sanft und weise zu blicken wussten; sie besass eine grosse Menge Kleider, von denen sie nur wenige und stets die aeltesten trug, aber immer war sie sorgsam und reinlich angezogen, und ebenso sauber und aufgeraeumt sah es in der Stube aus. Sie war sehr fleissig und half ihrer Mutter bei ihrer Waescherei, indem sie die feineren Sachen plaettete und die Hauben und Manschetten der Seldwylerinnen wusch, womit sie einen schoenen Pfennig gewann; von dieser Taetigkeit mochte es auch kommen, dass sie allwoechentlich die Tage hindurch, wo gewaschen wurde, jene strenge und gemessene Stimmung innehielt, welche die Weiber immer waehrend einer Waesche befaellt, und dass diese Stimmung sich in ihr festsetzte ein fuer allemal an diesen Tagen; erst wenn das Glaetten anging, griff eine groessere Heiterkeit Platz, welche bei Zuesi aber jederzeit mit Weisheit gewuerzt war. Den gemessenen Geist beurkundete auch die Hauptzierde der Wohnung, ein Kranz von viereckigen, genau abgezirkelten Seifenstuecken, welche rings auf das Gesimse des Tannengetaefels gelegt waren zum Hartwerden, behufs besserer Nutzniessung. Diese Stuecke zirkelte ab und schnitt aus den frischen Tafeln mittelst eines Messingdrahtes jederzeit Zues selbst. Der Draht hatte zwei Querhoelzchen an den Enden zum bequemen Anfassen und Durchschneiden der weichen Seife; einen schoenen Zirkel aber zum Einteilen hatte ihr ein Zeugschmiedgesell verfertigt und geschenkt, mit welchem sie einst so gut wie versprochen war. Von demselben ruehrte auch ein blanker kleiner Gewuerzmoerser her, welcher das Gesimse ihres Schrankes zierte zwischen der blauen Teekanne und dem bemalten Blumenglas; schon lange war ein solches artiges Moerserchen ihr Wunsch gewesen, und der aufmerksame Zeugschmied kam daher wie gerufen, als er an ihrem Namenstage damit erschien und auch was zum Stossen mitbrachte: eine Schachtel voll Zimmet, Zucker, Naegelein und Pfeffer. Den Moerser hing er dazumal vor der Stubentuere, ehe er eintrat, mit dem einen Henkel an den kleinen Finger, und hub mit dem Stoessel ein schoenes Gelaeute an, wie mit einer Glocke, so dass es ein froehlicher Morgen ward. Aber kurz darauf entfloh der falsche Mensch aus der Gegend und liess nie wieder von sich hoeren. Sein Meister verlangte obenein noch den Moerser zurueck, da der Entflohene ihn seinem Laden entnommen, aber nicht bezahlt habe. Aber Zues Buenzlin gab das werte Andenken nicht heraus, sondern fuehrte einen tapfern und heftigen kleinen Prozess darum, den sie selbst vor Gericht verteidigte auf Grundlage einer Rechnung fuer gewaschene Vorhemden des Entwichenen. Dies waren, als sie den Streit um den Moerser fuehren musste, die bedeutsamsten und schmerzhaftesten Tage ihres Lebens, da sie mit ihrem tiefen Verstande die Dinge und besonders das Erscheinen vor Gericht um solch zarter Sache willen viel lebendiger begriff und empfand als andere leichtere Leute. Doch erstritt sie den Sieg und behielt den Moerser. Wenn aber die zierliche Seifengalerie ihre Werktaetigkeit und ihren exakten Sinn verkuendete, so pries nicht minder ihren erbaulichen und geschulten Geist ein Haeufchen unterschiedlicher Buecher, welches am Fenster ordentlich aufgeschichtet lag und in denen sie des Sonntags fleissig las. Sie besass noch alle ihre Schulbuecher seit vielen Jahren her und hatte auch nicht eines verloren, sowie sie auch noch die ganze kleine Gelehrsamkeit im Gedaechtnis trug, und sie wusste noch den Katechismus auswendig wie das Deklinierbuch, das Rechenbuch wie das Geographiebuch, die biblische Geschichte und die weltlichen Lesebuecher; auch besass sie einige der huebschen Geschichten von Christoph Schmid und dessen kleine Erzaehlungen mit den artigen Spruchversen am Ende, wenigstens ein halbes Dutzend verschiedene Schatzkaestlein und Rosengaertchen zum Aufschlagen, eine Sammlung Kalender voll bewaehrter mannigfacher Erfahrung und Weisheit, einige merkwuerdige Prophezeiungen, eine Anleitung zum Kartenschlagen, ein Erbauungsbuch auf alle Tage des Jahres fuer denkende Jungfrauen und ein altes Exemplar von Schillers Raeubern, welches sie so oft las, als sie glaubte es genugsam vergessen zu haben, und jedesmal wurde sie von neuem geruehrt, hielt aber sehr verstaendige und sichtende Reden darueber. Alles, was in diesen Buechern stand, hatte sie auch im Kopfe und wusste auf das schoenste darueber und ueber noch viel mehr zu sprechen. Wenn sie zufrieden und nicht zu sehr beschaeftigt war, so ertoenten unaufhoerliche Reden aus ihrem Munde und alle Dinge wusste sie heimzuweisen und zu beurteilen, und jung und alt, hoch und niedrig, gelehrt und ungelehrt musste von ihr lernen und sich ihrem Urteile unterziehen, wenn sie laechelnd oder sinnig erst ein Weilchen aufgemerkt hatte, worum es sich handle; sie sprach zuweilen so viel und salbungsvoll wie eine gelehrte Blinde, die nichts von der Welt sieht und deren einziger Genuss ist, sich selbst reden zu hoeren. Von der Stadtschule her und aus dem Konfirmationsunterrichte hatte sie die UEbung ununterbrochen beibehalten, Aufsaetze und geistliche Memorierungen und allerhand spruchweise Schemata zu schreiben, und so verfertigte sie zuweilen an stillen Sonntagen die wunderbarsten Aufsaetze, indem sie an irgendeinen wohlklingenden Titel, den sie gehoert oder gelesen, die sonderbarsten und unsinnigsten Saetze anreihte, ganze Bogen voll, wie sie ihrem seltsamen Gehirn entsprangen, wie z.B. ueber das Nutzbringende eines Krankenbettes, ueber den Tod, ueber die Heilsamkeit des Entsagens, ueber die Groesse der sichtbaren Welt und das Geheimnisvolle der unsichtbaren, ueber das Landleben und dessen Freuden, ueber die Natur, ueber die Traeume, ueber die Liebe, einiges ueber das Erloesungswerk Christi, drei Punkte ueber die Selbstgerechtigkeit, Gedanken ueber die Unsterblichkeit. Sie las ihren Freunden und Anbetern diese Arbeiten laut vor, und wem sie recht wohlwollte, dem schenkte sie einen oder zwei solcher Aufsaetze und der musste sie in die Bibel legen, wenn er eine hatte. Diese ihre geistige Seite hatte ihr einst die tiefe und aufrichtige Neigung eines jungen Buchbindergesellen zugezogen, welcher alle Buecher las, die er einband, und ein strebsamer, gefuehlvoller und unerfahrener Mensch war. Wenn er sein Waschbuendel zu Zuesis Mutter brachte, duenkte er im Himmel zu sein, so wohl gefiel es ihm, solche herrliche Reden zu hoeren, die er sich selbst schon so oft idealisch gedacht, aber nicht auszustossen getraut hatte. Schuechtern und ehrerbietig naeherte er sich der abwechselnd strengen und beredten Jungfrau, und sie gewaehrte ihm ihren Umgang und band ihn an sich waehrend eines Jahres, aber nicht ohne ihn ganz in den Schranken klarer Hoffnungslosigkeit zu halten, die sie mit sanfter, aber unerbittlicher Hand vorzeichnete. Denn da er neun Jahre juenger war als sie, arm wie eine Maus und ungeschickt zum Erwerb, der fuer einen Buchbinder in Seldwyla ohnehin nicht erheblich war, weil die Leute da nicht lasen und wenig Buecher binden liessen, so verbarg sie sich keinen Augenblick die Unmoeglichkeit einer Vereinigung und suchte nur seinen Geist auf alle Weise an ihrer eigenen Entsagungsfaehigkeit heranzubilden und in einer Wolke von buntscheckigen Phrasen einzubalsamieren. Er hoerte ihr andaechtig zu und wagte zuweilen selbst einen schoenen Ausspruch, den sie ihm aber, kaum geboren, totmachte mit einem noch schoeneren; dies war das geistigste und edelste ihrer Jahre, durch keinen groeberen Hauch getruebt, und der junge Mensch band ihr waehrend derselben alle ihre Buecher neu ein und bauete ueberdies waehrend vieler Naechte und vieler Feiertage ein kunstreiches und kostbares Denkmal seiner Verehrung. Es war ein grosser chinesischer Tempel aus Papparbeit mit unzaehligen Behaeltern und geheimen Faechern, den man in vielen Stuecken auseinandernehmen konnte. Mit den feinsten farbigen und gepressten Papieren war er beklebt und ueberall mit Goldboertchen geziert. Spiegelwaende und Saeulen wechselten ab, und hob man ein Stueck ab oder oeffnete ein Gelass, so erblickte man neue Spiegel und verborgene Bilderchen, Blumenbuketts und liebende Paerchen; an den ausgeschweiften Spitzen der Daecher hingen allwaerts kleine Gloecklein. Auch ein Uhrgehaeuse fuer eine Damenuhr war angebracht mit schoenen Haekchen an den Saeulen, um die goldene Kette daran zu henken und an dem Gebaeude hin und her zu schlaengeln; aber bis jetzt hatte sich noch kein Uhrenmacher genaehert, welcher eine Uhr, und kein Goldschmied, welcher eine Kette auf diesen Altar gelegt haette. Eine unendliche Muehe und Kunstfertigkeit war an diesem sinnreichen Tempel verschwendet und der geometrische Plan nicht minder muehevoll als die saubere genaue Arbeit. Als das Denkmal eines schoen verlebten Jahrs fertig war, ermunterte Zues Buenzlin den guten Buchbinder, mit Bezwingung ihrer selbst, sich nun loszureissen und seinen Stab weiterzusetzen, da ihm die Welt offenstehe und ihm, nachdem er in ihrem Umgange, in ihrer Schule so sehr sein Herz veredelt habe, gewiss noch das schoenste Glueck lachen werde, waehrend sie ihn nie vergessen und sich der Einsamkeit ergeben wolle. Er weinte wahrhaftige Traenen, als er sich so schicken liess und aus dem Staedtlein zog. Sein Werk dagegen thronte seitdem auf Zuesis altvaeterischer Kommode, von einem meergruenen Gazeschleier bedeckt, dem Staub und allen unwuerdigen Blicken entzogen. Sie hielt es so heilig, dass sie es ungebraucht und neu erhielt und gar nichts in die Behaeltnisse steckte, auch nannte sie den Urheber desselben in der Erinnerung Emanuel, waehrend er Veit geheissen, und sagte jedermann, nur Emanuel habe sie verstanden und ihr Wesen erfasst. Nur ihm selber hatte sie das selten zugestanden, sondern ihn in ihrem strengen Sinne kurz gehalten und zur hoeheren Anspornung ihm haeufig gezeigt, dass er sie am wenigsten verstehe, wenn er sich am meisten einbilde, es zu tun. Dagegen spielte er ihr auch einen Streich und legte in einen doppelten Boden, auf dem innersten Grunde des Tempels, den allerschoensten Brief, von Traenen benetzt, worin er eine unsaegliche Betruebnis, Liebe, Verehrung und ewige Treue aussprach, und in so huebschen und unbefangenen Worten, wie sie nur das wahre Gefuehl findet, welches sich in eine Vexiergasse verrannt hat. So schoene Dinge hatte er gar nie ausgesprochen, weil sie ihn niemals zu Worte kommen liess. Da sie aber keine Ahnung hatte von dem verborgenen Schatze, so geschah es hier, dass das Schicksal gerecht war und eine falsche Schoene nicht das zu Gesicht bekam, was sie nicht zu sehen verdiente. Auch war es ein Symbol, dass sie es war, welche das toerichte, aber innige und aufrichtig gemeinte Wesen des Buchbinders nicht verstanden. Schon lange hatte sie das Leben der drei Kammacher gelobt und dieselben drei gerechte und verstaendige Maenner genannt; denn sie hatte sie wohl beobachtet. Als daher Dietrich der Schwabe begann, sich laenger bei ihr aufzuhalten, wenn er sein Hemd brachte oder holte, und ihr den Hof zu machen, benahm sie sich freundschaftlich gegen ihn und hielt ihn mit trefflichen Gespraechen stundenlang bei sich fest, und Dietrich redete ihr voll Bewunderung nach dem Munde, so stark er konnte; und sie vermochte ein tuechtiges Lob zu ertragen, ja sie liebte den Pfeffer desselben um so mehr, je staerker er war, und wenn man ihre Weisheit pries, hielt sie sich moeglichst still, bis man das Herz geleert, worauf sie mit erhoehter Salbung den Faden aufnahm und das Gemaelde da und dort ergaenzte, das man von ihr entworfen. Nicht lange war Dietrich bei Zues aus und ein gegangen, so hatte sie ihm auch schon den Gueltbrief gezeigt, und er war voll guter Dinge und tat gegen seine Gefaehrten so heimlich wie einer, der das Perpetuum mobile erfunden hat. Jobst und Fridolin kamen ihm jedoch bald auf die Spur und erstaunten ueber seinen tiefen Geist und ueber seine Gewandtheit. Jobst besonders schlug sich foermlich vor den Kopf; denn schon seit Jahren ging er ja auch in das Haus und noch nie war ihm eingefallen, etwas anderes da zu suchen als seine Waesche; er hasste vielmehr die Leute beinahe, weil sie die einzigen waren, bei welchen er einige bare Pfennige herausklauben musste allwoechentlich. An eine eheliche Verbindung pflegte er nie zu denken, weil er unter einer Frau nichts anderes denken konnte als ein Wesen, das etwas von ihm wollte, was er nicht schuldig sei, und etwas von einer selbst zu wollen, was ihm nuetzlich sein koennte, fiel ihm auch nicht ein, da er nur sich selbst vertraute und seine kurzen Gedanken nicht ueber den naechsten und allerengsten Kreis seines Geheimnisses hinausgingen. Aber jetzt galt es, dem Schwaebchen den Rang abzulaufen, denn dieses konnte mit den siebenhundert Gulden der Jungfer Zues schlimme Geschichten aufstellen, wenn es sie erhielt, und die siebenhundert Gulden selbst bekamen auf einmal einen verklaerten Glanz und Schimmer in den Augen des Sachsen wie des Bayers. So hatte Dietrich, der erfindungsreiche, nur ein Land entdeckt, welches alsobald Gemeingut wurde, und teilte das herbe Schicksal aller Entdecker; denn die zwei andern folgten sogleich seiner Faehrte und stellten sich ebenfalls bei Zues Buenzlin auf, und diese sah sich von einem ganzen Hof verstaendiger und ehrbarer Kammacher umgeben. Das gefiel ihr ausnehmend wohl; noch nie hatte sie mehrere Verehrer auf einmal besessen, weshalb es eine neue Geistesuebung fuer sie ward, diese drei mit der groessten Klugheit und Unparteilichkeit zu behandeln und im Zaume zu halten und sie so lange mit wunderbaren Reden zur Entsagung und Uneigennuetzigkeit aufzumuntern, bis der Himmel ueber das Unabaenderliche etwas entschiede. Denn da jeder von ihnen ihr insbesondere sein Geheimnis und seinen Plan vertraut hatte, so entschloss sie sich auf der Stelle, denjenigen zu begluecken, welcher sein Ziel erreiche und Inhaber des Geschaeftes wuerde. Den Schwaben, welcher es nur durch sie werden konnte, schloss sie aber davon aus und nahm sich vor, diesen jedenfalls nicht zu heiraten; weil er aber der juengste, kluegste und liebenswuerdigste der Gesellen war, so gab sie ihm durch manche stille Zeichen noch am ehesten einige Hoffnung und spornte durch die Freundlichkeit, mit welcher sie ihn besonders zu beaufsichtigen und zu regieren schien, die anderen zu groesserem Eifer an, so dass dieser arme Kolumbus, der das schoene Land erfunden hatte, vollstaendig der Narr im Spiele ward. Alle drei wetteiferten miteinander in der Ergebenheit, Bescheidenheit und Verstaendigkeit und in der anmutigen Kunst, sich von der gestrengen Jungfrau im Zaume halten zu lassen und sie ohne Eigennutz zu bewundern, und wenn die ganze Gesellschaft beieinander war, glich sie einem seltsamen Konventikel, in welchem die sonderbarsten Reden gefuehrt wurden. Trotz aller Froemmigkeit und Demut geschah es doch alle Augenblicke, dass einer oder der andere, vom Lobpreisen der gemeinsamen Herrin ploetzlich abspringend, sich selbst zu loben und herauszustreichen versuchte und sich, sanft von ihr zurechtgewiesen, beschaemt unterbrochen sah oder anhoeren musste, wie sie ihm die Tugenden der uebrigen entgegenhielt, die er eiligst anerkannte und bestaetigte. Aber dies war ein strenges Leben fuer die armen Kammacher; so kuehl sie von Gemuet waren, gab es doch, seit einmal ein Weib im Spiele, ganz ungewohnte Erregungen der Eifersucht, der Besorgnis, der Furcht und der Hoffnung; sie rieben sich in Arbeit und Sparsamkeit beinahe auf und magerten sichtlich ab; sie wurden schwermuetig, und waehrend sie vor den Leuten und besonders bei Zues sich der friedlichsten Beredsamkeit beflissen, sprachen sie, wenn sie zusammen bei der Arbeit oder in ihrer Schlafkammer sassen, kaum ein Wort miteinander und legten sich seufzend in ihr gemeinschaftliches Bett, noch immer so still und vertraeglich wie drei Bleistifte. Ein und derselbe Traum schwebte allnaechtlich ueber dem Kleeblatt, bis er einst so lebendig wurde, dass Jobst an der Wand sich herumwarf und den Dietrich anstiess; Dietrich fuhr zurueck und stiess den Fridolin, und nun brach in den schlummertrunkenen Gesellen ein wilder Groll aus und in dem Bette der schreckbarste Kampf, indem sie waehrend drei Minuten sich so heftig mit den Fuessen stiessen, traten und ausschlugen, dass alle sechs Beine sich ineinander verwickelten und der ganze Knaeuel unter furchtbarem Geschrei aus dem Bette purzelte. Sie glaubten, voellig erwachend, der Teufel wolle sie holen, oder es seien Raeuber in die Kammer gebrochen; sie sprangen schreiend auf, Jobst stellte sich auf seinen Stein, Fridolin eiligst auf seinen und Dietrich auf denjenigen, unter welchem sich bereits auch seine kleine Ersparnis angesetzt hatte, und indem sie so in einem Dreieck standen, zitterten und mit den Armen vor sich hin in die Luft schlugen, schrien sie Zeter Mordio und riefen: "Geh fort! Geh fort!" bis der erschreckte Meister in die Kammer drang und die tollen Gesellen beruhigte. Zitternd vor Furcht, Groll und Scham zugleich krochen sie endlich wieder ins Bett und lagen lautlos nebeneinander bis zum Morgen. Aber der naechtliche Spuk war nur ein Vorspiel gewesen eines groesseren Schreckens, der sie jetzt erwartete, als der Meister ihnen beim Fruehstueck eroeffnete, dass er nicht mehr drei Arbeiter brauchen koenne und daher zwei von ihnen wandern muessten. Sie hatten naemlich des Guten zu viel getan und so viel Ware zuweg gebracht, dass ein Teil davon liegen blieb, indes der Meister den vermehrten Erwerb dazu verwendet hatte, das Geschaeft, als es auf dem Gipfelpunkt stand, um so rascher rueckwaerts zu bringen, und ein solch lustiges Leben fuehrte, dass er bald doppelt soviel Schulden hatte, als er einnahm. Daher waren ihm die Gesellen, so fleissig und enthaltsam sie auch waren, ploetzlich eine ueberfluessige Last. Er sagte ihnen zum Trost, dass sie ihm alle drei gleich lieb und wert waeren und es ihnen ueberliesse, unter sich auszumachen, welcher dableiben und welche wandern sollten. Aber sie machten nichts aus, sondern standen da bleich wie der Tod und laechelten einer den andern an; dann gerieten sie in eine furchtbare Aufregung, da dies die verhaengnisvollste Stunde war; denn die Ankuendigung des Meisters war ein sicheres Zeichen, dass er es nicht lange mehr treiben und das Kammfabrikchen endlich wieder kaeuflich wuerde. Also war das Ziel, nach dem sie alle gestrebt, nahe und glaenzte wie ein himmlisches Jerusalem, und zwei sollten vor den Toren desselben umkehren und ihm den Ruecken wenden. Ohne alle fuerdere Ruecksicht erklaerte jeder, dableiben zu wollen, und wenn er ganz umsonst arbeiten muesse. Der Meister konnte aber auch dies nicht brauchen und versicherte sie, dass zwei von ihnen jedenfalls gehen muessten; sie fielen ihm zu Fuessen, sie rangen die Haende, sie beschworen ihn und jeder bat insbesondere fuer sich, dass er ihn behalten moechte, nur noch zwei Monate, nur noch vier Wochen: Allein er wusste wohl, worauf sie spekulierten, aergerte sich darueber und machte sich ueber sie lustig, indem er ploetzlich einen spasshaften Ausweg vorschlug, wie sie die Sache entscheiden sollten. "Wenn ihr euch durchaus nicht einigen koennt," sagte er, "welche von euch den Abschied wollen, so will ich euch die Weise angeben, wie ihr die Sache entscheidet, und so soll es dann sein und bleiben! Morgen ist Sonntag, da zahle ich euch aus, ihr packt euer Felleisen, ergreift euren Stab und wandert alle drei eintraechtiglich zum Tore hinaus, eine gute halbe Stuende weit, auf welche Seite ihr wollt. Alsdann ruhet ihr euch aus und koennt auch einen Schoppen trinken, wenn ihr moegt, und habt ihr das getan, so wandert ihr wieder in die Stadt herein, und welcher dann der erste sein wird, der mich von neuem um Arbeit anspricht, den werde ich behalten; die anderen aber werden unausbleiblich gehen, wo es ihnen beliebt!" Sie fielen ihm abermals zu Fuessen und baten ihn, von diesem grausamen Vorhaben abzustehen, aber umsonst; er blieb fest und unerbittlich. Unversehens sprang der Schwabe auf und rannte wie besessen zum Hause hinaus und zu Zues Buenzlin hinueber; kaum gewahrten dies Jobst und der Bayer, so unterbrachen sie ihr Lamentieren und rannten ihm nach, und die verzweifelte Szene war alsobald in die Wohnung der erschrockenen Jungfrau verlegt. Diese war sehr betroffen und bewegt durch das unerwartete Abenteuer; doch fasste sie sich zuerst, und die Lage der Dinge ueberschauend, beschloss sie, ihr eigenes Schicksal an des Meisters wunderlichen Einfall zu knuepfen, und betrachtete diesen als eine hoehere Eingebung; sie holte geruehrt ein Schatzkaestlein hervor und stach mit einer Nadel zwischen die Blaetter, und der Spruch, welchen sie aufschlug, handelte vom unentwegten Verfolgen eines guten Zieles. Sodann liess sie die aufgeregten Gesellen aufschlagen, und alles, was diese aufschlugen, handelte vom eifrigen Wandel auf dem schmalen Wege, vom Vorwaertsgehen ohne Rueckschauen, von einer Laufbahn, kurz vom Laufen und Rennen aller Art, so dass der morgende Wettlauf deutlich vom Himmel vorgeschrieben schien. Da sie aber befuerchtete, dass Dietrich als der Juengste leicht am besten springen und die Palme erringen koennte, beschloss sie, selbst mit den drei Liebhabern auszuziehen und zu sehen, was etwa zu ihrem Vorteil zu machen waere; denn sie wuenschte, dass nur einer der zwei Aelteren Sieger wuerde, und es war ihr ganz gleichgueltig, welcher. Sie befahl daher den Wehklagenden und sich Bezankenden Ruhe und Ergebung und sagte: "Wisset, meine Freunde, dass nichts ohne Bedeutung geschieht, und so merkwuerdig und ungewoehnlich die Zumutung eures Meisters ist, so muessen wir sie doch als eine Fuegung ansehen und uns mit einer hoeheren Weisheit, von welcher der mutwillige Mann nichts ahnt, dieser jaehen Entscheidung unterwerfen. Unser friedliches und verstaendiges Zusammenleben ist zu schoen gewesen, als dass es noch lange so erbaulich stattfinden koennte; denn ach! Alles Schoene und Erspriessliche ist ja so vergaenglich und voruebergehend, und nichts besteht in die Laenge als das Uebel, das Hartnaeckige und die Einsamkeit der Seele, die wir alsdann mit unserer frommen Vernuenftigkeit betrachten und beobachten. Daher wollen wir, ehe sich etwa ein boeser Daemon des Zwiespaltes unter uns erhebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und auseinanderscheiden wie die lieben Fruehlingslueftlein, wenn sie ihren eilenden Lauf am Himmel nehmen, ehe wir auseinanderfahren wie der Sturmwind des Herbstes. Ich selbst will euch hinausbegleiten auf dem schweren Wege und zugegen sein, wenn ihr den Pruefungslauf antretet, damit ihr einen froehlichen Mut fasset und einen schoenen Antrieb hinter euch habt, waehrend vor euch das Ziel des Sieges winkt. Aber so wie der Sieger sich seines Glueckes nicht ueberheben wird, so sollen die, welche unterliegen, nicht verzagen und keinen Gram oder Groll von dannen nehmen, sondern unsers liebevollen Andenkens gewaertig sein und als vergnuegte Wanderjuenglinge in die weite Welt ziehen; denn die Menschen haben viele Staedte gebauet, welche so schoen oder noch schoener sind wie Seldwyla; Rom ist eine grosse, merkwuerdige Stadt, allwo der heilige Vater wohnt, und Paris ist eine gar maechtige Stadt mit vielen Seelen und herrlichen Palaesten, und in Konstantinopel herrscht der Sultan, von tuerkischem Glauben, und Lissabon, welches einst durch ein Erdbeben verschuettet ward, ist desto schoener wieder aufgebaut worden. Wien ist die Hauptstadt von Osterreich und die Kaiserstadt genannt, und London ist die reichste Stadt der Welt, in Engelland gelegen, an einem Fluss, der die Themse benannt wird. Zwei Millionen Menschen wohnen da! Petersburg aber ist die Haupt- und Residenzstadt von Russland, so wie Neapel die Hauptstadt des Koenigreiches gleichen Namens, mit dem feuerspeienden Berg Vesuvius, auf welchem einst einem englischen Schiffshauptmann eine verdammte Seele erschienen ist, wie ich in einer merkwuerdigen Reisebeschreibung gelesen habe, welche Seele einem gewissen John Smidt angehoeret, der vor hundertundfuenfzig Jahren ein gottloser Mann gewesen und nun besagtem Hauptmann einen Auftrag erteilte an seine Nachkommen in England, damit er erloest wuerde; denn der ganze Feuerberg ist ein Aufenthalt der Verdammten, wie auch in des gelehrten Peter Haslers Traktatus ueber die mutmassliche Gelegenheit der Hoelle zu lesen ist. Noch viele andere Staedte gibt es, wovon ich nur noch Mailand, Venedig, das ganz im Wasser gebaut ist, Lyon, Marseilingen, Strassburg, Koellen und Amsterdam nennen will; Paris hab' ich schon gesagt, aber noch nicht Nuernberg, Augsburg und Frankfurt, Basel, Bern und Genf, alles schoene Staedte, sowie das schoene Zuerich, und weiterhin noch eine Menge, mit deren Aufzaehlung ich nicht fertig wuerde. Denn alles hat seine Grenzen, nur nicht die Erfindungsgabe der Menschen, welche sich allwaerts ausbreiten und alles unternehmen, was ihnen nuetzlich scheint. Wenn sie gerecht sind, so wird es ihnen gelingen, aber der Ungerechte vergehet wie das Gras der Felder und wie ein Rauch. Viele sind erwaehlt, aber nur wenige sind berufen. Aus allen diesen Gruenden und in noch manch anderer Hinsicht, die uns die Pflicht und die Tugend unseres reinen Gewissens auferlegen, wollen wir uns dem Schicksalsrufe unterziehen. Darum gehet und bereitet euch zur Wanderschaft, aber als gerechte und sanftmuetige Maenner, die ihren Wert in sich tragen, wo sie auch hingehen, und deren Stab ueberall Wurzel schlaegt, welche, was sie auch ergreifen moegen, sich sagen koennen: ich habe das bessere Teil erwaehlt!" Die Kammacher wollten aber von allem nichts hoeren, sondern bestuermten die kluge Zues, dass sie einen von ihnen auserwaehlen und dableiben heissen solle, und jeder meinte damit sich selbst. Aber sie huetete sich, eine Wahl zu treffen, und kuendigte ihnen ernsthaft und gebieterisch an, dass sie ihr gehorchen muessten, ansonst sie ihnen ihre Freundschaft auf immer entziehen wuerde. Jetzt rannte Jobst, der aelteste, wieder davon und in das Haus des Meisters hinueber, und spornstreichs rannten die anderen hinter ihm her, befuerchtend, dass er dort etwas gegen sie unternaehme, und so schossen sie den ganzen Tag umher wie Sternschnuppen und wurden sich untereinander so zuwider wie drei Spinnen in einem Netz. Die halbe Stadt sah dies seltsame Schauspiel der verstoerten Kammacher, die bislang so still und ruhig gewesen, und die alten Leute wurden darueber aengstlich und hielten die Erscheinung fuer ein geheimnisvolles Vorzeichen schwerer Begebenheiten. Gegen Abend wurden sie matt und erschoepft, ohne dass sie sich eines Besseren besonnen und zu etwas entschieden hatten, und legten sich zaehneklappernd in das alte Bett; einer nach dem andern kroch unter die Decke und lag da wie vom Tode hingestreckt, in verwirrten Gedanken, bis ein heilsamer Schlaf ihn umfing. Jobst war der erste, welcher in aller Fruehe erwachte und sah, dass ein heiterer Fruehlingsmorgen in die Kammer schien, in welcher er nun schon seit sechs Jahren geschlafen. So duerftig das Gemach aussah, so erschien es ihm doch wie ein Paradies, welches er verlassen sollte, und zwar so ungerechterweise. Er liess seine Augen umhergehen an den Waenden und zaehlte alle die vertrauten Spuren von den vielen Gesellen, die hier schon gewohnt kuerzere oder laengere Zeit; hier hatte der seinen Kopf zu reiben gepflegt und einen dunklen Fleck verfertigt, dort hatte jener einen Nagel eingeschlagen, um seine Pfeife daranzuhaengen, und das rote Schnuerchen hing noch daran. Welche guten Menschen waren das gewesen, dass sie so harmlos wieder davongegangen, waehrend diese, welche neben ihm lagen, durchaus nicht weichen wollten. Dann heftete er sein Auge auf die Gegend zunaechst seinem Gesichte und betrachtete da die kleineren Gegenstaende, welche er schon tausendmal betrachtet, wenn er des Morgens oder am Abend noch bei Tageshelle im Bette lag und sich eines seligen, kostenfreien Daseins erfreute. Da war eine beschaedigte Stelle in dem Bewurf, welche wie ein Land aussah mit Seen und Staedtchen, und ein Haeufchen von groben Sandkoernern stellte eine glueckselige Inselgruppe vor; weiterhin erstreckte sich eine lange Schweinsborste, welche aus dem Pinsel gefallen und in der blauen Tuenche steckengeblieben war; denn Jobst hatte im letzten Herbst einmal ein kleines Restchen solcher Tuenche gefunden und, damit es nicht umkommen sollte, eine Viertelswandseite damit angestrichen, soweit es reichen wollte, und zwar hatte er die Stelle bemalt, wo er zunaechst im Bette lag. Jenseits der Schweinsborste aber ragte eine ganz geringe Erhoehung, wie ein kleines, blaues Gebirge, welches einen zarten Schlagschatten ueber die Borste weg nach den glueckseligen Inseln hinueberwarf. Ueber dies Gebirge hatte er schon den ganzen Winter gegruebelt, da es ihn duenkte, als ob es frueher nicht dagewesen waere. Wie er nun mit seinem traurigen, duselnden Auge dasselbe suchte und ploetzlich vermisste, traute er seinen Sinnen kaum, als er statt desselben einen kleinen kahlen Fleck an der Mauer fand, dagegen sah, wie der winzige blaue Berg nicht weit davon sich bewegte und zu wandeln schien. Erstaunt fuhr Jobst in die Hoehe, als ob er ein blaues Wunder saehe, und sah, dass es eine Wanze war, welche er also im vorigen Herbst achtlos mit der Farbe ueberstrichen, als sie schon in Erstarrung dagesessen hatte. Jetzt aber war sie von der Fruehlingswaerme neu belebt, hatte sich aufgemacht und stieg eben in diesem Augenblicke mit ihrem blauen Ruecken unverdrossen die Wand hinan. Er blickte ihr geruehrt und voll Verwunderung nach; solange sie im Blauen ging, war sie kaum von der Wand zu unterscheiden; als sie aber aus dem gestrichenen Bereich hinaustrat und die letzten vereinzelten Spritze hinter sich hatte, wandelte das gute himmelblaue Tierchen weithin sichtbar seine Bahn durch die dunkleren Bezirke. Wehmuetig sank Jobst in den Pfuelmen zurueck; so wenig er sich sonst aus dergleichen machte, ruehrte diese Erscheinung doch jetzt ein Gefuehl in ihm auf, als ob er doch auch endlich wieder wandern muesste, und es beduenkte ihn ein gutes Zeichen zu sein, dass er sich in das Unabaenderliche ergeben und sich wenigstens mit gutem Willen auf den Weg machen solle. Durch diese ruhigeren Gedanken kehrte seine natuerliche Besonnenheit und Weisheit zurueck, und indem er die Sache naeher ueberlegte, fand er, dass, wenn er sich ergebungsvoll und bescheiden anstelle, sich dem schwierigen Werke unterziehe und dabei sich zusammennehme und klug verhalte, er noch am ehesten ueber seine Nebenbuhler obsiegen koenne. Sachte stieg er aus dem Bette und begann seine Sachen zu ordnen und vor allem seinen Schatz zu heben und zu unterst in das alte Felleisen zu verpacken. Darueber erwachten sogleich seine Gefaehrten; wie diese sahen, dass er so gelassen sein Buendel schnuerte, verwunderten sie sich sehr und noch mehr, als Jobst sie mit versoehnlichen Worten anredete und ihnen einen guten Morgen wuenschte. Weiter liess er sich aber nicht aus, sondern fuhr in seinem Geschaefte still und friedfertig fort. Sogleich, obschon sie nicht wussten, was er im Schilde fuehre, witterten sie eine Kriegslist in seinem Benehmen und ahmten es auf der Stelle nach, hoechst aufmerksam auf alles, was er ferner beginnen wuerde. Hierbei war es seltsam, wie sie alle drei zum erstenmal offen ihre Schaetze unter den Fliesen hervorholten und dieselben, ohne sie zu zaehlen, in die Ranzen versorgten. Denn sie wussten schon lange, dass jeder das Geheimnis der uebrigen kannte, und nach alter ehrbarer Art misstrauten sie sich nicht in der Weise, dass sie eine Verletzung des Eigentums befuerchteten, und jeder wusste wohl, dass ihn die anderen nicht berauben wuerden, wie denn in den Schlafkammern der Handwerksgesellen, Soldaten und dergleichen kein Verschluss und kein Misstrauen bestehen soll. So waren sie unversehens zum Aufbruch geruestet, der Meister zahlte ihnen den Lohn aus und gab ihnen ihre Wanderbuecher, in welche von der Stadt und vom Meister die allerschoensten Zeugnisse geschrieben waren ueber ihre gute andauernde Fuehrung und Vortrefflichkeit, und sie standen wehmutsvoll vor der Haustuere der Zues Buenzlin, in lange braune Roecke gekleidet, mit alten, verwaschenen Staubhemden darueber, und die Huete, obgleich sie verjaehrt und abgebuerstet genug waren, sorglich mit Wachsleinwand ueberzogen. Hinten auf dem Felleisen hatte jeder ein kleines Waegelchen befestigt, um das Gepaeck darauf zu ziehen, wenn es ins Weite ginge; sie dachten aber die Raeder nicht zu brauchen, und deswegen ragten dieselben hoch ueber ihrem Ruecken. Jobst stuetzte sich auf einen ehrbaren Rohrstock, Fridolin auf einen rot und schwarz geflammten und gemalten Eschenstab und Dietrich auf ein abenteuerliches Stockungeheuer, um welches sich ein wildes Geflecht von Zweigen wand. Er schaemte sich aber beinahe dieses prahlerischen Dinges, da es noch aus der ersten Wanderzeit herstammte, wo er bei weitem noch nicht so sehr gesetzt und vernuenftig gewesen wie jetzt. Viele Nachbarn und deren Kinder umstanden die ernsten drei Maenner und wuenschten ihnen Glueck auf den Weg. Da erschien Zues unter der Tuere, mit feierlicher Miene, und zog an der Spitze der Gesellen gefassten Mutes aus dem Tore. Sie hatte ihnen zu Ehren einen ungewoehnlichen Staat angelegt, trug einen grossen Hut mit maechtigen gelben Baendern, ein rosafarbenes Indiennekleid mit verschollenen Ausladungen und Verzierungen, eine schwarze Sammetschaerpe mit einer Tombakschnalle und rote Saffianschuhe mit Fransen besetzt. Dazu trug sie einen gruenseidenen grossen Ritikuel, welchen sie mit gedoerrten Birnen und Pflaumen gefuellt hatte, und hielt ein Sonnenschirmchen ausgespannt, auf welchem oben eine grosse Lyra aus Elfenbein stand. Sie hatte auch ihr Medaillon mit dem blonden Haardenkmal umgehaengt und das goldene Vergissmeinnicht vorgesteckt und trug weisse gestrickte Handschuhe. Sie sah freundlich und zart aus in all diesem Schmuck, ihr Antlitz war leicht geroetet und ihr Busen schien sich hoeher als sonst zu heben, und die ausziehenden Nebenbuhler wussten sich nicht zu lassen vor Wehmut und Betruebnis; denn die aeusserste Lage der Dinge, der schoene Fruehlingstag, der ihren Auszug beschien, und Zuesis Putz mischten in ihre gespannten Empfindungen fast etwas von dem, was man wirklich Liebe nennt. Vor dem Tore ermahnte aber die freundliche Jungfrau ihre Liebhaber, die Felleisen auf die Raederchen zu stellen und zu ziehen, damit sie sich nicht unnoetigerweise ermuedeten. Sie taten es, und als sie hinter dem Staedtlein hinaus die Berge hinanfuhren, war es fast wie ein Artilleriewesen, das da hinauffuhrwerkte, um oben eine Batterie zu besetzen. Als sie eine gute halbe Stunde dahingezogen, machten sie halt auf einer anmutigen Anhoehe, ueber welche ein Kreuzweg ging, und setzten sich unter einer Linde in einen Halbkreis, wo man einer weiten Aussicht genoss und ueber Waelder, Seen und Ortschaften wegsah. Zues oeffnete ihren Beutel und gab jedem eine Handvoll Birnen und Pflaumen, um sich zu erfrischen, und sie sassen so eine geraume Weile schweigend und ernst, nur mit den schnalzenden Zungen, wenn sie die suessen Fruechte damit zerdrueckten, ein sanftes Geraeusch erregend. Dann begann Zues, indem sie einen Pflaumenkern fortwarf und die davon gefaerbten Fingerspitzen am jungen Grase abwischte, zu sprechen: "Lieben Freunde! Sehet, wie schoen und weitlaeufig die Welt ist, ringsherum voll herrlicher Sachen und voll Wohnungen der Menschen! Und dennoch wollte ich wetten, dass in dieser feierlichen Stunde nirgends in dieser weiten Welt vier so rechtfertige und gutartige Seelen beieinander versammelt sitzen, wie wir hier sind, so sinnreich und bedachtsam von Gemuet, so zugetan allen arbeitsamen Uebungen und Tugenden, der Eingezogenheit, der Sparsamkeit, der Friedfertigkeit und der innigen Freundschaft. Wie viele Blumen stehen hier um uns herum, von allen Arten, die der Fruehling hervorbringt, besonders die gelben Schluesselblumen, welche einen wohlschmeckenden und gesunden Tee geben; aber sind sie gerecht oder arbeitsam? sparsam, vorsichtig und geschickt zu klugen und lehrreichen Gedanken? Nein, es sind unwissende und geistlose Geschoepfe, unbeseelt und vernunftlos vergeuden sie ihre Zeit, und so schoen sie sind, wird ein totes Heu daraus, waehrend wir in unserer Tugend ihnen so weit ueberlegen sind und ihnen wahrlich an Zier der Gestalt nichts nachgeben; denn Gott hat uns nach seinem Bilde geschaffen und uns seinen goettlichen Odem eingeblasen. Oh, koennten wir doch ewig hier sitzen in diesem Paradiese und in solcher Unschuld; ja, meine Freunde, es ist mir so, als waeren wir saemtlich im Stande der Unschuld, aber durch eine suendenlose Erkenntnis veredelt; denn wir alle koennen, Gott sei Dank, lesen und schreiben und haben alle eine geschickte Hantierung gelernt. Zu vielem haette ich Geschick und Anlagen und getraute mir wohl, Dinge zu verrichten, wie sie das gelehrteste Fraeulein nicht kann, wenn ich ueber meinen Stand hinausgehen wollte; aber die Bescheidenheit und die Demut sind die vornehmste Tugend eines rechtschaffenen Frauenzimmers, und es genuegt mir zu wissen, dass mein Geist nicht wertlos und verachtet ist vor einer hoeheren Einsicht. Schon viele haben mich begehrt, die meiner nicht wert waren, und nun auf einmal sehe ich drei wuerdige Junggesellen um mich versammelt, von denen ein jeder gleich wert waere, mich zu besitzen! Bemesset danach, wie mein Herz in diesem wunderbaren Ueberflusse schmachten muss, und nehmet euch jeder ein Beispiel an mir und denket euch, jeder waere von drei gleichwerten Jungfrauen umbluehet, die sein begehrten, und er koennte sich um deswillen zu keiner hinneigen und gar keine bekommen! Stellt euch doch recht lebhaft vor, um jeden von euch buhleten drei Jungfern Buenzlin, und saessen so um euch her, gekleidet wie ich und von gleichem Ansehen, so dass ich gleichsam verneunfacht hier vorhanden waere und euch von allen Seiten anblickte und nach euch schmachtete! Tut ihr dies?" Die wackeren Gesellen hoerten verwundert auf zu kauen und studierten mit einfaeltigen Gesichtern, die seltsame Aufgabe zu loesen. Das Schwaeblein kam zuerst damit zustande und rief mit luesternem Gesicht: "Ja, werteste Jungfer Zues! Wenn Sie es denn guetigst erlauben, so sehe ich Sie nicht nur dreifach, sondern verhundertfacht um mich herumschweben und mich mit huldreichen Aeuglein anblicken und mir tausend Kuesslein anbieten!" "Nicht doch!" sagte Zues unwillig verweisend, "nicht in so ungehoeriger und uebertriebener Weise! Was faellt Ihnen denn ein, unbescheidener Dietrich? Nicht hundertfach und nicht Kuesslein anbietend habe ich es erlaubt, sondern nur dreifach fuer jeden und in zuechtiger und ehrbarer Manier, dass mir nicht zu nahe geschieht!" "Ja," rief jetzt endlich Jobst und zeigte mit einem abgenagten Birnenstiel um sich her, "nur dreifach, aber in groesster Ehrbarkeit sehe ich die liebste Jungfer Buenzli um mich her spazieren und mir wohlwollend zuwinken, indem sie die Hand aufs Herz legt! Ich danke sehr, danke, danke ergebenst!" sagte er schmunzelnd, sich nach drei Seiten verneigend, als ob er wirklich die Erscheinungen saehe. "So ist's recht," sagte Zues laechelnd, "wenn irgendein Unterschied zwischen euch besteht, so seid Ihr doch der Begabteste, lieber Jobst, wenigstens der Verstaendigste!" Der Bayer Fridolin war immer noch nicht fertig mit seiner Vorstellung, da er aber den Jobst so loben hoerte, wurde es ihm angst und er rief eilig: "Ich sehe auch die liebste Jungfrau Buenzli dreifach um mich herspazieren in groesster Ehrbarkeit und mir wolluestig zuwinken, indem sie die Hand auf--" "Pfui, Bayer!" schrie Zues und wandte das Gesicht ab, "nicht ein Wort weiter! Woher nehmen Sie den Mut, von mir in so wuesten Worten zu reden und sich solche Sauereien einzubilden! Pfui, pfui!" Der arme Bayer war wie vom Donner geruehrt und wurde gluehend rot, ohne zu wissen, wofuer; denn er hatte sich gar nichts eingebildet und nur ungefaehr dem Klange nach gesagt, was er von Jobsten gehoert, da er gesehen, wie dieser fuer seine Rede belobt worden. Zues wandte sich wieder zu Dietrich und sagte: "Nun, lieber Dietrich, haben Sie's noch nicht auf eine etwas bescheidenere Art zuwege gebracht?" "Ja, mit Ihrer Erlaubnis," erwiderte er, froh, wieder angeredet zu werden, "ich erblicke Sie jetzt nur dreimal um mich her, freundlich, aber anstaendig mich anschauend und mir drei weisse Haende bietend, welche ich kuesse!" "Gut denn!" sagte Zues, "und Sie, Fridolin? Sind Sie noch nicht von Ihrer Abirrung zurueckgekehrt? Kann sich Ihr ungestuemes Blut noch nicht zu einer wohlanstaendigen Vorstellung beruhigen?" "Um Vergebung!" sagte Fridolin kleinlaut, "ich glaube jetzt drei Jungfern zu sehen, die mir gedoerrte Birnen anbieten und mir nicht abgeneigt scheinen. Es ist keine schoener als die andere, und die Wahl unter ihnen scheint mir ein bitteres Kraut zu sein." "Nun also," sprach Zues, "da ihr in euerer Einbildungskraft von neun solchen ganz gleichwerten Personen umgeben seid und in diesem liebreizenden Ueberflusse dennoch Mangel in euerem Herzen leidet, ermesset danach meinen eigenen Zustand; und wie ihr an mir sahet, dass ich mich weisen und bescheidenen Herzens zu fassen weiss, so nehmet doch ein Beispiel an meiner Staerke und gelobet mir und euch untereinander, euch ferner zu vertragen und, wie ich liebevoll von euch scheide, euch ebenso liebevoll voneinander zu trennen, wie auch das Schicksal, das eurer wartet, entscheiden moege! So leget denn alle eure Haende zusammen in meine Hand und gelobt es!" "Ja, wahrhaftig," rief Jobst, "ich will es wenigstens tun, an mir soll's nicht fehlen!" und die andern zwei riefen eiligst: "An mir auch nicht, an mir auch nicht!" und sie legten alle die Haende zusammen, wobei sich jedoch jeder vornahm, auf alle Faelle zu springen, sogut er vermoechte. "An mir soll es wahrhaftig nicht fehlen!" wiederholte Jobst, "denn ich bin von Jugend auf barmherziger und eintraechtiger Natur gewesen. Noch nie habe ich einen Streit gehabt und konnte nie ein Tierlein leiden sehen; wo ich noch gewesen bin, habe ich mich gut vertragen und das beste Lob geerntet ob meines geruhsamen Betragens; denn obgleich ich gar manche Dinge auch ein bisschen verstehe und ein verstaendiger junger Mann bin, so hat man nie gesehen, dass ich mich in etwas mischte, was mich nichts anging, und habe stets meine Pflicht auf eine einsichtsvolle Weise getan. Ich kann arbeiten soviel ich will, und es schadet mir nichts, da ich gesund und wohlauf bin und in den besten Jahren! Alle meine Meisterinnen haben noch gesagt, ich sei ein Tausendsmensch, ein Ausbund, und mit mir sei gut auskommen! Ach! ich glaube wirklich selbst, ich koennte leben wie im Himmel mit Ihnen, allerliebste Jungfer Zues!" "Ei!" sagte der Bayer eifrig, "das glaub' ich wohl, das waere auch keine Kunst, mit der Jungfer wie im Himmel zu leben! Das wollt' ich mir auch zutrauen, denn ich bin nicht auf den Kopf gefallen! Mein Handwerk versteh' ich aus dem Grund und weiss die Dinge in Ordnung zu halten, ohne ein Unwort zu verlieren. Nirgends habe ich Haendel bekommen, obgleich ich in den groessten Staedten gearbeitet habe, und niemals habe ich eine Katze geschlagen oder eine Spinne getoetet. Ich bin maessig und enthaltsam und mit jeder Nahrung zufrieden, und ich weiss mich am Geringfuegigsten zu vergnuegen und damit zufrieden zu sein. Aber ich bin auch gesund und munter und kann etwas aushalten, ein gutes Gewissen ist das beste Lebenselixier, alle Tiere lieben mich und laufen mir nach, weil sie mein gutes Gewissen wittern, denn bei einem ungerechten Menschen wollen sie nicht bleiben. Ein Pudelhund ist mir einst drei Tage lang nachgefolgt, als ich aus der Stadt Ulm verreiste, und ich musste ihn endlich einem Bauersmann in Gewahrsam geben, da ich als ein demuetiger Handwerksgesell kein solches Tier ernaehren konnte, und als ich durch den Boehmerwald reiste, sind die Hirsche und Rehe auf zwanzig Schritt noch stehen geblieben und haben sich nicht vor mir gefuerchtet. Es ist wunderbar, wie selbst die wilden Tiere sich bei den Menschen auskennen und wissen, welche guten Herzens sind!" "Ja, das muss wahr sein!" rief der Schwabe, "seht ihr nicht, wie dieser Fink schon die ganze Zeit da vor mir herumfliegt und sich mir zu naehern sucht? Und jenes Eichhoernchen auf der Tanne sieht sich immerfort nach mir um, und hier kriecht ein kleiner Kaefer allfort an meinem Beine und will sich durchaus nicht vertreiben lassen. Dem muss es gewiss recht wohl sein bei mir, dem lieben guten Tierchen!" Jetzt wurde aber Zues eifersuechtig und sagte etwas heftig: "Bei mir wollen alle Tiere gern bleiben! Einen Vogel hab' ich acht Jahre gehabt und er ist sehr ungern von mir weggestorben; unsere Katze streicht mir nach, wo ich geh' und stehe, und des Nachbars Tauben draengen und zanken sich vor meinem Fenster, wenn ich ihnen Brosamen streue! Wunderbare Eigenschaften haben die Tiere je nach ihrer Art! Der Loewe folgt gern den Koenigen nach und den Helden, und der Elefant begleitet den Fuersten und den tapfern Krieger; das Kamel traegt den Kaufmann durch die Wueste und bewahrt ihm frisches Wasser in seinem Bauch, und der Hund begleitet seinen Herrn durch alle Gefahren und stuerzt sich fuer ihn in das Meer! Der Delphin liebt die Musik und folgt den Schiffen, und der Adler den Kriegsheeren. Der Affe ist ein menschenaehnliches Wesen und tut alles, was er die Menschen tun sieht, und der Papagei versteht unsere Sprache und plaudert mit uns, wie ein Alter! Selbst die Schlangen lassen sich zaehmen und tanzen auf der Spitze ihres Schwanzes; das Krokodil weint menschliche Traenen und wird von den Buergern dort geachtet und verschont; der Strauss laesst sich satteln und reiten wie ein Ross; der wilde Bueffel ziehet den Wagen des Menschen und das gehoernte Renntier seinen Schlitten. Das Einhorn liefert ihm das schneeweisse Elfenbein und die Schildkroete ihre durchsichtigen Knochen--" "Mit Verlaub," sagten alle drei Kammacher zugleich, "hierin irren Sie sich gewisslich, das Elfenbein wird aus den Elefantenzaehnen gewonnen und die Schildpattkaemme macht man aus der Schale und nicht aus den Knochen der Schildkroete!" Zues wurde feuerrot und sagte: "Das ist noch die Frage, denn ihr habt gewiss nicht gesehen, wo man es hernimmt, sondern verarbeitet nur die Stuecke; ich irre mich sonst selten, doch sei dem wie ihm wolle, so lasset mich ausreden; nicht nur die Tiere haben ihre merkwuerdigen von Gott eingepflanzten Besonderheiten, sondern selbst das tote Gestein, so aus den Bergen gegraben wird. Der Kristall ist durchsichtig wie Glas, der Marmor aber hart und geaedert, bald weiss und bald schwarz; der Bernstein hat elektrische Eigenschaften und ziehet den Blitz an; aber dann verbrennt er und riecht wie Weihrauch. Der Magnet zieht Eisen an, auf die Schiefertafel kann man schreiben, aber nicht auf den Diamant, denn dieser ist hart wie Stahl; auch gebraucht ihn der Glaser zum Glasschneiden, weil er klein und spitzig ist. Ihr sehet, liebe Freunde, dass ich auch ein weniges von den Tieren zu sagen weiss! Was aber mein Verhaeltnis zu ihnen betrifft, so ist dies zu bemerken: Die Katze ist ein schlaues und listiges Tier und ist daher nur schlauen und listigen Menschen anhaenglich; die Taube aber ist ein Sinnbild der Unschuld und Einfalt und kann sich nur von einfaeltigen, schuldlosen Seelen angezogen fuehlen. Da mir nun Katzen und Tauben anhaenglich sind, so folgt hieraus, dass ich klug und einfaeltig, schlau und unschuldig zugleich bin, wie es denn auch heisst: Seid klug wie die Schlangen und einfaeltig wie die Tauben! Auf diese Weise koennen wir allerdings die Tiere und ihr Verhaeltnis zu uns wuerdigen und manches daraus lernen, wenn wir die Sache recht zu betrachten wissen." Die armen Gesellen wagten nicht ein Wort weiter zu sagen; Zues hatte sie gut zugedeckt und sprach noch viele hochtrabende Dinge durcheinander, dass ihnen Hoeren und Sehen verging. Sie bewunderten aber Zuesis Geist und Beredsamkeit, und in solcher Bewunderung duenkte sich keiner zu schlecht, das Kleinod zu besitzen, besonders da diese Zierde eines Hauses so wohlfeil war und nur in einer rastlosen Zunge bestand. Ob sie selbst dessen, was sie so hoch stellen, auch wert seien und etwas damit anzufangen wuessten, fragen sich solche Schwachkoepfe zu allerletzt oder auch gar nicht, sondern sie sind wie die Kinder, welche nach allem greifen, was ihnen in die Augen glaenzt, von allen bunten Dingen die Farben abschlecken und ein Schellenspiel ganz in den Mund stecken wollen, statt es bloss an die Ohren zu halten. So erhitzten sie sich immer mehr in der Begierde und Einbildung, diese ausgezeichnete Person zu erwerben, und je schnoeder, herzlos er und eitler Zuesens unsinnige Phrasen wurden, desto geruehrter und jaemmerlicher waren die Kammacher daran. Zugleich fuehlten sie einen heftigen Durst von dem trockenen Obste, welches sie inzwischen aufgegessen; Jobst und der Bayer suchten im Gehoelz nach Wasser, fanden eine Quelle und tranken sich voll kaltes Wasser. Der Schwabe hingegen hatte listigerweise ein Flaeschchen mitgenommen, in welchem er Kirschgeist mit Wasser und Zucker gemischt, welches liebliche Getraenk ihn staerken und ihm einen Vorschub gewaehren sollte beim Laufen; denn er wusste, dass die anderen zu sparsam waren, um etwas mitzunehmen oder eine Einkehr zu halten. Dies Flaeschchen zog er jetzt eilig hervor, waehrend jene sich mit Wasser fuellten, und bot es der Jungfer Zues an; sie trank es halb aus, es schmeckte ihr vortrefflich und erquickte sie und sie sah den Dietrich dabei ueberquer ganz holdselig an, dass ihm der Rest, welchen er selber trank, so lieblich schmeckte wie Cyperwein und ihn gewaltig staerkte. Er konnte sich nicht enthalten, Zuesis Hand zu ergreifen und ihr zierlich die Fingerspitzen zu kuessen; sie tippte ihm leicht mit dem Zeigefinger auf die Lippen und er tat, als ob er danach schnappen wollte und machte dazu ein Maul, wie ein laechelnder Karpfen; Zues schmunzelte falsch und freundlich, Dietrich schmunzelte schlau und suesslich; sie sassen auf der Erde sich gegenueber und taetschelten zuweilen mit den Schuhsohlen gegeneinander, wie wenn sie sich mit den Fuessen die Haende geben wollten. Zues beugte sich ein wenig vornueber und legte die Hand auf seine Schulter, und Dietrich wollte eben dieses holde Spiel erwidern und fortsetzen, als der Sachse und der Bayer zurueckkamen und bleich und stoehnend zuschauten. Denn es war ihnen von dem vielen Wasser, welches sie an die genossenen Backbirnen geschuettet, ploetzlich elend geworden und das Herzeleid, welches sie bei dem Anblicke den spielenden Paares empfanden, vereinigte sich mit dem oeden Gefuehle des Bauches, so dass ihnen der kalte Schweiss auf der Stirne stand. Zues verlor aber die Fassung nicht, sondern winkte ihnen ueberaus freundlich zu und rief: "Kommet, ihr Lieben, und setzet euch doch auch noch ein bisschen zu mir her, dass wir noch ein Weilchen und zum letztenmal unsere Eintracht und Freundschaft geniessen!" Jobst und Fridolin draengten sich hastig herbei und streckten ihre Beine aus; Zues liess dem Schwaben die eine Hand, gab Jobsten die andere und beruehrte mit den Fuessen Fridolins Stiefelsohlen, waehrend sie mit dem Angesicht einen nach dem andern der Reihe nach anlaechelte. So gibt es Virtuosen, welche viele Instrumente zugleich spielen, auf dem Kopfe ein Glockenspiel schuetteln, mit dem Munde die Panspfeife blasen, mit den Haenden die Gitarre spielen, mit den Knien die Zimbel schlagen, mit dem Fuss den Dreiangel und mit den Ellbogen eine Trommel, die ihnen auf dem Ruecken haengt. Dann aber erhob sie sich von der Erde, strich ihr Kleid, welches sie sorgfaeltig aufgeschuerzt hatte, zurecht und sagte: "Nun ist es wohl Zeit, liebe Freunde! dass wir uns aufmachen und dass ihr euch zu jenem ernsthaften Gange ruestet, welchen euch der Meister in seiner Torheit auferlegt, wir aber als die Anordnung eines hoeheren Geschickes ansehen! Tretet diesen Weg an voll schoenen Eifers, aber ohne Feindschaft noch Neid gegeneinander, und ueberlasset dem Sieger willig die Krone!" Wie von einer Wespe gestochen, sprangen die Gesellen auf und stellten sich auf die Beine. Da standen sie nun und sollten mit denselben einander den Rang ablaufen, mit denselben guten Beinen, welche bislang nur in bedachtem, ehrbarem Schritt gewandelt! Keiner wusste sich mehr zu entsinnen, dass er je einmal gesprungen oder gelaufen waere; am ehesten schien sich noch der Schwabe zu trauen und mit den Fuessen sogar leise zu scharren und dieselben ungeduldig zu heben. Sie sahen sich ganz sonderbar und verdaechtig an, waren bleich und schwitzten dabei, als ob sie schon im heftigsten Laufen begriffen waeren. "Gebet euch," sagte Zues, "noch einmal die Hand!" Sie taten es, aber so willenlos und laessig, dass die drei Haende kalt voneinander abglitten und abfielen wie Bleihaende. "Sollen wir denn wirklich das Torenwerk beginnen?" sagte Jobst und wischte sich die Augen, welche anfingen zu traeufeln. "Ja," versetzte der Bayer, "sollen wir wirklich laufen und springen?" und begann zu weinen. "Und Sie, allerliebste Jungfer Buenzlin?" sagte Jobst heulend, "wie werden Sie sich denn verhalten?" "Mir geziemt," antwortete sie und hielt sich das Schnupftuch vor die Augen, "mir geziemt zu schweigen, zu leiden und zuzusehen!" Der Schwabe sagte freundlich und listig: "Aber dann nachher, Jungfer Zuesi?" "O Dietrich!" erwiderte sie sanft, "wissen Sie nicht, dass es heisst, der Zug des Schicksals ist des Herzens Stimme?" Und dabei sah sie ihn von der Seite so verbluemt an, dass er abermals die Beine hob und Lust verspuerte, sogleich in Trab zu geraten. Waehrend die zwei Nebenbuhler ihre kleinen Felleisenfuhrwerke in Ordnung brachten und Dietrich das gleiche tat, streifte sie abermals mit Nachdruck seinen Ellbogen oder trat ihm auf den Fuss; auch wischte sie ihm den Staub von dem Hute, laechelte aber gleichzeitig den andern zu, wie wenn sie den Schwaben auslachte, doch so, dass es dieser nicht sehen konnte. Alle drei bliesen jetzt maechtig die Backen auf und sandten grosse Seufzer in die Luft. Sie sahen sich um nach allen Seiten, nahmen die Huete ab, wischten sich den Schweiss von der Stirn, strichen die steif geklebten Haare und setzten die Huete wieder auf. Nochmals schauten sie nach allen Winden und schnappten nach Luft. Zues erbarmte sich ihrer und war so geruehrt, dass sie selbst weinte. "Hier sind noch drei duerre Pflaumen," sagte sie, "nehmt jeder eine in den Mund und behaltet sie darin, das wird euch erquicken! So ziehet denn dahin und kehret die Torheit der Schlechten um in Weisheit der Gerechten! Was sie zum Mutwillen ausgesonnen, das verwandelt in ein erbauliches Werk der Pruefung und der Selbstbeherrschung, in eine sinnreiche Schlusshandlung eines langjaehrigen Wohlverhaltens und Wettlaufes in der Tugend!" Jedem steckte sie die Pflaume in den Mund, und er sog daran. Jobst drueckte die Hand auf seinen Magen und rief: "Wenn es denn sein muss, so sei es in Himmels Namen!" und ploetzlich fing er, indem er den Stock erhob, mit stark gebogenen Knien maechtig an auszuschreiten und zog sein Felleisen an sich. Kaum sah dies Fridolin, so folgte er ihm nach mit langen Schritten, und ohne sich ferner umzusehen, eilten sie schon ziemlich hastig die Strasse hinab. Der Schwabe war der letzte, der sich aufmachte, und ging mit listig vergnuegtem Gesicht und scheinbar ganz gemaechlich neben Zues her, wie wenn er seiner Sache sicher und edelmuetig seinen Gefaehrten einen Vorsprung goennen wollte. Zues belobte seine freundliche Gelassenheit und hing sich vertraulich an seinen Arm. "Ach, es ist doch schoen," sagte sie mit einem Seufzer, "eine feste Stuetze zu haben im Leben! Selbst wenn man hinlaenglich begabt ist mit Klugheit und Einsicht und einen tugendhaften Weg wandelt, so geht es sich auf diesem Wege doch viel gemuetlicher am vertrauten Freundesarme!" "Der Tausend, ei ja wohl, das wollte ich wirklich meinen!" erwiderte Dietrich und stiess ihr den Ellbogen tuechtig in die Seite, indem er zugleich nach seinen Nebenbuhlern spaehte, ob der Vorsprung auch nicht zu gross wuerde, "sehen Sie wohl, werteste Jungfer! Kommt es Ihnen allendlich? Merken Sie, wo Barthel den Most holt?" "O Dietrich, lieber Dietrich," sagte sie mit einem noch viel staerkeren Seufzer, "ich fuehle mich oft recht einsam!" "Hopsele, so muss es kommen!" rief er und sein Herz huepfte wie ein Haeschen im Weisskohl. "O Dietrich!" rief sie und drueckte sich fester an ihn; es ward ihm schwuel und sein Herz wollte zerspringen vor pfiffigem Vergnuegen; aber zugleich entdeckte er, dass seine Vorlaeufer nicht mehr sichtbar, sondern um eine Ecke herum verschwunden waren. Sogleich wollte er sich losreissen von Zuesis Arm und jenen nachspringen; aber sie hielt ihn so fest, dass es ihm nicht gelang, und klammerte sich an, wie wenn sie schwach wuerde. "Dietrich!" fluesterte sie, die Augen verdrehend, "lassen Sie mich jetzt nicht allein, ich vertraue auf Sie, stuetzen Sie mich!" "Den Teufel noch einmal, lassen Sie mich los, Jungfer!" rief er aengstlich, "oder ich komm' zu spaet und dann ade Zipfelmuetze!" "Nein, nein! Sie duerfen mich nicht verlassen, ich fuehle, mir wird uebel!" jammerte sie. "UEbel oder nicht uebel!" schrie er und riss sich gewaltsam los; er sprang auf eine Erhoehung und sah sich um und sah die Laeufer schon im vollen Rennen weit den Berg hinunter. Nun setzte er zum Sprung an, schaute sich aber im selben Augenblick noch einmal nach Zues um. Da sah er sie, wie sie am Eingange eines engen schattigen Waldpfades sass und lieblich lockend ihm mit den Haenden winkte. Diesem Anblicke konnte er nicht widerstehen, sondern eilte, statt den Berg hinunter, wieder zu ihr hin. Als sie ihn kommen sah, stand sie auf und ging tiefer in das Holz hinein, sich nach ihm umsehend; denn sie dachte ihn auf alle Weise vom Laufen abzuhalten und so lange zu vexieren, bis er zu spaet kaeme und nicht in Seldwyl bleiben koenne. Allein der erfindungsreiche Schwabe aenderte zu selber Zeit seine Gedanken und nahm sich vor, sein Heil hier oben zu erkaempfen, und so geschah es, dass es ganz anders kam, als die listige Person es hoffte. Sobald er sie erreicht und an einem verborgenen Plaetzchen mit ihr allein war, fiel er ihr zu Fuessen und bestuermte sie mit den feurigsten Liebeserklaerungen, welche ein Kammacher je gemacht hat. Erst suchte sie ihm Ruhe zu gebieten und, ohne ihn fortzuscheuchen, auf gute Manier hinzuhalten, indem sie alle ihre Weisheiten und Anmutungen spielen liess. Als er ihr aber Himmel und Hoelle vorstellte, wozu ihm sein aufgeregter und gespannter Unternehmungsgeist herrliche Zauberworte verlieh, als er sie mit Zaertlichkeiten jeder Art ueberhaeufte und bald ihrer Haende, bald ihrer Fusse sich zu bemaechtigen suchte und ihren Leib und ihren Geist, alles was an ihr war, lobte und ruehmte, dass der Himmel haette gruen werden moegen, als dazu die Witterung und der Wald so still und lieblich waren, verlor Zues endlich den Kompass, als ein Wesen, dessen Gedanken am Ende doch so kurz sind als seine Sinne; ihr Herz krabbelte so aengstlich und wehrlos, wie ein Kaefer, der auf dem Ruecken liegt, und Dietrich besiegte es in jeder Weise. Sie hatte ihn in dies Dickicht verlockt, um ihn zu verraten, und war im Handumdrehen von dem Schwaebchen erobert; dies geschah nicht, weil sie etwa eine besonders verliebte Person war, sondern weil sie als eine kurze Natur trotz aller eingebildeten Weisheit doch nicht ueber ihre eigene Nase wegsah. Sie blieben wohl eine Stunde in dieser kurzweiligen Einsamkeit, umarmten sich immer aufs neue und gaben sich tausend Kuesschen. Sie schwuren sich ewige Treue und in aller Aufrichtigkeit und wurden einig, sich zu heiraten auf alle Faelle. Unterdessen hatte sich in der Stadt die Kunde von dem seltsamen Unternehmen der drei Gesellen verbreitet und der Meister selbst zu seiner Belustigung die Sache bekannt gemacht; deshalb freuten sich die Seldwyler auf das unverhoffte Schauspiel und waren begierig, die gerechten und ehrbaren Kammacher zu ihrem Spasse laufen und ankommen zu sehen. Eine grosse Menschenmenge zog vor das Tor und lagerte sich zu beiden Seiten der Strasse, wie wenn man einen Schnellaeufer erwartet. Die Knaben kletterten auf die Baeume, die Alten und Rueckgesetzten sassen im Grase und rauchten ihr Pfeifchen, zufrieden, dass sich ihnen ein so wohlfeiles Vergnuegen aufgetan. Selbst die Herren waren ausgerueckt, um den Hauptspass mit anzusehen, sassen froehlich diskurierend in den Gaerten und Lauben der Wirtshaeuser und bereiteten eine Menge Wetten vor. In den Strassen, durch welche die Laeufer kommen mussten, waren alle Fenster geoeffnet, die Frauen hatten in den Visitenstuben rote und weisse Kissen ausgelegt, die Arme darauf zu legen, und zahlreichen Damenbesuch empfangen, so dass froehliche Kaffeegesellschaften aus dem Stegreif entstanden und die Maegde genug zu laufen hatten, um Kuchen und Zwieback zu holen. Vor dem Tore aber sahen jetzt die Buben auf den hoechsten Baeumen eine kleine Staubwolke sich naehern und begannen zu rufen: "Sie kommen, sie kommen!" Und nicht lange dauerte es, so kamen Fridolin und Jobst wirklich wie ein Sturmwind herangesaust, mitten auf der Strasse, eine dicke Wolke Staubes aufruehrend. Mit der einen Hand zogen sie die Felleisen, welche wie toll ueber die Steine flogen, mit der andern hielten sie die Huete fest, welche ihnen' im Nacken sassen, und ihre langen Roecke flogen und wehten um die Wette. Beide waren von Schweiss und Staub bedeckt, sie sperrten den Mund auf und lechzten nach Atem, sahen und hoerten nichts, was um sie her vorging und dicke Traenen rollten den armen Maennern ueber die Gesichter, welche sie nicht abzuwischen Zeit hatten. Sie liefen sich dicht auf den Fersen, doch war der Bayer voraus um eine Spanne. Ein entsetzliches Geschrei und Gelaechter erhob sich und droehnte, so weit das Ohr reichte. Alles raffte sich auf und draengte sich dicht an den Weg, von allen Seiten rief es: "So recht, so recht! Lauft, wehr' dich, Sachs! Halt dich brav, Bayer! Einer ist schon abgefallen, es sind nur noch zwei!" Die Herren in den Gaerten standen auf den Tischen und wollten sich ausschuetten vor Lachen. Ihr Gelaechter droehnte aber donnernd und fest ueber den haltlosen Laerm der Menge weg, die auf der Strasse lagerte, und gab das Signal zu einem unerhoerten Freudentage. Die Buben und das Gesindel stroemten hinter den zwei armen Gesellen zusammen und ein wilder Haufen, eine furchtbare Wolke erregend, waelzte sich mit ihnen dem Tore zu; selbst Weiber und junge Gassenmaedchen liefen mit und mischten ihre hellen quiekenden Stimmen in das Geschrei der Burschen. Schon waren sie dem Tore nah, dessen Tuerme von Neugierigen besetzt waren, die ihre Muetzen schwenkten; die zwei rannten wie scheu gewordene Pferde, das Herz voll Qual und Angst; da kniete ein Gassenjunge wie ein Kobold auf Jobstens fahrendes Felleisen und liess sich unter dem Beifallsgeschrei der Menge mitfahren. Jobst wandte sich und flehte ihn an, loszulassen, auch schlug er mit dem Stocke nach ihm; aber der Junge duckte sich und grinste ihn an. Darueber gewann Fridolin einen groesseren Vorsprung, und wie Jobst es merkte, warf er ihm den Stock zwischen die Fuesse, dass er hinstuerzte. Wie aber Jobst ueber ihn wegspringen wollte, erwischte ihn der Bayer am Rockschoss und zog sich daran in die Hoehe; Jobst schlug ihm auf die Haende und schrie: "Lass los, lass los!" Fridolin liess aber nicht los, Jobst packte dafuer seinen Rockschoss und nun hielten sie sich gegenseitig fest und drehten sich langsam zum Tore hinein, nur zuweilen einen Sprung versuchend, um einer dem andern zu entrinnen. Sie weinten, schluchzten und heulten wie Kinder und schrien in unsaeglicher Beklemmung: "O Gott, lass los! Du lieber Heiland, lass los, Jobst! Lass los, Fridolin! Lass los, du Satan!" Dazwischen schlugen sie sich fleissig auf die Haende, kamen aber immer um ein weniges vorwaerts. Hut und Stock hatten sie verloren, zwei Buben trugen dieselben, die Huete auf die Stoecke gesteckt, voran und hinter ihnen her waelzte sich der tobende Haufen; alle Fenster waren von der Damenwelt besetzt, welche ihr silbernes Gelaechter in die unten tosende Brandung warf, und seit langer Zeit war man nicht mehr so froehlich gestimmt gewesen in dieser Stadt. Das rauschende Vergnuegen schmeckte den Bewohnern so gut, dass kein Mensch den zwei Ringenden ihr Ziel zeigte, des Meisters Haus, an welchem sie endlich angelangt. Sie selben sahen es nicht, sie sahen ueberhaupt nichts, und so waelzte sich der tolle Zug durch das ganze Staedtchen und zum anderen Tore wieder hinaus. Der Meister hatte lachend unter dem Fenster gelegen, und nachdem er noch ein Stuendchen auf den endlichen Sieger gewartet, wollte er eben weggehen, um die Fruechte seines Schwankes zu geniessen, als Dietrich und Zues still und unversehens bei ihm eintraten. Diese hatten naemlich unterdessen ihre Gedanken zusammengetan und beraten, dass der Kammachermeister wohl geneigt sein duerfte, da er doch nicht lang mehr machen wuerde, sein Geschaeft gegen eine bare Summe zu verkaufen. Zues wollte ihren Gueltbrief dazu hergeben und der Schwabe sein Geldchen auch dazutun, und dann waeren sie die Herren der Sachlage und koennten die andern zwei auslachen. Sie trugen ihre Vereinigung dem ueberraschten Meister vor; diesem leuchtete es sogleich ein, hinter dem Ruecken seiner Glaeubiger, ehe es zum Bruch kam, noch schnell den Handel abzuschliessen und unverhofft des baren Kaufpreises habhaft zu werden. Rasch wurde alles festgestellt, und ehe die Sonne unterging, war Jungfer Buenzlin die rechtmaessige Besitzerin des Kammachergeschaeftes und ihr Braeutigam der Mieter des Hauses, in welchem dasselbe lag, und so war Zues, ohne es am Morgen geahnt zu haben, endlich erobert und gebunden durch die Handlichkeit des Schwaebchens. Halbtot vor Scham, Mattigkeit und Aerger lagen Jobst und Fridolin in der Herberge, wohin man sie gefuehrt hatte, nachdem sie auf dem freien Felde endlich umgefallen waren, ganz ineinander verbissen. Die ganze Stadt, da sie einmal aufgeregt war, hatte die Ursache schon vergessen und feierte eine lustige Nacht. In vielen Haeusern wurde getanzt und in den Schenken wurde gezecht und gesungen, wie an den groessten Seldwylertagen; denn die Seldwyler brauchten nicht viel Zeug, um mit Meisterhand eine Lustbarkeit daraus zu formen. Als die beiden armen Teufel sahen, wie ihre Tapferkeit, mit welcher sie gedacht hatten, die Torheit der Welt zu benutzen, nur dazu gedient hatte, dieselbe triumphieren zu lassen und sich selbst zum allgemeinen Gespoett zu machen, wollte ihnen das Herz brechen; denn sie hatten nicht nur den weisen Plan mancher Jahre verfehlt und vernichtet, sondern auch den Ruhm besonnener und rechtlich ruhiger Leute eingebuesst. Jobst, der der aelteste war und sieben Jahre hier gewesen, war ganz verloren und konnte sich nicht zurechtfinden. Ganz schwermuetig zog er vor Tag wieder aus der Stadt, und hing sich an der Stelle, wo sie alle gestern gesessen, an einen Baum. Als der Bayer eine Stunde spaeter da vorueberkam und ihn erblickte, fasste ihn ein solches Entsetzen, dass er wie wahnsinnig davonrannte, sein ganzes Wesen veraenderte und, wie man nachher hoerte, ein liederlicher Mensch und alter Handwerksbursch wurde, der keines Menschen Freund war. Dietrich der Schwabe allein blieb ein Gerechter und hielt sich oben in dem Staedtchen; aber er hatte nicht viel Freude davon; denn Zues liess ihm gar nicht den Ruhm, regierte und unterdrueckte ihn und betrachtete sich selbst als die alleinige Quelle alles Guten. * * * * * SPIEGEL, DAS KAETZCHEN EIN MAERCHEN Wenn ein Seldwyler einen schlechten Handel gemacht hat oder angefuehrt worden ist, so sagt man zu Seldwyla: Er hat der Katze den Schmer abgekauft! Dies Sprichwort ist zwar auch anderwaerts gebraeuchlich, aber nirgends hoert man es so oft wie dort, was vielleicht daher ruehren mag, dass es in dieser Stadt eine alte Sage gibt ueber den Ursprung und die Bedeutung dieses Sprichwortes. Vor mehreren hundert Jahren, heisst es, wohnte in Seldwyla eine aeltliche Person allein mit einem schoenen, grau und schwarzen Kaetzchen, welches in aller Vergnuegtheit und Klugheit mit ihr lebte und niemandem, der es ruhig liess, etwas zuleide tat. Seine einzige Leidenschaft war die Jagd, welche es jedoch mit Vernunft und Maessigung befriedigte, ohne sich durch den Umstand, dass diese Leidenschaft zugleich einen nuetzlichen Zweck hatte und seiner Herrin wohlgefiel, beschoenigen zu wollen und allzusehr zur Grausamkeit hinreissen zu lassen. Es fing und toetete daher nur die zudringlichsten und frechsten Maeuse, welche sich in einem gewissen Umkreise des Hauses betreten liessen, aber diese dann mit zuverlaessiger Geschicklichkeit; nur selten verfolgte es eine besonders pfiffige Maus, welche seinen Zorn gereizt hatte, ueber diesen Umkreis hinaus und erbat sich in diesem Falle mit vieler Hoeflichkeit von den Herren Nachbarn die Erlaubnis, in ihren Haeusern ein wenig mausen zu duerfen, was ihm gerne gewaehrt wurde, da es die Milchtoepfe stehenliess, nicht an die Schinken hinaufsprang, welche etwa an den Waenden hingen, sondern seinem Geschaefte still und aufmerksam oblag und, nachdem es dieses verrichtet, sich mit dem Maeuslein im Maule anstaendig entfernte. Auch war das Kaetzchen gar nicht scheu und unartig, sondern zutraulich gegen jedermann, und floh nicht vor vernuenftigen Leuten; vielmehr liess es sich von solchen einen guten Spass gefallen und selbst ein bisschen an den Ohren zupfen, ohne zu kratzen; dagegen liess es sich von einer Art dummer Menschen, von welchen es behauptete, dass die Dummheit aus einem unreifen und nichtsnutzigen Herzen kaeme, nicht das mindeste gefallen und ging ihnen entweder aus dem Wege oder versetzte ihnen einen ausreichenden Hieb ueber die Hand, wenn sie es mit einer Plumpheit molestierten. Spiegel, so war der Name des Kaetzchens wegen seines glatten und glaenzenden Pelzes, lebte so seine Tage heiter, zierlich und beschaulich dahin, in anstaendiger Wohlhabenheit und ohne Ueberhebung. Er sass nicht zu oft auf der Schulter seiner freundlichen Gebieterin, um ihr die Bissen von der Gabel wegzufangen, sondern nur, wenn er merkte, dass ihr dieser Spass angenehm war, auch lag und schlief er den Tag ueber selten auf seinem warmen Kissen hinter dem Ofen, sondern hielt sich munter und liebte es eher, auf einem schmalen Treppengelaender oder in der Dachrinne zu liegen und sich philosophischen Betrachtungen und der Beobachtung der Welt zu ueberlassen. Nur jeden Fruehling und Herbst einmal wurde dies ruhige Leben eine Woche lang unterbrochen, wenn die Veilchen bluehten oder die milde Waerme des Altweibersommers die Veilchenzeit nachaeffte. Alsdann ging Spiegel seine eigenen Wege, streifte in verliebter Begeisterung ueber die fernsten Daecher und sang die allerschoensten Lieder. Als ein rechter Don Juan bestand er bei Tag und Nacht die bedenklichsten Abenteuer, und wenn er sich zur Seltenheit einmal im Hause sehen liess, so erschien er mit einem so verwegenen, burschikosen, ja liederlichen und zerzausten Aussehen, dass die stille Person, seine Gebieterin, fast unwillig ausrief: "Aber Spiegel! Schaemst du dich denn nicht, ein solches Leben zu fuehren?" Wer sich aber nicht schaemte, war Spiegel; als ein Mann von Grundsaetzen, der wohl wusste, was er sich zur wohltaetigen Abwechslung erlauben durfte, beschaeftigte er sich ganz ruhig damit, die Glaette seines Pelzes und die unschuldige Munterkeit seines Aussehens wiederherzustellen, und er fuhr sich so unbefangen mit dem feuchten Pfoetchen ueber die Nase, als ob gar nichts geschehen waere. Allein dies gleichmaessige Leben nahm ploetzlich ein trauriges Ende. Als das Kaetzchen Spiegel eben in der Bluete seiner Jahre stand, starb die Herrin unversehens an Altersschwaeche und liess das schoene Kaetzchen herrenlos und verwaist zurueck. Es war das erste Unglueck, welches ihm widerfuhr, und mit jenen Klagetoenen, welche so schneidend den bangen Zweifel an der wirklichen und rechtmaessigen Ursache eines grossen Schmerzes ausdruecken, begleitete es die Leiche bis auf die Strasse und strich den ganzen uebrigen Tag ratlos im Hause und rings um dasselbe her. Doch seine gute Natur, seine Vernunft und Philosophie geboten ihm bald, sich zu fassen, das Unabaenderliche zu tragen und seine dankbare Anhaenglichkeit an das Haus seiner toten Gebieterin dadurch zu beweisen, dass er ihren ladenden Erben seine Dienste anbot und sich bereitmachte, denselben mit Rat und Tat beizustehen, die Muse ferner im Zaume zu halten und ueberdies ihnen manche gute Mitteilung zu machen, welche die Toerichten nicht verschmaeht haetten, wenn sie eben nicht unvernuenftige Menschen gewesen waeren. Aber diese Leute liessen Spiegel gar nicht zu Wort kommen, sondern warfen ihm die Pantoffeln und das artige Fussschemelchen der Seligen an den Kopf, sooft er sich blicken liess, zankten sich acht Tage lang untereinander, begannen endlich einen Prozess und schlossen das Haus bis auf weiteres zu, so dass nun gar niemand darin wohnte. Da sass nun der arme Spiegel traurig und verlassen auf der steinernen Stufe vor der Haustuere und hatte niemand, der ihn hineinliess. Des Nachts begab er sich wohl auf Umwegen unter das Dach den Hauses, und im Anfang hielt er sich einen grossen Teil den Tages dort verborgen und suchte seinen Kummer zu verschlafen; doch der Hunger trieb ihn bald an das Licht und noetigte ihn, an der warmen Sonne und unter den Leuten zu erscheinen, um bei der Hand zu sein und zu gewaertigen, wo sich etwa ein Maulvoll geringer Nahrung neigen moechte. Je seltener dies geschah, desto aufmerksamer wurde der gute Spiegel, und alle seine moralischen Eigenschaften gingen in dieser Aufmerksamkeit auf, so dass er sehr bald sich selber nicht mehr gleichsah. Er machte zahlreiche Ausfluege von seiner Haustuere aus und stahl sich scheu und fluechtig ueber die Strasse, um manchmal mit einem schlechten, unappetitlichen Bissen, dergleichen er frueher nie gesehen, manchmal mit gar nichts zurueckzukehren. Er wurde von Tag zu Tag magerer und zerzauster, dabei gierig, kriechend und feig; all sein Mut, seine zierliche Katzenwuerde, seine Vernunft und Philosophie waren dahin. Wenn die Buben aus der Schule kamen, so kroch er in einen verborgenen Winkel, sobald er sie kommen hoerte, und guckte nur hervor, um aufzupassen, welcher von ihnen etwa eine Brotrinde wegwuerfe, und merkte sich den Ort, wo sie hinfiel. Wenn der schlechteste Koeter von weitem ankam, so sprang er hastig fort, waehrend er frueher gelassen der Gefahr ins Auge geschaut und boese Hunde oft tapfer gezuechtigt hatte. Nur wenn ein grober und einfaeltiger Mensch daherkam, dergleichen er sonst klueglich gemieden, blieb er sitzen, obgleich das arme Kaetzchen mit dem Reste seiner Menschenkenntnis den Luemmel recht gut erkannte; allein die Not zwang Spiegelchen, sich zu taeuschen und zu hoffen, dass der Schlimme ausnahmsweise einmal es freundlich streicheln und ihm einen Bissen darreichen werde. Und selbst wenn er statt dessen nun doch geschlagen oder in den Schwanz gekneift wuerde, so kratzte er nicht, sondern duckte sich lautlos zur Seite und sah dann noch verlangend nach der Hand, die es geschlagen und gekneift, und welche nach Wurst oder Hering roch. Als der edle und kluge Spiegel so heruntergekommen war, sass er eines Tages ganz mager und traurig auf seinem Stein und blinzelte in der Sonne. Da kam der Stadthexenmeister Pineiss des Weges, sah das Kaetzchen und stand vor ihm still. Etwas Gutes hoffend, obgleich es den Unheimlichen wohl kannte, sass Spiegelchen demuetig auf dem Stein und erwartete, was der Herr Pineiss etwa tun oder sagen wuerde. Als dieser aber begann und sagte: "Na, Katze! Soll ich dir deinen Schmer abkaufen?" da verlor es die Hoffnung, denn es glaubte, der Stadthexenmeister wolle es seiner Magerkeit wegen verhoehnen. Doch erwiderte er bescheiden und laechelnd, um es mit niemand zu verderben: "Ach, der Herr Pineiss belieben zu scherzen!" "Mitnichten!" rief Pineiss, "es ist mir voller Ernst! Ich brauche Katzenschmer vorzueglich zur Hexerei; aber er muss mir vertragsmaessig und freiwillig von den werten Herren Katzen abgetreten werden, sonst ist er unwirksam. Ich denke, wenn je ein wackeres Kaetzlein in der Lage war, einen vorteilhaften Handel abzuschliessen, so bist es du! Begib dich in meinen Dienst; ich fuettere dich herrlich heraus, mache dich fett und kugelrund mit Wuerstchen und gebratenen Wachteln. Auf dem ungeheuer hohen alten Dache meines Hauses, welches nebenbei gesagt das koestlichste Dach von der Welt ist fuer eine Katze, voll interessanter Gegenden und Winkel, waechst auf den sonnigsten Hoehen treffliches Spitzgras, gruen wie Smaragd, schlank und fein in den Lueften schwankend, dich einladend, die zartesten Spitzen abzubeissen und zu geniessen, wenn du dir an meinen Leckerbissen eine leichte Unverdaulichkeit zugezogen hast. So wirst du bei trefflicher Gesundheit bleiben und mir dereinst einen kraeftigen brauchbaren Schmer liefern!" Spiegel hatte schon laengst die Ohren gespitzt und mit waesserndem Maeulchen gelauscht; doch war seinem geschwaechten Verstande die Sache noch nicht klar und er versetzte daher: "Das ist soweit nicht uebel, Herr Pineiss! Wenn ich nur wuesste, wie ich alsdann, wenn ich doch, um Euch meinen Schmer abzutreten, mein Leben lassen muss, des verabredeten Preises habhaft werden und ihn geniessen soll, da ich nicht mehr bin?" "Des Preises habhaft werden?" sagte der Hexenmeister verwundert, "den Preis geniessest du ja eben in den reichlichen und ueppigen Speisen, womit ich dich fettmache, das versteht sich von selber! Doch will ich dich zu dem Handel nicht zwingen!" Und er machte Miene, sich von dannen begeben zu wollen. Aber Spiegel sagte hastig und aengstlich: "Ihr muesst mir wenigstens eine maessige Frist gewaehren ueber die Zeit meiner hoechsten erreichten Rundheit und Fettigkeit hinaus, dass ich nicht so jaehlings von hinnen gehen muss, wenn jener angenehme und ach! so traurige Zeitpunkt herangekommen und entdeckt ist!" "Es sei!" sagte Herr Pineiss mit anscheinender Gutmuetigkeit, "bis zum naechsten Vollmond sollst du dich alsdann deines angenehmen Zustandes erfreuen duerfen, aber nicht laenger! Denn in den abnehmenden Mond hinein darf es nicht gehen, weil dieser einen verminderten Einfluss auf mein wohlerworbenes Eigentum ausueben wuerde." Das Kaetzchen beeilte sich zuzuschlagen und unterzeichnete einen Vertrag, welchen der Hexenmeister im Vorrat bei sich fuehrte, mit seiner scharfen Handschrift, welche sein letztes Besitztum und Zeichen besserer Tage war. "Du kannst dich nun zum Mittagessen bei mir einfinden, Kater!" sagte der Hexer, "Punkt zwoelf Uhr wird gegessen!" "Ich werde so frei sein, wenn Ihr's erlaubt!" sagte Spiegel und fand sich puenktlich um die Mittagsstunde bei Herrn Pineiss ein. Dort begann nun waehrend einiger Monate ein hoechst angenehmes Leben fuer das Kaetzchen; denn es hatte auf der Welt weiter nichts zu tun, als die guten Dinge zu verzehren, die man ihm vorsetzte, dem Meister bei der Hexerei zuzuschauen, wenn es mochte, und auf dem Dache spazierenzugehen. Dies Dach glich einem ungeheuren schwarzen Nebelspalter oder Dreiroehrenhut, wie man die grossen Huete der schwaebischen Bauern nennt, und wie ein solcher Hut ein Gehirn voller Nuecken und Finten ueberschattet, so bedeckte dies Dach ein grosses, dunkles und winkliges Haus voll Hexenwerk und Tausendsgeschichten. Herr Pineiss war ein Kannalles, welcher hundert AEmtchen versah, Leute kurierte, Wanzen vertilgte, Zaehne auszog und Geld auf Zinsen lieh; er war der Vormuender aller Waisen und Witwen, schnitt in seinen Mussestunden Federn, das Dutzend fuer einen Pfennig, und machte schoene schwarze Tinte; er handelte mit Ingwer und Pfeffer, mit Wagenschmiere und Rosoli, mit Haeftlein und Schuhnaegeln, er renovierte die Turmuhr und machte jaehrlich den Kalender mit der Witterung, den Bauernregeln, und dem Aderlassmaennchen; er verrichtete zehntausend rechtliche Dinge am hellen Tag um maessigen Lohn, und einige unrechtliche nur in der Finsternis und aus Privatleidenschaft, oder hing auch den rechtlichen, ehe er sie aus seiner Hand entliess, schnell noch ein unrechtliches Schwaenzchen an, so klein wie die Schwaenzchen der jungen Froesche, gleichsam nur der Possierlichkeit wegen. Ueberdies machte er das Wetter in schwierigen Zeiten, ueberwachte mit seiner Kunst die Hexen, und wenn sie reif waren, liess er sie verbrennen; fuer sich trieb er die Hexerei nur als wissenschaftlichen Versuch und zum Hausgebrauch, sowie er auch die Stadtgesetze, die er redigierte und ins reine schrieb, unter der Hand probierte und verdrehte, um ihre Dauerhaftigkeit zu ergruenden. Da die Seldwyler stets einen solchen Buerger brauchten, der alle unlustigen kleinen und grossen Dinge fuer sie tat, so war er zum Stadthexenmeister ernannt worden und bekleidete dies Amt schon seit vielen Jahren mit unermuedlicher Hingebung und Geschicklichkeit, frueh und spaet. Daher war sein Haus von unten bis oben vollgestopft mit allen erdenklichen Dingen, und Spiegel hatte viel Kurzweil, alles zu besehen und zu beriechen. Doch im Anfang gewann er keine Aufmerksamkeit fuer andere Dinge, als fuer das Essen. Er schlang gierig alles hinunter, was Pineiss ihm darreichte, und mochte kaum von einer Zeit zur andern warten. Dabei ueberlud er sich den Magen und musste wirklich auf das Dach gehen, um dort von den gruenen Graesern abzubeissen und sich von allerhand Unwohlsein zu kurieren. Als der Meister diesen Heisshunger bemerkte, freute er sich und dachte, das Kaetzchen wuerde solcherweise recht bald fett werden, und je besser er daran wende, desto klueger verfahre und spare er im ganzen. Er baute daher fuer Spiegel eine ordentliche Landschaft in seiner Stube, indem er ein Waeldchen von Tannenbaeumchen aufstellte, kleine Huegel von Steinen und Moos errichtete und einen kleinen See anlegte. Auf die Baeumchen setzte er duftig gebratene Lerchen, Finken, Meisen und Sperlinge, je nach der Jahreszeit, so dass da Spiegel immer etwas herunterzuholen und zu knabbern vorfand. In die kleinen Berge versteckte er in kuenstlichen Mausloechern herrliche Maeuse, welche er sorgfaeltig mit Weizenmehl gemaestet, dann ausgeweidet, mit zarten Speckriemchen gespickt und gebraten hatte. Einige dieser Maeuse konnte Spiegel mit der Hand hervorholen, andere waren zur Erhoehung des Vergnuegens tiefer verborgen, aber an einen Faden gebunden, an welchem Spiegel sie behutsam hervorziehen musste, wenn er diese Lustbarkeit einer nachgeahmten Jagd geniessen wollte. Das Becken des Sees aber fuellte Pineiss alle Tage mit frischer Milch, damit Spiegel in der suessen seinen Durst loesche, und liess gebratene Gruendlinge darin schwimmen, da er wusste, dass Katzen zuweilen auch die Fischerei lieben. Aber da nun Spiegel ein so herrliches Leben fuehrte, tun und lassen, essen und trinken konnte, was ihm beliebte und wann es ihm einfiel, so gedieh er allerdings zusehends an seinem Leibe; sein Pelz wurde wieder glatt und glaenzend und sein Auge munter; aber zugleich nahm er, da sich seine Geisteskraefte in gleichem Masse wieder ansammelten, bessere Sitten an; die wilde Gier legte sich, und weil er jetzt eine traurige Erfahrung hinter sich hatte, so wurde er nun klueger als zuvor. Er maessigte sich in seinen Geluesten und frass nicht mehr als ihm zutraeglich war, indem er zugleich wieder vernuenftigen und tiefsinnigen Betrachtungen nachhing und die Dinge weder durchschaute. So holte er eines Tages einen huebschen Krammetsvogel von den Aesten herunter, und als er denselben nachdenklich zerlegte, fand er dessen kleinen Magen ganz kugelrund angefuellt mit frischer unversehrter Speise. Gruene Kraeutchen, artig zusammengerollt, schwarze und weisse Samenkoerner und eine glaenzendrote Beere waren da so niedlich und dicht ineinander gepfropft, als ob ein Muetterchen fuer ihren Sohn das Raenzchen zur Reise gepackt haette. Als Spiegel den Vogel langsam verzehrt und das so vergnueglich gefuellte Maeglein an seine Klaue hing und philosophisch betrachtete, ruehrte ihn das Schicksal des armen Vogels, welcher nach so friedlich verbrachtem Geschaeft so schnell sein Leben lassen gemusst, dass er nicht einmal die eingepackten Sachen verdauen konnte. "Was hat er nun davon gehabt, der arme Kerl," sagte Spiegel, "dass er sich so fleissig und eifrig genaehrt hat, dass dies kleine Saeckchen aussieht, wie ein wohl vollbrachtes Tagewerk? Diese rote Beere ist es, die ihn aus dem freien Walde in die Schlinge des Vogelstellers gelockt hat. Aber er dachte doch seine Sache noch besser zu machen und sein Leben an solchen Beeren zu fristen, waehrend ich, der ich soeben den ungluecklichen Vogel gegessen, daran mich nur um einen Schritt naeher zum Tode gegessen habe! Kann man einen elenderen und feigeren Vertrag abschliessen, als sein Leben noch ein Weilen fristenzulassen, um es dann um diesen Preis doch zu verlieren? Waere nicht ein freiwilliger und schneller Tod vorzuziehen gewesen fuer einen entschlossenen Kater? Aber ich habe keine Gedanken gehabt, und nun da ich wieder solche habe, sehe ich nichts vor mir, als das Schicksal dieses Krammetsvogels; wenn ich rund genug bin, so muss ich von hinnen, aus keinem andern Grunde, als weil ich rund bin. Ein schoener Grund fuer einen lebenslustigen und gedankenreichen Katzmann! Ach, koennte ich aus dieser Schlinge kommen!" Er vertiefte sich nun in vielfaeltige Gruebeleien, wie das gelingen moechte; aber da die Zeit der Gefahr noch nicht da war, so wurde es ihm nicht klar und er fand keinen Ausweg; aber als ein kluger Mann ergab er sich bis dahin der Tugend der Selbstbeherrschung, welches immer die beste Vorschule und Zeitverwendung ist, bis sich etwas entscheiden soll. Er verschmaehte das weiche Kissen, welches ihm Pineiss zurechtgelegt hatte, damit er fleissig darauf schlafen und fett werden sollte, und zog es vor, wieder auf schmalen Gesimsen und hohen gefaehrlichen Stellen zu liegen, wenn er ruhen wollte. Ebenso verschmaehte er die gebratenen Voegel und die gespickten Maeuse und fing sich lieber auf den Daechern, da er nun wieder einen rechtmaessigen Jagdgrund hatte, mit List und Gewandtheit einen schlichten lebendigen Sperling, oder auf den Speichern eine flinke Maus, und solche Beute schmeckte ihm vortrefflicher, als das gebratene Wild in Pineissens kuenstlichem Gehege, waehrend sie ihn nicht zu fett machte; auch die Bewegung und Tapferkeit, sowie der wiedererlangte Gebrauch der Tugend und Philosophie verhinderten ein zu schnelles Fettwerden, so dass Spiegel zwar gesund und glaenzend aussah, aber zu Pineissens Verwunderung auf einer gewissen Stufe der Beleibtheit stehen blieb, welche lange nicht das erreichte, was der Hexenmeister mit seiner freundlichen Maestung bezweckte; denn dieser stellte sich darunter ein kugelrundes, schwerfaelliges Tier vor, welches sich nicht vom Ruhekissen bewegte und aus eitel Schmer bestand. Aber hierin hatte sich seine Hexerei eben geirrt und er wusste bei aller Schlauheit nicht, dass wenn man einen Esel fuettert, derselbe ein Esel bleibt, wenn man aber einen Fuchsen speiset, derselbe nichts anders wird als ein Fuchs; denn jede Kreatur waechst sich nach ihrer Weise aus. Als Herr Pineiss entdeckte, wie Spiegel immer auf demselben Punkte einer wohlgenaehrten, aber geschmeidigen und zuegigen Schlankheit stehen blieb, ohne eine erkleckliche Fettigkeit anzusetzen, stellte er ihn eines Abends ploetzlich zur Rede und sagte barsch: "Was ist das, Spiegel? Warum frissest du die guten Speisen nicht, die ich dir mit so viel Sorgfalt und Kunst praepariere und herstelle? Warum faengst du die gebratenen Voegel nicht auf den Baeumen, warum suchst du die leckeren Maeuschen nicht in den Berghoehlen? Warum fischest du nicht mehr in dem See? Warum pflegst du dich nicht? Warum schlaefst du nicht auf dem Kissen? Warum strapazierst du dich und wirst mir nicht fett?" "Ei, Herr Pineiss!" sagte Spiegel, "weil es mir wohler ist auf diese Weise! Soll ich meine kurze Frist nicht auf die Art verbringen, die mir am angenehmsten ist!" "Wie!" rief Pineiss, "du sollst so leben, dass du dick und rund wirst und nicht dich abjagen! Ich merke aber wohl, wo du hinauswillst! Du denkst mich zu aeffen und hinzuhalten, dass ich dich in Ewigkeit in diesem Mittelzustande herumlaufen lasse? Mitnichten soll dir das gelingen! Es ist deine Pflicht, zu essen und zu trinken und dich zu pflegen, auf dass du dick werdest und Schmer bekommst! Auf der Stelle entsage daher dieser hinterlistigen und kontraktwidrigen Maessigkeit, oder ich werde ein Woertlein mit dir sprechen!" Spiegel unterbrach sein behagliches Spinnen, das er angefangen, um seine Fassung zu behaupten, und sagte: "Ich weiss kein Sterbenswoertchen davon, dass in dem Kontrakt steht, ich solle der Maessigkeit und einem gesunden Lebenswandel entsagen! Wenn der Herr Stadthexenmeister darauf gerechnet hat, dass ich ein fauler Schlemmer sei, so ist das nicht meine Schuld! Ihr tut tausend rechtliche Dinge des Tages, so lasset dieses auch noch hinzukommen und uns beide huebsch in der Ordnung bleiben; denn Ihr wisst ja wohl, dass Euch mein Schmer nur nuetzlich ist, wenn er auf rechtliche Weise erwachsen!" "Ei du Schwaetzer!" rief Pineiss erbost, "willst du mich belehren? Zeig' her, wieweit bist du denn eigentlich gediehen, du Muessiggaenger? Vielleicht kann man dich doch bald abtun!" Er griff dem Kaetzchen an den Bauch; allein dieses fuehlte sich dadurch unangenehm gekitzelt und hieb dem Hexenmeister einen scharfen Kratz ueber die Hand. Diesen betrachtete Pineiss aufmerksam, dann sprach er: "Stehen wir so miteinander, du Bestie? Wohlan, so erklaere ich dich hiermit feierlich, kraft des Vertrages, fuer fett genug! Ich begnuege mich mit dem Ergebnis und werde mich desselben zu versichern wissen! In fuenf Tagen ist der Mond voll, und bis dahin magst du dich noch deines Lebens erfreuen, wie es geschrieben steht, und nicht eine Minute laenger!" Damit kehrte er ihm den Ruecken und ueberliess ihn seinen Gedanken. Diese waren jetzt sehr bedenklich und duester; so war denn die Stunde doch nahe, wo der gute Spiegel seine Haut lassen sollte? Und war mit aller Klugheit gar nichts mehr zu machen? Seufzend stieg er auf das hohe Dach, dessen Firste dunkel in den schoenen Herbstabendhimmel emporragten. Da ging der Mond ueber der Stadt auf und warf seinen Schein auf die schwarzen bemoosten Hohlziegel des alten Daches, ein lieblicher Gesang toente in Spiegels Ohren und eine schneeweisse Kaetzin wandelte glaenzend ueber einen benachbarten First weg. Sogleich vergass Spiegel die Todesaussichten, in welchen er lebte, und erwiderte mit seinem schoensten Katerliede den Lobgesang der Schoenen. Er eilte ihr entgegen und war bald im hitzigen Gefecht mit drei fremden Katern begriffen, die er mutig und wild in die Flucht schlug. Dann machte er der Dame feurig und ergeben den Hof und brachte Tag und Nacht bei ihr zu, ohne an den Pineiss zu denken oder im Hause sich sehenzulassen. Er sang wie eine Nachtigall die schoenen Mondnaechte hindurch, jagte hinter der weissen Geliebten her ueber die Daecher, durch die Gaerten, und rollte mehr als einmal im heftigen Minnespiel oder im Kampfe mit den Rivalen ueber hohe Daecher hinunter und fiel auf die Strasse; aber nur um sich aufzuraffen, das Fell zu schuetteln und die wilde Jagd seiner Leidenschaften von neuem anzuheben. Stille und laute Stunden, suesse Gefuehle und sonniger Streit, anmutiges Zwiegespraech, witziger Gedankenaustausch, Raenke und Schwaenke der Liebe und Eifersucht, Liebkosungen und Raufereien, die Gewalt des Glueckes und die Leiden des Unsterns liessen den verliebten Spiegel nicht zu sich selbst kommen, und als die Scheibe des Mondes vollgeworden, war er von allen diesen Aufregungen und Leidenschaften so heruntergekommen, dass er jaemmerlicher, magerer und zerzauster aussah, als je. Im selben Augenblicke rief ihm Pineiss aus einem Dachtuermchen: "Spiegelchen, Spiegelchen! Wo bist du? Komm doch ein bisschen nach Hause!" Da schied Spiegel von der weissen Freundin, welche zufrieden und kuehl miauend ihrer Wege ging, und wandte sich stolz seinem Henker zu. Dieser stieg in die Kueche hinunter, raschelte mit dem Kontrakt und sagte: "Komm, Spiegelchen, komm, Spiegelchen!" und Spiegel folgte ihm und setzte sich in der Hexenkueche trotzig vor den Meister hin in all seiner Magerkeit und Zerzaustheit. Als Herr Pineiss erblickte, wie er so schmaehlich um seinen Gewinn gebracht war, sprang er wie besessen in die Hoehe und schrie wuetend: "Was seh' ich? Du Schelm, du gewissenloser Spitzbube! Was hast du mir getan?" Ausser sich vor Zorn griff er nach einem Besen und wollte Spiegelein schlagen; aber dieser kruemmte den schwarzen Ruecken, liess die Haare emporstarren, dass ein fahler Schein darueber knisterte, legte die Ohren zurueck, prustete und funkelte den Alten so grimmig an, dass dieser voll Furcht und Entsetzen drei Schritt zuruecksprang. Er begann zu fuerchten, dass er einen Hexenmeister vor sich habe, welcher ihn foppe und mehr koenne, als er selbst. Ungewiss und kleinlaut sagte er: "Ist der ehrsame Herr Spiegel vielleicht vom Handwerk? Sollte ein gelehrter Zaubermeister beliebt haben, sich in dero aeussere Gestalt zu verkleiden, da er nach Gefallen ueber sein Leibliches gebieten und genau so beleibt werden kann, als es ihm angenehm duenkt, nicht zu wenig und nicht zu viel, oder unversehens so mager wird, wie ein Gerippe, um dem Tode zu entschluepfen?" Spiegel beruhigte sich wieder und sprach ehrlich: "Nein, ich bin kein Zauberer! Es ist allein die suesse Gewalt der Leidenschaft, welche mich so heruntergebracht und zu meinem Vergnuegen Euer Fett dahingenommen hat. Wenn wir uebrigens jetzt unser Geschaeft von neuem beginnen wollen, so will ich tapfer dabei sein und dreinbeissen! Setzt mir nur eine recht schoene und grosse Bratwurst vor, denn ich bin ganz erschoepft und hungrig!" Da packte Pineiss den Spiegel wuetend am Kragen, sperrte ihn in den Gaensestall, der immer leer war, und schrie: "Da sieh zu, ob dir deine suesse Gewalt der Leidenschaft noch einmal heraushilft und ob sie staerker ist, als die Gewalt der Hexerei und meines rechtlichen Vertrages! Jetzt heisst's: Vogel friss und stirb!" Sogleich briet er eine lange Wurst, die so lecker duftete, dass er sich nicht enthalten konnte, selbst ein bisschen an beiden Zipfeln zu lecken, ehe er sie durch das Gitter steckte. Spiegel frass sie von vorn bis hinten auf, und indem er sich behaglich den Schnurrbart putzte und den Pelz leckte, sagte er zu sich selber: "Meiner Seel! Es ist doch eine schoene Sache um die Liebe! Sie hat mich fuer diesmal wieder aus der Schlinge gezogen. Jetzt will ich mich ein wenig ausruhen und trachten, dass ich durch Beschaulichkeit und gute Nahrung wieder zu vernuenftigen Gedanken komme! Alles hat seine Zeit! Heute ein bisschen Leidenschaft, morgen ein wenig Besonnenheit und Ruhe, ist jedes in seiner Weise gut. Dies Gefaengnis ist gar nicht so uebel und es laesst sich gewiss etwas Erspriessliches darin ausdenken!" Pineiss aber nahm sich nun zusammen und bereitete alle Tage mit aller seiner Kunst solche Leckerbissen und in solch reizender Abwechslung und Zutraeglichkeit, dass der gefangene Spiegel denselben nicht widerstehen konnte; denn Pineissens Vorrat an freiwilligem und rechtmaessigem Katzenschmer nahm alle Tage mehr ab und drohte naechstens ganz auszugehen, und dann war der Hexer ohne dies Hauptmittel ein geschlagener Mann. Aber der gute Hexenmeister naehrte mit dem Leibe Spiegels dessen Geist immer wieder mit, und es war durchaus nicht von dieser unbequemen Zutat loszukommen, weshalb auch seine Hexerei sich hier als lueckenhaft erwies. Als Spiegel in seinem Kaefig ihm endlich fett genug duenkte, saeumte er nicht laenger, sondern stellte vor den Augen des aufmerksamen Katers alle Geschirre zurecht und machte ein helles Feuer auf dem Herd, um den langersehnten Gewinn auszukochen. Dann wetzte er ein grosses Messer, oeffnete den Kerker, zog Spiegelchen hervor, nachdem er die Kuechentuere wohlverschlossen, und sagte wohlgemut: "Komm, du Sapperloeter! Wir wollen dir den Kopf abschneiden vorderhand, und dann das Fell abziehen! Dieses wird eine warme Muetze fuer mich geben, woran ich Einfaeltiger noch gar nicht gedacht habe! Oder soll ich dir erst das Fell abziehen und dann den Kopf abschneiden?" "Nein, wenn es Euch gefaellig ist," sagte Spiegel demuetig, "lieber zuerst den Kopf abschneiden!" "Hast recht, du armer Kerl!" sagte Herr Pineiss, "wir wollen dich nicht unnuetz quaelen! Alles was recht ist!" "Dies ist ein wahres Wort!" sagte Spiegel mit einem erbaermlichen Seufzer und legte das Haupt ergebungsvoll auf die Seite, "o haett' ich doch jederzeit getan, was recht ist, und nicht eine so wichtige Sache leichtsinnig unterlassen, so koennte ich jetzt mit besserem Gewissen sterben, denn ich sterbe gern; aber ein Unrecht erschwert mir den sonst so willkommenen Tod; denn was bietet mir das Leben? Nichts als Furcht, Sorge und Armut und zur Abwechslung einen Sturm verzehrender Leidenschaft, die noch schlimmer ist, als die stille zitternde Furcht!" "Ei, welches Unrecht, welche wichtige Sache?" fragte Pineiss neugierig. "Ach was hilft das Reden jetzt noch," seufzte Spiegel, "geschehen ist geschehen und jetzt ist Reue zu spaet!" "Siehst du, Sappermenter, was fuer ein Suender du bist?" sagte Pineiss, "und wiewohl du deinen Tod verdienst? Aber was tausend hast du denn angestellt? Hast du mir vielleicht etwas entwendet, entfremdet, verdorben? Hast du mir ein himmelschreiendes Unrecht getan, von dem ich noch gar nichts weiss, ahne, vermute, du Satan? Das sind mir schoene Geschichten! Gut, dass ich noch dahinterkomme! Auf der Stelle beichte mir, oder ich schinde und siede dich lebendig aus! Wirst du sprechen oder nicht?" "Ach nein!" sagte Spiegel, "wegen Euch habe ich mir nichts vorzuwerfen. Es betrifft die zehntausend Goldguelden meiner seligen Gebieterin--aber was hilft Reden!--Zwar--wenn ich bedenke und Euch ansehe, so moechte es vielleicht doch nicht ganz zu spaet sein-- wenn ich Euch betrachte, so sehe ich, dass Ihr ein noch ganz schoener und ruestiger Mann seid, in den besten Jahren--sagt doch, Herr Pineiss! Habt Ihr noch nie etwa den Wunsch verspuert, Euch zu verehelichen, ehrbar und vorteilhaft? Aber was schwatze ich! Wie wird ein so kluger und kunstreicher Mann auf dergleichen muessige Gedanken kommen! Wie wird ein so nuetzlich beschaeftigter Meister an toerichte Weiber denken! Zwar allerdings hat auch die Schlimmste noch irgendwas an sich, was etwa nuetzlich fuer einen Mann ist, das ist nicht abzuleugnen! Und wenn sie nur halbwegs was taugt, so ist eine gute Hausfrau etwa weiss am Leibe, sorgfaeltig im Sinne, zutulich von Sitten, treu von Herzen, sparsam im Verwalten, aber verschwenderisch in der Pflege ihres Mannes, kurzweilig in Worten und angenehm in ihren Taten, einschmeichelnd in ihren Handlungen! Sie kuesst den Mann mit ihrem Munde und streichelt ihm den Bart, sie umschliesst ihn mit ihren Armen und kraut ihm hinter den Ohren, wie er es wuenscht, kurz, sie tut tausend Dinge, die nicht zu verwerfen sind. Sie haelt sich ihm ganz nah zu oder in bescheidener Entfernung, je nach seiner Stimmung, und wenn er seinen Geschaeften nachgeht, so stoert sie ihn nicht, sondern verbreitet unterdessen sein Lob in und ausser dem Hause; denn sie laesst nichts an ihn kommen und ruehmt alles, was an ihm ist! Aber das Anmutigste ist die wunderbare Beschaffenheit ihres zarten leiblichen Daseins, welche die Natur so verschieden gemacht hat von unserm Wesen bei anscheinender Menschenaehnlichkeit, dass es ein fortwaehrendes Meerwunder in einer glueckhaften Ehe bewirkt und eigentlich die allerdurchtriebenste Hexerei in sich birgt! Doch was schwatze ich da wie ein Tor an der Schwelle des Todes! Wie wird ein weiser Mann auf dergleichen Eitelkeiten sein Augenmerk richten! Verzeiht, Herr Pineiss, und schneidet mir den Kopf ab!" Pineiss aber rief heftig: "So halt doch endlich inne, du Schwaetzer! und sage mir: Wo ist eine solche und hat sie zehntausend Goldguelden?" "Zehntausend Goldguelden?" sagte Spiegel. "Nun ja," rief Pineiss ungeduldig, "sprachest du nicht eben erst davon?" "Nein," antwortete jener, "das ist eine andere Sache! Die liegen vergraben an einem Orte!" "Und was tun sie da, wem gehoeren sie?" schrie Pineiss. "Niemand gehoeren sie, das ist eben meine Gewissensbuerde, denn ich haette sie unterbringen sollen! Eigentlich gehoeren sie jenem, der eine solche Person heiratet, wie ich eben beschrieben habe. Aber wie soll man drei solche Dinge zusammenbringen in dieser gottlosen Stadt: zehntausend Goldguelden, eine weisse, feine und gute Hausfrau und einen weisen rechtschaffenen Mann? Daher ist eigentlich meine Suende nicht allzu gross, denn der Auftrag war zu schwer fuer eine arme Katze!" "Wenn du jetzt", rief Pineiss, "nicht bei der Sache bleibst, und sie verstaendlich der Ordnung nach dartust, so schneide ich dir vorlaeufig den Schwanz und beide Ohren ab! Jetzt fang an!" "Da Ihr es befehlt, so muss ich die Sache wohl erzaehlen," sagte Spiegel und setzte sich gelassen auf seine Hinterfuesse, "obgleich dieser Aufschub meine Leiden nur vergroessert!" Pineiss steckte das scharfe Messer zwischen sich und Spiegel in die Diele und setzte sich neugierig auf ein Faesschen, um zuzuhoeren, und Spiegel fuhr fort: "Ihr wisset doch, Herr Pineiss, dass die brave Person, meine selige Meisterin, unverheiratet gestorben ist als eine alte Jungfer, die in aller Stille viel Gutes getan und niemandem zuwidergelebt hat. Aber nicht immer war es um sie her so still und ruhig zugegangen, und obgleich sie niemals von boesem Gemuet gewesen, so hatte sie doch einst viel Leid und Schaden angerichtet; denn in ihrer Jugend war sie das schoenste Fraeulein weit und breit, und was von jungen Herren und kecken Gesellen in der Gegend war oder des Weges kam, verliebte sich in sie und wollte sie durchaus heiraten. Nun hatte sie wohl grosse Lust, zu heiraten und einen huebschen, ehrenfesten und klugen Mann zu nehmen, und sie hatte die Auswahl, da sich Einheimische und Fremde um sie stritten und einander mehr als einmal die Degen in den Leib rannten, um den Vorrang zu gewinnen. Es bewarben sich um sie und versammelten sich kuehne und verzagte, listige und treuherzige, reiche und arme Freier, solche mit einem guten und anstaendigen Geschaeft, und solche, welche als Kavaliere zierlich von ihren Renten lebten; dieser mit diesen, jener mit jenen Vorzuegen, beredt oder schweigsam, der eine munter und liebenswuerdig, und ein anderer schien es mehr in sich zu haben, wenn er auch etwas einfaeltig aussah; kurz, das Fraeulein hatte eine so vollkommene Auswahl, wie es ein mannbares Frauenzimmer sich nur wuenschen kann. Allein sie besass ausser ihrer Schoenheit ein schoenes Vermoegen von vielen tausend Goldguelden, und diese waren die Ursache, dass sie nie dazukam, eine Wahl treffen und einen Mann nehmen zu koennen, denn sie verwaltete ihr Gut mit trefflicher Umsicht und Klugheit und legte einen grossen Wert auf dasselbe, und da nun der Mensch immer von seinen eigenen Neigungen aus andere beurteilt, so geschah es, dass sie, sobald sich ihr ein achtungswerter Freier genaehert und ihr halbwegs gefiel, alsobald sich einbildete, derselbe begehre sie nur um ihres Gutes willen. War einer reich, so glaubte sie, er wuerde sie doch nicht begehren, wenn sie nicht auch reich waere, und von den Unbemittelten nahm sie vollends als gewiss an, dass sie nur ihre Goldguelden im Auge haetten und sich daran gedaechten guetlich zu tun, und das arme Fraeulein, welches doch selbst so grosse Dinge auf den irdischen Besitz hielt, war nicht imstande, diese Liebe zu Geld und Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr selbst zu unterscheiden, oder wenn sie wirklich etwa vorhanden war, dieselbe nachzusehen und zu verzeihen. Mehrere Male war sie schon sogut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich staerker; aber ploetzlich glaubte sie aus irgendeinem Zuge zu entnehmen, dass sie verraten sei und man einzig an ihr Vermoegen denke, und sie brach unverweilt die Geschichte entzwei und zog sich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurueck. Sie pruefte alle, welche ihr nicht missfielen, auf hundert Arten, so dass eine grosse Gewandtheit dazu gehoerte, nicht in die Falle zu gehen, und zuletzt keiner mehr sich mit einiger Hoffnung naehern konnte, als wer ein durchaus geriebener und verstellter Mensch war, so dass schon aus diesen Gruenden endlich die Wahl wirklich schwer wurde, weil solche Menschen dann zuletzt doch eine unheimliche Unruhe erwecken und die peinlichste Ungewissheit bei einer Schoenen zuruecklassen, je geriebener und geschickter sie sind. Das Hauptmittel, ihre Anbeter zu pruefen, war, dass sie ihre Uneigennuetzigkeit auf die Probe stellte und sie alle Tage zu grossen Ausgaben, zu reichen Geschenken und zu wohltaetigen Handlungen veranlasste. Aber sie mochten es machen, wie sie wollten, so trafen sie doch nie das Rechte; denn zeigten sie sich freigebig und aufopfernd, gaben sie glaenzende Feste, brachten sie ihr Geschenke dar, oder anvertrauten ihr betraechtliche Gelder fuer die Armen, so sagte sie ploetzlich, dies alles geschehe nur, um mit einem Wuermchen den Lachs zu fangen oder mit der Wurst nach der Speckseite zu werfen, wie man zu sagen pflegt. Und sie vergabte die Geschenke sowohl wie das anvertraute Geld an Kloester und milde Stiftungen und speisete die Armen; aber die betrogenen Freier wies sie unbarmherzig ab. Bezeigten sich dieselben aber zurueckhaltend oder gar knauserig, so war der Stab sogleich ueber sie gebrochen, da sie das noch viel uebler nahm und daran eine schnoede und nackte Ruecksichtslosigkeit und Eigenliebe zu erkennen glaubte. So kam es, dass sie, welche ein reines und nur ihrer Person hingegebenes Herz suchte, zuletzt von lauter verstellten, listigen und eigensuechtigen Freiersleuten umgeben war, aus denen sie nie klug wurde und die ihr das Leben verbitterten. Eines Tages fuehlte sie sich so missmutig und trostlos, dass sie ihren ganzen Hof aus dem Hause wies, dasselbe zuschloss und nach Mailand verreiste, wo sie eine Base hatte. Als sie ueber den Sankt Gotthard ritt auf einem Eselein, war ihre Gesinnung so schwarz und schaurig, wie das wilde Gestein, das sich aus den Abgruenden emportuermte, und sie fuehlte die heftigste Versuchung, sich von der Teufelsbruecke in die tobenden Gewaesser der Reuss hinabzustuerzen. Nur mit der groessten Muehe gelang es den zwei Maegden, die sie bei sich hatte, und die ich selbst noch gekannt habe, welche aber nun schon lange tot sind, und dem Fuehrer, sie zu beruhigen und von der finstern Anwandlung abzubringen. Doch langte sie bleich und traurig in dem schoenen Land Italien an, und so blau dort der Himmel war, wollten sich ihre dunklen Gedanken doch nicht aufhellen. Aber als sie einige Tage bei ihrer Base verweilt, sollte unverhofft eine andere Melodie ertoenen und ein Fruehlingsanfang in ihr aufgehen, von dem sie his dato noch nicht viel gewusst. Denn es kam ein junger Landsmann in das Haus der Base, der ihr gleich beim ersten Anblick so wohl gefiel, dass man wohl sagen kann, sie verliebte sich jetzt von selbst und zum erstenmal. Es war ein schoener Juengling, von guter Erziehung und edlem Benehmen, nicht arm und nicht reich zur Zeit, denn er hatte nichts als zehntausend Goldgulden, welche er von seinen verstorbenen Eltern ererbt und womit er, da er die Kaufmannschaft erlernt hatte, in Mailand einen Handel mit Seide begruenden wollte; denn er war unternehmend und klar von Gedanken und hatte eine glueckliche Hand, wie es unbefangene und unschuldige Leute oft haben; denn auch dies war der junge Mann; er schien, so wohlgelehrt er war, doch so arglos und unschuldig wie ein Kind. Und obgleich er ein Kaufmann war und ein so unbefangenes Gemuet, was schon zusammen eine koestliche Seltenheit ist, so war er doch fest und ritterlich in seiner Haltung und trug sein Schwert so keck zur Seite, wie nur ein geuebter Kriegsmann es tragen kann. Dies alles, sowie seine frische Schoenheit und Jugend bezwangen das Herz des Fraeuleins dermassen, dass sie kaum an sich halten konnte und ihm mit grosser Freundlichkeit begegnete. Sie wurde wieder heiter, und wenn sie dazwischen auch traurig war, so geschah dies in dem Wechsel der Liebesfurcht und Hoffnung, welche immerhin ein edleres und angenehmeres Gefuehl war, als jene peinliche Verlegenheit in der Wahl, welche sie frueher unter den vielen Freiern empfunden. Jetzt kannte sie nur eine Muehe und Besorgnis, diejenige naemlich, dem schoenen und guten Juengling zu gefallen, und je schoener sie selbst war, desto demuetiger und unsicherer war sie jetzt, da sie zum ersten Male eine wahre Neigung gefasst hatte. Aber auch der junge Kaufmann hatte noch nie eine solche Schoenheit gesehen, oder war wenigstens noch keiner so nahe gewesen, und von ihr so freundlich und artig behandelt worden. Da sie nun, wie gesagt, nicht nur schoen, sondern auch gut von Herzen und fein von Sitten war, so ist es nicht zu verwundern, dass der offene und frische Juengling, dessen Herz noch ganz frei und unerfahren war, sich ebenfalls in sie verliebte und das mit aller Kraft und Rueckhaltlosigkeit, die in seiner ganzen Natur lag. Aber vielleicht haette das nie jemand erfahren, wenn er in seiner Einfalt nicht aufgemuntert worden waere durch des Fraeuleins Zutulichkeit, welche er mit heimlichem Zittern und Zagen fuer eine Erwiderung seiner Liebe zu halten wagte, da er selber keine Verstellung kannte. Doch bezwang er sich einige Wochen und glaubte die Sache zu verheimlichen; aber jeder sah ihm von weitem an, dass er zum Sterben verliebt war, und wenn er irgend in die Naehe des Fraeuleins geriet oder sie nur genannt wurde, so sah man auch gleich, in wen er verliebt war. Er war aber nicht lange verliebt, sondern begann wirklich zu lieben mit aller Heftigkeit seiner Jugend, sodass ihm das Fraeulein das Hoechste und Beste auf der Welt wurde, an welches er ein fuer allemal das Heil und den ganzen Wert seiner eigenen Person setzte. Dies gefiel ihr ueber die Massen wohl; denn es war in allem, was er sagte oder tat, eine andere Art, als sie bislang erfahren, und dies bestaerkte und ruehrte sie so tief, dass sie nun gleichermassen der staerksten Liebe anheimfiel und nun nicht mehr von einer Wahl fuer sie die Rede war. Jedermann sah diese Geschichte spielen, und es wurde offen darueber gesprochen und vielfach gescherzt. Dem Fraeulein war es hoechlich wohl dabei, und indem ihr das Herz vor banger Erwartung zerspringen wollte, half sie den Roman von ihrer Seite doch ein wenig verwickeln und ausspinnen, um ihn recht auszukosten und zu geniessen. Denn der junge Mann beging in seiner Verwirrung so koestliche und kindliche Dinge, dergleichen sie niemals erfahren, und fuer sie einmal schmeichelhafter und angenehmer waren als das andere. Er aber in seiner Gradheit und Ehrlichkeit konnte es nicht lange so aushalten; da jeder darauf anspielte und sich einen Scherz erlaubte, so schien es ihm eine Komoedie zu werden, als deren Gegenstand ihm seine Geliebte viel zu gut und heilig war, und was ihr ausnehmend behagte, das machte ihn bekuemmert, ungewiss und verlegen um sie selber. Auch glaubte er sie zu beleidigen und zu hintergehen, wenn er da lange eine so heftige Leidenschaft zu ihr herumtruege und unaufhoerlich an sie denke, ohne dass sie eine Ahnung davon habe, was doch gar nicht schicklich sei und ihm selber nicht recht! Daher sah man ihm eines Morgens von weitem an, dass er etwas vorhatte, und er bekannte ihr seine Liebe in einigen Worten, um es einmal und nie zum zweitenmal zu sagen, wenn er nicht gluecklich sein sollte. Denn er war nicht gewohnt zu denken, dass ein solches schoenes und wohlbeschaffenes Fraeulein etwa nicht ihre wahre Meinung sagen und nicht auch gleich zum erstenmal ihr unwiderrufliches Ja oder Nein erwidern sollte. Er war ebenso zart gesinnt als heftig verliebt, ebenso sproede als kindlich und ebenso stolz als unbefangen, und bei ihm galt es gleich auf Tod und Leben, auf Ja oder Nein, Schlag um Schlag. In demselben Augenblicke aber, in welchem das Fraeulein sein Gestaendnis anhoerte, das sie so sehnlich erwartet, ueberfiel sie ihr altes Misstrauen, und es fiel ihr zur ungluecklichen Stunde ein, dass ihr Liebhaber ein Kaufmann sei, welcher am Ende nur ihr Vermoegen zu erlangen wuensche, um seine Unternehmungen zu erweitern. Wenn er daneben auch ein wenig in ihre Person verliebt sein sollte, so waere ja das bei ihrer Schoenheit kein sonderliches Verdienst und nur um so empoerender, wenn sie eine blosse erwuenschte Zugabe zu ihrem Golde vorstellen sollte. Anstatt ihm daher ihre Gegenliebe zu gestehen und ihn wohl aufzunehmen, wie sie am liebsten getan haette, ersann sie auf der Stelle eine neue List, um seine Hingebung zu pruefen, und nahm eine ernste, fast traurige Miene an, indem sie ihm vertraute, wie sie bereits mit einem jungen Mann verlobt sei in ihrer Heimat, welchen sie auf das allerherzlichste liebe. Sie habe ihm das schon mehrmals mitteilen wollen, da sie ihn, den Kaufmann naemlich, als Freund sehr lieb habe, wie er habe wohl sehen koennen aus ihrem Benehmen, und sie vertraue ihm wie einem Bruder. Aber die ungeschickten Scherze, welche in der Gesellschaft aufgekommen seien, haetten ihr eine vertrauliche Unterhaltung erschwert; da er nun aber selbst sie mit feinem braven und edlen Herzen ueberrascht und dasselbe vor ihr aufgetan, so koenne sie ihm fuer seine Neigung nicht besser danken, als indem sie ihm ebenso offen sich anvertraue. Ja, fuhr sie fort, nur demjenigen koenne sie angehoeren, welchen sie einmal erwaehlt habe, und nie wuerde es ihr moeglich sein, ihr Herz einem anderen Mannsbilde zuzuwenden, dies stehe mit goldenem Feuer in ihrer Seele geschrieben und der liebe Mann wisse selbst nicht, wie lieb er ihr sei, so wohl er sie auch kenne! Aber ein trueber Unstern haette sie betroffen; ihr Braeutigam sei ein Kaufmann, aber so arm wie eine Maus; darum haetten sie den Plan gefasst, dass er aus den Mitteln der Braut einen Handel begruenden solle; der Anfang sei gemacht und alles auf das beste eingeleitet, die Hochzeit sollte in diesen Tagen gefeiert werden, da wollte ein unverhofftes Missgeschick, dass ihr ganzes Vermoegen ploetzlich ihr angetastet und abgestritten wuerde und vielleicht fuer immer verloren gehe, waehrend der arme Braeutigam in naechster Zeit seine ersten Zahlungen zu leisten habe an die Mailaender und Venezianischen Kaufleute, worauf sein ganzer Kredit, sein Gedeihen und seine Ehre beruhe, nicht zu sprechen von ihrer Vereinigung und gluecklichen Hochzeit! Sie sei in der Eile nach Mailand gekommen, wo sie begueterte Verwandte habe, um da Mittel und Auswege zu finden; aber zu einer schlimmen Stunde sei sie gekommen, denn nichts wolle sich fuegen und schicken, waehrend der Tag immer naeher ruecke, und wenn sie ihrem Geliebten nicht helfen koenne, so muesse sie sterben vor Traurigkeit. Denn es sei der liebste und beste Mensch, den man sich denken koenne, und wuerde sicherlich ein grosser Kaufherr werden, wenn ihm geholfen wuerde, und sie kenne kein anderes Glueck mehr auf Erden, als dann dessen Gemahlin zu sein! Als sie diese Erzaehlung beendet, hatte sich der arme schoene Juengling schon lange entfaerbt und war bleich wie ein weisses Tuch. Aber er liess keinen Laut der Klage vernehmen und sprach nicht ein Sterbenswoertchen mehr von sich selbst und von seiner Liebe, sondern fragte bloss traurig, auf wieviel sich denn die eingegangenen Verpflichtungen des gluecklich ungluecklichen Braeutigams beliefen? Auf zehntausend Goldgulden! antwortete sie noch viel trauriger. Der junge traurige Kaufherr stand auf, ermahnte das Fraeulein, guten Mutes zu sein, da sich gewiss ein Ausweg zeigen werde, und entfernte sich von ihr, ohne dass er sie anzusehen wagte, so sehr fuehlte er sich betroffen und beschaemt, dass er sein Auge auf eine Dame geworfen, die so treu und leidenschaftlich einen andern liebte. Denn der Arme glaubte jedes Wort von ihrer Erzaehlung wie ein Evangelium. Dann begab er sich ohne Saeumnis zu seinen Handelsfreunden und brachte sie durch Bitten und Einbuessung einer gewissen Summe dahin, seine Bestellungen und Einkaeufe wieder rueckgaengig zu machen, welche er selbst in diesen Tagen auch grad mit seinen zehntausend Goldgulden bezahlen sollte und worauf er seine ganze Laufbahn bauete, und ehe sechs Stunden verflossen waren, erschien er wieder bei dem Fraeulein mit seinem ganzen Besitztum und bat sie um Gottes willen, diese Aushilfe von ihm annehmen zu wollen. Ihre Augen funkelten vor freudiger Ueberraschung und ihre Brust pochte wie ein Hammerwerk; sie fragte ihn, wo er denn dies Kapital hergenommen, und er erwiderte, er habe es auf seinen guten Namen geliehen und wuerde es, da seine Geschaefte sich gluecklich wendeten, ohne Unbequemlichkeit zurueckerstatten koennen. Sie sah ihm deutlich an, dass er log und dass es sein einziges Vermoegen und ganze Hoffnung war, welche er ihrem Gluecke opferte; doch stellte sie sich, als glaubte sie seinen Worten. Sie liess ihren freudigen Empfindungen freien Lauf und tat grausamerweise, als ob diese dem Gluecke gaelten, nun doch ihren Erwaehlten retten und heiraten zu duerfen, und sie konnte nicht Worte finden, ihre Dankbarkeit auszudruecken. Doch ploetzlich besann sie sich und erklaerte, nur unter einer Bedingung die grossmuetige Tat annehmen zu koennen, da sonst alles Zureden unnuetz waere. Befragt, worin diese Bedingung bestehe, verlangte sie das heilige Versprechen, dass er an einem bestimmten Tage sich bei ihr einfinden wolle, um ihrer Hochzeit beizuwohnen und der beste Freund und Goenner ihres zukuenftigen Ehegemahls zu werden, sowie der treuste Freund, Schuetzer und Berater ihrer selbst. Erroetend bat er sie, von diesem Begehren abzustehen; aber umsonst wandte er alle Gruende an, um sie davon abzubringen, umsonst stellte er ihr vor, dass seine Angelegenheiten jetzt nicht erlaubten, nach der Schweiz zurueckzureisen, und dass er von einem solchen Abstecher einen erheblichen Schaden erleiden wuerde. Sie beharrte entschieden auf ihrem Verlangen und schob ihm sogar sein Geld wieder zu, da er sich nicht dazu verstehen wollte. Endlich versprach er es, aber er musste ihr die Hand daraufgeben und es ihr bei seiner Ehre und Seligkeit beschwoeren. Sie bezeichnete ihm genau den Tag und die Stunde, wann er eintreffen solle, und alles dies musste er bei seinem Christenglauben und bei seiner Seligkeit beschwoeren. Erst dann nahm sie sein Opfer an und liess den Schatz vergnuegt in ihre Schlafkammer tragen, wo sie ihn eigenhaendig in ihrer Reisetruhe verschloss und den Schluessel in den Busen steckte. Nun hielt sie sich nicht laenger in Mailand auf, sondern reiste ebenso froehlich ueber den Sankt Gotthard zurueck, als schwermuetig sie hergekommen war. Auf der Teufelsbruecke, wo sie hatte hinabspringen wollen, lachte sie wie eine Unkluge und warf mit hellem Jauchzen ihrer wohlklingenden Stimme einen Granatbluetenstrauss in die Reuss, welchen sie vor der Brust trug, kurz, ihre Lust war nicht zu baendigen, und es war die froehlichste Reise, die je getan wurde. Heimgekehrt, oeffnete und lueftete sie ihr Haus von oben bis unten und schmueckte es, als ob sie einen Prinzen erwartete. Aber zu Haeupten ihres Bettes legte sie den Sack mit den zehntausend Goldgulden und legte des Nachts den Kopf so glueckselig auf den harten Klumpen, und schlief darauf, wie wenn es das weichste Flaumkissen gewesen waere. Kaum konnte sie den verabredeten Tag erwarten, wo sie ihn sicher kommen sah, da sie wusste, dass er nicht das einfachste Versprechen, geschweige denn einen Schwur brechen wuerde, und wenn es ihm um das Leben ginge. Aber der Tag brach an und der Geliebte erschien nicht, und es vergingen viele Tage und Wochen, ohne dass er von sich hoeren liess. Da fing sie an allen Gliedern an zu zittern und verfiel in die groesste Angst und Bangigkeit; sie schickte Briefe ueber Briefe nach Mailand, aber niemand wusste ihr zu sagen, wo er geblieben sei. Endlich aber stellte es sich durch einen Zufall heraus, dass der junge Kaufherr aus einem blutroten Stueck Seidendamast, welches er von seinem Handelsanfang her im Haus liegen und bereits bezahlt hatte, sich ein Kriegskleid hatte anfertigen lassen und unter die Schweizer gegangen war, welche damals eben im Solde des Koenigs Franz von Frankreich den Mailaendischen Krieg mitstritten. Nach der Schlacht bei Pavia, in welcher so viele Schweizer das Leben verloren, wurde er auf einem Haufen erschlagener Spaniolen liegend gefunden, von vielen toedlichen Wunden zerrissen und sein rotes Seidengewand von unten bis oben zerschlitzt und zerfetzt. Eh' er den Geist aufgab, jagte er einem neben ihm liegenden Seldwyler, der minder uebel zugerichtet war, folgende Botschaft ins Gedaechtnis und bat ihn, dieselbe auszurichten, wenn er mit dem Leben davonkaeme: 'Liebstes Fraeulein! Obgleich ich Euch bei meiner Ehre, bei meinem Christenglauben und bei meiner Seligkeit geschworen habe, auf Euerer Hochzeit zu erscheinen, so ist es mir dennoch nicht moeglich gewesen, Euch nochmals zu sehen und einen andern des hoechsten Glueckes teilhaftig zu erblicken, das es fuer mich geben koennte. Dieses habe ich erst in Euerer Abwesenheit verspuert und habe vorher nicht gewusst, welch eine strenge und unheimliche Sache es ist um solche Liebe, wie ich zu Euch habe, sonst wuerde ich mich zweifelsohne besser davor gehuetet haben. Da es aber einmal so ist, so wollte ich lieber meiner weltlichen Ehre und meiner geistlichen Seligkeit verloren und in die ewige Verdammnis eingehen als ein Meineidiger, denn noch einmal in Euerer Naehe erscheinen mit einem Feuer in der Brust, welches staerker und unausloeschlicher ist als das Hoellenfeuer, und mich dieses kaum wird verspueren lassen. Betet nicht etwa fuer mich, schoenstes Fraeulein, denn ich kann und werde nie selig werden ohne Euch, sei es hier oder dort, und somit lebet gluecklich und seid gegruesst!' So hatte in dieser Schlacht, nach welcher Koenig Franziskus sagte: 'Alles verloren, ausser der Ehre!' der unglueckliche Liebhaber alles verloren, die Hoffnung, die Ehre, das Leben und die ewige Seligkeit, nur die Liebe nicht, die ihn verzehrte. Der Seldwyler kam gluecklich davon, und sobald er sich in etwas erholt und ausser Gefahr sah, schrieb er die Worte des Umgekommenen getreu auf seine Schreibtafel, um sie nicht zu vergessen, reiste nach Hause, meldete sich bei dem ungluecklichen Fraeulein und las ihr die Botschaft so steif und kriegerisch vor, wie er zu tun gewohnt war, wenn er sonst die Mannschaft seines Faehnleins verlas; denn er war ein Feldleutnant. Das Fraeulein aber zerraufte sich die Haare, zerriss ihre Kleider und begann so laut zu schreien und zu weinen, dass man es die Strasse auf und nieder hoerte und die Leute zusammenliefen. Sie schleppte wie wahnsinnig die zehntausend Goldgulden herbei, zerstreute sie auf dem Boden, warf sich der Laenge nach darauf hin und kuesste die glaenzenden Goldstuecke. Ganz von Sinnen, suchte sie den umherrollenden Schatz zusammenzuraffen und zu umarmen, als ob der verlorene Geliebte darin zugegen waere. Sie lag Tag und Nacht auf dem Golde und wollte weder Speise noch Trank zu sich nehmen; unaufhoerlich liebkoste und kuesste sie das kalte Metall, bis sie mitten in einer Nacht ploetzlich aufstand, den Schatz emsig hin und her eilend nach dem Garten trug und dort unter bitteren Traenen in den tiefen Brunnen warf und einen Fluch darueber aussprach, dass er niemals jemand anderm angehoeren solle." Als Spiegel soweit erzaehlt hatte, sagte Pineiss: "Und liegt das schoene Geld noch in dem Brunnen?" "Ja, wo sollte es sonst liegen?" antwortete Spiegel, "denn nur ich kann es herausbringen und habe es bis zur Stunde noch nicht getan!" "Ei ja so, richtig!" sagte Pineiss, "ich habe es ganz vergessen ueber deiner Geschichte! Du kannst nicht uebel erzaehlen, du Sapperloeter! Und es ist mir ganz geluestig geworden nach einem Weibchen, die so fuer mich eingenommen waere; aber sehr schoen muesste sie sein! Doch erzaehle jetzt schnell noch, wie die Sache eigentlich zusammenhaengt!" "Es dauerte manche Jahre," sagte Spiegel, "bis das Fraeulein aus bittern Seelenleiden so weit zu sich kam, dass sie anfangen konnte, die stille alte Jungfer zu werden, als welche ich sie kennen lernte. Ich darf mich beruehmen, dass ich ihr einziger Trost und ihr vertrautester Freund geworden bin in ihrem einsamen Leben bis an ihr stilles Ende. Als sie aber dieses herannahen sah, vergegenwaertigte sie sich noch einmal die Zeit ihrer fernen Jugend und Schoenheit und erlitt noch einmal mit milderen ergebenen Gedanken erst die suessen Erregungen und dann die bittern Leiden jener Zeit, und sie weinte still sieben Tage und Naechte hindurch ueber die Liebe des Juenglings, deren Genuss sie durch ihr Misstrauen verloren hatte, so dass ihre alten Augen noch kurz vor dem Tode erblindeten. Dann bereute sie den Fluch, welchen sie ueber jenen Schatz ausgesprochen, und sagte zu mir, indem sie mich mit dieser wichtigen Sache beauftragte: 'Ich bestimme nun anders, lieber Spiegel! und gebe dir die Vollmacht, dass du meine Verordnung vollziehest. Sieh dich um und suche, bis du eine bildschoene, aber unbemittelte Frauensperson findest, welcher es ihrer Armut wegen an Freiern gebricht! Wenn sich dann ein verstaendiger, rechtlicher und huebscher Mann finden sollte, der sein gutes Auskommen hat, und die Jungfrau ungeachtet ihrer Armut, nur allein von ihrer Schoenheit bewegt, zur Frau begehrt, so soll dieser Mann mit den staerksten Eiden sich verpflichten, derselben so treu, aufopfernd und unabaenderlich ergeben zu sein, wie es mein ungluecklicher Liebster gewesen ist, und dieser Frau sein Leben lang in allen Dingen zu willfahren. Dann gib der Braut die zehntausend Goldgulden, welche im Brunnen liegen, zur Mitgift, dass sie ihren Braeutigam am Hochzeitmorgen damit ueberrasche!' So sprach die Selige, und ich habe meiner widrigen Geschicke wegen versaeumt, dieser Sache nachzugehen, und muss nun befuerchten, dass die Arme deswegen im Grabe noch beunruhigt sei, was fuer mich eben auch nicht die angenehmsten Folgen haben kann!" Pineiss sah den Spiegel misstrauisch an und sagte: "Waerst du wohl imstande, Buerschchen! mir den Schatz ein wenig nachzuweisen und augenscheinlich zu machen?" "Zu jeder Stunde!" versetzte Spiegel, "aber Ihr muesst wissen, Herr Stadthexenmeister! dass Ihr das Gold nicht etwa so ohne weiteres herausfischen duerftet. Man wuerde Euch unfehlbar das Genick umdrehen; denn es ist nicht ganz geheuer in dem Brunnen, ich habe darueber bestimmte Inzichten, welche ich aus Ruecksichten nicht naeher beruehren darf!" "Hei, wer spricht denn von Herausholen?" sagte Pineiss etwas furchtsam, "fuehre mich einmal hin und zeige mir den Schatz! Oder vielmehr will ich dich fuehren an einem guten Schnuerlein, damit du mir nicht entwischest!" "Wie Ihr wollt!" sagte Spiegel, "aber nehmt auch eine andere lange Schnur mit und eine Blendlaterne, welche Ihr daran in den Brunnen hinablassen koennt; denn der ist sehr tief und dunkel!" Pineiss befolgte diesen Rat und fuehrte das muntere Kaetzchen nach dem Garten jener Verstorbenen. Sie ueberstiegen miteinander die Mauer, und Spiegel zeigte dem Hexer den Weg zu dem alten Brunnen, welcher unter verwildertem Gebuesche verborgen war. Dort liess Pineiss sein Laternchen hinunter, begierig nachblickend, waehrend er den angebundenen Spiegel nicht von der Hand liess. Aber richtig sah er in der Tiefe das Gold funkeln unter dem gruenlichen Wasser und rief: "Wahrhaftig, ich seh's, es ist wahr! Spiegel, du bist ein Tausendskerl!" Dann guckte er wieder eifrig hinunter und sagte: "Moegen es auch zehntausend sein?" "Ja, das ist nun nicht zu schwoeren!" sagte Spiegel, "ich bin nie da unten gewesen und hab's nicht gezaehlt! Ist auch moeglich, dass die Dame dazumal einige Stuecke auf dem Wege verloren hat, als sie den Schatz hierher trug, da sie in einem aufgeregten Zustande war." "Nun, seien es auch ein Dutzend oder mehr weniger!" sagte Herr Pineiss, "es soll mir darauf nicht ankommen!" Er setzte sich auf den Rand des Brunnens, Spiegel setzte sich auch nieder und leckte sich das Pfoetchen. "Da waere nun der Schatz!" sagte Pineiss, indem er sich hinter den Ohren kratzte, "und hier waere auch der Mann dazu; fehlt nur noch das bildschoene Weib!" "Wie?" sagte Spiegel. "Ich meine, es fehlt nur noch diejenige, welche die Zehntausend als Mitgift bekommen soll, um mich damit zu ueberraschen am Hochzeitmorgen, und welche alle jene angenehmen Tugenden hat, von denen du gesprochen !" "Hm!" versetzte Spiegel, "die Sache verhaelt sich nicht ganz so, wie Ihr sagt! Der Schatz ist da, wie Ihr richtig einseht; das schoene Weib habe ich, um es aufrichtig zu gestehen, allbereits auch schon ausgespuert; aber mit dem Mann, der sie unter diesen schwierigen Umstaenden heiraten moechte, da hapert es eben; denn heutzutage muss die Schoenheit obenein vergoldet sein, wie die Weihnachtsnuesse, und je hohler die Koepfe werden, desto mehr sind sie bestrebt, die Leere mit einigem Weibergut nachzufuellen, damit sie die Zeit besser zu verbringen vermoegen; da wird dann mit wichtigem Gesicht ein Pferd besehen und ein Stueck Sammet gekauft, mit Laufen und Rennen eine gute Armbrust bestellt, und der Buechsenschmied kommt nicht aus dem Hause; da heisst es, ich muss meinen Wein einheimsen und meine Faesser putzen, meine Baeume putzen lassen und mein Dach decken; ich muss meine Frau ins Bad schicken, sie kraenkelt und kostet mich viel Geld, und muss mein Holz fahren lassen und mein Ausstehendes eintreiben; ich habe ein Paar Windspiele gekauft und meine Bracken vertauscht, ich habe einen schoenen eichenen Ausziehtisch eingehandelt und meine grosse Nussbaumlade drangegeben; ich habe meine Bohnenstangen geschnitten, meinen Gaertner fortgejagt, mein Heu verkauft und meinen Salat gesaet, immer mein und mein vom Morgen bis zu Abend. Manche sagen sogar: ich habe meine Waesche die naechste Woche, ich muss meine Betten sonnen, ich muss eine Magd dingen und einen neuen Metzger haben, denn den alten will ich abschaffen; ich habe ein allerliebstes Waffeleisen erstanden, durch Zufall, und habe mein silbernes Zimmetbuechschen verkauft, es war mir so nichts nuetze; alles das sind wohlverstanden die Sachen der Frau, und so verbringt ein solcher Kerl die Zeit und stiehlt unserm Herrgott den Tag ab, indem er alle diese Verrichtungen aufzaehlt, ohne einen Streich zu tun. Wenn es hochkommt und ein solcher Patron sich etwa ducken muss, so wird er vielleicht sagen: unsere Kuehe und unsere Schweine, aber--" Pineiss riss den Spiegel an der Schnur, dass er miau! schrie, und rief: "Genug, du Plappermaul! Sag' jetzt unverzueglich: wo ist sie, von der du weisst?" Denn die Aufzaehlung aller dieser Herrlichkeiten und Verrichtungen, die mit einem Weibergute verbunden sind, hatte dem duerren Hexenmeister den Mund nur noch waesseriger gemacht. Spiegel sagte erstaunt: "Wollt Ihr denn wirklich das Ding unternehmen, Herr Pineiss?" "Versteht sich, will ich! Wer sonst als ich? Drum heraus damit: wo ist diejenige?" "Damit Ihr hingehen und sie freien koennt?" "Ohne Zweifel!" "So wisset, die Sache geht nur durch meine Hand! mit mir muesst Ihr sprechen, wenn Ihr Geld und Frau wollt!" sagte Spiegel kaltbluetig und gleichgueltig und fuhr sich mit den beiden Pfoten eifrig ueber die Ohren, nachdem er sie jedesmal ein bisschen nass gemacht. Pineiss besann sich sorgfaeltig, stoehnte ein bisschen und sagte: "Ich merke, du willst unsern Kontrakt aufheben und deinen Kopf salvieren!" "Schiene Euch das so uneben und unnatuerlich?" "Du betruegst mich am Ende und beluegst mich, wie ein Schelm!" "Dies ist auch moeglich!" sagte Spiegel. "Ich sage dir: Betruege mich nicht!" rief Pineiss gebieterisch. "Gut, so betruege ich Euch nicht!" sagte Spiegel. "Wenn du's tust!" "So tu' ich's." "Quaele mich nicht, Spiegelchen!" sprach Pineiss beinahe weinerlich, und Spiegel erwiderte jetzt ernsthaft: "Ihr seid ein wunderbarer Mensch, Herr Pineiss! Da haltet Ihr mich an einer Schnur gefangen und zerrt daran, dass mir der Atem vergeht! Ihr lasset das Schwert des Todes ueber mir schweben seit laenger als zwei Stunden, was sag' ich! seit einem halben Jahre! und nun sprecht Ihr: Quaele mich nicht, Spiegelchen! "Wenn Ihr erlaubt, so sage ich Euch in Kuerze: Es kann mir nur lieb sein, jene Liebespflicht gegen die Tote doch noch zu erfuellen und fuer das bewusste Frauenzimmer einen tauglichen Mann zu finden, und Ihr scheint mir allerdings in aller Hinsicht zu genuegen; es ist keine Leichtigkeit, ein Weibstueck wohl unterzubringen, so sehr dies auch scheint, und ich sage noch einmal: ich bin froh, dass Ihr Euch hierzu bereitfinden lasset! Aber umsonst ist der Tod! Eh' ich ein Wort weiter spreche, einen Schritt tue, ja eh' ich nur den Mund noch einmal aufmache, will ich erst meine Freiheit wieder haben und mein Leben versichert! Daher nehmt diese Schnur weg und legt den Kontrakt hier auf den Brunnen, hier auf diesen Stein, oder schneidet mir den Kopf ab, eins von beiden!" "Ei du Tollhaeusler und Obenhinaus!" sagte Pineiss, "du Hitzkopf, so streng wird es nicht gemeint sein? Das will ordentlich besprochen sein und muss jedenfalls ein neuer Vertrag geschlossen werden!" Spiegel gab keine Antwort mehr und sass unbeweglich da, ein, zwei und drei Minuten. Da ward dem Meister baenglich, er zog seine Brieftasche hervor, klaubte seufzend den Schein heraus, las ihn noch einmal durch und legte ihn dann zoegernd vor Spiegel hin. Kaum lag das Papier dort, so schnappte es Spiegel auf und verschlang es; und obgleich er heftig daran zu wuergen hatte, so duenkte es ihn doch die beste und gedeihlichste Speise zu sein, die er je genossen, und er hoffte, dass sie ihm noch auf lange wohlbekommen und ihn rundlich und munter machen wuerde. Als er mit der angenehmen Mahlzeit fertig war, begruesste er den Hexenmeister hoeflich und sagte: "Ihr werdet unfehlbar von mir hoeren, Herr Pineiss, und Weib und Geld sollen Euch nicht entgehen. Dagegen macht Euch bereit, recht verliebt zu sein, damit Ihr jene Bedingungen einer unverbruechlichen Hingebung an die Liebkosungen Eurer Frau, die schon sogut wie Euer ist, ja beschwoeren und erfuellen koennt! Und hiermit bedanke ich mich des vorlaeufigen fuer genossene Pflege und Bekoestigung und beurlaube mich." Somit ging Spiegel seines Weges und freute sich ueber die Dummheit des Hexenmeisters, welcher glaubte, sich selbst und alle Welt betruegen zu koennen, indem er ja die gehoffte Braut nicht uneigennuetzig, aus blosser Liebe zur Schoenheit ehelichen wollte, sondern den Umstand mit den zehntausend Goldgulden vorher wusste. Indessen hatte er schon eine Person im Auge, welche er dem toerichten Hexenmeister aufzuhalsen gedachte fuer seine gebratenen Krammetsvoegel, Maeuse und Wuerstchen. Dem Hause des Herrn Pineiss gegenueber war ein anderes Haus, dessen vordere Seite auf das sauberste geweisst war und dessen Fenster immer frisch gewaschen glaenzten. Die bescheidenen Fenstervorhaenge waren immer schneeweiss und wie soeben geplaettet, und ebenso weiss war der Habit und das Kopf- und Halstuch einer alten Beghine, welche in dem Hause wohnte, also dass ihr nonnenartiger Kopfputz, der ihre Brust bekleidete, immer wie aus Schreibpapier gefaltet aussah, so dass man gleich darauf haette schreiben moegen; das haette man wenigstens auf der Brust bequem tun koennen, da sie so eben und so hart war wie ein Brett. So scharf die weissen Kanten und Ecken ihrer Kleidung, so scharf war auch die lange Nase und das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der boese Blick ihrer Augen; doch sprach sie nur wenig mit der Zunge und blickte wenig mit den Augen, da sie die Verschwendung nicht liebte und alles nur zur rechten Zeit und mit Bedacht verwendete. Alle Tage ging sie dreimal in die Kirche, und wenn sie in ihrem frischen, weissen und knitternden Zeuge und mit ihrer weissen spitzigen Nase ueber die Strasse ging, liefen die Kinder furchtsam davon, und selbst erwachsene Leute traten gern hinter die Haustuere, wenn es noch Zeit war. Sie stand aber wegen ihrer strengen Froemmigkeit und Eingezogenheit in grossem Rufe und besonders bei der Geistlichkeit in hohem Ansehen, aber selbst die Pfaffen verkehrten lieber schriftlich mit ihr als muendlich, und wenn sie beichtete, so schoss der Pfarrer jedesmal so schweisstriefend aus dem Beichtstuhl heraus, als ob er aus einem Backofen kaeme. So lebte die fromme Beghine, die keinen Spass verstand, in tiefem Frieden und blieb ungeschoren. Sie machte sich auch mit niemand zu schaffen und liess die Leute gehen, vorausgesetzt, dass sie ihr aus dem Wege gingen; nur auf ihren Nachbar Pineiss schien sie einen besonderen Hass geworfen zu haben; denn so oft er sich an seinem Fenster blicken liess, warf sie ihm einen boesen Blick hinueber und zog augenblicklich ihre weissen Vorhaenge vor, und Pineiss fuerchtete sie wie das Feuer, und wagte nur zuhinterst in seinem Hause, wenn alles gut verschlossen war, etwa einen Witz ueber sie zu machen. So weiss und hell aber das Haus der Beghine nach der Strasse zu aussah, so schwarz und raeucherig, unheimlich und seltsam sah es von hinten aus, wo es jedoch fast gar nicht gesehen werden konnte, als von den Voegeln des Himmels und den Katzen auf den Daechern, weil es in eine dunkle Winkelei von himmelhohen Brandmauern ohne Fenster hineingebaut war, wo nirgends ein menschliches Gesicht sich sehen liess. Unter dem Dache dort hingen alte zerrissene Unterroecke, Koerbe und Kraeutersaecke, auf dem Dache wuchsen ordentliche Eibenbaeumchen und Dornstraeucher, und ein grosser russiger Schornstein ragte unheimlich in die Luft. Aus diesem Schornstein aber fuhr in der dunklen Nacht nicht selten eine Hexe auf ihrem Besen in die Hoehe, jung und schoen und splitternackt, wie Gott die Weiber geschaffen und der Teufel sie gern sieht. Wenn sie aus dem Schornstein fuhr, so schnupperte sie mit dem feinsten Naeschen und mit laechelnden Kirschenlippen in der frischen Nachtluft und fuhr in dem weissen Scheine ihres Leibes dahin, indes ihr langes rabenschwarzes Haar wie eine Nachtfahne hinter ihr herflatterte. In einem Loch am Schornstein sass ein alter Eulenvogel, und zu diesem begab sich jetzt der befreite Spiegel, eine fette Maus im Maule, die er unterwegs gefangen. "Wuensch' guten Abend, liebe Frau Eule! Eifrig auf der Wacht?" sagte er, und die Eule erwiderte: "Muss wohl! Wuensch' gleichfalls guten Abend! Ihr habt Euch lange nicht sehen lassen, Herr Spiegel!" "Hat seine Gruende gehabt, werde Euch das erzaehlen. Hier habe ich Euch ein Maeuschen gebracht, schlecht und recht, wie es die Jahreszeit gibt, wenn Ihr's nicht verschmaehen wollt! Ist die Meisterin ausgeritten?" "Noch nicht, sie will erst gegen Morgen auf ein Stuendchen hinaus. Habt Dank fuer die schoene Maus! Seid doch immer der hoefliche Spiegel! Habe hier einen schlechten Sperling zur Seite gelegt, der mir heut zu nahe flog; wenn Euch beliebt, so kostet den Vogel! Und wie ist es Euch denn ergangen?" "Fast wunderlich," erwiderte Spiegel, "sie wollten mir an den Kragen. Hoert, wenn es Euch gefaellig ist." Waehrend sie nun vergnueglich ihr Abendessen einnahmen, erzaehlte Spiegel der aufmerksamen Eule alles, was ihn betroffen und wie er sich aus den Haenden des Herrn Pineiss befreit habe. Die Eule sagte: "Da wuensch' ich tausendmal Glueck, nun seid Ihr wieder ein gemachter Mann, und koennt gehen, wo Ihr wollt, nachdem Ihr mancherlei erfahren!" "Damit sind wir noch nicht zu Ende," sagte Spiegel, "der Mann muss seine Frau und seine Goldgulden haben!" "Seid Ihr von Sinnen, dem Schelm noch wohlzutun, der Euch das Fell abziehen wollte?" "Ei, er hat es doch rechtlich und vertragsmaessig tun koennen, und da ich ihn in gleicher Muenze wieder bedienen kann, warum sollt' ich es unterlassen? Wer sagt denn, dass ich ihm wohltun will? Jene Erzaehlung war eine reine Erfindung von mir, meine in Gott ruhende Meisterin war eine simple Person, welche in ihrem Leben nie verliebt, noch von Anbetern umringt war, und jener Schatz ist ein ungerechtes Gut, das sie einst ererbt und in den Brunnen geworfen hat, damit sie kein Unglueck daran erlebe. 'Verflucht sei, wer es da herausnimmt und verbraucht,' sagte sie. Es macht sich also in Betreff des Wohltuns!" "Dann ist die Sache freilich anders! Aber nun, wo wollt Ihr die entsprechende Frau hernehmen?" "Hier aus diesem Schornstein! Deshalb bin ich gekommen, um ein vernuenftiges Wort mit Euch zu reden! Moechtet Ihr denn nicht einmal wieder freiwerden aus den Banden dieser Hexe? Sinnt nach, wie wir sie fangen und mit dem alten Boesewicht verheiraten!" "Spiegel, Ihr braucht Euch nur zu naehern, so weckt Ihr mir erspriessliche Gedanken." "Das wusst' ich wohl, dass Ihr klug seid! Ich habe das Meinige getan und es ist besser, dass Ihr auch Euren Senf dazugebt und neue Kraefte vorspannt, so kann es gewiss nicht fehlen!" "Da alle Dinge so schoen zusammentreffen, so brauche ich nicht lang zu sinnen, mein Plan ist laengst gemacht!" "Wie fangen wir sie?" "Mit einem neuen Schnepfengarn aus guten starken Hanfschnueren; geflochten muss es sein von einem zwanzigjaehrigen Jaegerssohn, der noch kein Weib angesehen hat, und es muss schon dreimal der Nachttau daraufgefallen sein, ohne dass sich eine Schnepfe gefangen; der Grund aber hiervon muss dreimal eine gute Handlung sein. Ein solches Netz ist stark genug, die Hexe zu fangen." "Nun bin ich neugierig, wo Ihr ein solches hernehmt," sagte Spiegel, "denn ich weiss, dass Ihr keine vergeblichen Worte schwatzt!" "Es ist auch schon gefunden, wie fuer uns gemacht; in einem Walde nicht weit von hier sitzt ein zwanzigjaehriger Jaegerssohn, welcher noch kein Weib angesehen hat; denn er ist blindgeboren. Deswegen ist er auch zu nichts zu gebrauchen, als zum Garnflechten und hat vor einigen Tagen ein neues, sehr schoenes Schnepfengarn zustande gebracht. Aber als der alte Jaeger es zum ersten Male ausspannen wollte, kam ein Weib daher, welches ihn zur Suende verlocken wollte; es war aber so haesslich, dass der alte Mann voll Schreckens davonlief und das Garn am Boden liegenliess. Darum ist ein Tau darauf gefallen, ohne dass sich eine Schnepfe fing, und war also eine gute Handlung daran schuld. Als er des andern Tages hinging, um das Garn abermals auszuspannen, kam eben ein Reiter daher, welcher einen schweren Mantelsack hinter sich hatte; in diesem war ein Loch, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Goldstueck auf die Erde fiel. Da liess der Jaeger das Garn abermals fallen und lief eifrig hinter dem Reiter her und sammelte die Goldstuecke in seinen Hut, bis der Reiter sich umkehrte, es sah und voll Grimm seine Lanze auf ihn richtete. Da bueckte der Jaeger sich erschrocken, reichte ihm den Hut dar und sagte: 'Erlaubt, gnaediger Herr, Ihr habt hier viel Gold verloren, das ich Euch sorgfaeltig aufgelesen!' Dies war wiederum eine gute Handlung, indem das ehrliche Finden eine der schwierigsten und besten ist; er war aber so weit von dem Schnepfengarn entfernt, dass er es die zweite Nacht im Walde liegenliess und den naehern Weg nach Hause ging. Am dritten Tage endlich, naemlich gestern, als er eben wieder auf dem Wege war, traf er eine huebsche Gevattersfrau an, die dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und der er schon manches Haeslein geschenkt hat. Darueber vergass er die Schnepfen gaenzlich und sagte am Morgen: 'Ich habe den armen Schnepflein das Leben geschenkt; auch gegen Tiere muss man barmherzig sein!' Und um dieser drei guten Handlungen willen fand er, dass er jetzt zu gut sei fuer diese Welt, und ist heute Vormittag beizeiten in ein Kloster gegangen. So liegt das Garn noch ungebraucht im Walde und ich darf es nur holen." "Holt es geschwind!" sagte Spiegel, "es wird gut sein zu unserm Zweck!" "Ich will es holen," sagte die Eule, "steht nur solang Wache fuer mich in diesem Loch, und wenn etwa die Meisterin den Schornstein hinaufrufen sollte, ob die Luft rein sei? so antwortet, indem Ihr meine Stimme nachahmt: 'Nein, es stinkt noch nicht in der Fechtschul'!'" Spiegel stellte sich in die Nische, und die Eule flog still ueber die Stadt weg nach dem Wald. Bald kam sie mit dem Schnepfengarn zurueck und fragte: "Hat sie schon gerufen?" "Noch nicht!" sagte Spiegel. Da spannten sie das Garn aus ueber den Schornstein und setzten sich daneben still und klug: die Luft war dunkel, und es ging ein leichtes Morgenwindchen, in welchem ein paar Sternbilder flackerten. "Ihr sollt sehen," fluesterte die Eule, "wie geschickt die durch den Schornstein heraufzusaeuseln versteht, ohne sich die blanken Schultern schwarz zu machen!" "Ich hab' sie noch nie so nah gesehen," erwiderte Spiegel leise, "wenn sie uns nur nicht zu fassen kriegt!" Da rief die Hexe von unten: "Ist die Luft rein?" Die Eule rief: "Ganz rein, es stinkt herrlich in der Fechtschul'!" und alsobald kam die Hexe heraufgefahren und wurde in dem Garne gefangen, welches die Katze und die Eule eiligst zusammenzogen und verbanden. "Haltet fest!" sagte Spiegel, und "Binde gut!" die Eule. Die Hexe zappelte und tobte maeuschenstill, wie ein Fisch im Netz; aber es half ihr nichts und das Garn bewaehrte sich auf das beste. Nur der Stiel ihres Besens ragte durch die Maschen. Spiegel wollte ihn sachte herausziehen, erhielt aber einen solchen Nasenstueber, dass er beinahe in Ohnmacht fiel und einsah, wie man auch einer Loewin im Netz nicht zu nahe kommen duerfe. Endlich hielt die Hexe still und sagte: "Was wollt ihr denn von mir, ihr wunderlichen Tiere?" "Ihr sollt mich aus Eurem Dienste entlassen und meine Freiheit zurueckgeben!" sagte die Eule. "So viel Geschrei und wenig Wolle!" sagte die Hexe, "du bist frei, mach' dies Garn auf!" "Noch nicht!" sagte Spiegel, der immer noch seine Nase rieb, "Ihr muesst Euch verpflichten, den Stadthexenmeister Pineiss, Euren Nachbar, zu heiraten auf die Weise, wie wir euch sagen werden, und ihn nicht mehr zu verlassen!" Da fing die Hexe wieder an zu zappeln und zu prusten wie der Teufel, und die Eule sagte: "Sie will nicht dran!" Spiegel aber sagte: "Wenn Ihr nicht ruhig seid, und alles tut, was wir wuenschen, so haengen wir das Garn samt seinem Inhalte da vorn an den Drachenkopf der Dachtraufe, nach der Strasse zu, dass man Euch morgen sieht und die Hexe erkennt! Sagt also: Wollt Ihr lieber unter dem Vorsitze des Herrn Pineiss gebraten werden, oder ihn braten, indem Ihr ihn heiratet?" Da sagte die Hexe mit einem Seufzer: "So sprecht, wie meint Ihr die Sache?" Und Spiegel setzte ihr alles zierlich auseinander, wie es gemeint sei und was sie zu tun haette. "Das ist allenfalls noch auszuhalten, wenn es nicht anders sein kann!" sagte sie und ergab sich unter den staerksten Formeln, die eine Hexe binden koennen. Da taten die Tiere das Gefaengnis auf und liessen sie heraus. Sie bestieg sogleich den Besen, die Eule setzte sich hinter sie auf den Stiel und Spiegel zuhinderst auf das Reisigbuendel und hielt sich da fest, und so ritten sie nach dem Brunnen, in welchen die Hexe hinabfuhr, um den Schatz heraufzuholen. Am Morgen erschien Spiegel bei Herrn Pineiss und meldete ihm, dass er die bewusste Person angehen und freien koenne; sie sei aber allbereits so arm geworden, dass sie, gaenzlich verlassen und verstossen, vor dem Tore unter einem Baum sitze und bitterlich weine. Sogleich kleidete sich Herr Pineiss in sein abgeschabtes gelbes Sammetwaemschen, das er nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, setzte die bessere Pudelmuetze auf und umguertete sich mit seinem Degen; in die Hand nahm er einen alten gruenen Handschuh, ein Balsamflaeschchen, worin einst Balsam gewesen und das noch ein bisschen roch, und eine papierne Nelke, worauf er mit Spiegel vor das Tor ging, um zu freien. Dort traf er ein weinendes Frauenzimmer sitzend unter einem Weidenbaum, von so grosser Schoenheit, wie er noch nie gesehen; aber ihr Gewand war so duerftig und zerrissen, dass, sie mochte sich auch schamhaft gebaerden wie sie wollte, immer da oder dort der schneeweisse Leib ein bisschen durchschimmerte. Pineiss riss die Augen auf und konnte vor heftigem Entzuecken kaum seine Bewerbung vorbringen. Da trocknete die Schoene ihre Traenen, gab ihm mit suessem Laecheln die Hand, dankte ihm mit einer himmlischen Glockenstimme fuer seine Grossmut und schwur, ihm ewig treu zu sein. Aber im selben Augenblicke erfuellte ihn eine solche Eifersucht und Neideswut auf seine Braut, dass er beschloss, sie vor keinem menschlichen Auge jemals sehen zu lassen. Er liess sich bei einem uralten Einsiedler mit ihr trauen und feierte das Hochzeitsmahl in seinem Hause, ohne andere Gaeste, als Spiegel und die Eule, welche ersterer mitzubringen sich die Erlaubnis erbeten hatte. Die zehntausend Goldgulden standen in einer Schuessel auf dem Tisch, und Pineiss griff zuweilen hinein und wuehlte in dem Golde; dann sah er wieder die schoene Frau an, welche in einem meerblauen Sammetkleide dasass, das Haar mit einem goldenen Netze umflochten und mit Blumen geschmueckt, und den weissen Hals mit Perlen umgeben. Er wollte sie fortwaehrend kuessen, aber sie wusste verschaemt und zuechtig ihn abzuhalten, mit einem verfuehrerischen Laecheln, und schwur, dass sie dieses vor Zeugen und vor Anbruch der Nacht nicht tun wuerde. Dies machte ihn nur noch verliebter und glueckseliger, und Spiegel wuerzte das Mahl mit lieblichen Gespraechen, welche die schoene Frau mit den angenehmsten, witzigsten und einschmeichelndsten Worten fortfuehrte, so dass der Hexenmeister nicht wusste, wie ihm geschah vor Zufriedenheit. Als es aber dunkel geworden, beurlaubten sich die Eule und die Katze und entfernten sich bescheiden; Herr Pineiss begleitete sie bis unter die Haustuere mit einem Lichte und dankte dem Spiegel nochmals, indem er ihn einen trefflichen und hoeflichen Mann nannte, und als er in die Stube zurueckkehrte, sass die alte weisse Beghine, seine Nachbarin, am Tisch und sah ihn mit einem boesen Blick an. Entsetzt liess Pineiss den Leuchter fallen und lehnte sich zitternd an die Wand. Er hing die Zunge heraus, und sein Gesicht war so fahl und spitzig geworden, wie das der Beghine. Diese aber stand auf, naeherte sich ihm und trieb ihn vor sich her in die Hochzeitskammer, wo sie mit hoellischen Kuensten ihn auf eine Folter spannte, wie noch kein Sterblicher erlebt. So war er nun mit der Alten unaufloeslich verehelicht, und in der Stadt hiess es, als es ruchbar wuerde: Ei seht, wie stille Wasser tief sind! Wer haette gedacht, dass die fromme Beghine und der Herr Stadthexenmeister sich noch verheiraten wuerden! Nun, es ist ein ehrbares und rechtliches Paar, wenn auch nicht sehr liebenswuerdig! Herr Pineiss aber fuehrte von nun an ein erbaermliches Leben; seine Gattin hatte sich sogleich in den Besitz aller seiner Geheimnisse gesetzt und beherrschte ihn vollstaendig. Es war ihm nicht die geringste Freiheit und Erholung gestattet, er musste hexen vom Morgen bis zum Abend, was das Zeug halten wollte, und wenn Spiegel vorueberging und es sah, sagte er freundlich: "Immer fleissig, fleissig, Herr Pineiss?" Seit dieser Zeit sagt man zu Seldwyla: Er hat der Katze den Schmer abgekauft! besonders wenn einer eine boese und widerwaertige Frau erhandelt hat. * * * * * *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DIE LEUTE VON SELDWYLA, VOL. 1 *** This file should be named 7dls110.txt or 7dls110.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7dls111.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7dls110a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. 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If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! 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