The Project Gutenberg EBook of Gebete für Israeliten, by A. A. Wolff This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Gebete für Israeliten Author: A. A. Wolff Release Date: November 16, 2006 [EBook #19823] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEBETE FÜR ISRAELITEN *** Produced by Chuck Greif, Mrs. L. Buchsbaum and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Gebete für Israeliten zum Gebrauche beim Gottesdienste, im Hause und auf dem Friedhofe von Prof. Dr. A. A. Wolff, Oberrabbiner in Kopenhagen. R. v. D. Fünfte vermehrte und verbesserte Auflage. Frankfurt a. M. Verlag von J. Kauffmann. 1908. Druck von M. Lehrberger & Co., Rödelheim. * * * * * Inhaltsverzeichnis. Zu Hause ehe man ins Gotteshaus geht Nach dem Eintritt ins Gotteshaus Desgleichen I. Gebete nach den vorgeschriebenen täglichen Gebeten zu lesen Allgemeines Morgengebet Allgemeines Abendgebet II. Gebete für jeden Tag der Woche Am Sonntag. Morgengebet Betrachtung über 1. B. M. 1, 3.-4. Abendgebet Am Montag. Morgengebet Betrachtung über 1. B. M. 1, 6.-8. Abendgebet Am Dienstag. Morgengebet Betrachtung über 1. B. M. 1, 9.-13. Abendgebet Am Mittwoch. Morgengebet Betrachtung über 1. B. M. 1, 14.-19. Abendgebet Seite Am Donnerstag. Morgengebet Betrachtung über 1. B. M. 1, 20.-23. Abendgebet Am Freitag. Morgengebet Betrachtung über 1. B. M. 1, 24.-31. Abendgebet Am Sonnabend. Am Sabbat-Morgen Beim Ausheben der Thora am Sabbat Bei der Verkündigung des Neumondes Ein anderes Gebet bei der Verkündigung des Neumondes Am Sabbat-Nachmittag Am Neumondstage Am Sabbat-Abend III. Gebete an den Feiertagen Abendgebet an den drei Festen: Peßach, Schabuoth (Wochen-) und Succoth (Laubhüttenfest) Morgengebet für den ersten und zweiten Tag des Peßachfestes Ein anderes Gebet für den Peßachmorgen Morgengebet an den beiden letzten Tagen des Peßachfestes Morgengebet am Wochenfeste Am Neujahrsfest. Am Vorabend des Festes Am Neujahrstag Beim Schofarblasen Am großen Versöhnungsfeste. Zu Anfang des Abendgottesdienstes (Kol nidre) Zum Morgengottesdienst (Schacharis) Beim Mittagsgebet (Mussaph) Beim Nachmittagsgebet (Mincha) Zum Schlußgebet (Neïlah) Am Laubhüttenfest (Succoth) Desgleichen als Erntefest Am Schlußfeste (Schemini Azeres) Am Freudenfeste über die Thora (Simchas Thora) Am Feste der Tempelweihe (Chanuka, Lichterfest) Am Purimfest Am Tage der Zerstörung des Tempels (Tischoh b'ab) Schlußgebet beim Gottesdienste (Olenu) Die Hausfrau, wenn sie Chala nimmt Die Hausfrau, wenn sie die Sabbatlicher oder die Festlichter anzündet IV. Gelegenheitsgebete Am Geburtstage Am Verlobungstage Am Hochzeitstage In einer glücklichen Ehe, jährlich am Hochzeitstage In einer kinderlosen Ehe In der Schwangerschaft Vor der Niederkunft Nach der Niederkunft Bei der Beschneidung Eine Wöhnerin beim ersten Gang ins Gotteshaus Ebenso nach der Geburt eines totgeborenen Kindes Eine Ehegattin Eine Tochter für die Eltern Im Witwenstande Eine Waise Im Alter Bei der Fortreise von der Heimat Für einen Abwesenden, der auf der Reise ist Zusatz für ein Kind, das auf der Reise ist Gebete in jeder Art der Not und Seelenangst Gebete in Krankheit Eine Kranke In bedenklicher Krankheit Desgleichen in Bibelversen Vor einer gefährlichen Operation Fürbitte für einen Kranken Der Kinder Gebet für einen kranken Vater oder eine kranke Mutter Dankgebet nach überstandener Krankheit Gebet in einem Krankheitsfalle (Nach dem Hebräischen) Gebet für einen andern Kranken Gebete während einer ansteckenden Krankheit Bei Ausbreitung der Krankheit Gebet um Mut Tröstung Ergebenheit in Gottes Willen Gebet um das Morgen und Abendgebet im Gotteshause oder daheim zu beschließen Desgleichen Gebete auf dem Friedhofe Über die Sitte, die Grabstellen zu besuchen und dort zu beten Am Jahrestage des Todes eines der Eltern Desgleichen Am Grabe des Vaters am Jahrestage " " der Mutter " " " " eines Kindes " " des Mannes " " eines gefallenen Vaterlandsverteidigers " " " Verwandten Am Ereb Rôsch Haschonoh Dankgebet bei Vollendung eines Werkes Anhang. Esehu Mekômon (Betrachtung über die Opfer) Bame Madlikin (Freitagabendbetrachtung) Pittum hak'tôres (Betrachtung zum Mussaphgebet) Zu Hause, ehe man ins Gotteshaus geht. »Israel! bereite dich vor, vor deinen Gott zu treten.«(Amos 4, 12.) Es dürstet meine Seele nach dir, o Gott, nach dir, dem lebendigen Gott, und ich will eilen nach deinem Heiligtume, wo dein Name angebetet wird, wo deine Gemeinde sich versammelt, um dich anzurufen, dir zu danken, dich zu loben und dich zu preisen. O! bereits auf dem Wege dahin läutere du meinen Sinn, heilige du meinen Geist, und zünde du in meiner Brust die Andachtsflamme an, die mich und meine Brüder an der heiligen, dir geweihten Stätte durchglühen soll. Denn wohl weiß ich, daß du, den die Himmel und aller Himmel Himmel nicht umfassen, nicht in dem Hause wohnest, das von Menschenhänden erbaut worden, daß du, dessen Herrlichkeit Himmel und Erde erfüllt, mir überall nahe bist, wo ich auch sein mag; wohl weiß ich, daß das fromme Gebet, welches meine Seele in meiner Einsamkeit stillen Kammer zu dir empor sendet, auch Gnade und Erhörung vor dir findet, aber auch dies weiß ich, daß der Geist des wahren Gebets, der nicht persönliches Wohl, sondern das Wohl und Heil aller sucht, der nicht bloß das Glück und die Wohlfahrt der Erde, sondern auch das Nahen des himmlischen Reiches erfleht, der nichts begehrt, nichts fordert, sondern nur im Glauben und in der Erkenntnis sein Höchstes findet und sein treues Bekenntnis dieses Glaubens vor aller Welt ablegen möchte;--ich weiß, daß dieser Geist des wahren Gebets mir fehlen würde, so dessen Flamme, die zuerst in der Mitte der Gottesgemeinde angefacht wurde, nicht auch in ihr stets Nahrung fände. Was ich glaube, und um was ich bete, und wonach mein Herz sich sehnt, soll ja nicht in meinem Innern verborgen bleiben, es soll ja auch als ein freudiges Zeugnis auf meinen Lippen hervortreten und vor der Welt, so wie vor anderen Glaubensbrüdern von mir als meines Lebens Schild und als ein köstlicher Schatz gepriesen werden. Ach, sind ja leider so viele, welche in Leichtsinn hinleben, so daß sie die Bande lösen, die sie mit der Gemeinde innigst verbinden sollten, und welche jedes Kennzeichen auslöschen, das sie an ihren väterlichen Glauben erinnern könnte; aber desto mehr will ich die Stätte aufsuchen, wo Israeliten sich sammeln, um dich in jüdischer Weise zu verehren. Schon dies, daß mein Gang nach dem Bethause gerichtet ist, schon dies soll ein Zeugnis sein, das ich vor der Welt ablege, daß ich zu dieser heiligen Gemeinschaft gehöre, und daß ich über den Spott und Hohn erhaben bin, womit jene, die sich die Weisen der Welt nennen, auf diejenigen sehen, die dich, o Ewiger, nach ihrer Väter Weise verehren. Und wie sehr wird nicht meine Andacht, meine fromme Sehnsucht durch den Gedanken erhöht: Ich stehe nicht allein mit meinem Gebet vor dir, stehe nicht allein mit der Glaubensschar, die sich da versammelt, sondern stehe mit dieser als ein Glied der ganzen Gemeinde Israels da; denn wunderbar hast du, o Herr, es so gefügt, daß meine Glaubensgenossen fast überall, in heißer wie in kalter Zone, da, wo ihnen die Sonne der Freiheit zulächelt, wie dort, wo sie unter Druck seufzen, daß sie fast überall sich doch vor dir zur selbigen Zeit und Stunde sammeln und dieselben bedeutungsvollen, Vertrauen und Demut atmenden Worte ihren Lippen entströmen lassen, so daß ein Laut in gemeinsamer Andacht und Seelenerhebung zu deinem Thron von dem ganzen jüdischen Volke emporsteigt. Nein, nicht allein stehe ich da; denn unzählige der hingeschwundenen Geschlechter erheben sich gleichsam vor meinem andächtigen Blick von ihren Ruhestätten, sowohl die, welche in unterirdischen Höhlen, als die, welche unter klarem Himmelszelte auf ihren Wanderungen dieselben Gebete gebetet, ja mit diesen auf den Lippen ihr Leben aushauchten, indem sie den Märtyrertod erlitten;--mit allen diesen fühle ich mich vereint, indem ich die Worte ausspreche, die prophetische Zungen verkündigt, die heilige, von deinem Geist beseelte Sänger gesungen, und die so viele Zeitalter hindurch uns unter so mannigfaltigen Versuchungen und Prüfungen die Reinheit unserer heiligen Lehre, sowie die Einfalt und Eintracht im Glauben in unsrer Mitte bewahrt haben.--O, so leite du denn meine Schritte, wenn ich in dein Haus wandere, so stärke du meinen Geist, daß er dort von solchen Vorsätzen erfüllt werde, solche Eindrücke empfange und bewahre, daß nie das innige Verlangen, dein Haus aufzusuchen, von mir weiche, und auch nicht die Überzeugung und Gewißheit mir verloren gehe, daß du an solch gemeinsamer Anbetung Wohlgefallen habest. Stärke du mich, o Gott, auf daß mein Glaube dem gleiche, der den Vater der Gläubigen beseelte, als er sein Opfer dir brachte, und gib mir Kraft, daß ich, wie er die Raubvögel,[1] die trüben Zweifel, die verkehrten Einwendungen verscheuche, wenn sie meine Andacht mir rauben wollen; laß darum mein Auge dort in deinem Hause nur auf das achten, was mich erheben und zur Andacht stimmen kann. Laß mich erkennen, daß du uns nach unserm Herzen und unsern Gesinnungen richtest, auf daß Frömmigkeit mich leite, Andacht mich entflamme, und meine Schritte dir wohlgefallen, wenn ich in zahlreicher Versammlung dich anbete;[2] ja sende mir, Vater im Himmel, dein Licht und deine Wahrheit, daß sie mich führen und leiten nach deinem heiligen Berge und zu deiner Wohnung.[3] Amen! [Fußnote 1: Buch Mosis 15.] [Fußnote 2: Ps. 26, 12.] [Fußnote 3: Ps. 43.] Nach dem Eintritt ins Gotteshaus. 2. Wie überwältigt werde ich von Gefühlen des Dankes und der Ehrfurcht, indem ich an dieser Stätte weile, Gefühle des Dankes, daß du, o Gott, es dem Sohne des Staubes gestattest, sich zu dir zu erheben, daß du in deiner Liebe ihn selbst dazu aufgefordert »dein Antlitz zu suchen«, daß du uns eine Stätte gegeben hast, wo du deine Herrlichkeit unter uns thronen lassen willst.--O Unendlicher, welche Ehrfurcht durchbebet mich, daß ich, ein Kind des Staubes, Zutritt zu deinem Hause habe und mich dir, dem Allheiligen, nähern kann, daß ich vor dich alles bringen darf, was mein Herz beschwert, zu dir für mein Wohl und das Wohl der Meinen, für die Gläubigen und mit ihnen, ja für die ganze Menschheit beten kann! So hast du in deiner Güte uns gesegnet und uns erhoben. O, laß mich dieser deiner Gnade nimmer vergessen und laß mich während meines Betens stets eingedenk sein, vor wem ich stehe, auf daß du mich würdig findest, ein Träger deines Geistes zu sein. Entferne du von mir jeden fremden und unseligen Gedanken, daß weder die Lust der Welt noch ihr Schmerz den reinen Aufschwung der Seele hindere. O, daß alle, die mit mir hier versammelt sind, voll Demut dich in einem Geiste anbeten, und wir so eine echt israelitische, heilige Brudergemeinde bilden möchten, über welche du selbst »den Geist des Gebetes und der Gnade« ausgegossen! Amen! Ein anderes Gebet. 3. So hast du, mein Gott, mich gestärkt und gewürdigt, dein Haus zu betreten, wo alles mir verkündigt:»Hier ist die Pforte des Herrn, Gerechte treten da ein;«[4] o, daß ich zu diesen mich zählen dürfte! Ach, daß dein Himmel mir offen stünde, wenn ich aus ganzer Seele dich im Gebete suche! O, gewähre mir Verzeihung, daß ich rein werde, erschaffe in mir ein reines Herz, verjünge ein festes Gemüt in meinem Innern, auf daß jedes Wort, das über meine Lippen geht, mich in heilige Gemeinschaft mit dir bringe! Erhebe mich über die Lust und den Schmerz der Welt, befreie mich von jeder Sorge und jedem Kummer, auf daß ich mich in dir und mit dir fühle, glückselig wie die Geister des Himmels in deiner Anbetung, und auf daß ich es mit ganzer Seele empfinde, »wie köstlich deine Huld den Menschenkindern ist, die im Schatten deiner Fittige sich bergen, auf daß ich an deines Hauses Segen mich labe und an dem Strome deiner Gnade mich erquicke«.[5] Laß mich auch diesen Segen mit hinaus aus diesem Hause nehmen, daß ich überall deine heilige Nähe fühle und überall dir zum Wohlgefallen lebe! Amen! [Fußnote 4: Ps. 118, 20.] [Fußnote 5: Ps. 36, 8. 9.] I. Gebete nach den vorgeschriebenen täglichen Gebeten zu lesen. Allgemeines Morgengebet. Dein, o Herr, ist der Tag. (Ps. 74, 16.) 4. Alliebender Vater im Himmel! Wie kann ich dir genug für all deine Güte danken, die du mit jedem Morgen mir erneuerst. Deine Gnade hat über mich wiederum diese Nacht gewacht und mir in erquickendem Schlafe neue Kraft und Stärke geschenkt! Während viele sie in Kummer und Unruhe haben zubringen müssen, hast du über mich und die Meinigen gewacht! Gesund und froh grüße ich wiederum diese Morgenstunde und freue mich des Anblicks meiner Teuren und Lieben. O, ich bin zu gering für all die Gnade und für all die Treue, die du mir erweisest, und doch drängt es mich, dich anzuflehen, daß du auch heute mir deine Gnade und deinen Beistand schenkest. Laß auch diesen Tag mir Segen bringen und mich zu dir führen. Dir seien meine Gedanken alle geheiligt, in deinem Namen werde mein Tagewerk durchgeführt! Leite du mich mit deiner Hand, auf daß ich nicht strauchle und von deinen göttlichen Geboten nicht weiche, daß ich mit Gewissenhaftigkeit die Pflichten meines Berufes übe und stets eingedenk sei, daß du einst mich zur Rechenschaft ziehen wirst für jegliche Stunde, die versäumt worden. Läutere du darum mein Herz und breite über meine Seele den stillen Frieden aus, auf daß ich der Kämpfe nicht achte, die du uns in unserem Berufe auferlegst, und nicht ermatte unter den Mühen und Beschwerden, die mit diesem verbunden sind! Erneuere stets die Liebe zu dir in meinem Innern, auf daß ich dich suche und dir diene mit allen meinen Kräften! Laß mich unter meinen Mitmenschen mit einem liebenden Sinn wandeln, der niemanden beleidigt und der zum Verzeihen bereit ist, so daß ich sanftmütig und versöhnlich gegen jedermann sei, dem ich heute begegne! Gedenk, o Gott, daß ich Staub bin, und laß mich frei sein von schweren Prüfungen. So du aber in deiner Weisheit es für gut findest, solche über mich zu verhängen, dann halte du mich aufrecht mit deiner Rechten, und leite du mich mit deinem Rate, auf daß ich nicht wanke und nicht verzage.»Gott, mein Gott, leite meine Schritte nach deinem Worte, sei mein Schild, meine Zuflucht den ganzen Tag; Lob und Preis dir in aller Ewigkeit!«[6] Amen! Allgemeines Abendgebet. Dein, o Herr, ist auch die Nacht. (Ps. 74, 16.) 5. Mein Gott! der Tag ist dahin; ich suche Erholung nach der Arbeit desselben, und bevor ich mich den Armen des Schlafes übergebe, führt mir die Stille der Nacht noch einmal alles vor die Seele, was ich heute gesehen und erlebt, alles, was ich heute getan und vollbracht habe. Ach! wie könnt' ich dir für die vielen Wohltaten genugsam danken, die du heute wiederum mir und allen denen, die mir lieb und teuer sind, erwiesen hast. Du hast nicht nur über meine Schritte gewacht, vor Gefahren mich beschirmt, zu meinem Werke mich gestärkt, und mit allem mich gesegnet, dessen ich bedarf, sondern du hast auch mit so mancher Gabe mich erfreut, mit so mancher Freude mich erquickt; aber auch selbst durch das, was mir für einen Augenblick Kummer und Schmerz verursachte, hast du mich zu dir hingezogen und mich innerlich glückselig gemacht. O! wie demütiget es mich, wenn ich alles dessen gedenke und dann vor meiner Seele alles das vorüberziehen lasse, was ich heute gedacht und getan. Wie oft habe ich nicht dein vergessen, wie oft wurde ich nicht von sündiger Lust erfüllt, für die meine Seele keinen Raum gehabt, wenn der Gedanke, daß du allgegenwärtig seiest, und daß du mein Inneres erforschest, mich ganz erfüllt hätte; ach, und wie wenig geben die Werke, die ich vollführt, wohl Zeugnis davon, daß ich von Liebe zu dir beseelt bin, die mich eifrig und treu in meinem Berufe, unverdrossen und liebevoll gegen meinen Nächsten hätte machen sollen. O, reuevoll schaue ich auf den verflossenen Tag zurück, und mit aufrichtiger Buße flehe ich um deine väterliche Vergebung. Ich will daher selbst, ehe mein Auge sich zum Schlafe schließt, allen denen vergeben, die mir zuwider gehandelt, und mich zu kränken und zu verletzen gesucht haben. Nimm du mich in deinen gnädigen Schutz, schenke mir und den Meinigen nächtliche Ruhe, daß wir durch einen ungestörten und erquickenden Schlaf für den kommenden Tag gestärkt werden, der dir durch einen gerechten und frommen Wandel geheiligt sein möge! Ja, laß die Nacht ihren erquickenden Schatten über alle ausbreiten, daß der Müde und Bekümmerte Kraft und Trost und der Gekränkte und Leidende Beruhigung und Stärkung in dem Segen des Schlafes finde; und jedem, der auf dem Schmerzenslager stöhnend klagt, der in Krankheit oder Bekümmernis ängstlich fragt:»Ist wohl die Nacht bald vorbei?«[7] dem führe lindernde Hoffnung, Geduld und inniges Vertrauen auf dich zu, auf dich, für den »die Nacht leuchtet gleich dem Tage!« Bewahre mich vor Gefahr und Unglück und laß mich nach der Erquickung der Nacht mit dem innigen Verlangen, dir zu dienen, erwachen!»In deine Hand befehle ich meinen Geist, du beschirmst mich, wahrhafter und gnädiger Gott!«[8] Amen! [Fußnote 6: Ps. 25, 5.] [Fußnote 7: Jes. 21, 11.] [Fußnote 8: Ps. 139, 12.] II. Gebete für jeden Tag der Woche. Am Sonntage. Morgengebet. 6. Eine neue Woche hast du, o gnadenvoller Vater, für mich erscheinen lassen, und eine neue Zeit schenkst du mir wieder, um für mein Wohl zu leben und zu wirken. O, so beseele mich denn mit Ernst und Freudigkeit, auf daß ich das Werk vollführe, das du mir angewiesen. Laß mich die neue Woche damit beginnen, daß ich die heiligen Vorsätze ausführe, die ich gestern gefaßt habe, laß es mir trotz meiner Schwäche gelingen, durch meine Fürsorge und Arbeit das Wohl meiner Brüder zu fördern und zum Wohle der menschlichen Gesellschaft mitzuwirken. Verleihe mir vor allem deinen Beistand, daß ich denen ein gutes Beispiel gebe, in deren Mitte ich wirke; stärke mich, daß ich auf reinen Wandel achte, jedes meiner Worte wohl bedenke und auf jede meiner Handlungen wohl aufmerksam sei, und in der Freude wie im Schmerze mich als ein gottesfürchtiges und gottergebenes Kind zeige, das stets deinen Willen zu erfüllen sucht. Stehe mir zur Seite bei den Mühen und Arbeiten dieser Woche, daß die Mühsal des Tages mir zum Segen werde, und die Freuden, die du mir bereitest, mich unaufhörlich erinnern an den Dank, den ich dir schulde. Stärke mich, daß ich die Widerwärtigkeiten und Unannehmlichkeiten duldend ertrage und selbst denen mich liebevoll erweise, die mich in dieser Woche zu betrüben suchen. Lehre mich deine Weisheit anbeten und deine Güte auch in der schmerzlichen Stunde preisen, die dein Wille mir auferlegen sollte, und jede glückliche, freudenreiche Stunde im Irdischen erinnere mich an die Ewigkeit, der ich entgegengehe. Herr!»laß mit jedem Morgen mich deine Gnade erfahren; denn auf dich hoffe ich; tue mir den Weg kund, den ich zu wandern habe, denn es sehnt sich mein Herz nach dir!«[9] Amen. [Fußnote 9: Ps. 143, 8.] Betrachtung über 1. Buch Mosis 1, 3-4. 7. Allmächtiger, allweiser Schöpfer! Am ersten Schöpfungstage nähert sich meine Seele dir und danket dir, daß du die Finsternis hast schwinden lassen und wiederum, wie einst, da du über die leblose Natur das: »Werde Licht!« riefst, mich von deinem Licht umstrahlt sein läßt, das allem um mich her Kraft spendet und Reiz verleiht. Ach Herr, mein Gott! du, der du so unendlich bist, der du dich hüllest in Licht wie in ein Gewand (Ps. 104), zerstreue du die Finsternis, die noch über so viele ausgebreitet ist, auf daß das Licht der Liebe die Herzen aller Lebenden erleuchte und erwärme! Hilf du mir, daß ich den Weg des Lichtes wandre, daß kein trüber Zweifel meine Seele umschleiere, keine Versuchung mich auf die dunkle Bahn des Lasters führe. Laß deine Gnade und Huld mir und den Meinigen zu teil werden, auf daß wir unser tägliches Brot finden und es in Freuden genießen. Erleuchte mich mit deinem Lichte und deiner Wahrheit, daß sie mich leiten, dich zu suchen, dir zu dienen mit allem, was ich in dieser Woche vornehme, daß keiner meiner Gedanken und keine meiner Taten das Licht des Tages zu scheuen nötig habe. Verschone mich und die Meinigen von großen Sorgen, die den Sinn beschweren, ihn niederdrücken und irre leiten. Und so zuweilen die Aussichten trübe sind, und Angst mein Herz beschleicht, dann laß mich eingedenk sein, daß du gnädig und barmherzig bist, und daß den Frommen ein Licht in der Finsternis aufstrahlt (Ps. 112); laß mich eingedenk sein, daß wir hienieden nicht das volle Licht schauen können, daß es aber in der Ewigkeit herrlich für diejenigen strahlen wird, die dich in Wahrheit anbeten. So nimm mich denn in deinen Schutz, und möge all mein Streben in dieser Woche dazu beitragen, daß ich einst würdig werde, dieses Licht zu schauen,--»sei mir gnädig, segne mich und laß das Licht deines Antlitzes mir leuchten!«[10] Amen! Abendgebet. 8. Wiederum habe ich einen Tag verlebt, an welchem du mir so viele Beweise deiner väterlichen Fürsorge und deiner rettenden Gnade gegeben, daß ich tief fühle, was ich dir schulde, und es tief erkenne, wie wenig ich so viel Güte verdient habe. O! mein Gott, gehe nicht ins Gericht mit mir; denn vor dir ist kein Lebender gerecht, sondern vergib in deiner Langmut und Barmherzigkeit meine Sünden, meine Vergehen und Irrtümer, die ich mir im Laufe des Tages habe zu schulden kommen lassen. Erhöre meine Seufzer, die ich in Demut emporsende, auf daß ich getrost mich zur Ruhe legen, und nun zur Zeit, wo aller menschliche Beistand schlummert, auf deinen Schutz vertrauen kann. O du, vor dem die Nacht hell ist wie der Tag, sei du mein Beschützer in jeglicher Gefahr, das Licht meiner Seele in der schaurigen Finsternis, bewahre mich vor den Schrecknissen der Nacht, halte jegliche Krankheit von meinem Lager fern, und laß deinen Geist mich beseelen, auch wenn ich schlummere, auf daß ich neue Kraft gewinne, um die Kämpfe des Lebens zu bestehen, und gestärkt werde, deinen Willen zu erfüllen. Erbarme dich der Menschenkinder und laß bald die Nacht vor deinem himmlischen Lichte weichen, das Friede und Liebe auf der ganzen Erde verbreitet; halte deine Hand über die, die unter dem Dache meines Hauses schlafen, daß niemand sündige, niemand strauchle! Dir empfehle ich alle meine Lieben, nahe und ferne, laß mich in Frieden schlafen und wohl und gesund wieder erwachen, um dich zu loben und zu preisen, daß du warst die Hilfe meines Antlitzes, mein Schild, mein Gott. Amen! [Fußnote 10: Ps. 67, 2.] Am Montag. Morgengebet. 9. So bin ich denn wieder erwacht, ich rege mich und lebe in dir, du Lebensspender, allgütiger Gott! Ach, mit welch drückenden Gedanken begab ich mich zur Ruhe! Kaum hoffte und erwartete ich, von den mannigfachen Sorgen befreit zu werden, die auf meinem Herzen lasteten und meine Seele so unruhig machten; aber du bereitetest mir einen erquickenden Schlaf, und mit den Schatten der Nacht, die vor dem Lichte des Morgens weichen, war alles, was mich drückte, verschwunden. Nun fühle ich mich wie neu geschaffen und schaue mit Vertrauen auf zu deiner unendlichen Güte, die über mich wachet. Unschlüssig war ich und fürchtete den kommenden Tag; aber siehe, es ist als ob du im Laufe der Nacht Entschlossenheit meiner Seele eingegeben hättest, daß ich mit neuer Lust und freudigem Mute heute wieder an mein Werk gehe. O, möchte doch mein Vertrauen auf dich nie wanken, o, möchte es mich doch auch heute zu meinem Werke begleiten, daß ich, was mir auch heute begegne, doch stets eingedenk bleibe und mit ergebenem Sinne erkenne, daß du der Herr bist, und daß du tuest, was gut in deinen Augen ist! Verleihe mir aber auch die Kraft, in meinem Streben und Wirken würdig zu bleiben, das Auge zu dir erheben zu dürfen, daß ich stets auf deine väterliche Hilfe und auf deinen Schutz vertraue, daß kein falsches Vertrauen sich in mein Herz schleiche, und daß ich nicht durch unermüdliches Jagen nach den vergänglichen Dingen, durch Eigennutz, Genußsucht oder Eitelkeit das Glück und den Segen verscherze, den du allen denen verheißen, die ihre Hoffnung auf dich setzen. So stärke mich denn, daß ich arbeite, ohne zu ermüden, daß ich mit dankbarem Sinn jede Freude genieße, die du mir schenktest, und ich zum Segen wirke! Laß mich nie Ärgernis und Anstoß verursachen, sondern in der Zeit als einen leben, der die Ewigkeit vor Augen hat! O, du ewiger Gott, sei mir gnädig, segne und bewahre mich! Ja, ich will nicht verzagen; denn meine Hilfe kommt von dir, der du geschaffen Himmel und Erde. Amen Betrachtung über 1. B. M. 1, 6-8. 10. Allmächtiger Schöpfer, alliebender Gott! Ich danke dir, daß du mich wieder den zweiten Wochentag hast schauen lassen den Himmel, der sich noch über mir wölbt, wie du ihn einst am zweiten Schöpfungstage über die Erde ausgespannt hast. So leuchtete sofort deine Herrlichkeit über dem Staube, daß wir dadurch erinnert würden, daß die Seligkeit des Himmels das Ziel für den Erdenkampf sei, und in der Ruhe und in dem Frieden, der von dem sichtbaren Himmelsbogen widerstrahlt, spiegelt sich für den Menschen der selige Friede des unsichtbaren Himmels ab. Bei aller Not und Sorge des Lebens soll der Mensch zum Himmel empor schauen und dort die Tröstung und Erquickung suchen, die die Erde nicht zu gewähren vermag, und in den Versuchungen der Welt, in ihrem Kampf und Streit soll er von deinem Himmel Kraft und Freiheit holen. Aber darf auch ich wohl meinen Blick zum Himmel erheben?--O, nur der kann freudig empor in die Höhe sehen, der das tut, was dir wohlgefällig ist! Hab ich dieses getan? War ich stets eingedenk, daß ich überall in deinem Heiligtum bin, da überall der Himmel über mir ausgebreitet ist, der deine Herrlichkeit Tag für Tag verkündet? Habe ich mich wohl auf Geistesschwingen zum Himmel gehoben, während mein Fuß zur Erde gestellt war--leuchtete ein Himmel der Liebe aus meinem Auge, wenn ich mit meinen Menschenbrüdern verkehrte? O Gott, sei mit mir heute, daß ich jede Versuchung besiege, jede sündige Lust bezwinge, und daß jeder meiner Gedanken, jedes meiner Worte und jede meiner Taten von der Klarheit des Himmels widerscheine, daß mein Wandel dir wohlgefalle, und die Liebe des Himmels mich einst verkläre bei dir, du, mein Gott, dessen Huld so erhaben ist, wie der Himmel über der Erde, du, der du meine Sünden vergibst und mich krönest mit Barmherzigkeit und Gnade.[11] Amen! Abendgebet. 11. Wie, o Gott, soll ich dir danken für alle Wohltaten, die du mir heute erwiesen? O, nicht nur, daß du in Gnade deine Hand über mich gehalten und mich das tägliche Brot für mich und die Meinigen hast finden lassen--nein, sieh in reichlichem Maße hast du mir dasselbe vergönnt, und vorzüglich danke ich dir für die besondere Tröstung und Ermunterung, die mich heute so unerwartet erquickt hat. Ach wie glücklich machte mich nicht der geringste Dank, den ich durch deine Gnade erntete und die Freude, die der eine und andere meiner Mitwanderer hier im Leben, mir, gewiß nach deiner gütigen Eingebung, bereitet hat. Nein! ich kann mich nicht in die Arme des Schlafes werfen, ohne dich um Vergebung zu bitten, daß ich so oft über die Bürden des Lebens und über den Undank und die Verkennung der Welt geseufzt habe! Sah ich nicht heute, wie hoch mein Herz sich freute und sich freuen mußte bei dem geringsten Dank, bei dem aufmunternden Lohne, den ich zuweilen erntete, und wie solch' selige Augenblicke gerade in Stunden der Ermüdung und Erschlaffung eintreten! Und wenn ich noch bedenke die himmlischen Augenblicke, in welchen es mir vergönnt war, die Hände der Schwachen, die Knie der Wankenden zu stärken, wo ich durch deinen Beistand es vermochte, zu trösten und zu beruhigen, durch meine Anerkennung der Wirksamkeit anderer imstande war, sie zu erneuetem Fleiße anzuspornen,--o, dann überströmt mein Herz von Dank und Freude; ich will nicht mehr klagen, ich will jede Stunde recht benutzen, um so meine Mitmenschen zu erfreuen, auf daß auch ihre Seelen Ruhe in dir finden. Stärke mich hierzu, o mein Gott, dazu empfehle ich meinen Geist deinem Schutze! Amen! [Fußnote 11: Ps. 103, 3.] Am Dienstag. Morgengebet. 12. Allgütiger Gott! Nimm das Morgenopfer meines Herzens als Dank entgegen für die neuen Beweise deiner Gnade, die du mir in der verflossenen Nacht gegeben. Ach, wie viele haben diese nicht in Unruhe und Kummer verbracht, und von wie vieler Lager wurde nicht der Schlaf durch Angst und Sorge verscheucht; ich aber wurde verschont, die Meinigen hast du beschirmt! o, wie wenig habe ich doch so viele Gnade verdient! So manchen Morgen erwachte ich nur mit neuen Wünschen und vergaß es, wie sehr du mich bereits gesegnet, und wie vielen Dank ich dir schulde; doch heute steht deine Güte mir vor Augen, und o, wie glücklich macht mich dieser Gedanke! Ach, wie wenige fühlen doch das Gute, das sie unablässig von deiner Hand empfangen, und wie innig muß ich dir nicht danken, daß du durch deine heilige Lehre in mir die Erkenntnis deiner Wohltaten geweckt hast! Und wenn ich ganz von deiner göttlichen Lehre erfüllt wäre, o wie glücklich würde ich mich dann noch fühlen, welch ein Born der Freude würde da unaufhörlich aus derselben für mich fließen, selbst dann, wenn Kummer und Sorgen mich umgeben, welche Seligkeit würde ich dann nicht aus jedem Gebote schöpfen, das ich erfülle! O, du Ewiger! laß diesen Tag mich dem großen Ziele näher bringen, dem ich nachstreben soll! Sei mit mir in all meinen Bestrebungen, hilf mir in meiner Schwäche, erleuchte mich in meiner Unwissenheit, umgürte mich mit der Kraft des Willens, laß meine Seele alles in Klarheit schauen, mein Herz alles Edle und Heilige mit Wärme umfassen! Rüste mich aus mit Standhaftigkeit und lege an diesem Tage reichen Segen in meine Arbeit. Bewahre du, Ewiger, meinen Ausgang und meinen Eingang, o, entziehe mir nicht deine Barmherzigkeit, sondern laß deine Gnade und Treue mich stets beschirmen! Amen! Betrachtung über 1. B. M. 1, 9-13. 13. Wie könnte ich wohl am dritten Tage der Woche mein Auge der Herrlichkeit des Tages öffnen, ohne dir für deine unendliche Güte zu danken, mit welcher du die Erde erfüllt hast und sie mit jedem Morgen aufs neue erfüllst? An diesem Tage, so ließest du uns in der Schöpfungsgeschichte verkünden, riefst du Gras, Kräuter und Bäume hervor, die Frucht und Samen tragen, jegliches nach seiner Art. So hast du, allgütiger Gott, für jedes lebende Geschöpf seinen Bedarf bereitet, bevor es noch ins Dasein gerufen war, so hast du auch an mich gedacht, bevor ich noch das Tageslicht schaute, hast liebevolle Wesen bestellt, die für mich sorgten, die mich kleideten und ernährten, mich erzogen und leiteten, und die Erde, sie ist voll deiner Gaben. O, wie könnte ich da verzagen und bekümmert fragen: woher soll ich Brot für meinen Lebensunterhalt nehmen? O, getrost bete ich zu dir: Gib mir und den Meinigen unser tägliches Brot, daß wir nie der Gabe eines Menschen bedürfen, erhalte uns in Genügsamkeit, daß wir in bescheidenem und prunklosem Wandel uns glücklich fühlen, jeglicher in seinem Berufe und jeglicher in seinem Stande. Wache über die Bedürftigen und Notleidenden und gewähre mir die Seligkeit, ihnen wie ein herrlicher Baum zu sein, der Schutz und Erquickung über sie ausbreitet, ja, laß mich wie ein Baum sein, der an den Wasserbächen deines göttlichen Wortes gepflanzt, reiche Früchte trägt, und dessen Blätter nie welken. Laß, o Herr, mein Streben und Wirken dir wohlgefällig sein und auch meinen Mitmenschen. Möchte mein Sinn von dem Licht aus der Höhe erfüllt werden, und meine Rede wie stärkende, erquickende Nahrung jedem sein, der darauf hört.--O, du, der du nie den Gerechten verläßt und es ihm nie an Brot mangeln läßt, erhöre mich und laß mich heute stark im Guten sein, errette mich von jeglicher Sünde, auf daß du auch über mein Werk heute wie bei der Schöpfung sagen könntest: »es war gut«,[12] gut für das zeitliche und gut für das ewige Leben. Amen! [Fußnote 12: Buch Moses 1, 12] Abendgebet. 14. Der Tag ist dahin gegangen, o, so schnell, so sehr schnell bei Arbeit und Freude und unter deinem beschirmenden Segen, allbarmherziger Gott und Vater! Und nun, da mein Tagewerk zu Ende ist, so kommt mir so vieles in den Sinn, was ich vornehmen wollte, aber zu tun vergessen, vieles, mit dem ich mich beschäftigt habe, aber nicht auf die rechte Weise, so manches Wort, das ich gesprochen, das ich entweder lieber gar nicht ausgesprochen haben möchte, oder doch nicht so, wie ich es getan, mancher Mensch, dem ich begegnet, aber ohne darauf zu achten, wie nützlich er für mich und ich für ihn hätte sein können. Ach ich muß gestehen, wenn ich auch nur an eitlen Gewinn und eitle Lust denken wollte:--könnte ich meinen Tag aufs neue beginnen, so würde ich meine Zeit anders einteilen, so würde ich ganz anders mich verhalten; vieles, was geschehen, würde ich ungetan lassen, vieles, was unterlassen ist, würde ich zur Ausführung bringen--und wie viel mehr erst, wenn ich an das Werk meines Seelenheils denke. O, muß ich nicht fürchten, daß es einst, wenn mein ganzer Lebenstag dahingeschwunden ist, für mich so sein wird, wie in dieser Stunde, muß ich nicht, weil es noch Zeit ist, bestrebt sein, daß mein Lebenstag nicht vergeudet werde? Darum nähere ich mich dir, mein Gott, mit dem Gebete:»tue mir kund den Weg, den ich gehen soll, lehre mich nach deinem Willen handeln, dein gütiger Geist führe mich Tag und Nacht auf die rechte Bahn!«[13] Laß mich auch in dieser Nacht deine Güte erfahren, bewache, erquicke und segne sowohl mich, als alle die Meinigen, und laß die Ruhe der Nacht aufs neue mir Kraft schenken, um gegen alles zu kämpfen, was im Streite ist mit der hohen Bestimmung meines Daseins, mit dem Werk, das ich zu vollführen habe.»Herr! dein will ich gedenken, wenn ich auf meinem Lager liege, über dich sinne ich in den Nachtwachen, meine Seele hängt an dir, deine Rechte unterstützt mich.« Amen! [Fußnote 13: Ps. 143, 8. 9.] Am Mittwoch. Morgengebet. 15.»Wenn ich auf meinem Lager bin, so denke ich an dich, o Gott, und wenn ich erwache, spreche ich von dir, denn du bist mir eine Hilfe, und im Schatten deiner Flügel fühle ich mich so sicher«,[14] früh suche ich darum dich, und meine Seele dürstet nach dir, mein Gott. Ach, möchte doch meine Seele dir anhängen, und möchte deine Rechte mich unterstützen den ganzen Tag und mich leiten und aufrecht halten, wo ich auch wandre, und mit wem ich auch verkehre. Ich möchte so gern mit Milde und Sanftmut unter meinen Brüdern wandern, aber feindlich Gesinnte, Haßerfüllte, Lieblose, denen ich begegne, könnten so leicht meinen Zorn aufflammen lassen; ich möchte so gerne einen innigen, festen Glauben an den Tag legen, aber Leichtsinnige und Gleichgültige könnten meinen Eifer kühlen, und Scheinheilige all meinem frommen Streben in den Weg treten; es wird so schwer, die heilige Flamme auf dem Altar des Herzens vom Morgen bis zum Abend rein und jedes fremde Feuer fern zu halten; es wird so schwer, einen schuldfreien und heitern Sinn zu bewahren; die Freuden, die deine Güte uns bereitet, so zu genießen, daß keine sündhafte Neigung oder Lust in die Seele dringe, und daß diejenigen, welche auf uns sehen, nicht in ihrem Urteile über uns irre geleitet werden; es ist so schwer, Freundlichkeit und Ernst, Nachsicht und Duldung mit unerschütterlicher Festigkeit im Glauben zu vereinen. Wie leicht artet nicht ein freundlicher, nachgiebiger Sinn zu einer eitlen Lust aus, den Menschen zu gefallen! Wenn ich den Beifall der Welt ernte, so macht es mich so hochmütig und stolz, und weniger vermag ich ihre Kälte, ihren Spott oder ihre Geringschätzung zu ertragen, sie erbittert meinen Geist und lähmt meine Kraft, und doch soll ich im Kampfe nicht schwanken und nicht verzagen. Sieh! darum bitte ich: Herr, lehre mich deine Wege erkennen und leite mich auf die rechten Pfade, nicht nur meiner selbst wegen, sondern auch derentwegen, die auf mich schauen, und mit denen ich heute verkehre, ja meiner Freunde und Verwandten und meiner Hausgenossen wegen. Möchte ich in der Freude sowohl als im Schmerze, den du in deiner Weisheit mir zusendest, mich als echter Israelit bewähren, der dein göttliches Gebot in seinem Herzen trägt, daß all mein Wirken auf Erden ein himmlisches Gepräge an sich trage und Zeugnis gebe von meinem Streben, an deinem Reiche zu bauen. Laß einen freundlichen himmlischen Strahl sowohl meine Lust als meine Arbeit beleuchten, laß den Tau des Himmels auch bei der Mühe und Hitze des Tages mich erquicken, in dem Kampfe des Lebens mich stärken und zu jeglicher Zeit mein Herz erfreuen! O, so verlaß mich nicht, mein Gott, sondern segne mich und die Meinen heute, laß mich nicht verzagen, wenn du mich väterlich züchtigest; sondern lege in meine Seele das rechte kindliche Vertrauen zu dir, und gib, daß mein Wandel der Lobgesang wird, womit ich unablässig dich preise. Amen! [Fußnote 14: Ps. 63, 7. 8.] Betrachtung über 1. Buch Mosis 1, 14-19. 16. Herr, allweiser, allgütiger Schöpfer! Ich danke dir, daß du mich diesen vierten Tag der Woche hast erleben lassen, den Tag, der aus der Schöpfungszeit Zeugnis gibt von deiner unendlichen Weisheit und Macht, mit welcher du die Gestirne auf ihren Bahnen leitest, die Sonne, den Mond und die zahllosen leuchtenden Welten, daß sie mit himmlischem Glanze für uns leuchten, die Erde erwärmen und befruchten und in den dunklen Nächten Wege auf dem öden Meere zeigen, ja daß sie uns dienen, um unsere Wanderungstage zu zählen und unsere festlichen Zeiten zu bestimmen. Sieh, du hast ihnen Ziel und Grenze gesetzt, daß sie nicht von ihren Bahnen weichen, sondern jeder Himmelskörper seinem vorgeschriebenen Gesetz folgt und nicht hinein schreitet in den Kreis eines andern; wenn er verschwunden zu sein scheint, so leuchtet er in einer anderen Welt oder beginnt aufs neue seinen Lauf, um deine Herrlichkeit an dem unermeßlichen Himmelsgewölbe zu verkünden. O, mein Gott!»wenn ich anschaue den Himmel, deiner Hände Werk, den Mond und die Sterne, die du geschaffen,--was ist ein Sterblicher, daß du sein gedenkst und der Menschensohn, daß du auf ihn achtest?«[15] Und doch bin ja auch ich von dir bestimmt, ein Glied in der Kette des All zu sein, und auch meiner Bahn hast du Gesetz angeordnet, dem ich folgen soll, und das ich nicht überschreiten darf. Ach, wie oft habe ich gerade den Weg verlassen, der mir vorgezeichnet ward, wie oft unternahm ich nicht gerade das, wozu ich nicht berufen war, und durchkreuzte da die Bahn eines andern und richtete da Verwirrung an, wo ich über Gottes Ordnung und Gesetz wachen sollte! O! ich will darum zum Himmel empor schauen und zu seinem strahlenden Heere, daß ich von ihnen lerne, für meine Brüder zu leuchten, und sie mit der vollen Liebe meines Herzens zu erwärmen; daß ich vom Monde lerne, Erquickung, Trost und Friede in trübe und angstvolle Seelen zu bringen, von der Sonne, die für alle, auch für die Ungerechten aufgeht, lerne auch Sündern Mitleid zu zeigen und sie auf den rechten Weg zurückzubringen! Aber, o mein Gott! was vermag ich ohne deinen Beistand? Darum bitte ich dich: stärke mich in meinem Vorsatz, hilf mir, männlich gegen alle Versuchungen zu kämpfen, stehe mir bei, daß ich unermüdlich in der Erfüllung meines Berufes sei! Dein Geist und Wort zerstreue, der Sonne gleich, jede Wolke, die meine Umgebung verdunkeln will! Ja, all mein Tun und Wirken sei so, daß ich hoffen darf, einst, wenn ich meinen Lauf hienieden vollendet, einzugehen in das wahre himmlische Licht bei dir in der Ewigkeit. Amen! [Fußnote 15: Ps. 8, 4. 5.] Abendgebet. 17. Allbarmherziger Vater! Auch diesen Tag habe ich unter deinem Schutz und Segen glücklich zu Ende gebracht und deiner Obhut meine Seele und meinen Leib anempfohlen; ja, in meinem Nachtgebet habe ich, wie es dem Israeliten geziemt, bevor ich mich zur Ruhe begab, mich zu dir zu erheben gesucht. Aber ach, je mehr ich mich selbst durchforschte, desto mehr werde ich innerlich betrübt, indem ich mich des Gedankens nicht erwehren kann, meine Aufgabe nicht erfüllt zu haben; denn ich habe das heilige Bekenntnis des Israeliten abgelegt:»daß du der einzige, ewige Gott bist«; aber habe ich auch heute dies in der Tat und in der Wahrheit bewiesen, daß es das Bedürfnis meines Herzens war, dir für alles zu danken, was mich erquickt, und deinen Namen zu preisen, und dich als den Einzigen, Alliebenden anzubeten, bei allem, was mir widerfahren? Und ich habe die Grundlage für die heiligsten Verpflichtungen meines Lebens ausgesprochen, »daß ich dich lieben soll mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen, mit all meinem Vermögen«, aber wie oft hat nicht die Liebe zur Welt mich dich vergessen lassen, und wie wenig war ich bereit, aus Liebe zu dir alles zu opfern? Ja, in unerschütterlicher Liebe zu dir soll ich meinen Nächsten lieben; aber wie schwach glühte doch eine solche Liebesflamme in meinem Innern! Selbst wenn ich mich liebevoll gegen meine Mitmenschen zeigte, war es doch zuweilen eine Scheinliebe und nicht die heilige Flamme, die unaufhörlich auf dem Altar des Herzens brennen soll. Durch mein Wort und mein Beispiel soll ich den Meinigen (meinen Kindern, meinem Hausgesinde, meinen Freunden und meinen Angehörigen) dein Wort einschärfen, aber bald wurde ich durch Eitelkeit und Hochmut irre geleitet, bald verschloß Geiz, Zorn oder Neid das Herz und die Hand; denn das Feuer der Leidenschaft brennt in meiner Brust und betört meinen Geist. Und wenn ich sehe, wie wenig noch die Welt dich, den Einzigen, kennt und anbetet, und wie wenig Liebe zu dir in der Menschen Brust lebt, wie wenig sie sich in gegenseitiger Liebe äußert, ach, da muß ich fast verzagen; ich gedenke meiner Sünden und der Schlaf weicht von meinem Lager. Woher, o Gott, soll ich Kraft nehmen, um im Kampfe zu bestehen? Und doch--mein Nachtgebet hat mich ja belehrt, daß ein zerknirschtes Herz dir wohlgefällig ist, hat mich auch belehrt, auf wen ich meine Hoffnung setzen soll: Herr, auf dich allein!»Du stehst zu meiner Rechten: Wer wie du![16] so barmherzig, du bist meine Stärke[17] du bist mein Licht[18] und du bist mein Arzt[19] sowohl für Leib als Geist; deine Herrlichkeit umschwebt mich. Zuversichtlich spreche ich darum:»auf deine Hilfe hoffe ich, ja, ich warte in Geduld auf deine Hilfe und beuge mich in Demut vor dir, o Herr[20], der du über mich wachen und mich wecken wirst, Amen! [Fußnote 16: Michael] [Fußnote 17: Gavriel] [Fußnote 18: Uriel] Am Donnerstag. Morgengebet. 18. Herr, mein Gott und Vater!»Du erneuerst jeden Morgen deine Güte gegen mich, und deine Barmherzigkeit ist unendlich.« Darum erhebe ich in der frühen Morgenstunde dankend meine Stimme zu dir, indem ich fühle und erkenne, daß deine wachende Vorsehung in den Stunden der Finsternis meinen Geist bewacht und mich aus dem Schlummer der Nacht zu neuem Leben geweckt hat. O! möchte doch auch mein besseres Wesen mit jedem Morgen sich erneuern, und möchte ich bei meinem Tagewerk nie verzagen, sondern es vollenden, ohne zu ermatten; möchte ich doch jeden Tag mit neuer Lust auf dein göttliches Wort lauschen und aus deiner heiligen Lehre Seligkeit schöpfen; möchten doch alle guten Kräfte, die du in mich gelegt, jeden Morgen sich erneuern, so daß ich nie müde werde, meinem Bruder zu helfen, ihn zu erquicken, zu trösten und zu unterstützen, nie müde werde, Sanftmut und Geduld gegen meine Freunde zu zeigen, und nie aufhöre, Gutes denen zu erweisen, die mich hassen, und diejenigen zu segnen, die mir fluchen; möchte doch ein liebevoller Geist jeden Tag in mir erneuert werden, daß ich demütig und liebevoll gegen die Armen, mild und nachsichtig gegen meine Diener mich zeige; ja, laß mich auch heute aufs neue Kraft gewinnen, um gegen die Sünde, meinen ärgsten Feind, zu kämpfen! Möge sich stets auch mein kindliches Vertrauen erneuern, mit dem ich meinen Weg deiner väterlichen Fürsorge empfehle! O, erhöre mich denn, Allgütiger! wenn ich dich bitte, mir die Ausführung dieses meines heiligen Vorsatzes zu erleichtern. Laß keine drückende Sorge mir die Freudigkeit in meinem täglichen Berufe rauben; stärke meinen Körper, daß meine Seele sich frei zu dir erheben kann;»entbiete mir deine Engel, mich zu behüten auf meinen Wegen, daß mein Fuß nicht strauchle;« laß in jeder zeitlichen Freude sich für meine Seele die ewige, selige Wonne abspiegeln und laß mich froh sein mit den Frohen! Segne, o Gott, Volk und Land, segne alle, die mir lieb und teuer sind! Leite mich nach deinem Rat, und nimm mich einst auf zur ewigen Seligkeit. Amen! [Fußnote 19: Rephael] [Fußnote 20: lyshu'atcha (Auf deine Hilfe u. s. w.)] Betrachtung über 1. Buch Mosis 1, 20-23. 19. Mein Gott und Vater! Nimm mit Wohlgefallen meinen kindlichen Dank dafür entgegen, daß ich diese Nacht sicher unter deinem Schutz geruht habe und mich wieder umgeben sehe von deinen Wohltaten, von den unzähligen Geschöpfen, die du ins Leben gerufen, deren Anblick Ruhe in die geängstigte Seele mir senkt und mein Herz mit Bewunderung erfüllt. Heute ist ja der Tag, an dem in der Schöpfungszeit das Weltmeer mit einem unzähligen Gewimmel kleiner und großer Tiere sich füllte und die Luft mit dem zahllosen Geflügel, das unter der Wölbung des Himmels fliegt.»Alle erwarten ihre Nahrung von dir, und du sättigst sie mit allem Guten.«[21] O, wie kann ich da noch fürchten, daß du mich vergebens um deine guten Gaben vom Himmel beten lassen solltest, wenn ich nur treu arbeite, um sie zu gewinnen! Sieh', wie zahllos und wie mannigfaltig sind nicht die lebendigen Geschöpfe des Himmels und des Meeres, und doch bilden sie alle einen großen Einklang, um deine Herrlichkeit zu verkünden; ist nicht das geringste bunte Würmchen eben so wundervoll wie das starke Tier im Walde, und preisen nicht die Millionen Geschöpfe im Wassertropfen eben so sehr deine Allmacht und Wahrheit wie der Wallfisch im Meere? O, sollte ich da verstummen und nicht beständig meinen Lobgesang darbringen, sollte ich nicht durch mein Leben, durch mein Tun deine Herrlichkeit verkünden? Ach Herr! segne du mich, daß meine Gedanken geläutert werden, und meine Taten dir gefallen. Sieh, der Fisch schwimmt so lebensfroh im Meere, aber, wenn im nächsten Augenblick ein Fischer ihn heraufzieht, da erlischt das Leben, so weiß auch ich, daß der Fischer stets sein Netz und seine Angel nach den Menschenkindern auswirft, um sie von dir, der Quelle alles Lebens, fort und hin in den Tod zu führen; ach möchte ich doch der Lockspeise der Welt Widerstand entgegenzusetzen stark genug sein und mich von den lebenden Wassern nähren, die aus deiner himmlischen Lehre strömen! Laß mich deiner Liebe eingedenk sein, die meine Väter auf »Adlerfittigen«, getragen, und wenn die Sorge meinen Sinn umwölkt, wenn Leiden mich treffen und Feindschaft mich verfolgt, oder wenn Verführungen mich umringen, o, laß mich da auf die Vögel des Himmels sehen, die ihre Zeit kennen, und laß mich von ihnen lernen, daß der Tag kommen wird, wo ich dorthin zurückwandern werde, wo eine wärmere Sonne scheint, und Freude, Wonne und Herrlichkeit weilt bei dir in aller Ewigkeit. Amen! [Fußnote 21: Ps. 145, 15.] Abendgebet. 20. Durch deinen Beistand, allgütiger Gott, habe ich wiederum meinen Tag zu Ende gebracht, und wie deine Güte mich heute vor jedem Unglück bewahrt hat, so wirst du mir auch Erquickung in meiner nächtlichen Ruhe verleihen. Im Schlaf will ich alle Mühe und Beschwerden, jeden Kummer und jeden Schmerz vergessen. So wird deine ewige Liebe nicht müde, mir Gutes zu erweisen, und doch erkenne ich dies so wenig. Ja, muß ich nicht in dieser Stunde deiner Güte danken, daß, während du die Stille der Nacht um mich her verbreitest und meinem müden Körper Ruhe schenkst, du auch alles Toben der Leidenschaft und der Angst und Sorge in meiner Brust verstummen läßt und meiner Seele Ruhe gibst? O »so wehet dein schützendes Panier in Liebe über meinem Haupte«,[22] und nur im Vertrauen auf diese Liebe wage ich es, dich zu bitten, mir Ruhe und Erholung in dieser Nacht zu schenken. Denn sollte ich Rechenschaft über das Werk des verschwundenen Tages ablegen, o, dann müßte ich ausrufen: »Herr! gehe nicht ins Gericht mit mir!«--Ach, die Stille auf Erden sagt mir:»Du wachest in deiner Wohnung!« Je weniger das Irdische meinen Geist zerstreut und meine Gedanken verwirret, desto tiefer fühle ich meinen Abstand von dir, doch ich weiß, du gedenkst, daß ich Staub bin und erbarmst dich über mich wie ein liebender Vater, ich weiß, daß du gern den Seufzer deines reuigen Kindes hörst und das erfüllst, was es begehret. O, so verlaß mich nicht, du Israels Hüter, in dieser Nacht. Breite aus das Banner deiner Liebe über mich (meine Gattin, meine Kinder, meine Eltern u. s. w.); bewahre unsere Stadt vor allen Schrecken, und erquicke mich mit einem ruhigen Schlafe, daß ich morgen mit erfrischter Kraft erwache zu deiner Ehre. Nimm auch deinen Geist nicht von mir, und laß mich noch lange Zeugnis ablegen, daß »deine Gnade, o Herr, von Ewigkeit zu Ewigkeit währt denen, die dich fürchten, und deine Huld ihren Kindeskindern«. Amen! [Fußnote 22: Hohelied 2, 4.] Am Freitag. Morgengebet. 21.»Preise meine Seele den Herrn und vergiß nicht alle seine Wohltaten!« so will ich heute, am letzten Arbeitstage der Woche, den Dank meines Herzens vor dir, Alliebender, aussprechen. Denn du hast mich diese Morgenstunde schauen lassen, und die ganze Woche hindurch habe ichs erfahren, daß»du mir am Tage deine Güte entbietest und deine Liebe über mich des Nachts wacht«; ja! ein Tag bezeugt es dem andern, und die Nacht verkündet es der Nacht.--Jede Tat, die mir gelungen, jedes Wort, das mich erfreut, jede Kraft zur Arbeit, die ich in mir gefühlt, und jeder Lohn, den ich empfangen, war ein unverdienter Segen aus deiner Hand, und selbst dann, wenn meine Seele in Sorge, Mißmut und in Bekümmernis eingehüllt war, wenn ich seufzte über andere und über mich selbst klagte, über Mangel an Kraft in der Stunde der Sorge, die du über mich verhängt, oder die ich mit meinem trauernden Bruder trug, selbst dann warst du, o Gott! mir ja nahe mit deinem Trost, und ich fühlte deinen Geist, wie er bei mir weilte, und die Nacht mit all ihrer Dunkelheit schien dem hellen Tage gleich für meine Seele, die von deiner unendlichen Liebe berührt wurde. O Ewiger! wie soll ich dir für alles dieses danken, nun da die Woche bald zu Ende ist? Muß nicht das Bewußtsein, daß ich nicht in deinen Augen gewesen, was ich sein sollte, schwer auf meinem Herzen lasten? Ja, so schnell schwand die Woche hin, »eine kurze Spanne Zeit sind meine Tage vor dir, und mein Leben ist wie nichts«, so schnell schwand die Woche hin, daß ich meine Vergänglichkeit fühlen und die Pilgerzeit auf Erden, die du mir zugemessen, benutzen muß. Ja, Herr, ich setze meine Hoffnung auf dich; befreie mich von all meinen Sünden, leite du mich, daß ich am letzten Arbeitstage der Woche zu deinem Wohlgefallen lebe, daß ich heute demütig ergeben und dankbar gegen dich sei, liebevoll und versöhnlich gegen meinen Nächsten mich zeige und mich als treuer und fleißiger Arbeiter in deinem Dienst bewähre, wie es dem ziemet, der nach deinem Namen genannt ist. (5. B. M. 28, 10.) Ja, möchte ich mit Recht noch Jude genannt werden, daß das Zepter nicht aus meiner Hand weiche, ich vielmehr Herrschaft über alle bösen Mächte gewinne, die um mich her ihr Lager aufschlagen, so daß die Gleichgültigkeit der Welt mich nicht schlaff und lässig in deinem Dienst mache, und ihr Widerstand oder ihr Spott mich nicht in meinem Glauben erschüttern; o, laß mich die Woche damit schließen, daß ich den Kampf gegen den Verführer in meiner eigenen Brust bestehe, daß der Name Israelit, Kämpfer für das Göttliche, mir mit Recht gegeben sei, und mir seliger Lohn werde, wenn ich vom Kampfplatz der Erde zu ewiger Sabbatruhe im Himmel abgerufen werde. Amen! Betrachtung über 1. Buch Mosis 1, 24-31. 22. Dir, ewiger Quell des Lebens, dir danke ich am letzten Arbeitstage dieser Woche, daß du mich so wunderbar erschaffen, und daß du mich bis zu dieser Stunde so treu und sicher bewahrt hast! Dieser Tag war es ja, an dem du in der Schöpfungszeit alle lebenden Tiere auf der Erde geschaffen und zuletzt den Menschen, daß er herrsche über die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und alles, was da lebt und sich regt auf Erden. Ja, du hast den Menschen verherrlicht, indem du kund getan, daß er nach deinem Bild und dir ähnlich geschaffen ist;»nur um ein Geringes hast du ihn den Engeln nachgesetzt, und mit Ehre und Würde hast du ihn gekrönt.«[23] Von dir erhielt ich die Kraft des Geistes, mich über die Vergänglichkeit zu erheben und die Macht, mir die Erde untertänig zu machen, sie zu verschönen und zu verherrlichen, aber auch Macht, um die irdischen Begierden und die wilden Lüste des Fleisches in mir zu bezwingen. O, mein Gott, ich kann Herrscher sein über den rauhen, widerstrebenden Erdboden, über die wildesten Tiere, die in der Wüste rasen, über die zügellosen, lieblosen Naturen in der Menschenwelt und über die unbändigen Leidenschaften, die hier in meiner eigenen Brust sich regen! Ja, ich bin in deinem Bilde geschaffen, ich kann denken, glauben und beten und im Geiste mich zu dir emporschwingen; ich kann die Macht der Begierden brechen, mit Liebe jeden widerstrebenden Geist besiegen, mit Selbstverleugnung und Versöhnlichkeit jede lieblose Gesinnung bezwingen, und mit Gedanken der Ewigkeit, die in meine Seele--dein Ebenbild--niedergelegt sind, kann ich Ruhe und Frieden in angstvollen Stunden und unter schweren Schicksalen gewinnen.--Aber, o mein Gott! je höher du mich erhöhet hast, desto tiefer werde ich gedemütigt, und sehe beschämt auf alles, was ich in der verflossenen Woche getan und gedacht habe. Nicht war ich in meinem Denken, Sprechen und Streben so wie es dem geziemt, der in deinem Bilde geschaffen; ich habe es ausgelöscht, so daß es kaum noch kenntlich, daß kaum noch in mir wahrzunehmen ist, daß ich das Meisterwerk deiner Schöpfung bin. O, möge dieser Gedanke neue Kraft meinem Geiste verleihen, und sei du selbst mit mir, daß ich als Ebenbild des ewigen Vaters aller Geister nicht meinen Sinn auf eitles Streben richte, nicht an den leeren Freuden der Erde hänge und nicht von zeitlichen Bekümmernissen geängstigt werde! Möchte ich mit echter Liebe die heiligen Bande, die mich mit meiner Familie (meinem Gatten, meiner Gattin, meinen Freunden usw.) vereinen, noch fester knüpfen, daß ich sanftmütig und geduldig unter meinen Mitmenschen wandere. Laß mich eingedenk sein, daß das Leben, wie der heutige Tag, nur eine Vorbereitung zur Sabbatruhe, jener seligen Ruhezeit bei dir, ist, und daß daher von mir unermüdliche, beständige Arbeit und Wachsamkeit gefordert wird. Und wenn ich zweifeln sollte, weil ich nicht die Frucht des Fleißes und den Segen der frommen Tat schaue, o, dann laß mich erkennen, daß der Lohn erst nach vollendeter Arbeit genossen werden soll, wenn der Sabbat sich einstellt. O du, der du mich geschaffen hast zu deiner Verherrlichung, hilf du mir auch, daß ich dir aufrichtig diene und mein Lebenswerk vollende, und daß ich vorwärts schreite von Kraft zu Kraft, bis ich einst gewürdigt werde, zu schauen dein Antlitz in der Ewigkeit. Amen! [Fußnote 23: Ps. 8, 6.] Abendgebet. 23. Alliebender Vater! Schau wieder auf dein Kind, das seinen Dank stammeln will, daß du es diesen heiligen Abend hast erleben und diesen herrlichen Tag hast sehen lassen, der das Ziel der sechs Schöpfungstage war, daß dein vollendetes Werk von uns geschaut, und deine Allmacht von dem Wesen angebetet werden sollte, das du in deinem Ebenbild geschaffen. Und so der Mensch im Laufe der Woche dieses dein Bild entheiligt hat, suche er an diesem Tage es wieder zu heiligen und Seelenfrieden und Ruhe nach der Anstrengung der Tage zu finden, und hebe seinen Blick vom Staube empor zu dir! O, mein Gott! Wie soll ich alle deine Güte preisen und von deiner Gnade sprechen, die über mir gewaltet hat? Wer bin ich, und was ist mein Haus, daß du mich der Sabbatfeier teilhaftig werden läßt, die du zur Heiligung des Menschen eingesetzt hast! O, möchte ich doch mit dem rechten Geist erfüllt werden, den heiligen Tag nach deinem Willen zu feiern. Schenke mir und den Meinigen volle Erquickung diese Nacht, daß wir sicher ruhen, und daß unsre Seele gestärkt werde, die himmlische Wonne zu genießen, die aus dem beseligenden Quell des Sabbats strömt, daß unsre Seele Ruhe und Frieden finde in dir, o Gott und Erlöser. Amen! Am Sonnabend. Am Sabbat-Morgen. 24. Jeden Morgen fühlte ich den Drang, mich dir, Allgütiger, zu nähern, mit jedem neu erscheinenden Tage habe ich dir mein Dankopfer dargebracht;--und je mehr ich dadurch zu einem Leben in dir und mit dir geheiligt worden, je mehr ich dadurch gelernt, mitten unter den täglichen Arbeiten mich festlich gestimmt zu fühlen, desto mehr wird mein Inneres auch in dieser heiligen Morgenstunde zu dir emporgehoben. Ja, wenn ich alle Tage der Woche den Dank meines Herzens ausgesprochen für die zeitlichen Güter, die du mir schenktest, um wie viel mehr muß ich diesen an diesem Tag verkünden, den du zum Heil und zur Heiligung unseres Geistes bestimmt und zur Erinnerung deines Namens eingesetzt hast, und den du dadurch geheiligt, daß du ihn ein Bundeszeichen nanntest zwischen dir, dem Unendlichen, und Israel, deinem treuen Diener. An diesem Tage kann und soll ich jegliches Erdenjoch von mir werfen, von jeder drückenden Last dieser Welt mich befreien und über jeglichen Kummer und Schmerz des Lebens mich erheben; an diesem Tag soll alles in mir von höherer Freude erfüllt sein, und alles um mich her himmlische Wonne atmen, ja in Wahrheit ein seliger Tag! Dazu hast du uns ja deine heilige Lehre (Thora) gegeben, daß wir darin an diesem Tage lesen und forschen, damit wir in Gotteserkenntnis wachsen und in allen guten Gesinnungen gestärkt werden, damit wir das Leben in dir erneuern und in deiner Wahrheit beharren. O, so verleihe mir deine Gnade und bewahre mich vor vorsätzlicher und unvorsätzlicher Entweihung dieses Tages, laß deinen Geist auf mir ruhen, auf daß ich all die Herrlichkeit deiner göttlichen Lehre schaue und begreife, und stärke mich, daß ich den Sabbat auf die rechte Weise feiere und auch im Herzen meines Bruders rechten Sabbatsinn erwecke!--Ich will in meinem eignen Hause unter meinen Hausgenossen zeigen, daß ich das himmlische Kleinod zu schätzen weiß, welches ich im Sabbat besitze, auf daß sie sehen, wie glücklich und froh es mich macht. Und diesen Sinn will ich in der andächtigen Versammlung der Gemeinde zu stärken suchen, wo dein Name für die Herrlichkeit dieses Tages gepriesen wird. O Ewiger, laß diesen Tag um mich her Frieden und Freude ausbreiten; laß ihn jeglichem Kranken Erquickung und allen Betrübten Trost bringen, laß ihn die Irrenden auf den Pfad der Seligkeit führen, und laß ihn mich in einen immer innigeren Verkehr mit dir bringen und mir Seelenruhe und himmlischen Frieden schenken, der dem gleicht, welchen diejenigen jenseits genießen, die nach einem frommen Wandel hienieden von dir in die Wohnung der Seligen gerufen werden. Amen! Beim Ausheben der Thora am Sabbat. 25. Dein, o Herr, ist alle Größe; was unser Auge und unser Gedanke durchmessen kann, ist nichts vor dir. Dein, o Herr, ist alle Macht; alle Wesen und alle Welten sind von deinem Willen abhängig, dir dienen alle Kräfte der Natur und gehorchen deinem Winke. Dein, o Herr, ist alle Herrlichkeit; der Himmel und die Erde und alles, was sie schmücket, ist dein Werk. Dein, o Herr, ist alle Majestät, die sich offenbaret in den Wolken droben, auf der Feste der Erde und in den Fluten des Meeres. Du bist König, dein ist die Herrschaft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Erhebet den Ewigen, unsern Gott, und beuget euch zum Staube vor ihm; denn er ist heilig. Erhebet den Ewigen, unsern Gott, und beuget euch vor dem Berge seiner Herrlichkeit; denn heilig ist der Ewige, unser Gott. O Vater der Barmherzigkeit! Erbarme dich des Volkes deiner Treuen, gedenke deines Bundes mit den festen Säulen der Glaubenstreue. Hüte unsere Seele vor bösen Stunden; laß an uns nicht herannahen böse Begierde und Versuchung, sei immerdar unser Retter aus Gefahren und erfülle die Wünsche unseres Herzens, so sie dir angenehm sind. Amen! Bei der Verkündigung des Neumondes.[24] 26. Gott, Schöpfer und Herr der Welt! Gib, daß der kommende neue Monat uns langes Leben und Segen, Ruhe und Friede, Glück und Wohlfahrt bringe. Gewähre uns Nahrung und Unterhalt aus deiner vollen, offenen und milden Hand und bewahre uns vor jeder Sorge und jeder Not. Erhalte uns in Liebe und Anhänglichkeit zu dir, und lasse uns größer werden an Tugend und Weisheit. Behüte uns in deiner Gnade vor allen bösen Zufällen, und erfülle die frommen Wunsche unseres Herzens, wenn sie zu unserm Heile sind. Amen! [Fußnote 24: Neumondsgebet siehe S. 36.] Ein anderes Gebet bei der Verkündigung des Neumondes. 27. Mein Gott! Laß mich den Anfang und das Ende des kommenden Monats erleben in Kraft und Gesundheit! Sende mir (meinen Eltern) deinen Beistand, daß ich (sie) an ihm für meine (ihre) Bedürfnisse zu sorgen vermag (vermögen) in Redlichkeit und Ehren! Halte fern von mir und den Meinigen Gefährdung und Beschämung! Mögen die Wünsche meines Herzens in ihm erfüllet werden, so sie dir, o Herr, wohlgefallen. Dein Reich der Wahrheit und der Liebe werde im Laufe desselben gefördert, auf daß die Zeit der frohen Verheißung immer näher an uns heranrücke: ein Vater im Himmel, eine Bruderfamilie auf Erden! Amen! Am Sabbat-Nachmittag. 28. Laß mich abermals dir danken, o du Allgütiger, für diesen schönen Tag, den du der Ruhe geweiht hast, und an dem meine ganze Seele in dir Ruhe finden soll. Keine Sorge und kein Schmerz beunruhigen mich; denn dieser Tag erinnert mich ja daran, daß du die Welt aus nichts erschaffen, und er verkündigt mir deine Allmacht und deine Weisheit: wie sollte ich da mich nicht getrost deiner Leitung und Führung überlassen?--Du bist ja mit mir, was sollte ich da fürchten? Und kann nicht auch das mich über den Sklavensinn der Welt emporheben, daß ich gedenke, daß du uns aus dem Sklavenjoche Ägyptens befreit hast, auf daß wir deine Diener wurden? Ja, in dir soll meine Seele Ruhe finden, und sie soll aus der Fülle deiner Liebe schöpfen, auf daß ich einen jeden hoch schätzen lerne, der in deinem Bilde geschaffen worden, daß auch seine Seele heute Erquickung finde. Ja, selbst die vernunftlosen Tiere sollen heute Ruhe genießen. In dir ruhen soll meine Seele, und du hast mich ja selbst gelehrt, wie deine Ruhe recht gefeiert werde; denn am Sabbat ertönte ja dein Wort vom Sinai, durch welches das Reich des Lichtes weithin über die Erde sich ausbreitete. Ja, und wenn ich auch heute nichts an irdischen Schätzen gewinne, welch ein großer Reichtum ist mir doch im Sabbat zuteil geworden! Ist er es ja, der meine Seele von der Mühe des Lebens befreit, ein wahres Bild des ewigen Sabbats, an dem der Geist eine heilige, himmlische Ruhe in dir genießen soll.--O, mein Dank steige zu Gott empor! und du mein Gott, »durchforsche mich und prüfe meine Gedanken, und bin ich auf schlechtem Wege, so leite du mich auf den rechten Pfad hin«, auf daß ich dir in aller Ewigkeit danke. Gepriesen werde dein Name, Hallelujah! Amen! Am Neumondstage. 29. Du Gnadenreicher! Den ersten Tag eines jeden Monats hast du--wie unsere frommen Väter uns gelehrt--zur Sündenvergebung bestimmt, und ehemals, als noch auf Zion der heilige Tempel prangte, wurden an diesem Tage Sühnopfer dargebracht, und der Reumütige fand Vergebung. Der Tempel steht nicht mehr, und Opfer sind nicht mehr der Ausdruck unserer Reue und Hingebung, aber unser Gebet ist uns geblieben, der Dienst des Herzens, der an allen Orten dir wohlgefällig ist. So nimm denn das Opfer meines Herzens wohlgefällig auf, erhöre das Flehen, womit ich mich am heutigen Tage reuevoll dir nahe, und vergib mir meine Sünden, die ich im verflossenen Monat gegen dich und meine Nebenmenschen begangen habe. Ich erkenne, o Herr! daß ich von meiner Bestimmung abgewichen bin, wenn ich gefehlt habe; ich sehe es ein, daß früher oder später Vorwurf und Kummer mein ganzes Leben verbittern müßten, und fasse darum den festen Vorsatz, mit dem neuen Monate meinen Lebenswandel ganz so einzurichten, wie es dein heiliges Gesetz befiehlt. O Vater, der du an Reue und Buße Wohlgefallen hast, stehe mir bei, daß ich jederzeit über mein Herz wache, daß ich immer mehr Wahrheit und Tugend erstrebe und alle meine Gedanken und Handlungen richte auf das eine Ziel: heilig zu werden, wie du heilig bist.--Wache über mich und alle meine Angehörigen auch in diesem Monate, auf daß er uns werde zur Freude und Wonne, zum Segen und Frieden. Amen! Sabbat-Abend. 30. Alliebender Vater! Der herrliche Tag, mit welchem die Woche schließt, ist zu Ende, und ehe ich mich zur Ruhe niederlege, um wieder zur Arbeit der kommenden Woche gestärkt zu werden, durchforsche ich nun mein Inneres, ob der heutige Tag auch heilige Eindrücke auf mich zurückgelassen und mich in Wahrheit dir näher gebracht hat. O! du hast mich heute so mannigfaltig gesegnet, an Leib wie an Geist, und deine Güte hat mir sowohl irdisches als himmlisches Manna bereitet! Ich schöpfte ja aus dem Quell deiner Liebe durch alles, was ich von der milden Hand der Natur empfangen, durch alles, was ich in dem Kreis meines eigenen Hauses genossen, durch das festliche Mahl und noch mehr in der Andachtsstunde durch dein göttliches Wort. Aber ach, mein Gott! habe ich dir in Wahrheit all meinen Dank gezollt? Wie manchen Vorwand habe ich benutzt, um mich allem zu entziehen, wozu mich der Tag rufen sollte; wie ließ ich doch kleinliche Sorgen und Freuden mich davon abhalten, dich und dein Haus aufzusuchen; warum hatte ich Zeit zu allem, und nicht zu dem, was der Sabbat mir auferlegt? Und selbst im Verkehr mit dir--wie lau war gleichwohl meine Andacht, wie zerstreut waren meine Gedanken, während ich deinen Namen anrief; wie wenig wurde ich beim Hören deiner Worte entflammt! Verzeihe mir, o ewiger Vater, und entziehe mir deine Gnade nicht! Auch den frommen Vorsatz rechnest du ja dem schwachen Menschen als Tugend an, auch der gute Wille gilt ja vor dir als eine wohlgefällige Tat! Gib du mir Kraft, diese zu vollführen, erneue in mir mit der neuen Woche einen festen Geist, und lege eine neue liebreiche Gesinnung in mein Herz, ein neues inniges Verlangen, dir anzugehören! Bewahre mich und die Meinigen in dieser Nacht und stärke mich, daß ich morgen neu gestärkt zu dem Werk eile, das du mir angewiesen für die Tage meiner irdischen Wallfahrt, laß deine Huld und Gnade mir zuteil werden, daß ich mich vorbereite zu einem seligen Ende. Amen! III. Gebete an den Feiertagen. Abendgebet an den drei Festen: Peßach, Schabuoth (Wochen-) und Succoth (Laubhüttenfest). 31. Allgütiger und allheiliger Gott! Ich danke dir, daß du mich diesen Abend hast erleben lassen, daß ich wiederum ein heiliges Fest feiern kann, welches mich erinnert, wie du in deiner Weisheit den Kreislauf der Zeiten geordnet und wie du, o Allmächtiger! alles zu seiner Zeit geschaffen hast,--ein Fest, das mir deine mächtigen Wunder der Tage der Vergangenheit ins Gedächtnis ruft, deine Wohltaten gegen unsere Väter, wie du ihnen Hilfe sandtest, sie leitetest und führtest, Wohltaten, die sowohl das Heil Israels als auch das der Menschheit überhaupt gefördert haben. Ich danke dir, daß du mich dieses heilige Fest hast erleben lassen, das meine Gotteserkenntnis bewähren, meinen Glaubensbund erneuern und mich in demselben befestigen soll, und das mich an deine ewigen Verheißungen erinnert, die du an jede Festzeit geknüpft hast. Ja, ich danke dir, daß du, das unvollkommene Wesen des Menschen berücksichtigend, dieses dein Fest eingesetzt hast, damit die heilige Glaubensflamme in uns allen lebendig erhalten werde. O, möchte doch alles sowohl in mir als um mich her das heilige Festgewand anlegen, möchte ich in dieser Nacht mich von deinem väterlichen Schutze umschattet fühlen, möchte ich sowohl, als alle, die mir angehören, von dem seligen Gefühl ergriffen werden, mit welchen das Fest jeden erfüllen sollte. Bewahre mich und meine Lieben vor allem, was den Frieden der Nacht und des Festes stören könnte, und laß mich morgen in der versammelten Gemeinde festliche Freude und festliche Erbauung mit all denen genießen, die dich suchen, deine Güte empfinden und dich anbeten, dich, der du »in Gnade und Barmherzigkeit festliche Erinnerungstage für deine Wunder eingesetzt hast«,[25] O sprich zu mir:»Du bist mein Diener, von dem ich gepriesen werde.«[26] Gepriesen sei dein Name in Ewigkeit. Amen! [Fußnote 25: Ps. 111, 4.] [Fußnote 26: Jes. 49, 3.] Morgengebet für den ersten und zweiten Tag des Peßachfestes. 32. Mit Dank erhebe ich mein Herz zu dir, o Ewiger, daß du in der kalten, dunkeln Nacht des Winters mir Schutz gewesen bist, daß die Winterzeit nun dahingegangen, und milde Lüfte mich wieder anwehen. Alles, was im Schlummer gelegen, ist wiederum erwacht, die gefesselt gewesene Natur ist wieder befreit. O, mein Gott, rührt sich wohl auch in mir dieses neue Leben? Bin auch ich frei geworden und wandre nicht mehr in der schmählichen Knechtschaft der Welt? Hat nicht die himmlische Saat in meiner Brust auch im Schlafe gelegen vor der Kälte der Welt, wie die Saat des Ackers vor dem Winterfrost? Habe ich wohl in den vielen langen Nächten nach dem himmlischen Lichte in deinem heiligen Gesetze gesucht, in stiller Zurückgezogenheit über dein Wort geforscht und die dunkle Tiefe meines eigenen Herzens bei dem klaren Lichte deiner Lehre untersucht? Oder habe ich vielmehr durch allerlei irdische Lust und Freude nur noch mehr jedes höhere Gefühl in mir in Schlaf versenkt und durch die Menge weltlicher Zerstreuungen den klaren Funken von deinem Geiste, der in mir noch geglommen, völlig ausgelöscht? Habe ich nicht manchmal Kälte und Unwetter nur als Vorwand vorgeschützt, um dein Haus nicht zu besuchen? O! dieses Fest ist es, das mir solche mahnende Erinnerungen gibt. An diesem Tage war es ja, daß du unsere Väter aus dem Joche Ägyptens erlöstest, daß ihr Geist von dem Sklavensinne befreit ward, und sie anfingen, als freies Volk zu leben und sich als solches zu fühlen, daß sie sich dazu erhoben, deine Diener zu sein. Im Glauben an dich traten sie ihre große Wanderung durch die Erdenwüste an, damit sie, dem Lichte gleich, in der Finsternis der Welt leuchten sollten, um sowohl in den Freuden als auch in den Leiden des irdischen Lebens, deinen Namen zu verehren und anzubeten, und das Lamm zu sein, welches seine Unschuld und Reinheit bewahrt und gerne das Opfer der Welt sein will, aber auch selbst der Priester ist, der es darbringt, um das Werk zu vollbringen, das du Israel aufgetragen: dein Reich auszubreiten, und es zu befestigen. O, ich fühle, wie weit entfernt ich noch davon bin, ein würdiges Glied in Israels Gemeinde, wie weit entfernt davon, dein freigeborner Sohn zu sein, der das Joch der Welt abgeworfen, und dein Diener, der sich von jedem Joche des Vorurteils frei gemacht und weder von dem hohlen Wesen des Unglaubens, noch von den Irrtümern des Aberglaubens gefesselt ist. Ach, der Sauerteig der Sünde füllt noch meine Brust, und Eitelkeit, Wollust und Habsucht betören mich. O, möchte ich doch, indem ich den Sauerteig aus meinem Hause forträume, auch meinen Sinn läutern! Ja, ich will an diesem Feste meinen Lebenstag aufs neue beginnen und mich selbst wieder zum Glauben erwecken. Ich will die Erinnerungen aus den Tagen meiner Kindheit auffrischen, da fromme Eltern an diesem Feste die gute Saat in meine Seele ausstreuten; ich will mir Israels wunderbare Leitung wieder vor die Seele rufen, von der Zeit an, da es durch deine kräftige Hand, o Gott! aus Ägypten geführt worden, bis auf diesen Tag, um immer mehr zu erkennen, daß es unter deiner väterlichen Obhut steht, daß es aber noch nicht seinen hohen Beruf erfüllt und daß jedes Mitglied der Gemeinde Israels dir und seinem hohen Berufe sein Leben und seine Kraft weihen soll. Aber was ich auch will,--nichts vermag ich doch ohne deinen gnädigen Beistand. Dein Geist sei mit mir und den Meinigen in dieser festlichen Zeit, daß wir sie feiern zu deinem Wohlgefallen, zur Verherrlichung deines Namens. Amen! Ein anderes Gebet für den Peßachmorgen. 33. Wie lange auch der Winter gewährt, wie viele Sehnsuchtsseufzer in den dunkeln Nächten zu deinem Himmel emporgestiegen, so habe ich doch unter deinem Schutze, Allbarmherziger, den Anbruch der milden Jahreszeit erlebt. So gedenke ich auch heute, daß durch deine Güte auf gleiche Weise vor Jahrtausenden die Morgenröte der Freiheit für das Menschengeschlecht anbrach. Du beriefest Israel, deinen Erstgeborenen, eine Gemeinde zu deiner Anbetung zu bilden, damit die Nacht des Heidentums nach und nach verschwinde, und alle Unterdrückung aufhöre. Ja, lange hatten meine Vorfahren in Druck und Elend geschmachtet und viele hatten schon jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben, ja, hatten schon aufgegeben den Glauben an die Verheißungen, die ihnen von Geschlecht zu Geschlecht überliefert waren; doch die Stunde der Errettung kam, und sie kam früher, als selbst die Gläubigsten geahnt hatten, sie kam in der tiefsten Finsternis der Nacht.--O, ich sehe wohl, noch seufzt die Welt unter dem Joche der Knechtschaft, noch bekämpfen Völker einander mit blutigen Waffen, noch herrschen die Schrecken des Krieges und noch werden wir von Eigennutz getrieben. Menschenfurcht hält noch den Geist gebunden und völlig machen wir uns zu Sklaven törichter Eitelkeit, und Gold und Ehre und Macht sind die Götzen, die die Menge anbetet, und Laster und Leidenschaften üben eine mächtige Herrschaft aus, sowohl über das ganze Menschengeschlecht, als über jeden Einzelnen. Doch du, »dessen Name von Ewigkeit zu Ewigkeit währt, und der du unser Erlöser bist«, du wirst dennoch endlich die Erlösung kommen lassen, so gewiß, als du sie verheißen hast. Du wirst die Zeit kommen lassen, in der »alle in Freundschaft mit einander wohnen, die Schwerter zu Pflugscharen schmieden werden und das Kind mit der Schlange spielet«,[27] da das Gift der Sünde von ihr genommen sein wird. Diese Hoffnung soll das Fest in meiner Brust erneuern, und ich weiß, daß auch mir ein wenig Kraft verliehen worden, in deinem Dienste für das Kommen deines Reiches zu arbeiten. O, Herr! laß mich denn das Joch brechen, das noch auf mir lastet, laß mich von Hochmut und sündiger Lust gereinigt werden, und laß mich erkennen, daß nichts auf Erden mir als Eigentum angehört, sondern daß mein Besitz ein anvertrautes Gut, ein Darlehen von dir ist. Um nun von diesem Bewußtsein durchdrungen zu werden, wird ja auch in Israel jede erste Gabe des Lebens dir geheiligt, deshalb gehört dir ja die erste Erntefrucht des Jahres, und brachten eben ja am heutigen Tage unsere Väter das heilige Omer als Opfer der Erstlinge dir dar. So will ich denn gedenken, daß alles eine unverdiente Gabe aus deiner Hand ist, und wie sehr ich auch dafür gearbeitet habe, so ist doch nur der Genuß, wie von dem eines nur zur Benutzung anvertrauten Gutes mir davon gestattet, die Seele aber darf nicht daran hängen; denn es ist ja alles eitel und nichtig, die Seele aber schufst du für das Ewige, und der hat schon jetzt das ewige Leben, der nur an dir festhält. Gib, o du mein himmlischer Vater, daß ich in solcher Hoffnung an diesem Feste wachse und wecke sie bei allen meinen Brüdern, ja laß die zuversichtliche Erwartung bald das Menschengeschlecht erfüllen, daß einst der Tag erscheine, »da der Herr einzig sein wird und sein Name einzig.« Amen! [Fußnote 27: Jes. 2, 4; Micha 4, 1--3, Jes. 11, 8.] Morgengebet an den beiden letzten Tagen des Peßachfestes. (2. B. M. 24, 15.) 34. Wo ist wohl die Wohnung eines Frommen, in der man nicht heute mit Freuden Siegesgesänge anstimmt:»die Rechte des Herrn ist erhaben, die Rechte des Herrn hat das Siegeswerk vollbracht!« O, auch mein Haus soll von Siegesgesang erschallen und von Dank für deine wunderbare Hilfe, da Israel so kurz nach der Befreiungsstunde, am Rande des Verderbens stehend, nur im Aufblick zu dir, im Gebete, Mut und Rettung fand. Auch hier in meinem Hause soll ein Dankfest gefeiert werden, dafür, daß du an diesem Tage »den Glauben an dich und an Moses, deinen Diener, in den Herzen unserer Väter befestigt hast. Und hat es nicht auch in meinem eignen Leben so manche Stunde der Gefahr gegeben, in der ich oder einer der Meinigen gleichsam über einem Abgrunde schwebte, so manchen angstvollen Augenblick, in welchem ich verzagte und nicht fest in meinem Glauben war? Doch du halfst mir und du stärktest meinen schwachen Glauben! O, indem ich dir nun danke, will ich auch nicht vergessen an diesem Dankfest denen zu danken, die du als Werkzeug gewählt hast, mir zu helfen, mich zu stärken und zu trösten oder auch zu belehren. Wenn so viele, weit entfernt solches anzuerkennen, undankbar sind, so will ich in der Feststunde mir aufs neue die Pflicht der Dankbarkeit und Erkenntlichkeit ins Gedächtnis rufen, will auf meinen Vater (meine Mutter, meine Gattin, meine Kinder usw.) mit Dank für all das Gute, das mir von seiner (ihrer) Hand zuteil geworden, hinblicken und will mit Tränen der Dankbarkeit aller meiner Wohltäter gedenken, wenn sie auch schon im Grabe schlummern; ja, derer will ich gedenken, die mich als Kind in ihre zärtlichen Arme geschlossen und meine Jugend geleitet haben; meines Lehrers, der meinen Geist erleuchtet und mir den Weg des Lebens gezeigt hat, und aller, die mir jemals Rat erteilt und mit ihrem Beistande mich in meinem Berufe unterstützt haben. Gib mir, o, Ewiger, Gelegenheit und Kraft, ihnen allen meinen Dank durch die Tat beweisen zu können! Und wenn ich so viele teure Wesen vermisse, denen ich nichts von der Schuld meiner Dankbarkeit habe abtragen können, wenn vielleicht einer meiner Brüder gerade zur Festzeit den Verlust eines Freundes, eines Gönners oder Helfers beklagt, wenn der eine oder andere sich einsam und verlassen fühlt, o! so laß in seiner wie in meiner Seele das trostreiche Wort laut ertönen:»Stehe still und sieh die Hilfe des Herrn!« Denn du, o Herr, bist ewig und immer, und ewig lenkst du meinen Weg. Dir will ich stets aus ganzem Herzen danken, und deinen Namen will ich ehren in aller Ewigkeit. Amen! Morgengebet am Wochenfeste. 35. Ewiger, hochgepriesener, einziger Gott!--O! wie könnte ich heute deinen heiligen Namen aussprechen, ohne dir zugleich dafür zu danken, daß du den Menschenkindern dich offenbart und deinen heiligen Willen ihnen kund getan hast. Du hast ja zu ewigem Angedenken daran dieses Fest der Gesetzgebung und der Offenbarung eingesetzt! Deine größte Liebe gegen die Sterblichen zeigtest du an jenem Tage, da du uns deinen väterlichen Willen kund getan, da du das Himmlische dem Geschlechte der Erde offenbartest, daß wir es erkennen und des himmlischen Reiches teilhaftig werden. Auch ich bin dazu berufen und kann zu den Glücklichen und Seligen gezählt werden; auch für mich hast du deine Worte verkündet. Ja, ihre Herrlichkeit leuchtet der ganzen Welt; obschon unbewußt lebt, und atmet sie in derselben, und würde sie ohne dein ewigstrahlendes Licht in Finsternis eingehüllt sein. So soll denn der Unglauben eben so wenig wie der Aberglauben Herrschaft über mich gewinnen. Aber ach! wenn ich mich im Lichte deines geoffenbarten Wortes prüfe, muß ich da nicht beschämt bekennen, daß es in mir oft verdunkelt worden und nicht in voller Kraft in all meinem Denken und Tun widerstrahlte? Nahm ich nicht oft den Schein für die Wahrheit und Menschenklugheit und Blendwerk oder meine eigenen törichten Meinungen für Gotteserkenntnis, und Vorurteil für Überzeugung?--War ich wohl fest in deinem Gesetze zu allen Zeiten, daß es mit Flammenschrift auf den Tafeln meines Herzens eingeschrieben stand als ein ewiges Bundeszeugnis, als ein Zeugnis meiner Treue und meines Strebens, dich und deinen Willen immer klarer zu erkennen? War ich nicht zuweilen hartnäckig und rühmte mich da der Festigkeit, oder hielt ich nicht zuweilen die Zweifel, die sich in meiner Brust erhoben und das Schwanken meines Geistes für Fortschritt? Darum bitte ich dich, du, »dessen Wort ewig ist, dessen Wahrheit fest steht von Geschlecht zu Geschlecht«, o, leite meine Schritte auf die Bahn deines Wortes, daß ich nie davon weiche, weder zur Rechten noch zur Linken, und laß nicht die Sünde und das Verderben Macht über mich gewinnen! Laß mich erkennen, daß »der Mensch nicht vom Brote allein lebt, sondern von allem dem, was aus deinem Munde kommt«,[28] und wecke in mir ein beständiges Verlangen nach diesem Lebensbrot, daß deine Zeugnisse mein ewiges Erbteil seien, meines Herzens wahre Freude, meiner Seele Seligkeit. Amen! [Fußnote 28: 5. Buch Mosis 8, 3.] 36. Heute, da ich der höchsten und heiligsten Gabe gedenke, mit welcher du, mein Gott, vom Sinai aus deine Menschenkinder begnadigt hast,--wie danke ich dir da, daß ich Israels Glauben bekenne! Wie hilflos und verlassen würde ich sein, wollte ich Licht und Leitung bei den Weisen der Welt suchen, die so oft einander widersprechen, und von denen der eine niederreißt, was der andere als ein unerschütterliches Gebäude aufgerichtet. Ja, ich danke dir, mein Gott, daß ich ein Israelit bin, und ich die heiligen Stammväter und alle Propheten, die du mit deinem heiligen Geiste erfülltest, zu Leitsternen für mich auf meiner Bahn habe, und daß du auch für mich das Wort leuchten ließest, welches du selbst in deiner Gnade kund getan hast, das Wort, das felsenfest allen Stürmen der Zeit Widerstand geleistet, und das der Spott der Leichtsinnigen, die Geringschätzung der Weltlichgesinnten nicht zu erschüttern vermocht hat. Ja, wohl muß ich meines Glaubens wegen zuweilen Kummer und Beschwerden erdulden, und wo ich als ernster Israelit nach deinem Gesetze und deiner Lehre wandern will, da werde ich oft von außen und von innen von Feinden bedrängt;»denn die, welche an deinem Worte festhalten und in seinem reinen Geiste wandern, müssen oft unter Kedars Hütten wohnen, unter denen, die den himmlischen Frieden hassen.« Aber du läßt mich die Wahrheit deiner himmlischen Lehre erkennen, und nicht weltliche Freuden und nicht irdische Bande sind es, die mich an sie binden; denn du hast sie als Preis für mannigfältige Kämpfe gegeben, und gerade unter diesen soll sie ihre Gotteskraft beweisen. O, so stärke mich denn, wie du unsere Vorfahren gestärkt, daß ich dieses Kleinod wie meinen Augapfel bewahre und es auf die kommenden Geschlechter vererbe. Laß seine Herrlichkeit immer mehr mir strahlen, und laß mich darin unablässig für mich und für alle die Meinigen Leben und Licht, Trost und Frieden finden. Amen! Am Neujahrsfest (Rosch Haschana). Am Vorabend des Festes. 37. Herr, unveränderlicher, ewiglebender Gott! sieh gnadenvoll nieder auf dein Kind, das kaum sich aufrecht zu erhalten vermag unter den wechselnden Gefühlen, die es an diesem heiligen Abend überwältigen, der das hingeschwundene Jahr von dem neuen trennt, welches sich aufzurollen beginnt. Denn erscheine ich mir doch fast selbst ein Wunder, wenn ich mir alles in Erinnerung zurückrufe, was mir in dem dahingeschwundenen Jahre widerfahren und begegnet: Freuden und Sorgen, Erquickungen und Bekümmernisse, Leiden und Momente des Glücks. Ja, jede Stunde, jeder Augenblick gab das Zeugnis, daß du mich auf den Armen deiner Liebe trägst, daß deine Huld mich umschwebt. Und ach! wie wenig habe ich all dieser Güte entsprochen, wie oft verzagte ich, und wie oft strauchelte ich! Und sehe ich hin auf die vielen Wünsche und Erwartungen, die sich nun in meiner Brust regen, und die ich nun vor dir für die kommende Zeit aussprechen will, o Herr und Vater, wo soll ich da beginnen und wo enden? O du, der du den Gedanken kennst, ehe er noch ausgesprochen wird, du weißt ja, wessen ich bedarf, und was zu meinem Wohle und dem Wohle der Meinen dienen kann. Darum empfehle ich mich deinem gnädigen Schutze und bitte nur um dieses: laß mich mit dem hingeschwundenen Jahre auch aller meiner Sünden ledig werden, und laß für mich ein Jahr beginnen, welches in Wahrheit ein neues ist, ein Jahr, in welchem ich mehr und mehr deine Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe erkenne, ein Jahr, das von Anfang bis zum Ende Zeugnis gebe von meinem eifrigen Streben, dir zu gefallen, und von meiner Hingebung an deine väterliche Leitung. Und so will ich denn getrost das neue Jahr antreten, denn ich weiß, daß du, Allgütiger, mir nahe bist, und daß du mein Gebet erhörest. Amen! Neujahrstag. 38.»Lobsinge dem Herrn meine Seele und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat«, das ist mein erster Gedanke, mein erstes Gefühl an diesem Tage. Und dieses Sinnen taucht nicht in meinem Innern auf, ohne daß meine ganze Seele sich zu der Bitte erhebt:»Mein Gott, vergib mir meine Sünden!« Denn ich weiß es gar wohl, daß ich alle Zeit vor deinem Angesichte stehe, und daß dein Auge mir folgt auf allen meinen Wegen. Aber heute, da ich so vieler Wohltaten mich erinnere, die du in einer langen Reihe von Tagen mir erwiesen hast, wie oft du meine Seele mit Freude erfülltest, mir Stunden schenktest, in denen ich mich so glücklich fühlte, wie oft du mir halfst bei meiner Arbeit, mich erfreutest durch den Anblick meiner Lieben, durch die Umgebung liebevoller Herzen und froher, freundlicher Gesichter, mich stärktest in schweren Augenblicken, mich Trost und Linderung finden ließest unter Schmerz und Sorge, ja mir so oft helfend zur Seite standest, mich, wenn die Versuchung mir nahte, und ich nahe daran war zu wanken, aufrecht hieltest in meiner Schwäche--heute muß ich die Last aller meiner Sünden um vieles schwerer fühlen, und all meine Schuld tritt mir vor die Seele. Jeder Tag, jede Stunde des verflossenen Jahres klagt mich ob meiner Versäumnisse an; wie oft habe ich nicht meine Pflicht vergessen, meinen Beruf als Mensch, als Israelit! Heute, da ich nicht nur so viele deiner Wohltaten gegen mich vergessen habe, sondern auch so manchen sündigen Gedanken, so manche unrechte Tat, die ich mir habe zuschulden kommen lassen, heute fühle ich es mit Furcht und Beben, daß ich von dir gerichtet werden soll, dir, dem Allwissenden, der all mein Tun und Lassen kennt, dem auch die verborgensten Gedanken meines Herzens offenbar sind und dessen Auge die Tat sieht, die keinen irdischen Zeugen hatte; o ja, heute erkenne ich vollkommen, wie ich all deiner Güte und Barmherzigkeit nicht wert gewesen bin. Und stehe ich nicht heute vor einer unbekannten Zukunft? Wie zahlreich sind meine Wünsche, wie mannigfaltig meine Hoffnungen, die ich an die kommenden Tage knüpfe, und wie erbebe ich bei dem Gedanken, was sie vielleicht für mich oder für diejenigen in ihrem Schoße bergen, die ich mehr noch liebe als mich selbst! O, wie konnte ich wohl der Zukunft vertrauensvoll entgegen sehen, wenn nicht deine Verzeihung mir würde auf meinem neuen Wege. O Allgütiger! Nimm mich und die Meinen in deine treue Hut, laß deine Gnade mir leuchten in dem neuen Jahre, unterstütze mich darin, daß ich das Gute übe, hilf mir, jede sündige Lust zu überwinden. Halte fern von mir jede Versuchung, und wenn du mir Kämpfe auferlegst, so verleihe du mir auch die Kraft, siegreich aus ihnen hervorzugehen, und stärke mich, Haß und Neid, Rachsucht und der Sinne Lust zu bezwingen durch eine innige Liebe zu dir. Erneuere du selbst in mir das feste Vertrauen auf deine Hülfe, daß ich fest stehen möge im Glauben, und lehre mich, an jedem Tage mit neuen Liedern dir zu lobsingen, und deinen heiligen Namen zu preisen. Amen! 39.»Herr Gott, tausend Jahre sind ja vor dir, wie der Tag, der gestern vergangen ist, aber unsere Tage fahren dahin wie Rauch und verschwinden wie Schatten«,[29] und ehe wir es merken, stehen wir vor den Pforten der Ewigkeit. So haben wir, ich und die Meinen, heute wiederum ein Jahr zurückgelegt, wir stehen an der Schwelle eines neuen, und wir wissen nicht, wie viele unter uns am heutigen Tage vielleicht zum letzten Male die Neujahrssonne aufgehen sehen. O, mein Vater, ich habe so viele, die meinem Herzen wert und teuer sind, und denen ich so gerne noch eine Weile meine volle Liebe erweisen möchte, o, erhalte du sie doch am Leben und schenke ihnen Freude und Segen! Erhalte am Leben (meine alten Eltern, meinen teuren Vater, meine geliebte Mutter, meinen guten treuen Gatten usw.) breite deine schirmende Hand aus über (meinen Großvater, meine Großmutter, meinen Bruder, meine Schwester, Geschwister, Wohltäter, Freunde usw.) O, himmlischer Vater, von ganzem Herzen bete ich auch zu dir für die, welche ich mit mütterlicher Liebe umfasse: o, laß meine Söhne und Töchter leben, und laß dieses Jahr ihnen Glück und Frieden bringen, führe du sie den richtigen Weg, daß auch meine Seele sich darüber freuen möge; verleihe du ihnen Kraft und Gesundheit; laß sie erzogen werden und aufwachsen in deiner Furcht und Erkenntnis, dir zum Wohlgefallen und den Menschen.--Allerbarmer! auch für mich wage ich zu beten, wie sehr ich auch erkenne, daß ich sündenbelastet bin. O, verleihe du mir Stärke! Solltest du in diesem Jahre meiner Seele gebieten, zu dir einzukehren, so laß sie dahinziehen in Frieden, ist es aber dein Wille, mir noch ein Lebensjahr zu schenken, so laß es zum Segen für mich werden. Ja, solltest du es mir vergönnen, die Tage zu erleben, »da des Hauses Wächter erzittern, die Stützen sich beugen und der Blick umdunkelt wird!«[30] »so verwirf mich nicht, mein Gott, in meinem hohen Alter und verlaß mich nicht, wenn mein Haar grau wird und meine Kräfte abnehmen!«[31] Und wenn die Freude an dieser Welt mir schwindet, so laß du die Freude an dir und die Sehnsucht nach deinem Himmel um so stärker in meinem Innern werden. Ach Herr! stärke mich, daß weder Glück noch Unglück, weder Freud noch Leid mich von dir entfernen möge, daß alles dazu diene, mich meiner Vollendung näher zu bringen, und daß auch ich dereinst ein freundliches Andenken hinterlassen möge, und mein Gedächtnis in Segen bleibe. Amen! [Fußnote 29: Ps. 90.] Beim Schofarblasen. 40. Dir, o allmächtiger und liebreicher Gott, will ich huldigen als dem König der Welt! Deshalb ruft mich heute Schofars (der Posaunen) Schall auf zum Kampfe wider den Feind, der in meiner eignen Brust hauset, siehe, alle die verflossenen Zeiten mit ihren denkwürdigen Begebenheiten ziehen an meiner Seele vorüber, indem mein Ohr auf diese Töne lauscht. Im Geiste sehe ich des Widders Horn vom Gebüsch festgehalten, mich daran erinnernd, wie jener Patriarch die schwere Prüfung bestanden. Ach Herr, wie oft seufzte ich doch, selbst bei dem Geringsten das mich heimsuchte; wie werde ich bestehen, wenn du beschlossen haben solltest, meine Treue auf gleiche Art zu prüfen? Und im Geiste höre ich gleichsam das Wort des Bundes, wie es verkündigt wird unter Posaunenschall, und ich erbebe; denn mit zerknirschtem Herzen muß ich es bekennen: Ich habe deinen heiligen Bund nicht gehalten. Es ist mir, als ob der Propheten gewaltige Stimme, ihre Warnungsrufe und Ermahnungen, ihre Predigt zur Buße und Umkehr und die Verkündigung des mahnenden Gerichts in dieser Stunde an mein Ohr dringe, und ich erbebe. O Ewiger! laß diese Töne mich aus meinem Schlummer wecken, laß sie mich mit Reue erfüllen über die Tage der Vergangenheit, welche ich nicht für das ewige Leben benutzt habe, aber auch zugleich mit dem Trost, daß du als ein huldreicher Herr mit Erbarmen auf deinen bußfertigen Diener herabschauen, und daß du, ein gütiger Vater, dein reuiges Kind in Liebe wieder zu Gnaden aufnehmen wirst. Stärke mich in der Prüfungszeit, laß mich widerstehen allen Versuchungen der Welt, laß mich siegen über die sündige Lust und verachten den Spott der Ungläubigen. Ja, laß diese Stunde gnadenbringend sein für mein Herz und meine Seele, daß ich von dieser Zeit an wandern möge in dem Lichte deines Angesichtes. Amen! [Fußnote 30: Koheleth 12, 3. ff.] [Fußnote 31: Ps. 71. 9.] Am großen Versöhnungsfeste (Jom hakippurim). Zu Anfang des Abendgottesdienstes (Kol nidre). 41. Barmherziger Vater! Wie erbebt mein Herz, wie zittert meine Seele, da ich mich dir an diesem heiligen Abend nahe, da des Himmels Tore sich vor dem bußfertigen Sünder, der um Versöhnung bittet, auftun. So will ich denn mit all meinen Gedanken dich suchen und bei dir weilen, und mit aufrichtigen Worten der Reue deine Verzeihung mir erflehen. Ach Herr! Treten nicht meine Gedanken und Reden vor deinem Richterstuhle wider mich auf? Wer vermöchte alle sündigen Gedanken zählen, die in meiner Seele aufgestiegen; und wie oft hatten nicht unlautere, habsüchtige, rachgierige Wünsche und Begierden in meiner Brust sich geregt! Es tauchen verlangende Gedanken in meinem Herzen auf, vor denen ich selbst erschrecken muß, und doch habe ich ihnen damals Raum gegeben, anstatt sie zu verscheuchen, und habe so oft meine Seele mit ihnen befleckt!--Herr! Herr! Wie könnte ich wohl ohne Erröten meine Gedanken jetzt zu dir erheben, und wie darf ich es wagen, meine Lippen jetzt zum Gebet zu öffnen, da ich doch weiß, wie oft dieselben Lippen sich schon zur Schmeichelei oder zum Spott, zu Verleumdung, Hohn und Kränkung öffneten! O ewiger Richter! Ich habe leichtsinnige, zweideutige, heuchlerische, falsche, verführerische und unlautere Worte geredet, Worte die dich und dein Gesetz schmähten! Ich habe unüberlegt Versprechungen gemacht, die ich nicht gehalten habe! Ach ich erinnere mich in dieser Stunde nicht nur der leeren Versprechungen, die ich meinen Nächsten gegeben, sondern ich denke auch daran, wie oft ich gelobt habe, mein Leben dir, mein Gott, zu weihen, und in Zucht und Rechtschaffenheit vor dir zu wandeln, wie oft ich gelobt habe, deine Gebote zu halten, und mich und mein ganzes Wirken zu heiligen, und daß ich, ach, nicht minder oft mein Gelübde dir gebrochen habe! Darf da derselbe Mund nun wagen, um Gnade zu bitten, der so oft die Sprache, die Gabe deiner Gnade mißbraucht hat? Ach, ich will an die Pforte deiner Gnade anpochen und um Eingang flehen, und sieh! die Schlüssel, welche du mir gabst, des Himmels Tore mir zu öffnen, und mir den Weg zu dir zu bahnen: »Gedanken und Worte«, die treten anklagend wider mich auf. O! so vergib mir vor allen Dingen, was ich bis auf diese Stunde in Gedanken und Worten gesündigt! Sieh, Allgütiger, die tiefe Trauer, welche mich ergreift, und verbirg die Menge meiner Sünden unter dem Mantel deines Erbarmens: reinige meine Seele von unlauteren Gedanken und laß die Glut der Andacht hier in deinem Heiligtum alles Unlautere meines Geistes verzehren! Laß meines Herzens Angst und Reue »eine glühende Kohle von deinem heiligen Altar« sein, die meinen Mund berührt, während mich deine Zusage tröstet:»Siehe! diese hat deine Lippen berührt, dein Vergehen ist getilgt, und deine Sünde soll gesühnt sein!«[32] Vergib mir jedes übereilte Wort, das ich gesagt habe, und lehre mich von dieser Stunde an, meine lose Zunge zügeln; vergib mir die unbedachten Versprechungen, die ich gegeben habe, und erfülle mich mit der Gewißheit, daß du ein huldvoller Vater bist, der seinen Kindern gerne vergibt. Ja laß mich dir danken, daß du mich diesen Tag hast erleben lassen, und laß mich ihn vom Abend bis zum Abend dazu benutzen, durch Gebet und Buße in innerliche Gemeinschaft mit dir zu treten. Amen! Zum Morgengottesdienst (Schacharis). 42.»Herr! Herr! allmächtiger, barmherziger und gnädiger Gott, langmütiger und von großer Güte und Treue, der die Liebe bewahrt bis ins tausendste Geschlecht, Übertretungen und Sünden vergibt und doch nichts ungestraft läßt!«[33] Du unerschöpflicher Quell der Gnade! ich beuge mich vor dir in den Staub und bete deinen Namen mit unendlichem Danke an, denn du hast mir diesen Tag zur Rettung meiner Seele geschenkt. Was wäre ich doch, und wie sollte ich die schwere Bürde aller meiner Sünden tragen können, wenn du nicht diesen heiligen Tag dazu bestimmt hättest, sie von mir zu nehmen, von meinen Übertretungen mich zu reinigen und meine Schuld zu sühnen, oder wie könnte ich mich davor retten, tiefer und tiefer zu sinken, wenn ich nicht durch Fasten, Gebet und Buße am heutigen Tage an alle meine Sündenschuld erinnert würde, und deine liebende Vaterstimme mich heute nicht von meinem Irrweg zurückriefe und mir den Tag des Gerichts vor Augen stellte, der einst für jeden Sterblichen erscheinen wird, aber mir auch zugleich wiederum deine Gnade zeigte, die gerne verzeiht und mir zuruft, daß ich, »dich suchen und leben soll«. Wohl weiß ich, o Gott, daß du stets alle meine Wege schaust, und daß deine Stimme mich ohne Unterlaß zu warnen sucht, aber das ist ja gerade mein Vergehen, daß ich darauf nicht achte. Ja gewiß, meiner Sünden Menge würde zuletzt allen Frieden und jegliche Ruhe aus meiner Brust verjagen, sie würde mich tiefer und tiefer ins Verderben stürzen und niemals zur Prüfung meiner selbst kommen lassen, wenn du nicht diesen großen Sabbat[34] eingesetzt hättest, der meiner Seele den heiligsten Frieden und die seligste Ruhe verschaffen soll. Siehe, indem ich diesen heiligen Tag in deinem Heiligtum zubringe, so werde ich daran erinnert, daß ich selbst heilig sein soll, denn du, o Gott, bist heilig und in deinem Lichte soll ich mich, meinen Sinn und meinen Wandel läutern.--Ach, Herr, wenn ich alle meine Versündigungen bekennen wollte, wo sollte ich da anfangen und wo aufhören? O! so oft ich an diesem Tage mit der Gemeinde das Sündenbekenntnis (Viduj) widerhole, so laß mich tief in das Innere meines Herzens schauen und mich selbst prüfen, ob die Sünden mich nicht in ihr Garn gelockt haben. Laß mich untersuchen, ob ich auch unverrückbar ein sittlich heiliges Ziel bei all meinem Tun und Handeln vor Augen habe, das ich vor den Menschen dereinst zeigen und mir selber auch gegenüber stellen darf, wenn ich im Gebete vor deinem Angesicht stehe. Schaue gnädig auf die Tränen meiner Reue herab, und laß die Zerknirschung meines Herzens dir ein angenehmes Sühnopfer sein. Schenke mir deine Verzeihung für jedes Mal, daß ich meine Pflicht als Mensch (als Mutter, Tochter, Schwester, Verwandte usw.), als Israelitin versäumt habe, vergib mir, daß ich so oft die Menschen mehr als dich gefürchtet habe, verzeihe mir, daß ich rasch zur Lust der Welt und zögernd zu deinem Dienste, daß ich eifrig zum Schlechten und langsam zum Guten, verschwenderisch für den Genuß und geizig für Wohltaten gewesen bin. Gerechter Gott! Verfahre nicht mit mir nach meinen Sünden, sondern nach deiner großen Barmherzigkeit welche gern vergibt. Ja, erbarme dich über mich und hilf mir in deiner Liebe, daß ich an diesem Tage der Versöhnung von neuem geheiligt werde; führe du mich selbst zurück auf deinem Wege, daß ich zum Guten und zur Wahrheit Umkehr halten möge, denn du bist Herr, mein Gott. Amen! [Fußnote 32: Jesaias, Kap. 6.] [Fußnote 33: 2. Buch Mosis, 34, 6. ff.] [Fußnote 34: Schabbos Schabboßaun.] Beim Mittagsgebet (Mussaph). 43. Je länger ich heute in deinem Haus verweile, Allheiliger, je mehr ich mich selbst betrachte, indem die Quelle jeder Sinneslust gehemmt ist, und das Brausen der Leidenschaften in meiner Brust erstirbt, je klarer ich mir bewußt werde, daß ich hier vor deinem ewigen Richterstuhle stehe, wo nicht nur die Sünden, welche alle Welt sieht und verurteilt, mir vorgehalten werden, sondern wo eine jede sündige Neigung, jede gottlose Begierde, jedes unnütze Wort, ja selbst die geringste Versäumnis in der Ausübung des Guten, die ich mir habe zu schulden kommen lassen, als Zeugen gegen mich auftreten, mich ohne Schonung vor dich zu Gericht bringen, dem alles offenbar ist, und mich meiner Selbsttäuschung entreißen, die meinen Geist sonst gefangen hält, um so mehr muß ich wieder und wieder dein Erbarmen anflehen: O, vergib, vergib mir, Allbarmherziger, wende mir deine Gnade wieder zu, daß ich in meinen Sünden nicht verderben muß! Aber darf ich mein Angesicht wohl zu dir erheben und deine Verzeihung mir erflehen, so lange noch die Stimme eines gekränkten Bruders meine Stimme übertönt, und so lange dies mein Herz noch nicht erfüllt ist mit »der Liebe, welche alle Vergehen zudeckt«?[35] Über wie manchen habe ich nicht in Blindheit und Leidenschaft ein ungerechtes Urteil gefällt, wie oft habe ich meines Nächsten Absicht verkannt, wie oft ihm feindlich entgegengestrebt! Herr! soweit ich meiner eigenen Lieblosigkeit Sünde kenne, will ich mich bestreben das Meinige zu tun, um meines Bruders, meiner Schwester Verzeihung zu erlangen, aber, ach, wie viel habe ich nicht vergessen, wie manche sind nicht von mir geschieden, ohne daß ich damals ihre Verzeihung erhielt oder sie jetzt noch erhalten könnte. So laß mich denn vor deinem Angesicht für mein Vergehen, das ich gegen diese begangen habe, Abbitte tun. Dein ewiger Geist, der in ihnen wirkt, tilge meine Schuld in ihrem Andenken. Und mich, o Herr, mich erfülle du mit dem reinen Geiste der Versöhnung. O, ich will allen Groll und allen Haß aus meiner Seele ausmerzen! Ich will jede Kränkung für nicht geschehen erachten und jedes Versehen gegen mich verzeihen, und wenn jemand auch noch so schlecht gegen mich und die Meinigen gehandelt hätte, und wer versucht hat, mir zu schaden und meine Ehre zu beflecken, ja, Herr, selbst meinem Todfeinde, ich will ihnen allen verzeihen, und sollte es mir schwer fallen, so will ich mich daran erinnern, daß gegen mich sich doch keiner so schwer vergangen hat, als ich mich gegen dich, Allgütiger, versündigt habe, und daß ich doch auf deine Verzeihung hoffe, weil du meine Schwäche kennst, und will mir ins Bewußtsein rufen, daß meines Bruders Versehen gegen mich auch aus derselben Quelle der Schwäche und des bösen Willens fließen. Ich will eingedenk sein dessen, was unsere Weisen sagen, daß wir von dir mit demselben Maß gemessen werden, mit dem wir andere messen und andere richten, und daß[36] des Menschen schönster Schmuck darin besteht, alle Verschuldung zu übersehen und zu vergessen!--O gnadenreicher Richter! so schaue denn herab auf meine Seele, die erfüllt ist mit Gefühlen der Vergebung, in der ein himmlischer Friede wohnt, den kein bitteres Gefühl gegen irgend einen Menschen mehr stört! Erhöre du auch meine Bitte um Vergebung meiner Sünden und erfülle meinen Geist mit der beseligenden Verkündigung: »Heute sollen deine Übertretungen getilgt werden und du sollst rein sein von allen deinen Sünden wider den Ewigen.«[37] Mit diesem Trost will ich mich heute vor dir in den Staub niederwerfen, vor dir, der du selbst verzeihst und gerne die Vergehen tilgst. Amen! [Fußnote 35: Spr. Sal. 10, 13.] Beim Nachmittagsgebet (Mincha[38]). 44. Hilf, o Ewiger, denn der Frommen Anzahl ist geschwunden und der Gläubigen sind wenig, erhöre mein Gebet für die Sünder, welche frech ihr Haupt erheben, und vergib die schweren Übertretungen, die so zahlreich und häufig sind. Ach, der Himmel umdunkelt sich vor meinen Blicken, wenn ich daran denke, wie schamlos Wollust und Unmäßigkeit auftreten und die jungen Seelen bestricken, wie sie die schönsten Verhältnisse vergiften, das Wohl der Familien untergraben und so manche den wilden, unmäßigen Lüsten zum Opfer fallen lassen, während sie zugleich ihre Laster unter beschönigenden Namen verbergen, oder wenn ich an den Trotz gedenke, mit dem man deine Gebote übertritt, dein mildes himmlisches Joch verhöhnt, ja sich sogar rühmt, es abgeworfen, und dafür das Joch auf sich genommen zu haben, welches die Welt in ihrer Verderbnis geschmiedet hat! O du, mein Gott, dessen Barmherzigkeit kein Ende nimmt, ich bitte dich: Vergib meinen Brüdern ihren Abfall und ihre Schuld, gehe nicht mit ihnen ins Gericht und strafe uns nicht in deinem Zorn um ihrer Übertretung willen! Und doch, darf ich wohl eine Fürbitte für die Sünder zu dir emporsenden, ohne daß mich mein eigenes Gewissen als Teilnehmer an ihren Vergehen anklagt? Wie oft bin ich es vielleicht gewesen, der Veranlassung zum Sündigen gab, oder habe ich stets hinreichend meine Abscheu vor dem Laster zu erkennen gegeben und all den Kummer sehen lassen, von dem ich ergriffen wurde, wenn die Sünde ohne Erröten auftrat? War meine Betrübnis nicht viel größer über den geringsten Verlust an zeitlichen Gütern, als darüber, daß sich die Frechheit und die Ruchlosigkeit meinen Blicken darstellten, oder daß ich sah, wie eine Menschenseele verloren ging! Entflammte mein Zorn nicht weit mehr über die geringste Beleidigung, die mir widerfuhr, als wenn ich Zeuge war, wie dein Name und dein Haus entweiht wurden! Ach, Herr, »flossen Tränenströme aus meinen Augen, weil deine Gesetze nicht beobachtet wurden? Wurde ich von Kummer verzehrt, weil deine Worte vergessen wurden?[39] Habe ich freimütig dich und deine Lehre bekannt, wenn der Gottlosen Hohn mich mit Schmerz erfüllte?« O, es ist so schwer, ohne Fehler zu wandeln, selbst wenn auch der Edlen und Heiligen Beispiel mir stets voranleuchtet, wenn meine Augen jederzeit sehen, allenthalben, was dir verhaßt ist, und mein Ohr beständig hört, was Sinne und Gedanken irreleitet und stört. O du, »der du dich über uns erbarmest, wie ein Vater über seine Kinder«, laß deine Gnade groß sein gegen die sündige Welt und hilf mir, mit Sorgfalt alles zu vermeiden, was mir zu einer Schlinge werden könnte. Errette mich bei den ernsten und heiligen Erinnerungen dieses Tages, o Herr, errette auch (meine Kinder, meine Angehörigen, meine Verwandten und Freunde, meine Dienstboten), daß kein sündiger Umgang sie von dir entfernen möge.»Läutere mich, o Allgütiger, erforsche mein Herz, prüfe meine Gedanken, sieh, ob der Weg, den ich wandle, zum Verderben, führt, und leite mich auf den Weg zur Ewigkeit!«[40] Möchten alle Sünder bedenken, wie nahe ihnen ihr Ende ist, wie bald das Leben ihnen verronnen, daß sie zur Zerknirschung geführt werden und zu dir umkehren möchten.»Verwirf mich nicht vor deinem Angesichte, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir, sondern laß mich deiner Gnade wieder froh werden, und schenke mir einen neuen und willigen Geist, daß ich den Übertretern deine Wege kund tue, und die Sünder sich zu dir bekehren möchten.«[41] [Fußnote 36: Spr. Sal. 19. 11.] [Fußnote 37: 3. B. M. 16, 30.] [Fußnote 38: Nach dem Thora-Lesen, 3 B. Mos. 18] [Fußnote 39: Ps. 119, 139.] [Fußnote 40: Ps. 139, 23.] [Fußnote 41: Ps. 51.] Zum Schlußgebet (Neïlah). 45. Vater, barmherziger Vater im Himmel! Es ist die letzte Stunde des heiligen Tages, welche jetzt naht. O, daß doch meine ganze Seele in diesem Augenblick sich von der Erde hin zu dir erheben möchte, als ob des Lebens letzte Stunde mir erschienen sei. Mit Gebet und Buße habe ich nun heute die Gelüste und Begierden meines Leibes besiegt, und doch, wie leicht ist nicht die Sehnsucht nach des Lebens Lust selbst mitten in meiner Andacht bei mir wach geworden, und selbst während ich reuevoll meine Sünden bekannte, konnte das Verlangen nach ihnen in meiner Brust nicht erstickt werden; ja, ja, vielleicht hat mich sogar der Wunsch erfüllt, daß dieser Tag schon überstanden sein möchte, gerade als ob dieser Tag an sich durch Fasten und Buße mir Ablaß für meine Sünden verschaffen könnte, und als ob ich alsdann frei wieder den Weg meiner alten Verirrungen betreten könnte, wenn er geendet habe. O, laß mich deshalb noch einmal aus allen meinen Kräften meine Gedanken und mein Inneres läutern, und laß meine heißen Tränen die Aufrichtigkeit meiner Reue bezeugen und dir ein angenehmes Sühnopfer sein, mit dem ich meines Herzens Gelübde besiegele, daß ich dich stets vor Augen haben will, und daß die Erinnerung an diesen Tag mit unverlöschbarer Schrift in die Tafeln meines Herzens eingegraben und mir nahe sein soll in jeder Stunde der Versuchung.--Herr! Zürne mir nicht, daß ich noch dieses letzte Mal zu dir bete; die Schatten des Abends breiten sich schon aus, und die dunklen Schatten meiner Sünden verfolgen mich; ich will sie verjagen und noch einmal meine Schuld bekennen, ich will an die Türe deiner Gnade anklopfen und deinen Namen anrufen, du einziger, ewiglebender Gott! Ich will mich unter dieser Anrufung dir heiligen mit Leib und Seele, und ich gelobe feierlichst, mich selbst in Liebe zu opfern. O, laß mich deiner Gnade Stimme vernehmen:»Ich, ich selbst tilge deine Übertretungen und will deine Sünden vergessen«[42] O laß meine Seele beim Ende dieses Tages mit heiliger Freude erfüllt sein, daß sie jubeln könne:»Selig, selig ist der, dem seine Übertretung vergeben und dessen Sünde getilgt ist! Selig ist der Mensch, dem der Herr seine Schuld nicht anrechnet, und selig der Geist, den der Herr von der Last seiner Sünden befreit hat!«[43]--Ja, laß meine erlöste Seele deinen Namen in alle Ewigkeit lobpreisen, du, mein Herr und mein Gott. Amen! Am Laubhüttenfest (Succoth). 46. Herrscher der Welt, der du die Liebe bist! Heute erinnere ich mich, wie wunderbar du unsere Väter durch die Wüste führtest, da du sie in Hütten wohnen ließest, und vertrauensvoll rufe ich aus:»Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln«[44] O, Dank sei dir gebracht, daß du mir dieses Freudenfest verliehen hast, das mich jedes Jahr in der Zuversicht bestärken soll, niemals vor der unbekannten Zukunft mich zu ängstigen, und niemals mich von den mannigfachen Sorgen überwältigen zu lassen, die ja oft in den Menschenherzen auftauchen. Denn meine Hütte ist in deinem Namen erbaut, und wenn ich auch jetzt nichts sähe als die öde Wildnis, so weiß ich doch, daß du dein Manna herniederfallen lassen kannst, daß du mir alles, dessen ich bedarf, verleihen und daß du deinen Schatten ausbreiten kannst über meine Wohnung. Und, wenn auch Stürme tosen und sie umzustürzen drohen, so will ich doch mit frohem Mute durch die Wölbung der Laubhütte zu deinem Himmel aufschauen, der seine Strahlen in meine Wohnung hernieder sendet und ich will mein Vertrauen auf dich setzen, der gerade unter den brausenden Stürmen die Saaten reifen läßt und den Bäumen die Kraft gibt, Frucht zu tragen, und der da will, daß auch der innere Mensch unter den Stürmen der Geschicke und der Zeit reifen und Kraft gewinnen soll, edle Frucht zu tragen. Aber auch daran will ich heute denken, daß gerade dieses Fest dazu eingesetzt ist, mich an die Pflicht zu erinnern, auch eine gebührende Sorge für meinen Körper zu hegen, und ich will froh sein, daß ich mich zu einem Glauben bekenne, der nicht von mir fordert, daß ich mein Fleisch mit selbstverursachten Martern peinige oder mir jede Freude versage, die du auf meinem Wege mir erblühen läßt, noch daß ich ganz der Welt entsagen und abgeschieden von ihr leben soll; nein, vielmehr einen Glauben, der gerade will und mich durch diese Feier dazu auffordert, daß ich die Freuden der Erde mit meinen Verwandten und Freunden genießen soll und mich »freuen all des Guten, das du mir gegeben hast«, so daß jeder sinnliche Genuß dadurch geheiligt wird, daß er in dir genossen wird und so, daß ich mich selber bei allem, was meinen Leib erquickt und freut, in deinem Dienste fühle, als einer, der dein heiliges Gebot erfüllt. So gib denn du, mein Gott, daß so selbst jede irdische Lust, die du mir bereitest, mich dir näher führen und daß ich, indem mein Vertrauen auf dich gekräftigt wird, erfahren möge, daß»wer auf dich baut, mit Gnade umgeben werden und sein Haus und seine Hütte in Frieden stehen soll«.[45] Amen! [Fußnote 42: Jes. 43, 25.] [Fußnote 43: Ps. 32.] [Fußnote 44: Ps. 23, 1.] [Fußnote 45: Ps. 32, 10.] Am Laubhüttenfest als Erntefest.[46] 47. Ewiger, der du sowohl in der Höhe als in der Tiefe die verborgenen Quellen öffnest und aus unerschöpflicher Fülle Segen niederströmen läßt über alle Geschöpfe, dir bringen jetzt alle ihren Dank, weil ihre Vorratskammern wiederum gefüllt sind,--wie könnte ich da allein schweigen? Sollte ich dir meinen Dank nicht bringen, der du deine milde Hand aufgetan und allem, was lebt, seine Nahrung gegeben hast? Nein, und wenn auch alle Welt schwiege, ich müßte doch in dieser Stunde die Stimme meiner Dankbarkeit erheben, denn du hast ja selber dieses Fest in deiner Güte dazu geweiht, daß es in der Brust des Israeliten die Stimme des Dankes wecken soll, auf daß, wie unsere Väter in der Wüste jeden Tag der Woche, so auch wir jetzt zu diesen festlichen Stunden erkennen, daß das Brot vom Himmel kommt, und daß wir nicht sein sollen wie diejenigen, welche über die Gabe den allgütigen Geber vergessen. Und kann ich auch nicht wie der Landmann zur Erntezeit, in meine Scheuern gehen, um den reichen Segen zu sehen, so hast du doch mir und den Meinen eine nicht minder reiche Ernte verliehen. Die Tat, welche ich vollführe, der Beruf, den ich erfülle, das ist ja der Acker, den ich pflüge und besäe, und wie reich hast du mich ernten lassen! Und hätte ich auch nur wenig geerntet, flossen auch die Quellen der Nahrung nur spärlich, so ist doch selbst dieses Geringe eine unverdiente Gabe aus deiner Hand. Aufs neue wird mir die Gewißheit, daß du deinen Bund hältst, »daß Saat und Ernte niemals aufhören und der Fleißige gesegnet werden soll.« Wieder habe ich tausende von Erquickungen empfangen, und jede einzelne von ihnen lehrte mich, daß, »wenn auch junge Löwen schmachten und hungern, so soll doch denen, die dich von ganzem Herzen suchen, nichts Gutes mangeln«.[47] So will ich mich denn heute in diesem Troste freuen, und ich will meine Freude erhöhen, indem ich Freude nah und fern verbreite, und meinen Dank will ich dir dadurch beweisen, daß ich jedem meiner Brüder und jeder meiner Schwestern mit freundlichem Angesicht, mit mildem, wohltätigem Sinn entgegenkommen will, daß auch ihr Dank für alles, womit du uns gesegnet hast, zu dir aufsteige. Nun bitte ich dich, allen schöne, festliche Tage zu bereiten, ich bitte dich, Frieden und Freude über mich und mein Haus auszubreiten, daß es von deinem Lob beständig widerhallen möge. Geheiliget sei dein Name! Amen! [Fußnote 46: Einsammlungsfest 2. Mos. 23, 16, 34. 22.--5. Mos. 16, 13.] 48. Dir danke ich, o mein Gott, daß dein Name nahe ist, und daß, der du deine hohe Wohnung dir im Himmel erbaut hast, du auch deinen Bund auf Erden gegründet und deine Hütte unter den Kindern der Menschen aufgeschlagen hast, daß auch mein Leben in der Gemeinschaft der Frommen geheiligt wird. Denn heute ist es ja das Fest, welches du dereinst angeordnet hast, um dem gemeinsamen Leben der Gläubigen Nahrung zu geben, und noch jetzt ist es diesem Zweck geweiht; und wie vormals alle diejenigen an ihm vereinigt wurden, welche in zahlreichen Scharen zur heiligen Stadt hinzogen, deinen Namen zu preisen und deiner Lehre zu lauschen, auf daß sie neu belebt würden und mit des Glaubens heiligen Gaben in ihre Häuser heimkehrten, also umschlingt dasselbe Fest noch immer mit einem heiligen Band alle diejenigen, die über die weite Erde zerstreut und zersplittert sind, aber eine geistige Gemeinschaft sich bewahrt haben. Es verbindet uns alle als Brüder im Glauben, die wenig Begabten mit den an Kenntnis Reichen, und die, welche durch ihre frommen und edlen Handlungen sich einen Namen und guten Ruf erworben haben, mit denen, die nur wenig vollführt, aber doch zur Gründung des Himmelreiches auf Erden mitgewirkt haben, wenn sie nur treu geblieben sind und sich dem heiligen Bund von ganzem Herzen angeschlossen haben. Es sind ja nicht nur die Mächtigen und Großen, die hie und da nur spärlich zu finden sind, durch welche die Aufgabe, die du deinem Volke gestellt hast, erfüllt werden soll; auch nicht allein diejenigen, welche die Menschen dazu bestellt haben, deinen Weinberg zu hüten und zu pflegen, nein, es sind auch diejenigen, welche mit geringen Kräften Stein auf Stein zu dem heiligen Bau tragen, die Geringen, welche in einfältiger Frömmigkeit das Ihrige zu seinem Wachstum beitragen, und überall sich finden, wo der Lebensstrom deiner Lehre fließt, gleich der unansehnlichen Weide, die an jedem Strom wächst und die ganze Erde ziert, während die Palme nur ein Schmuck der südlichen Länder ist. O Gott, laß auch mich ein lebendiges Glied in diesem Bunde sein, mich, der ich mit ganzem Herzen mich deiner Gemeinde anschließe; und kann ich auch nichts Großes wirken, so erfülle mich doch mit der freudigen Gewißheit, daß selbst durch das Wenige, welches ich beizutragen vermag, das Ganze und Große auch gefördert werde. Stärke mich in dem Vorsatz, mit Bereitwilligkeit mein Scherflein für alles zu geben, was zum Bedarf der Gemeinde sowohl, wie deines Hauses dient, und für alles, was die Gemeinschaft mit dir fördert. Und Herr, mit Sorgfalt will ich alles vermeiden, was Zwistigkeit erregen könnte, und was dazu dienen möchte, das Band zu lösen, welches uns alle in einem Gedanken und in einem Sinne vereinen soll. Laß nun dieses Fest über mich und die Meinigen seine erquickenden Schatten breiten, daß ich von seiner Freude gesättigt werde, als von dem Vorgeschmack der Seligkeit. Amen! [Fußnote 47: Ps. 31, 11.] Am Schlußfeste (Schemini Azeres). 49. Ewiger Gott! Das Fest und die Natur vereinen sich, um mir zu predigen;»Alles ist eitel, alles ist ganz eitel!«[48] Wohin ich jetzt meine Blicke wende, überall in der Natur treten mir die Zeichen der Vergänglichkeit entgegen. Die Schönheit der Ebene ist geschwunden, der Schmuck der Fluren ist dahingewelkt, auf dürre, welke Blätter tritt mein Fuß, und ich fühle mich tief von dem Gedanken ergriffen:»Des Menschen Leben ist wie Gras, er blüht wie eine Blume des Feldes, ein Wind fährt darüber hin und sie ist nicht mehr und ihre Stätte kennt man nicht länger;«[49] bald welkt die Schönheit des Lebens dahin, ach, gar bald werde ich dastehen wie ein entlaubter Baum, von dem Blatt nach Blatt herunterfällt. Und wird mir nicht dasselbe von diesem heiligen Schlußfest gepredigt, das mich daran erinnern soll, wie bald meine Tage zu Ende sind und mein Tagewerk abgeschlossen werden soll? Noch einmal will ich mich in dir und vor deinem Angesichte freuen, o Ewiger, und in meiner Seele alle die beseligenden Eindrücke sammeln, welche diese vielen Festtage auf mich gemacht haben, und ich will mich hüten, daß ich nichts von der mir noch vergönnten Zeit verliere. So will ich mich denn beeilen, ehe des Lebens Winter herannaht und die Kräfte mir versagen, das zu vollführen, wozu ich berufen worden bin, und ich will die wenigen Tage, welche mir zugemessen sind, noch mehr dazu benutzen, ein Leben zu führen, dir angenehm und den Menschen segenbringend. Mein himmlischer Vater! Nimm das Opfer meines Herzens gnädig an, das fromme Gelübde, daß ich in dem Vergänglichen das Ewige erfassen will, damit ich einst, wenn du mich rufst, ein Schlußfest bei dir in Seligkeit und ewiger Freude feiern möge. Amen! [Fußnote 48: Prediger Sal. 1, 2.] [Fußnote 49: Ps. 103, 15-16.] Am Freudenfeste über die Thora (Simchas Thora). 50.»Das Gras verdorrt und die Blumen welken dahin, aber dein Wort, o Gott, bleibt in alle Ewigkeit.«[50] Das ist mein Freudenruf, mein Psalm, mein Lobgesang, mit dem ich mich dir am heutigen Tage, an dem Israel die heilige Thora beendigt und von neuem wieder beginnt, nahe. Alles Irdische vergeht, nur dein Wort besteht in Ewigkeit, und die, welche es uns verkündigt haben, leben ewig in unserer Erinnerung. Das flammende Wort, welches Moses Lippen entströmte, ist die unvergängliche Richtschnur unseres Lebens, ein ewiges, das aller Zeiten Stürme doch nicht zu vernichten vermochten. O Vater, ich danke dir, daß dieses Wort des Lebens noch mein Eigentum ist, und daß ich es rein und unverfälscht besitze, wie es ursprünglich lautete. Ich danke dir, daß du mir den Zugang zu demselben eröffnet hast, ja, du hast es ja einem jeden Israeliten zur Pflicht gemacht, sich recht vertraut damit zu machen, in seine Tiefen einzudringen und Leben und Geist daraus zu schöpfen, die Wahrheit darin zu suchen, zur Liebe dadurch erwärmt zu werden, und Trost und selige Hoffnung darin zu finden. Ich danke dir, daß du in den 24 Büchern der heiligen Schrift (Thora, Nebiim und Kethubim) auch mir die reine Quelle des Lebens für alle Zeiten und Geschlechter hast strömen lassen. Und indem ich dir für deine geschriebene Lehre danke, sende ich auch meinen Dank für die mündliche zu dir empor, welche uns den Inhalt der Schrift erst verstehen und richtig erfassen läßt. O, mein Gott, wie oft habe ich nicht dieses dein Wort gering geachtet, wie oft eine Gelegenheit versäumt, darin belehrt zu werden oder die Zeit verschlafen, da ich seiner Verkündigung lauschen sollte, während ich meine beste Zeit für Schriften vergeudete, welche den Geist beflecken und Herz wie Sinn verderben! O lehre du selbst mich den Schatz hüten, den du mir geschenkt hast, daß ich in Zukunft möchte sagen können:»Ich hasse Fabel und Tand, aber ich liebe deine Lehre!«[51] Die langen Winterabende will ich dir weihen, indem ich bei deinem heiligen Wort verweile, ich will aufmerken auf die mündlichen Auslegungen desselben und dahin eilen, wo ich es in lebendiger Verkündigung hören kann, daß meine Seele errettet werde.[52] Ich will ein waches Auge über alle die Meinigen haben, daß sie nicht die giftigen Bücher lesen, welche ihre Gedanken beflecken und will sie den Wert deines Wortes erkennen lassen, welches uns von dem Irdischen zum Himmlischen emporhebt. Nun breite du deinen Frieden über mich und die Meinigen aus, den Frieden, welcher denen versprochen ist, die dein Wort lieben, daß ich niemals straucheln möge und meine Seele in dir lebe und dich in alle Ewigkeit preise.[53] Amen! [Fußnote 50: Jes. 40, 8.] [Fußnote 51: Ps. 119, 113, 163.] [Fußnote 52: Jes. 55, 3.] [Fußnote 53: Ps. 119, 175.] Am Feste der Tempelweihe (Chanuka, Lichterfest). 51. Lieber Gott! Wie soll ich dir genugsam danken und dich preisen für all die Freude und all die Hoffnung, welche mir aus den Lichtern entgegenstrahlen, die wir in diesen Tagen zum Gedächtnis an den Kampf der Makkabäer anzünden, die für das höchste Gut, für den Glauben, stritten; zum Gedächtnis an den Sieg, welchen du sie gewinnen ließest, zum Gedächtnis an die Märtyrer, die um des Glaubens willen, und um das ewige Leben zu retten, freudig in den Tod gingen. So hast du Israel nicht nur dazu erkoren, deinen Bund zu schließen und deine Gotteslehre zu bewahren, sondern du hast es auch dazu gewürdigt, das erste Volk zu sein, welches ein Beispiel zur Nachahmung gegeben, für die höchsten und heiligsten Güter des Menschen, für die Freiheit des Glaubens und des Geistes zu kämpfen und alles Irdische zu verachten, wenn der Glaube in Gefahr schwebt, ja bereitwillig selbst lieber das Leben opfern, als die heilige Überzeugung aufzugeben. Das erzählt uns ja die Geschichte unseres Festes, wie unsere Väter in jenen Schreckenszeiten allen Drohungen und Verlockungen trotzten; wie sowohl Frauen als Männer, sowohl Greise als Kinder standhaft alle Marter ertrugen; wie sie den Scheiterhaufen bestiegen und selbst im Tode noch ihren Glauben bezeugten. Und wenn auch alles dem Glauben Israels den Untergang verkündete, so ging er doch durch deine allmächtige Hilfe gerade aus jenen Tagen siegreich hervor, und du hast aller Welt gezeigt, daß die Kraft des Geistes mächtiger ist, als gewaltige Heere. O Herr! Ich danke dir, daß die Zeit der blutigen Verfolgung um des Glaubens willen ein Ende genommen hat; aber ach, mein Gott! wie oft sind nicht Hohn und Spott weit schneidendere und giftigere Waffen, und selbst die Mutigsten, die sich nicht fürchten würden, für den Glauben in den Tod zu gehen, zittern vor der Verachtung der Welt und den Pfeilen des Spottes. Wie viele sind nicht dem Falle ausgesetzt durch die Schlinge, welche der Versucher ihrer Frömmigkeit legt, wenn er ihnen sowohl zuflüstert, als auch laut entgegenruft, daß sie noch in einer veralteten Lehre befangen sind, und wie muß es nicht mein Herz mit Sorgen und Bekümmernis erfüllen, wenn ich die Lässigkeit im Glauben sehe, die überall hervortritt und mich fast fürchten läßt, daß derselbe ganz auf Erden untergehen könnte.--Doch nein, nein! Indem ich der Zeit der Makkabäer gedenke, will ich mich zugleich daran erinnern, wie oft das Verderben gedroht hat, wie oft es geschienen, als ob das heilige Licht des Glaubens erlöschen sollte, und doch flammte es von neuem auf und strahlte nur um so klarer und heller. Ich will beim Anblick dieser Lichter meinen Eifer entflammen und meine Treue in deinem Dienste stärken, sowohl ich, wie auch mein Haus, ja, ich will auf die Fahne meines Lebens die Inschrift setzen:»Wer unter den Mächtigen kann sich vergleichen mit dir«, und sicher und ruhig werde ich im Glauben wandeln.»Ewiger, du bist mein Licht und meine Hilfe, wen sollte ich da wohl fürchten? Du bist die Kraft meines Lebens, vor wem sollte mir da wohl grauen? Höre mein Flehen, sei mir gnädig und erhöre mich.«[54] Amen! Am Purimfest. 52.»Mein Mund lobsinge dem Herrn und preise ihn unter vielen, denn er steht zur Rechten des Unschuldigen, um ihn von denen zu erretten, die seine Seele richteten.«[55] »Du machst des Listigen Anschläge zu schanden, so daß sie keine Macht haben, ihre Absicht auszuführen, du fängst die Boshaften in ihrer eigenen Tücke und vereitelst die Pläne des Bösen.«[56] So errettetest du ja unsere Väter von Tod und Verderben, als der Mächtige die Unschuldigen anklagte und in gekränktem Hochmut einen Plan schmiedete, deine Treuen aus dem Lande zu vertilgen. Du, Israels Schirmherr, der niemals schlummert und niemals schläft, du ließest die Ruhe das Lager jenes Königs fliehen, du öffnetest sein Auge, den Anschlag des Verräters zu erkennen; ja du hattest schon zuvor das Mittel zur Errettung Israels bereit, jene fromme Seele, die ihr Leben opfern wollte, für das Heil ihres Volkes! So wurde selbst das schlimme Los uns zu Glück und Ehre, du ließest es zu Israels Rettung und Wohl fallen, und »die Sorge ward in Glück, der Kummer verwandelt in Freude.«--O, weshalb erschrecke ich da, wenn schlimme Nachricht mein Ohr erreicht, weshalb erbeben die Menschen, wenn von Ruchlosen Pläne gegen ihr Wohl geschmiedet werden? Du regierst ja alles, du lenkst jeden Anschlag zu seinem Ausgang und löst die Verwickelungen des Lebens, und die Schandtat des Bösen muß ebenso gut meinem Wohle dienen, als die Segnungen der Edlen und Frommen. So werde meine Seele denn froh in dir, und Freude umgebe mich diesen Tag. So weit ich vermag, will ich den Unterdrückten auch selber helfen, und meine Freude mir dadurch erhöhen, ich will mit meinen Gaben manchen Armen unterstützen, und mein Hallelujah soll den ganzen Tag vor dir erschallen. Amen! [Fußnote 54: Ps. 27.] [Fußnote 55: Ps. 109, 30.] 53. Mein Gott! Mein Mund vermag nicht all den Dank und all die Freude auszudrücken, die mein Herz fühlt, so oft dieser Tag der Errettung wiederkehrt.»Wenn du nicht mit uns gewesen wärest, als die Menschen sich wider uns erhoben, so hätten die Gottlosen uns in ihrem Zorn verschlungen. Ihr Glück würde dann wie die Wellen in rasendem Sturm uns überflutet haben. Dir sei Lob und Preis, o Gott, der uns nicht zu einem Raub ihrer Zähne werden ließ. Wir entgingen unsern Verfolgern; denn unsere Hilfe ruht in dem Namen des Allmächtigen, der Himmel und Erde erschaffen hat.«[57]--Zu allen Zeiten und überall hast du, unser Vater, uns beschirmt; und dieser Tag ruft uns nicht nur den Sieg Israels über Haman ins Gedächtnis, sondern alle die Ereignisse, da deine Vorsehung unsere Väter errettet hat, da du ihre Betrübnis in Jubel, den Ruf ihrer Angst und ihres Schmerzes in Tränen der Freude und der Dankbarkeit verwandelt hast. Ja sicherlich, Herr unser Gott, Israel ist ein lebendes Zeugnis deiner ewigen Treue:»Die, welche auf dich hoffen, sollen niemals zu schanden werden.« Israel wurde verachtet und gedemütigt, aber sein Vertrauen auf dich war stärker als seine Leiden, und du hattest Mitleid mit seinem Schmerze; hellere und freundlichere Tage sind ja gefolgt auf die Zeit des Hasses und der Verfolgung. Allvaters Stimme hat den Geist aller seiner Kinder durchdrungen, ihre Herzen erreicht, und Israel findet überall unter den Nachkommen seiner Unterdrücker nunmehr Brüder. Ja, die Erinnerung an das, was unsere Väter gelitten haben, erhöht in unsern Herzen nur die Freude über unser Vaterland, das all unsere Wunden geheilt hat, all unsere Schmach getilgt und unserm Glauben seine Freiheit und seinen Glanz zurückgegeben hat. Gelobt seiest du, unser Gott, unser Erretter! O, daß doch das Bewußtsein all der Freuden, die wir in diesem unsern Geburtslande genießen, unsere Herzen zu brüderlicher und liebevoller Gesinnung gegen alle Menschen, unsere Brüder, erwecken möchte!--Sei gelobt, du Ewiger, unser Gott, für all die Wunder, welche du an unsern Vätern vollführt hast und für den ewigen Schutz, den du ihren Kindern angedeihen läßt. Amen! [Fußnote 56: Ijob. 5. 12, 13.] [Fußnote 57: Ps. 124.] Am Tage der Zerstörung des Tempels (Tischoh b'ab). 54. O du, dessen Liebe ohne Ende ist und dessen Barmherzigkeit ohne Grenzen, heute werde ich erinnert an die Stunde, »da du Israels Schmuck vom Himmel zur Erde stürztest und am Tage der Heimsuchung den Schemel deiner Füße nicht achtetest,«[58] und meine Bitte wird von Wehmut erfüllt, und Sorgen erfassen mein Herz. Wie könnte es auch anders sein? Ist nicht das gerade das Große und Erhabene der heiligen Gedächtnistage meines Glaubens, daß ich nicht nur die glücklichen Zeiten, die Tage der Errettung, des Sieges und der Freude mir vor die Seele rufen soll, sondern auch jene, die ein trauriges Zeugnis für die Sünde und den Abfall der Väter ablegen, wie sie es selbst verschuldeten, daß du nicht einmal dein Heiligtum schontest, welches über alle Ebenen der Welt sein Licht verbreiten sollte, daß »Zion, von wo die Thora ausgehen sollte, wie ein Acker gepflügt wird, und daß Jerusalem, die Stätte, welche zur Verkündigung deines Namens geheiligt war, zu einem Steinhaufen wurde.«[59] Mit Sorgen stimme ich in die Klage des Propheten ein:»Unsere Väter haben gesündigt und sind nicht mehr, und wir tragen ihre Sünde.«[60] Sie hörten nicht auf den Ruf deiner Gnade, und vergebens zeigtest du ihnen deine Langmut; ja, sie gruben sich mit eigner Hand ihr Grab, indem sie gegen einander wüteten und sich durch eigenen Streit in die Hände ihrer Feinde gaben. Da wurde der heilige Bau zerschmettert und zermalmte in seinem Falle alle, die ihm anhingen. Ach Herr! Bitterlich weine ich über diesen Fall, und um so bitterer, weil die Sünden der damaligen Zeit noch immer unter uns herrschen. Aber »je mehr ich mir das Innerliche zu Herzen nehme, um so fester ist auch meine Hoffnung,«[61] und je tiefer meine Sorge ist, um so gewisser ist auch mein Vertrauen auf dich und deinen Trost. Ja, so gewiß, wie jenes Gotteswort in Erfüllung ging, welches dem sündigen Volke seinen Untergang verkündigte, und daß die Tage des Zornes kommen sollten, so gewiß wird auch jene Zeit erscheinen, wo es wieder zu Gnaden aufgenommen wird und sich erfüllt, was der Prophet verkündet:»Und in den letzten Tagen soll es geschehen, da soll der Tempelberg des Herrn über alle Höhen erhoben werden, und alle Völker sollen dahin strömen und sagen: Kommet! laßt uns hinaufziehen zu dem Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, auf daß er uns seine Wege lehre, daß wir in seinen Fußtapfen wandern mögen, und Freude soll über alle sich verbreiten, die in Sorgen leben ob seines Falles.«[62] Ewiger! stärke du mich in dieser meiner Hoffnung und laß mein Leben ein Zeugnis davon sein, daß ich Wahrheit und Frieden liebe. Amen! [Fußnote 58: Klagelieder 2, 1.] [Fußnote 59: Micha 3, 12.] [Fußnote 60: Klagelieder 5, 7.] [Fußnote 61: Klagelieder 3, 21.] [Fußnote 62: Micha 4.] Schlußgebet beim Gottesdienste (Olenu). 55. Uns geziemt es dich zu loben und dich zu verehren, o Herr des Weltalls, und deine Größe und Herrlichkeit zu bezeugen, da du uns berufen hast, deine Worte und deine Taten in der Übung frommer Werke zu verkünden und dich durch unseren Lebenswandel zu heiligen. Darum verneigen wir uns ehrfurchtsvoll vor dir, und bekennen dich als den Herrn des Himmels und der Erde. Ja wir hoffen auf dich und glauben in fester und unerschütterlicher Treue, daß deine Größe und Allmacht, o Gott, immer mehr erkannt werde und sich sichtbar verbreite nach allen Richtungen der Erde, damit aller Irrtum hienieden verschwinde und alle Wesen erkennen, daß du nur allein Gott und Herr bist über alle erschaffenen Dinge. Alsdann werden alle Bewohner des Weltalls vor dir sich neigen und deiner Herrschaft sich willig unterwerfen, deinen Namen die Ehre geben und so den wahren Frieden allseitig hienieden begründen. So lehren ja auch deine Propheten mit ihrem hellen Seherblicke in die Zukunft.»Gottes Reich ist ein ewig dauerndes.« Und an anderer Stelle heißt es:»Und Gott wird König sein über die ganze Erde, alsdann wird der Ewige einzig sein und sein Name einzig.«! Amen! Die Hausfrau, wenn sie Chala nimmt. 56. Wie du einst unsere Väter in der Wüste speistest und sie am Tage alles zum Unterhalte ihres Lebens finden ließest, dessen sie bedurften, so bist du, o mein Gott, mit meinem Gatten, (meines Hauses Versorger) gewesen und hast seinen Fleiß gesegnet, daß wir den Unterhalt unseres Lebens nicht entbehren. Bevor nun der heilige Tag beginnt, will ich nach Vorschrift auf bildliche Weise dir meinen Dank darbringen, und als ein echtes Weib Israels will ich unsern Glauben bekennen, daß selbst jeder sinnliche Genuß, den du uns gewährst, durch fromme Gedanken geheiligt werden soll. Denn du ließest es zum hohen Beruf des Weibes werden, den Segen des Glaubens in das schöne Heim zu bringen; ihr legtest du die Pflicht auf, das tägliche Brot zu heiligen. O, mein Gott, so laß es denn dir gedeckt sein, was ich bereite, und segne du unsers Lebens Brot. Amen! Die Hausfrau, wenn sie die Sabbatlichter oder die Festlichter anzündet. 57. Freude soll alle Zeit in Israels Wohnungen leuchten; das israelitische Weib soll die Wolke der Bekümmernis zerstreuen, die sich zeitweilig über den Gatten ausbreitet und den häuslichen Kreis verdunkelt. Mit dem warmen und reinen Glauben in ihrer Brust soll sie trösten, ermuntern und erquicken. O! habe Dank, o Vater, daß ich jetzt wieder an meinen schönen und heiligen Beruf dadurch erinnert werde, daß ich die Sabbat-(Fest-)Lichter anzünde, durch aufopfernde Tätigkeit, Freude zu verbreiten und das Licht des Glaubens zu bewahren. Amen! IV. Gelegenheitsgebete. I. Am Geburtstage. Aus meines Herzens tiefstem Grunde sende ich heute mein Gebet zu dir empor, allgütiger Gott und Vater, dessen Huld und Gnade über mich gewacht und heute mich in mein (--) Lebensjahr treten läßt. Leben und Liebe hast du mir zuteil werden lassen und deine Vorsehung hat meinen Geist bewahrt. Ja, ich bin allzu schwach und zu geringe, um dir meinen Dank auszusprechen für jeden Segen, mit dem du mich begnadigt hast seit der Stunde, da ich zum ersten Male das Licht der Welt erblickte.--Es kommen heute meine Lieben mit ihren Glückwünschen mir entgegen, aber ach Herr, der du Herz und Nieren untersuchst, kann ich wohl diese Wünsche für meine Zukunft hören, ohne daß mein Herz mir Vorwürfe macht für die Zeiten, welche vergangen sind? Kann ich mir selbst Glück wünschen, weil ich älter geworden, wenn die Erfahrungen und Prüfungen des Lebens mich nicht weiser, besser und frommer gemacht? Wenn ich heute auf die dahingeschwundenen Geburtstage schaue, die ich bereits erlebt habe, und wenn ich an die vielen Hoffnungen denke, die sich an jene knüpften, an die Erwartungen, mit welchen meine Eltern mich umarmten, und ich da mich selbst frage: Habe ich diese Hoffnungen und Erwartungen erfüllt? Habe ich den Arbeitstag, den der Herr der Zeiten mir vergönnte, mit Eifer und im Dienste des Allheiligen angewendet, so daß ich auf seinen Beifall und auf seinen Lohn hoffen darf, wenn die Abendstunde kommt? O mein Gott, was darf ich dann antworten?--Sieh, du hast in diesem Jahre mir in deiner Gnade viel Freude gesendet, und in deiner Weisheit hast du mich mit Schmerzen heimgesucht,--alles, um mich zu erinnern, daß ich unter deiner väterlichen Leitung stehe, und daß ich nur ein Pilger bin, der einen mühsamen Weg zu wandern hat, bevor er die himmlische Heimat erreicht. Dunkel ist für mich der Weg, den ich noch zurückzulegen habe, aber du, dessen Auge mich geschaut vom Lebensanfang, und in dessen Buch alle meine Lebenstage verzeichnet waren, ehe ich noch da war,[63] nimm du mich ferner in deinen Schutz, beschirme und segne alle, die mir teuer sind, und bilde du mein Herz nach deinem Wohlgefallen! O, daß ich in der festen Überzeugung gestärkt werde, daß mir keine Bürde auferlegt wird, zu der du mir nicht auch die Kraft verleihest, sie zu tragen, und daß ich Tag und Nacht eingedenk sein möchte, daß alles Fleisch Gras ist, daß hingegen jegliche Tat auf Erden, selbst die geringste, eine Saat ist, die ihre Früchte in der Ewigkeit trägt; ja daß ich dessen stets eingedenk sein möchte, auf daß ich meine Hoffnung nicht auf das Vergängliche baue, und nimmer verzage und verzweifle unter Widerwärtigkeit und Unglück, sondern selbst in Leiden und Schmerzen mich dir dankbar zeige; daß die Überzeugung mich stets beselige, daß dein gütiger Geist mich überall leitet, segnet und stärkt, und daß deine Huld und Gnade mich erfüllt und bewahrt, auf daß ich dir treu bleibe im Leben und im Tode.--Ja, du bist der Gott meines Herzens, getrost übergebe ich mich deiner Hand und fürchte nichts, du, Herr, bist meine Stärke, dir lobsinge ich, du bist meine Hilfe und meine Zuflucht, in dir findet meine Seele Heil in aller Ewigkeit. Amen! II. Am Verlobungstage. Herr, du mein Fels, meine Zuflucht, leite du mich und führe du mich um deines Namens willen! Entschieden ist es heute worden, wem mein Herz angehört, an wen ich mein ferneres Geschick knüpfen, mit wem ich durchs Leben wandern soll. Allzu schwach bin ich, o Herr, und allzu kurzsichtig, um das Innere eines anderen Menschen zu durchschauen, oder um zu wissen, was in den kommenden Tagen zu meinem wahren Heil und Wohl dienen kann und soll, darum sende ich mein Gebet zu dir empor: O laß deinen Segen auf meiner Wahl ruhen! Gib, daß der, welcher mir heute sein Gelübde gegeben, solches nicht leichtsinnig getan haben möge, sondern zuvor, wie ich, zu Rat gegangen sei, nicht blos mit den Angehörigen, sondern vor allem mit dir, mein Gott. Laß die kommenden Tage von dir gesegnet sein, daß eine reine und lautere Liebe, die auf Gottesfurcht gegründet ist, in unsern Herzen Wurzel schlage. Ja, Allgütiger, du, der du mit so vieler Huld meinen Weg gebahnt und mich mit so vieler Gnade umgeben hast, laß diese Tage für mich eine Vorbereitungszeit sein, daß ich, wenn die Zeit nahet, vor deinen Augen würdig gefunden werde, den Bund der Ehe zu schließen. O, sei du mein Hirt und Leiter, und führe mich auf den rechten Weg um deines Namens willen. Amen! [Fußnote 63: Ps. 139, 16.] III. Am Hochzeitstage. Gekommen ist nun der Tag, an dem der Bund meines Herzens in deinem Namen besiegelt werden soll, du ewiger, alliebender Vater, der Tag, der das Weh und Wohl meiner ganzen Zukunft in seinem Schoße trägt. O, wie könnte ich mich wohl dem heiligen Augenblick nähern, wie könnte ich hintreten, um dem Auserwählten meines Herzens meine Hand zu reichen, ohne dir zuvor zu danken für all deine väterliche Güte gegen mich, für deinen Schutz bis auf diesen Tag, für die geliebten Wesen, mit welchen du mich bisher umgeben, und die mit Zärtlichkeit und Sorgfalt über mich gewacht und mich geleitet haben, ja, ohne dir dafür zu danken, daß du mich den hast finden lassen, mit dem ich die wechselnden Geschicke des Lebens teilen soll, ohne dir zu danken für die himmlische, beseligende Freude, die mich nun umströmt, da das Band der Ehe uns verbinden soll. Wie könnte ich wohl all deine Güte empfangen und bereits heute die heiligen Pflichten der Ehe übernehmen, die der Ehestand mir auferlegt, wenn ich nicht zuvor mit reuigem Sinne mein Herz vor dir ausschütte, ehe ich den wichtigsten und meine ganze Zukunft entscheidenden Schritt meines Lebens tun und dich um deine gnadenvolle Vergebung bitte. Wenn ich aber in dieser Stunde meinen Blick auf die hingeschwundene Zeit richte, o welche schwere Klage erhebt sich da in meiner eigenen Brust gegen mich! Sündenvoll waren meine Gedanken, und meine Taten, wie wenig konnten sie dir wohlgefallen. Habe ich wohl gelebt, wie ich sollte? Habe ich als Kind von ganzem Herzen Vater und Mutter geehrt? Habe ich die weisen Lehren meiner Lehrer befolgt? Habe ich als Israelitin in meiner Jugend an meinen Schöpfer gedacht und mit Wärme meinen Glauben umfaßt? O, vergib sowohl mir, Allgütiger, als der Seele, die nun mit der meinigen sich verbinden soll, jedes Vergehen und Versehen. Sieh auf uns in Gnade, wenn wir nun einander vor deinem Antlitze im Geiste gegenseitig das Gelübde der Treue geben, und laß deinen Segen mit diesem Bunde sein. Heilige unsere Liebe in der Liebe zu dir, daß wir, indem wir dich lieben, unsere gegenseitige Hingebung und Liebe nähren und stärken. Höre, o Gott, mein Gelübde, das ich hier ablege. In glücklichen, wie in trüben Tagen, will ich eine treue Gattin sein, die Geduld, Kraft und Selbstverleugnung zeigt, die als echte Israelitin durch den Glauben an dich stark ist, alles zu besiegen, auch sich selbst; stark ist, alles für den zu tragen und zu dulden, den ihre Seele auserkoren hat. Gib, daß wir, die von dieser Stunde ab mit einander wandern sollen, in Sanftmut und Milde einander begegnen, und uns gegenseitig unsere Schwächen in Liebe nachsehen! Ja, sei du mit uns, daß wir einander zum Heil und Segen werden, und daß durch diesen unsern Bund dein Name verherrlicht werde. Dazu hilfst du uns, o Gott. Amen! IV. In einer glücklichen Ehe. (Jährlich am Hochzeitstage.) Unendliche Liebe! Allgütiger Gott! Was kann wohl mit dem Glücke verglichen werden, das du mich hast finden lassen, indem du mir die Glückseligkeit meiner Ehe zuteil werden ließest!--Wo fände ich wohl ein irdisches Gut, das höheren Wert hätte, als das, welches du mir in meinem teuren Gatten verliehen hast, mit dem ich des Lebens Freuden und Leiden teile. Mit jedem Tage lerne ich mehr und mehr schätzen, was ich an ihm besitze, als Ratgeber und Helfer; wie versüßte er mir sogar des Lebens bittere Stunden, wie hielt er mich unter mancherlei Prüfungen aufrecht! O, mein Gott, jedes Jahr, das verfließt, knüpft uns noch fester an einander; in den freudigen, wie in den kummervollen Tagen bewahrheitet es sich immer mehr an uns, daß Liebe ein Paradies voll Segnungen ist, die so schön, so friedlich und freudenvoll. Ja, ich fühle alle Segnungen, die der Besitz eines treuen Gatten in sich schließt. Alliebender, wodurch habe ich so viel Glück verdient? Und doch soll auch dieses mich so beglückende Band einmal zerrissen werden, und dann wird die Stunde der Rechenschaft kommen, da du mich fragen wirst, ob ich die Zeit des Glücks auch dazu benützt habe, selbst geheiligt zu werden und die Seele zu heiligen, welche du mit mir vereinigt hast. Deshalb, o Ewiger, bitte ich dich, indem ich dir für all mein Glück danke, erhalte in uns denselben liebevollen treuen Sinn, laß uns die freundliche Fürsorge für einander verdoppeln, wie unsere innerliche Ergebenheit gegen einander, und gib mir Kraft, meinen teuren Ehegatten nicht nur zu beglücken, sondern auch zu veredeln und zu heiligen, daß wir, in Frömmigkeit vereint, dereinst in den Wohnungen der Seligen mit einander das Glück und den Frieden der Seligkeit genießen mögen. Wache über uns, daß wir einander in Hoffnung und Treue unter den Sorgen des Lebens stärken mögen, und daß wir in des Lebens frohen Tagen vor deinem Angesichte wandeln. Halte deine schirmende Hand über meinen geliebten Ehegatten, und laß mich ihm lange, lange noch Freude bereiten. Ewig danke ich dir, du reicher Gott voll Gnaden und mein allmächtiger Beschützer. Amen! V. In einer kinderlosen Ehe. Ewiger!»Kinder sind ja deine Himmelsgabe und Leibesfrucht eine Segnung, die von deiner Hand kommt!«[64] Wie sollte ich da nicht von ganzer Seele wünschen, mit Kindern gesegnet zu werden, die meines Herzens Freude sein und zu deiner Ehre erzogen werden sollten? O Herr! Wie der Vorzeit fromme Väter und Mütter bitte ich dich, mir diesen Segen zu verleihen, und mich noch Mutterfreuden genießen zu lassen. Aber wenn es in deinem unwandelbaren Rat beschlossen ist, mir dieses Glück zu versagen, so erfülle mein Herz mit innerlicher Ergebung in deinen Willen und mit vermehrter Liebe zu meinem Gatten, daß ich darin zehnfältigen Ersatz finde. Es sei ferne von mir, meinen Trost in dem Gedanken zu suchen, welch' eine schwere Bürde oft die Erziehung und die Versorgung der Kinder ist, wie viel Kummer sie nicht selten verursachen,--dient doch das gerade zu der Eltern Heil, o Herr! da diese erst aus der Mühe und Sorge, die ihnen ihre Kinder machen, erkennen, welchen Dank sie ihren Eltern schuldig sind.--In dieser meiner Sehnsucht nach Kindern will ich einen väterlichen Wink erkennen, den du mir gibst, die mir verliehenen irdischen Kräfte und Besitztümer zum Wohle derer anzuwenden, die in Bedrängnis sind. Ich will meinen Beistand der Kinderschar des Armen zuwenden, ich will ihnen zur Erkenntnis der heiligen Lehre förderlich sein, daß sie zur Rechtschaffenheit und Gottesfurcht aufwachsen, ich will den Verwaisten eine Mutter sein und reichen Beitrag spenden zum Besten jeder Wohltätigkeit, wie zu deinem heiligen Hause. Ich will in Frömmigkeit und Liebe wandeln, daß ich dadurch vielleicht eine Seele zur Tugend, zur Wahrheit und zum Glauben führen kann, daß sie geistig zu meinem Kinde werden möge. Ach Herr! Stärke mich in diesem Vorsatz und gib mir Kraft, ihn auszuführen, daß jene Worte, die du den Propheten verkündigen ließest, einst wie himmlischer Gesang vor meinen Ohren erschallen mögen:»So spricht der Herr zu den Unfruchtbaren, welche meine Sabbattage halten und wählen, was mir angenehm, und an meinem Bunde festhalten,--diesen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern Hand und Namen geben, was da besser ist, als Söhne und Töchter; einen ewigen Namen gebe ich ihm, der nicht ausgetilgt werden soll.«[65] Ja, o Gott, gib mir einen ewigen Namen im Buche des Lebens, und ich fühle mich getröstet. Amen! [Fußnote 64: Psalm 127, 3.] [Fußnote 65: Es. 56, 5-10.] VI. In der Schwangerschaft. Heiliger, allmächtiger Schöpfer, allbarmherziger Vater im Himmel! Ich danke dir für die beseligende Hoffnung, mit der du mich begnadigt hast. Wie glücklich hast du mich gemacht, indem du mir des Weibes höchste Freude verliehest, die Gewißheit, daß ich Mutter werden soll! Siehe, schon hast du mir des Weibes höchste und heiligste Pflicht auferlegt, mütterliche Fürsorge für den noch Ungeborenen zu hegen. O, was vermag ich ohne dich! Erhöre deshalb mein Gebet: Laß auch für mich das Wort gesprochen sein, welches du einst Israel verkünden ließest: »Gesegnet sei die Frucht deines Leibes!«[66] Hüte du meine Schritte, daß das Kind, welches ich unter meinem Herzen trage, jeder Gefahr entgehen möge; beschirme mich um des Kindes willen, daß nicht Schrecken noch Angst, nicht Furcht noch Aufregung mir nahe. Stärke mich darin, über mich selbst zu wachen, daß nicht der Mutter Unvorsichtigkeit, törichter Genuß oder sündiger Wandel schon dem Ungeborenen schaden möge. Ja, je mehr ich mir bewußt bin, daß selbst meine Gedanken und Gefühle auf den Sprößling hier unter meinem Herzen ihre Wirkung ausüben, um so mehr bitte ich dich, mir dazu helfen zu wollen, daß ich mich selbst beherrschen möge.--O Herr! Durch Frömmigkeit will ich diese Tage heiligen, bis ich sie überstanden habe, durch Gebet und fromme Werke will ich meine Seele erheben und reinigen, und treulich will ich deine Wege wandeln.--Schenke du mir nun einen ruhigen Sinn, unerschütterlich im Vertrauen auf deine unendliche Vatergüte, daß ich fröhlichen, getrosten Mutes und guter Hoffnung der Stunde der Entscheidung entgegen gehe, in dem zuversichtlichen Glauben, daß»den, der sich auf dich verläßt, deine Gnade umgeben soll.«[67] Amen! [Fußnote 66: 5. Mos. 28, 3.] VII. Vor der Niederkunft. Lieber Gott, du Gott der Gnade! Siehe, die Zeit nähert sich, daß ich gebären soll, und ich weiß, daß du in deiner Weisheit meinem Geschlecht bestimmt hast, daß wir in Schmerzen gebären sollen; o, willig unterwerfe ich mich deinem Vaterwillen; doch bitte ich: Vergilt' mir nicht nach meinen Sünden, sondern laß dein Erbarmen über mich wachen; stärke mich, daß ich in Kraft gebären möge, sei mir nahe mit deiner Hilfe, daß mein Herz bald froh werde, wenn ich den Neugeborenen gesund und frisch erblicke. Laß mich deine freundliche Stimme hören, die mir zuruft: »fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; bebe nicht, denn ich bin dein Gott; ich stärke dich, ich helfe dir und stütze dich mit meiner Rechten, ich selbst erlöse dich!«[68] Ja, Ewiger, du bist meine Stütze, meine feste Burg, meine Zuflucht in der Not, zu dir will ich mit Andacht aufschauen, daß du mir Kraft gebest, die Schmerzen der Geburt zu ertragen, du, meine ganze Hoffnung. Amen! [Fußnote 67: Ps. 32, 10.] [Fußnote 68: Jes. 41, 10. 43, 1.] VIII. Nach der Niederkunft. Laß den schwachen Dank der Beglückten zu deinem Thron aufsteigen, du Beschützer meines Lebens, mein geliebter Vater im Himmel! daß du mich erhört und dein starker Arm mich unterstützt hat.»Von meinem ganzen Herzen will ich dir danken und alle deine Wunder verkünden, ja ich will froh sein und mich freuen in dir, und deinen Namen will ich lobsingen, dem Namen des Allerhöchsten.« Amen! IX. Bei der Beschneidung. Sieben Schöpfungstage sind nun glücklich über dem Leben meines neugeborenen Knaben verronnen, und heute am achten soll es nach deinem unverbrüchlichen Gesetz, o du Allheiliger, »der du deinen Bund und dein Erbarmen denen bewahrst, die dich lieben und deine Gebote halten«, vor dich gebracht werden und das Siegel der Gnade durch die Beschneidung erhalten; heute soll er in den ewigen Gnadenbund aufgenommen werden, den du mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossen hast, daß sie zum Segen werden sollen für alle Geschlechter der Erde und das himmlische Reich erwerben.--O, nimm dieses mein Kind gnädig an, daß es treu dem Bunde leben möge, laß den geringen und rasch verschwundenen Schmerz, den es erleiden soll, eine Erinnerung und ein Zeichen sein, daß das Hohe und Ewige nur durch Mühe und Schmerzen erreicht werden kann, daß der Mensch sich das Himmelreich nur erringen kann, indem er gegen die Lust des Fleisches streitet, und daß ein treuer Israelit bereit sein soll, mit Leben und Blut für seinen Glauben zu kämpfen, daß er deinen Namen heilige. Beschütze mein Kind von dieser Stunde an, daß es wohl gedeihen und kräftig wachsen möge, für das Zeitliche, wie für das Ewige gesegnet, dir zur Ehre und mir und meinem Gatten zur Freude. Amen! X. Eine Wöchnerin beim ersten Gang ins Gotteshaus. »Gehet ein zu Gottes Tor mit Danksagungen und in seinen Vorhof mit Lobsingen! Dankt ihm und preiset seinen Namen!« So ermahnt mich eine heilige Stimme, und es ist ja nur durch deine väterliche Güte, o Gott, daß ich heute wieder deinem Hause nahen kann. Hast du selbst ja geboten, daß jede glückliche Wöchnerin, nachdem sie ihre Gesundheit wiedergewonnen hat, deinem Altar mit Dank und Sühnopfer,[69] mit Gebet und frommen Gelübden sich nahen soll. Und wie sehr muß ich dir nicht danken, nicht nur für deine Gabe, für das Kind, das du mir geschenkt hast, sondern auch für deine Hilfe und deinen Beistand, für die Kraft, die du mir verliehen hast, alle Schmerzen zu ertragen, für deinen Schutz in der Stunde der Gefahr und für meine Genesung, daß ich wieder vor dein Angesicht treten kann und mit meinem Gatten dir meinen Dank zu bringen im Stande bin. O, womit habe ich doch so viel Gnade verdient! ach, hab' ich mich denn nicht oft und schwer gegen dich versündigt, bin ich nicht manches Mal verzagt und schwach in meinem Vertrauen auf dich gewesen; wie oft versäumte ich nicht meine Pflicht, die du mir auferlegt hast? O Herr, vergib mir und halte mich auch fernerhin in deiner väterlichen Gnade. Laß mich mein Kind deinem Schutze anbefehlen (bei einem Mädchen füge man hier hinzu: und wie es heute vor dir in deinem Hause genannt wird, so zeichne du es in das Buch des Lebens ein, daß seines Namens Unvergänglichkeit zu wahrem Schmuck und wahrer Ehre ihm gereiche); wache du über das Neugeborene, stärke du mich, an ihm die Mutterpflicht vollkommen zu erfüllen. Ja, mit mütterlicher Sorge will ich mein Kind pflegen und ihm meine ganze Obhut widmen, und gerne selbst Entbehrung auf mich nehmen zu seinem Wohlergehen. Segne, o Herr, auch das Streben meines Gatten, den Lebensunterhalt uns zu erwerben, und sobald die Schwingen des Geistes sich bei dem Säugling zu entfalten beginnen, so soll es unsere größte Sorge sein, ihn zum Guten zu lenken und ihn mit Abscheu gegen alles zu erfüllen, was böse ist, daß es bei Zeiten deinen Namen kennen lerne und in Gottesfurcht und Tugend aufwachse. Ewiger, dir will ich angehören; o, laß deinen Segen von deinem Hause zu meinem Herd mir folgen, und laß meinen häuslichen Kreis früh und spät von herzlichem Dank widerhallen für all das Glück, welches du mir zuerteilt hast. Amen! [Fußnote 69: 3. Mos. 12.] XI. Beim ersten Gang ins Gotteshaus nach der Geburt eines totgeborenen Kindes. Blicke gnädig herab, o, du allweiser und gerechter Schöpfer, auf deine Dienerin, die sich dir in Demut und Anbetung naht, um dir zu danken, weil du ihr das Leben erhalten, und ihr Stärke verliehen hast, daß sie wieder in die Versammlung der Gläubigen hat kommen können, um deinen Namen zu preisen. Ist mein Herz auch noch betrübt darüber, daß das Kind, welches ich zur Welt brachte, nicht des Lebens Tag gesehen hat, und meine so lange gehegte Hoffnung sich nicht erfüllte, so weiß ich doch, daß eine Israelitin deinen Namen lobt, magst du nur geben oder nehmen.[70] O, höre mich, Allerbarmer! Wenn ich durch eigene Unvorsichtigkeit es bewirkt habe, daß mein Kind hienieden nicht das Licht der Welt sehen sollte, o, so bedenke meine Schwäche und vergib mir; rechne mir es nicht als Sünde an, sondern schone meiner um deiner großen Barmherzigkeit willen. Aber war es in deiner unwandelbaren Weisheit so beschlossen, daß ich die Mutterfreuden ahnen, aber nicht genießen sollte, o, so lehre mich, mein Los in Geduld tragen, und flöße mir den Trost ein, daß dieses Kind in der Stunde, wo es zur Welt kommen sollte, bereits bestimmt war zu einem seligeren Zustand einzugehen, ohne den Kampf der Welt bestehen zu müssen, ohne ihre Sorge und Qual kennen zu lernen, und daß es dereinst in der Ewigkeit mir die Schmerzen erstatten soll, mit denen ich es getragen und geboren habe, ohne durch sein Leben beglückt zu werden. O Allgütiger, laß mit meines Herzens Dank meine Bitte um reichen Segen vereinen, laß die Freude wieder in meiner Seele erwachen, und laß mich Freude und Glück über meinen teuren Gatten ausbreiten. Amen! [Fußnote 70: Ijob. 1, 21.] XII. Eine Ehegattin. Allgütiger! du, dessen Antlitz in Gnade über alle leuchtet, die dich fürchten, o, blicke in Gnaden herab auf mich, daß ich in dem Lichte deines Angesichtes wandeln und von dir beschirmt werden möge. O! breite die Schwingen deiner Barmherzigkeit über meinen Gatten und meine Kinder aus. Sei mit ihm, den mein Herz liebt auf allen seinen Wegen, behüte ihn vor Krankheit, Schmerz und Kummer, erhalte ihm die Lust und Liebe zu seinem Geschäfte, und laß keine Sorgen ihm sein Leben verbittern. Lehre mich, ständig an dem Vorsatz festzuhalten, ihm ein freundliches Heim zu bereiten, so daß er am liebsten bei mir an unserm gemeinschaftlichen Herd verweile, und häuslicher Friede und Freude ihm von demselben entgegenstrahlen möge, und daß unser schönster Genuß der sei, mit unsern Kindern in freundlicher und milder Vertraulichkeit bei einander zu sitzen. Laß uns niemals die hohen und heiligen Pflichten vergessen, welche wir gegen die Kinder zu erfüllen haben, mit denen du uns gesegnet hast. O, laß uns nicht nur für ihre leibliche Wohlfahrt Sorge tragen, sondern in und durch unsere Gebete ihren Seelenfrieden deiner Obhut anbefehlen. Ach, lieber Vater im Himmel! das ist doch der Eltern heiligstes, aber auch zugleich schwerstes Wirken in der Brust ihrer Kinder die Gottesfurcht zu wecken und des Glaubens reine Flamme anzufachen, zu hüten und zu nähren. So hilf uns denn, daß wir uns fern von törichter Weichlichkeit halten, und daß wir mit Freundlichkeit und liebevollem Ernst ihnen die nötigen Ermahnungen und Erinnerungen geben, daß wir einträchtig einander bei dieser Arbeit in deinem Dienste uns zur Seite stehen mögen! Mit Tränen befehle ich dir meine Kinder, daß keines von ihnen mißraten möge, und mein Herz durch Sünde wider dich verwunde! Bewahre sie vor schlechten Freunden, und laß Vater und Mutter ihnen eine Leuchte sein, die ihnen auf ihren Wegen leuchte, daß sie nicht fallen; aber wenn sie im Gewirr des Lebens verführt werden, ach, so laß du die Erinnerung an uns sie wieder zurück auf deinen Weg führen! Herr, setze du eine Schutzwehr um unser Haus, daß es von keiner Schlechtigkeit befleckt werde. Laß deinen Namen über unsere Wohnung genannt sein zum Leben und zur Seligkeit. Amen! XIII. Eine Tochter für die Eltern. Unsichtbarer, alliebender Gott! Wie soll ich dir danken für die unendliche Liebe, die du mir bewiesen hast und mir noch jeden Augenblick erweist, und deren Strahlen sich in der Freundlichkeit und Liebe abspiegeln, womit mich die umfangen, welche mir das Leben gegeben haben. Ach ja, mein geliebter Vater, meine teure Mutter sind mir wie zwei Engel, denen du befohlen hast, daß sie mich hüten sollen auf dem Wege, daß sie mich auf ihren Armen tragen und alle meine Schritte bewahren sollen, die sowohl für mein zeitliches, wie für mein geistiges Wohl Sorge tragen. Welche Segnung hast du nicht durch sie über mich ausgebreitet, wo gibt es wohl Eltern, die mit größerer Obhut für ihre Kinder sorgen könnten? Versagen sie sich nicht alles, um mir nur Freude und Glück zu bereiten? O mein Gott! indem ich dafür meines Herzens wärmsten Dank emporsende, bitte ich dich zugleich: Belohne du sie für alles mit deinem reichsten Segen. Verleihe ihnen viele und lange Lebenstage, daß sie noch lange meines Lebens Schmuck und Ehre seien; bewahre ihnen die Gesundheit und bereite ihnen eine Fülle der Freude. Laß sie in der Liebe und in der Hingebung ihrer Söhne und Töchter Ersatz für alle Bekümmernisse eines Vaters und einer Mutter finden, Ersatz für jeden mühevollen Tag und jede schlaflose Nacht, die wir ihnen bereitet haben. O, möchte es auch in mein Los fallen, ihnen Freude zu bereiten! Stärke mich, auf einen jeden Wink ihrer Hand acht zu geben, in Liebe und Gehorsam auf ihre Warnungen und Ermahnungen zu hören, und nach meinem ganzen Vermögen ihnen Freude zu bereiten. Erleichtere ihnen jede Bürde, und gib, daß sie selbst in ihrem hohen Alter, glücklich im Schutz der Liebe ihrer Kinder und Kindeskinder lebend, dir für deine gnadenreiche Führung bei vollen Geisteskräften danken mögen. Amen! XIV. Im Witwenstande. Allerbarmer, du, »der du gerecht bist in allen deinen Wegen und barmherzig in allen deinen Handlungen,« blicke in Gnaden auf eine tief betrübte Seele herab, die ihre Zuflucht zu dir nimmt. Jetzt stehe ich, verlassen von dem, der meine Stütze, mein Trost und mein Ratgeber war; jetzt muß ich alle Bürden des Lebens allein tragen und den vermissen, der mich durch sein ermunterndes Wort stärken konnte, mich in der Hitze des Tages erquickte und, wenn das Dunkel der Nacht meinen Geist erschreckte, mir Licht verbreitete;--ach, meines Herzens Angst ist groß, und es wird mir schwer, kindliche Ergebung in deinen Willen zu zeigen. O, so errette du mich selbst aus meiner Not, lege den beseligenden Trost deines Wortes in meine Seele und zeige dich mir als den rechten Helfer. Sieh, hier bin ich mit den Kindern, die du mir gegeben hast, o, laß mich in Gnaden erfahren, daß du in Wahrheit »der Witwen Verteidiger und Beschützer und der Verwaisten Vater« bist! Stärke mich, daß ich unter den doppelten Verpflichtungen nicht erliege, die auf mir ruhen, sondern daß ich vielmehr mit Geduld »in fester Hoffnung und lebendigem Glauben für dein Haus sorge«, im Vertrauen darauf, daß die, »so mit Tränen säen, dereinst mit Freuden ernten« sollen. Erbarme dich meiner Kinder; hilf und rette, beschütze und segne uns. Ja, o Ewiger, »sei du meine Stärke, meine Burg und mein Fels, auf dich hoffe ich und mir ist geholfen.« Amen! XV. Eine Waise. Ewiger, gerechter Gott! hart ist die Prüfung, die du mir auferlegt hast, ich bin elend und verlassen; denn meinen Vater, den du mir zum treuen Führer und Versorger gabst und meine Mutter, deren Obhut und Liebe mich zu dir leiten sollte, ich sehe sie nicht mehr!--Ach, wo soll ich denn jetzt hingehen, wo Trost und Rat suchen? O, wie sehr habe ich mich nicht versündigt, daß ich das Glück, einen lieben Vater, eine liebe Mutter zu besitzen, nicht hinreichend zu würdigen wußte, und daß ich nicht dankbar genug war für alles, was du mir in ihnen gegeben hast. Ach, wie einsam und niedergeschlagen fühle ich mich jetzt! O, du selbst, Allgütiger! öffne du mir den Schatz deines Trostes! Noch hast du ja niemals eine Seele verlassen, welche dich nicht verließ, sondern du halfst dem Elenden, der dich um deinen Beistand bat, und auch mir wirst du helfen. Du verkündigst mir in deinem Worte, daß, »wenn auch Vater und Mutter mich verlassen haben, so willst du dich, mein ewiger Gott und Vater, doch meiner annehmen.« Leite mich denn und führe mich; laß im Geiste mich stets umschwebt fühlen von jenen geliebten und verklärten Seelen, und laß mich durch einen gottesfürchtigen Wandel ihr Andenken ehren und ihnen so den schuldigen Dank darbringen. Sei du nun selbst mein Vater, der mich auf den Armen seiner Liebe trägt und mir den Bedarf des Lebens spendet. O gib, daß die Menschen, die sich freundlich an Stelle meiner Eltern meiner annehmen, auch Sorge tragen für das Wohl meiner Seele, und vergilt du ihnen all das Gute, welches sie in deinem Namen mir erweisen. Wohne du in meinem Herzen, und lenke meinen Weg so, daß ich mit Recht mich dein Kind nennen kann, mein himmlischer Vater, das Wohlgefallen vor dir und in den Augen der Menschen findet. Erhöre mein und aller Waisen Gebet; o gnadenreicher Gott, du ewiger Helfer. Amen! XVI. Im Alter. Treuer, ewig lebendiger Gott, »der den Müden Kraft verleiht und dem Ohnmächtigen große Stärke,« du, der versprochen hat, bis zum Alter mit uns zu sein, o, du hast gnädig diese Zusage für mich gehalten, und ich bringe dir meinen Dank, »daß du mich von meiner Jugend an geleitet und mich mit Barmherzigkeit und Gnade umgeben hast, bis ich alt geworden bin.--O, verlaß mich denn nun auch jetzt nicht, da ich fühle, daß meine Kräfte schwinden und meine Sinne stumpf werden.»Erinnere dich der Sünden und Übertretungen meiner Jugend nicht, aber gedenke meiner nach deinem Erbarmen um deiner Liebe willen.«[71] Verleihe mir Kraft, die Bürden des Alters mit Geduld zu tragen, und laß mich durch fromme Ergebung für alle, die um mich her wohnen, eine lebendige Ermahnung sein. Und je schwächer meines Leibes Augen werden, um so mehr laß mich den Blick nach Innen wenden, daß ich mein Inneres läutere und in den Gedanken an dich Ruhe gewinne. Ja, laß es mir in den paar Tagen, die mir noch zugemessen sind, glücken, dem jüngeren Geschlecht ein gutes Beispiel zu geben, daß die Worte, welche ich rede, zur Verherrlichung deines Namens dienen mögen, und die Handlungen, welche ich vollbringe, ein Zeugnis seien der Reinheit und Treue meines Glaubens und der Liebe in meinem Herzen. Und stärke so mich in des Lebens letztem Streit, daß ich dann deutlich den Ruf deiner Liebe vernehme:»Fürchte nichts, denn ich erlöse dich; ich rufe dich bei deinem Namen, denn du bist mein,« und daß ich noch mit meinem letzten Atemzug deinen Namen bekennen und preisen möge. Amen! [Fußnote 71: Ps. 25, 7.] XVII. Bei der Fortreise von der Heimat. Allgütiger Gott, der du unsere Schritte lenkst und einem jeden Menschen seinen Weg bahnst, laß mich in deinem Namen diese Reise antreten und beendigen. Sei du in deiner Gnade mein Begleiter, daß ich sicher wandern und Ziel und Zweck erreichen möge. Beschütze mich auf meinem Wege, daß mich kein Unheil treffe, entferne jede Gefahr von mir, jedes Hindernis, daß ich meine Reise gesund und rasch zurücklege, daß ich ungestört ausziehen und in Frieden wieder heimkehren könne. Aber während ich in der Ferne bin, nimm du meine Lieben (meinen Vater, Mutter, meinen Mann, meine Kinder usw.) in deinen Schutz, daß ich sie in Freuden wieder umarmen kann, wenn ich zurückgekehrt bin. Deine Rechte leite mich, wo ich auch gehe, und dein Gotteswort sei mir ein leuchtender Stern auf meinem Pfade. Es preise dich mein Mund und stimme froh an als Wanderlied:»Gottes Name ist eine feste Burg, in ihm pilgert der Fromme und ist geschützt.«[72] Amen! [Fußnote 72: Spr. Sal. 18, 10.] XVIII. Für einen Abwesenden, der auf der Reise ist. Lieber Gott! Mit Vertrauen wende ich mich an dich, um dich um deinen Schutz für den zu bitten, mit dem meine Seele so fest verbunden ist, für meinen teuren Gatten (meinen Vater usw.), der so fern von seiner Heimat ist. Wie meine Gedanken bei ihm verweilen, so wache du über ihn auf allen seinen Wegen; wenn er reist und wenn er sich ausruht, so sei du sein Beschützer und sein Schirmer, schütze ihn vor des Tages Hitze und den Gefahren der Nacht, halte jedes Übel fern von ihm und laß all sein Vorhaben gelingen. Führe du, von dem allein alle Hilfe und aller Segen kommt, ihn glücklich zurück, und wir wollen dich einmütig preisen und dir danken, du Gott der Barmherzigkeit, mein Schild, auf den ich mich verlasse. Amen! XIX. Wenn ein Kind auf Reisen ist, füge man hinzu: Ewiger, du, vor dessen Angesicht meine Väter gewandelt sind, du, der du bis auf diesen Tag mein Hüter gewesen bist, segne du mein Kind auf seinem Wege und laß deinen Engel ihn (sie) leiten, daß er (sie) Wohlgefallen vor deinen und der Menschen Augen finden möge. Führe ihn (sie) sicher und ruhig, wo er (sie) vielleicht einen gefährlichen Weg wandelt, laß ihn (sie) an Kenntnis, Einsicht und nützlicher Erfahrung wachsen, daß sein (ihr) Werk gesegnet werde. Lenke seinen (ihren) Fuß auf den Pfad der Frommen, wo Leben und Wahrheit ist, daß er (sie) nicht auf den Weg des Unrechts gerate, und daß er (sie) den Versuchungen und Verführungen entgehe, die seine (ihre) Tugend und seinen (ihren) Glauben bedrohen. Laß seinen (ihren) Gedanken oft die Erinnerungen und Ermahnungen vorschweben, die ich ihm (ihr) gegeben habe, lenke oft seine (ihre) Schritte in dein Haus, daß er (sie) in der Versammlung der Gemeinde dich anbete und das Bekenntnis seines (ihres) Glaubens erneuere, daß meine Seele dereinst, sei es hier auf Erden oder dort in der Ewigkeit, Freude an ihm (ihr) habe.»Auf dich, o Gott, setze ich alle meine Hoffnung, du wirst mich erhören.« Amen! XX. Gebete in jeder Art der Not und Seelenangst. (Heimlicher Kummer, Verfolgung, Verleumdung, Untreue der Freunde und Anfechtungen.) 1. O, Gott der Liebe, der du so oft meine Gebete erhört hast, verstoße mich nicht von deinem Angesichte, wenn ich in heimlicher Bekümmernis und Betrübnis mich zu dir wende. Du allein kennst meine Sorge; du kennst die Angst, die mich erdrücken will, und du weißt, was es ist, das mich quält. Du weißt, unter welcher Bürde mein Herz seufzt, und du bist Zeuge meiner Tränen, die ich heimlich weine; denn du bist es ja, der selber mir diese Prüfung geschickt hat. O du, mein Gott, »auf den ich von Jugend an meine Sorge geworfen habe,« sei du dann auch mein Trost und hilf mir. Sei mir nicht ferne, sondern komm und stehe mir bei, o Herr, mein Helfer, daß ich dir danken möge, wenn die Betrübnis von meiner leidenden Seele wieder gewichen ist. Amen! 2.»Wie lange, Herr, willst du mich so ganz vergessen? Wie lange willst du dein Angesicht vor mir verbergen? Wie lange soll ich in meiner Seele sorgen und tägliche Trauer in meinem Herzen fühlen?«[73] Vergebens wende ich mich zur Rechten und vergebens zur Linken; ach Herr, mein Gott, die Menschen sind nur schlechte Tröster, die fassen meinen Schmerz nicht und wollen meine Klagen nicht hören, ja, selbst die, auf deren Freundschaft ich rechnete, sind mir untreu geworden, und ihre Gunst und Hingebung war nur auf flüchtigem Sand gebaut. O du, der du ewig derselbe bist, »mein Herz bringt vor dich dein eigen Wort.«»Suche mein Angesicht!« Nun suche ich dein Angesicht, Herr, und du hast ja gelobt, daß du den nicht verlassen willst, der dir vertraut, und daß du deine Hand nicht von ihm ziehen willst; o, so laß mich deine väterliche Liebe zu mir auch in der Züchtigung erkennen, und »ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun, denn du bist es ja, der es getan hat.«[74] Ja »ich will stille sein und auf dich hoffen und dadurch wahre Stärke gewinnen.«[75] O, so zeige mir deine Gnade wieder; sprich zu mir:»Ich bin bei dir in der Not; fürchte dich nicht, zage nicht, denn ich bin dein Gott, ich stärke und erhalte dich.« Amen! [Fußnote 73: Ps. 13, 1-2.] [Fußnote 74: Ps. 27, 8.] [Fußnote 75: Ps. 39, 9.] 3. Ewiger,[76] du bist mein Licht und meine Seligkeit, vor wem sollte ich mich da fürchten? Du bist meines Lebens Kraft, o Herr, vor wem sollte mir wohl grauen? Laß nur meine Feinde sich wider mich erheben und wider meine Seele stürmen; denn sie werden stürzen. Wenn auch rings um mich her Heere lagern, so soll mein Herz doch nicht verzagen; denn du birgst mich in deiner Hütte in der schlimmen Zeit, und du öffnest deine feste Burg mir als Zufluchtsstätte, daß ich ruhig und sicher leben kann trotz aller Gefahr. Böse Zungen erheben sich wider mich und suchen mit ihren giftigen Pfeilen mich zu treffen; aber du, o Gott, bist mein Schild, so daß ich frei mein Haupt erheben kann, und du willst mich zu Ehren bringen. O, so laß mich denn deine Gnade im Land der Lebenden erfahren; laß mich ruhig meinen Weg wandeln und erfülle meine Seele mit Geduld, daß ich auf dich vertraue, daß ich nicht verzage, und daß auch dieses Ungemach meinem Geist zum Frommen und zur Rettung diene.»Laß jedes unfreundliche Urteil, das über mich gefällt wird, jede Verkennung, die mich trifft, eine ernstliche Erinnerung daran sein, daß ich einst zur Rechenschaft gefordert werden soll, so daß ich Selbstprüfung über meinen Sinn und meinen Wandel anstelle; laß mich einen Beweis darin sehen, »daß ich Wohlgefallen vor deinen Augen gefunden habe,« und stärke mich so in der sicheren Hoffnung, »daß du mich hier auf Erden erhältst und mich einst zu ewiger Seligkeit bei dir erheben wirst.«[77] Amen! [Fußnote 76: Nach Ps. 27.] [Fußnote 77: Ps. 41, 12-13.] 4. Trübe Gedanken umdunkeln meine Seele, und Angst und Verwirrung überkommen mich. Ach Herr, was hab' ich doch getan, daß ich keinen Frieden finden kann? Es ist, als wenn am Tage böse Geister mich bei allen meinen Handlungen verfolgten und als ob sie bei Nacht mein stilles Lager umschwebten und sich eindrängten, wenn ich meine Seele zu dir erheben will. Vergebens kämpfe ich, alle die bösen und schrecklichen Vorstellungen zu verjagen, aber es gibt nichts, das mich erretten kann.»O, so erhöre du mein Flehen, und laß mein banges Seufzen nicht unerhört von dir zurückkehren,« du, Allmächtiger, denn du allein nur kannst alle meine Plagen enden. O, sei mir nicht ferne, sondern gib mir durch deinen Geist Kraft, diesen finstern und bösen Gedanken zu widerstehen. Auf dich setze ich meine ganze Hoffnung, ach, laß sie nicht zu schanden werden, sondern laß das Licht deines Angesichtes mir leuchten, wenn die bösen Stunden kommen, daß ich mich von deiner Vaterliebe umgeben fühle und errettet werde. Amen! XXI. Gebete in Krankheit. Eine Kranke. 1. Ewiger, der du lauter Erbarmen und Wahrheit bist, gar vielfach sind die Wege, auf denen du den Menschen zu dir ziehst, wenn wir nur wüßten, uns ihrer mit Nutzen zu bedienen. Lange hast du in deiner Güte mir gesunde Tage geschenkt; ach, vielleicht habe ich dir nicht genugsam dafür gedankt; vielleicht habe ich die Kräfte meines Körpers nicht gebraucht, wie ich sollte, und habe nicht geachtet der Seufzer und Klagen der Leidenden, daß ich ihnen zur Hilfe eilte und ihre Not linderte; vielleicht achtete ich die eitlen Güter zu hoch;--siehe, da führst du mich jetzt andere Wege. Krankheit hat meinen Leib ergriffen und in Schmerzen liege ich danieder auf meinem Lager und wälze mich hin und her in der schlaflosen Nacht und finde am Tage keine Ruhe. Du, der du nur das Gute willst, hast mich vielleicht von Krankheit heimsuchen lassen, damit ich, der in den Zerstreuungen der Welt sich verlor, mein eigenes Herz läutere und prüfe und auf des Schmerzes hartem Lager lernen sollte, dich zu suchen. Siehe des Fiebers Glut, die mich verzehrt, soll mich vielleicht an meine Lauheit und Kälte in deinem Dienste erinnern, in dem Beruf, den ich erfüllen sollte, in der Anbetung deines Namens, und der brennende Durst meiner Zunge an die Versäumnis, die ich mir zu schulden kommen ließ, daß ich nicht täglich den Labetrunk aus der reichen Quelle deines Wortes schöpfte. Der eiskalte Schauer, der mich schüttelt, soll vielleicht die glühende Leidenschaft strafen, mit der ich die Befriedigung meiner Fleischeslust suchte, und diese Schwäche und Ohnmacht soll meine Härte gegen die Schwachen und Bedrängten strafen, denen ich keine hilfreiche Hand reichte; mein Bedürfnis nach der Pflege und den Beistand anderer soll meine Seele mit Scham über all mein törichtes Selbstvertrauen und meinen eitlen Stolz erfüllen, mit denen ich geringschätzend auf andere herabsah. O Herr, ich unterwerfe mich mit Ergebung deinem Willen und bitte nur: Gehe nicht hart mit mir ins Gericht, sondern laß mich deine Gnade erfahren. Habe ich mich versündigt, und ich verdiene deine Züchtigung, o, so erbarme dich über mich, wie ein Vater, der sein Kind züchtigt; flöße mir den Trost ein, »daß der Herr mich wohl züchtigt, aber mich nicht dem Tode überliefert.«[78] Mache du selbst, o mein Vater, mein Krankenlager zu einer Schule der Weisheit für mich und laß durch die Leiden meines Leibes meine Seele genesen. Herr, ich werfe mich in deine Arme, stärke mich, lehre mich mein Inneres läutern und mich mit meinem ganzen Herzen zu dir zu wenden; schenke sowohl mir Geduld in den Stunden der Schmerzen, als auch denen, die mich freundlich pflegen;»vergib mir alle meine Sünden, und laß mich deine Gnade wieder schauen, die so groß ist über den Staubgeborenen,« und ein Wandel, der dir gefällt, soll Zeugnis davon sein, daß die Krankheit mich auf den rechten Weg zurückgeführt hat, wie er in den Tagen der Gesundheit von denen betreten werden soll, die »dich suchen und lieben.« Amen! [Fußnote 78: Ps. 118, 18.] Besonders in bedenklicher Krankheit. 2. Alliebender, ewiger Vater, du, »der alle Sünden vergibt und alle Krankheiten heilt,«[79] auf mein Krankenlager niedergestreckt, sende ich meine Gebete hinauf zu dir, o, sende mir Linderung und stehe mir bei in der Stunde der Gefahr! Du, »der kein Wohlgefallen an dem Tod des Sünders findet, sondern darin, daß er auf seinem Wege umkehre und lebe«, o, laß es dein Wille sein, mir die Gaben der Gesundheit wieder zu geben, daß ich noch in dem Lande der Lebenden wirken möge. Ach, ich bitte dich nicht wegen meiner, nein, vielmehr um derer willen, die so innig an mir hängen, und deren Herzen bluten würden, wenn du mich abriefest. (Ich bitte dich um meines geliebten Gatten willen, um meiner unmündigen Kinder willen, ich bitte dich um meiner alten Eltern willen, um der heiligen Pflichten willen, die ich zu vollführen habe, errette mich!) Ich weiß, daß die Menschen nichts vermögen, und daß alle irdische Kunst und Wissenschaft nichts nützt, wenn du nicht, o himmlischer Arzt, die Genesung von oben sendest. Ach, so laß es dir denn gefallen, mich zu retten; o, sei mir gnädig und heile meine Seele; denn ich habe wider dich gesündigt![80] Sollen meine Leiden noch lange währen, so sei du mir nahe mit deinem Geiste, laß ihn am Tage über mich schweben und mir Stärkung und Kühlung zufächeln und laß ihn in der Nacht um mich sein, daß fromme Gedanken mir die Stunden der Dunkelheit verkürzen, und die Schmerzen durch die Gewißheit, daß sie die Mittel meiner Seelenrettung seien, gelindert werden. Aber sollte es der Wille deiner unerforschlichen Weisheit sein, mich abzurufen, o, so erfülle meine Seele mit Gedanken der Ewigkeit und stärke mich in meinem letzten Kampf durch die Gewißheit des Trostes, daß du mein Leben an dem Grabe erlösen und mich mit Gnade und Barmherzigkeit[81] krönen willst, daß du, der du alles versorgst, was da lebt, in deiner Fürsorge dich der Meinen annehmen und sie in den Schutz deiner Fittige nehmen mögest. Herr tue mit mir nach deinem Willen!»Heile mich und ich bin geheilt, hilf mir und mir ist geholfen, denn du bist mein Hort.«[82] Du wirst mich erlösen, Herr, du treuer Gott. Amen! [Fußnote 79: Ps. 103, 3.] [Fußnote 80: Ps. 41, 5.] [Fußnote 81: Ps. 103, 4.] [Fußnote 82: Jer. 17, 14.] Bei derselben Veranlassung in Bibelversen. 3. Aus der Tiefe ruf ich zu dir, o Herr, neige dein Ohr meinem Rufe, du Ewiger, höre meine Klage und mein Flehen. Schwer ruht deine Hand auf mir, und meine Schmerzen suchen mich heim alle Zeit; von Angst und Seufzer wird mein Fleisch verzehrt. Am Tage verschmachte ich, und viele leidenvolle Nächte fallen in mein Los; o Allerbarmer, sieh meinen Jammer und mein Elend. Wie Mutterlose, niedergeschlagen und verlassen, stehen meine Kinder um mein Lager, und ich sehe Tränen die Wangen meines Gatten netzen, wie sehr er es auch vor mir verbirgt. Ach Herr, warum so lange? Am Tage rufe ich zu dir, aber ich bekomme keine Antwort und in der Nacht höre ich nicht auf zu flehen. Wie ein Sklave, der nach Schatten seufzt und wie ein Taglöhner, der sich nach der Ruhe des Abends sehnt, habe ich Monate (Wochen) in Kampf und Schmerzen zugebracht. O Herr, lindre meine Not und mein Leiden! Sollte keine Heilkraft in Gilead sein, du ewiger Arzt, daß ich errettet würde? Ja, gewiß, wer auf dich hofft, ist nicht verlassen! Du wirst in deiner Güte mich stützen und alle meine Krankheit heben. Du hast mich ja so oft große Bedrängnis, Angst und Not schauen lassen und mich doch aufs neue belebt und mich aus dem Abgrund der Erde emporgezogen. Ja, ich sagte in meiner Qual: Ich bin vor deinen Augen verstoßen; aber du hörtest meine verborgene Stimme, da ich zu dir rief, und du tröstetest mich wieder. Und wenn auch noch mehr Weinen uns bevorsteht, so werden ich und die Meinen am Ende doch deine Hilfe erfahren, und »die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.« Ja, du wirst mich von aller Sorge befreien, unter den Frommen hienieden oder bei den Verklärten dort; ja, ich soll deine Taten verkünden! Amen! Vor einer gefährlichen Operation. 4. Mein Gott, meine Stärke und meine Hoffnung!»Du, in dessen Hand die Seelen aller Lebenden und der Geist ist, der das Fleisch eines jeden Menschen belebt, « du hast mir heute eine Stunde gesandt, voller Schmerzen und Gefahr, in der versucht werden soll, mir meine Gesundheit zurück zu gewinnen, (in der ich ein Glied meines Körpers verlieren soll, um wo möglich mir dadurch das Leben zu erhalten), o, sei mir denn mit deiner Liebe in diesen Augenblicken nahe. Stärke meinen Mut und lehre mich den schwersten Schmerz in dem Gedanken ertragen, daß du es bist, der »sowohl Wunden schlägt als auch sie verbindet,« daß deine Weisheit es also beschlossen hat und es deshalb zu meinem Heile dienen soll. Ach, daß du mich deines Beistandes und Trostes in diesem Kampfe würdig hieltest! Vergib mir, o, vergib mir alle meine Sünden, (hier lese man das Sündenbekenntsis, Oschamnu), laß meine Seele zu dieser Stunde sich mit aller Welt versöhnen und laß mich alle Bitterkeit aus meinem Herzen tilgen! Laß mich erfahren, daß»nur eine kleine Stunde über deinen Zorn verrinnt, aber das Leben deine Lust ist. Du verläßt den Menschen nur eine kurze Weile, aber du nimmst dich seiner mit großem Erbarmen wieder an.« Rufe mir ins Gedächtnis, wie viele sich den schwersten Martern unterworfen, um deinen Namen zu heiligen, und durch ihren festen Glauben sich die Herrschaft über den Schmerz errungen haben, wie viele Mut und Standhaftigkeit in den herbsten Leiden zeigten und unter deinem Segen für ihre fromme Standhaftigkeit durch eine freundliche Zukunft belohnt worden sind. Laß die Liebe und das Vertrauen zu dir, Allgütiger und Allbarmherziger, mich keinen Augenblick verlassen; laß deine Rechte mich halten. Nun wohlan denn! in deinem Namen!»In deine Hände befehle ich meinen Geist« mit meinem irdischen Leibe. Gott ist mit mir, ich fürchte mich nicht! Schéma Jisroel Adônai Elôhenu Adônai Echod!--Höre Israel, der Herr unser Gott ist ein einziger Gott! Gelobt sei er in alle Ewigkeit! Amen! Fürbitte für einen Kranken. 5. Herr! du selber hast gesagt:»Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.« O, laß denn das Gebet meines bekümmerten Herzens zu dir aufsteigen. Bei dir sollte ich wohl Stärke finden unter der schweren Krankheit, die meinen lieben... (hier wird der Name des Kranken genannt) an das Lager fesselt. Wohl weiß ich, daß deine Wege nicht unsere Wege und daß die Ratschlüsse deiner Weisheit unerforschlich sind und verborgen unserer Kurzsichtigkeit, und daß auch diese Schmerzen, unter denen der Teure leidet, von dir gesandt sind; aber ich weiß auch, daß du gnädig auf die herniederblickst, die in ihrer Angst zu dir rufen, und daß die Tränen, die meinen Augen entströmen, dir nicht mißfallen.--Du, der du selbst uns hast verkünden lassen, daß du unser Arzt sein willst, wenn wir auf deinen Wegen wandeln, o, vergib dem Kranken alle seine Übertretungen, tilge das Andenken seiner Sünden und laß es dein Willen sein, daß mein....... wieder rasch geheilt werden und noch lange leben möge zur Verherrlichung deines Namens. Lindre sein (ihr) Leiden und laß ihn (sie) Erquickung und Ruhe finden. Erhöre die Gebete, die er (sie) zu dir sendet und schenke mir ihn (sie) wieder, daß ich dir danken möge, mein Helfer und Gott. Amen! Der Kinder Gebet für einen kranken Vater oder eine kranke Mutter.[83] 6.»Erhöre, o Gott, mein heißes Gebet, und schweige nicht zu meinen Tränen,«[84] siehe den Kummer meiner Seele und mein angsterfülltes Herz! Denn ach, die Güter meines Lebens sind in steter Gefahr, mein Vater (meine Mutter) liegt auf dem Krankenbette!--O Herr, welche Wehmut erfaßt mich, da ich ihn (sie) leiden sehe, wie graut mir vor dem Gedanken ihn (sie) zu verlieren.»Strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Groll,«[85] sondern vergib mir alle meine Sünden und sende mir Hilfe von deinem Himmel. O Herr nimm meinen Vater (meine Mutter) nicht von mir. Vergib mir alles, worin ich mich gegen ihn (sie) vergangen habe, und laß ihn (sie) noch den Tag erleben, wo ich ihm (ihr) meine ganze kindliche Liebe und Hingebung beweisen kann. O Herr, errette ihn (sie) um deines heiligen Namens willen, »du, mein Gott, der ein Gott der Errettung ist, der Herr, der Ewige, der vom Tode errettet,«[86] und erfülle so für mich (und meine Geschwister) deine Zusage, daß dein Name nicht von uns weichen und der Bund deines Friedens dem Geschlechte der Frommen erhalten werden soll. Amen! [Fußnote 83: Dieses Gebet kann auch von einer Gattin für den Gatten bei dessen Krankheit gebetet werden, wenn die Worte darnach verändert werden.] [Fußnote 84: Ps. 39, 13.] [Fußnote 85: Ps. 6, 3.] [Fußnote 86: Ps. 68, 21.] Dankgebet nach einer überstandenen Krankheit. 7.»Wie soll ich dir danken, o Herr, für alle deine Wohltaten,«[87] daß du nicht nach meinen Sünden mit mir verfahren und mir nicht nach meinen Missetaten vergolten, sondern dich über mich erbarmt hast, wie ein Vater sich über seine Kinder erbarmt? Wie soll ich dir danken, daß du meine Stütze in all meiner Schwäche warst!»Siehe, ich kam der Pforte des Todes nahe; da rief ich zu dir, und du sandtest mir dein Wort und heiltest mich.«[88] O, laß den geringen Dank meines Herzens für jede Linderung, für jede Tröstung und Erquickung als ein Rauchopfer zu dir emporsteigen.»Ja, Du gabst mich dem Leben zurück, und alle Tage meines Lebens will ich dir dafür danken, indem ich demütig deine Wege wandle und stetig mir vergegenwärtigen will, daß du es gewesen, der mich aus dieser Gefahr und Seelenangst errettet hast.« Verleihe mir deinen Beistand zur Erfüllung meiner Gelübde, daß ich mein Leben deinem Dienste weihe (und der Erziehung meiner Kinder in deiner Furcht) und deinen Namen und deine Güte vor meinem Geschlechte preise. Laß mich stets mit einem dankbaren Sinn mich aller Hilfe, Teilnahme und Tröstungen erinnern, welche treue Verwandte und Freunde mir auf meinem Krankenlager zuteil werden ließen, und alle Freundlichkeit und Sorgfalt und Geduld, die selbst bezahlte Diener mir bewiesen. Jetzt habe ich vollkommen das Weh der Krankheit kennen gelernt; jetzt verstehe ich den Schmerz der Armen, welche auf dem Siechbette seufzen; ach wollest du, o Gott, mir deinen Geist und deine Kraft mir dazu verleihen, sie zu pflegen, ihren sinkenden Mut aufrecht zu halten und ihre Hoffnung durch dein Wort zu beleben! O, Allbarmherziger, laß meine Krankheit meinen Geist geläutert und mich von den Sünden gereinigt haben, daß ich auch ferner deines väterlichen Schutzes würdig sein möge! Behüte du meine Wege, und niemals wird meine Seele aufhören, dir Lob und Dank und Preis zu bringen. Amen! [Fußnote 87: Ps. 103, 31.] [Fußnote 88: Ps. 107, 17-22.] Gebet für Kranke. (Nach dem Hebräischen) In einem Krankheitsfalle bete man folgende Schriftstellen: Ein Leidender, wenn er verschmachtet und seine Klage ausschüttet vor dem Herrn. (Ps. 102, 1.) 8. Herr! o höre mein Gebet und laß meine Klage vor dich kommen; verbirg dein Angesicht nicht vor mir, sondern neige dein Ohr mir zu in der Stunde der Not, und erhöre mich rasch an dem Tage, da ich zu dir rufe. Ja, zu dir, o Herr, bete ich; demütig flehe ich zu dir; o, sei du auch mein Schild, erhebe mein Haupt und erhöre mich von deinem heiligen Berge. O, höre mich, wenn ich bete, du mein gerechter Gott, der mich in der Not errettet, sei mir gnädig und erhöre mein Gebet. Lausche meiner wehmütigen Klage, o mein König und Gott, denn zu dir bete ich. In meiner Not rufe ich zum Herrn, bete zu meinem Gott, und er hört meine Stimme von seinem hohen Himmel; meine demütige Bitte erreicht sein Ohr. Ja, höre meine Stimme, o Herr, nun ich dich anrufe, sei mir gnädig, und erhöre mich. Ich rufe zu Gott und der Herr errettet mich. Höre, o Herr, meinen Ruf und lausche meinem Gebet. Sei mir gnädig, o Herr, den ganzen Tag rufe ich zu dir; erfülle die Seele deines Dieners mit Freude, denn zu dir, o Herr, erhebt sich mein Geist, und du, o Herr, bist gut und gnädig und erbarmst dich über den, der dich anruft. Mit lauter Stimme bete ich zum Herrn, und ich schütte vor ihm meine Klage aus und erzähle ihm meine Drangsale. Herr, du kennst mein Sehnen und mein Seufzer ist dir nicht verborgen, o erinnere dich nicht meiner Jugendsünden, sondern sei gnadenreich gegen mich um deiner Güte willen, o Herr! Reinige mich von meinen Sünden, läutere mich von meiner Schuld. Ja, gedenke nicht der Sünden meiner Vorzeit, sondern laß dein Erbarmen mir rasch zuteil werden, denn ich bin sehr elend. Um deines Namens willen, o Herr, vergib mir meine Sünden, denn sie sind sehr schwer, und wolltest du nach der Sünde bestrafen, o Herr, wer könnte da vor dir bestehen? Behandle uns nicht nach unserer Schuld und strafe uns nicht nach unserer Sünde. Und zeugen unsere Sünden wider uns, o Herr, so achte nicht darauf, um deines Namens willen, denn ich kenne meine Sünden und bin bekümmert ob der Schuld meiner Vergehen. Errette mich von den Folgen aller meiner Übertretungen, daß ich nicht zum Spott der Toren werde. Ich bitte, o Herr, sei mir gnädig, heile meine Seele, denn ich habe wider dich gesündigt; sei mir gnädig in deiner Barmherzigkeit und tilge meine Schuld in deinem unendlichen Erbarmen, denn ich bekenne meine Schuld und habe stets meine Sünden vor Augen. Ja, so wende dein Angesicht von meiner Schuld ab und tilge meine Sünde. Ich muß erliegen unter meiner Sündenschuld, aber vergib du sie mir, denn du Allbarmherziger vergibst die Schuld und vernichtest nicht; so manches Mal hast du deinen Zorn besänftigt, o, so laß deinen Groll denn auch über mich nicht entflammen! Hilf mir, errettender Gott, um der Ehre deines Namens willen. Hätte ich auch Unrechtes in meinem Herzen gedacht, in dem Wahn, daß du es nicht wissest, du, der Allwissende, o Gott, so höre doch nur auf meine betende Stimme: Strafe mich nicht in deinem Zorn, o Herr, denn ich welke dahin; heile mich Herr, denn meine Glieder werden matt und meine Seele ist gar müde! Ach Herr! Wie lange soll es währen? Wende dich wieder zu mir, o Herr! Rette meine Seele, hilf mir um deiner Gnade willen, meine Augen schauen mit Sehnsucht aus nach deiner Hilfe, nach der Vergebung deiner Gnade; o laß dein Erbarmen sich mir nahen, o Herr, sende mir die Hilfe, die du versprochen hast. Ich will wieder umkehren zu dem Herrn, denn er verwundet wohl, aber er heilt auch wieder, und wie er verletzt, so verbindet er auch. Ja, du, o Herr, bist barmherzig und gnädig, schenke deinem Diener Kraft und hilf dem Kinde deiner Dienerin. Schütze mich vor Not, umgib mich mit dem Jubel der Errettung. Vertraue dem Herrn auf ewig, denn der Herr ist der ewige Fels. Der Herr gibt seinem Volk den Sieg und segnet es mit Frieden. Gott der Heerscharen! Glücklich ist der Mensch, der sein Vertrauen auf dich setzt; Herr, errette mich, mein König! erhöre mich, wenn ich zu dir rufe. Herr der Welt! Ich weiß, daß dein Urteil gerecht ist: Du hast mich vor deinen Richterstuhl gerufen, aber ich bin nicht rein vor dir, und keiner kann mich vor dir rechtfertigen. Aber du willst meine schlafende Seele retten, daß sie sich wende zu dir; o siehe ich trete vor dich im Vertrauen auf deine heilige Zusage, daß ich durch Gebet mir Linderung und Errettung bereiten soll, um gerechtfertigt vor deinen Richterstuhl treten zu können. O, wende du in deiner großen Gnade das strenge Urteil von mir ab und befiehl dem Engel des Verderbens, daß seine Hand von mir ablasse! Vergib mir alle meine Schuld in deiner großen Barmherzigkeit, denn ich halte Umkehr und tue Buße und sehe vollkommen meine Schuld ein und bereue sie von ganzer Seele. Siehe, mein Herz wird von Scham erfüllt und mein Angesicht wird rot vor Beschämung, denn ich habe gar sehr gesündigt, und deshalb eile ich, zu dir zurückzukehren. Schaue denn, o Herr, meine Not an und rechne sie mir zur Versöhnung; o, wache über mich und alle Meinen und sprich: Es sei genug! Im Namen des Ewigen! Laß doch meine Leiden ihr Ende nehmen und wende mein Los zum Guten und sende mir und allen Kranken in Israel baldige Heilung. Zeige mir ein Zeichen der Errettung und erbarme dich über mich um deiner Gnade willen, denn deine Barmherzigkeit ist so hoch wie der Himmel, und deine Treue reicht weiter, denn die Wolken gehen. O Herr! Ewig will ich dir dann danken und deine Wunder verkünden. Ich beuge mich in Demut vor dir, und ehre deinen Namen. Gelobt seist du, o Herr, in aller Ewigkeit. Amen! Betet man für einen andern, so füge man hinzu: Erbarme dich über meinen kranken (Gatten, Sohn usw.), denn du bist barmherzig und gnädig, und sende ihm (ihr) und allen Kranken in Israel vollkommene Genesung. Herr, zeige mir ein Zeichen der Errettung zum Guten, erbarme dich über mich um deines Namens willen, denn deine Güte und Treue reichen hinauf zum Himmel und so weit die Wolken gehen. Ewig will ich dir dann danken und alle deine Wunder verkünden. Gelobt seist du, o Herr, in aller Ewigkeit[89]. Amen! XXII. Gebete während einer ansteckenden Krankheit. Gebt dem Herrn, Eurem Gott, die Ehre, bevor er es finster werden läßt, und bevor eure Füße anstoßen gegen die dunkle Höhe. (Jer. 13, 16.) 1. Allmächtiger Gott! Du erinnerst uns Menschenkinder daran, daß wir Staub und Asche sind; denn über unsere Stadt ist die schlimme Zeit hereingebrochen, von der es heißt: « Das Volk soll geängstigt werden und umhergehen wie Blinde, weil es gegen mich gesündigt hat«(Zeph. 1, 17). Ach, schon hören wir das Seufzen der Angst und bemerken die Zeichen des Schreckens auf dem Antlitz vieler Leute, während unser Inneres bebt und fragt: wer kann oder wird uns doch retten? Wir tappen umher in der Finsternis, die sich über uns gelagert hat.--O du, dessen Barmherzigkeit ohne Ende ist, dessen Güte sich mit jedem Morgen erneuert, sieh unsere Bekümmernis, öffne unsere Augen und lehre uns begreifen, daß du es bist, der Allbarmherzige, der diese Zeit über uns geschickt hat, auf daß wir unsere Ohnmacht erkennen und uns überzeugen, daß du dich gegen dein sündiges Kind als ein lieber Vater zeigst, der es wieder in Gnaden annehmen will. Sende uns deinen Geist, daß diese Zeit der Heimsuchung zu unserer Heiligung diene; denn ach, wir müssen bekennen, daß wir dich lange nicht über alles in der Welt geliebt haben, wie wir es dir schulden. Nicht auf dich haben wir unser Vertrauen gesetzt, sondern auf vergängliche Dinge, auf schwache Menschen. Eitelkeit und Habsucht, Hochmut und Haß, Neid und Wollust beherrschen uns. O lieber Gott, laß uns deine Güte in dieser schlimmen Schickung erkennen, daß sie uns läutere und reinige, und laß sie auch mich also rühren, daß ich zu dir wieder mit getrostem Mute aufschauen kann, wie ein Kind zu seinem Vater, in der Gewißheit, »daß du mich nur strafst, aber nicht auch dem Tode hingibst.« O du, der du gut bist und gerne vergibst, der du Erbarmen gegen den zeigst, der dich anruft, o vergib mir meine Sünden und laß mich deine Vaterstimme hören, die mir zuruft:»Du bist nicht verlassen, ich bin bei dir in der Not, ich will mich über dich erbarmen und will dich aus derselben erlösen!« Erschaffe in mir ein reines Herz und einen neuen, beständigen Geist erneuere in meinem Innern. Du, der du mein Vater bist, mein ewiger Erlöser, gelobt sei dein Name. Amen! [Fußnote 89: Ps. 57, 11. 108, 2.] Gebet um Mut. Wenn ich mitten in Angst wandere, so erquickst du mich. (Ps. 138, 1.) 2.»Zu dir, o Gott, rufe ich, und bete, o, laß mein Seufzen nicht unerhört zurückkehren.« Dich suche ich auf in dieser Zeit der Not und nach dir strecke ich meine Hand aus in der Nacht, wenn nichts meine bange Seele erquicken will, denn rings um mich her verbreitet der Tod seine Schrecken, und der Mut verläßt mich. O, mein Vater, du bist bisher mit mir gewesen, verlaß mich auch jetzt nicht, sondern erneuere in mir deine gnadenreiche Verheißung:»Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir in der Not; verzage nicht, ich bin dein Helfer; ich stärke dich und behüte dich, ich unterstütze dich mit der Hand meiner Gerechtigkeit.« Flöße mir Mut ein, daß ich, umringt von den Schrecknissen des Todes, sicher ausrufen möge:»Der Herr ist mit mir, deshalb fürchte ich nichts!« O, nicht nur um meinetwillen sondern auch für die, welche verzagt und in des Todes Ängsten wandeln, bitte ich dich: gib mir Mut, daß ich sie in ihrer Furcht beruhigen, daß ich zur Hilfe eilen könne, wo jemand niedersinken will, und daß ich ihre angsterfüllten Herzen stärken könne.--Ich bitte um Mut und Kraft für die, deren Beruf es ist, die Kranken zu besuchen, daß sie auf dich vertrauen und es erfahren, wie »du ihren Mut und ihre Kraft vermehrst, daß sie gehen und nicht ermatten, daß sie laufen und nicht müde werden!« Wir sind ja in deiner Hand, wie sehr wir auch bedroht sind, und nichts kann uns widerfahren, ohne daß es von dir geschickt ist, und niemand stirbt, bevor seine Zeit verflossen, die du ihm zugemessen hast! Soll ich da Furcht hegen in den bösen Tagen, in denen meine Treue ja recht geprüft werden soll, wenn ich glaube, daß es ein weiser und liebevoller Lenker ist, dessen Augen offen sind über den Wegen aller Menschenkinder, und der über Leben und Gesundheit eines jeden wacht; wenn ich glaube, daß « wir einen Gott haben, der da hilft, und den Herrn, der vom Tode errettet!« O, Herr, vergib mir meine sündige Schwäche, laß mich schöpfen aus der Quelle des Lebens, aus der Gottesfurcht und den Schlingen des Todes entgehen. So sei denn ruhig, meine Seele; weshalb bist du so niedergebeugt und stürmst in mir? Warte auf den Herrn, denn ich soll ihm noch danken, daß er mein Helfer war! O Herr, stärke mich, durch Unerschrockenheit deinen Namen zu verherrlichen und ihn vor den kommenden Geschlechtern zu preisen. Zeige dich gütig gegen mich, daß ich leben möge und deine Gebote halte. Amen! Tröstung. Gott, wir hören deine Stimme durch die Welt erschallen--und beben:--o Ewiger, erhalte deine Geschöpfe, denke im Zorn daran, dich zu erbarmen, bevor die Jahre verrinnen, daß der Himmel mit deiner Herrlichkeit erfüllt und die Erde deines Ruhmes werde. (Hab. 3.) 3. Der Herr ist meine Stärke, mein Schild! Auf ihn hofft mein Herz, und mir ist geholfen; deshalb freut sich mein Geist, und auch meine Glieder wohnen in Sicherheit. Wenn auch ein Unwetter rast, und giftige Dünste sich ausbreiten, mein Herz fürchtet sich doch nicht, denn der Herr stillt das brausende Meer und das Getöse der verheerenden Wogen. Ja, du, Herr! hältst deine Hand über mich, daß kein Übel mich vernichte, wie groß und gewaltig es auch sei. In deiner Hand, o Ewiger, ruhen ja meine Lebenstage; welche Gefahr kann mir wohl drohen, wenn du mein Felsen bist, an dem ich mich festhalte? Du bist ja mein Hirt, dessen Stab mich leitet; du birgst mich in deiner Hütte zu der schlimmen Zeit und bewahrst mich und alle die Meinigen vor Krankheit und Plage; denn wenn du auch im Himmel thronst, so schaust du doch mit holdem Vaterblick auf deine Menschenkinder herab. Du scheinst sie wohl für eine kleine Stunde zu verlassen, aber wendest dich ihnen bald in deiner großen Barmherzigkeit wieder zu. Deshalb will ich auf dich bauen, daß du mich wie mit einer Mauer von Feuerflammen umgibst und mich errettest, daß ich alle deine Wundertaten verkünden kann. Amen! Ergebenheit in Gottes Willen. Und sie riefen zum Herrn in ihrer Not, und er half ihnen aus ihrer Angst. (Ps. 107, 13.) 4. Umgeben von den Schrecknissen des Todes, umringt von den Ängsten der Drangsale und der Betrübnis, sucht mein bekümmertes Herz dich, du Herr des Lebens und des Todes, der die Stunde bestimmt hat, in der wir von hier scheiden sollen, und ich bete zu dir, daß du meine Seele mit Ergebung in deinen Willen erfüllen mögest, so daß ich vertrauensvoll mich dir hingebe und spreche:»Siehe, hier bin ich, Allgütiger, tue mit mir, wie dir am besten scheint!«(1. Sam. 15, 26.) Ach rings um mich her rast ja die verheerende Krankheit, und der kalte Flügelschlag des Todes trifft so viele, die noch so frisch und froh ins Leben dreinschauen; er schont weder das Alter, noch die kraftvolle Jugend. Was kann da mein Herz stärken, wenn es verzagen und verzweifeln will, als nur allein der Gedanke, daß meine Zukunft, mein Schicksal in deiner lieben Hand ruht? Du hast mir das Leben verliehen, und in deiner Macht steht es, dasselbe wieder zurückzunehmen, aber gewiß wirst du es nicht tun, ohne daß auch darin deine Liebe, deine Gnade sich mir offenbart.»Herr, in deine Hand befehle ich meinen Geist; du wirst mich erlösen, wenn du es für gut findest, du wahrhaftiger, getreuer Gott!«--Mit Sorgfalt will ich mich vor allem hüten, wodurch ich leichtsinnig mein Leben in Gefahr bringen könnte, und will suchen, dasselbe durch Mäßigkeit, durch Ordnung in meinem Lebenswandel, durch einen wohlzufriedenen und ruhigen Sinn und durch die Kunst und Klugheit des Arztes zu beschützen. Aber ich will auch bereit sein, von hier zu scheiden und mich deshalb im Geiste mit allen versöhnen, die irgendwie mich gekränkt oder beleidigt haben, und ich will alle äußeren und inneren Angelegenheiten meines Lebens ordnen und eine innige Gemeinschaft mit dir suchen, daß ich nicht unvorbereitet vor dein Angesicht treten möge, wenn du mich zur Ewigkeit rufen solltest.--Allgütiger! deinem Schutze und deiner Leitung befehle ich mich und diejenigen, welche mir lieb und teuer sind. Dir überantworte ich mein und ihr zeitweiliges und ewiges Wohl, und mein Herz ist ruhig und gefaßt. Weshalb sollte mir vor dem Tode und seiner vernichtenden Hand grauen? Mein Leben und meine Seligkeit ist ja in deiner Hand und wird von deiner Liebe behütet, die stärker ist als der Tod. Deshalb verzage nicht, meine Seele, sondern befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, denn er wird's wohl machen. Amen! Gebet um das Morgen-und Abendgebet im Gotteshause oder daheim zu beschließen. 5. Herrscher der Welt! Ewiger, barmherziger Gott, der voll Güte und Erbarmen ist, und in dessen Hand die Seelen aller Lebendigen ruhen, o, gehe nicht ins Gericht mit uns, denn kein Menschenkind kann sich vor dir rechtfertigen. Wie sollen wir, o Allmächtiger, unsere Schuld abbitten, und womit uns vor dir verantworten? Wenn du uns unsere Sünde anrechnen willst, wer könnte da vor deinem Zorn bestehen, aber erhöre uns um deines heiligen Namens willen und blicke gnädig vom Himmel auf uns nieder und laß mein und aller Gebete, die in dieser Zeit zu dir aufsteigen, dir angenehm sein wie das reinste Rauchopfer, welches uns in früheren Tagen deine Versöhnung und Errettung gewann. Vergib und verzeihe diesem Volke seine Sünden in deinem großen Erbarmen, o du, der du allen denen nahe bist, die dich in Wahrheit anrufen! Neige dein Ohr unserer heißen Bitte und wende jede Krankheit und Seuche von uns ab; errette alle, die in dieser Stadt und diesem Lande wohnen von Pest und Plage! Laß deine Barmherzigkeit über uns alle, nah und fern, wachen, und sende deinen Engel vor uns her, daß wir unerschrocken im Vertrauen auf dich wandeln, und keine Plage sich unserer Wohnung nähere; heile uns, so sind wir geheilt, hilf uns, so ist uns geholfen, denn du allein bist unser Ruhm und unsere Zuflucht. Allerbarmer, treuer Arzt, alliebender Vater! verbirg dein Angesicht nicht vor uns, sondern lausche in unserer Not auf unsern Angstruf; schweige nicht zu unsern Tränen und züchtige uns nicht in deinem Zorne; suche uns nicht heim in deinem Grimme, verlaß uns nicht in unserem Kummer, verwirf uns nicht, wenn unsere Kräfte schwinden, sondern erinnere dich deiner unendlichen Güte und behalte zurück das schlimme Verhängnis; stärke die Schwachen, daß unsere Herzen mit Mut erfüllt werden, und sei uns gnädig um deines heiligen Namens willen. O, eile uns zu Hilfe, daß wir nicht unter dem Drucke der Leiden erliegen, befreie uns von allem Bösen, und laß uns nicht unerhört von deinem Angesichte gehen, sondern laß dein Antlitz uns in Gnade leuchten, auf daß ich und wir alle uns deiner Hilfe freuen und durch deine Rettung froh werden mögen. Amen! Danach lese man abwechselnd 2 von folgenden Psalmen Davids. 6. 20. 23. 25. 27. 30. 32. 33. 34. 38. 41. 88. 86. 90. 91. 102. 103. 116. 118. 121. 130. 143. Ein anderes Gebet, um die Morgen-und Abendandacht zu beschließen. 6. Alliebender Vater! getreuer Gott, der du in deiner Langmut uns unsere Sünden vergibst und alle unsere Krankheiten heilst, der du unser Leben vom Grabe errettest und uns mit Güte und Barmherzigkeit krönst, o, neige dein Ohr meinem und aller Gebet in dieser Zeit der Heimsuchung und sende Heilung für mein zerknirschtes Herz! In Demut bekenne ich vor dir, daß meine Sünden groß und zahlreich sind, ach, und daß keiner von uns vor dir würde bestehen können, wenn du uns unsere Schuld anrechnen wolltest; aber du vergiltst uns nicht nach unseren Missetaten! Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhebt sich deine Gnade über uns; du erbarmst dich ja über uns, wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt, o laß denn deine Güte mit uns sein und zeige uns das Zeichen der Errettung! Hilf uns unter allen schlimmen Heimsuchungen, unter all den schweren Schickungen und Strafgerichten, welche du über die Welt verhängst; sei uns nahe, während wir beten, zerteile die dunkle Wolke, die sich über uns gelagert hat, und entferne von uns jede Krankheit und Plage, ja errette uns von der bösen Seuche, die sich über so viele Lande verbreitet hat! O, nimm dieses Unheil fort von deiner Erde und laß das Verderben unsere Wohnung nicht erreichen; befreie uns von aller Angst, vor der Pest, die im Dunkel einherschleicht, und vor der Plage, die in der hellen Mittagsstunde Verderben bringt. Erfülle an uns deine Zusage, »daß du denjenigen Speise und Trank segnen und von denen jede Krankheit abwenden willst, die dir dienen! Und sind wir auch nicht würdig, erhört zu werden, o, so tue es um der Unmündigen und Säuglinge willen, die dein Reich auf Erden befestigen sollen, und die nicht gesündigt haben! O, siehe unsere Reue, höre auf unser Seufzen, und laß es uns erfahren, daß du keine schlimme Krankheit über uns kommen lassen willst, wenn wir deiner Stimme gehorchen und tun, was recht vor deinen Augen ist und deine Gebote halten, denn du, Allwissender, Ewiger, bist unser Arzt! O, so heile denn mein zerknirschtes Herz, heile die Wunden aller! Erbarme dich über alle diejenigen, welche von Bekümmernis, Leiden oder Schmerzen ergriffen sind, sei allen denen nahe, die da krank sind, unterstütze sie auf ihrem Lager, laß sie gesunden, verlängere die Zahl ihrer Tage und schenke ihnen wieder ein freudenreiches Jahr! Laß die Stimmen des Frohsinnes in unserem Lande wieder laut werden, laß die Stunde der Freude aufs neue für diese Stadt erscheinen, daß wir in dein Haus eilen und dir Dankopfer für die Errettung, die du uns gesandt hast, darbringen können. Schenke mir und schenke uns allen Leben und Kraft, deinen Namen zu preisen und zu bekennen, daß auch dieser bittere Kelch zu unserm Seelenfrieden gedient, uns vom Verderben gerettet hat; denn »du warfst alle unsere Sünden hinter uns.« O, laß die Worte meines Mundes, die Gedanken meines Herzens dir gefallen, Herr, mein Erretter. Amen! XXIII. Gebete auf dem Friedhof. Über die Sitte, die Grabstellen zu besuchen und dort zu beten. »Siehe, ich lege dir Leben und Tod vor, wähle das Leben!«(5. B. Mos. 30, 15. 19) So lauten die Worte der Schrift: Wähle das Leben, denn alle Lehren und Gebote in der heiligen Thora gehen nur auf das Leben (Ezech. 20, 11.), und des Glaubens Kraft soll sich für das Leben und in demselben wirksam zeigen. Diese Worte geben uns den Grund dafür an, warum der Israelit seine Heiligtümer nicht auf Grabeswölbungen baut, nicht das Tote zum Grund für die Saat des Glaubens wählt und keinen Reliquien-Dienst kennt; und wie hoch er auch den entseelten Leichnam achtet, als die Hülle, die einst gewürdigt gewesen ist, den göttlichen Geist zu tragen, so daß die Geringschätzung einer Leiche als Gotteslästerung bezeichnet wird (Berachoth 19), so verbietet seine Religion doch, eine Leiche zur Schau zu stellen oder Prunk mit derselben zu entfalten, um der Eitelkeit Nahrung zu geben, wenn die Verwesung schon davon zeugt, daß sie eine Beute des Grabes ist. Bei jedem Todesfall soll das Gefühl von dem Ernst des Lebens und seinem raschen Entschwinden bei uns geweckt werden, so daß wir aufs neue unser Dasein zur nützlichen Wirksamkeit unter den Menschen heiligen, zu einem heiligen Wandel vor dem Unsichtbaren, und wenn man auch die Stätten bezeichnen soll, wo teure Entschlafene ruhen (Ezech. 39, 15.), so soll es doch nicht durch kostbare Denkmäler geschehen; denn gute Werke sind die schönsten Monumente, welche die Hinterbliebenen für die Verklärten errichten und edle Handlungen die schönsten Blumen, die auf ihren Grabeshügeln gepflanzt werden.[90] [Fußnote 90: Wenn man in der späteren Zeit auch auf jüdischen Friedhöfen prachtvolle Grabmäler, sogar mit heidnischen Sinnbildern geschmückt, hervorragen sieht, so kann man nur beklagen, daß der erhabene Geist der jüdischen Religion so wenig erkannt wird; denn dieser gebietet einen bescheidenen Wandel im Leben, um wie viel mehr verbietet er also das Entgegengesetzte im Grabe. Man muß beklagen, daß die Kurzsichtigen nicht einsehen wollen, daß alle diese Denkmäler zuletzt verwittern werden, so daß niemand die Stätte mehr kennt, wo sie gestanden haben. Wie viel besser, wenn die Summen, welche darauf verwendet worden sind, zu Wohltaten gespendet worden wären. Und ist es auch nur eine geringe Summe, so könnte doch die Rente davon einer armen Familie jährlich eine frohe Woche verschaffen, und da würden Freudentränen als dankbare Beweise dem Gedächtnisse eines längst Entschlafenen fließen.] Wenn es demnach eine uralte Sitte ist, an gewissen Tagen im Jahre die Gräber zu besuchen, besonders, wenn der Tag wiederkehrt, an dem man einen seiner Verwandten verloren hat, oder wenn Sorgen und Bekümmernis unsern Sinn darniederdrücken,[91] so ist es eine Selbstfolge, daß eine jede abergläubische Vorstellung davon fern gehalten werden muß, jene schwärmerischen Gedanken, als ob man mit den Toten verkehren oder sie sogar anbeten könne, was ganz und gar wider die Grundsätze unserer erhabenen Religion streitet (5. Mos. 18, 9. 11.); denn die, denen Gott sich offenbart hat, heißt es bei den Propheten (Jes. 8, 19.), die sollen sich zu ihm wenden, der einen jeden erhört, der ihn in Wahrheit anruft, und nicht die Toten für die Lebenden fragen. [Fußnote 91: Cir. Taanith. Fol. 16 u. 23, wonach in älteren Zeiten die ganze Gemeinde in Zeiten der Bedrängnis, z. B. bei Mißernte, in Kriegszeiten, u. s. w. sich auf dem Friedhofe zum Gebet versammelte.] Nein! Ganz andere Gesichtspunkte sind es, von denen aus der Besuch der Gräber bei den Juden verstanden und begriffen werden soll. Zuerst und vor allen Dingen soll er den Namen Gottes heiligen und es laut verkünden, daß der Allgütige gerecht ist, wie unerforschlich auch seine Wege sind. Dort legt er, wenn einer seiner Lieben zur Erde getragen wird, das Bekenntnis ab, daß des Allmächtigen Schöpfers Werk vollkommen und alle seine Wege gerecht sind (5. Mos. 32, 4). Je mehr es uns in dem schweren Augenblick, wo der Leichnam eines unserer Lieben versenkt wird, vorkommen könnte, als ob manches Menschen Dasein unvollendet geblieben sei, und wir in der Bitterkeit des Schmerzes versucht werden könnten, Gottes Gerechtigkeit zu bezweifeln, destomehr sollen wir unsere wahre Ergebenheit in Gottes Willen, unsern unverrückbaren Glauben beweisen, und indem wir der künftigen Welt gedenken, es bekennen, daß der Herr gerecht ist. Und diesen Glauben sollen wir jedesmal stärken, da wir die Gräber besuchen. Sowohl das Leben als der Tod scheinen uns in Wahrheit rätselhaft. Wir sehen hier nicht nur Menschen jeden Alters und Standes bestattet, und scheinen oft Grund zu der Frage zu haben, weshalb es diesen oder jenen treffen mußte, sondern wir sehen auch solche, deren Wirksamkeit uns von der größten Wichtigkeit zu sein schien, in der Blüte der Jugend fortgerissen, während die, welche nach unserer Meinung für die Welt ganz entbehrlich waren, erst hochbetagt zu den Ihrigen versammelt wurden. Mütter wurden von den Kindern fortgerissen, während diese noch der mütterlichen Pflege bedürftig waren, und die Hoffnung der Zukunft, die lebendige Jugend, ging den Weg alles Fleisches, während schwächliche Greise erst spät ihr Haupt zur Ruhe legten. Aber je rätselhafter hier uns alles erscheint, desto innerlicher sollen wir das Wort des Glaubens erfassen, daß der Herr wohl wunderbar in seinem Rate ist, aber doch herrlich in seiner Tat, und daß das, was er geschaffen hat, vollkommen ist, und das, was uns als gestorben erscheint, begonnen hat, seiner Vollendung entgegenzugehen. Denn beide Welten stehen in Verbindung mit einander; das ewige Leben nimmt seinen Anfang schon mit diesem, und was der Unerforschliche bestimmt, muß gerecht sein. Bereits hier auf Erden nimmt das ewige Leben seinen Anfang, und gerade dieser Gedanke ist es, der dadurch lebendig in uns werden soll, daß wir die Grabstellen der Entschlafenen besuchen,[92] wo aller Stolz und alle Eitelkeit uns verlassen sollen und die Macht der Sinnlichkeit gebrochen wird. Nur allzu leicht vergessen wir unsere wahre Bestimmung im Taumel des Lebens, allzu leicht betrachten wir Reichtum, Ehre und Vergnügungen als die Güter, welche wir zumeist erstreben sollen, als ob sie uns niemals entfliehen würden, aber hier auf dem Friedhof: »Hier zeiget deutlich uns das Grab, Wie Glanz und Reichtum nichts als Staub, Der Jugend Blüten fallen ab, Und Weltenruhm welkt hin wie Laub!« Hier sehen wir wie schnell alle Herrlichkeit verschwindet, wie der Ehrgeizige mitten in seinem hochstrebenden Vorhaben gehemmt wird, und die stolzesten Pläne im Nu vernichtet sind. Und hier, wo Groß und Klein gleich sind, (Ijob 3, 19.), wo wir erfahren, daß deren Namen im Dunkeln verborgen bleiben (Pred. 6, 14.), die mit Eitelkeit kommen und im Finstern gehen, hier beschließen wir, im Licht zu wandeln und nach einem guten Namen zu streben (Pred. 7, 1.), denn der Mensch in all seiner Herrlichkeit ist nichts, wenn er nicht durch seine Taten und Handlungen darnach strebt, das ewige Leben zu erreichen. [Fußnote 92: Der Friedhof wird deshalb nicht nur das Haus der Gräber (Beit Hakvarot]) sondern auch das Haus der Lebenden (Beit Hachayim) (Beit Olam)] genannt oder das Haus der Ewigkeit.] Und zu einem solchen Streben soll der Gang nach den Gräbern uns entflammen. Wir sind die Arbeiter, die der Herr in seinen Weinberg gestellt, daß sie ihr Tagewerk verrichten sollen; ob wir früh oder spät davon abberufen werden, das ist nicht unsere Sache, nur das ist unsere Sache, daß wir vollführen, so viel wir vermögen. Aber der Tag ist kurz, und die Arbeit ist groß (Ijob 7, 1-6), und nur allzu oft glauben wir, daß noch Zeit genug ist, zur Tätigkeit und zur Umkehr. O, hier werden wir erinnert, wie viele Menschen in ihrer Blütezeit starben, wie wenige auch nur einen Teil ihres Berufes haben erfüllen können, wie wenige, deren Arbeit für die Zeit genügte, die ihnen zugemessen war; hier werden wir daran erinnert, daß das irdische Leben dahinfährt wie ein Schatten, und wir werden zu eifriger Tätigkeit ermuntert, die Zeit zu benutzen, ehe sie verronnen ist. Wie viel tragen hierzu nicht die Gedanken an den frommen und wohltätigen Wandel der Verklärten bei! Wohl sollen wir uns im Leben nach Vorbildern umschauen und ihnen nachzuahmen suchen; aber so lange die Hülle des Staubes die Seele umgibt, bemerken wir nur zu leicht die Mängel, die an jener kleben. Erst wenn wir die irdische Gestalt nicht mehr sehen, dann steht die lautere Tugend der Heimgegangenen, ihrer Seele reiner Adel klar vor unseren Blicken; rein ist jetzt unsere Liebe zu ihnen, und mit größerer Liebe umfassen wir am Grabe die Teuren, über deren Gegenwart wir uns noch freuen können, und wir erfahren in Wahrheit, »daß das Gedächtnis der Frommen zum Segen ist.« Denn unser Sinn weilt nicht nur bei den auf dem Friedhof schlummernden Abgeschiedenen, sondern auch bei den schon längst Heimgegangenen, bei allen Vätern und Müttern, den Propheten und Märtyrern, den Lehrern und Führern, die einstmals gelebt haben und deren Andenken uns heilig ist. Nicht als ob wir an sie dächten, wie an Heilige, die angebetet werden sollten, denn des größten Propheten Moses Grab wurde gerade verborgen, damit es nicht ein Gegenstand abergläubischer Anbetung und Wallfahrt werde, sondern wir gedenken ihrer hier, um uns ins Gedächtnis zu rufen, wie sie für die Wahrheit gelitten und gestritten haben, um uns zu erinnern an die Verfolgungen, die sie um des Glaubens willen geduldet haben, wir gedenken ihrer, weil ihr Leben ein Zeugnis für die Unsterblichkeit ablegt. Hier erinnern wir uns auch der Liebe, welche die Heimgegangenen zu uns hegten, während sie noch in der Hülle des Staubes wandelten, einer Liebe, die gewiß im Reich der Ewigkeit erhöht werden muß, die bei uns die Überzeugung eines Wiedersehens jenseits des Grabes weckt, und Balsam in das wunde Herz träufelt. Ja, der Gang zum Grabe soll uns besonders Tröstung und Frieden verschaffen, wenn der Weg des Lebens rauh wird, wenn irdisches Weh uns ergreift und unsre Seele Ruhe sucht. Am Jahrestage des Todes eines der Eltern. 1. Herr des Lebens und des Todes, der du dem Menschen das Leben gibst und ihn zur bestimmten Zeit und Stunde wieder abrufst, hier stehe ich vor dir an dieser Stätte, die eines der teuersten Güter meines Lebens in sich birgt; hier liegen meines teuren Vaters (meiner geliebten Mutter) Gebeine; hier schläfst du den ewigen Schlaf, du, dem (der) ich meines Lebens ganzes Glück schulde, du meines Herzens schönster Schmuck, meiner Seele kostbarster Schatz. O! erst jetzt, da ich dich für immer vermisse, fühle ich, was du mir gewesen bist, was ich für dich hätte sein sollen, o, wie oft habe ich schon als Kind deine treue Liebe verkannt, mit Undank dir deine freundliche Fürsorge vergolten. Siehe, deshalb will ich hier an deinem Grabe meine Reue vor Gott aussprechen, daß er mir vergeben möge, so ich gegen dich gefehlt habe, will ihn bitten, daß er über deine Asche Frieden walten lassen möge, und ihm geloben, daß ich, da ich dich verloren habe, noch nach deinem Tode die Pflichten kindlicher Liebe gegen dich dadurch erfüllen will, daß ich deinen Namen stets in Ehren halte. O Gott! stärke du mich, daß ich fest am Glauben halte, daß ich als frommer und gottesfürchtiger Israelit (meinen..........) im Himmel Freude bereiten möge, verleihe mir Kraft, daß ich mir ein reines Herz bewahre, um das Andenken (meines....) durch gute Werke und durch gottgefällige Handlungen zu verewigen. Und wenn du mich einst aus diesem Leben abrufst, laß mich dann ohne Scham vor die Seele treten können, die jetzt bei dir weilt. Dazu sei dieser Todestag mir eine Triebfeder, o himmlischer Vater, gewähre mir, was ich von dir erbitte, o Gott. Ich bete für die Errettung der Seele meines gestorbenen (.........), laß ihn (sie) in den Bund des Lebens aufgenommen sein, laß den frommen Entschluß, den ich heute fasse, dir wohlgefallen und nimm mich einst in Gnaden auf. Amen! Ein anderes Gebet bei derselben Veranlassung. 2. Herr, o allgütiger Vater im Himmel, hier bei diesem stillen, bescheidenen Grabeshügel, der die Asche eines so teuern Verwandten bedeckt, hier erhebe ich, dein schwaches, sterbliches Kind, mein zerknirschtes Herz zu deinem Himmel, wo die unsterblichen Seelen, deren Staub hier ruht, wie die Sterne leuchten. O Gott der Liebe! gedenke mit väterlichem Erbarmen der Seele, an deren Scheiden dieser Tag mich mit so tief innerlicher Wehmut erinnert. Noch schwebt mir die wehevolle Stunde vor, da du diese teure Seele (meinen Vater, meine Mutter) von mir riefst. Ach, wie ganz anders war doch mein Leben, da sie noch als mein leuchtendes Vorbild hier auf Erden wandelten; wie manche Freude haben sie mir bereitet! Wie oft stärkten sie mich durch ihren weisen Rat! O! ich erinnere mich ferner, welche Hoffnung (der liebe Vater, die gute Mutter) auf mich setzte, wie ich voll Hoffnung zu ihm, (ihr) aufschaute, wie ich darnach strebte, seines (ihres) Alters Stütze zu sein, und wie er (sie) so rasch von meiner Seite hinweggerissen wurde, ehe diese Hoffnungen noch in Erfüllung gehen konnten. Doch mein Glaube lehrt mich, daß, was du Allmächtiger tust, gerecht, weise und heilbringend ist, er belebt mich mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen jenseits des Grabes, wo mir offenbar werden soll, daß des Menschen höheres Hoffen erfüllt wird. O, vergönne mir denn heute, daß ich mich deinem Throne nähere und dich um Kraft dazu anflehe, daß es mir glücke, auf meiner Pilgerreise etwas zu wirken, das von dem frommen Geist zeugen möge, den der Heimgegangene in meiner Seele gepflegt hat. Stehe mir bei, daß ich die Gaben, welche du mir verliehen hast, dazu anwende, durch meine Handlungen dem Verklärten ein ewiges Angedenken in der Gemeinde zu gründen. O, Herr leite mich, daß meine Wege dir gefallen mögen, und nimm mich zuletzt mit Ehren auf. Amen! Am Grabe des Vaters, am Jahrestage seines Todes. 3. An diesem Tage, der mich so lebhaft an die Sorge erinnert, die mein Herz erfüllte, als du zur Ewigkeit abgerufen wurdest und nur der Gedanke an die Unsterblichkeit, den du, mein heimgegangener Vater, mir eingeprägt hast, mir Trost verleihen konnte,--an diesem Tage nahe ich mich deinem Staube, um meinem niemals genügend ausgesprochenen Dank zu äußern, den ich dir für all deine väterliche Fürsorge, die du mir mit so vieler Aufopferung bewiesen hast, schuldig bin. Der alliebende Vergelter wird dort gewiß deine Seele dafür belohnen, und sie wird himmlische Freude und Glückseligkeit in dem Bewußtsein finden, daß dein Kind darnach strebt, den Weg der Frommen zu gehen, auf dem es die Vollkommenheit erreichen kann. Dein Andenken soll mir deshalb stets heilig und unvergeßlich sein; oft will ich der guten Lehre, der liebevollen Ermahnungen und nützlichen Warnungen mich erinnern, die ich aus deinem Munde empfangen habe. Wenn die Versuchung kommen sollte, will ich mich damit wider sie kräftigen und sie besiegen, daß ich mich frage: entspricht deine Handlung wohl der frommen Weisung, die du von deinem Vater erhalten, stimmt sie mit seinem rühmlichen und wohltätigen Wandel überein? Würde er sie billigen können und ihr seine Zustimmung verleihen? Würdest du ihn nicht damit betrübt und das Herz verwundet haben, welches stets für dein Wohl schlug? Ja, geliebter Entschlafener! Dein Leben soll mir ein leuchtendes Vorbild auf meiner irdischen Laufbahn sein. Ich will der unerschütterlichen Standhaftigkeit gedenken, mit der du an deinem Glauben hieltest, der innigen Teilnahme, mit der du dich in der Schar der Betenden einfandest, der Sparsamkeit, die du bewiesest, wenn es die Genüsse des Lebens galt, und der Freigebigkeit, womit du den Bedrängten halfest. O, du Allmächtiger im Himmel! der du gewiß der Seele meines verstorbenen Vaters das Reich der Ewigkeit aufgetan hast, laß auch meinen Wandel mehr und mehr dazu beitragen, daß sie froh werde, dein Angesicht in voller Klarheit zu schauen; erhöre die verklärte Seele, wenn sie vor deinem Thron ihre Fürbitte für mich niederlegt. Zeige du mir den Weg des Lebens, denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Lichte sollen wir Licht und Seligkeit schauen in Ewigkeit. Amen! Am Grabe der Mutter, am Jahrestage ihres Todes. 4. Mutter! Liebe Mutter! Das Kind, welches du einst unter deinem Herzen getragen und das du so treulich mit innigster Liebe gepflegt hast, als du noch unter den Sterblichen wandeltest, dieses dein Kind kommt an diesem heiligen Gedächtnistage zu deinem Grabe, indem Tränen der Wehmut und der Liebe seine Augen füllen. O, daß dein Geist dorten wahrnehme die dankbaren Gefühle, die mich in diesem Augenblick durchströmen. Ach, wie wenig war ich doch imstande, meine kindliche Erkenntlichkeit dir zu beweisen; kaum verstand ich die mütterliche Liebe zu schätzen. Aber seit ich dich nicht mehr habe, habe ich erst recht die Größe meines Verlustes kennen gelernt, seit der Zeit, da du nicht mehr auf Erden wandelst, werde ich täglich daran erinnert, wie viel Dank ich deiner mütterlichen Fürsorge schulde, wie du Selbstverleugnung übtest, um das Glück und Wohl deines Kindes zu fördern. Ich weiß nicht, wie ich meine Schuld bezahlen soll, außer daß ich mich bestrebe so zu leben, daß ein Jeder, der meinen Wandel auf Erden sieht, ausrufen muß:»Heil dem Weibe, das ihn geboren hat,« und daß ich so deinen Namen mit Ruhm verewige. Deine Seele sei ein unsichtbarer Engel, der mich stets umschwebe, mich von Sünden und Lastern fern halte, und mich stets an die heilige Andacht erinnere, mit welcher du in deinem Heim, wie im Gotteshause zu dem Herrn betetest, sodaß mein Herz dadurch fromm und mein Sinn milde werde.--Und du, himmlischer Vater, der so gerne die Gebete seiner Kinder erhört, o! erhöre mich, wenn ich bete: schenke meiner heimgegangenen Mutter dort, wo nur Liebe und Friede herrscht, jene beseligende Wonne, die du deinen Heiligen bereitet hast, zu denen auch sie ja sicher zählt, daß sie es wissen, wenn ihre Nachkommen in Reinheit und Frömmigkeit vor dir wandeln. Stärke mich dazu, daß ich einst, wenn die Bande des Staubes fallen, und der Geist zu dir emporsteigt, mit heiliger Freude einer seligen Wiedervereinigung mit meiner verklärten Mutter und allen Edlen, die bei dir sind, gewiß sein kann. Dein Name sei gepriesen in aller Ewigkeit. Amen! Am Grabe eines Kindes. 5. Allweiser! du, dessen Gedanken weit hinausreichen über die unseren, vergib, wenn mein betrübtes Herz hier am Grabe eines geliebten Kindes seufzt, an das meine Seele so fest geknüpft, das meines Lebens Stolz, Freude und Hoffnung war. Ach, so oft ich mich seiner Asche nähere, werden die traurigen Betrachtungen erneuert, die sein Verlust verursachte; ach, welch freudige Aussichten wurden durch seinen Tod vernichtet, welche Hoffnungen mit ihm bestattet! Doch es ist deine Weisheit, erhabenes Wesen, das ich anbete; du weißt ja besser, als die schwachen Sterblichen, was zu ihrem Heile dient. Die fernste Zukunft liegt ja vor deinem Blicke offen da, und du kennst die Tage deiner Frommen, wenn sie zum ewigen Erbe und Lohn erfüllt sind. (Ps. 36, 18.) Du wolltest vielleicht meinen so früh heimgegangenen Liebling vor großen Gefahren und Versuchungen, vor unzähligen Beschwerden bewahren. Wohl rinnen meine Tränen bei dem Gedanken, daß ich niemals mehr hier auf der Erde dem begegnen soll, was meine Augenweide war, aber ich will in dem Gedanken Trost suchen, daß die Unschuldigen, welche früh sterben, doch lange gelebt haben; denn ihre Prüfungszeit war bald vorüber, ihre Seele gefiel dem Ewigen, deshalb beeilte er sich, dieselbe von dem sündigen Leib zu befreien und sie dorthin zu versetzen, wo sie besser der Vollkommenheit entgegenreisen kann. Ich will Trost in der Überzeugung finden, daß ich durch Ergebenheit in deinen Willen deinen Namen heiligen soll, du Heiliger!--O, mein geliebtes Kind, sehe ich dich auch nicht mehr um mich, ewig will ich dich doch mein nennen und in der Hoffnung leben, daß ich dich einst verklärt unter den Engeln in der Ewigkeit wiedersehen werde. O, wenn ich nur nichts versäumt habe in der Ausbildung deines unvergänglichen Geistes! (Dein frühzeitiger Tod soll mich noch mehr bestimmen, deine Geschwister nicht nur für die Welt, sondern auch für den Himmel zu erziehen, indem ich in ihrem Herzen den Glauben befestige und so dieselben zur Seligkeit vorbereite.) O Herr! vergib mir, wenn ich je meine mütterlichen Pflichten vergessen habe, und laß die teure Seele, die jetzt bei dir ist, schon mehr und mehr deinem Reiche entgegenreisen! Erhöre mich, o himmlischer Vater, und laß Trost, Ruhe und Seligkeit mein Inneres erfüllen, so daß ich freudig deinen Namen in aller Ewigkeit preisen kann. Amen! Eine Witwe am Grabe ihres Mannes. 6. Friede sei mit deinem Staube, du meines Lebens leitender Stern, du meiner Kinder Versorger und Führer![93] Ach, wenn auch viele Tage verflossen sind, seit der Allweise in seinem unerforschlichen Ratschluß dich von mir rief, so fühle ich doch jedesmal, wenn ich mich deiner Ruhestätte nähere, meinen tiefen Schmerz und erinnere mich mit süßer Wehmut unseres glücklichen Zusammenlebens, von dem Augenblick an, da du mir freundlich entgegen lächeltest und den Frühling meines Lebens mir verherrlichtest, da deine Gedanken nur darauf zielten, mir Glück und Frieden zu bereiten, für das Wohl unserer Kinder zu sorgen, bis zu der Stunde, da dein Auge brach, und das Licht, das mein Haus erhellte, verdunkelt wurde, und Sorge und Bekümmernis für meine Kleinen mein Herz überwältigten. O, ich kann nicht ohne Tränen fragen: weshalb, o Herr, sollte er mir genommen werden? Aber gerade dieser Schmerz über deinen Verlust löst sich in dem seligen Bewußtsein auf, daß du mir nahe bist! Ja, ich habe, ich besitze dich noch. In meines Herzens Tiefe schließe ich dich ein, denn das, was uns vereinigt hat, ist unsterblich. Das leibliche Auge sieht dich nicht mehr, aber mein geistiges Auge erblickt dich noch, und es ist mir, als ob deine ermunternde Stimme mich stärke. Zeige du mich hin zu ihm, der den Witwen ein Führer und den Vaterlosen ein Vater ist, der die heimsucht, welche er liebt, und dessen Wege all zu erhaben sind, als daß wir Sterbliche sie verstehen könnten, die aber sicherlich zum Guten führen. Ja, Allheiliger! Stärke mich zur Ergebung in deinen heiligen Willen, gieße Balsam in mein wundes Herz, vergib mir meine Sünden und erbarme dich über meine Kinder. Gib mir Kraft sie zu allem Guten zu erziehen, und wecke du in ihrem Innern eine fromme Denkungsart, daß sie dir um Wohlgefallen, mir zur Freude und meinem heimgegangenen Gatten zum rühmlichen Gedächtnis werden möchten. Beschirme die Tage meiner Zukunft und gedenke stets der teuren Seele, deren Verlust ich beweine, zum Guten und zur ewigen Glückseligkeit. Amen! [Fußnote 93: Wenn sie keine Kinder hat, muß natürlich alles, was darauf hindeutet, aus diesem Gebet weggelassen werden.] Am Grabe eines gefallenen Vaterlandsverteidigers. 7. Mit Ehrfurcht und Dankbarkeit nahe ich mich diesem Grabe, o Ewiger! wo der Staub dessen ruht, der heldenmütig sein Leben geopfert hat, um des Vaterlands Recht und Wohlfahrt zu schützen. O, Allgerechter, wie sein Andenken ewig teuer ist und sein muß für einen jeden, der es aufrichtig mit seinem Volke und Vaterlande meint, und wie seine Ruhestätte allezeit von den Tränen heiligster Erinnerung benetzt werden wird, so belohne du ihn dort für seine fromme Tat, wo allein wahre Treue und Aufopferung für die Mitmenschen vollkommen belohnt werden kann. Ja, du, der du hier schlummerst, du hast es gezeigt, daß, so kostbar auch das Gut des Lebens ist, doch noch ein höheres Gut vorhanden ist, für das man jenes hingeben muß. Du täuschtest das Vertrauen nicht, das man in der Stunde der Gefahr auf dich setzte; unerschrocken tratest du dem Tode entgegen, und welch süße Bande dich auch fesselten, du rissest dich von ihnen los und kämpftest mit Mut und Kraft, wie die Helden des Altertums, sicher, daß nur der vergängliche Teil des Menschen überwunden werden und fallen kann, der unvergängliche aber siegen muß. An deinem Grabe soll sich die Jugend für Vaterlandsliebe begeistern, soll der Mut in den Söhnen des Landes entflammt werden, ja, hier will ich mich begeistern, jedes Opfer, das in meinen Kräften steht, für das Vaterland, für die Brüder, für die Gemeinde zu bringen. Hier will ich lernen, für meinen Glauben zu dulden und zu streiten, hier will ich als ein treuer Bürger lernen, alles zu bekämpfen, was dem Wohle des Vaterlandes schaden kann, und als ein wahrhafter Diener Gottes in jedem Kampfe für mein himmlisches Vaterland bis zum Letzten ausharren. Hilf du mir, Allheiliger, daß meine Seele den Tod der Gerechten sterben und mein Ende dem der Frommen gleichen möge. Sei mit mir, Allgegenwärtiger, und laß meinen Wandel dir stets wohlgefallen. Amen! Beim Grabe eines Verwandten. (Nach einem älteren hebräischen Gebet.) 8. Hier an dieser Stätte, wo der Gedanke an ihn, der zum Tode wie zum Leben führt, in unserm Innern lebendig wird, hier erhebe ich meinen Geist zu dem Unendlichen und sage: mein Gott, du mein teuerstes Gut, das mir über alles geht, nächst dir strebt meine Sehnsucht nach jenen wahrhaft Frommen, welche jetzt die Erde deckt, und hier weilt die Asche eines mir teuren Körpers; Mutter oder Großmutter am Grabe eines Kindes: Siehe, ich deine Mutter, welche dich (geboren), gepflegt und geliebt hat, mit treuer mütterlicher Sorge mit inniger Zuneigung, * * * * * Kinder oder Enkel am Grabe der Eltern oder der Großeltern: Siehe, ich deine Tochter (Enkelin), die durch die heiligen Banden des Blutes mit dir verbunden ist; * * * * * Am Grabe eines Ehegatten: Siehe, ich, deine treue Gattin, welche dich innigst liebt! * * * * * Am Grabe eines Bruders oder eines sonstigen Angehörigen: Siehe, ich deine Schwester, (Schwiegertochter, Freundin, Schülerin usw.) * * * * * besuche deinen Grabeshügel! Ehre sei Gott in der Höhe! Friede mit deinem Staub! Die Freude der Seligkeit mit deiner Seele! Innige Liebe zu dir, die eben so warm ist, als damals, wo du noch am Leben warst, durchdringt mich, führte mich hierher zu deiner Ruhestätte, wo ich vor dem Gott der Geister meine Seele ausschütten und ihn bitten will, dir gnädig zu sein und deine Seele im Eden im Verein mit deiner Stammväter verklärten Seelen zu erfreuen, daß du in Seligkeit das ewige Gut genießen mögest, das Er seinen Frommen vorbehalten hat. Mögest du von dem Tau der Seligkeit im ewigen Leben erquickt werden, wie der Tau des Himmels die Pflanze erquickt.--Und sollte in jenem Leben die Liebe, welche einst dein Herz bewegt hat, denn aufhören können? Nein, so innig, wie ich deiner gedenke, und wie meine Gebete für deine Seligkeit aufsteigen, eben so innig gedenkt deine Seele der meinigen, wünscht mir alles Gute und betet für meine Wohlfahrt zu dem Allerbarmer. O, daß unsere gemeinsamen Gebete ihm wohlgefallen möchten, und er in seiner Güte alles Böse von mir und allen deinen Angehörigen abwenden wollte. Gott der Liebe! du, in dessen Hand die Seelen aller Toten und Lebendigen stehen, erhöre unsere Gebete, die zum Throne deiner Herrlichkeit aufsteigen, segne mich, daß ich ein dir wohlgefälliges Leben führen möge, zur Ehre und zum Ruhm für den, dessen ich heute gedenke, und daß ich also glücklich hier auf Erden sei und einst selig werde dort in der Ewigkeit, wenn ich in das göttliche Reich bei dir aufgenommen werde, mein Vater und mein Richter. Amen! Am legten Tage im Jahre. (Ereb Rôsch Haschonoh.) Herr! tue mir mein Ende kund, und was das Maß meiner Tage sei, daß ich erkenne, wie vergänglich ich bin. 10. Nach uralter heiliger Sitte besuche ich am letzten Tage des Jahres die Stätte, wo viele Grabhügel an längst vergangene Geschlechter und die frisch aufgeworfenen an die Teuren erinnern, die in diesem Jahre entschlafen sind. Wie könnte ich wohl an diesem Tag, der so lebhaft den Gedanken an des Lebens Vergänglichkeit erweckt, und der mich dazu auffordert, Rechenschaft darüber abzulegen, wie weit ich mich der erhabenen Bestimmung meines Lebens genähert habe und in Glauben und Tugend vor dem Herrn gewandelt bin,--wo könnte ich besser eine erhebende, versöhnende Stunde zubringen, als hier, wo ich meinen Blick auf diejenigen richte, welche in diesen Gräbern ruhen, ach, zum Teil solche, die nach dem Eitlen jagten und ihre Befriedigung in dem Zeitlichen suchten, und die nun Moder bedeckt, oder wenn ich am Grabe derjenigen weile, welche in ihrem vergänglichen Leben das Ewige suchten und nun die Fülle der Freude bei dem Unendlichen genießen. Ach Herr, da fragt mein Geist: unter welchen von diesen werde ich einst gefunden werden, wenn des Lebens letzter Tag gekommen ist? Hier trete ich deshalb hervor und ergreife das Ewige; denn hier, wo ich von Tod und Moder umgeben bin, verliert alles Gold seinen Schein, alle Ehre ihre Strahlen, alles Ansehen bei den Menschen seine Macht, alle Schönheit ihren Zauber, alle Sinneslust ihren Reiz; hier fühle ich tief, daß meinen Tagen ein Ziel gesetzt ist, daß ich von hier fort muß, und meine Tage wie ein Schatten sind. Ach sollten sie wirklich dahin schwinden, ohne etwas Licht über meinen irdischen Wandel zu verbreiten, ohne daß sie ein Andenken zum Segen hinterließen?--Ach, der Strom der Zeit eilt so rasch dahin und reißt auf seinem schnellen Wege alles mit sich fort, was mir teuer und wert ist! Wie manche Freunde habe ich schon verloren, wie mancher ging fort im Jugendalter, wie mancher, der sein Ende noch nicht erwartete, und heute ruft mir die Erinnerung daran zu: auch deine Stunde kann unerwartet kommen; willst du unvorbereitet vor den Allerheiligsten treten? Ja, ich will heute mit Tränen eurer in der Ewigkeit gedenken, die meines Lebens Ehre und Schmuck waren, eurer, meine Eltern usw. (ob euer Staub nun hier ruht, oder weit entfernt in fremder Erde); Jahre sind darüber hingegangen, seit ich euch verloren habe, und die Hoffnung auf Wiedersehen war mein einziger Trost; aber habe ich auch so gelebt, daß der Gedanke an eine Wiedervereinigung mit euch mich mit himmlischer Freude erfüllen kann? Könnte ich euch mit einem sündhaften Sinn gegenübertreten, mit einem unreinen Herzen mich der ewigen Klarheit nähern, welche die Frommen umgibt? O! indem ich euch heute meine Tränen der Erinnerung weihe, will ich über meine Sünden weinen, will ich im Vorausgefühl meines endlichen Heimganges alles abwerfen, was mich als Menschen entwürdigt, was mir nicht ziemt als Israelit; ich will die Ketten brechen, welche mich an das Zeitliche fesseln und den Wahn bannen, als sei das, was die Welt mir bietet, etwas Beständiges, und ich will mich bestreben, dir anzuhangen, du Ewiger und Unwandelbarer!--Allerbarmer! vergib mir meine Sünden und meine Übertretungen und stärke mich in meinem frommen Vorsatz, behüte mich vor einem jeden Fehltritt, der Beschämung über meine Tage bringen könnte; schirme mich wider jede Versuchung, daß weder Eitelkeit noch Habsucht, noch Ehrgeiz Macht über mich gewinne, sondern daß ich, geleitet von deiner heiligen Lehre, so rein werden möge, als ich an dem Tage war, da ich geboren wurde. Laß die frommen Handlungen meiner teuren Seligen meine Fürsprecher sein vor deinem heiligen Throne, auf daß meine Gebete für das neue Jahr erhört werden. Laß, o Quell der Liebe, meine (meines Gatten, meiner Kinder usw.) Buße dir wohlgefallen und verleihe uns ein Jahr voll Segen und Glück, ein Jahr, in dem deine Versprechungen an Israel zu seinem und der ganzen Menschheit Heil sich erfüllen mögen. Bewahre mich und die Meinen vor Drangsal und Not, vor Armut und Schande, auf daß wir mit freiem Geiste dir dienen können. Laß mich und meine Lieben erfahren, »daß ich noch deine Segnungen im Lande der Lebenden sehen soll«(Ps. 27, 15.), »daß ich noch in dem Lichte der Lebendigen vor deinem Angesichte wandeln soll«(Ps. 56, 14.). Deine Gnade sei mit mir und allen, welche dich mit einem treuen Herzen anbeten, daß wir auf unserer Pilgerreise noch viel Gutes wirken können und ein Wohlgefallen bei dir finden in alle Ewigkeit. Amen! XXIV. Schluß Dankgebet bei Vollendung eines Werkes. Ewiger, allgütiger Gott! Wie ich in deinem Namen diese Arbeit begonnen habe, so laß mich sie auch damit schließen, daß ich zu dir aufschaue und dir meinen Dank für deinen Beistand darbringe. Du warst es ja, der die Gedanken in meine Seele legte, und dein allmächtiger Schutz hielt meine Kraft aufrecht, es war dein Geist, der mich trieb, so daß ich stets mit Freudigkeit und Lust zur Arbeit schritt. O, wie oft verzagte ich, wie oft erfüllte sich meine Seele mit Furcht, daß ich mein Vorhaben nicht zu vollenden vermögen würde, und siehe, da hörte ich gleichsam eine erweckende Stimme von oben; mein Geist belebte sich aufs neue, und du erfreutest mein Herz dadurch, daß meine Arbeit gedieh und vorwärts schritt.--O, nimm mein Dankopfer an;»denn es stammt ja alles von dir, und was ich selbst von dir empfangen habe, das gebe ich dir wieder zurück.«[94] Nun erhöre du denn mein Gebet, daß du diesem Werke dein Siegel aufdrücken wollest, auf daß es für viele zu einem Segen werde. Gelobt seist du, o Herr, in Ewigkeit. Amen! [Fußnote 94: 1. Chron. 29, 14] XXV. Anhang. Esehu Mekômon. (Betrachtung über die Opfer, anstatt einer Übersetzung). Meine Gedanken, o Herr, weilen bei den Opfergesetzen, welche du unsern Vätern gabst, und mein Herz wird voll des Dankes, indem ich deine Gnade erkenne, daß du durch diese deine Gebote hast Israel fest an dich knüpfen wollen; mögen sie deshalb mir auch zur Richtschnur dienen bei der Anbetung deines heiligen Namens. Wenn nun gleichwohl auch bei mir der tiefere Sinn verborgen ist, und ich die göttlichen Geheimnisse nicht zu erforschen vermag, die mit den Opfern, welche du befahlst, verbunden sind, und nicht ergründen kann, weshalb du sie mit so vielen Vorschriften anordnetest, und wie sie dazu dienen sollen, den Sohn des Staubes mit dir, dem Unendlichen, zu vereinen, ihn deiner Gnade gewiß zu machen, denn »dir gehört das Verborgene, o Ewiger, aber was du offenbart hast, ist für uns«,[95] und wie herrlich ist nicht das, was uns offenbart worden ist! Wenn ich all der Scheußlichkeit gedenke, die mit der Opfermahlzeit der Heiden verbunden war, durch welche sie ihre Schuld sühnen wollten, wie sie von dem Blute des Opfers tranken und sich zu Wollust und Blutdurst reizten, wie sie Menschenleben opferten, während sie das Tier als heilig betrachteten, o, wie könnte ich da wohl anders, als erkennen, daß bei Israels Opfer alles nur dazu dienen sollte, die Reinheit des Glaubes zu beschützen, Sittlichkeit und Gerechtigkeit zu wahren und alles fern zu halten, was Sinnenlust und törichten Aberglauben fördern könnte. Deshalb verbotest du in deiner Weisheit jeden Gebrauch des Blutes, verbotest jedem, der unrein war, zu opfern, deshalb konnte eine absichtlich begangene Sünde nicht durch ein Opfer gesühnt werden, deshalb mußten die Vergehen wider den Nächsten erst gut gemacht werden, bevor das Opfer gebracht werden konnte. Ja, du lehrtest uns, daß ein Opfer für sich allein nichts nützt, wenn es nicht in Wahrheit von einem innern frommen Sinne zeugt, und du und deine Propheten straften die, welche da meinten, daß sie durch Darbringung eines Opfers allein geheiligt werden könnten. Du ließest deine Propheten verkündigen, »daß Gehorsam besser als Opfer ist«,[96] daß »Opfer bei einem sündigen Wandel dir zuwider sind«,[97] daß du Wohlgefallen an der Liebe findest, und nicht am Opfer, und »daß die Erkenntnis deiner mehr ist, als Brandopfer.«[98] [Fußnote 95: 5. Mos. 29, 28.] [Fußnote 96: 1. Sam. 15, 22. Ps. 40, 7. Spr. Sal. 21, 3.] [Fußnote 97: Spr. Sal. 15, 8. Es. 11-17 Jer 6, 21. Amos 5, 22.] [Fußnote 98: Hos. 6, 6] Aber besonders sind es die täglichen Opfer, welche den Männern der großen Synode[99] zum Muster dienten bei der Anordnung des »Morgen-und Abendgottesdienstes«, deren ich gedenken soll, und während ich mich an ihr Wesen und an ihre Bedeutung erinnere, erwecke ich in meinem Innern eine wahrhafte Erbauung und die Sehnsucht darnach, dich beständig und richtig durch meine Gebete zu verehren. Da tritt mir denn zuerst der Gedanke entgegen, daß es--ein Opfer war, und daß mein Gebet deshalb auch ein Opfer sein soll. Ja, ich will im Gebet mich selbst zum Opfer darbringen, will mich mit all meinen Wünschen, meinen Gelüsten und Sehnen, mit all meiner Furcht und all meinem Hoffen ganz und ohne Rückhalt dir hingeben, und wie das tägliche Opfer ganz dargebracht wurde, so will ich jeden Morgen und jeden Abend, wenn ich zu dir bete, mich dir auch ganz hingeben und mich völlig deinem Willen unterordnen.[100] [Fußnote 99: Ansche keneseth hagdolo (ecclesia magna) setzten im Hinblick auf die ständigen Opfer das Schacharith--, Mincha--, und Maarib Gebet für jeden Tag, das Mussaph--Gebet für Sabbat-und Festtage und das Neïlah--Gebet für den Versöhnungstag ein.] [Fußnote 100: Taanith 27. Sanhedrin 43.] Jenes Opfer konnte von keinem dargebracht werden, der nicht vollständig rein war, der nicht durch seinen Willen alle störenden Gedanken zu beherrschen und unangefochten von der äußeren Welt, ganz mit seiner vollen Seele sich der heiligen Handlung hinzugeben vermochte; denn das Opfer wurde verworfen, wenn nicht sein eigentlicher Zweck, die rechte Andacht, den Opfernden erfüllte. So will denn auch ich mich zuvor prüfen, ob ich rein bin, ob ich würdig bin, vor dich, den Allheiligen hinzutreten, will deshalb zuvor Buße tun, will mich von allen weltlichen Gedanken losreißen, will die tierischen Triebe in mir töten und den irdischen Sinn abwerfen, jedesmal da ich vor dich hintrete, da ich vor deinem Angesicht in meinem, wie in der ganzen Gemeinde Namen erscheine. Denn das tägliche Opfer wurde ja im Namen der ganzen israelitischen Gemeinde gebracht und sollte dazu dienen, was man so oft vergißt, für all das Gute zu danken, das beständig in so reicher Fülle dem Menschen zuteil wird; dir dafür zu danken, daß du über ihn in der Nacht wachtest und ihm neues Leben schenktest, wenn des Morgens Licht ihn auf seinem Lager weckte, und daß du ihn den ganzen Tag alles finden läßt, dessen er bedarf. Dieses Opfer sollte in Israels Heiligtum ein Lamm sein, das dir als Dankopfer dargebracht wurde, der du durch den Schlummer der Nacht alle gestärkt, und wiederum am Abend, wenn es dunkelt als Dankopfer für den glücklich verlebten Tag. Und es war begleitet von einem Speiseopfer, wohl um für das Brot zu danken, welches der Mensch wiederum gefunden hatte, für Kraft und Schönheit des Körpers, was durch das Öl bezeichnet wurde, für die Gabe und den Vorzug des Geistes, was bildlich der Wein andeutete. So will auch ich, o Herr, jeden Morgen und jeden Abend deiner Wundertaten eingedenk sein und dir danken, weil du meinen Geist und meinen Körper erhältst, so will auch ich dir für alle zeitlichen Güter, die du mir verleihst, für die Sonne, welche ihre Strahlen auf meinen Weg sendet, für den erquickenden Schatten der Nacht, wie für das himmlische Licht, das Wort des Lebens, welches du mir gegeben hast, das Dankopfer meines Gebets darbringen. Aber das tägliche Opfer war ja auch ein Sühnopfer, welches täglich für die Gesamtheit Israels, wie für den Einzelnen, dargebracht werden sollte, nicht offenbare Vergehungen, sondern für diejenigen, deren der Mensch sich schuldig macht, ohne daß er sie sich zur Sünde anrechnet, und so sollte täglich das Bewußtsein der Sünde in der Brust des Israeliten geweckt werden. Dein, o Herr! ist der Tag und dein, o Herr! ist die Nacht, und beständig sollen wir dich vor Augen haben; unsere Arbeit wie unsere Ruhe soll von dem Gedanken an dich begleitet sein. Aber, wenn der Schlummer der Nacht uns in seine Arme schließen will, bevor der Schlaf unsere Sinne und Gedanken gebunden hält, da denken wir nicht an dich, da benutzen wir die ruhigen Augenblicke nicht dazu, dich zu erkennen und zu suchen; und in des Tages geschäftigem Treiben richten sich nicht die Gedanken auf dich, und wir vergessen es, deiner zu gedenken. Deshalb soll am Morgen ein Opfer gebracht werden für die Sünde der Nacht und am Abend für des Tages Sünde. Aber außerdem kann die ganze Gemeinde auch dem nicht entgehen, daß sie beständig sündigt, und jede einzelne Seele ist mitschuldig der Sündenschuld der großen Gesamtheit, und wer sich für unschuldig hält wie ein Lamm, ist sündig. Aber was ehemals das tägliche Opfer für mich wirkte, das soll jetzt durch mein tägliches Gebet erreicht werden, daß ich nicht in Leichtsinn wandeln möge, sondern das Bewußtsein der Sünde in mir wecke, die Erkenntnis dessen, wie weit meine Gedanken und Handlungen, meine Arbeit und meine Ruhe, im Großen wie im Kleinen von der Pflicht Israels abweichen, sodaß ich jeden Morgen und jeden Abend aufs neue geheiligt werde und den Vorsatz fasse, deinem Dienste zu leben, o Herr! ob ich nun meinen Erwerb mir suche, oder danach trachte, meines Hauses oder meines Namens Ansehen zu erweitern, oder ob ich in Freude und Frohsinn weile, wo der Wein des Menschen Herz erfreut. Und endlich sollte das tägliche Opfer von Beständigkeit im Glauben und in Gottergebenheit ein Zeugnis sein, und jeden Morgen und jeden Abend sollten Israels Kinder die Lebendigkeit dieses Glaubens zu erkennen geben, ob nun das Glück ihnen zulächelte oder ob Unglück sie in das Dunkel der Nacht hüllte. Ebenso will auch ich es früh und spät an den Tag legen, daß, welches Schicksal du mir auch sendest, ich stets mit Vertrauen mich dir nähern will und es soll stets nach Vorschrift am Morgen und am Abend geschehen; und indem ich mich an die heilige Ordnung binde, will ich den Geist des Gebetes in mir wecken und bewahren. Denn wenn auch die Pflicht zu beten, das Opfer des Herzens darzubringen, nicht an Ort oder Zeit gebunden ist, sondern wir stets und überall beten sollen, so oft wir uns dazu gedrungen fühlen, so sollen wir doch zu den festgesetzten Zeiten beten, wenn auch unser Herz uns nicht dazu drängt, weil wir sonst in dem Gewirre der Welt vielleicht niemals dazu veranlaßt würden. Aber gerade durch das tägliche Gebet, dadurch, daß wir mit aller Kraft unseres Willens darnach streben, von dem Geiste des Gebetes durchdrungen zu werden, sollen wir die Unlust zum Gebete überwinden, die Hindernisse besiegen, welche sich zwischen dich und uns stellen, o Gott, und den Geist der Welt ertöten, der uns den höchsten Schatz unserer Seele rauben will,--die Anbetung deines Wesens. So will ich denn dir mein tägliches Opfer darbringen, mein Gott, will meinen Willen dir ergeben, will jeden Morgen meinen Dank zu dir aufsteigen lassen und mich deiner Leitung anvertrauen und mich jeden Abend sorglos deiner Führung hingeben. Ich will Kränkungen ertragen, will das Schlechte nicht vergelten, das mir zugefügt wird, will um deinen Schutz bitten für alle, die auf Erden wandeln, will darnach streben von jeder sündigen Lust mich zu reinigen, will fest in meinem Glauben verharren, und will, wenn auch die Menge der Versuchungen mich umringt, wie manchen Kampf ich auch zu bestehen habe, meine Standhaftigkeit als Israelit zeigen, der nicht nach dem Lohne und der Ehre der Welt trachtet, sondern allein darnach strebt, dir wohlzugefallen und der gewiß ist, daß du den errettest, der dir beständig dient.[101] [Fußnote 101: Dan. 6, 27.] XXVI. Freitagabendbetrachtung. Bame madlikin. (Eine Betrachtung anstatt der Übersetzung.) Der letzte Tag in dieser Woche nähert sich seinem Ende und wieder schließt mit ihm ein Abschnitt meines Lebens ab, in dem ich deine Güte erfahren habe, du, mein Schöpfer, während ich meiner häuslichen Tätigkeit oblag. Die heilige Stunde ist nahe, mit welcher der Sabbat beginnt, der dazu da ist und da sein soll, eine heilige Ruhe in dir zu suchen und zu finden, indem ich auf das hinblicke, was du für mich vollführst hast, und indem ich prüfe, was ich vollbracht, und mit welcher Gesinnung ich gehandelt habe. O, schaue ich hin auf deine Liebe und Güte gegen mich in den sechs verflogenen Tagen, wie kann ich da Worte finden dir zu danken, der du wiederum das Werk der Schöpfung vor meinen Augen erneuert hast, der du am Tage deine Gnade über mich ausströmen und mich bei Nacht in deinem Schatten weilen ließest und der du mich mit so unendlich vielen Gnadenbeweisen, Wohltaten und Segnungen überschüttest hast, daß ich sie nicht zu zählen vermag! Du hast dich über mich erbarmt, mich jeden Tag zu meiner Tätigkeit gestärkt und hast mich durch so vieles erfreut; Du warst in trüben Stunden meine Kraft und mein Schild und du hieltest mich aufrecht im Unglück. O Herr! Ich bin nicht wert so großer Güte; denn gedenke ich meiner Aufgabe, die mir in diesen Tagen der Arbeit zu vollführen auferlegt war,--ach, wie oft war ich da nicht schlaff und nachlässig; wie oft vergaß ich nicht in meiner Tätigkeit zu dir aufzuschauen, zu wirken und zu schaffen, wie einer, der sich in deinem Dienste fühlt, der bei all seinem Tun dich stets vor Augen hat, daß er den rechten Weg nicht verliere und dir wohlgefalle. Ich weiß, daß ich leben soll, um das Wohl meiner Mitmenschen zu fördern und mit liebevollem Sinne ihnen Wohltaten zu erweisen; ach, und ich erkenne wie viel eigennützige und eitle Zwecke mich noch gebunden halten. Als Israelitin soll ich, was auch mein Beruf sei, beweisen, daß ich von einem Glauben beseelt bin, der voll Ergebung und Geduld ist, und deshalb ein Leben führen, das allen denen, die mir nahe stehen, heilbringend sei,--aber wie wenig schwebte solch ein Ziel mir bei all meinem Wirken vor! Wohl habe ich in der vergangenen Woche Zeit gefunden zu allem, was mein Herz begehrte, aber habe nicht, so wie ich sollte, mich bestrebt, mich als ein Glied der Genossenschaft zu beweisen, welche dein offenbartes Wort bewahren und das Licht, das göttliche Licht, der Welt leuchtend erhalten soll, und wenn ich auch einige flüchtige Augenblicke dazu anwandte, so konnte das doch nur wenig bedeuten für den, welchem die Sorge für die Bedürfnisse des Lebens keine Zeit lassen, frei zu atmen und an deine heiligen Wahrheiten zu denken. O Herr, deshalb bete ich zu dir: laß den heiligen Sabbat mir anbrechen, daß er meiner Seele Frieden bringe, auf daß ich deine unendliche Güte erkennen möge und aufs neue zu allem Guten erglühen und dazu beseelt werden möge, im Verein mit deinen wahren Anbetern dir zu dienen, den Glauben zu pflegen, zu fördern, was der Gesamtheit zum besten dient, mich allem fern zu halten, was den Israeliten entheiligt und mit neuer Lust aus der Quelle des Lebens zu schöpfen, in deinem Wort zu forschen, daß es mich in deiner Wahrheit stärke und wie eine reine Flamme voller Klarheit über die Erde leuchte und mich auf meinem Pilgerwege begleite, bis ich es in Herrlichkeit aufleuchten sehe, wenn die ewige Sabbatruhe kommt, wo seliger Friede und himmlische Ruhe mich bei dir erwarten! Amen! XXVII. Betrachtung zum Mussaphgebet. (Das Nachfolgende ist ein Abschnitt aus dem Talmud (Tractat Kritôth), welches die Art und Weise behandelt, in der das Rauchopfer zubereitet wird. Anstatt einer wortgetreuen Übersetzung wird folgendes Gebet gegeben). Pittum hak'tôres. So nähert sich denn die Zeit des Verweilens in deinem Hause ihrem Ende, und die angeordneten Gebete haben wir verrichtet; aber ach, wie mancher Augenblick weckte nicht einen Gedanken in uns, der wider den Geist des wahren Gebetes stritt! Wie oft regten sich nicht sündige Gefühle in unserer Brust; wie oft störten wir durch unser Benehmen nicht die Andacht anderer, wie oft wankten wir nicht beim Gebet im Glauben an Erhörung; wie oft ärgerten wir uns nicht über die Herrlichkeit und den Glanz der Gottlosen und ließen den Nächsten, ließen den Abgefallenen aus unserm Gebete ausgeschlossen sein, so daß unsere Anbetung dir nicht zum Wohlgefallen sein konnte! Deshalb, o Allerbarmer, wollen wir des Rauchopfers gedenken, das vormals im Heiligtum dir zu einem wohlgefälligen Dufte dargebracht wurde, auf daß es alles Widerliche vom Opfer entferne. Wir wollen uns an die vier Hauptbestandteile des Räucherwerks erinnern, daß jede Andachtsträne, die heute floß, wie ein Balsamtropfen sein, jeden bekümmerten Sinn heilen und von wahrer und innerlicher Buße hervorgerufen sein möge; daß des Herzens harte Schale zermalmt werde, und wir keinen Zweifel nähren mögen, daß du das Gebet eines zerknirschten Herzens[102] nicht verachtest. Und wir wollen uns erinnern, daß man dem Weihrauch auch Galban, eine Substanz von unangenehmen Geruch, zusetzte, eine Erinnerung für uns daran, daß du selbst die Tiefgefallenen erhörst, welche bereuend ihre Gebete in das Gebet der Gemeinde mischen, ja eine Erinnerung daran, daß unsere eigene, fromme Erbauung[103] dadurch vermehrt wird, wenn wir diese in unser Gebet einschließen, wenn wir uns selbst zu ihnen rechnen und in Demut deinen Namen anflehen; eine Versicherung, daß wenn wir auch eine Stunde vergaßen, daß wir vor dir stehen und andachtslos hier weilten, du uns doch vergeben willst, wenn wir mit heiligem Sinne kommen und unsere Gebete wie Weihrauch zu dir aufsteigen lassen, und wenn wir noch zum Schluß recht innig unsern Geist zu dir erheben. O, Allheiliger, erhöre uns und laß unser Gebet vor dir wie ein Rauchopfer ein.[104] Amen! [Fußnote 102: Ps. 51, 19.] [Fußnote 103: Kritôth Fol. 6, 66.] [Fußnote 104: Ps. 141, 2.] End of the Project Gutenberg EBook of Gebete für Israeliten, by A. A. Wolff *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEBETE FÜR ISRAELITEN *** ***** This file should be named 19823-8.txt or 19823-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/1/9/8/2/19823/ Produced by Chuck Greif, Mrs. L. Buchsbaum and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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